Antidiskriminierungsgesetz bedroht die Freiheit

Das von der deutschen Bundesregierung geplante Antidiskriminierungsgesetz erhitzt die Gemüter. Als Christen unterstützen wir jedes Bemühen, Minderheiten vor  Diskriminierungen zu schützen. Das christliche Menschenbild verteidigt die unantastbare Würde eines jeden Menschen. Deshalb setzt sich die Kirche deutlich für die Überwindung von Benachteiligungen aufgrund äußerer Merkmale oder Veranlagungen ein. Besondere Aufmerksamkeit schenkt sie dabei den Behinderten. Eine offene und tolerante Kultur des Miteinanders sollte nicht nur staatliches Handeln, sondern alle zwischenmenschlichen Beziehungen prägen. Dasselbe gilt für den Kampf gegen nationalistische Tendenzen sowie für die Aufwertung der Frau in allen Bereichen der Gesellschaft. Dennoch aber blickt die Kirche besorgt auf den neuen Gesetzentwurf. Denn sie verteidigt sowohl das Recht auf die Freiheit des Gewissens, als auch das Recht des Einzelnen wie der Kirche, vom Glauben öffentlich Zeugnis abzulegen. Der Bundestagsabgeordnete Norbert Geis hebt dabei hervor, worum es letztlich geht. Die Kirche muss unabhängig von staatlichem Zugriff in der Gesellschaft Werte formen können, auf denen der Staat ruht, die er selbst aber nicht garantieren kann.

Von Norbert Geis MdB

Besorgnis über Gesetzentwurf

Im Blick auf die Wahlen hat die Bundesregierung 2002 ihren Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz ganz schnell fallen gelassen. Profilierte Juristen, Vertreter der Wirtschaft und die Kirchen haben das Gesetzgebungsvorhaben eindeutig abgelehnt. In dieser Legislaturperiode hat es die Regierung erst gar nicht wieder gewagt, erneut einen entsprechenden Gesetzentwurf einzubringen. Verschiedene Ministerien, so heißt es, hätten für einen solchen Entwurf ihre Zustimmung verweigert. Die Grünen aber sahen in diesem Gesetz immer schon eine Möglichkeit, das Bewusstsein unserer Gesellschaft weiter in ihre grüne Richtung zu treiben. Mit der SPD zusammen haben sie jetzt im Bundestag das heftig umstrittene Antidiskriminierungsgesetz eingebracht.

Was ist der Inhalt dieses Entwurfes?  Warum besteht so viel Skepsis bei den Sachverständigen, so viel Widerspruch bei der Wirtschaft und eine solche Besorgnis bei den Kirchen?

„Revolution von oben“

Mit dem Gesetz sollen mehrere Richtlinien der EU, die sich mit angeblicher Diskriminierung von gesellschaftlichen Gruppen befassen, in deutsches Recht umgesetzt werden. Schon damit beginnt das Übel. Die Brüsseler Behörde maßt sich eine Kompetenz an, die ihr nicht zusteht. Wie die Mitgliedsstaaten der EU ihre strafrechtliche und zivilrechtliche Ordnung regeln, muss auch in dem enger zusammenwachsenden Europa Sache dieser Staaten bleiben. Es kann nicht sein, dass die Zentralverwaltung in Brüssel sich eine Richtlinie ausdenkt, die der Bundestag wie in einem totalitären Regime nur noch abnicken kann. So degradiert man das Parlament und beschädigt die Demokratie. Ohne Widerstand und ohne viel Aufheben kann so Schritt für Schritt eine Revolution von oben durchgesetzt werden. Das Antidiskriminierungsgesetz hat solche revolutionäre Tendenzen.

Kein Wort zur Familiendiskriminierung

Allerdings sind die Richtlinien, die nun umgesetzt werden sollen, im Verhältnis noch sehr maßvoll. Rot-Grün geht mit seinem Gesetzentwurf viel weiter. Nach § 1 ist es Ziel des Gesetzes, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“. Das heißt konkret, dass ein Arbeitgeber künftig nicht mehr frei entscheiden kann, mit wem er in seinem Betrieb zusammenarbeiten will. Will er nicht in Schwierigkeiten geraten, so wird er gut daran tun, von mehreren Bewerbern ausgerechnet den Schwulen einzustellen. Stellt er ihn nämlich nicht ein, muss er nachweisen, dass seine Entscheidung auf unbezweifelbar sachlichen Gründen beruht. Solche Gründe aber muss er erst einmal in dem Klima, das dieses Gesetz hervorrufen wird, finden und er muss einen Richter finden, der diese Gründe auch anerkennt. Bietet ein Vermieter seine Vierzimmerwohnung öffentlich an und erscheinen auf die öffentliche Anzeige hin ein schwarzafrikanischer Student, ein homosexueller Mann, eine schwerbehinderte Frau, ein Muslim und ein ganz normales Ehepaar mit mehreren Kindern, dann darf er, will er den Konflikt mit dem Gesetz vermeiden, in gar keinem Fall die Wohnung an das Ehepaar mit den Kindern vermieten, weil die Familiendiskriminierung im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Bedrohung der freien Entfaltung der Persönlichkeit

Diese Beispiele zeigen, dass das Gesetz zu einer Bevorzugung von Randgruppen, aber zugleich zu einer Ungerechtigkeit gegenüber dem eigentlichen Kern unserer Gesellschaft führen wird. Durch das Ziel der Gleichbehandlung von Minderheiten wird die Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft benachteiligt werden. Die Beseitigung der angeblichen Benachteiligung von Homosexuellen usw. bewirkt eine nicht hinnehmbare Bedrohung der Freiheit, des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit, des Rechts auf Meinungsäußerung und der Berufsfreiheit der ganz überwiegenden Mehrheit. Dies ist unerträglich und es wundert, dass sich hier kein nennenswerter Widerstand regt.

Am Ende wird dieses Gesetz im Gesetzbuch stehen und seine vergiftende Wirkung beginnen und die meisten werden gar nicht wahrnehmen, wie unser gesellschaftliches Bewusstsein mehr und mehr in Richtung grüner Ideologie gleichgeschaltet wird.

Einschränkung der Selbstbestimmung der Kirchen

Durch das Gesetz, wenn es nicht noch wesentlich geändert wird, werden die Kirchen in ihrer Selbstbestimmung bedroht. Nach dem Willen von Rot-Grün darf niemand wegen seiner Religion oder Weltanschauung benachteiligt werden. Müssen also die Kirchen einen erklärten Atheisten einstellen, wenn er sich um eine öffentlich ausgeschriebene Stelle bei einer Kirchengemeinde oder einem kirchlichen Werk oder Einrichtung bewirbt?

Art. 140 des Grundgesetzes in der Verbindung mit Art. 137 Abs. III der Weimarer Reichsverfassung sichert den Kirchen und ihren Einrichtungen eine autonome Stellung zu, damit sie ihre Angelegenheiten unabhängig vom Staat regeln und frei von staatlicher Gängelung ihren Verkündigungsauftrag erfüllen können. Deshalb sind sie unter anderem berechtigt, ihr Dienst- und Arbeitsrecht autonom zu regeln. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Grundsatzentscheidung vom 4.6.1985 bestätigt. Die Vorgaben in den Richtlinien der EU, die nun in deutsches Recht umgesetzt werden sollen, lassen gerade noch genügend Spielraum für die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen. Rot-Grün aber geht darüber hinaus und versucht, mit ihrem Antidiskriminierungsgesetz das geltende Staatskirchenrecht einzuengen und besonders in das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht einzudringen. Nach dem Entwurf darf bei Einstellung eines Bediensteten dessen Religionszugehörigkeit nur dann eine Rolle spielen, wenn dessen Tätigkeit in direktem Zusammenhang mit dem Verkündungsauftrag der Kirchen steht. Gilt dies auch für die Sekretärin? Wohl kaum. Ganz bestimmt gilt dies nicht mehr für den Hausmeister.

Einengung des Verkündigungsauftrags

 Das aber widerspricht der verfassungsrechtlich abgesicherten autonomen Stellung unserer Kirchen. Diese Autonomie hat ihren berechtigten Grund: Die Kirchen erfüllen ihren Auftrag nicht nur durch den Priester, sondern durch ihre gesamte Erscheinung in der Gesellschaft. Darin eingeschlossen sind auch die Sekretärin und der Hausmeister. Der Entwurf nimmt darauf keine Rücksicht. Ganz schwierig wird es für kirchliche Werke und Einrichtungen, die in dem Gesetzentwurf überhaupt nicht genannt werden. Hier bleibt offen, ob sie an der grundsätzlichen Ausnahmestellung der Kirche teilnehmen. Ganz eindeutig jedenfalls ist, dass Vereinigungen und Werke, die der Kirche nicht direkt zugeordnet werden können (zum Beispiel Gesellschaft katholischer Publizisten, konfessionell geprägte Vereine usw.), an der Sonderstellung der Kirchen nicht teilhaben. Sie werden ohne Wenn und Aber dem Antidiskriminierungsgesetz unterworfen.

„Tugendrepublik der neuen Jakobiner“

Die Kirchen haben über ihren Verkündigungsauftrag hinaus aber auch die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass die Grundlagen, auf denen letztlich unser Staat ruht, erhalten bleiben. Von Böckenförde stammt der bekannte Satz, dass der Staat die Voraussetzungen, auf denen er ruht, selbst nicht garantieren kann. Die Kirchen zählen zweifellos an erster Stelle zu den gesellschaftlichen Kräften, die sich um die Erhaltung dieser Voraussetzung sorgen und bemühen. Darauf nimmt Rot-Grün keine Rücksicht. Im Gegenteil. Ihnen geht es offenbar darum, die Kirchen zu schwächen, um auf diese Weise die „Voraussetzungen“ unseres Staates abbauen – und an deren Stelle die von ihrer Ideologie geprägten „Voraussetzungen“ errichten zu können. Dies bestätigt auch die Begründung des Gesetzentwurfes. Es heißt dort, dass die „gesellschaftliche Wirklichkeit“ verändert werden soll. Die FAZ und die „Süddeutsche Zeitung“ nennen deshalb den Gesetzentwurf eine „Kulturrevolution in Deutschland“. Namhafte Juristen schreiben von der „Tugendrepublik der neuen Jakobiner“ oder von dem Bemühen, „das gleiche Bewusstsein zu bilden“. Der Passauer Professor Johann Braun versieht einen Artikel zu diesem Gesetz mit der Überschrift „Deutschland wird wieder totalitär“.

Es ist an der Zeit, dass die Guten im Land vom Schlaf aufstehen und diesem Spuk ein Ende machen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Soll ein Gesetz die Kirche zum Schweigen bringen?

Mit der Ausweitung der Diskriminierungstatbestände im deutschen Gesetzesentwurf auf Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht verfolgt unsere Regierung ein ideologisch begründetes Ziel. Sie will die Gesellschaft nach ihren eigenen Wertmaßstäben umgestalten.

Von Werner Schiederer

Ungleichbehandlung als Diskriminierung

Bei Abschluss eines Vertrags könnten sämtliche Ungleichbehandlungen als Diskriminierung gedeutet werden, was zu einer Prozessflut wie in Amerika führen würde. In den USA haben sich die Klagen bereits ins Astronomische aufgeschaukelt: So muss der weltgrößte Einzelhändler Wal Mart mit Schadensersatzforderungen von mehreren Milliarden Dollar rechnen, weil in den unzähligen Filialen des Konzerns mehr Frauen als Männer an den Kassen und mehr Männer als Frauen in den Filialleitungen sitzen. Das neue Gesetz soll zwar vor allem im Wirtschafts- und Arbeitsleben Anwendung finden. Es ist jedoch zu befürchten, dass es später auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird. Bevölkerungsgruppen bekämen damit die Möglichkeit, gerichtlich einzuklagen, dass sie eine bestimmte Arbeitsstelle bekommen und schließlich führende Positionen einnehmen.

Eingriff in die Selbstbestimmung der Kirchen

Der Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion für Kirchen, Dr. H. Kues, schreibt: „Offenkundig wird hier durch die Hintertür versucht, das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen anzutasten, wenn den Gerichten z.B. bei der Einstellungspraxis der Kirchen die Interpretation überlassen werden kann, was eine ,wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung‘ darstellt.“ Das könnte beispielsweise bedeuten, dass ein katholischer Kindergarten einen homosexuellen Erzieher einstellen müsste.

Zensur der Predigt über Gut und Böse

Auch werden wir uns künftig in Europa zunehmend auf eine Kriminalisierung biblisch begründeter Aussagen einstellen müssen. So wurde ein Pastor aus Schweden, wo ein Antidiskriminierungsgesetz bereits angewandt wird, in erster Instanz zu einem Monat Gefängnis verurteilt, weil er in seiner Predigt Homosexualität als „schreckliches Krebsgeschwür im Körper der Gesellschaft“ bezeichnet hat. M. Lejonhufvud, Professorin für Strafrecht an der Universität Stockholm, erklärte dazu: Man mache sich nicht schuldig, wenn man entsprechende Bibeltexte als historische Dokumente zitiere. Die Grenze zum Vergehen beginne dann, wenn ein Prediger behaupte, die Gebote der Bibel wären für das heutige Leben verbindlich.

Keule gegen „lästiges“ Glaubenszeugnis

In jedem Fall würden missionarische Tätigkeiten erschwert werden. Gebetsvigilien und sonstige Mahnwachen wie z.B. vor einer Abtreibungsklinik gehörten der Vergangenheit an. Denn jeder, der meint, durch ein Glaubenszeugnis diskriminiert worden zu sein, bräuchte diesen Verdacht nur glaubhaft zu machen. Der Beschuldigte müsste vor Gericht seine Unschuld beweisen. Diese geplante „Beweislastumkehr“ wäre in der dt. Rechtsgeschichte einmalig. Auch hätten Einzelpersonen gegen Verbandsklagen z.B. der Homo-Lobbyisten nur ganz geringe Chancen. Für alle, die sich am Christentum stören, wäre dieses Gesetz eine willkommene Keule, die sie erheben könnten, um die ihnen lästige Kirche zum Schweigen zu bringen.

„Politisch korrekte Meinungsdiktatur“

FDP-Fraktionssprecher F. Rentsch meint: „Dieses bürokratische Monstrum wird eher den Umgang miteinander verunsichern, als Toleranz fördern.“ Es beinhalte in Wirklichkeit eine klare Einschränkung der Freiheit in unserem Land. „Diese Dimension haben viele noch nicht verstanden.“ J. Liminski in DT: „Dieses Gesetz schränkt die Freiheit des Bürgers ein und leistet der politisch korrekten Meinungsdiktatur Vorschub.“ „Die werte-stiftenden und werte-erhaltenden Institutionen, allen voran die Kirchen, sollten gegen dieses Gesetz Sturm laufen – solange sie noch können.“

Was können wir tun?

Neben dem Einsatz von geistigen Mitteln wie Gebet und Opfer geht es vor allem um Aufklärung, nämlich Bekannte, Gebetskreise und Klöster zu informieren oder Multiplikatoren und Bundestagsabgeordnete vor allem der SPD und der Grünen anzusprechen bzw. anzuschreiben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Kirche baut auf betende Politiker

Die Mitglieder der CDU feierten anlässlich ihres 18. Parteitags am 6. Dezember 2004 in der Düsseldorfer St. Andreas-Kirche einen Ökumenischen Gottesdienst. In seiner Predigt ermutigte Erzbischof Joachim Kardinal Meisner die Politiker mit markanten Worten, ihren christlichen Glauben in die Verantwortung für unser Volk einzubringen. Wir brauchen christliche Politiker, so der Kardinal, die vor ihrer Arbeit den Heiligen Geist anrufen.

Von Joachim Kardinal Meisner, Köln

Zu Beginn der Arbeitssitzungen des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde regelmäßig das „Veni, creator spiritus“ gesungen, das ist der Hymnus „Komm, Heiliger Geist!“. Danach hoben sogleich die Debatten an, bei denen so mancher Redner kein Blatt vor den Mund nahm. „Es ist doch merkwürdig“, sagte nach solch einem scharfen Wortwechsel ein älterer Kardinal zu seinem Nebenmann, „wenn so der Geist über sie kommt, möchte man meinen, sie hätten den Teufel im Leib!“

Vom Heiligen Geist „überwältigt“

In der Tat: Es wäre ein unter Umständen geradezu verhängnisvoller Fehler, den Heiligen Geist als harmlos einzustufen. Er ist keine erbauliche Zutat für christliche Feierstunden, keine spirituelle Verfügungsmasse für heikle Situationen. Der Geist ist nichts weniger als die Urgewalt Gottes, die in der Welt und am Menschen wirksam wird. Wo der Evangelist Markus davon berichtet, wie bei der Taufe im Jordan der Heilige Geist auf Jesus herabkommt, da fährt er fort: „Danach trieb der Geist Jesus in die Wüste.“ Das Wort, das im griechischen Urtext für „treiben“ steht, „ekballein“, kann ein ausgesprochen gewalttätiger Begriff sein und heißt dann „herauskatapultieren“. Das Neue Testament verwendet diesen Ausdruck sonst bevorzugt im Zusammenhang mit Dämonenaustreibungen. Wenn der Geist auf einem Menschen ruht, dann wird dieser in gewissem Sinne zum „Spielball Gottes“. So bekennt Jeremias: „Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt“ (Jer 20,7). Wer meint, Geistträger zu sein, sei stets angenehm und harmlos, der ist sehr im Irrtum.

Der Geist verleiht Politikern Profil

Und doch sendet Gott immer wieder seinen Geist auf Menschen herab – nicht zuletzt in der Taufe. Was aber geschieht mit solchen Geistträgern? Sie können zu Propheten werden, wie der heutige Schrifttext zeigt. Sie können aber auch politische Verantwortung übernehmen, wie jener messianische Herrscher, von dem es ebenfalls im Buch Jesaja heißt: „Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihn: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht“ (Jes 11,2). Ob Gott nun Propheten oder Politiker in Dienst nimmt: Nie verbleibt der Geist im Unsichtbaren, im Unverbindlichen. Wie den menschlichen Geist, so erkennt man auch den Heiligen Geist an seinen Früchten: Armen wird eine frohe Botschaft verkündet, Gefangene werden befreit, Trauernde und Verzweifelte getröstet. Um es kurz mit einem Pfingstlied zu formulieren: „Wohin sein Feueratem fällt, wird Gottes Reich lebendig.“

  Wo der Geist wirkt, da geht es nicht ätherisch zu, sondern höchst konkret und handfest. Gott beschränkt sein Königtum nicht auf die Herzen der Menschen; es soll sich von dort auf die ganze Welt ausbreiten, als Sauerteig die Strukturen der menschlichen Gesellschaft durchdringen, bis Gott schließlich alles in allem sein wird. Der Geist begnügt sich nicht damit, wie im Anfang über den Wassern zu schweben; er will Gestalt annehmen in der Welt, er will in den Menschen Kontur gewinnen und ihnen Profil verleihen.

Politische Tugend: Gottesfurcht statt Menschenfurcht

Was aber kann das alles nun für christliche Politiker bedeuten, die als getaufte Christen ihr Handeln vom Geist Gottes bestimmen lassen wollen? Nun, auch in ihrem Leben und politischen Arbeiten muss der Heilige Geist Gestalt annehmen, er muss erkennbar werden. Erste Aufgabe eines christlichen Politikers ist es somit, sich dem Geist Gottes zu öffnen, der Weisheit und Einsicht verleiht, Anleitung und Kraft für den Dienst am Volk schenkt und nicht zuletzt Gottesfurcht. Ja, auch die Gottesfurcht zählt zu den politischen Tugenden, und sie nimmt keineswegs den letzten Rang unter diesen ein! Wo Gottesfurcht fehlt, tritt Menschenfurcht an ihre Stelle, und es fördert sehr das verantwortliche politische Handeln, wenn man weiß, dass man eines Tages tatsächlich Rede und Antwort stehen muss, und zwar vor Gott, der sich weder betrügen noch hintergehen lässt. „So wahr mir Gott helfe“: Es ist anscheinend hoffähig unter führenden Politikern geworden, diese Formel auszulassen. Dazu will ich nur sagen: Gnade Gott dem Volk, dessen Führer meinen, auf Gottes Gnade verzichten zu können!

Zeugnis des persönlichen Lebens einbringen

Freilich fängt christliche Glaubwürdigkeit nicht erst bei den großen politischen Vorgängen und Entscheidungen an. Wenn man den Heiligen Geist nicht gewissermaßen als Eigentum besitzen kann, sondern vielmehr geradezu von ihm besessen wird, dann macht er auch nicht an unserer Haustüre Halt. Im Gegenteil: Zunächst einmal ist es das ganz persönliche Leben jedes Politikers, in dem sich der Gottesgeist ausprägen will. Daraus lässt sich ein Glaubwürdigkeitskriterium ableiten, das Rückschlüsse auch auf das politische Handeln erlaubt: Wie hoch darf ich beispielsweise die politische Redlichkeit eines politischen Mandatsträgers einschätzen, der als Normalbürger nicht „Auf Treu und Glauben“ lebt und handelt?

Es kann eine große Hilfe sein, wenn Sie sich fragen, wo Sie auf Ihre Weise dazu beitragen, den Heiligen Geist für die Ihnen anvertrauten Menschen berührbar zu machen. Ein Beispiel: Es gehört zum täglichen Brot der Politikerinnen und Politiker, in den Medien präsent zu sein. Und so sieht man sie im Fernsehen mit Herrn Biolek kochen, mit Frau Christiansen diskutieren oder mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zittern. Wie wichtig wäre es aber, Politiker auch einmal öffentlich beten zu sehen, wie es hier und heute der Fall ist! Es war nicht unbedingt schmeichelhaft für Ihre Zunft, als Goethe in seinem „Faust“ dichtete: „Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied!“ Könnte sich diese Einschätzung nicht zum Besseren wenden, wenn man Politiker von Zeit zu Zeit auch einmal mit einem geistlichen Lied auf den Lippen anträfe? Den Versuch wäre es zweifellos wert.

Unser Volk braucht christliche Politiker

Liebe Mitchristen, ich möchte nicht Parteitag und Konzil gleichsetzen. Dennoch wäre es kein Fehler, wenn es bei Ihnen ein wenig so zuginge wie beim Zweiten Vaticanum: Wenn Sie also zu Beginn um den Beistand des Gottesgeistes bäten, wie wir es in dieser Stunde tun, und wenn Sie dann engagiert und leidenschaftlich ans Werk gingen und durch Ihre Arbeit ungerechte Fesseln lösten, Traurigkeit und Resignation in Freude und Hoffnung wandelten. Nichts braucht unser Volk gegenwärtig dringender als den Sinn und die Orientierung, die Sie als christliche Politiker ihm geben können! Lassen Sie sich vom Geist leiten – nur achten Sie gut darauf, welcher Geist Sie da gerade erfüllen will. Es ist auch für einen Politiker allemal besser, den Heiligen Geist im Herzen als den Teufel im Leib zu haben. (Vgl. pek, 6.12.2004)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Moralischer Aufstieg einer Gesellschaft

Für den Sieg von Präsident George W. Bush haben die christlichen Glaubensgemeinschaften in Amerika auf allen Ebenen gekämpft. Auch die Mehrzahl der Katholiken gab ihm die Stimme. Nicht weil sie den Irak-Krieg oder die Todesstrafe befürworten, sondern weil sie bei Präsident Bush ihre moralischen Werte – besonders den Schutz des Lebens – in besseren Händen wissen. Schon jetzt hat Bush bei der Berufung von Richtern den Abtreibungsgegnern eindeutig den Vorzug gegeben. Die anstehenden Neubesetzungen beim Obersten Gerichtshof in Amerika könnten eine historische Wende in der Abtreibungsfrage herbeiführen, die sich auf die ganze Welt auswirken würde. Darauf setzen die Gläubigen im Zusammenhang mit Präsident Bush ihre größte Hoffnung. Prof. Dr. Lothar Roos beleuchtet den Hintergrund für die überraschende Wiederwahl von Präsident Bush.

Von Lothar Roos

Hollywood ist sprachlos

Als sich das Ergebnis der Präsidentenwahl abzeichnete, gab es nicht nur bei einem Teil der Amerikaner lange Gesichter. In der „Kulturszene“ löste der Wahlausgang „blankes Entsetzen“ aus: „Europäische Autoren befinden sich in Katerstimmung. Hollywood ist sprachlos“, nachdem „ein bisher beispielloses Großaufgebot amerikanischer Künstler ... den Wahlkampf von John Kerry unterstützt“ hatte (Die Tagespost vom 6.11.2004, S. 9). Entgegen aller Prognosen wurde der amtierende Präsident mit fast vier Mio. Stimmen Vorsprung wiedergewählt, ein Ergebnis, das bisher keiner seiner Vorgänger erreicht hatte. Geradezu verstört reagierten die meisten Europäer. Hätten sie zu wählen gehabt, dann hätte Kerry einen „Erdrutschsieg“ errungen, wie das Magazin TIME ermittelte (s. Grafik, TIME vom 15.11.2004, S. 43). In Deutschland hätten z.B. nur 10 Prozent Bush und 74 Prozent Kerry gewählt. Nur die Polen tanzten aus der Reihe: Hier gab es eine Mehrheit von 31 Prozent für Bush gegenüber 26 Prozent für Kerry (43 Prozent blieben unentschieden).

„Es ist die Moral, Dummkopf!“

Warum aber wird Bush für weitere vier Jahre der „mächtigste Mann der Welt“ bleiben? Den meisten Politikern und Potentaten der Massenmedien im „alten Europa“ verschlug diese Aussicht ebenso die Sprache wie der Unterhaltungsszene von Hollywood, deren Anführer Michael Moore gehofft hatte, mit einem gehässigen Film gegen Bush die Wahl entscheiden zu können. Enttäuscht war auch die Mehrheit der „Intellektuellen“ im Nordosten der USA. Wie konnte es zu diesem Ergebnis kommen? Das wissen wir inzwischen dank einer in den USA hochentwickelten Datenanalyse ziemlich genau. Matthias Rüb überschrieb seinen Leitartikel am Tag nach der Wahl „Kulturkampf in Amerika“ (F.A.Z. vom 4.11.2004, S. 1) und brachte einen Tag später mit der Formel: „Es ist die Moral, Dummkopf!“, gegenüber denen, die mit allem, nur nicht damit gerechnet hatten, die Sache auf den Punkt (F.A.Z. vom 5.11.2004, S. 3). Während viele Amerikaner und fast alle Europäer erwartet hatten, Bush würde wegen des Irak–Kriegs aus dem „Weißen Haus“ gejagt, brachte die Analyse der Wahlkriterien der US–Bürger etwas ganz anderes zutage: Nur 15 Prozent sahen im Irak-Krieg das Hauptproblem, während für 19 Prozent der „Kampf gegen den Terror“ wichtiger war. Hier hatte Bush einen haushohen Vorsprung von 86 Prozent zu 14 Prozent gegenüber Kerry. Am meisten aber überraschte, dass „moralische Werte“ (moral values) mit 22 Prozent sogar die Fragen der Wirtschaft (20 Prozent) von der Spitze verdrängten (s. Grafik, Rheinischer Merkur vom 11.11.2004, S. 3).

Abtreibung und „Homo-Ehe“

Um welche „moralischen Werte“ ging es dabei? Die Antwort lässt sich bei dem Baptistenführer Richard Land finden, einem der „religiösen“ Berater des Präsidenten: Es ging um die Stammzellen-Forschung und die dafür geforderte verbrauchende Embryonennutzung, um die Abtreibung und die „Homo-Ehe“. Was letztere angeht, fanden zusammen mit der Präsidentenwahl in 11 Staaten Volksabstimmungen statt, wobei in allen Fällen die Ehe als Verbindung von Mann und Frau den Sieg davontrug. Während in Europa Rocco Buttiglione wegen seiner Positionen in diesen Fragen von den Sozialisten, Liberalen und Grünen als Kommissar in Brüssel abgelehnt wurde, hätte er in Amerika genau damit die Wahlen gewonnen.

„Es fehlt der Glaube“ – in Europa

Interessant ist auch die Wechselwirkung zwischen Konfession, Kirchlichkeit und Wahlverhalten. Nur 47 Prozent der Katholiken haben ihren Glaubensbruder Kerry gewählt, aber 52 Prozent den Baptisten Bush, für den sogar 63 Prozent derer gestimmt haben, die mehrmals pro Woche zur Kirche gehen. Insofern haben die 67 Mio. Katholiken wesentlich zum Wahlsieg Bushs beigetragen. Sie zogen einen frommen Methodisten einem lauen Katholiken vor (s. Grafik Rheinischer Merkur). Die breite Mitte (geistig und geographisch) hat Bush gewählt, weil man den Tendenzen eines moralischen Niedergangs Einhalt gebieten wollte. Die Grundwerte Amerikas sind Freiheit, Familie und Religion, und diese Werte sah die Mehrheit der Wähler bei Bush besser aufgehoben als bei Kerry. Ein amerikanischer Bush-Wähler erklärte den Wahlausgang mit einer „weitgehenden Abneigung in der Bevölkerung ... gegen die zunehmende Zerstörung unserer Kultur durch Hollywood“ und fügte hinzu: Dass Bush „persönlich einen Glauben hat, der ihm eine Quelle der Stärke wurde, ist doch kein Nachteil, sondern von vielen gewürdigt worden“ (Leserbrief, F.A.Z. vom 17.11.2004, S. 8). Der Feuilleton-Chef der F.A.Z., Patrick Bahners, sieht sogar einen „Krieg der Welten“ zwischen Europa und Amerika und antwortet auf die Frage: „Warum Europa Bush nicht begreifen will“, kurz und bündig: „Es fehlt der Glaube“ (F.A.Z. vom 4.11.2004, S. 37).

„Spirit of America“ – Sendungsbewusstsein

Zu den moralischen Standards Amerikas gehört auch, wie es Richard Land ausdrückte, „dass Amerika eine besondere Rolle zu spielen hat bei der weltweiten Verbreitung von Freiheit und Menschenwürde“ (TIME, S. 56). Weil Amerika daran glaubt, vermag es einen Präsidenten selbst dann wiederzuwählen, wenn viele junge Amerikaner diese „Mission“ gegenwärtig mit dem Leben bezahlen müssen. Im „alten Europa“ unterstellt man den Amerikanern lieber unlautere Motive, um so eine billige Ausrede zu haben, sich an dieser Aufgabe nicht beteiligen zu müssen. Und was die moralischen Werte angeht, die Europa mit Amerika an sich geistig verbindet, so ist bisher keine Mehrheit dafür zu finden, sich im „Europäischen Verfassungsvertrag“ ausdrücklich zu den christlichen Wurzeln der Menschenwürde und der Menschenrechte zu bekennen. Die meisten Europäer haben vom „Spirit of America“ wenig Ahnung, vielleicht die Polen ausgenommen.

Hoffnung für das laizistische Europa

Wir wollen „die moralisch-religiösen Grundlagen der amerikanischen Gesellschaft nicht begreifen“ und „betrachten … Amerika sehr stark aus Sicht der säkularisierten Kultur, die wir haben“, so der Politologe Claus Leggewie, der hinzufügt: „Wer sich von seinen moralisch-religiösen Grundlagen verabschiedet hat, verliert das Verständnis für jene, für die diese Fundamente schützenswert, ja heilig sind. Deshalb tut sich das laizistische Europa so schwer, den Wahlausgang in Amerika zu verstehen. Und deshalb bebt auch die Kulturszene“ (Die Tagespost, ebd.). Im Wahlsieg Bushs könnte freilich auch eine Hoffnung für Europa liegen: Gesellschaften müssen nicht sehenden Auges und mit Lust ihren Untergang betreiben. Sie können sich auch moralisch regenerieren. Dafür stehen jene „moral values“, um derentwillen die US-Bürger mit großer Mehrheit George W. Bush wiedergewählt haben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Christliche Politik verlangt eine einheitliche Stimme

Es ist eine fundamentale Aufgabe der Christen, das politische Leben mitzugestalten. Das Geschick ganzer Nationen kann von Werten und Überzeugungen Einzelner abhängen. Doch hat christliche Politik heute überhaupt eine Chance? Sicherlich, so meint Kaplan Dr. Christof May, doch nur, wenn sie mit einheitlicher Stimme spricht. Einheit aber finden die christlichen Parteien nur, wenn sich ihre Verantwortungsträger wirklich am Christlichen orientieren. In seinem Beitrag beschreibt May seine Erwartungen an eine christliche Politik.[1]

Von Christof May

Priesterleben auf Sizilien

Nachdem ich im Jahr 2000 zum Priester geweiht worden war, suchte ich – vor allem in den Ferien – das normale italienische Pfarreileben kennenzulernen. Dafür bietet sich Rom, wo ich einige Jahre gelebt, studiert und gearbeitet habe, nicht an. So reiste ich nach Sizilien in das Bistum Agrigent, das vor allem für das Tal der Tempel berühmt ist. Insgesamt arbeitete ich dort dreieinhalb Monate in einer 5000-Seelen-Pfarrei, idyllisch, direkt am Meer gelegen. Schon am ersten Morgen meiner Anwesenheit klingelte es in der Früh an der Tür. Es war der örtliche Fischhändler, der gerade vom Fischfang zurückgekehrt war. Er zeigte mir alle seine Fische und bat mich, die Beute zu segnen. Schließlich sollte ich mir den schönsten aussuchen – das tat ich! Als ich allerdings bezahlen wollte, antwortete er mit dem Brustton der Überzeugung: „Don Cristoforo, per Lei niente!“ Das Gleiche setzte sich an der Kasse im Supermarkt, ja sogar an der Tankstelle fort. Priester brauchen auf Sizilien nichts zu bezahlen. Es gibt keine Kirchensteuer; die Priester leben von den Spenden der Gläubigen und den Messstipendien.

Pfarrer und Bürgermeister

Es ist in Sizilien wie in deutschen Dörfern vor vielen Jahrzehnten: Pfarrer, Bürgermeister und Lehrer haben in einem Dorf das Sagen. Und so begab es sich während der großen Karfreitagsliturgie 2002: In einer riesigen Prozession zogen fast alle 5000 Einwohner Siculianas von der Kirche über eine „Via dolorosa“, einen „Kreuzweg“, aus dem Ort hinaus zum so genannten „Golgata“. „Confraternità“, junge Burschenschaften, trugen überlebensgroße Figuren, die zur Passion Christi gehören, durch die Straßen des Ortes. Um die Dramatik des Geschehens zu unterstreichen, wurde die Prozession von arabisch klingenden Klageliedern begleitet. Angeführt wurde der große Zug, so wie alle öffentlichen Manifestationen, vom Pfarrer des Ortes, Don Salvatore, und vom kommunistischen Bürgermeister, den alle Giuseppe oder einfach „Peppe“ rufen. Gesenkten Hauptes schritten die beiden voran. Aus ihren Gesichtern lasen die Umstehenden einen solchen Schmerz, dass jeder meinte, Bürgermeister und Pfarrer selbst würden die Passion leibhaftig durchleben.

Verhandlungen während der Prozession

In gewisser Weise taten sie das auch. Doch das kam lediglich „Don Cristoforo“ zu Ohren, der direkt neben den beiden – ebenfalls tief gesenkten Hauptes – einherschritt und bei sich dachte: „Wie kann man bloß während einer Karfreitagsprozession über solch weltliche Dinge verhandeln!“ Denn die beiden durchlebten „schmerzvolle“ Momente von Bau- und Landverhandlungen. Don Salvatore wollte das Stück Bauland im Neubaugebiet Siculianas, um dort eine Kirche zu bauen. Bürgermeister Peppe wollte seine Zustimmung nur unter der Bedingung geben, dass die Kirche dafür auf eine alte Kapelle im Zentrum Siculianas verzichtet. Bis zur Osternacht war der Bau der neuen Kirche beschlossene Sache! Um diese frohe Botschaft zu verkünden, nutzte Don Salvatore die Predigt während der Auferstehungsfeier.

Einheit nach außen

Die Bauarbeiten konnten beginnen. Zwischenzeitlich gab es im letzten Sommer einen Baustop, da bisher noch keine Genehmigung für das gesamte Projekt vorlag. Aber im Land, wo die Zitronen blühen, werden solche Probleme schnell und im Wortsinn „unbürokratisch“ gelöst. Nur gut zwei Jahre nach besagtem Karfreitag durfte ich im Oktober 2004 bei der Weihe der Kirche dabei sein. Worum geht es mir mit diesem Beispiel? Unabhängig von der Partei – es handelt sich um die Kommunisten – zeigen Pfarrer und Bürgermeister nach außen eine große Einheit. Dies ermöglicht die Umsetzung vieler sozialer Projekte und das Handeln gemäß dem Willen der meisten Bürger. In Deutschland, im Land der Reformation, ist eine solche Einheit von politischem und kirchlichem Leben nicht so einfach wie in Italien. Doch auch bei unterschiedlichen Auffassungen kann eine grundsätzliche Einheit gezeigt werden.

Beispiel der katholischen Kirche

Denken wir an die Bischöfe Kamphaus und Dyba. Welche kirchenpolitische Ferne, die die beiden – bei aller territorialen Nähe – trennte! Gravierende Meinungsverschiedenheiten auf theologischer Ebene gibt es nicht nur innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland, sondern auch in Rom: Ein Blick auf die Kardinäle Ratzinger und Kasper zeigt die Vielfalt. Und dennoch arbeiten beide für die Einheit der Kirche und machen diese nach außen hin sichtbar. Ihre theologischen Meinungsverschiedenheiten fechten sie innerhalb der vatikanischen Mauern aus –in großer Diskretion. Nach außen sind sie loyal, auf das Fundament der Kirche hin zentriert. Beide dienen der Einheit und zeigen sich als getreue Mitarbeiter des Heiligen Vaters. Wenn wir es auf die deutsche kirchliche Ebene heben, dann finden wir gerade jene Loyalität wieder in den Bischöfen Dyba und Kamphaus: ad intra machten sie wahrscheinlich viele Grabenkämpfe durch, ad extra aber immer loyal, dem Papst treu und ergeben. Ich erinnere nur an das Ende der Debatte um die Schwangerenkonfliktberatung: Bischof Kamphaus hatte viel für den Verbleib im Beratungssystem gekämpft. Nachdem der Papst aber den Ausstieg auch für Limburg gefordert hatte, wurde das von Kamphaus unverzüglich umgesetzt.

Mit einheitlicher Stimme sprechen

Ich glaube, viele Bürger sind politikverdrossen, weil ihnen mittlerweile keine der Parteien mehr ein einheitliches Konzept vorlegt. Das mag zum einen daran hängen, dass die Presse inzwischen überall zu schnell recherchiert und veröffentlicht. Aber es liegt oftmals auch an den Politkern selbst, dass sie die Einheit nicht genügend wahren. Innerhalb der Regierungspartei hört man verschiedenste Stimmen: „Ich halte zu Schröder!“, „Ich zu Müntefering!“, „Ich zu Schily!“. Nicht anders geht es der Opposition: „Ich bin für Merkel!“, „Ich bin für Merz!“ … Das Gleiche spielt sich bei den Grünen zwischen Realos, Fundis und der Gruppe um Joschka Fischer ab.

Ich bin kein Politologe. Doch aus der Sicht eines jungen Theologen wünsche ich mir mehr Loyalität innerhalb der Parteien. Natürlich dürfen und sollen Meinungsverschiedenheiten sein: innerhalb! Wenn aber die Sache beschlossen ist, gilt es nach außen dafür in Einheit einzustehen. Notfalls muss die persönliche Meinung eines Politikers auch einmal hinten anstehen. Wenn ich mich mit dem gefassten Beschluss meiner Partei nicht identifizieren kann, dann sollte ich zumindest nach außen hin schweigen und nicht die eigenen Leute kritisieren. Es geht nicht darum, nicht mehr die Meinung sagen zu dürfen: Dafür gibt es die Parteisitzungen mit den vielen, vielen Gremien und Ausschüssen.

Christliche Politik

Vom Beschluss einer christlichen Partei wünsche ich mir zwei Dinge: erstens, dass er nach christlichen Richtlinien gefasst ist. Wenn wir nicht das leben, was wir als Christen glauben, dann ist unser Leben zwiespältig, doppeldeutig – letztlich unglaubwürdig. Jesus Christus selbst ist das Fundament der kirchlichen Einheit. Und ich meine, er kann in einem Land, das christliche Wurzeln hat, auch zum Fundament einer staatlichen, gesellschaftlichen Einheit werden. Oberstes Richtmaß der Einheit ist die Liebe. Oder, um es mehr politisch-praktisch auszudrücken: Einheit im gesellschaftlich-politischen Leben ist möglich, wenn das Wohl des Volkes und die Ehre Gottes die Priorität christlich verantwortlicher Bürger ist. Christliche Politik muss sich auf Jesus Christus hin ausrichten, damit die christlichen Werte in unserem Land wieder zur Norm gesellschaftlichen Lebens werden. Es geht – bei kritischen Fragen – um die Überlegung: Was hätte Jesus Christus getan, wäre er an unserer Stelle gewesen?

Loyalität in Kirche und Gesellschaft

Das Zweite, was ich mir bei einer Beschlussfassung wünsche, ist die Loyalität zu der gebildeten Meinung – und zwar auf und in allen Instanzen. Vergleichen wir es wieder mit der römisch-katholischen Kirche. Ich weiß, dass es in Deutschland viele Katholiken gibt, die sagen: Rom ist Rom, aber wir leben hier unsere eigene Kirche. Mag der Papst gegen die Abendmahlsgemeinschaft sein, Hauptsache wir vor Ort sind uns einig! Aber das ist eben nicht einig und Einheit, sondern beliebig. Dabei haben wir niemals die Implikationen Roms im Blick, warum heute noch keine Abendmahlsgemeinschaft möglich ist. Vielmehr schauen wir nur auf unsere deutsche Binnenkirche. Und das ist einfach zu eng! Wenn der Papst einen Beschluss gefasst hat, dann gilt es auch dazu zu stehen. Das alte Wort dafür lautet: Roma locuta – causa finita! Rom hat gesprochen, die Sache gilt als abgeschlossen.

Politiker sprechen bei ihren Diskussionen nicht als Einzelne ein Urteil, sondern sie entscheiden demokratisch. Da sollte es ein Leichtes sein, diesen Beschluss auch öffentlich zu teilen und zu vertreten, gemäß dem abgeänderten Grundsatz: Unio locuta – causa finita! Damit wird die christliche „unio“ zu einer „unitas“ – Einheit in Verschiedenheit!

Glaubwürdige Parteipolitik

Wo sich Politiker in Grabenkämpfen ergehen, wo sich eine Partei durch verschiedenste Querelen zersplittert und zerfasert, wird sie verletzbar und im Letzten unglaubwürdig. Wenn aber politisches Handeln in der Mehrheit religiös gläubig motiviert ist, kann eine Politik in Einheit gelingen, die als solche nicht mehr angreifbar ist. Wer sich seiner christlichen Wurzeln bewusst ist, diese offen bekennt und in Einheit mit anderen politisch umsetzt, braucht sich beispielsweise nicht vor muslimischen Mitbürgern zu fürchten. Diskussionen über die Ausländerfrage, über den Islam oder über Kopftuchverbot gestalten sich wesentlich einfacher und können in Einheit entschieden werden.

Um als Leitmotiv das Wohl der Bürger und das Handeln zur größeren Ehre Gottes im Blick zu behalten, müssen die christlichen Parteien zu den Quellen zurückkehren, aus denen christliche Politik im Eigentlichen erwächst. Letztlich ist es der Weg in die Kirche. Kurienbischof Rino Fisichella hält in der römischen Kirche Sant‘ Andrea al Qurinale jeden Monat eine Heilige Messe für die Vertreter des italienischen Volkes. Daran nehmen nicht nur Christdemokraten teil, sondern Politiker aller Couleur. Die kleine Kirche ist bei dieser Messe immer gefüllt!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Gekürzte Fassung eines Vortrages vor christdemokratischen Politikern in Wiesbaden im Januar 2005.

Zeichenhafter Tod der Seherin Lucia von Fatima

Von Erich Maria Fink

Persönlicher Brief des Papstes

Es ist Sonntag, der 13. Februar 2005. Die Seherin Lucia von Fatima liegt mit 97 Jahren krank in ihrer Klosterzelle. Eine Überraschung wartet auf sie. Papst Johannes Paul II. hat ihr einen persönlichen Brief geschickt. Die Schwestern des Konvents sind mit dem Bischof von Coimbra, Mons. Albino Cleto, sowie den Ärzten und der Krankenschwester um ihr Bett versammelt, um mitzuerleben, wie ihr die hohe Grußbotschaft übermittelt wird. Verbunden mit seinem päpstlichen Segen und der Versicherung seines Gebets wünscht ihr der Heilige Vater die Fähigkeit, den „Moment des Schmerzes und des Leidens“ in einem „österlichen Geist“ zu durchleben. Tief ergriffen von den Worten, die man ihr vorgetragen hat, bittet sie darum, die Nachricht selbst lesen zu dürfen. Es ist die letzte Reaktion, die sie in ihrem Leben zeigt. Voller Frieden schließt sie in diesem Moment für immer die Augen, mit denen sie die Gottesmutter schauen durfte.

Bedeutung Fatimas für die ganze Kirche

Als hätte der Papst geahnt, dass sein Brief Schwester Lucia im letzten Augenblick ihres Lebens erreichen wird, spricht er das Geheimnis der Auferstehung an. Sein Wort vom „österlichen Geist“ wirkt umso treffender, als sich dieses selige Sterben an einem Sonntag, dem Tag der Auferstehung, ereignet hat. Noch deutlicher sticht hervor, dass der Todestag auf einen Dreizehnten des Monats gefallen ist, also auf einen so genannten „Fatimatag“. Denn die sechs großen Erscheinungen der Gottesmutter in Fatima haben bekanntlich zwischen Mai und Oktober 1917 jeweils an einem Dreizehnten stattgefunden. Dieses wunderschöne Zusammentreffen verschiedener Umstände kann menschlich nicht geplant werden. Offensichtlich wollte Gott noch einmal ein Zeichen setzen, um die Bedeutung Fatimas für die ganze Kirche kundzutun.

„Jesus will sich deiner bedienen“

Johannes Paul II. war drei Mal mit Schwester Lucia, der letzten Zeugin der Marienerscheinungen von Fatima, zusammengetroffen: 1982, 1991 und schließlich am 13. Mai 2000, als er die anderen beiden Seherkinder selig sprach. Es waren ihr Cousin Francisco Marto und dessen Schwester Jacinta, die bereits zwei bzw. drei Jahre nach den Erscheinungen gestorben waren. Auch darin erfüllte sich eine Voraussage der Gottesmutter. Bei ihrer ersten Erscheinung versprach sie den Dreien den Himmel, bei der zweiten am 13. Juni sagte sie: „Ja, ich werde bald kommen, um Francisco und Jacinta zu holen; du jedoch musst länger hier unten bleiben.“ Jesus wolle sich ihrer bedienen, um die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens in der Welt zu begründen. Die enttäuschte Lucia tröstete sie mit den Worten: „Verliere nicht den Mut! Ich werde dich nie verlassen. Mein Unbeflecktes Herz wird deine Zuflucht sein und der Weg, der dich zu Gott führt.“ Nach ihrem Tod nun schrieb Papst Johannes Paul II.: „Mich freut der Gedanke, dass Schwester Lúcia bei ihrer frommen letzten Reise von der Erde zum Himmel gerade von der Frau aufgenommen wurde, die sie vor so vielen Jahren in Fatima gesehen hat.“

Herausragendes Zeichen der Zeit

Zum 80. Jahrestag des Sonnenwunders von Fatima am 13. Oktober 1997 richtete Papst Johannes Paul II. an alle Hirten und Gläubigen ein Schreiben, in dem er die Ereignisse von Fatima eines der bedeutendsten Zeichen unserer Zeit nannte, das „uns hilft, die Hand Gottes, des vorausblickenden Lenkers und des geduldigen und mitfühlenden Vaters auch dieses 20. Jahrhunderts zu sehen“. Von Fatima aus breite Maria ihren mütterlichen Mantel über die ganze Erde aus, um in der Menschheit eine neue Sehnsucht nach dem Vaterhaus Gottes zu erwecken. Die Situation, in die die Welt immer tiefer hineintreibe, vergleicht der Papst mit einer „Nacht des Todes“. Die Gottesmutter von Fatima habe die Kinder auf prophetische Weise das drohende Unheil sehen lassen, vor dem sie uns jedoch bewahren wolle. Als Beispiel nennt der Papst später die Voraussage des Attentats im dritten Teil des Geheimnisses von Fatima, das er im Jubeljahr 2000 veröffentlichen ließ. Die Kinder sahen zwar, wie der Mann in Weiß stirbt, doch überlebte er den Anschlag vom 13. Mai 1981. Dies zeige, dass nicht alles eintreffen muss, was die Kinder in den Visionen von Fatima geschaut haben. Wenn wir durch unser Gebet und Opfer der himmlischen Mutter die Möglichkeit geben, kann sie „mit ihrer mütterlichen Hand“ die Geschicke zum Guten lenken.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Leidenschaftlicher Appell von Erzbischof Kothgasser

Der diesjährige Fastenhirtenbrief des Salzburger Erzbischofs wurde vor allem von Lebensrechtsgruppen begeistert aufgenommen. Schon fühlten sich manche in ihrem Einsatz für die Ungeborenen von Seiten der Hirten ein wenig im Stich gelassen, da schlug Erzbischof Alois Kothgasser unmissverständliche Töne an. Ein solches Zeugnis ungeschützt in die angespannte Situation von Salzburg hineinzusprechen, ist mutig und stärkt die Gläubigen. Weihbischof Dr. Andreas Laun stellt uns den leidenschaftlichen Appell seines Oberhirten vor.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Alois Kothgasser, Erzbischof zu Salzburg, hat einen Fastenhirtenbrief geschrieben, zu lang, um ihn während der heiligen Messe vorzutragen, aber auch zu aufregend, um ihn nicht zu lesen: „Wähle das Leben!“, ruft der Erzbischof den Christen und allen Menschen guten Willens zu. Ohne zu zögern packt er das heiße Eisen an und sagt unmissverständlich, was die Kirche über Abtreibung denkt – aber eben nicht nur „denkt“, sondern sagt und ruft und hinausschreien muss, angemessen der Tragödie, die sich mitten unter uns ereignet und doch ständig verdrängt wird, auch von den Christen. Der Erzbischof geht nicht auf alle Fragen ein, die zum Thema Abtreibung gehören, aber er sagt das, was wesentlich ist.

Aktueller Hintergrund des Hirtenbriefs

Um davon zu reden, bedarf ein Bischof keines besonderen Anlasses, das, was täglich geschieht, ist Anlass genug. Und doch, dass der Erzbischof gerade jetzt seine Stimme erhoben hat, hat Gründe:

• Österreich lebt seit 30 Jahren mit der „Fristenlösung“, und im Namen dieses Gesetzes sind in Österreich seit 1975 weit mehr als eine Million Kinder getötet worden, die heute in dramatischer Weise zu fehlen beginnen.

• Durch den beherzten Einsatz der Lebensschützer ist der Skandal der Abtreibung wieder mehr bewusst geworden und hat sogar eine gewisse mediale Aufmerksamkeit gefunden: Vorläufer, die dem Erzbischof den Weg bereitet haben.

• Nicht zuletzt hatte der Erzbischof die Entscheidung der Salzburger Landeshauptfrau vor Augen, die da lautet: Im Landeskrankenhaus, ursprünglich von einem Erzbischof gegründet, soll in Zukunft auch die Möglichkeit abzutreiben angeboten werden.

In seinem Hirtenbrief orientiert sich der Erzbischof weitgehend an „Evangelium vitae“, der Lebens-Enzyklika des Papstes Johannes Paul II. und, indem er sich dessen Gedanken zu Eigen macht und mutig hinter sie stellt, verleiht er ihnen eine neue, ungeahnte Kraft:

Ausgangspunkt des Hirtenbriefes ist das Wort aus dem Buch Deuteronomium: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen…“ Nur ein Thema für Gläubige? Das, worum es bei Abtreibung geht, weiß letztlich jeder Mensch: „Selbst in Schwierigkeiten und Unsicherheiten vermag jeder Mensch, der ehrlicherweise für die Wahrheit und das Gute offen ist, den Wert und die Würde des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick des Daseins bis zu seinem Ende zu erkennen und das Recht jedes Menschen zu bejahen, dass dieses sein wichtigstes Gut in höchstem Maße geachtet werde. Auf der Anerkennung dieses Rechtes beruhen das menschliche Zusammenleben und das politische Gemeinwesen.“

Neue Formen von Anschlägen auf die Würde des Menschen

Im ersten Abschnitt analysiert der Erzbischof die „neuen Bedrohungen des menschlichen Lebens“:

„Mit den neuen, vom wissenschaftlich-technologischen Fortschritt eröffneten Perspektiven entstehen neue Formen von Anschlägen auf die Würde des Menschen, die den Verbrechen gegen das Leben einen bisher unbekannten Aspekt verleiht und neue, ernste Sorgen auslöst: Breite Schichten der öffentlichen Meinung rechtfertigen manche Verbrechen gegen das Leben im Namen der Rechte der individuellen Freiheit und beanspruchen unter diesem Vorwand nicht nur Straffreiheit für derartige Verbrechen, sondern sogar die Genehmigung des Staates, sie in absoluter Freiheit und unter Beteiligung des staatlichen Gesundheitswesens durchzuführen.“

Eine weitere, besonders schlimme Folge ist es, „dass selbst das Gewissen immer mehr verdunkelt wird“ und bezüglich des menschlichen Lebens nicht mehr zwischen gut und böse unterscheiden kann.

Darum muss die Kirche den Stimmlosen ihre Stimme leihen und sie richtet einen „leidenschaftlichen Appell im Namen Gottes an alle und jeden einzelnen: Achte, verteidige, liebe das Leben, jedes menschliche Leben, und diene ihm!“

Fundamentale Bedrohung der gesamten Kultur der Menschenrechte

Der Erzbischof weiß: „Die Entscheidungen gegen das Leben entstehen bisweilen aus schwierigen oder geradezu dramatischen Situationen“, aber er weiß auch: „Solche Umstände können die subjektive Verantwortlichkeit und die daraus folgende Schuld derer vermindern, die diese in sich verbrecherischen Entscheidungen treffen.“ Das Schlimme dabei ist die Tendenz, die „Verbrechen gegen das Leben als legitime Äußerungen der individuellen Freiheit auszulegen, die als wahre und eigene Rechte anerkannt und geschützt werden müssten.“

Der Erzbischof legt den Finger auf die Wunde der inneren Widersprüchlichkeit des modernen Denkens: Während man die Menschenrechte auf der einen Seite verkündet, verneint man sie auf der anderen. Diese tragische Ablehnung der Menschenrechte „ist noch bestürzender, ja skandalöser, weil sie sich in einer Gesellschaft abspielt, die die Durchsetzung und den Schutz der Menschenrechte zu ihrem Hauptziel und zugleich zu ihrem Ruhmesblatt macht. „Wie“, fragt der Verfasser des Hirtenbriefes mit unwiderlegbarer Logik weiter, „lassen sich diese wiederholten Grundsatzbeteuerungen mit der ständigen Vermehrung und verbreiteten Legalisierung der Angriffe auf das menschliche Leben in Einklang bringen?“ Warnend fährt der Erzbischof fort: „Diese Angriffe stellen eine fundamentale Bedrohung der gesamten Kultur der Menschenrechte dar…“

Tod der wahren Freiheit

Die Wurzeln dieses paradoxen Widerspruchs zwischen Bekenntnis zu den Menschenrechten und deren Leugnung in einem Atemzug, sieht Erzbischof Kothgasser in einer pervertierten, individualistischen Vorstellung von Freiheit: „Jedes Mal, wenn die Freiheit sich von jeder Tradition und Autorität befreien will und sich den Einsichten einer objektiven und gemeinsamen Wahrheit ... verschließt, hört der Mensch auf, als einzigen und unanfechtbaren Anhaltspunkt für seine Entscheidungen die Wahrheit über Gut und Böse anzunehmen, sondern lässt nur noch seine subjektive und wandelbare Meinung oder gar sein egoistisches Interesse und seine Laune oder Willkür gelten.“ Die Folge ist schlimm: „Das gesellschaftliche Leben läuft Gefahr, alles verhandeln zu können, auch das erste Grundrecht, das Recht auf Leben.“ Dann aber ist der Staat nicht mehr das gemeinsame Haus aller, „sondern er verwandelt sich in eine Art von Tyrannei...“, die sich anmaßt, „über das Leben der Schwächsten und Schutzlosesten, vom ungeborenen Kind bis zum alten Menschen, verfügen zu können.“ Mit Papst Johannes Paul II. gesprochen: „Wie kann man noch von Würde jeder menschlichen Person reden, wenn die Tötung des schwächsten und unschuldigsten Menschen zugelassen wird?“ Und der Erzbischof fährt fort: „Das „Recht“ auf Abtreibung, Kindestötung und Euthanasie zu fordern, heißt, eine absolute Macht über die anderen und gegen die anderen zu behaupten. Aber das ist der Tod der wahren Freiheit. Das ist der Untergang der Grundrechte des Menschseins.“

Initiativen für das Leben – Zeichen der Hoffnung

Wiederum im Anschluss an den Papst (vgl. „Evangelium vitae“, 21ff.) erkennt Erzbischof Kothgasser die tiefste Wurzel des Übels in der „Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen.“ Die Folge ist: „Wenn man den Sinn für Gott verliert, besteht die Gefahr, dass man auch den Sinn für den Menschen verliert, für seine Würde und für sein Leben.“ Dann aber wird der Mensch auf das „rein Materielle verkürzt, er ist nur ein Komplex von Organen.“ Die Leidtragenden sind vor allem das Kind, der kranke, der leidende und der alte Mensch.

Erzbischof Alois Kothgasser sieht Zeichen der Hoffnung, auch was das Leben betrifft: „In der ganzen Welt gibt es Bewegungen und Initiativen zur sozialen Sensibilisierung für das Leben. Wenn solche Bewegungen in Übereinstimmung mit ihrer glaubwürdigen Inspiration mit entschiedener Standhaftigkeit, aber ohne Anwendung von Gewalt bzw. erneuter Diskriminierung handeln, fördern sie damit eine breite Bewusstmachung des Wertes des menschlichen Lebens.“

Nach einem Abschnitt (Nr. 5) über die „Achtung und Liebe für alles Leben und das Leben aller“ und einem anderen (Nr. 6) über „Die Würde des ungeborenen Lebens“ kommt der Erzbischof zu den zentralen Punkten der Diskussion:

Der Mensch ist Mensch von Anfang an

Abtreibung erscheint vielen Zeitgenossen, leider auch manchen Christen, „als ein von den Zwängen des Lebens diktierter Ausweg. Dabei wird das Lebensrecht des ungeborenen Kindes dem geborenen Menschen untergeordnet.“ Der Erzbischof widerspricht: Solche Rechtfertigungsgründe halten einer rationalen Überprüfung nicht stand. Denn – und das ist ein Satz, an dem sich die Geister scheiden werden – das ungeborene Kind ist „ein und derselbe Mensch, der vom Augenblick der Zeugung an in einem kontinuierlichen Prozess seine Anlagen entfaltet… Deshalb ist ein menschliches Geschöpf vom Augenblick seiner Empfängnis an als menschliche Person zu achten und zu behandeln. … Der Gedanke einer Abwägung der verschiedenen auf dem Spiel stehenden Güter ist hier völlig fehl am Platz. Denn es geht bei der Abtreibung nicht um ein einzelnes Gut, sondern um das Leben selbst…“

Das Gebot „Du sollst nicht töten“ schützt uns alle

Ohne um den Brei herumzureden und politisch unkorrekt, beruft sich Erzbischof Kothgasser auf das 5. Gebot Gottes und ganz im Sinne von „Evangelium vitae“ Nr. 57 besteht er auf dem Grundsatz: „Niemand kann sich – unter keinen Umständen – das Recht anmaßen, einem unschuldigen menschlichen Geschöpf direkt den Tod zuzufügen. … Das Töten eines Menschen, in dem das Bild Gottes gegenwärtig ist, ist ein besonders schweres Vergehen. Gott allein ist Herr des Lebens. Jede Sünde gegen das Leben ist eine Sünde wider den Heiligen Geist, den Schöpfer-Geist und Lebensspender.“

Vom alttestamentlichen Tötungsverbot führt ein direkter Weg ins Heute. Denn: „Ein elementarer Grundsatz, dem das neuzeitliche Menschenrechtsdenken und der demokratische Rechtsstaat zum Durchbruch verholfen haben, lautet: Das Leben eines jeden Menschen ist gleich viel wert, unabhängig von seinem sozialen Status, seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, seinem Bildungsniveau, seiner Hautfarbe oder seinem Aussehen, seinem Geschlecht, seinem Alter oder seinem gesundheitlichen Zustand, seiner Religion. Diese Überzeugung von der gleichen Würde aller Menschen muss mit gleichem Ernst und ohne Abstriche für das Leben ungeborener Kinder gelten. Die Kirche verteidigt ein grundlegendes Menschenrecht und ein Grundprinzip des demokratischen Rechtsstaates, welches im Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zur Geltung kommt. … Als vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen ist Abtreibung ein schweres Unrecht, das niemals gerechtfertigt werden kann, auch nicht“ – und damit greift der Erzbischof eine weitverbreitete Irrlehre an – „durch Berufung auf eine persönliche Gewissensentscheidung.“

Das verabscheuungswürdige Verbrechen der Abtreibung

Während die öffentliche Meinung bereits beginnt, sich an „Abtreibung als Menschenrecht“ zu gewöhnen, scheut sich Erzbischof Kothgasser nicht, Worte in den Mund zu nehmen, die man seit langem nur noch vom obersten Lehramt der Kirche und („radikalen“) Lebensschützern hören konnte:

„Unter allen Verbrechen, die der Mensch gegen das Leben begehen kann, weist die Vornahme der Abtreibung Merkmale auf, die sie besonders schwerwiegend und verwerflich machen. Das II. Vatikanische Konzil bezeichnet sie und die Tötung des Kindes als ,verabscheuungswürdiges Verbrechen‘. Doch heute hat sich im Gewissen vieler die Wahrnehmung der Schwere des Vergehens nach und nach verdunkelt. Die Billigung der Abtreibung in Gesinnung, Gewohnheit und selbst im Gesetz ist ein beredtes Zeichen für eine sehr gefährliche Krise des sittlichen Bewusstseins, das immer weniger im Stande ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, vor allem auch, wenn es das Grundrecht auf Leben betrifft.“ Mit dem Blick auf Österreich wiederholt der Erzbischof nochmals eindringlich: „Die vorsätzliche Abtreibung ist, wie auch immer sie vorgenommen werden mag, die beabsichtigte und direkte Tötung eines menschlichen Geschöpfes in dem zwischen Empfängnis und Geburt liegenden Anfangsstadium seiner Existenz. Getötet wird hier ein menschliches Geschöpf, das gerade erst dem Leben entgegengeht, das heißt das absolut unschuldigste Wesen, das man sich vorstellen kann. Es ist schwach, wehrlos, sodass es selbst ohne jedes Minimum an Verteidigung ist, wie sie die flehende Kraft der Schreie und des Weinens des Neugeborenen darstellt. Es ist voll und ganz dem Schutz und der Sorge derjenigen anvertraut, die es im Schoße trägt.“

Gottes Vergebung für geschehenes Unrecht

Der Erzbischof vergisst weder die manchmal schwierige oder sogar verzweifelte Lage der Mütter noch die Verantwortung der Väter. Dennoch besteht er darauf, „dass das ungeborene Kind nicht Eigentum der Eltern, sondern gerade in seiner Wehrlosigkeit ihnen anvertraut ist“ und dass Vater und Mutter eine „gemeinsame Verantwortung tragen für das wehrlose und verletzliche menschliche Lebewesen.“

Im 10. Kapitel seines Briefes schenkt der Erzbischof den Frauen „Ein Wort der Hoffnung – Gottes Vergebung für geschehenes Unrecht“. Er erinnert an das erlösende Sakrament der Beichte und zitiert die berührenden Worte, die Papst Johannes Paul II. an die unmittelbar Betroffenen gerichtet hat: „Die Wunde in eurem Herzen ist noch nicht vernarbt. Was geschehen ist, war und bleibt in der Tat zutiefst Unrecht. Lasst euch jedoch nicht von Mutlosigkeit ergreifen und gebt die Hoffnung nicht auf. Sucht vielmehr das Geschehene zu verstehen und interpretiert es in seiner Wahrheit. Falls ihr es noch nicht getan habt, öffnet euch voll Demut und Vertrauen der Reue: Der Vater allen Erbarmens wartet auf euch, um euch im Sakrament der Versöhnung seine Vergebung und seinen Frieden anzubieten. Ihr werdet merken, dass nichts verloren ist, und werdet auch euer Kind um Vergebung bitten können, das jetzt im Herrn lebt.“

„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“

Der Erzbischof kehrt in die politische Diskussion zurück: „Eines der Merkmale der derzeitigen Anschläge auf das menschliche Leben besteht in dem Bestreben, gesetzliche Legitimation für sie zu fordern, so als würde es sich um Rechte handeln, die der Staat, zumindest unter bestimmten Bedingungen, den Bürgern zuerkennen müsste, und dem daraus folgenden Bestreben, die Umsetzung dieser „Rechte“ mit dem sicheren Beistand der Ärzte und des Pflegepersonals zu verlangen.“ Dem setzt der Erzbischof entgegen: Das staatliche Gesetz muss „für alle Mitglieder der Gesellschaft die Achtung einiger Grundrechte sicherstellen. … Erstes und grundlegendes aller Rechte ist das unverletzliche Recht auf Leben eines jeden unschuldigen Menschen.“

Und weiter: „Die Gesetze, die Abtreibung und Euthanasie zulassen und begünstigen, stellen sich also nicht nur radikal gegen das Gut des Einzelnen, sondern auch gegen das Gemeinwohl, und sind daher ganz und gar ohne glaubwürdige Rechtsgültigkeit. ... Abtreibung und Euthanasie sind also Verbrechen; diese für rechtmäßig zu erklären, kann sich kein menschliches Gesetz anmaßen. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen. Seit den Anfangszeiten der Kirche hat die Verkündigung der Apostel den Christen die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber der rechtmäßig eingesetzten staatlichen Autoritäten eingeschärft, sie aber gleichzeitig entschlossen ermahnt, dass man „Gott mehr gehorchen muss als den Menschen.“

Fristenlösung: Gesellschaft weiht sich dem Untergang

Spätestens an dieser Stelle muss jedem Leser klar sein: Der Erzbischof nimmt die Fristenlösung nicht hin, er ist auch nicht bereit zu schweigen, sondern fordert den rechtlichen Schutz des Lebens auch für die Ungeborenen. Die Klarheit seiner Worte erinnert an die unvergesslichen und doch längst vergessenen Worte Kardinal Königs:

„Unsere Heimat ist von einer Seuche bedroht, die in den Ländern der westlichen Welt immer mehr um sich greift. Ich meine hier nicht eine Seuche wie die Cholera, die den Leib des Menschen bedroht, sondern eine Art geistige Seuche, die noch schlimmer ist.“ Mit dieser geistigen Pest meint der Kardinal jene „unbarmherzige Einstellung des Geistes..., die ungeborenes Leben schutzlos und wehrlos im Mutterleib tötet“. Und er fährt fort: „Unterschätzen wir diese ansteckende Krankheit nicht. Hier geht es fürwahr nicht um einen Paragraphen des Gesetzbuches, sondern hier geht es um den Schutz des Lebens. Wo man jenes Gesetz, durch das werdendes Leben geschützt wird, abschafft, dort zerstört man zugleich die Grundvoraussetzung menschlichen Zusammenlebens. Denn eine Gesellschaft, die vor dem menschlichen Leben keine Ehrfurcht mehr hat, ist über kurz oder lang selber dem Untergang geweiht.“

Plädoyer für kinderfreundliche Kirche und Gesellschaft

Das hat Kardinal König 1973 gesagt, rund 15 Monate vor der Einführung der Fristenlösung in Österreich. Bemerkenswert dabei ist: Er spricht eindeutig vom Gesetz, das das ungeborene Kind zu schützen hat, und er sagt jenen Untergang voraus, dessen Art und Weise sich jetzt, runde 30 Jahre später, in Form des Kindermangels abzuzeichnen beginnt.

So denkt auch Erzbischof Kothgasser: „Wenn eine Gesellschaft den Menschen und menschliches Leben nicht mehr achtet, welches Fundament könnten dann wohl die Gesetze des Staates haben? Wenn die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben zerbrochen wird, dann werden auch die übrigen Gesetze des Staates in Gefahr geraten, ihres Fundamentes beraubt zu werden. Die Rechnung kann einem derartigen Volk dann eines Tages präsentiert werden. Es kann an jenem mangelnden Rechtsschutz zugrunde gehen, zu dem es sich selber entschlossen hat.“

Nach einem Abschnitt (Nr. 12) über „Die Verantwortung aller für eine neue Kultur des Lebens – was wir tun können“, plädiert Erzbischof Kothgasser im letzten Kapitel (Nr. 13) für eine „kinderfreundliche Kirche und Gesellschaft“ und stellt beschwörend die Frage: „Sind unsere Pfarrgemeinden Lebensorte für Kinder?“ Denn: „Die Kirche und die Gesellschaft wird auch daran zu messen sein, wie sie mit den ungeborenen und den geborenen Kindern umgeht. Wir können unsere Zukunft nicht abtreiben, wir müssen unsere Zukunft miteinander bauen!“

Der Hirtenbrief schließt mit dem bischöflichen Segen: „Seien Sie alle, liebe Brüder und Schwestern auf dem Weg des Lebens, herzlich und dankbar gegrüßt. Gott, der Lebendige, segne Sie, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.“

Man kann dem Herrn Erzbischof nur danken für dieses klare Wort. Die katholischen Lebensschützer haben sich schon lange nach dieser Klarheit und diesem Mut ihrer Hirten gesehnt. Gott sei Dank, jetzt ist es da!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Aktuelle Stellungnahme des Papstes zur Organtransplantation

Ganz neu hat sich Papst Johannes Paul II. zur Frage der Organtransplantation geäußert. Eine Konferenz am 2. und 3. Februar 2005 in Rom, organisiert von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, befasste sich mit dem Thema „Zeichen des Todes“, und zwar „im Kontext der Organtransplantation von verstorbenen Personen“. Mit Datum vom 1. Februar 2005 richtete Papst Johannes Paul II. eine englischsprachige Botschaft an die Teilnehmer des Treffens, die überraschender Weise bislang nicht in einer offiziellen deutschen Übersetzung vorliegt. Nachfolgend eine leicht gekürzte Fassung von Kirche heute. Zum einen bestätigt der Papst seine einschlägige Ansprache vom 29. August 2000, die damals großes Aufsehen erregt hatte. Zum anderen spricht er sich noch einmal ausdrücklich für die Organspende bzw. -transplantation aus, lässt die Frage nach der Gewissheit des Hirntodes jedoch bewusst offen und stellt eine Klärung durch die Glaubenskongregation in Aussicht.

Von Johannes Paul II.

Interesse der Kirche an Organtransplantation

Sie wissen, dass das Lehramt der Kirche von Anfang an ein beständiges und kenntnisreiches Interesse an der Entwicklung des chirurgischen Verfahrens der Organtransplantation gezeigt hat, das darauf abzielt, menschliches Leben vor dem drohenden Tod zu retten und den Kranken die Fortführung ihres Lebens um eine weitere Spanne von Jahren zu ermöglichen. Seit der Zeit meines ehrwürdigen Vorgängers, Pius XII., unter dessen Pontifikat das chirurgische Verfahren der Organtransplantation begann, hat das Lehramt der Kirche auf diesem Gebiet immer wieder Beiträge geleistet.

Ermutigung zur freien Organspende

Einerseits ermutigte die Kirche zur freien Spende von Organen, andererseits unterstrich sie die ethischen Bedingungen für eine solche Spende, indem sie die Verpflichtung hervorhob, das Lebens und die Würde sowohl des Spenders als auch des Empfängers zu verteidigen. Ebenso zeigte sie die Pflichten der Spezialisten auf, welche dieses Verfahren der Organtransplantation durchführen. Ziel ist es, einen komplexen Dienst am Leben zu fördern, indem man den technischen Fortschritt mit den ethischen Forderungen in Einklang bringt, die Beziehungen zwischen den Menschen humaner gestaltet und die Öffentlichkeit richtig informiert.

Sicherung des Erfolgs unter strengen Normen

Aufgrund des ständigen Fortschritts in den Erkenntnissen der experimentellen Wissenschaften, müssen alle, die Organtransplantationen durchführen, den Gang der Forschung auf technisch-wissenschaftlicher Ebene verfolgen, um den maximalen Erfolg der Operation und die bestmögliche Lebenserwartung für den Patienten zu sichern. Gleichzeitig ist ein ständiger Dialog mit Fachleuten in den anthropologischen und ethischen Disziplinen nötig, um die Achtung des Lebens und der menschlichen Person zu garantieren und den Gesetzgebern die notwendigen Daten für die Festlegung strenger Normen auf diesem Gebiet zur Verfügung zu stellen.

Feststellung des klinischen Todes einer Person

Unter dieser Perspektive haben Sie sich entschlossen, in einer ernsthaften interdisziplinären Studie erneut die spezielle Frage der „Zeichen des Todes“ zu erforschen, auf deren Grundlage der klinische Tod einer Person mit moralischer Sicherheit festgestellt werden kann, um mit der Entnahme von Organen zur Transplantation fortzufahren.

Im Horizont der christlichen Anthropologie ist gut bekannt, dass der Moment des Todes für jede Person im endgültigen Verlust der grundlegenden Einheit von Leib und Geist besteht. Jeder Mensch ist tatsächlich genau so weit am Leben, als er oder sie „corpore et anima unus“ (Gaudium et Spes, 14) ist, und er oder sie bleibt es, solange diese wesentliche Einheit-in-Ganzheit besteht. Im Licht dieser anthropologischen Wahrheit ist es klar, wie ich schon die Gelegenheit hatte anzumerken, dass „der Tod einer Person, in diesem ursprünglichen Sinn verstanden, ein Ereignis ist, das mit keiner wissenschaftlichen Technik oder empirischen Methode unmittelbar bestimmt werden kann“ (Ansprache vom 29. August 2000, 4, in: AAS 92 [2000], 824).

Orientierung an den „Zeichen des Todes“

Aus klinischer Sicht indes besteht die einzig korrekte – und auch die einzig mögliche – Weise, um dem Problem zu begegnen, sich des Todes eines Menschen zu vergewissern, darin, die Aufmerksamkeit und die Forschung der Einzelbetrachtung von angemessenen „Zeichen des Todes“ zu widmen, die durch ihre körperliche Sichtbarwerdung im einzelnen Träger erkannt werden.

Dies ist offenkundig eine Frage von fundamentaler Wichtigkeit, bei der in erster Linie die gut bedachte und strenge Position der Wissenschaft Beachtung finden muss, wie Pius der XII. lehrte, als er erklärte, dass „es dem Arzt zukommt, eine klare und genaue Definition des ‚Todes’ sowie des ‚Augenblicks des Todes’ eines Patienten zu geben, der in den Zustand der Bewusstlosigkeit fällt“. (Rede vom 24. November 1957, in: AAS 49 [157], 1031).

Klärung durch die Glaubenskongregation

Aufbauend auf den Daten, die von der Wissenschaft geliefert werden, haben anthropologische Betrachtungen und ethische Überlegungen die Pflicht, eine gleichermaßen strenge Analyse anzustellen und aufmerksam auf das Lehramt der Kirche zu hören.

Ich möchte Ihnen versichern, dass Ihre Anstrengungen lobenswert sind und sicherlich für die zuständigen Dikasterien des Heiligen Stuhls hilfreich sein werden – besonders für die Kongregation für die Glaubenslehre, die es nicht versäumen wird, die Ergebnisse Ihrer Überlegungen zu erwägen und dann die notwendigen Klarstellungen zum Wohl der Allgemeinheit anzubieten, insbesondere dem der Patienten und der Fachleute, die berufen sind, ihr fachmännisches Können in den Dienst des Lebens zu stellen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Neuen Kommentar schreiben

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder! Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare gegebenenfalls nicht für die Veröffentlichung freizugeben oder in Abstimmung mit den jeweiligen Autoren zu kürzen.