Glanzvoller Welttag der Familie

Vom 1. bis 9. Juli dieses Jahres fand in Valencia der V. Welttag der Familie statt. Die beiden Abschlussveranstaltungen mit Papst Benedikt XVI. ließen das Treffen zu einem Höhepunkt in der Reihe der bisherigen Weltfamilientage werden. Im Rückblick sprach der Heilige Vater selbst von einer „glanzvollen kirchlichen und geistlichen Erfahrung“. Welche Bedeutung hat dieses Ereignis für die Kirche in unserer Zeit?

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Gründungsidee Johannes Pauls II.

Die Ausrufung des Jahres 1994 als „Internationales Jahr der Familie“ durch die UNO nahm Papst Johannes Paul II. zum Anlass, ein Weltfamilientreffen in Rom zu organisieren. Gleichzeitig stiftete er den Welttag der Familie als dauerhafte Einrichtung, welche nach seinem Wunsch alle drei Jahre stattfinden sollte. So folgte 1997 ein Weltfamilientreffen in Rio de Janeiro, im Großen Jubiläumsjahr 2000 wieder in Rom und 2003 in der philippinischen Hauptstadt Manila. Damit verlief die Gründung der Weltfamilientreffen ganz nach dem Muster der Weltjugendtage, die zehn Jahre zuvor anlässlich des „Internationalen Jahres der Jugend“ ihren Anfang genommen hatten. Doch gab Johannes Paul II. beiden Einrichtungen ganz unterschiedliche Konzepte mit auf den Weg: Die Weltjugendtage – insbesondere die internationalen Treffen – sollten Begegnungen sein, bei denen der Papst als oberster Hirte der Kirche den Jugendlichen der Welt eine Sendung überträgt, nämlich als „Apostel der Neuevangelisierung“ in die Welt hinauszuziehen und eine „neue Zivilisation der Liebe“ aufzubauen. So gesehen darf der Papst bei internationalen Weltjugendtagen eigentlich gar nicht fehlen. Anders bei den Weltfamilientreffen: Das große Anliegen des Papstes war es, dass die christlichen Familien vor der Welt Zeugnis ablegen. Nicht Priester oder Bischöfe – ja nicht einmal der Papst – sollten über Ehe und Familie sprechen, sondern die Familien selbst sollten bezeugen, dass Ehe und Familie lebbar sind, und zwar genau so, wie sie von der katholischen Kirche als Ideal vorgestellt werden: angefangen vom Bemühen um voreheliche Enthaltsamkeit, über eheliche Treue und natürliche Familienplanung, bis hin zur Gestaltung der Familie als „Hauskirche“ mit geglückter christlicher Kindererziehung. Die ganze Welt sollte sehen, dass all diese Dinge nicht nur Vorstellungen einer zölibatären Hierarchie sind, sondern der Weg, auf dem gläubige Menschen tatsächlich den Sinn ihres Lebens und ihr tiefstes Glück finden.

Das Zeugnis von Valencia 2006

Auf diesem Hintergrund verstehen wir, warum Johannes Paul II. an den Treffen außerhalb Roms selbst nicht teilgenommen hat. Dies sollte also nicht heißen, dass ihm die Familien weniger wichtig gewesen wären als die Jugendlichen. Und für den V. Welttag der Familie wählte noch Johannes Paul II. Valencia in Spanien aus, eine Stadt mit 800.000 Einwohnern und 96 Prozent Katholiken, die er bereits vor 24 Jahren im Rahmen der ersten seiner fünf Spanienreisen besucht hatte. Er wollte mit dieser Entscheidung den spanischen Familienverbänden in ihrem großartigen Engagement den Rücken stärken. Was er im Jahr 2003 allerdings höchstens prophetisch absehen konnte, war die aktuelle Gesetzgebung in diesem Land. Mit der rechtlichen Gleichstellung von Ehe und gleichgeschlechtlichen Beziehungen sowie anderen Initiativen werden nämlich die christlichen Werte systematisch untergraben. Tatsächlich wurde Valencia zu einem gewaltigen Zeugnis für den katholischen Glauben und zu einer deutlichen Antwort auf die derzeitige Entwicklung. An der Vigil nahmen 1,5 Millionen Gläubige teil, an der Abschlussmesse sogar 2,2 Millionen. Und die allermeisten von ihnen waren Spanier. Dabei wirkte natürlich Papst Benedikt XVI. wie ein Magnet. Eine eigentümliche Fügung bestand darin, dass es bereits fünf Tage vor der Ankunft des Papstes zu einer Begegnung von Gästen des Weltfamilientreffens mit dem spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero kam. Dies geschah im Rahmen der offiziellen Trauerfeierlichkeiten um die 41 Opfer des U-Bahn-Unglücks, das sich kurz zuvor in der Nähe einer Station ereignet hatte, die ausgerechnet den Namen „Jesús“ trägt. Teilnehmer des Weltfamilientreffens waren nicht unter den Unfallopfern. Doch als der Ministerpräsident auftrat, wurde er von der Menschenmenge lauthals ausgepfiffen. Daraufhin entschied sich Zapatero, nicht am großen Abschlussgottesdienst mit Papst Benedikt XVI. teilzunehmen. Die Pfiffe galten nicht dem Trost, den er in der Trauerstunde spenden wollte, sondern seiner unhaltbaren Politik. Aus der Distanz gesehen kann man die Situation zwar verstehen, doch ist die Auswirkung dennoch zu bedauern. Es bleibt Gott überlassen zu beurteilen, ob eine andere Form des Zeugnisses in Anwesenheit des Ministerpräsidenten beim Höhepunkt des Weltfamilientreffens nicht doch besser gewesen wäre.

Der Papst im „Kreis der Familie“

Papst Benedikt XVI. hielt sich zurück und lauschte aufmerksam den Zeugnissen der Familien, die vor allem während der Vigil vorgetragen wurden. An die spanischen Bischöfe richtete er keine öffentliche Ansprache, sondern ließ ihnen dezent einen Brief übergeben. Darin aber schrieb er umso deutlicher: „Verkündet weiterhin, dass es die Wahrheit des Menschen bedroht und die Zukunft der Kultur und der Gesellschaft belastet, sich von Gott abzuwenden und so zu handeln, als ob er nicht existiere“. Und in seinen Predigten bewegte er sich nicht in hohen theologischen Sphären, sondern mit einfachen Ermutigungen ganz „im Kreis“ der Familien. Dabei betrachtete er es besonders als seine Aufgabe, die mit hereinzuholen, die an einem solchen Treffen nicht unbedingt teilnehmen können, nämlich die Großeltern. So sagte er am Ende seiner Predigt: „Ich möchte mich jetzt gerne den Großeltern zuwenden, die so wichtig für die Familie sind. Sie können – und oft sind sie es tatsächlich – Garanten der Zuneigung und der Zärtlichkeit sein, das jeder Mensch braucht. Sie bieten den Enkeln die Perspektive der Zeit, sind Gedächtnis und Reichtum der Familie. Aus keinem Grund heraus dürfen sie von der Familie ausgeschlossen werden. Die Großeltern sind ein Schatz, den wir den heranwachsenden Generationen nicht vorenthalten dürfen, besonders wenn sie im Nahen des Todes ihr Zeugnis des Glaubens ablegen.“

Die Kirche lernt von den Familien

Zum großen Thema „Die Weitergabe des Glaubens in der Familie“ sagt der Papst mit einfachen Worten: „Die christliche Familie gibt den Glauben weiter, wenn die Eltern den Kindern lehren zu beten und mit ihnen beten, wenn sie sie auf die Sakramente vorbereiten und sie einführen in das Leben der Kirche, wenn alle sich zusammensetzen, um die Bibel zu lesen und so das Familienleben mit dem Licht des Glaubens erleuchten und Gott den Vater preisen.“ Und immer wieder klingt in seinen Äußerungen ein Gedanke durch: Die Kirche als ganze muss von den Familien lernen, nämlich selbst eine große Familie zu werden, eine „familiäre Atmosphäre“ zu schaffen und so „der Welt die unbesiegbare Kraft der wahren Liebe zu verkünden“. Und während er am Beginn seiner Predigt ganz im Sinn Johannes Pauls II. ausruft: „Ich danke dem Herrn für die unzähligen geliebten Familien, die sich hier versammelt haben und eine jubelnde Menge geworden sind“, verkündet er am Ende der Feier gelöst und sicher, wie er während der gesamten Reise wirkte: „Jetzt habe ich die Freude, anzukündigen, dass das nächste Weltfamilientreffen im Jahr 2009 in der Hauptstadt von Mexiko stattfindet.“

„Ein fröhliches Liebeslied“

Auf dem Flughafen fasste Papst Benedikt XVI. in einem kurzen Abschiedswort das Hauptanliegen dieses Treffens noch einmal zusammen: „Ich vertraue darauf, dass mit Hilfe des Höchsten und des mütterlichen Schutzes der Jungfrau Maria dieses Treffen wie ein fröhliches Liebeslied weiterklingt, ein Lied des Lebens und des Glaubens in allen Familien, das der Welt von heute begreifen hilft, dass der Bund der Ehe, für den Mann und Frau eine dauerhafte Bindung eingehen, ein großes Gut für die ganze Menschheit ist.

Danke für Eure Anwesenheit hier. Ihr seid aus allen Kontinenten der Welt zusammengekommen, habt nicht wenige Opfer auf Euch genommen und sie dem Herrn gebracht. Ich trage Euch in meinem Herzen. Meine Gefühle vereinen sich mit meinem Gebet, damit der Allmächtige Euch heute und immer segnen möge.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Wie können heute Ehe und Familie gelingen?

Am 6. April dieses Jahres wurde Papst Benedikt XVI. während eines Treffens mit jungen Menschen der Diözese Rom von der 19-jährigen Studentin Anna gefragt, wie Liebe, Ehe und Familie in der heutigen Zeit gelingen können. Darauf gab er vor Tausenden Jugendlicher eine wunderbare Antwort, die wir an möglichst viele Menschen weitergeben möchten.

Von Papst Benedikt XVI.

Es handelt sich um eine große Fragestellung, und in wenigen Minuten eine Antwort zu geben, ist sicher nicht möglich. Aber ich werde versuchen, etwas dazu zu sagen.

Liebe ist Selbsthingabe

Anna hat schon eine Antwort gegeben, als sie sagte, dass Liebe heute oft falsch interpretiert wird, insofern sie als eine egoistische Erfahrung dargestellt wird, während sie in Wirklichkeit Selbsthingabe ist und auf diese Weise zu einem Sich-Finden wird. Sie hat auch gesagt, dass unser Leben durch eine konsumorientierte, vom Relativismus geprägte Kultur verfälscht wird, da diese uns alles zuzugestehen scheint, uns in Wirklichkeit aber entleert. Hören wir also nun, was das Wort Gottes diesbezüglich sagt.

Anna wollte mit Recht wissen, was das Wort Gottes sagt. Für mich ist es eine große Freude, feststellen zu dürfen, dass wir schon auf den ersten Seiten der Heiligen Schrift, sofort nach dem Bericht über die Schöpfung des Menschen, die Definition von Liebe und Ehe finden. Der heilige Autor sagt uns: „Der Mann wird Mutter und Vater verlassen, er wird seiner Frau folgen, und beide werden ein einziges Fleisch, eine einzige Existenz sein.“

Der Schöpfer stiftet die Ehe als erstes Sakrament

Wir stehen am Anfang, und schon wird uns eine Prophezeiung darüber gegeben, was Ehe ist; und diese Definition bleibt auch im Neuen Testament gleich. Ehe heißt, dem anderen in Liebe folgen und so eine einzige Existenz werden, ein Fleisch und deshalb unzertrennlich; eine neue Existenz, die aus dieser einenden Gemeinschaft der Liebe entsteht und dadurch auch Zukunft schafft.

Die Theologen des Mittelalters interpretierten diese Aussage, die sich zu Beginn der Heiligen Schrift findet, damit, dass die Ehe unter den sieben Sakramenten das erste ist, das Gott einrichten wollte, insofern es schon im Moment der Schöpfung, im Paradies, am Anfang der Geschichte und noch vor jeder menschlichen Geschichte eingerichtet worden ist.

Es handelt sich um ein Sakrament des Schöpfers des Universums, das also in die menschliche Natur eingeschrieben ist. Der Mensch ist somit auf diesen Weg hin ausgerichtet, auf dem der Mann die Eltern verlässt, um mit seiner Frau eins zu werden, ein Fleisch, auf dass die beiden eine einzige Existenz werden.

Gott offenbart seinen ursprünglichen Plan

Das Sakrament der Ehe ist also keine Erfindung der Kirche. Es ist zusammen mit dem Menschen als solchem wirklich „mitgeschaffen“, als Frucht jener Dynamik der Liebe, in der der Mann und die Frau einander und dadurch auch den Schöpfer finden, der sie zur Liebe berufen hat.

Es ist wahr, dass der Mensch abgefallen ist und aus dem Paradies vertrieben wurde; oder mit anderen, moderneren Worten gesagt: Es ist wahr, dass alle Kulturen durch die Sünden und Fehler des Menschen im Lauf der Geschichte verunreinigt worden sind und noch werden, wodurch der ursprüngliche Plan Gottes, der in unsere Natur eingeschrieben ist, verdunkelt wird. Tatsächlich finden wir in den menschlichen Kulturen diese Verdunkelung des ursprünglichen Planes Gottes.

Wenn wir aber die Kulturen und die ganze Kulturgeschichte des Menschen betrachten, stellen wird zugleich fest, dass der Mensch diesen Plan, der in der Tiefe seines Seins verwurzelt ist, nie gänzlich vergessen konnte. In einem gewissen Sinn hat er immer gewusst, dass die anderen Formen der Beziehung zwischen Mann und Frau nicht wirklich dem ursprünglichen Plan für seine Natur entsprechen.

Monogamie und Treue

Und so entdecken wir in den Kulturen – vor allem in den großen Kulturen – immer wieder, wie sie sich auf diese Wirklichkeit, die Monogamie, ausrichten: das Einssein von Mann und Frau im Fleisch. Auf diese Weise kann durch die Treue eine neue Generation entstehen und eine kulturelle Tradition fortbestehen – indem sie sich erneuert und in der Kontinuität einen authentischen Fortschritt verwirklicht.

Der Herr, der mit der Zunge der Propheten Israels gesprochen hat und dabei das Zugeständnis der Scheidung durch Moses andeutete, sagte: Moses hat sie euch „aufgrund der Härte eures Herzens“ zugestanden. Das Herz des Menschen ist nach der Sünde „hart“ geworden. Aber das entsprach nicht dem Plan des Schöpfers, und die Propheten haben mit wachsender Klarheit auf diesen ursprünglichen Plan hingewiesen.

Wir brauchen ein Herz aus Fleisch

Um den Menschen zu erneuern, hat der Herr in Anspielung an die Propheten, die Israel immer wieder eindeutig zur Monogamie hingeführt haben, mit Ezechiel anerkannt, dass wir ein neues Herz brauchen, um diese Berufung zu leben: Statt ein Herz aus Stein, so Ezechiel, brauchen wir ein Herz aus Fleisch, ein wahrhaft menschliches Herz. Und in der Taufe „pflanzt“ der Herr dieses neue Herz durch den Glauben in uns „ein“.

Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine physische Transplantation, aber vielleicht können wir uns gerade dieses Vergleichs bedienen: Nach der Herztransplantation ist es notwendig, dass der Organismus behandelt wird, dass er die notwendigen Heilmittel verabreicht bekommt, um mit dem neuen Herz leben zu können, so dass es „sein Herz“ ist und nicht „das Herz eines anderen“.

„Geistliche Transplantation“ verlangt Therapie

Umso mehr bedarf es für diese „geistliche Transplantation“, in der uns der Herr ein neues Herz einpflanzt, eines Herzens, das für den Schöpfer und für die Berufung durch Gott offen ist. Um mit diesem neuen Herz leben zu können, ist eine angemessene Behandlung nötig; man muss auf die angemessenen Heilmittel zurückgreifen, damit es wirklich „unser Herz“ wird.

Wenn wir in der Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche leben, wird das neue Herz wirklich „unser Herz“ und die Ehe wird möglich. Die ausschließliche Liebe zwischen einem Mann und einer Frau, das vom Schöpfer geplante Leben zu zweit, wird möglich, auch wenn dies das Klima unserer Welt so erschwert, dass dies fast unmöglich scheint.

Der Herr schenkt uns ein neues Herz, und wir müssen mit diesem neuen Herz leben. Dabei müssen wir die entsprechenden Therapien in Anspruch nehmen, damit es wirklich „unser Herz“ ist. Auf diese Weise leben wir, wie es der Schöpfer uns zugedacht hat, und so entsteht ein wirklich glückliches Leben. Wir können das trotz der vielen anderen Lebensmodelle auch in dieser Welt sehen: Es gibt viele christliche Familien, die das Leben und die vom Schöpfer bezeugte Liebe treu und freudig leben – und so wächst eine neue Menschheit.

Verzicht verhilft zum Glück

Und schließlich würde ich hinzufügen: Wir alle wissen, dass Disziplin und Verzicht notwendig sind, um ein sportliches oder berufliches Ziel zu erreichen. Dann aber wird all das vom Erfolg, vom Erreichen des gewünschten Ziels gekrönt. So erfordert auch das Leben selbst, also das Menschwerden nach dem Plan Jesu, Verzichte. Diese Verzichte sind aber nicht etwas Negatives, im Gegenteil: Sie helfen uns, als Menschen mit einem neuen Herzen leben und ein wahrhaft menschliches und glückliches Leben führen zu können. Da es eine konsumorientierte Kultur gibt, die uns daran hindern will, so zu leben, wie es dem Plan des Schöpfers entspricht, müssen wir den Mut haben, Inseln, Oasen, und dann große Landstriche katholischer Kultur zu schaffen, in denen der Plan des Schöpfers gelebt wird.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Ehe und Familie im Zentrum der Pastoral

Für den Augsburger Bischof Dr. Walter Mixa bilden heute Ehe und Familie das Zentrum der Pastoral. Diesen Akzent setzte er nicht erst, als er seinen Dienst in Augsburg antrat, sondern bereits als Oberhirte in Eichstätt. In einem engagierten Hirtenwort vom Juli vergangenen Jahres zeigte er wunderbar auf, welche Schwerpunkte sich aus einer christlichen Familienpastoral ergeben. Nachfolgend die wichtigsten Auszüge aus dem Hirtenbrief in einer neuen Bearbeitung für Kirche heute.

Von Bischof Walter Mixa, Augsburg

Ganzheitliche Sorge um die Kinder

Als Menschen brauchen wir für unsere ganzheitliche Entwicklung in der Regel eine Familie. Gott selbst hat es in seiner Schöpfungsordnung (vgl. Gen 1-3) so angelegt, dass der Mensch nicht allein ist und dass er in einer unterschiedlichen Geschlechtlichkeit auf den Anderen verwiesen ist. Diese unterschiedliche Geschlechtlichkeit lässt den Menschen auch teilhaben am Schöpfungsauftrag Gottes, an der Weitergabe des Lebens.

Die Aufgabe der Eltern besteht nicht nur darin, ihren Kindern ein gutes Zuhause mit wohnlicher Geborgenheit, der richtigen Ernährung und mit schützender Kleidung zu geben, sondern sich ganzheitlich um Leib und Seele ihrer Kinder zu sorgen. Durch die Fürsorge und Liebe der Eltern erfahren die Kinder auch die Liebe des unsichtbaren Schöpfergottes, nicht zuletzt durch ein das tägliche Leben tragendes Gebet.

Zeugnis für Christus in der Familie

Die menschliche Geborgenheit in der Familie in Verbindung mit einem aus Liebe gelebten Glauben ist das solide Fundament, um die Botschaft von Jesus Christus den heranwachsenden Kindern überzeugend nahezubringen. Durch die Macht seiner Liebe und seines Lebens, durch seine ungebrochene Freundschaft zu uns Menschen in seinem Wort und in den Sakramenten kann der junge Mensch von Kindheit an Jesus kennenlernen als den, der immer derselbe ist – gestern, heute und in Ewigkeit – derselbe in seiner Liebe und Treue zu uns Menschen im täglichen Auf und Ab.

Diese Umschreibung eines aus dem Glauben gelingenden Familienlebens ist nicht eine „romantische Unwirklichkeit“, sondern ist auch heute erfahrbar. Ich danke allen Frauen und Männern, die in der ehelichen Lebensgemeinschaft in Liebe und Zuverlässigkeit zueinander stehen und ganz einfach für ihre Kinder „da“ sind.

Unverantwortliche Familienpolitik

Diese die Gesellschaft tragende und kleinste, aber auch wichtigste Lebenszelle in jedem Staat wird in ihrer Bedeutung heute in einer unverantwortlichen Weise vernachlässigt. Es ist eine unglaubliche Täuschung, andere Lebensgemeinschaften auf eine Ebene mit der ehelichen Lebensgemeinschaft zu stellen. Es ist unerträglich, wenn in Politik und Gesellschaft führende Persönlichkeiten die eheliche Lebensgemeinschaft, die eine Familie begründet, untergeordnet behandeln und dadurch ins „Abseits“ schieben. Die Folge einer derartigen Denk- und Handlungsweise zeigt sich nicht auch zuletzt darin, dass die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes und unserer Heimat nicht mehr gesehen wird. Aus einer in sich egoistischen Grundeinstellung jedoch ist kein menschenwürdiger Aufbau für kommende Generationen möglich.

Entwicklung unserer Bevölkerung

Schlagwortartig muss festgestellt werden, dass ein „kinderloses Deutschland“ und auch ein „kinderloses Europa“ keine Zukunft haben. Während der vergangenen 25 Jahre wurden in unserer Bundesrepublik 7 Millionen Abtreibungen vorgenommen: 7 Millionen Menschen wurden aus unterschiedlichen Beweggründen getötet. Wie soll auf dieser Grundlage eine positive und hoffnungsvolle Entwicklung unserer Bevölkerung und unserer Heimat erfolgen? Jede Art von Abtreibung, bis hin zu den furchtbaren Spätabtreibungen, jede Vernichtung eines Embryo zu Forschungszwecken widerspricht dem biblischen Menschenbild, das den Menschen von seinem Anfang bis zu seinem Ende schützt und jede Instrumentalisierung, jedes „Verbrauchen“ und damit Tötung menschlichen Lebens ausschließt.

Als Christen sind wir herausgefordert, in unserem täglichen Leben, in unserer Umgebung, in der ganzen Gesellschaft lautstark für den Lebensschutz einzutreten. Wenn wir von Jesus Christus überzeugt sind, dann ist es eine Tatsache, dass durch Jesus Christus jeder Mensch Kind Gottes ist. Wir sind nicht das Zufallsprodukt einer menschlichen Entwicklungskette, sondern jeder von uns ist vom ersten Augenblick seines Daseins an von Gott gewollt und geliebt!

Erziehung zur Liebe und Treue

Wir können und dürfen unsere jungen Christen mit ihren persönlichen Lebensentscheidungen nicht allein lassen. In unterschiedlicher Art müssen Gesprächsrunden zu christlichen Glaubens- und Lebensfragen angeboten werden, damit unsere getauften und gefirmten Jugendlichen nicht orientierungslos bleiben oder gar „fremd bestimmt“ werden, vor allem durch oftmals sehr negative und falsche Darstellung von Lebensentwürfen in den Medien.

Es ist ein Gebot der Stunde, dass wir wieder neu über Werte wie Treue und Liebe in Beziehung zu Gott und auch in Beziehung zueinander sprechen. Notwendig ist gleichzeitig eine klare und gut verständliche Darstellung über geschlechtliches Reifen und über verantwortungsbewussten Umgang mit der Geschlechtlichkeit. Es muss auch davon neu gesprochen werden, dass Liebe und Treue wie eine kostbare Pflanze im jungen Menschen wachsen können und müssen, dass dafür aber auch Selbstdisziplin, nüchterne Selbsteinschätzung und auch Enthaltsamkeit notwendig sind. Mit Überzeugung und aus der eigenen Erfahrung heraus muss unseren heranwachsenden Jugendlichen gesagt werden, dass die menschliche Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit nur auf der Grundlage echter Zuverlässigkeit und treuer Liebe zu einem Partner erfüllt werden kann. Der Wert der ehelichen Lebensgemeinschaft auf dieser Grundlage, die persönliche Vorbereitung auf eine solche Lebensentscheidung und die dazugehörigen Hilfsmaßnahmen müssen neu bedacht werden.

Förderung des Priester- und Ordensberufes

In gleicher Weise stellt sich für uns alle ganz verantwortlich die Frage: Wie halten wir es mit der Förderung des Priester- und Ordensberufes? Im Matthäus-Evangelium (Mt 9,37f.) spricht Jesus selbst von einer „großen Ernte, aber von wenigen Arbeitern“ und fordert uns auf, den Herrn zu bitten, Arbeiter in seine Ernte zu senden. Bei meinen regelmäßigen Visitationen, d. h. Bischofsbesuchen in den Pfarrgemeinden, begegnen mir immer wieder Kinder und Jugendliche, die sich durchaus überlegen könnten, ob nicht der Priester- oder Ordensberuf eine gute Lebensentscheidung wäre. Wird um die Gnade einer solchen Erkenntnis noch gebetet, auch vor dem ausgesetzten Allerheiligsten am Priesterdonnerstag oder Herz-Jesu-Freitag? Werden geeignete Jugendliche noch angesprochen, ob sie sich nicht neben anderen möglichen Berufsentscheidungen auch einen solchen Lebensweg in der Nachfolge Christi vorstellen könnten? – Wir müssen neu eine „missionarische Kirche“ sein; müssen jede Art von Feigheit ablegen und die großartige Botschaft unseres Glaubens hinausrufen. Wir können dies mit einem gesunden christlichen katholischen Selbstbewusstsein tun, da wir nicht uns selbst als begrenzte Menschen verkünden, sondern Jesus Christus, der „derselbe ist, gestern, heute und in Ewigkeit!“ (Hebr 13,8).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Aufruf katholischer Verbände: Wahlfreiheit für Familien!

Angesichts der dramatischen demografischen Lage fordern wir von den Verantwortlichen in Staat, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entschieden mehr Respekt vor den Familien. Familien sind einer der größten Leistungsträger der Gesellschaft. Der Nutzen für die Gesellschaft ist erheblich größer als deren Unterstützungsleistungen, ideell und materiell. Wenn die Gesellschaft nicht schweren Schaden nehmen will, muss sie anständiger mit ihren Familien umgehen. Familien müssen besser als bisher ihr Leben nach ihren Bedürfnissen gestalten können. Jede Familie muss ihren eigenen Entscheidungen hinsichtlich Kinderzahl, Erwerbsarbeit oder Familienarbeit, familiärer oder außerfamiliärer Erziehung treffen können, ohne mit gravierenden Nachteilen rechnen zu müssen. Dazu fordern wir:

1. Familien dürfen nicht gegängelt werden

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 1).

Der Umfang der staatlichen Unterstützung darf nicht davon abhängen, wie sich Eltern zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit entscheiden: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ (Grundgesetz Art. 6 Abs. 4).

2. Bildung und Erziehung der Kinder bestimmen die Eltern

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (Grundgesetz Art. 6 Abs. 2).

„Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 26 Abs. 3).

„Weil sie ihren Kindern das Leben geschenkt haben, besitzen die Eltern das ursprüngliche, erste und unveräußerliche Recht, sie zu erziehen; darum müssen sie als die ersten und vorrangigen Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden“ (Charta der Familienrechte, Art. 5).

„Eltern haben das Recht, Schulen und andere Hilfsmittel frei zu wählen, die notwendig sind, um die Kinder in Übereinstimmung mit ihren Überzeugungen zu erziehen. Staatliche Autoritäten müssen sicherstellen, dass die staatlichen Unterstützungen so zugeteilt werden, dass die Eltern dieses Recht wirklich frei ausüben können, ohne ungerechtfertigte Lasten tragen zu müssen. Es dürfte nicht sein, dass Eltern direkt oder indirekt Sonderlasten tragen müssen, die die Ausübung dieser Freiheit unmöglich machen oder in ungerechter Weise einschränken würden“ (Charta der Familienrechte, Art. 5b).

3. Einen Lohn für die Familienarbeit, weil deren Früchte der ganzen Gesellschaft zu Gute kommen

„Familien haben ein Recht, von den staatlichen Autoritäten eine angemessene Familienpolitik auf juristischem, wirtschaftlichem, sozialem und steuerrechtlichem Gebiet erwarten zu können, die jedwede Benachteiligung ausschließt“ (Charta der Familienrechte, Art. 9).

„Familien haben ein Recht auf wirtschaftliche Bedingungen, die ihnen einen Lebensstandard sichern, der ihrer Würde und ihrer vollen Entwicklung entspricht. Der Arbeitslohn muss hinreichend sein, um eine Familie in würdiger Weise gründen und unterhalten zu können, und dies entweder durch eine angemessene Bezahlung, „Familienlohn“ genannt, oder durch andere soziale Maßnahmen wie Familienzuschüsse oder ein Entgelt für die Hausarbeit eines Elternteils; der Arbeitslohn sollte so bemessen sein, dass Mütter nicht zur Arbeit außerhalb des Hauses genötigt werden, zum Nachteil des Familienlebens und vor allem der Kindererziehung“ (Charta der Familienrechte, Art. 10).

„Der von der Mutter, ebenso wie der vom Vater im häuslichen Leben geleistete Dienst muss auch in Form einer finanziellen Anerkennung als Beitrag zum Gemeinwohl gewürdigt werden“ (Ecclesia in Europa, S. 43).

4. Mehr gemeinsame Zeit für Familien

„Familie und Wirtschaftssystem sind wechselseitig aufeinander angewiesen, jedoch sind unter den gegenwärtigen Bedingungen die Familien einseitig zu Anpassungen an die Erfordernisse der Erwerbsarbeit gezwungen, die zu Lasten des Familienlebens und gemeinsamer Familienzeit gehen“ (Kirchenamt der EKD/Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover/Bonn 1997, Seite 79).

„Familien haben ein Recht auf eine soziale und wirtschaftliche Ordnung, in der die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse es den Familienmitgliedern gestattet zusammenzuleben und nicht die Einheit, das Wohlergehen, die Gesundheit und den Zusammenhalt der Familie behindert, sondern sogar die Möglichkeit gemeinsamer Erholung bietet“ (Charta der Familienrechte, Art. 10).

Der AG Netzwerk Familie gehören an: • Bayerischer Landesverband des Katholischen Deutschen Frauenbundes e.V. • Familienbund der Katholiken, Landesverband Bayern • Katholische Elternschaft Deutschlands, Landesverband Bayern • Katholische Landvolkbewegung Bayern • Kolpingwerk, Landesverband Bayern e.V. • Landesarbeitsgemeinschaft der Katholischen Familienbildungsstätten • Verband der Familienfrauen und -männer.

Wie den Aufruf unterstützen? Drucken Sie eine Liste von der Homepage des Katholischen Familienbundes (www.familienbund-bayern.de) aus und senden diese ausgefüllt zurück an: Familienbund der Katholiken, Postfach 330360, 80063 München.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Integration der Vertriebenen vor 60 Jahren

15 Millionen Ostdeutsche wurden vor 60 Jahren aus ihrer Heimat vertrieben. Professor Dr. Rudolf Grulich beschäftigt sich mit der Frage: Wie konnte die Integration einer so ungeheuren Zahl von Flüchtlingen gelingen, ohne dass es zu ernsthaften sozialen Spannungen oder zu einer Radikalisierung wie in Palästina kam? Eindrucksvoll schildert Prof. Grulich mit vielen interessanten historischen Details die entscheidende Rolle der Vertriebenen-Seelsorger: „Tröstet, tröstet mein Volk!“

Von Rudolf Grulich

Der Wahlerfolg der radikalen Hamas in Palästina hat die demokratische Welt aufgerüttelt: Fast 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung hunderttausender Araber aus dem 1947 geteilten Palästina sind nach Jahren der Verhandlungen und Hoffnungen die Radikalen im Nahen Osten wieder im Kommen, auch bei demokratischen Wahlen. Genau 60 Jahre nach der Vertreibung von 15 Millionen Ostdeutschen aus ihrer angestammten und von ihnen seit Jahrhunderten aufgebauten Heimat darf und muss man fragen, warum es im zerstörten Deutschland der Nachkriegszeit nicht zur Radikalisierung der Vertriebenen kam. Bekanntlich hatten die Tschechoslowakische und die Polnische Exilregierung in London schon unmittelbar nach Kriegsbeginn Vertreibungspläne für die deutsche Bevölkerung vorgelegt. Trotz der Atlantik-Charta waren Churchill und Roosevelt damit einverstanden, als letzter auch Stalin, der bei der Umsiedlung von Millionen Menschen in ein zerstörtes Deutschland die Chancen für die Revolution in Deutschland und für eine Weltrevolution in seinem Sinne sah.

Unqualifizierte Vorwürfe

Die Frage, warum sich Stalin verrechnete, und eine Antwort darauf tut Not, denn in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung vom 19. Januar hat ein bekannter Gegner der Vertriebenen wie Micha Brumlik erneut gehässig und ignorant die Charta der Vertriebenen verhöhnt und vom „Bund der Durchtriebenen“ gesprochen, der weltanschaulich unbelehrbar sei. Schon 1950 hätten die Vertriebenen zu ihrer Charta kein Recht gehabt. Der BdV solle „die bis heute zu Unrecht gefeierte Charta aus dem Jahre 1950 außer Kraft setzen und ins Archiv nehmen“. „Die von den Funktionären der Heimatvertriebenen und mit ihnen sympathisierenden Politikern ob ihrer Versöhnlichkeit gepriesene Charta stellt in Wahrheit eine Ungeheuerlichkeit dar, den Inbegriff all dessen, was jemals als Unfähigkeit zu trauern gelten konnte.“ Es bleibt rätselhaft, dass eine jüdische Wochenzeitung solches drucken konnte, da im Kuratorium der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen namhafte jüdische Vertreter sitzen.

Die Vertriebenen hatten 1950 nicht nur das Recht, sondern die Pflicht! Die Unterzeichner der Charta, das waren die Sprecher aller Landsmannschaften der Vertriebenen, haben damals betont, dass es heißt, den Menschen im Geist zu töten, wenn er im Zwang von seiner Heimat getrennt wird. Sie versprachen, „jedes Beginnen mit allen Kräften zu unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können“. Sie riefen die Völker der Welt auf, ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen zu empfinden und zu erkennen, dass dieses Schicksal ein Weltproblem sei, dessen Lösung höchste sittliche Verantwortung und Verpflichtung zu gewaltiger Leistung fordere.

Die Charta von 1950 verlangte auch: „Die Völker sollen handeln, wie es ihren christlichen Pflichten und ihrem Gewissen entspricht.“ Wir sind auch nach einem halben Jahrhundert nicht so pessimistisch, zu glauben, Deutschland und Europa hätten kein Gewissen mehr. Aber die Gegner des Bundes der Vertriebenen, selbst Kirchenmänner wie der Berliner Kardinal Sterzinsky, wissen nicht mehr, dass es die Kirchen waren, die damals im zerstörten Deutschland den Weltfrieden retteten. Die Radikalen unter einer knappen Million vertriebener Palästinenser haben über ein halbes Jahrhundert die Welt in Atem gehalten, ja direkt und indirekt zu neuen Nahostkriegen geführt. Die Tausende von ostdeutschen Priestern, die mit ihren Gläubigen 1945/46 vertrieben wurden, predigten schon in den Massenlagern, was 1950 auch die Charta ausdrückte: „Gedanken der Rache sollen nicht Macht gewinnen über unsere Herzen.“ So kam es zu keinem mitteleuropäischen Gazastreifen, zu keiner deutschen Westbank, in der die Vertriebenen in Lagern blieben, sich von der UNRRA versorgen ließen und ein riesiges Pulverfass und eine Bedrohung des Weltfriedens bildeten.

Schon am Anfang stand Versöhnung

Im Gegenteil, schon seit 1945 bemühten sich die kirchlichen Hilfsstellen in Frankfurt und München, die Vertriebenen nicht nur zu betreuen, sondern auch zu sammeln. Da politische Vereinigungen der Vertriebenen von den Besatzungsmächten verboten waren, gaben Gottesdienste und Wallfahrten einen kirchlichen Freiraum, um sich mit ebenfalls vertriebenen Landsleuten zu treffen. So kam es schon am 6. Januar 1946 in München zur Gründung der sudetendeutschen Ackermanngemeinde, der das Hilfskomitee der evangelischen Karpatendeutschen ebenso folgte wie der Hilfsbund der katholischen Karpatendeutschen und ähnliche Vereinigungen katholischer und evangelischer Vertriebener.

Hand in Hand ging schon damals das Bemühen, eine neue Nachbarschaft mit den Völkern des Ostens aufzubauen. Schon 1947 boten die vertriebenen Danziger Katholiken bei ihrem ersten Treffen in Gemen den Polen die Hand zur Versöhnung. Die Arbeit dieser kirchlichen Hilfsstellen geschah auf christlicher, insbesondere biblischer Grundlage.

„Tröstet, tröstet mein Volk!“ Diese Worte des alttestamentlichen Propheten nach der Vertreibung des Volkes Israel und seinem Elend im Babylonischen Exil standen über dem Wirken jener Heimatpriester, die zu Tausenden mit ihren Gläubigen das Schicksal der Vertreibung trugen.

Aufbruch aus dem Glauben

Sie muteten ihren Gläubigen zu, das Vertreibungsschicksal als einen „Aufbruch aus dem Glauben“ zu bewältigen. Dies ist auch der Titel einer Dokumentation über die katholischen Heimatvertriebenen, die Franz Lorenz erstellte, um den Neuanfang im Deutschland der Nachkriegszeit zu verdeutlichen, der bereits Ende 1945 eingeleitet wurde. „Not ist Anruf Gottes“ besagte ein anderer Titel, der als Festschrift für Augustinerpater Paulus Sladek entstand, den wohl bedeutendsten Theologen des Vertreibungsschicksals. Der 1908 im überwiegend tschechischen Ort Trebnitz bei Lobositz geborene Fritz Sladek war 1926 bei den Augustinern eingetreten und hatte dort den Ordensnamen Paulus erhalten. 1931 wurde er zum Priester geweiht, 1933 wurde er an der Deutschen Universität zu Prag zum Doktor der Theologie promoviert. Als Assistent und Lehrbeauftragter für Dogmatik, als Akademischer Prediger an der Prager Salvatorkirche und als Geistlicher Beirat des Bundes Staffelstein machte sich Pater Paulus früh einen Namen. Da er schon bald mit der Gestapo Schwierigkeiten bekam, meldete er sich zur Wehrmacht und erlebte in einer Sanitätskompanie den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine, Rumänien und Polen. Mitte 1945 gelangte er nach kurzer Gefangenschaft nach Bayern und fand Arbeit als Geistlicher Leiter bei der kirchlichen Hilfsstelle in München, die sich damals der Vertriebenen annahm. Obwohl P. Paulus als Augustiner auch nach dem Krieg stets die Gemeinschaft mit seinen Ordensmitbrüdern lebte und in Stuttgart-Sillenbuch und in Zwiesel Klöster seines Ordens aufbaute, ist doch seine größte Leistung die als Priester, Theologe und Organisator der Flüchtlings- und Vertriebenenseelsorge.

Es galt seit Kriegsende, die vertriebenen Priester zu erfassen, sie materiell zu betreuen, sie in der Seelsorge für die Vertriebenen effektiv einzusetzen und vor allem im kirchlichen Bereich bei den Einheimischen Verständnis und Unterstützung für die Vertriebenen zu gewinnen. Dass dies geschah, zeigen die Hirtenbriefe deutscher Bischöfe zu dieser Problematik.

P. Paulus regte die Bestellung von Flüchtlingsseelsorgern an und die Abhaltung von Tagungen, Schulungen und Weiterbildungsseminaren für die Vertriebenenseelsorge, er organisierte die ersten Vertriebenenwallfahrten und predigte dabei selbst. Seine Artikel, Memoranden und Predigtskizzen haben nicht nur Anregungen gebracht, sondern viel bewegt und sind bis heute Grundlage einer noch nicht geschriebenen Theologie der Vertriebenenseelsorge.

Von ihm stammt das „Sühne- und Gelöbnisgebet“, das seit Ende 1945 bei vielen Gottesdiensten und Wallfahrten der Vertriebenen gesprochen wurde und das bereits vorwegnimmt, was später die Eichstätter Adventserklärung 1949 ausdrückte, die kein Geringerer als Bundeskanzler Konrad Adenauer würdigte und die zur Kernaussage der Charta der Vertriebenen vom 5. August 1950 führte: Auf Rache zu verzichten, aber nicht auf das Recht.

Außer P. Paulus Sladek sei der sudetendeutsche Volksmissionar und Redemptorist P. Augustin Reimann genannt, der 1899 in Deutsch-Wernersdorf im Kreis Braunau geboren war, im Krieg die Nazi-Gefängnisse in Eger und Karlsbad erlebte und nach 25 Jahren fruchtbaren Wirkens in Volksmission und Vertriebenenseelsorge 1970 in Würzburg starb. Immer noch bewegend ist sein Büchlein „Auf den Straßen der Vertriebenen“. Er verstand es zu trösten und Not zu lindern, indem er seinen Landsleuten von Gerechtigkeit und Liebe in der Vertriebenennot predigte. „Es ist unser Trost, dass alles Menschengeschehen einmal einmündet in die ewige Gerechtigkeit Gottes, die nichts anderes ist als seine Liebe“, schrieb er 1946.

Im Licht der Gerechtigkeit Gottes

Dieser Gerechtigkeit Gottes wollte er auch das Urteil über Recht und Gerechtigkeit der „humanen Evakuierung“ aus der alten Heimat überlassen: „Es hat schon manchmal humane Einrichtungen gegeben, die Hinrichtungen blieben. So bleibt die humanste Ausweisung eine Ausweisung, und die ist immer etwas furchtbar Hartes.“

Pater Reimann hatte klare Aussagen über die „selbstverständliche Pflicht der austeilenden Gerechtigkeit“ und setzte sich daher für einen gerechten Lastenausgleich ein. Er sprach immer wieder von der „Sünde der Ungerechtigkeit“, wenn sich Einheimische weigerten, den Vertriebenen zu helfen und sich durch alle möglichen Tricks ihrer Pflicht entziehen“ wollten. „Spätere Zeiten werden einmal die deutsche Volksgemeinschaft unserer Tage danach beurteilen, wie sie diese Probe der Liebe bestanden hat.“

Mit dem Lastenausgleich und der Integration der Vertriebenen kann sich das deutsche Volk dem Urteil stellen. Die Politiker, die damals die Weichen stellten, handelten aus der christlichen Soziallehre heraus und waren oft auch Vertriebene wie Hans Schütz oder Herbert Czaja.

Bewältigung der Vertreibung durch Versöhnung

Initiiert von Prälat Albert Büttner, dem Leiter der deutschen Auslandsseelsorge vor und während des Krieges und der kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt entstanden als „Vaterhaus der Vertriebenen“ seit 1946 in leerstehenden Kasernen in Königstein im Taunus die Königsteiner Anstalten mit einem Priesterseminar und einem Gymnasium für die vertriebenen Theologen aus dem Osten. Daraus ging das Albertus-Magnus-Kolleg hervor, dessen Leiter der letzte Rektor des deutschen Priesterseminars in Prag, Prälat Professor Dr. Adolf Kindermann war, der 1974 als Weihbischof starb.

Er sprach später immer wieder von vier Etappen der Bewältigung der Vertreibung:

1. die Zeit der Losung des Propheten Isaias „Tröstet mein Volk!“ zur Überwindung der materiellen Not;

2. die Zeit der geistig-geistlichen Aufarbeitung der Tragödie der Vertreibung, der theologischen Bewältigung des den Vertriebenen auferlegten Schicksals;

3. die Zeit der Überwindung und des kommenden Zusammenbruchs der kommunistischen Ideologie und

4. die Zeit der Versöhnung mit den Völkern Osteuropas.

Kindermann war seiner Zeit voraus und ein Prophet. Wenn er vom Ende der kommunistischen Herrschaft sprach, wurde er verlacht. Als er zum Bischof ernannt wurde, wählte er als Wahlspruch „Contra spem in spem!“ – „Hoffen wider alle Hoffnung“. Dass dies möglich war, hatte ihm sein Freund, der holländische Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten gezeigt, der vom belgischen Kloster Tongerloo aus die Ostpriesterhilfe gründete und als Speckpater noch heute auch nach seinem Tode bei den Vertriebenen unvergessen bleibt. Er hatte nicht nur den Mut, in Belgien und den Niederlanden, also in zwei von den Deutschen 1940 überfallenen und besetzten Ländern um Hilfe für die ehemaligen Feinde zu betteln. Er predigte sogar in Vinckt, einem belgischen Ort, in dem die Deutsche Wehrmacht 1940 die Männer ab 16 Jahren erschossen hatte. Für ihn war der Beschluss der Konferenz von Potsdam, alle Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn auszusiedeln, eine Erbsünde der Nachkriegszeit. Er organisierte die Kapellenwagenmission, er finanzierte Publikationen wie den „Expulsus“ in verschiedenen Sprachen und er konnte im Gegensatz zu Weihbischof Kindermann noch das Ende der kommunistischen Herrschaft und den Fall des Eisernen Vorhangs und der Mauer erleben. Als Holländer erhielt er mit Recht Auszeichnungen des Bundes der Vertriebenen, auch verschiedener Landsmannschaften wie den sudetendeutschen Karlspreis, weil er das lebte und umsetzte, was die Charta wollte: Am Aufbau nicht nur Deutschlands, sondern Europas mitzuhelfen.

Papst Benedikt XVI. und die Vertriebenen

60 Jahre nach den organisierten Massenvertreibungen sollten wir noch mehr an diese Europäer erinnern. Die Vertriebenen haben die Verbrechen der Nationalsozialisten niemals geleugnet oder bagatellisiert, stellte der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, bei der 60-Jahrfeier der Ankunft des ersten organisierten Vertriebenentransportes nach München-Allach fest. Deshalb haben die Vertriebenen das Recht, sich dafür einzusetzen, dass das an deutschen Vertriebenen begangene Unrecht nicht geleugnet und bagatellisiert wird.

Für die katholischen Vertriebenen war es deshalb im Vorjahr eine große Freude, als Kardinal Josef Ratzinger zum Papst gewählt wurde. Über ein Jahr ist Papst Benedikt XVI. nun in seinem Amt. Er werde es schwer haben, da niemand an Karol Woityla heranreiche, den großen Papst, der den Kommunismus besiegen half.

Aber Johannes Paul II. hatte in Kardinal Ratzinger, dem Präfekten der Glaubenskongregation, einen aktiven Mitstreiter. Es war Ratzinger, der den Marxismus die „Schande des 20. Jahrhunderts“ nannte. Niemand hätte sich vorstellen können, wie begeistert die Polen den deutschen Papst bei seiner Pilgerfahrt in der Heimat des verstorbenen Papstes begrüßten.

Viele Vertriebene aus dem Osten erinnern sich an Ratzingers Predigt beim Festgottesdienst des Sudetendeutschen Tages 1979 in München: „Liebe Brüder und Schwestern aus dem Sudetenland“, begann er damals  seine Ansprache und erinnerte an die verlorene Heimat. Er sprach offen von dem  „Unrecht der Vertreibung, das 15 Millionen Menschen nach dem Krieg oft unter schrecklichen Begleitumständen widerfahren ist“. Er fand mutige Worte, wie wir sie in den Gedenkjahren an den 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und der organisierten Vertreibung von den Poltikern nicht oft gehört haben: „Die Weltöffentlichkeit hört aus vielen Gründen nicht gern davon, es passt nicht in ihr Geschichtsbild hinein.“ Ratzinger verwahrte sich damals dagegen, das Unrecht um der Versöhnung willen zu verschweigen und betonte: „Eine Liebe, die den Verzicht der Wahrheit voraussetzt, ist keine wahre Liebe. Sie hätte ein schlechtes Fundament.“ Er erinnerte daran, dass es in der Psychologie bekannt sei, dass Verdrängtes im Menschen weiterwirkt und zur Vergiftung von innen wird. Der Erzbischof  von München dankte damals den einzelnen und den Gruppen, die nach allem Erlittenen in den Dienst der Versöhnung traten, und nannte den hl. Johannes von Nepomuk eine Brücke der Einheit und der Versöhnung, der bei beiden Völkern beliebt war und der „das Beste böhmischen Wesens verkörperte“. Ratzinger erwähnte auch Bischof Johann Nepomuk Neumann und den letzten deutschen Weihbischof von Prag, der ebenfalls diesen Namen trug: den Egerländer Johann Nepomuk Remiger, der in der Gruft des Münchner Doms seine letzte Ruhe fand. „Das kostbarste Erbe der Heimat ist der Glaube. Wo er lebt, da ist die Heimat unverloren.“

Diese Predigt auf dem Sudetendeutschen Tag war keine Eintagsfliege im pastoralen Wirken des neuen Papstes. Im gleichen Jahr gedachte er damals in Gottesdiensten der hl. Dorothea von Montau und der hl. Hedwig. Bei der Priesterweihe am 30. Juni 1979 stellte er den Neupriestern Maximilian Kolbe vor Augen, den polnischen Märtyrer in Auschwitz, dessen Vater und Mutter in Mähren geboren sind. Ein Predigtband, den 1981 das Erzbischöfliche Pressereferat unter dem Titel „Christlicher Glaube und Europa“ herausgab, ist Zeugnis, dass Ratzinger im Geiste Johannes Pauls II. Europa als Einheit von Ost und West sah.

Für viele war auch der selbst gewählte Name des neuen Papstes eine Überraschung: Benedikt XVI. Der letzte dieses Namens, Benedikt XV., war der Friedenspapst des Ersten Weltkrieges, der 1917 mit dem 2004 selig gesprochenen Kaiser Karl bemüht war, der Selbstzerfleischung der Völker Europas ein Ende zu machen. Die Amerikaner waren noch nicht in den Krieg eingetreten, in Russland gab es noch nicht einmal die Februarrevolution. Auch die Verbündeten in der Türkei und in Bulgarien wollten ein Ende des Krieges. Der Friede scheiterte an der Uneinsichtigkeit Kaiser Wilhelms II. Der Papst aber führte seine Friedensbemühungen und seine Versöhnungsbotschaft bis zu seinem Tode 1922 konsequent weiter.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
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Die Marianische Männerkongregation Altötting

Die Marianische Männerkongregation (kurz: MC) ist die größte kirchliche Männergemeinschaft in Bayern. Verschiedene Jubiläen veranlassten den Präses der MC Altötting, Pater Marinus Parzinger, diese Gemeinschaft vorzustellen: Erst kürzlich beging die MC Rogglfing ihr 150-jähriges und die MC Schönbrunn ihr 100-jähriges Jubiläum. 1999 feierte die MC Altötting ihr 400-jähriges Gründungsfest. Damals war Joseph Kardinal Ratzinger Hauptzelebrant und Festprediger.

Von Marinus Parzinger OFMCap

Gründungsimpuls der Kongregation

Der Blick auf den Anfang hilft verstehen, was die MC ist und sein will. Nach den Erschütterungen durch die Reformation und die Glaubenskriege waren viele Menschen religiös verunsichert und haltlos geworden. Das Trienter Konzil setzte Reformimpulse, die u.a. durch junge Orden wie Jesuiten und Kapuziner umgesetzt wurden. Der Jesuit P. Leunis bildete in Rom aus den Studenten eine kirchliche Laienbewegung. Infolge dieser Gründung entstand schon bald in Altötting die Marianische Männerkongregation. Am 25. März 1599 schlossen sich 30 Männer zusammen, weihten sich der Gottesmutter und gelobten Treue zur Kirche. Die Jesuiten in St. Magdalena leisteten die geistliche Assistenz. Seit 1874 erfüllen Kapuziner den Dienst als Präses.

Nach dem II. Vatikanischen Konzil vor 40 Jahren sollten alle geistlichen Gemeinschaften und Orden ihre Satzungen nach ihrem Ursprung überprüfen und an den Geist des Konzils und das neue Kirchenrecht angleichen. Der Weltverband nahm daraufhin die Bezeichnung „Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL)“ an. Die bayerischen Kongregationen jedoch behielten ihren Namen bei. Sonst wäre beides aus dem Bewusstsein verschwunden: „marianisch“ und „Männer“.

Hl. Bruder Konrad – Patron der MC

Neben der Gottesmutter Maria verehren die Sodalen besonders den hl. Br. Konrad, der selber Sodale war und für die Mitglieder der MC Vorbild und Patron ist. 1849 war er mit 31 Jahren in den Kapuzinerorden eingetreten. Fast 41 Jahre lang versah er den Dienst an der Klosterpforte im Kloster St. Anna. Über den hl. Pfortenbruder sagte Kardinal Ratzinger 1999 in seiner Predigt: „Aus dem Hinschauen auf den Herrn ist ihm die Güte, die Liebe gekommen, kraft deren er Pöbeleien an seiner Pforte ertragen und darin ansteckend gut bleiben konnte. … Wir haben genug Menschen, die nur auf den Erfolg schauen und nur auf Geld oder auf Macht oder auf Ansehen und im Letzten sich selber suchen. Wir brauchen Menschen dieser inneren Einfachheit und Lauterkeit, die nicht sich selber wollen, sondern die Gott wollen und daher allen anderen gut sind und ihnen das wahrhaft Gute geben.“

Gemeinsame Verantwortung für sein Land

Die MC Altötting hat 224 Ortsgruppen, die sich in die drei Bistümer Passau, Regensburg und München-Freising erstrecken. Ihr gehören ca. 12.000 Männer an. Bayernweit gibt es ca. 47.000 Sodalen, die 13 verschiedenen Kongregationen angehören. Sie haben sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, die sich zweimal jährlich trifft.

Die Mitglieder der MC heißen Sodalen. Angesprochen werden alle Männer, die mit einem Leben aus dem Glauben ernst machen wollen. Wer glaubt, schließt sich mit anderen zusammen. „Ziel der Kongregation ist es, eine Gemeinschaft gleichgesinnter Männer zu bilden, die ihre Verantwortung in Kirche und Welt und gegenüber den Mitmenschen zu erkennen und zu erfüllen suchen.“

Was mit dieser Verantwortung gemeint ist, hat Joseph Kardinal Ratzinger – heute Papst Benedikt XVI. – 1999 in der Basilika St. Anna zu Altötting gesagt: „Als vor 400 Jahren die Männerkongregation hier gegründet wurde, war eine ähnliche Situation gegeben: nach all den Streitereien des Reformationszeitalters war der Glaube allenthalben müde geworden, und Gott drohte aus dem Land zu verschwinden. Da haben sich die Männer zusammengeschlossen, um mit Maria zu Christus zu gehen, damit aus diesem Land Gott nicht verschwinde. Und dazu schließen wir uns zusammen: auch damit es wahr bleibt, dass in Bayern Glaube und Liebe nicht zu trennen sind. Und wenn man sagt, ‚hier gehen die Uhren anders‘: Gottlob! Wir lassen das Kreuz nicht aus unserem Land entfernen, wir lassen Christus und Gott nicht aus diesem Land entfernen. Wir lieben die heilige Mutter des Herrn und wir bitten sie, dass sie uns geleite auf unserem Weg, damit wir mit Christus und zu Christus und so recht gehen, sehen und leben.“

Bewährte und gesunde Tradition

Wer sich für die Aufnahme in die MC entscheidet, wird in einer kirchlichen Aufnahmefeier als Neusodale angenommen. Dabei erhält er ein Büchlein mit Gebeten und Leitsätzen, das ihm hilft, in die MC hineinzuwachsen. Etwa nach einem Jahr kann sich der Neusodale für die Lebensweihe entscheiden, die wieder im Rahmen eines Gottesdienstes entgegengenommen wird.

Kritische Stimmen fragen: Was bringt es mir, wenn ich der MC beitrete? Die MC ist keine junge, keine neue Bewegung. Sie hat sich im Auf und Ab der Zeit bewährt und besitzt eine gesunde Tradition. Die MC versteht sich als Gebetsgemeinschaft. In vielen Ortsgruppen wird regelmäßig der Rosenkranz gebetet. Brüderliche Einheit soll die Sodalen verbinden, das heißt auch, dass sie einander helfen und sich füreinander einsetzen.

Die jeweilige Ortsgruppe ist eingebunden in ihre Pfarrei. Ein Obmann leitet die Gruppe und wird gewöhnlich von zwei weiteren Männern unterstützt. Sie bilden zusammen die sog. Dreierspitze. Von Altötting aus wird die erforderliche Unterstützung geleistet. Der Kontakt von Altötting zu den Ortsgruppen wird zunächst gepflegt durch das MC-Büro. Reinhold Hammer, der hauptamtliche Sekretär, kennt die Obmänner und leistet die tägliche Kleinarbeit.

Stützen im Leben der Pfarrei

Bei den Gottesdiensten, zu denen der Präses oder Vizepräses in die Ortsgruppen fahren, bilden Männer die Mehrheit. In den anschließenden Versammlungen im Pfarrheim oder Gasthaus werden die notwendigen Fragen beraten und entschieden, wie auch aktuelle kirchliche Themen behandelt.

Die Sodalen tragen das Leben der Pfarrgemeinde mit. Sie gestalten Kreuzweg, Maiandacht und Rosenkranz oder einen Vortragsabend. Sie sind zu finden unter den ehrenamtlichen Helfern, im Pfarrgemeinderat oder der Kirchenverwaltung. Meist ist der Pfarrer der Ortspräses für die MC-Gruppe. Die Sodalen unterstützen den Pfarrer und helfen mit.

Die Sodalen lassen sich von der Glaubenshaltung Mariens prägen. Maria ist die Mutter Gottes und Mutter der Glaubenden. Als solche ist sie Urbild der Kirche und Vorbild für jeden Christen. Die Sodalen orientieren sich an Maria als der größten Frau der Glaubensgeschichte. Von Maria lassen sie sich den Weg zu Christus zeigen: „Was er euch sagt, das tut!“ Als Fürsprecher vertrauen sich die Sodalen der Hilfe und dem Schutz Mariens an. Das Marienheiligtum in Altötting ist geistlicher Mittelpunkt aller bayerischen Sodalen.

Welches Bild gibt die MC heute ab?

Kirchliche Gesinnung und Treue drängen sie zu persönlichem Einsatz in der Reich-Gottes-Arbeit. Landläufig ist es leider oft so, dass Sonntag und Werktag, Glaube und Leben auseinanderfallen. Die MC will Glaube und Alltag, privates und öffentliches Leben als Einheit sehen und leben. Diese Haltung wird dann praktisch und konkret. So heißt ein Grundsatz: „In einer einfachen Lebenshaltung sucht sich der Sodale der Welt gegenüber die innere Freiheit zu wahren. Gutes Beispiel in Familie, Beruf und öffentlichem Leben sollen sein apostolisches Zeugnis glaubwürdig machen.“

Eine Voraussetzung dafür wird durch religiöse Bildung gelegt. Wer für seinen Glauben eintreten und Rechenschaft ablegen will, der muss seinen Glauben und seine Kirche kennen. Zur Vertiefung des Glaubens werden Einkehrtage im Januar und Februar und Exerzitien vor dem Frühjahrshauptfest angeboten. Vorträge und Referate bei den Zusammenkünften tun ein Übriges. Auch das Sodalenblatt, das jeder Sodale viermal im Jahr erhält, dient der religiösen Bildung. Der Altöttinger Liebfrauenbote – eine katholische Wochenzeitung – wird wesentlich von der MC herausgegeben.

Die Mitglieder der MC sollen sagen können: Als getaufte und gefirmte Christen sind wir Glieder der Kirche. Wir tragen die Kirche mit: Wir stehen zu den Hirten der Kirche, zum Papst, den Bischöfen und Priestern. Wir tragen Mitverantwortung in der Pfarrei und Verantwortung für den Glauben in der Familie. Wir leben in und mit der Kirche als Gemeinschaft gläubiger Männer, aus der Kraft der hl. Sakramente, insbesondere aus der Eucharistiefeier, aus der Heiligen Schrift.

Und wir gehen mit der Kirche: Die Liebe zur Kirche hält uns zusammen und stärkt die Einheit untereinander. Wir orientieren uns am Vorbild der Heiligen und an bedeutenden Persönlichkeiten der Kongregation. Konkret stellt sich der Sodale dem Anspruch Gottes im täglichen Leben und fragt sich: Was erwartet Gott von mir im täglichen Leben? Er versucht, nach einem von christlicher Wertvorstellung geprägten Gewissen zu leben. Dann kann das gute Beispiel zeigen, dass er mit seinem Christsein ernst macht: im Gebet in der Familie, im persönlichen Beten, in der Pflege marianischer Gebete (z.B. Rosenkranz, Engel des Herrn), in der Achtung des Sonntags als dem Tag des Herrn, in der Hilfe füreinander mit Rat und Tat, in der Übernahme von Verantwortung im öffentlichen Leben und in der Unterstützung der Armen dieser Welt.

Vorfreude und Erwartung

Wenige Jahre (1984) nach  dem Besuch von Papst Johannes Paul II. ließ die MC eine Papstfigur aus Bronze an der Westfassade des Kongregationssaals anbringen. Pater Kosmas Wührer, über 24 Jahre lang  Präses und heutiger Ehrenpräses, hat sich dafür stark gemacht.

Der Gedenkgottesdienst in der Basilika St. Anna im letzten Jahr, mit ca. 70 Fahnenabordnungen, war ein eindrückliches Zeichen der Verbundenheit der MC mit der Gesamtkirche, insbesondere mit dem Hl. Vater.

Beim heurigen Frühjahrshauptfest überraschte die MC mit einer Liveschaltung nach Rom. Der Angelus wurde via Satellit übertragen und die am Kapellplatz versammelten Sodalen beteten mit dem Heiligen Vater. Das war ein erstes Signal der Vorfreude auf den Papstbesuch. Im Juli wurde mit „Stationen aus dem Leben von Papst Benedikt“ ein attraktiver Vortrag mit Fotoschau und Videosequenzen angeboten, der die enge Verbundenheit des Heiligen Vaters mit Altötting zeigte.[1]

„Wer glaubt, ist nie allein.“ Mit dem Pastoralbesuch in Bayern verbinden wir die Hoffnung, dass wir die große Gemeinschaft der Kirche erfahren und nachhaltige Impulse für den Glauben in unserer Heimat empfangen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
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[1] Papst-DVD: Im Büro der MC ist eine schöne 72-minütige DVD über den Jubiläumsgottesdienst 1999 und die Ereignisse um die Wahl Kardinal Ratzingers zum Papst erhältlich. Kontaktadresse: Marianische Männerkongregation, Papst-Benedikt-Platz 1, D-84503 Altötting; Tel.: 08671-6740 / Fax: 08671-5243; Homepage: www.mc-altoetting.de

Bischof nennt Skandal beim Namen

Es ist ein Skandal, dass in der Werbung, in Spielfilmen und Trickserien religiöse Symbole und Werte, Heilige, ja Gott selber im Namen der freien Meinungsäußerung verhöhnt und verunglimpft werden dürfen. Gleichzeitig aber wird eine vollkommen harmlose Werbung für eine religiöse Zeitschrift vom Staat verboten, um angeblich den Religionsfrieden zu schützen. Angesichts dieser Widersprüche fordert der Baseler Bischof Dr. Kurt Koch von Politik und Staat einerseits einen wirksamen Schutz religiöser Überzeugungen vor Verunglimpfungen, andererseits eine Garantie der öffentlichen Meinungsfreiheit der Religionen. Beides ist nicht mehr gewährleistet – der Widerstand des Bischofs sollte Kreise ziehen!

Von Bischof Kurt Koch, Basel

Christen dürfen beleidigt werden

Im vergangenen Jahr erschien in der Zeitung „Le Temps“ eine Karikatur, die den aufgebahrten Papst zusammen mit einer Schar von Gläubigen und einem Kreuz zeigt. Dabei wendet sich Jesus an die Menge mit den Worten: „Stört es euch nicht, dass ich existiere?“ Ein Leser hat sich beim Presserat mit der Begründung beschwert, eine solche Karikatur beleidige die Christen und alle kultivierten Menschen. Der Presserat aber hat die Beschwerde zurückgewiesen und betont, die Freiheit der Satire und der Karikatur dürfe nicht eingeschränkt werden und müsse auf die Befindlichkeit orthodoxer Kreise keine Rücksicht nehmen.

Religiöse Werbung ist verboten

In diesem Jahr wollten die CAT Medien für ihre religiösen Zeitschriften „Der Sonntag“ und „Leben und Glauben“ mit einem 15-sekündigen TV-Spot werben. Dies wurde ihnen vom Bundesamt für Kommunikation mit dem Hinweis auf die Wahrung des religiösen Friedens verboten. Ausdrücklich wurde vermerkt, das Verbot von religiöser Werbung sei eine zulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit.[1]

Absurder und grotesker Umgang mit der Meinungsfreiheit

Diese beiden Beispiele dokumentieren, wie absurd und grotesk in unserer Schweiz der Umgang mit der Meinungsfreiheit besonders im Zusammenhang mit der Religion geworden ist: Man darf – vor allem! – Christen im Namen der Meinungsfreiheit in aller Öffentlichkeit beleidigen und ihre religiösen Gefühle verletzen. Christen selbst aber dürfen für ihre Sache nicht werben; ihnen gegenüber wird vielmehr die Meinungsfreiheit eingeschränkt.

Entscheidungen der Behörden unanfechtbar

Besonders pikant ist dabei, dass Entscheide sowohl des Presserates als auch des Bundesamtes für Kommunikation nicht mehr angefochten werden können. Sie sind vielmehr endgültig, weil offensichtlich unfehlbar, oder wie es früher hieß: „Roma locuta – causa finita.“

Kein Schutz der religiösen Bekenntnisse

Solche Erscheinungen zeigen, dass in unserem Land ein wirkungsvoller Schutz der religiösen Bekenntnisse nicht mehr gewährleistet ist. Politik und Staat sind deshalb herausgefordert, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die den Schutz für religiöse Überzeugungen vor Verunglimpfungen und auch die öffentliche Meinungsfreiheit der Religionen garantieren.

Herausforderung zu Gesetzesüberschreitungen

Dies drängt sich umso mehr auf, als der religiöse Friede offensichtlich solange nicht als gefährdet eingeschätzt wird, als sich die von Karikaturen und Satiren Betroffenen und in ihren religiösen Gefühlen Verletzten in ihrer Verteidigung gesetzeskonform verhalten und sich nicht zu ungesetzlichen Verhaltensweisen hinreißen lassen. Ernst genommen werden sie offensichtlich erst dann, wenn sie gegen das Gesetz zu handeln beginnen. In dieser äußerst problematischen Haltung muss man eine von politischer und staatlicher Seite unterstützte – zumindest indirekte – Herausforderung zu Gesetzesüberschreitungen sehen, die das demokratische Zusammenleben der Menschen noch zusätzlich gefährden würden. Auch aus diesem Grund ist im Blick auf den Schutz der religiösen Gefühle Handlungsbedarf für Politik und Staat angesagt!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
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[1] Im März dieses Jahres produzierte das christliche Medienhaus CAT Medien AG einen 15-sekündigen Werbespot für das Wochenmagazin Der Sonntag. Der Fernsehspot zeigt musikunterlegt eine Kirchenfassade, die Schuhe eines Priesters in Soutane, einen Blick auf eine Bibel, den Priester beim Bibellesen in der Kirche und schließlich eine ausgehende Kerze. Die Werbung endet mit dem gesprochenen Text: „Erleben Sie die Welt der Religion anders: Der Sonntag, die größte christliche Zeitung der Schweiz.“ Kurz vor der Ausstrahlung wurde der Spot vom Schweizerischen Bundesamt für Kommunikation verboten. Er darf nicht einmal auf der Homepage im Internet gezeigt werden.

„Ihr Völker alle, klatscht in die Hände“

Papst Benedikt XVI. hat an Pfingsten über 400.000 Mitglieder der neuen geistlichen Bewegungen auf dem Petersplatz empfangen. Es war das größte Treffen von Gläubigen in Rom seit dem Tod von Papst Johannes Paul II. im April 2005. Nina Heereman hat dieses Glaubensfest miterlebt. Die frohe und zugleich tiefe Atmosphäre regte sie dazu an, einige Überlegungen zum Lobpreis wiederzugeben.

Von Nina Sophie Heereman

Charismatisches Erscheinungsbild der Kirche

Rom hat zu Pfingsten dieses Jahres wieder das Lob unseres Schöpfers erklingen lassen. Der Heilige Vater hatte die neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen zur gemeinsamen Feier des Pfingstfestes eingeladen, wie schon Johannes Paul II im Jahre 1998. Die Stadt war erfüllt von fröhlichen Gesängen, wie Jerusalem am Pfingsttag vom Getöse der in fremden Sprachen redenden Apostel. Auch wenn man sich, zumindest südlich der Alpen, längst an das neue, junge und gewissermaßen charismatische Erscheinungsbild der Kirche gewöhnt hat, stößt das Wort „charismatisch“, besonders in unseren Breitengraden, doch noch häufig auf Widerstand. Es scheint manchmal geradezu politisch unkorrekt, Sympathie für eine charismatische Bewegung zum Ausdruck zu bringen. Unter vielen Christen herrscht das Vorurteil, hier würde mit psychologischen Tricks gearbeitet, es würde ein oberflächliches Christentum propagiert, fernab vom Kreuz und der Treue im Alltag. Oft ist zu hören, es werde zu großer Wert auf Gesang, Klatschen und ungewohnte Gebetsformen, z.B. erhobene Hände, gelegt. Im englischsprachigen Raum nennt man die Charismatiker daher auch, teils liebevoll, teils abschätzig: „the happy clappers“ – die fröhlichen Klatscher.

Wiederentdeckung des Lobpreises

Ich denke, dieser Ausdruck verkennt die charismatische Erneuerung in einem ihrer ganz wesentlichen Aspekte. Handelt es sich doch nicht um irgendeine Vorliebe fröhlicher Klatscher, sondern um die Wiederentdeckung des Lobpreises. Lobpreis aber ist für den Christen weder neu noch fakultativ. Er ist, mit der Bibel gesprochen, das Grundgesetz des Volkes Gottes. So jedenfalls sagt uns der Psalm 81,2-6: „Jubelt Gott zu, er ist unsere Zuflucht, jauchzt dem Gott Jakobs zu! Stimmt an den Gesang, schlagt die Pauke, die liebliche Laute, dazu die Harfe! Stoßt in die Posaune am Neumond und zum Vollmond, am Tag unseres Festes! Denn das ist Satzung für Israel, Entscheid des Gottes Jakobs. Das hat er als Gesetz für Josef erlassen, als Gott gegen Ägypten auszog.“

Jubel der Erlösten

Wenn schon das Volk Israel den Herrn mit Pauken und Trompete loben soll, um wie viel mehr wir Christen, die wir das neue Volk Gottes sind: Uns hat Gott nicht nur aus dem irdischen Ägypten herausgeführt, sondern er hat uns der eigentlichen Sklaverei, die jeden Menschen gefangen hält, den Klauen der Sünde und des Todes entrissen! Durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus uns frei gemacht vom „Gesetz der Sünde und des Todes“ und uns neu geschaffen als sein Volk, das seinen Namen preisen darf. Die Kirche weiß darum und erinnert sich gleichsam selbst jeden Morgen neu daran, wenn sie ihr Gotteslob mit den Worten eröffnet: „Kommt, lasst uns jubeln vor dem Herrn und zujauchzen dem Fels unseres Heiles. Lasst uns mit Lob seinem Angesicht nahen, vor ihm jauchzen mit Liedern“ (Ps 96). Und befiehlt uns nicht geradezu der Psalm 100,4: „Tretet mit Dank in seine Tore ein! Kommt mit Lobgesang in die Vorhöfe seines Tempels. Dankt ihm, preist seinen Namen!“

Die drei Zeitdimensionen

Unter den vielfältigen Gebetsformen nennt der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 2623-2643) drei, den menschlichen Dimensionen von Zeit besonders angepasste Formen des Betens: das Dank-, Bitt- und Lobgebet.

Das Danken bezieht sich auf die Vergangenheit. Kraft seiner Erinnerung gedenkt der Mensch der Großtaten, die Gott in seinem Leben schon vollbracht hat. Er anerkennt damit die eigene Geschöpflichkeit und die Tatsache, dass Gott allein der Geber aller guten Gaben ist, wie es der Jakobusbrief formuliert: „Jede gute Gabe kommt von oben, vom Vater der Gestirne“ (Jak 1,17). In Erinnerung an die Großtaten Gottes schöpft der Mensch Mut und Zuversicht, dass der Gott, der mir bis jetzt so viel Gutes getan hat, auch in Zukunft für mich sorgen wird, denn so sagt Er: „Ich lasse Dich nicht fallen und verlasse Dich nicht.“ Er, der uns in der Vergangenheit getragen hat, bleibt derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit. Das Bittgebet wiederum bezieht sich auf die Zukunft. Denn in ihm bringt der Mensch zum Ausdruck, dass er diesen Verheißungen Glauben schenkt. So anerkennt er Gott auch in seinem Schöpfersein und in Seiner Allmacht – denn bitten tut nur der, der glaubt, dass Gott in den Verlauf dieser Welt eingreifen kann, weil „für Gott nichts unmöglich ist“ (Lk 1,38).

Eintritt in die Gegenwart Gottes

Doch wie ist es mit dem Lobpreis? Wenn die beiden bisher behandelten Gebetsformen sich auf das Gestern und Morgen beziehen, so gehört der Lobpreis dem Heute an. Durch ihn treten wir gleichsam in Gottes Gegenwart ein, in Sein ewiges Jetzt. Denn, so heißt es schon im Psalm 22: „Gott thront über dem Lobpreis Israels.“ Im Lobpreis wollen wir nichts mehr von Gott. Wir werden befreit von unserem ständigen Kreisen um uns selber und schauen nur noch auf Gott, indem wir ihn preisen dafür, dass Er ist, und für alles, was Er tut. Oft loben wir Gott, wenn uns etwas widerfährt, das uns gut erscheint. Geschieht jedoch ein Übel, so klagen wir entweder, warum Gott das so zulassen könne, oder aber – weil man sich „fromm“ ein Klagen nicht erlaubt – man schweigt. Beide Reaktionen sagen jedoch nichts anderes aus als: „Also, lieber Gott, ich an Deiner Stelle hätte das nicht so gemacht.“ Indem unser Lobpreis verstummt, machen wir uns selbst zu Gott, da wir ja zu wissen meinen, wie Gott in dieser oder jener Situation zu handeln hätte. Wer aber, wie es der alte Tobit seinem Sohn Tobias anempfiehlt, Gott zu jeder Zeit preist (Tob 4,19), der betet Gott wirklich an „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4,23). Ein solcher Beter bekennt, dass Gott Gott ist, dessen Gedanken nicht unsere Gedanken und dessen Wege nicht unsere Wege sind (vgl. Jes 55,9).

Kraft des Lobpreises

Nur der anerkennt Gott wirklich in Seinem Gottsein, der Gott auch noch in Dunkelheit zu preisen vermag und er gibt Gott genau dadurch die Möglichkeit sich in ausweglosen Situationen als Herrscher zu erweisen. So machen es uns die ersten Apostel vor. Als Paulus und Silas ins Gefängnis geworfen wurden, weil sie das Wort Gottes verkündet hatten, machten sie nicht etwa Gott Vorwürfe, dass dies nun der Lohn ihrer Mühen für Ihn sein sollte. Nein, im Gegenteil: „Sie sangen Loblieder“ (Apg 16,25), wie es schon ihre älteren Brüder im Glauben getan hatten – die drei Jünglinge im Feuerofen. „Und die Gefangenen hörten ihnen zu. Plötzlich begann ein gewaltiges Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Mit einem Schlag sprangen die Türen auf und allen fielen die Fesseln ab.“ Besser könnte man die Kraft des Lobpreises nicht schildern. Er sprengt die Ketten, die uns fesseln, reißt Mauern ein und schafft einen Weg, wo vorher keiner war. So war es bei den Mauern von Jericho (vgl. Josua 6), so war es bei Paulus und so ist es noch heute, wo Menschen, obwohl von Sorgen und Nöten bedrängt, Gott ein Loblied singen. Im Lobpreis baut der Mensch Gott gleichsam einen Thron (vgl. Ps 22), und da wo Gott thront, kann das Böse, das uns das Leben rauben will, nicht bleiben.

Die Orante-Haltung

Aber warum muss man dazu die Hände erheben und klatschen? Das Gebet mit erhobenen Händen ist das ursprünglichste Gebet der Christen. Die sog. „Orantenhaltung“ ist uns nicht unbekannt. Der Priester nimmt sie immer wieder in der Eucharistiefeier ein. Ältestes Zeugnis von dieser Gebetsweise geben die Wandmalereien in den Katakomben, und auch schon einige Psalmen. So heißt es z.B. im Psalm 134,2: „Erhebt Eure Hände zum Heiligtum, und preiset den Herrn!“ Die erhobenen Hände sind ein Zeichen der Hingabe. Es ist die Haltung, die Jesus am Kreuz eingenommen hat. Ja, um es mit einem etwas krassen Vergleich auszudrücken: es ist die Haltung dessen, der sich im Kampf unterwirft. Wie oft kämpfen wir wie Jakob mit dem Engel, obwohl wir uns doch eigentlich dem Willen Gottes unterwerfen sollten. Der Lobreis hilft uns, gerade in den schwierigen Situationen das Kreuz zu umarmen, da wir aller Dunkelheit zum Trotz bekennen, dass wir Gott vertrauen. Mit erhobenen Armen werfen wir uns wie Kinder in die Arme des Vaters, der besser weiß, was gut für uns ist.

Und warum klatschen? Ganz einfach: Weil es im Psalm 47,2 heißt: „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände, jauchzt Gott zu mit lautem Jubel.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
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Jubiläum auf dem Bodensee

Nach den Feierlichkeiten auf dem Bodensee sagte Erzbischof Alfons Nossol von Oppeln vergangenes Jahr, diese Schiffswallfahrt sei das schönste Erlebnis in seinem Priesterleben gewesen. Hier hat ein erfahrener Hirte gespürt, dass es nicht nur Folklore ist, wenn er vor Tausenden von Gläubigen die Monstranz zum eucharistischen Segen über die Völker Europas erhebt. Hier berühren wir den Strom der Geschichte, die mit dem Christentum steht und fällt.

Von Thomas Maria Rimmel

25 Jahre Schiffsprozession

Seit einem Vierteljahrhundert gehört die Fatima-Schiffsprozession für ein Vereintes Europa auf dem Bodensee zum Erscheinungsbild der katholischen Kirche im Dreiländereck Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aus diesen drei verschiedenen Ländern, nämlich von den Häfen Bregenz, Lindau und Rorschach laufen die Schiffe mit den Pilgern aus. Die abendliche Fahrt geht singend und betend zu jenem Ort auf „hoher See“, wo diese Länder aufeinandertreffen. In den letzten Jahren versammelten sich bis zu 5000 Gläubige auf den Schiffen, die sich um das „Sakramentsschiff“ scharen, auf dem das Allerheiligste in der Monstranz mitgeführt wird.

Initiator: Ferdinand Andreatta

Unter großem Einsatz seiner Familie und Freunde organisierte der Initiator der Schiffsprozession, Ferdinand Andreatta, zwei Jahrzehnte lang diese Veranstaltung. Er selbst konnte die Organisation noch in die Verantwortung der Gebetsstätte Wigratzbad legen. Dadurch erhielt die Schiffswallfahrt 2001 einen neuen Akzent, nämlich den Gedanken „Für ein Vereintes Europa“. Die katholische Kirche – und auch Papst Benedikt XVI. – hat sich in den vergangenen Jahrzehnten unzweideutig für ein Vereintes Europa ausgesprochen. Sie betont, dass Europa ohne die Werte des Evangeliums nicht bleiben bzw. werden kann.

Für ein christliches Europa

Die Schiffsprozession ist demnach mehr als eine abendliche Ausfahrt auf dem schönen Bodensee. Sie ist ein unerschrockenes Zeugnis für den christlichen Glauben und für ein Europa, das nur auf dem Fundament der christlichen Werte eine wahre Einheit finden kann. In diesem Sinn dürfen wir uns ein Wort Goethes zu Eigen machen: „Europa ist auf der Pilgerschaft geboren, und das Christentum ist seine Muttersprache.“

Mit Bischöfen und Kardinälen

Der diesjährige Hauptgast, Diözesanbischof Dr. Walter Mixa aus Augsburg, steht in einer beeindruckenden Reihe kirchlicher Würdenträger: 2002 Walter Kardinal Kasper (Rom); 2003 Erzbischof Tadeusz Kondrusiewic (Moskau); 2004 Georg Kardinal Sterzinsky (Berlin); 2005 Erzbischof Alfons Nossol (Oppeln). Zumal es in der Geschichte der Fatima-Schiffsprozession auf dem Bodensee 2003 eine Überraschung gab. Damals war die Wallfahrt in den sog. „Mitteleuropäischen Katholikentag 2003/ 2004“ einbezogen. Als Teil dieses Großereignisses wirkten auch Diözesen (Augsburg, Feldkirch, St. Gallen), die an den Bodensee angrenzen, mit ihren Bischöfen mit.

In diesem Jahr lädt die diözesane Gebetsstätte Wigratzbad zum sechsten Mal ein. Und mit Bischof Mixa dürfen wir uns auf einen Hirten freuen, dem ein Vereintes Europa ein echtes Anliegen ist. Mit Blick auf eine politische Neuordnung Europas betont er nicht zuletzt als deutscher Militärbischof immer wieder die Notwendigkeit einer christlich inspirierten Versöhnung. Höhepunkt der abendlichen Schiffswallfahrt an Mariä Himmelfahrt werden die Ansprache des Bischofs auf dem See sowie die Weihe Europas an die Gottesmutter Maria und der Eucharistische Segen über die Länder Europas sein.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8+9/August+September 2006
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