In der Wahrheit liegt der Friede

Zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2006 hat Papst Benedikt XVI., wie es schon unter seinen Vorgängern zu einer festen Tradition geworden ist, eine eindringliche Botschaft an die ganze Menschheit gerichtet. Im Folgenden geben wir nicht den vollen Wortlaut der Botschaft wieder, sondern stellen in einer Art Telegrammstil die wichtigsten Gedanken heraus.

Von Papst Benedikt XVI.

Die Wahrheit ist das Fundament des Friedens

Der Friede muss „auf dem Fels der Wahrheit Gottes und der Wahrheit des Menschen aufgebaut sein“ (Nr. 15). Sobald „sich der Mensch vom Glanz der Wahrheit erleuchten lässt, schlägt er fast selbstverständlich den Weg des Friedens ein“ (Nr. 3).

Wie lautet die Wahrheit über Gott und den Menschen?

„Gott ist Liebe, die rettet, ein liebevoller Vater, der sehen möchte, dass seine Kinder sich gegenseitig als Geschwister erkennen, die verantwortlich danach streben, die verschiedenen Begabungen in den Dienst des Allgemeinwohls der menschlichen Familie zu stellen. Gott ist eine unerschöpfliche Quelle der Hoffnung, die dem persönlichen wie dem kollektiven Leben Sinn verleiht. Gott, allein Gott lässt jedes gute Werk und jedes Werk des Friedens wirksam werden“ (Nr. 11).

Transzendentes Schicksal vereint alle Menschen

„Alle Menschen gehören ein und derselben Familie an. Die übertriebene Verherrlichung der eigenen Verschiedenheit steht im Widerspruch zu dieser Grundwahrheit. Man muss das Bewusstsein, durch ein und dasselbe, letztlich transzendente Schicksal vereint zu sein, wiedererlangen, um die eigenen historischen und kulturellen Verschiedenheiten am besten zur Geltung bringen zu können, indem man sich den Angehörigen der anderen Kulturen nicht entgegenstellt, sondern sich mit ihnen abstimmt“ (Nr. 6).

Das allgemeine Sittengesetz und die Menschenrechte

„Das internationale Menschenrecht ist zu den glücklichsten und wirkungsvollsten Ausdrucksformen jener Ansprüche zu rechnen, die sich aus der Wahrheit des Friedens ergeben. Gerade deshalb erscheint die Achtung dieses Rechtes notwendig als eine Pflicht für alle Völker"[1] (Nr. 7). Diese müssen „die ganzheitliche Entwicklung der Person und den Schutz ihrer Grundrechte“ garantieren und verhindern, dass „viele Völker gezwungen sind, unerträgliche Ungerechtigkeiten und Missverhältnisse zu erleiden“. Alle müssen „die ,Grammatik‘ des Dialogs, das in das Herz des Menschen eingeschriebene allgemeine Sittengesetz“,[2] anerkennen (Nr. 4).

Ideologische politische Systeme

Politische Systeme, die auf der Lüge aufbauen, haben „verheerende Auswirkungen im Leben der Einzelnen sowie der Nationen“. Auch heute noch bildet die Lüge „in nicht wenigen Regionen der Welt“ den „Rahmen für bedrohliche Szenerien des Todes“ – wie „im vergangenen Jahrhundert“, „als irrige ideologische und politische Systeme die Wahrheit planmäßig verfälschten und so zur Ausbeutung und Unterdrückung einer erschütternden Anzahl von Menschen führten, ja, sogar ganze Familien und Gemeinschaften ausrotteten“ (Nr. 5).

Ehrliche Verhandlungen und Worthalten

„Die Wahrheit des Friedens ruft alle dazu auf, fruchtbare und aufrichtige Beziehungen zu pflegen, und regt dazu an, die Wege des Verzeihens und der Versöhnung zu suchen und zu gehen sowie ehrlich zu sein in den Verhandlungen und treu zum einmal gegebenen Wort zu stehen“ (Nr. 6).

Einhaltung der Menschenrechte im Fall des Krieges

„Auch im Krieg existiert die Wahrheit des Friedens.“ „In der tragischen Situation des Krieges“ ist nicht „jedes Kampfmittel zwischen den gegnerischen Parteien erlaubt“. „Die Internationale Gemeinschaft hat ein internationales Menschenrecht aufgestellt, um die verheerenden Folgen des Krieges vor allem für die Zivilbevölkerung so weit wie möglich zu begrenzen.“ Dieses Menschenrecht muss geachtet und schnell verwirklicht werden. „Seine korrekte Anwendung ist zu gewährleisten, indem es durch genaue Vorschriften aktualisiert wird, die imstande sind, den veränderlichen Gegebenheiten der modernen bewaffneten Konflikte sowie der Verwendung ständig neuer, immer hochentwickelterer Waffensysteme entgegenzutreten“ (Nr. 7).

Aufgabe der Internationalen Organisationen

„Die Internationalen Organisationen“ haben die Aufgabe, „ohne Unterlass mit aller Kraft für die Anwendung des internationalen Menschenrechts zu wirken“. Ein „naiver Optimismus“ (Nr.13) ist nicht hilfreich. Immer wieder müssen „Soldaten eingesetzt“ werden, „die in heiklen Operationen zur Beilegung der Konflikte und zur Wiederherstellung der zur Verwirklichung des Friedens notwendigen Bedingungen“ wirken (Nr. 8).

Der Terrorismus wird vom Nihilismus inspiriert

„Durch den Terrorismus“ wird „die Wahrheit des Friedens immer noch auf dramatische Weise gefährdet und geleugnet“. Er ist „mit seinen Drohungen und seinen kriminellen Handlungen imstande“, „die Welt im Zustand der Angst und der Unsicherheit zu halten.“ „Paul VI. und Johannes Paul II. sind mehrmals eingeschritten, um öffentlich auf die schreckliche Verantwortung der Terroristen hinzuweisen und die Unbesonnenheit ihrer Todespläne zu verurteilen. Solche Pläne sind nämlich von einem tragischen und erschütternden Nihilismus inspiriert, den Papst Johannes Paul II. mit folgenden Worten beschrieb: ,Wer durch die Ausführung von Terroranschlägen tötet, hegt Gefühle der Verachtung für die Menschheit und manifestiert Hoffnungslosigkeit gegenüber dem Leben und der Zukunft. Alles kann aus dieser Sicht gehasst und zerstört werden‘"[3] (Nr. 9).

Religiöser Fanatismus  als Nährboden des Terrorismus

„Nicht nur der Nihilismus, sondern auch der religiöse Fanatismus, der heute oft als Fundamentalismus bezeichnet wird, kann terroristische Vorhaben und Handlungen inspirieren und nähren. Da Johannes Paul II. von Anfang an die explosive Gefahr erahnte, die der fanatische Fundamentalismus darstellt, prangerte er ihn hart an und warnte vor der Anmaßung, anderen die eigene Überzeugung bezüglich der Wahrheit mit Gewalt aufzuzwingen, anstatt sie ihnen als ein freies Angebot vorzulegen. Er schrieb: ,Die Anmaßung, das, was man selbst für die Wahrheit hält, anderen gewaltsam aufzuzwingen, bedeutet, dass dadurch die Würde des Menschen verletzt und schließlich Gott, dessen Abbild er ist, beleidigt wird‘"[4] (Nr. 9).

„Nihilismus und Fundamentalismus“ verdrehen beide die „volle Wahrheit Gottes: Der Nihilismus leugnet seine Existenz und seine sorgende Gegenwart in der Geschichte; der fanatische Fundamentalismus verzerrt sein liebevolles und barmherziges Angesicht und setzt an seine Stelle nach eigenem Bild gestaltete Götzen. Es ist zu wünschen, dass man sich bei der Analyse der Ursachen des zeitgenössischen Phänomens des Terrorismus außer den Gründen politischen und sozialen Charakters auch die kulturellen, religiösen und ideologischen Motive vor Augen hält“ (Nr. 10).

Keine Feindseligkeiten schüren

„Eine äußerst schwere Verantwortung“ laden die politischen Verantwortlichen auf sich, die „in den Bürgern Gefühle der Feindseligkeit gegenüber anderen Nationen schüren“. „Sie setzen in besonders gefährdeten Regionen das sensible, in mühsamen Verhandlungen errungene Gleichgewicht aufs Spiel und tragen so dazu bei, die Zukunft der Menschheit noch unsicherer und verworrener zu gestalten“ (Nr. 13).

Illusion der atomaren Abschreckung

Es ist eine Illusion, wenn sich Regierungen „auf Nuklearwaffen verlassen, um die Sicherheit ihrer Länder zu gewährleisten“. „Gemeinsam mit unzähligen Menschen guten Willens kann man behaupten, dass diese Sichtweise nicht nur verhängnisvoll, sondern völlig trügerisch ist. In einem Atomkrieg gäbe es nämlich keine Sieger, sondern nur Opfer. Die Wahrheit des Friedens verlangt, dass alle – sowohl die Regierungen, die erklärtermaßen oder insgeheim Atomwaffen besitzen, als auch jene, die sie sich verschaffen wollen – mit klaren und festen Entscheidungen gemeinsam auf Gegenkurs gehen und sich auf eine fortschreitende und miteinander vereinbarte Atomabrüstung ausrichten. Die auf diese Weise eingesparten Geldmittel können in Entwicklungsprojekte zugunsten aller Einwohner, an erster Stelle der Ärmsten, investiert werden“ (Nr. 13).

Abrüstung statt Waffenhandel und Entwicklung neuer Waffen

Eine Frage der Wahrheit ist auch die ehrliche Beschäftigung mit der Abrüstung. „Mit Bitterkeit“ sind „die Daten eines besorgniserregenden Anstiegs der Militärausgaben und des stets blühenden Waffenhandels festzustellen, während der von der Internationalen Gemeinschaft in Gang gesetzte politische und rechtliche Prozess zur Unterstützung einer fortschreitenden Abrüstung im Sumpf einer nahezu allgemeinen Gleichgültigkeit stagniert“. Der Friede hat keine Zukunft, „wenn man fortfährt, in die Waffenproduktion und in die Forschung zur Entwicklung neuer Waffen zu investieren“ (Nr. 14).

Gebet für den Frieden

Alle, die an Christus glauben, „bitte ich darum, das Gebet zu verstärken, denn der Friede ist vor allem ein Geschenk Gottes, das unaufhörlich erfleht werden muss. Dank der göttlichen Hilfe wird die Verkündigung der Wahrheit des Friedens und das Zeugnis für sie mit Sicherheit überzeugender und erhellender erscheinen. Wenden wir vertrauensvoll und in kindlicher Hingabe unseren Blick auf Maria, die Mutter des Friedensfürstes. Am Anfang dieses neuen Jahres bitten wir sie, dem gesamten Gottesvolk zu helfen, in jeder Lage Friedensstifter zu sein, indem es sich erleuchten lässt von der Wahrheit, die frei macht (vgl. Joh 8,32). Möge die Menschheit auf ihre Fürsprache hin eine immer größere Wertschätzung für dieses grundlegende Gut entwickeln und sich dafür einsetzen, sein Vorhandensein in der Welt zu festigen, um den nachwachsenden Generationen eine unbeschwertere und sicherere Zukunft zu übergeben“ (Nr. 16).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Aufruf an die Staatsoberhäupter der kriegführenden Völker (1. Aug. 1917): AAS 9 (1917) 423.
[2] Vgl. Johannes Paul II.: Rede vor der 50. Generalversammlung der Vereinten Nationen (5. Oktober 1995), 3.
[3] Botschaft zum Weltfriedenstag 2002, 6.
[4] Botschaft zum Weltfriedenstag 2002, 6.

Seid Friedensstifter wie Frère Roger und Johannes Paul II.!

Papst Benedikt XVI. hat an die Jugendlichen, die sich zum traditionellen Taizé-Treffen vom 28. Dezember bis zum 1. Januar dieses Jahr in Mailand versammeln werden, eine Grußbotschaft gerichtet. Er nützte diese Gelegenheit, um noch einmal den am 16. August ermordeten Frère Roger ausdrücklich zu würdigen und gleichzeitig hervorzuheben, dass sein Engagement für Einheit und Frieden auf einer Linie mit dem Wirken Johannes Pauls II. lag (vgl. Kirche heute, 10/2005, S. 4-9).

Zunächst heißt es: „Unter besonderer Würdigung von Frère Roger, dem an diesen internationalen Treffen lag, damit sich bei den jungen Christen ein Geist gelebter Geschwisterlichkeit und gelebten Friedens einwurzelt, erhofft sich der Papst, dass die Gespräche unter euch, die ihr aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen christlichen Konfessionen kommt, wie auch die Begegnung mit den Christen in Mailand, die euch beherbergen, es euch ermöglichen, neue Beziehungen zu knüpfen, die zugleich eine Saat des Friedens unter den Menschen sind.“

Schließlich schreibt er: „Mögen das Beispiel des Gründers von Taizé und das unermüdliche Zeugnis Papst Johannes Pauls II. für Dialog und Frieden unter den Menschen euch ermutigen, eurerseits Friedensstifter zu sein! In einer Welt, die durch zahlreiche Spannungsherde geschwächt ist und in unseren entwickelten Gesellschaften, in denen neue Formen von Gewalt auftauchen, die insbesondere die Jugendlichen in Mitleidenschaft ziehen, lädt der Papst euch ein, in der Einfachheit und in der Freude Zeugnis abzulegen vom Geist des Friedens, der in uns wohnt, dank der Gabe, zu der sich der Herr Jesus Christus aus Liebe zu allen ein für allemal am Kreuz gemacht hat.“

Papst Benedikt XVI. hebt hervor, dass die Jugendlichen „bei dem Treffen schöne Erfahrungen von Kirche“ machen werden und versichert ihnen: „Der Papst schließt sich euch allen im Gebet an!“ Am Ende seiner Botschaft an die Teilnehmer des ökumenisch geprägten Gebetstreffens richtet er seinen Blick auf die Gottesmutter und schreibt: Der Papst „vertraut euch dem Gebet Marias an, der Mutter des Herrn und aller, die seine Brüder und Schwestern geworden sind, und gewährt euch aus tiefem Herzen einen liebevollen apostolischen Segen.“ (Erich Maria Fink)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
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„Einigt euch!“

Im Blick auf die „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ vom 18. bis 25. Januar schildert Direktor Thomas Maria Rimmel, der Leiter der diözesanen Gebetsstätte Wigratzbad, einige Eindrücke, die er vor kurzem auf einer Pilgerfahrt durch Syrien gewonnen hat. Die Reise führte ihn unter anderem nach Sufanieh, wo er der Seherin Myrna begegnen konnte, die am 11. September 2004 in Wigratzbad zu Gast war. Wie die Kirche zu diesen angeblichen Marienerscheinungen steht, haben wir in Kirche heute, 12/2004, S. 16ff., beleuchtet.

Von Thomas Maria Rimmel

„In Damaskus sollte nicht jeder Auto fahren“, meint Myrna und lächelt. Tatsächlich lenkt sie den Wagen sicher durch die Blechlawinen der syrischen Hauptstadt. Die Fülle an Fahrzeugen scheint die Regeln im Straßenverkehr überflüssig zu machen. Ob und wie man vorankommt, hängt offensichtlich allein davon ab, inwiefern man sich mit den Fahrern rechts und links einigt.

Im Vorderen Orient kommt dem Prinzip „Einigt euch!“ eine Bedeutung zu – weit über den Straßenverkehr hinaus. Dass im Libanon seit 15 Jahren Frieden herrscht, verdankt das Land dem Proporz der Machtverteilung, auf den sich die politischen und religiösen Gruppen geeinigt haben. Und Syrien darf als Leuchtturm bezeichnet werden, wenn es um das Zusammenleben der Religionen geht. Dieses Land kann auf ein freies und friedliches Miteinander von Christen und Muslimen (über 90 Prozent) verweisen. Auch von daher wird deutlich, wie wichtig der Beitrag Syriens für den Frieden in dieser ganzen Region ist. Es war zeichenhaft, dass Papst Johannes Paul II. während des Heiligen Jahrs 2000 gerade in diesem Land als erstes Oberhaupt der katholischen Kirche eine Moschee besuchte, und zwar jene der Omayyaden in Damaskus.

Ob es ein Zufall ist, dass die Gottesmutter in der syrischen Metropole das christliche Wohnviertel Sufanieh ausgewählt hat, um die Menschen einzuladen, in Liebe miteinander umzugehen und für den Frieden zu beten? Nur dort nämlich, wo Menschen bereit sind, sich zu einigen, einander die Hand in Freundschaft und Frieden zu reichen, wird die Spirale der Gewalt durchbrochen. Vorbildlich wäre die Einheit unter den Christen. So ist es nur konsequent, dass das Hauptanliegen von Sufanieh dem Einsatz für die Einheit der Kirche gilt. Die Vielzahl der christlichen Bekenntnisse vor Ort, die unter anderem deshalb entstanden, weil nach der Islamisierung keine Zentralkirche einigend wirkte, verleihen dem Ruf nach Einheit seine eigene Brisanz. Auch über den Vorderen Orient hinaus wird immer offenkundiger, dass das Zeugnis für Christus in der Welt nur in dem Maß an Kraft gewinnt, wie die Christenheit geeint ist.

Dem Anliegen der Einheit der Kirche darf sich kein Getaufter entziehen. Aufschlussreich sind einige Worte aus Sufanieh. Christus spricht: „Geh und verkünde in aller Welt. Und sag ohne Furcht, dass sie für die Einheit arbeiten sollen“. Worte der Gottesmutter: „Gründet eine Kirche. Ich habe nicht gesagt: Baut eine Kirche. Die Kirche, die Jesus adoptiert hat, ist eine Kirche, denn Jesus ist Einer. Die Kirche ist das Himmelreich auf Erden. Wer sie spaltet, sündigt. Und wer sich über ihre Spaltung freut, sündigt. Jesus hat sie gebaut. Sie war klein. Und als sie groß wurde, hat sie sich gespalten. Wer sie spaltet, in dem ist keine Liebe. Versammelt.“ – „Ihr werdet die Generationen das Wort der Einheit, der Liebe und des Glaubens lehren.“

Die Fahrerin Myrna, die uns so fröhlich durch Damaskus chauffiert, heißt mit ganzem Namen Myrna Koubet al-Akhras und ist die Seherin von Sufanieh. Sie ist griechisch-katholisch, ihr Mann Nicolas gehört der griechisch-orthodoxen Kirche an. Die Botschaften treffen ihre konkrete Lebenssituation. Beide nehmen die Arbeit für die Einheit sehr ernst. Jeden Abend versammeln sich in ihrem Haus seit Jahren Christen unterschiedlichster Kirchen und Konfessionen, um für die Einheit zu beten und sie zu leben. Auch das ist eine Botschaft für die ganze Welt. Übrigens: Das Gnadenbild ist eine Kopie der russischen Marienikone von Kazan, dessen Original am 28. August 2004 von Walter Kardinal Kasper dem russischen Patriarchen Alexej II. in Moskau überreicht worden ist. „Einigt euch weiter!“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
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Theologie von Kardinal Scheffczyk wird die Zeiten überdauern!

Mit einer eindrucksvollen Predigt hat Joachim Kardinal Meisner, der Erzbischof von Köln, das Leben und gewaltige Schaffenswerk des vor kurzem verstorbenen Leo Kardinal Scheffczyk gewürdigt. Das Pontifikalrequiem fand am 15. Dezember 2005 in der Pfarrkirche St. Gallus in Bregenz statt, da Kardinal Scheffczyk in enger Verbindung mit der geistlichen Familie „Das Werk“ stand und auf ihrem Friedhof im Kloster Thalbach beigesetzt wurde. Nachfolgend die Ansprache im Wortlaut.

Von Joachim Kardinal Meisner, Köln

Christusgeheimnis in marianischem Rahmen

Der Sterbetag ist oftmals wie ein Ausrufezeichen, das auf das Lebenswerk des Heimgerufenen aufmerksam machen will. So starb etwa der große Benediktinertheologe Odo Casel, der sein theologisches Werk dem Ostermysterium gewidmet hatte, während der Feier der heiligen Osternacht. Unser lieber verstorbener Kardinal Leo Scheffczyk wurde am 8. Dezember, dem Hochfest der unbefleckt empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, heimgerufen. Dieser Sterbetag ist ebenfalls ein großes Ausrufezeichen, das auf den Inhalt dieses gesegneten Lebens von Kardinal Scheffczyk hinweist.

Vom Johannesevangelium sagt man, dass es einen marianischen Rahmen hat. Maria tritt nur zweimal im Johannesevangelium auf, und zwar am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu und am Ende seines irdischen Lebens. Die Mitte ist ganz geprägt vom Christusgeheimnis. So steht Maria am Anfang inmitten des Hochzeitssaales von Kana in Galiläa und wirkt mit, als der Herr aus dem Wasser den Wein werden lässt. Am Ende seines irdischen Lebens steht Maria unter dem Kreuz von Golgotha und wird zur Zeugin, wie aus seiner geöffneten Seite Wasser und Blut herausströmen, das Wasser der Taufe und das Blut der Eucharistie. Vielleicht ist gerade wegen dieses marianischen Rahmens das Christusmysterium im Johannesevangelium so tief erkannt und beschrieben.

Das Leben unseres heimgerufenen Kardinals hatte ebenfalls einen solchen marianischen Rahmen. Von frühester Kindheit an haben seine Eltern das sensible und geistig wache Kind in das kirchliche Leben des oberschlesischen Landes hineingeführt, das tief marianisch geprägt war. Die marianischen Wallfahrtsorte, die berühmten Marienbilder in den Pfarr- und Klosterkirchen, die unzähligen Marienbildstöcke der oberschlesischen Landschaft und die unsterblichen schlesischen Marienlieder haben die Seele des Kindes tief geprägt und sie damit geöffnet für das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und sein gottmenschliches Wirken.

Maria ist nicht das Wort, das Fleisch geworden ist, nein, das ist – außer Konkurrenz – ihr Sohn Jesus Christus. Aber sie ist das Vorwort, das zum Hauptwort hinführt. Und weil Kardinal Scheffczyk als Kind schon mit allen wachen Sinnen seines Lebens das Vorwort zur Kenntnis nehmen und verstehen lernen konnte, war er dann später als Priester und Theologe so – im wahrsten Sinne des Wortes – präpariert für das Hören und das Erkennen des Wortes, das aus Maria Fleisch geworden ist und das schon im Anfang bei Gott war, ja das Gott selbst war.

Theologie aus der Anbetung

Kardinal Scheffczyk war ein großer Theologe, der Theologie nicht nur als Rede über Gott, sondern in besonderer Weise als Rede vor Gott verstanden hat. Deswegen weht zwischen den Zeilen seiner theologischen Werke der Geist der Ehrfurcht, des Staunens, der Bewunderung und der Anbetung. Seine theologischen Arbeiten kommen aus einem Geist, der ganz diesem Worte Gottes verpflichtet ist, der nicht darauf schaut, ob er ankommt oder Schlagzeilen macht. Politische oder gesellschaftliche Rücksichtnahmen haben nie sein theologisches Arbeiten bestimmt, sondern die Ehrfurcht vor dem Geheimnis Gottes, das er den Menschen zu vermitteln suchte. Das Evangelium selbst war ihm Maßstab für sein Denken, Lehren, Schreiben und Handeln. Darum sind seine theologischen Werke geprägt von Glaubensreinheit und Glaubenstiefe, die das Herz des Studenten und Lesers zutiefst berühren.

Der Glaubensgehorsam gegenüber dem sich offenbarenden Gott war ihm wichtiger als menschlicher Beifall. Und deshalb fand und findet seine Theologie so viel Zustimmung und wird – davon bin ich zutiefst überzeugt – die Zeiten überdauern. Die Aufgabe des Theologen, die Offenbarung in den Verstehenshorizont der Menschen einer Zeit zu übersetzen, ist in der theologischen Werkstatt von Leo Scheffczyk nie auf Kosten der Wahrheit geschehen, auch dort nicht, wo sie dem Zeitgeist widersprach. Darum war und ist sie so überzeugend und anziehend.

Pädagogik der Heiligkeit

Papst Johannes Paul II. sagte in seinem Apostolischen Schreiben „Novo millennio ineunte“ nach der Feier der Jahrtausendwende, dass es die Aufgabe der Christen in der Zukunft sein werde, eine Pädagogik der Heiligkeit zu entwickeln. Ich bin der Meinung, dass die theologische Arbeit von Leo Kardinal Scheffczyk eine einzige Pädagogik christlicher Heiligkeit darstellt. Sie inspiriert den Gläubigen, der seiner Theologie begegnet, gottfähig und gottähnlich zu werden. Sein theologisches Werk ist eine einzige Einladung in das marianische Wort bei der Hochzeit zu Kana: „Was er (der Herr) euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5). Und der Theologe Scheffczyk nimmt gleichsam in dieser Szene die Rolle des Speisemeisters ein, der die Qualität des in Wein verwandelten Wassers gültig definiert: „Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten“ (Joh 2,10). Leo Kardinal Scheffczyk hat den guten Wein theologischer Lehre allezeit ausgeschenkt.

Nicht nur im theologischen Hörsaal und nicht nur am Studiertisch diente Kardinal Scheffczyk den Menschen, sondern er war ein gesuchter und geschätzter Prediger und Zelebrant bei Gottesdiensten, kirchlichen Kongressen, geistlichen Übungen und Einkehrtagen. Er verstand es, den Menschen Geschmack an Gott zu vermitteln, und er wusste, dass dieser Gott immer nach mehr schmeckt und die Menschen darum alle Appetitlosigkeit und Geschmacklosigkeit an Gott und seiner Kirche verlieren werden. Er stellte sich dabei immer ganz zurück, um ganz dem Wort Raum zu geben, was zu verkündigen ihm aufgetragen war.

Freimütiges Zeugnis des Kardinals

Deshalb freuten sich so viele Menschen mit, als ihn Papst Johannes Paul II. im Jahre 2001 in das Kardinalskollegium berief. Er war damals schon über 80 Jahre alt. Er sah darin nicht nur eine Ehrung der Kirche für sein gesegnetes theologisches Werk, sondern auch einen Auftrag, für Christus und seine Kirche Zeugnis vor aller Welt abzulegen. Darum meldete sich der zurückhaltende Theologe plötzlich als Kardinal öfters zu Wort, wo es darum ging, Klärung und Orientierung in Situationen der Verwirrung und des Irrtums zu geben. Papst Benedikt XVI. sagte mir erst vor kurzem, von den spät berufenen Theologen ins Kardinalskollegium sei Leo Scheffczyk einer der wenigen gewesen, von denen die Kirche noch viel Erleuchtung und Ermutigung erhalten habe.

Nun schließt sich der marianische Rahmen seines Lebens, indem die göttliche Vorsehung den 8. Dezember, den großen marianischen Festtag, zu seinem Sterbetag bestimmt hat. Maria führte die Menschen immer zu den Quellen ihres Lebens. Am Anfang – bei der Hochzeit zu Kana – an die von Christus, ihrem Sohn, gefüllten Weinkrüge, und unter dem Kreuz an das geöffnete Herz Jesu, aus dem das Wasser und das Blut der Sakramente fließen.

Leo Scheffczyk hat in der treuen Nachfolge Mariens die Menschen an die Quellen des Glaubens zu Christus geführt. Nun hat ihn Maria gleichsam selbst heimgeleitet zu diesen Quellen des Lebens. Einige Tage vor seinem Sterben sagte er noch, dass er jetzt ganz arm sei. Was er besessen hat, habe er verschenkt, die Gesundheit sei ihm genommen, nun habe er nur noch Jesus Christus. Und das machte seinen ganzen Reichtum aus, der sein Herz erfüllt. Wir glauben und hoffen, dass er nun das schaut, besitzt und genießen darf, was er in der Schule Mariens erhofft, geglaubt und ersehnt hat.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
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Benedikt XVI.: Sorge um den Glauben

Weihbischof Dr. Andreas Laun ist überzeugt, dass die Worte, die Papst Benedikt XVI. kürzlich an die österreichischen Bischöfe gerichtet hat, für die Kirche in ganz Europa Aktualität und Gültigkeit besitzen. Laun versucht, die Ansprache ernst zu nehmen und sich ehrlich mit den Aussagen des Papstes auseinanderzusetzen. Umso deutlicher wird spürbar: Der Heilige Vater möchte den Bischöfen und Priestern Mut machen und sie zu eifriger pastoraler Arbeit anregen. Doch wie kann die Weitergabe des Glaubens heute noch gelingen? Die Antwort des Papstes lautet: Glaubensunterweisung wird auf Dauer nur fruchtbar sein, wenn der vollständige Glaube bezeugt wird.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Sorgen eines liebenden Vaters

Vor kurzem erst waren die österreichischen Bischöfe in Rom zu ihrem „Ad-limina“ im Vatikan. Zumindest ein Höhepunkt war der offizielle Besuch bei Papst Benedikt XVI. Aus seiner Ansprache an die Bischöfe könnte man einen Exerzitien-Kurs machen. Ins Zentrum seiner Worte stellte der Papst den Glauben und die Sorge um ihn. Sie waren ermutigend, aber enthielten auch Mahnungen, die Kritik aufweisen. Voll Häme sprachen manche Journalisten von einer „Kopfwäsche für die Bischöfe“. Hat der Papst den Bischöfen „den Kopf gewaschen“? Nein, das hat er nicht, aber Kritik geübt, das hat er! Allerdings wie ein Vater, wie einer, der seine Familie liebt, ihre Sorgen teilt, das Gute zuerst mit Freude anerkennt, bevor er schweren Herzens auch das Schlechte beim Namen nennt. Aber auch das nur, um Mut zu machen, nicht zu beschämen. Wer die Worte des Papstes auf Kritik reduziert, verdreht sie ebenso wie die Schönschreiber, die, im Namen der Bischöfe gekränkt, aus ihnen nur Lob herauslesen wollen.

„Globalisierte Wunden“ der Kirche in Europa

Über das Lob dürfen sich die Bischöfe, und nicht nur sie, freuen, denn „Kirche sind wir alle“. Aber ebenso sollen die Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Volk Gottes hinhören auf das, was der Papst kritisch vermerkte. Auch die Nicht-Österreicher der benachbarten Länder haben allen Grund zuzuhören, denn die österreichischen Wunden der Kirche sind „globalisierte Wunden“, zumindest in ganz Europa. – Was hat nun Papst Benedikt XVI. gesagt, welche Punkte hat er genannt, worauf wollte er die Aufmerksamkeit der Bischöfe lenken?

Papst Benedikt XVI. verlangte von den Bischöfen, der Realität mutig ins Auge zu schauen und „die Dinge in aller Sachlichkeit und ohne Schönfärberei beim Namen zu nennen.“ Das tut auch er selbst: „Schmerzliche Tatsachen liegen da offen zutage: Der für Europa zur Zeit immer noch signifikante Säkularisierungsprozess hat auch an den Toren des katholischen Österreich nicht haltgemacht. Die Identifikation mit der Lehre der Kirche schwindet bei vielen Gläubigen und damit löst sich das Glaubenswissen auf und die Ehrfurcht vor den Geboten Gottes nimmt ab.“ Als erstes Mittel gegen diese schlechte Entwicklung bedürfe es des „klaren, mutigen und begeisterten Bekenntnisses des Glaubens an Jesus Christus“, aber auch „vieler kleiner und großer missionarischen Maßnahmen“, um eine „Trendwende“ herbeizuführen.

„Macht Euch keine Illusionen!“

Die größte Sorge macht dem Heiligen Vater offenbar der Glaube, und ihn zu verkünden, erinnert der Papst, ist eine der „ersten Pflichten des Bischofs“. Natürlich, die Bischöfe müssen klug sein, aber „solche Umsicht darf uns nicht daran hindern, Gottes Wort in aller Klarheit darzulegen.“ Dafür bedarf es freilich großen bischöflichen Mutes, denn sie müssen auch jene Punkte lehren, „die man meist weniger gern hört oder die mit Sicherheit Reaktionen des Protestes, mitunter auch Spott und Hohn hervorrufen.“

Dann legt der Papst den Finger auf Wunden der österreichischen Kirche, die er, wie man weiß, auch abgesehen von den offiziellen Informationen sehr gut kennt. Am besten, man liest den ganzen Abschnitt des Textes, den man den „kritischen“ nennen könnte:

„Es gibt Themen - im Bereich der Glaubenswahrheit und vor allem im Bereich der Sittenlehre –, die in Euren Diözesen in Katechese und Verkündigung nicht ausreichend präsent sind, die manchmal, zum Beispiel in der pfarrlichen oder verbandlichen Jugendpastoral, gar nicht oder nicht eindeutig im Sinn der Kirche zur Sprache kommen. Das ist Gott sei Dank nicht überall der Fall. Aber vielleicht fürchten die mit der Verkündigung Beauftragten hier und da, die Menschen könnten sich abwenden, wenn klar gesprochen wird. Dabei lehrt die Erfahrung beinah überall, dass genau das Gegenteil wahr ist. Macht Euch keine Illusionen. Eine katholische Glaubensunterweisung, die verstümmelt angeboten wird, ist ein Widerspruch in sich und kann auf die Dauer nicht fruchtbar sein. Die Verkündigung des Reiches Gottes geht immer Hand in Hand mit der Forderung nach Umkehr und ebenso mit der Liebe, die Mut macht, die den Weg weist, die begreifen lehrt, dass mit Gottes Gnade auch das scheinbar Unmögliche möglich ist.“

Unverkürzter Glaube der Kirche verlangt Mut

Dann wird Papst Benedikt XVI. noch konkreter: „Überlegt, in welcher Form nach und nach der Religionsunterricht, die Katechese auf den verschiedenen Ebenen und die Predigt in dieser Hinsicht verbessert, vertieft und sozusagen vervollständigt werden können. Nützt dabei bitte mit allem Eifer das Kompendium und den Katechismus der Katholischen Kirche selbst. Sorgt dafür, dass alle Priester und Katecheten dieses Werkzeug verwenden, dass es in den Pfarren, Verbänden und Bewegungen erklärt, in Glaubensrunden besprochen und in den Familien als wichtige Lektüre zur Hand genommen wird. Gebt in den Ungewissheiten dieser Zeit und Gesellschaft den Menschen die Gewissheit des unverkürzten Glaubens der Kirche.“ Der Papst weiß, dass derjenige, der den ganzen Glauben verkündet, mit Spott und Ausgrenzung – Mobbing und Ausgrenzung auch innerhalb der Kirche! – zu rechnen hat, und er weiß um die Versuchung, Menschen durch Verkürzung der Botschaft in der Kirche halten zu wollen. Beiden Ängsten gegenüber will der Papst ermutigen.

Welche Glaubensinhalte meint der Papst?

Der Kern der päpstlichen Kritik besteht in der Feststellung, dass manche Inhalte des Glaubens, besonders solche der Moral, nur verkürzt, verstümmelt oder gar nicht verkündet werden – in den Pfarreien, in der Jugendarbeit und sogar im Religionsunterricht. An welche Glaubens-Inhalte denkt der Papst bei dieser Mahnung?

In einer Hinsicht könnte man antworten: An alle, denn der allgegenwärtige Relativismus stellt prinzipiell jede Glaubens-Wahrheit in Frage. Längst ist üblich geworden, denjenigen, der von allgemein-gültiger Wahrheit oder Gehorsam gegenüber ihr spricht, der Intoleranz, der Anmaßung oder der Dummheit zu verdächtigen und des gefährlichen Fundamentalismus anzuklagen. Theoretisch stellt der Relativismus jede Wahrheit in Frage, praktisch aber greift er vor allem jene dogmatischen Wahrheiten an, die eine besondere und wirkliche „Nähe“ Gottes bezeugen, und jene moralischen, die das praktische Leben in irgendeiner Weise stören.

1. Verflüchtigung dogmatischer Glaubenswahrheiten

Kernbotschaft des Christentums ist die Menschwerdung. Der christliche Glaube sagt nicht: Es gibt ein „höheres Wesen“, eine „Kraft“, ein „göttliches Wesen“, das „oben“ im Himmel ist, uns Gebote auferlegt und uns, je nach Gehorsam, belohnt und bestraft, spätestens nach dem Tod. Der christliche Glaube sagt vielmehr: Gott ist „oben“, aber Er ist „nach unten“ gekommen, in einer Jungfrau Embryo und Fötus geworden, als Mensch zur Welt gekommen; und all das, ohne aufzuhören, Gott zu sein. Auf der Erde ist Er „für uns“ gestorben, dann „auferstanden“ – ein Wort, das auch die Apostel am Anfang nicht verstanden. Gastspiel Gottes auf Erden? Nein, Er bleibt – Er selbst, nicht eine bloße Erinnerung an Ihn, in den Sakramenten, vor allem in der Eucharistie bis ans Ende der Welt. Und auch dann geht die Welt nicht „unter“, sondern eigentlich „auf“. Das beginnt mit Seiner Wiederkunft, geht weiter mit Seiner erlösenden, heiß ersehnten Gerechtigkeit und mündet ein in das nie endende ewige Leben… 

Solche „Nähe Gottes“ war sogar den Juden zuviel, obwohl doch die Urbotschaft des Alten Testamentes sagt: Gott ist der „Jahwe“, der, der bei Seinen geliebten Menschen „da“ ist, der Gott, der den Bund mit Seinem Volk durch dessen Untreue hindurch hält, erneuert, wieder erneuert und bei jeder Erneuerung noch mehr gibt als schon bis dahin. Dass Gott Seine Nähe bis zur Menschwerdung steigern könnte, damit haben die Juden nicht gerechnet – „Nähe, wie sie größer nicht gedacht werden kann“, könnte man in Erinnerung an Anselms „Gottesbeweis“ sagen. – Wie soll dann erst der „moderne“ Mensch solche Botschaft ertragen? Wie soll er es annehmen, wenn die Kirche in „Dominus Jesus“ wieder und wieder betont: Es ist „fest zu glauben, dass ... “, was man auch übersetzen könnte mit: „Es ist wirklich, ganz wirklich wahr, genau ,das‘ glauben wir, das, was dir als Absurdität und Mythologie vorkommt, als Torheit und Ärgernis.“ Beispiele für dieses Nichtertragen Seiner Nähe gibt es viele: Weil man die „wirkliche Wirklichkeit“ der katholischen Wahrheiten nicht erträgt,

• redet man beflissentlich vom „heiligen Brot“ (kaum mehr vom „Leib des Herrn“);

• will man Ökumene nur noch als Einheit im gegenseitigen Respekt (und nicht mehr als Einheit in der Wahrheit);

• führt man Gespräche mit anderen Religionen und möchte, dass Jesus Christus entweder nur „Mensch unter Menschen“ ist oder „Gottes Sohn unter anderen Gottes Söhnen“ – aber nicht länger stört mit seinem Anspruch, das fleischgewordene Wort Gottes zu sein; wirklich Gott, so, dass der Christ „fest zu glauben“ hat, dass Er das ist, wirklich;

• führt man „Dialog“ und hält im Gegensatz dazu Mission für eine Überfremdung einer doch „gleichwertigen Kultur“. Mission könne nur derjenige wollen, der seine „persönlichen Überzeugungen“ absolut setzt;

• redet man von bestimmten anstößigen Themen wie Engel, Fegefeuer oder gar Hölle nicht mehr oder erwähnt sie nur in jenem mitleidig-belustigten Tonfall, wie man von Kindermärchen redet.

Wenn man mehr wissen will, braucht man nur die „Vernachlässigung des Glaubens“ in heutigen Religionsbüchern anzuschauen, wie sie François Reckinger zusammengetragen hat (Stein am Rhein 1990), um viele, viele andere Beispiele zu entdecken. Tatsächlich, viele Glaubens-Themen kommen im Leben der Gemeinden und auch im Religionsunterricht nicht oder nur entstellt und verkürzt vor. Das führt, wie mir neulich eine Frau sagte, dazu, dass Katholiken sich in der eigenen Pfarre fremd fühlen, weil Pfarrer und Assistenten „eine andere Sprache“ sprechen, die Sprache eines „anderen Glaubens“.

2. Fehlende oder verstümmelte moralische Wahrheiten

Vor allem im Bereich der Sittenlehre, sagt der Papst, gibt es Themen, die in der Katechese und Verkündigung „nicht ausreichend präsent“ sind.

Selbstverständlich zerstört der Relativismus theoretisch in der Moral ebenso wie in der Dogmatik jedweden Anspruch auf Gültigkeit. Man könnte das berühmte Wort Dostojewskis über den Atheismus abwandeln und sagen: „Wenn der Relativismus gilt, ist alles erlaubt.“ Aber im Unterschied zum Credo sind die moralischen Gebote dem Menschen „ins Herz geschrieben“, er kann sie lesen auch ohne Glauben und er braucht und versteht zumindest die elementaren Gebote, weil er ihrer zum Überleben bedarf.

Dennoch werden einige Gebote Gottes vom Zeitgeist verhöhnt und bestritten. Es sind jene, die das „moderne“ Leben (war es „früher“ wirklich anders?) stören; und als störend empfunden werden v. a. das 6. Gebot und, je weiter der Abfall von Gott geht, mehr und mehr auch das Tötungsverbot.

Welche Themen hat der Papst konkret gemeint? Sicher die „Reizthemen“: die Verhütung, den vorehelichen Verkehr, homosexuelle Handlungen und natürlich Abtreibung. In diesen Fragen denken viele Katholiken „anders“: sei es, dass sie die entsprechende Lehre der Kirche ganz ablehnen (die genannten Themen der Sexualmoral), sei es, dass sie aus dem unbedingten „Nein“ zur Abtreibung ein abschwächendes „Nein, aber“ machen.

Zur Verhütung hatte bereits Papst Johannes Paul II. 1987 den österreichischen Bischöfen gegenüber zwar Verständnis für eine „gewisse Ratlosigkeit“ „im ersten Augenblick nach der Veröffentlichung der Enzyklika“ gezeigt, dann aber gesagt: „An der Gültigkeit“ der Lehre von „Humanae vitae“ „darf kein Zweifel gelassen werden.“ Der Gedankengang des Papstes ließ schon damals klar erkennen, was er wollte: eine Revision der „Maria Troster Erklärung“ (1968; die Erklärung entspricht der „Königsteiner Erklärung“ in Deutschland) und in Folge dessen eine Ehepastoral, die wieder ohne Kompromisse auf der Lehre der Kirche aufbaut.

Papst Benedikt XVI. weiß das natürlich, aber er weiß auch, dass sich trotz der Mahnung seines Vorgängers seit der „Maria Troster Erklärung“ nicht viel geändert hat.

Was sogar die Kernschichten der Kirche Österreichs nicht nur über Verhütung, sondern auch über vorehelichen Verkehr und Homosexualität denken, hat vor wenigen Jahren der sog. „Dialog für Österreich“ gezeigt: Geplant war diese Tagung, zu der das ganze katholische Österreich zusammenkam, als Antwort der Bischöfe auf das sog. „Kirchenvolksbegehren“. Was aber die genannten Lehren zur Sexualmoral betrifft, half die Versammlung nicht den Bischöfen, sondern bestätigte, was das „Kirchenvolksbegehren“ gefordert hatte. Die Kirche, so ein Arbeitspapier, das mit deutlicher Mehrheit verabschiedet wurde, solle bezüglich der drei genannten Themen endlich umdenken. Was die Ideologie zur Homosexualität betrifft, weiß man, dass sie bereits auf mehreren diözesanen Homepages aufgetaucht ist; ihre „Löschung“ hat sich so schwierig erwiesen wie diejenige bestimmter Computerviren.

Zu den moralischen Themen, die „nicht oder nicht eindeutig genug“ in kirchlichen Kreisen „präsent“ sind, gehört sogar die Abtreibung. Grundsätzlich lehnen sie die Katholiken noch immer in großer Einmütigkeit ab, aber bei vielen ist das Nein zur Abtreibung „schwach“ geworden: Sie legen größten Wert darauf, die „Entscheidung der Frau zu respektieren“ (während sie die Entscheidung eines Diebes niemals achten würden!); sie sind für die Straflosigkeit der Abtreibung; über die Frage, ob nicht das eine oder andere „Verhütungsmittel“ in Wirklichkeit eine Frühabtreibung bewirkt und deswegen bedingungslos abgelehnt werden müsste, wird nicht gesprochen, obwohl Papst Johannes Paul II. auf diesen Gesichtspunkt schon 1987 gegenüber den österreichischen Bischöfen hingewiesen hatte.

Papst Benedikt XVI. hat keines dieser Themen ausdrücklich beim Namen genannt. Er setzt voraus, dass die Bischöfe ohnehin wissen, was er meint. Aber ausdrücklich fordert er die Bischöfe auf, die Defizite in der moralischen Unterweisung wahrzunehmen und an der „Trendwende“ in der Katechese zu arbeiten. Der Papst weiß, dass sie dabei viel Klugheit, vor allem aber auch Mut, Mut und wieder Mut brauchen. Allein können die Bischöfe es nicht, „von heute auf morgen“ schon gar nicht, die „Trendwende“ kann nur mit viel Geduld gelingen.

Grundstruktur der erwarteten Trendwende

Die Grundstruktur der geforderten Wende lässt sich bereits in der Bibel nachlesen. Sie besteht aus drei Schritten:

• Zunächst muss man „der Realität ins Auge sehen“ (Papst Benedikt XVI.). Dazu gehört die Erkenntnis: Die Missachtung der Gebote Gottes bringt Unheil, auch wenn sie auf einem irrigen Gewissen beruht. Wie es in der Schrift heißt: „Der Zorn des Herrn muss heftig gegen uns entbrannt sein, weil unsere Väter auf die Worte dieses Buches nicht gehört und weil sie nicht getan haben, was in ihm niedergeschrieben ist“ (2 Kön 22,13). Veraltete Sprache? Wäre es falsch, etwa hinter der demographischen Katastrophe das zu sehen, was die Bibel den „Zorn des Herrn“ wegen Missachtung Seiner Gesetze nennt?

• Um zu sehen, wie man den „Zorn des Herrn“ besänftigen (und die „Wende“ herbeiführen) kann, muss man nur weiterlesen: „Der König ließ alle Ältesten Judas und Jerusalems bei sich zusammenkommen. Er ging zum Haus des Herrn hinauf mit allen Männern Judas und allen Einwohnern Jerusalems, den Priestern und Propheten und allem Volk, jung und alt. Er ließ ihnen alle Worte des Bundesbuches vorlesen, das im Haus des Herrn gefunden worden war. Dann trat der König an die Säule und schloss vor dem Herrn diesen Bund: Er wolle dem Herrn folgen, auf seine Gebote, Satzungen und Gesetze von ganzem Herzen und ganzer Seele achten und die Vorschriften des Bundes einhalten, die in diesem Buch niedergeschrieben sind“ (2 Kön 23,1f). Und: „Das ganze Volk trat dem Bund bei“ (2 Kön 23,3).

• Dann ist Zeit zu einem Fest! Nachdem die Juden nach ihrer Rückkehr aus dem Exil im Gesetz neu unterwiesen worden waren, waren sie tief bewegt. Da sagten die Lehrer des Volkes: „Heute ist ein heiliger Tag zu Ehren des Herrn, eures Gottes. Seid nicht traurig, und weint nicht! Alle Leute weinten nämlich, als sie die Worte des Gesetzes hörten. Dann sagte Esra zu ihnen: Nun geht, haltet ein festliches Mahl, und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke. … Da gingen alle Leute nach Hause, um zu essen und zu trinken und auch andern davon zu geben und um ein großes Freudenfest zu begehen; denn sie hatten die Worte verstanden, die man ihnen verkündet hatte“ (Nehemiah 8,9-12).

Unmöglich? Der Papst sagt: Die Liebe lehrt, „dass mit Gottes Gnade auch das scheinbar Unmögliche möglich ist.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„Er liebte die Kirche“

„Ich erlebe es“, schrieb mir eine junge Konvertitin , „in meiner Umgebung so, dass eigentlich alle Katholiken in erster Linie Christen sind und es ihnen gar nicht wichtig ist, auch katholisch zu sein.

Manche könnten genauso gut evangelisch sein. Wenn es um Themen wie vorehelichen Geschlechtsverkehr, Selbstbefriedigung, Empfängnisverhütung, aber auch Sonntagspflicht oder Bußsakrament geht, sagen sie, man dürfe das nicht so eng sehen und GOTT sehe es auf jeden Fall anders …

Was soll ich, gerade erst katholisch geworden, dazu sagen? Manchmal komme ich mir ziemlich hilflos vor. Es scheint diese Leute nicht wirklich zu interessieren, was die katholische Kirche lehrt. Sie meinen, darauf komme es nicht an und man brauche das Lehramt heute nicht mehr…“ Leider hat sie recht, dermaßen laue und vom Glauben teil-abgefallene Katholiken gibt es, nicht nur unter den Laien und nicht nur als „Ausnahmen“.

Aber ich kann auch eine andere Erfahrung nennen: Eine Studentin aus der ehemaligen DDR, atheistisch aufgewachsen, wurde katholisch. Anstoß dazu war: „Dann habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Katholiken getroffen, der sich nicht dafür entschuldigt hat, katholisch zu sein! In allen Streitfragen stand er voll hinter der Kirche. Wenn mein Bekannter von seinem Glauben sprach, haben seine Augen geleuchtet, und man merkte, er liebt die Kirche.“ (Weihbischof Andreas Laun)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
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Papst Benedikt XVI. als Religionslehrer

Am 15. Oktober übernahm Papst Benedikt XVI. die Rolle eines begeisterten Religionslehrers und erteilte mehr als 150.000 italienischen Schulkindern bei einer Begegnung auf dem Petersplatz Kommunionunterricht.

Es gab keine vorbereiteten Texte, nur spontane, einfache Fragen, die die Kinder dem Heiligen Vater stellten. Mit derselben Einfachheit und Spontaneität gab der Papst Antwort, sprach über das Mysterium der Gegenwart Jesu in der hl. Kommunion, die Bedeutung des sonntäglichen Gottesdienstbesuchs und erklärte den Begriff „eucharistische Anbetung“.

 „An jenem Tag vor 69 Jahren“, so erzählte der Papst von seiner eigenen ersten heiligen Kommunion, „ist Jesus zu mir gekommen. Und ich habe verstanden, dass nun ein neuer Abschnitt meines Lebens beginnen würde – ich war neun Jahre alt – und dass es nun wichtig sei, dieser Begegnung, dieser Gemeinschaft treu zu bleiben.“

Zu Beginn der Veranstaltung fuhr Papst Benedikt XVI. im offenen Wagen über den farbenprächtigen Petersplatz und wurde von den jubelnden Kindern mit Tücher-Schwenken und lautstarkem Applaus begrüßt. Mit großer Aufmerksamkeit und einem liebevollen Lächeln verfolgte er die Grußworte eines Schülers, die dieser im Namen aller anwesenden Kinder an ihn richtete. Der zehnjährige Emanuele schilderte u.a. seine Gedanken über die Begegnung mit Jesus bei der Erstkommunion. Abschließend umarmte der Junge den Papst mit den Worten: „Wir haben dich lieb.“ (Erich Maria Fink)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
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Maria sehen – mit den Augen Gottes

Das Geheimnis Mariens lässt sich nur von ihrer Mutterschaft her erschließen. Alle Gnadenvorzüge wie zum Beispiel ihre Unbefleckte Empfängnis wurden ihr im Blick auf diese Berufung gewährt. Dabei gehen die beiden Aufgaben der Gottesmutterschaft und der Mutterschaft für alle Menschen organisch ineinander über. Zum Hochfest der Gottesmutter am 1. Januar veröffentlichen wir eine Betrachtung von Professor Dr. René Laurentin, der die Mutterschaft Mariens als Teil der Selbstoffenbarung Gottes betrachtet. Das faszinierende Geheimnis der grenzenlosen Liebe Gottes lässt sich erahnen, wenn wir uns auf das Geheimnis des kleinen Mädchens aus Nazareth einlassen.

Von René Laurentin

Staunen als Zugang zur Wirklichkeit

Es gibt einen eigenartigen Kontrast zwischen den weltlichen Wissenschaftlern, die im Bereich der Naturwissenschaften zu den Geheimnissen unserer Welt vordringen wollen, und den Theologen, die die göttliche Offenbarung im gleichen Geist der Wissenschaft erforschen möchten. Die Naturwissenschaftler versuchen, den unglaublichen und faszinierenden Geheimnissen des Kosmos auf den Grund zu gehen. Die Geheimnisse der Wirklichkeit aber sprengen unsere menschlichen Begriffe. Ausdruck dafür ist beispielsweise die Relativitätstheorie, das Prinzip der Indetermination, die infinitesimale Welt, die ihren eigenen Raum schafft, ohne in einem eigenen Raum zu sein, der sie umfasst. Zusammen mit den Naturwissenschaftlern bleibt uns nur das Staunen, ohne jene schwindelerregende Gesamtheit des Kosmos adäquat begreifen zu können, in den wir eingefügt sind.

Kraft der Intuition und Poesie

Nun gibt es Theologen, die im Namen der Wissenschaftlichkeit alles von unten her, vom natürlichen Standpunkt aus erklären wollen. So versuchen sie, auch die biblische Offenbarung auf die kulturellen und heidnischen Vorgegebenheiten zurückzuführen. Dabei übersehen sie vollkommen, wie die inspirierte Schrift über diesen Hintergrund hinausgeht, und zwar nicht so sehr mit rationalen Begriffen, als vielmehr mit poetischen Symbolen, welche die Offenbarung vollenden. – Große Dichter wie Peguy, Claudel und Bernanos haben die tiefen Geheimnisse mit intuitiver und poetischer Kraft durchdrungen. Kann ein Theologe wirklich auf diesen Weg verzichten?

Gott ist die Liebe

Seit über einem halben Jahrhundert beschäftige ich mich mit der Frage nach Gott und der Stellung Mariens. Dabei gelangte ich von Wunder zu Wunder. Ich entdeckte die innere Logik und das übernatürliche Licht dieses Geheimnisses. Gott und die Jungfrau Maria lassen sich nicht trennen. Die Gottesmutter bildet einen wesentlichen Teil der Menschwerdung und der Erlösung. Ihre Stellung erschließt uns das höchste Geheimnis Gottes, das sich in dem kleinen Satz verdichtet, welcher gleichsam den Abschluss, das Ziel und die Erfüllung der gesamten Offenbarung darstellt: „Gott ist Liebe“. Gott ist einzig und allein „Liebe“. Die Überfülle seiner Liebe ist der einzige Beweggrund, warum er uns erschaffen hat. Was nun Maria betrifft, so ist sie in dieser Liebe die Erste. Sie ist der von Gott am meisten geliebte Mensch. Sie ist aber auch jene Person, die diese Liebe am vollkommensten erwidert hat – nach dem Abbild des Sohnes, der vom Vater alles empfängt und es ihm in ewiger, alles übersteigender Dankbarkeit vollkommen zurückgibt.

Maria, das kleine Mädchen

Maria ist ein ganz kleines Geschöpf, dieses einfache Mädchen aus dem unbedeutenden Nazareth in Galiläa (vgl. Joh 1,46). Sie, die an Geist und Kraft weit geringer war als die Engel, herrscht nun über sie als die „Königin der Engel“, als das Erste aller Geschöpfe. Dieses kleine Mädchen – die Königin der Engel! Denn nur die Liebe zählt. Als Theresia von Lisieux an der Schwelle ihrer großen Weihe stand, sagte sie: „Ich werde Liebe sein.“ Und Yvonne-Aimée de Malestroit, eine französische Mystikerin (1901-1951), fühlte sich so sehr mit jener Liebe gleichgestaltet, welche Gott in drei Personen ist, dass sie auf dem Gipfel ihrer mystischen Vereinigung mit Gott ausrief: „Meine Liebe ist das Wesen des Unendlichen selbst!“ Um wie viel mehr gelten solche Worte für die Gottesmutter. Allein auf die Jungrau Maria treffen sie im vollen Sinn des Wortes zu.

Die Größte und Schönste

Trotz ihrer Vollkommenheit blieb Maria das demütigste Geschöpf: „Sie ist die Größte, weil sie auch die Kleinste ist“, erklärte einmal Péguy. Im Magnifikat, dem wunderbaren Danklied für ihre Gnadenerwählung, bringt es Maria selbst zum Ausdruck: „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut…, denn der Mächtige hat Großes an mir getan..., er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (Lk 1,48a.49a.52), nämlich all die Demütigen, unter denen Maria die reinste Klarheit besitzt. Deswegen ist sie auch die Schönste unter den Geschöpfen: Alle, die sie gesehen haben, waren fasziniert. „Sie war so schön, dass man sterben möchte, um sie zu sehen“, sagte die hl. Bernadette von Lourdes. Und eine andere Seherin fragte sie einmal: „Wie kommt es, dass Ihr so schön seid?“ Da gab sie zur Antwort: „Weil ich liebe“.

Die Mutterliebe Mariens

Eine Mutter möchte, dass ihre Kinder ebenso schön sind wie sie, ja möglichst noch schöner. Dasselbe will auch Maria für uns. Sie hat den großen Wunsch, dass wir, ihre Kinder, schön werden durch die Liebe, und zwar durch die göttliche Liebe, durch die Liebe selbst, die etwas ganz anderes ist als das, was die Menschen damit bezeichnen. Denn das Wort „Ich liebe dich!“ bedeutet oft: „Ich will dich haben, besitzen, beherrschen.“ Es zeigt sich ein menschliches Verlangen, dass bis zur Vergewaltigung und zum Mord führen kann. In den Medien spiegelt sich diese Seite des Lebens durch eine unerschöpfliche Berichterstattung wider. Nach dem Willen Gottes und nach der eigentlichen Wahrheit über den Menschen aber besagt dieser Ausdruck: „Ich will, dass es dir gut geht, dass du glücklich bist. Ich will dir ganz und gar dienen. Ich gebe mein Leben für dich.“  Das ist der tiefe Wunsch, den gewöhnlicherweise gute Eltern für ihre Kinder empfinden.

Die drei göttlichen Personen

Gott hat ein Abbild seines Wesens in die menschliche Familie hineingelegt, um dadurch seine Liebe zu offenbaren. Die göttliche Liebe ist reines Geschenk. Die drei göttlichen Personen sind nichts anderes als vollkommenes gegenseitiges Sich-Schenken, ohne den Schatten eines Egoismus, Narzissmus oder Individualismus.

Die göttlichen Personen sind unser Vorbild. Sie sind die höchste Form des personalen Seins. Ihre unendliche Fülle verdanken sie dem gegenseitigen Sich-Verschenken. Sie sind keine „Individualisten“, wie Thomas von Aquin sagt, sondern reine „Altruisten“. Und wir alle sind berufen, in die Fülle der Liebe Gottes einzutreten, was nichts anderes heißt, als zum wahren Glück zu gelangen. Maria tut alles, um uns zu diesem Leben der göttlichen Personen hinzuführen.

Das schönste Abbild der Liebe Gottes auf Erden ist die Liebe der Mütter zu ihren Kindern. Ihnen geben sie das Leben, wie der Vater sich dem Sohn schenkt, welcher auf ewig im Schoß des Vaters wohnt (vgl. Joh 1,18).

Verletzte Kinder brauchen mehr Liebe

Die Liebe der Eltern, die für ihre Kinder alles tun, ist reines Geschenk. So liebt auch Maria ihren Sohn Jesus. Nur ihn hat Maria leiblich geboren. Alle anderen Menschen haben sie als zweite Mutter. Wir sind gleichsam Adoptivkinder Mariens. Das heißt nicht, dass sie uns etwa weniger lieb hat. Adoptiveltern lieben ihre Adoptivkinder meist genauso wie ihre leiblichen Kinder. Man kann sogar sagen, dass sie sie in gewissem Sinn noch mehr lieben; denn oft handelt es sich um Kinder, die an Leib und an der Seele verletzt sind. Die Eltern, die diese unglücklichen Kinder aus ihrem Elend und Unglück herausgeholt haben, spüren, dass sie ihnen noch viel mehr Liebe schenken müssen, um ihre Verletzungen zu heilen. So handelt Maria auch an uns Menschen.

Nach dem Vorbild des himmlischen Vaters, der an einem Sünder, der Buße tut, mehr Freude hat als an den neunundneunzig Gerechten, die der Bekehrung nicht bedürfen (vgl. Lk 15,7), liebt Maria jeden von uns ebenso sehr wie ihren Sohn Jesus. Ihre Liebe zu uns kostet ihr gewissermaßen noch mehr Einsatz und Leiden. Sie muss so gesehen mehr Liebe aufbringen, um uns in unserer Widerspenstigkeit der Sünde zu entreißen.

Maria mit dem Blick Gottes sehen

Der makellose Ursprung Mariens schafft nicht einen Abstand zwischen ihr und uns, wie manche meinen, im Gegenteil, er ist das Fundament für Nähe und Einheit, die durch die Liebe geschaffen werden. Um dieser Liebe willen wurde Maria vor jedem Makel der Sünde bewahrt. Denn die Sünde ist Ausdruck des Egoismus, das heißt Einschränkung der Liebe. Damit aber Maria wahre Gottesmutter und Mutter der Menschen sein kann, hat Gott ihr Herz groß gemacht - nach dem Maß seines eigenen Herzens, das ohne Grenzen liebt. Wir können den Glanz dieser Liebe erst in Gott richtig verstehen, wenn wir einst in der ewigen Offenbarung angelangt und seiner Liebe gleichgestaltet sein werden. Es ist jene schwindelerregende Liebe, welche im Schmerz des Mitleidens geprüft worden ist und sich nur mit dem Blick und der Liebe Gottes erfassen lässt – jenseits dieser Welt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Meine Begegnungen mit Papst Benedikt XVI.

Der Passionistenpater Dr. Martin Bialas vom Kloster Schwarzenfeld hat vor über 30 Jahren beim damaligen Professor Joseph Ratzinger promoviert. Darüber hinaus hat er seine eigene Geschichte, die ihn eng mit Papst Benedikt XVI. verbindet. Nachfolgend gibt er uns einen Einblick in seine Erfahrungen – ein persönliches Zeugnis über unseren neuen Papst, von dem er tief geprägt wurde.

Von Martin Bialas C.P.

In den vergangenen 35 Jahren bin ich Benedikt XVI. oft begegnet: als Professor, als Bischof und Kardinal und nun als Papst. 1969 begann ich bei Professor Ratzinger zu promovieren. Zusammen mit Professor Johann Auer begleitete er meine Doktorarbeit. Er verhalf mir zur Wahl des Themas: „Das Leiden Christi beim hl. Paul vom Kreuz“, dem Gründer des Passionistenordens, dem ich angehöre.

Doktoranden-Kolloquium im „Paulusheim“

Zur Zeit meiner Promotion kamen viele Theologie-Studenten nach Regensburg, um den damals weit bekannten Professor Ratzinger zu hören. Da er ca. 25 Doktoranden zu betreuen hatte, musste er sich aus zeitlichen Gründen auf wenige persönliche Gespräche mit den Einzelnen beschränken. Er veranstaltete daher ein sog. „Doktoranden-Kolloquium“. Wir kamen 14-tägig im Regensburger Priesterseminar zu einer theologischen Disputation zusammen. Zunächst referierte jeweils einer der Doktoranden über den Stand seiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit. Darauf folgte eine eingehende Diskussion, an der sich Professor Ratzinger immer aktiv beteiligte. Einmal im Semester fand dieses Kolloquium im Studentenwohnheim unseres Ordens, dem „Paulusheim“ statt, das ich seit Beginn meiner Promotion leitete und heute immer noch leite. Ausschlaggebend dafür war die örtliche Nähe zu seinem Privathaus in Pentling. Den Weg von 600 Metern konnte er leicht zu Fuß zurücklegen. Dies war nicht unwichtig; denn Ratzinger hatte keinen Führerschein.

Hunderte von Begegnungen

Vor seiner Ernennung zum Bischof von München holte ich mir von ihm die Zusicherung ein, dass er für meine Doktorarbeit das Gutachten schreiben werde. Sein Versprechen löste er schließlich ein. Es war gewiss ungewöhnlich, dass Ratzinger als neuer Bischof von München seine erste heilige Messe in der Liebfrauenkirche nicht mit dem Domkapitel feierte, sondern mit seinen Doktoranden, die Priester waren. Auch ich habe damals mit zelebriert. Als Bischof von München kam Ratzinger regelmäßig drei- bis viermal im Jahr nach Pentling. Durchschnittlich waren es jährlich 25 bis 35 Tage. Da das kleine, unscheinbare Haus keine Privatkapelle besaß, zelebrierte der inzwischen zum Kardinal ernannte Bischof täglich die heilige Messe in der Pfarrkirche St. Josef zu Regensburg-Ziegetsdorf. Im Spätherbst 1977 bot ich ihm dafür die Hauskapelle unseres Studentenwohnheims an. Er ging auf  meinen Vorschlag gerne ein. Nach der hl. Messe blieb er jeweils zum Frühstück, was bis zum 7. Januar 2005 als feste Gewohnheit fortbestand. Dabei habe ich meistens mit dem Kardinal konzelebriert. Sehr oft ging er nach dem Frühstück zuerst auf den Friedhof der Pfarrkirche, wo sich das Grab seiner Eltern befindet, seit 1991 auch das seiner Schwester Maria. Diese hatte bis zu ihrem Tod immer an der hl. Messe und am Frühstück teilgenommen.

Seine Bescheidenheit und Demut

Bei diesen hunderten von Begegnungen in über 27 Jahren hatte ich reiche Gelegenheit, unseren Heiligen Vater kennen und schätzen zu lernen. An seiner Persönlichkeit fielen mir am meisten seine Bescheidenheit und seine vornehme Zurückhaltung auf. Schon als Professor war er zu uns Studenten sehr freundlich, ja zuvorkommend. Wir schätzten an ihm nicht nur seine scharfsinnigen und tiefgründigen Ausführungen der Theologie und seine bewundernswerte Gabe der Formulierung, sondern auch seine Freundlichkeit und menschliche Nähe. Es war für mich geradezu verletzend, als ihn die Medien in späteren Jahren häufig als stolz und unnahbar charakterisierten.

Seine Schlichtheit und Einfachheit kamen auch bei anderen Gelegenheiten zu Tage. Jahrzehnte lang fuhr er mit dem Stadtbus, wenn er etwas zu erledigen hatte. Er ließ es sich nicht nehmen, mir vor der heiligen Messe beim Anlegen der Albe und des Messgewands zu helfen. Zum Frühstück bevorzugte er eine frische Brezel, die er trocken, d.h. ohne Butter aß. Hinzu kam ein kleines Stück Kuchen. Das war sein ganzes Frühstück. Währenddessen führten wir jedes Mal eine angeregte und ungezwungene Unterhaltung. Ich vermied es bewusst, Probleme der Kirche ins Spiel zu bringen; denn als Präfekt der Glaubenskongregation war er damit ständig konfrontiert.

Entstehung des „Schülerkreises“

Nach seiner Ernennung zum Bischof von München konnte er die Doktoranden-Kolloquien nicht mehr fortsetzen. An ihrer Stelle begannen jedoch bald die Treffen des sog. „Schülerkreises“. Wir kamen einmal jährlich für jeweils zwei Tage zu einem theologischen Symposion zusammen. Meist wurden dazu ein oder zwei Referenten eingeladen wie z.B. Karl Rahner oder Wolfhart Pannenberg. Zunächst fanden diese Treffen an verschiedenen Orten statt. Seit etwa 15 Jahren wurden sie immer Ende August oder Anfang September im diözesanen Tagungshaus Spindlhof bei Regensburg durchgeführt. Während dieser Zeit nämlich hielt sich Kardinal Ratzinger zum Urlaub in seinem Privathaus in Pentling auf. Er verbrachte jeweils den Samstag mit uns, wobei wir den Tag immer mit einer Eucharistiefeier begannen, die er als Hauptzelebrant leitete. Dazu holte ich ihn in der Frühe von seinem Wohnhaus ab und brachte ihn nach dem Abendessen wieder nach Hause zurück.

Der Schülerkreis besteht nun aus etwa 40 Personen. Sicher haben bei Professor Ratzinger in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg noch viel mehr Studenten doktoriert oder habilitiert. Doch hat sich seit 25 Jahren diese Gruppe herausgebildet, die zu einem echten Freundeskreis zusammengewachsen ist. Etwa ein Drittel des Schülerkreises stammt aus dem Ausland, einige davon auch aus anderen Kontinenten, wie z.B. Afrika, USA, Südkorea, Syrien und Indien. Zu unserem Kreis gehören u.a. ein Kardinal und ein Weihbischof einer deutschen Diözese.

Wahl zum Papst völlig überraschend

An dem Tag, da weißer Rauch aus dem Kamin emporstieg und anzeigte, dass ein neuer Papst gewählt wurde, hielt ich gerade in unserem Haus in München für Ordensschwestern Exerzitien. Die Promulgation des neuen Papstes erlebte ich am Fernsehen mit. Als ich den Namen „Joseph Ratzinger“ hörte, war ich sehr betroffen, fast ein wenig traurig; denn mir war klar, dass der Kardinal nunmehr nicht mehr nach Pentling kommen würde. Für mich war die Wahl äußerst überraschend. Ich wusste, dass der Kardinal dieses Amt in keinster Weise angestrebt hatte. Im Gegenteil, er durchlitt einen inneren Kampf, bevor er zu dieser Wahl „Ja“ sagen konnte. Bei seiner ersten Audienz, die er am Tag nach seiner Amtseinführung für die deutschsprachigen Pilger gab, sprach er selbst darüber. Ich war persönlich anwesend und hatte das Glück, danach kurz mit ihm zu sprechen.

Castel Gandolfo 2005: „Christentum und Islam“

Die Treffen des „Schülerkreises“ mit ihrem Lehrer schienen beendet zu sein. Doch erhielten wir einige Wochen nach der Papstwahl die Nachricht, dass diese theologischen Treffen weitergeführt werden, und zwar in Castel Gandolfo. Hocherfreut erhielten wir schließlich die Einladung des Heiligen Vaters für den 1.-4. September 2005. Das Thema war: „Christentum und Islam“. Zwei Islam–Spezialisten hielten dazu jeweils einen längeren Vortrag. Danach folgte eine längere Diskussion. Es war erstaunlich, wie viel Zeit der Hl. Vater sich für dieses Treffen nahm. Bereits am Freitagnachmittag kam er zu uns ins „Centro Mariapoli“ der Fokolar-Bewegung, wo wir uns versammelt hatten. Der Heilige Vater war bei dem Vortrag und bei der Diskussion dabei. Das Gebäude grenzt direkt an die Gärten des Apostolischen Palastes, in den wir am Samstagvormittag eingeladen waren. Dort fand in einem größeren Sitzungssaal der zweite Vortrag mit Diskussion statt. Von 11 bis 12 Uhr gewährte der Heilige Vater fünf Mitgliedern unseres Kreises einzeln eine Privat-Audienz. Ich durfte dazugehören. Um 13 Uhr speisten wir in den Gärten des Apostolischen Palastes mit dem Hl. Vater zu Mittag. Er unterhielt sich mit uns ganz ungezwungen, so wie wir ihn früher erlebt hatten. Am Sonntagvormittag kam er wieder ins „Centro“, um mit uns in der Hauskapelle in Konzelebration die heilige Eucharistie zu feiern. Mittags um 12.00 Uhr beteten wir im Innenhof des Apostolischen Palastes mit ihm den „Angelus“, an dem mehrere tausend Menschen teilnahmen.

Ein gesunder Papst „in seinem Element“

Wir waren überrascht, in welch gutem gesundheitlichen Zustand sich Benedikt XVI. befindet. Er machte auf uns einen frischen und frohen Eindruck. Beim Mittagessen am Samstag eröffnete er uns, dass wir im Jahr 2006 wieder in Castel Gandolfo zu einem Schülerkreis-Treffen eingeladen sind. Es war unschwer zu erkennen, dass Benedikt XVI. bei den theologischen Diskussionen „in seinem Element“ war. Die eigentliche Neigung des Papstes ist nach wie vor die Theologie. Man merkte, dass ihm das „Theologisieren“ Freude machte. Er wirkte entspannt und frohgemut.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Unbekannte Schätze des hl. Pater Pio

Pater Martin Lugmayr möchte uns helfen, den hl. Pater Pio von einer ganz neuen Seite als Lehrer des geistlichen Lebens zu entdecken. Er stellt uns einen Briefwechsel mit Raffaelina Cerase vor, der im deutschsprachigen Raum bislang so gut wie unbekannt ist. Es lohnt sich, einen Blick auf diese verborgenen Reichtümer zu werfen. Darin werden viele Fragen angesprochen, die auch jeden von uns bewegen. So versteht Pater Lugmayr den nachfolgenden Beitrag auch als Einladung zu Exerzitien Ende Januar 2006, die sich auf den genannten Briefwechsel stützen werden.

Von Martin Lugmayr FSSP

Verborgene Schätze

Viele kennen Pater Pio als begnadeten Beichtvater oder als Mystiker, der mit dem Herrn in inniger Verbundenheit gelebt hat. Diese übernatürliche Beziehung trat besonders sichtbar vor Augen, wenn er die heilige Messe feierte. Sie war so erschütternd, dass selbst anwesende Ungläubige den Weg zu Christus fanden.

Weniger bekannt ist indes die Existenz einer geistlichen „Schatztruhe“, die uns Pater Pio hinterlassen hat. Es handelt sich um den Briefwechsel mit einer gewissen Raffaelina Cerase, der während des relativ kurzen Zeitraums von 1914 bis 1915 erfolgte. Inzwischen wurde er auf 583 Seiten von Padre Gerardo Di Flumeri in italienischer Sprache herausgegeben. Eine Gesamtübersetzung ins Deutsche jedoch steht noch aus.[1] Der Briefwechsel umfasst 98 Briefe, eine Anzahl, die Zeugnis für die Intensität des Dialogs ablegt – noch dazu, wenn man bedenkt, dass er teilweise während des Ersten Weltkriegs geführt wurde.

Bekehrung nach 14 lauen Jahren

Die Briefe kreisen um eine zentrale Frage: Wie kann ich trotz widriger äußerer Umstände und eigener Probleme heilig werden? Dabei gilt es zu beachten, dass Raffaelina Cerase (1868-1916) keine Ordensschwester war. Die Ratschläge Pater Pios betrafen die Nachfolge Christi für ein Leben in der Welt. Raffaelina hatte Christus nicht immer treu gedient. Sie selbst bekennt, vom siebten bis zum einundzwanzigsten Lebensjahr nicht nur in der Welt, sondern auch für die Welt gelebt zu haben. Schließlich vernachlässigte sie sogar den Empfang der Sakramente zur österlichen Zeit. Nach ihrer Bekehrung versuchte sie, ernsthaft den Weg der Nachfolge Christi zu beschreiten, wurde Mitglied des Dritten Ordens der Franziskaner und engagierte sich in der Katholischen Aktion.

Geheimnisvoller Weg des Leidens

Da trat das Kreuz in ihr Leben. Noch bevor sie 24 Jahre alt war, starben drei ihrer Brüder, die sie während ihrer Krankheit gepflegt hatte. Sieben Jahre später, im Jahr 1889, folgte ihnen die Mutter, 1904 der Vater und 1909 ihre Schwester Anna. Dazu kamen nach dem Tod des Vaters große Spannungen mit einem Bruder, sodass sie nicht mehr im elterlichen Haus wohnen konnte und mit ihrer Schwester Giovina eine neue Unterkunft suchen musste. Oft wurde sie von Krankheiten heimgesucht, bis sie schließlich im Juni 1915 die ersten Anzeichen eines Tumors bemerkte. Zwar wurde sie im September operiert, doch erholte sie sich nicht mehr und trat ihren letzten Leidensweg an. Es kann als besondere Fügung Gottes betrachtet werden, dass Pater Pio zu dieser Zeit in den Konvent von Foggia versetzt wurde, in jene Stadt also, wo Raffaelina krank daniederlag. Noch am selben Tag, dem 17. Februar 1916, besuchte er diejenige, die er bisher nur durch Briefe gekannt hatte. Bis zu ihrem Tod stattete er ihr jeden Tag einen Krankenbesuch ab, führte mit ihr lange geistliche Gespräche und zelebrierte auch manchmal in der Privatkapelle ihres Zuhauses die heilige Messe.

Fürsprecherin an der Seite P. Pios

Als Raffaelina am 25. März 1916, dem Festtag Mariä Verkündigung, heimging, schrieb Pater Pio noch am selben Tag an Pater Agostino: „Jubeln wir im Herrn unter Tränen. Diesen Morgen um 4 Uhr haben wir eine Fürsprecherin am Thron des Allerhöchsten erhalten. Raffaelina hat ihren Lauf vollendet und Hochzeit mit ihrem göttlichen Bräutigam gefeiert.“ Übrigens hatte sich Pater Pio ernsthaft erhofft, durch ihre Fürbitte die Gnade zu erhalten, wie sie schon bald diese Welt verlassen zu dürfen. Als er zwei Wochen später immer noch keine Anzeichen dafür sah, beklagte er sich bei Pater Agostino darüber, dass Raffaelina anscheinend nicht gewillt sei, den Herrn um diese Gnade zu bitten. Er fand sogar die Worte: „Diese Grausame, jetzt will sie mir wohl sagen, dass sie nichts für mich tun könne und ich mich all dem fügen müsse.“ Die unzähligen Menschen, die von 1916 bis 1968 durch das Wirken und das Beispiel des heiligen Pater Pio beschenkt worden sind, dürften Raffaelina für diese „Grausamkeit“ dankbar sein. Sicher kam ihm ihre Fürsprache in der Weise zugute, dass er noch vielen Anderen zum Segen werden durfte.

Pater Pio als geistlicher Lehrer

In seinen Briefen hat Pater Pio Raffaelina nicht nur unterrichtet und belehrt, sondern ihr tatsächlich auf wirksame Weise den Weg zur Heiligkeit gewiesen. Das war nur möglich, weil sie ihr Herz der geistlichen Leitung Pater Pios öffnete und dem Willen Gottes zu entsprechen suchte, welcher in den Ratschlägen des Kapuziners aufleuchtete. Wichtige Themen, die Pater Pio anspricht, sind z.B. die verschiedenen Arten des Gebets, das Wesen der Betrachtung, die Gewissenserforschung, die Schriftlesung, die Bedeutung der Sakramente für die Nachfolge Christi, die Regeln zur Erkenntnis der Fallstricke Satans, die wahre und falsche Demut, der Sinn der dunklen Nacht und der Trockenheit der Seele, die Dankbarkeit, die Nächsten- und Gottesliebe, die Herrlichkeit der Gnade.

Es handelt sich dabei nicht um objektive Abhandlungen, sondern um einen Dialog zwischen zwei konkreten Personen. Er lädt dazu ein, anhand der Briefe Raffaelinas selbst in das Gespräch mit einzutreten. Ich kann mir überlegen, ob ich ähnliche Fragen angesprochen hätte wie sie, und dann darauf gespannt zu sein, welche Antworten P. Pio gibt. Man wird davon manchmal ebenso überrascht sein wie Raffaelina, über manche Zeilen auch ihr Unverständnis teilen. Doch konnte sie ja wieder einen Brief schreiben... Und siehe, in den Antworten P. Pios werden dieselben Punkte noch einmal erklärt, dieses Mal von einer anderen Seite betrachtet und im Hinblick auf Raffaelinas (und unser) Unverständnis neu bedacht.

Grundlage für Exerzitien

Jeder, der des Italienischen mächtig ist, kann den Versuch wagen, sich alleine mit Raffaelina in die Schule Pater Pios zu begeben, um zu hören, was Gott ihm ganz persönlich durch diesen Heiligen sagen will. Hören setzt Schweigen voraus. Dazu brauchen wir Zeit und noch mehr inneren Mut. Doch oft plagt uns nicht nur die Unentschlossenheit, mit dem äußeren und inneren Lärm zu brechen, wir haben nicht selten sogar Angst davor, in unser Inneres zu gehen, um dort mit Gott allein zu sein. Exerzitien mit einem geistlichen Leiter können eine entscheidende Hilfe sein, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Solche geistlichen Übungen haben das Ziel, das Herz für Gott zu öffnen und seine Stimme zu hören. Daher entstand der Plan, auf der Grundlage des angesprochenen Briefwechsels Tage der Einkehr anzubieten. Wir möchten einige wichtige Punkte des geistlichen Lebens so aufbereiten, dass sie im Leben der Teilnehmer fruchtbar werden können. Es wird in diesen Tagen reichlich Gelegenheit geben, in der Stille, insbesondere vor dem Tabernakel, den zu suchen und zu finden, der auch Raffaelina Cerase sowie Pater Pio zur Heiligkeit und zur ewigen Herrlichkeit geführt hat.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Padre Pio da Pietrelcina: Epistolario II, Corrispondenza con la nobildonna Raffaelina Cerase (1914-1915), San Giovanni Rotondo 1994.

Stellungnahme bekennender Christen zur aktuellen Euthanasie-Diskussion

Vergangenen Herbst entbrannte in Deutschland ein hitziger Meinungsstreit über die ethische und gesetzliche Zulässigkeit medizinischer Beihilfe zur Selbsttötung unheilbar Erkrankter auf deren Verlangen. Angesichts der wachsenden Gefahr eines gesellschafts-politischen Dammbruchs haben die beiden Vorsitzenden der „Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands“ (Pastor Ulrich Rüß) und der „Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften“ (Prof. Dr. Peter Beyerhaus) eine öffentliche Erklärung abgegeben (2. Freudenstädter Impuls).

Von Peter Beyerhaus

Wir sagen „Ja“ zu liebevoller Sterbebegleitung, aber ein klares „Nein“ zu aktiver Sterbehilfe. Aus doppeltem Anlass haben wir uns in die Euthanasie-Debatte eingeschaltet: zum einen geht es um den inzwischen zurückgewiesenen Vorstoß des Hamburger Justizsenators Roger Kusch, zum anderen um die Eröffnung eines Büros des Schweizer Vereins „Dignitas“ für die Hilfe zur Selbsttötung in Deutschland.

Skandalöser Vorstoß von Justizsenator Kusch

Am 11. Oktober forderte der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) – in Kritik an einer sich auf Psalm 73,23f. stützenden Aussage von Bischöfin Maria Jepsen – im Hamburger Abendblatt eine „verantwortungsvolle, mitfühlende Sterbehilfe“ als „Gebot christlicher Nächstenliebe“. Ausdrücklich bezeichnete er sich als „bekennendes Mitglied der Nordelbischen Kirche“ und brachte darüber hinaus sein vermeintlich „christliches Gottesverständnis“ zum Ausdruck: „Der Gott, an den ich glaube, kann gar nicht den Willen haben, einen unheilbaren und damit hoffnungslos Kranken über dessen Durchhaltevermögen hinaus leiden zu lassen.“ Als Konsequenz seiner Überzeugung forderte er eine Änderung des §216 des StGB, nach welchem „Tötung auf Verlangen“ mit Freiheitsstrafe nicht unter 6 Monaten geahndet wird. Angesichts der schon erfolgten Änderung des §218, wodurch die Tötung von Embryonen, also menschlichen Lebens im Mutterleib, straffrei gestellt worden ist, sei diese Novellierung logisch.  Der auch im Fernsehen wiederholte und radikalisierte Vorstoß von Senator Kusch stieß auf sofortigen Widerspruch von Repräsentanten der katholischen Kirche und der großen Parteien SPD (Justizministerin Zypris) und CDU sowie insbesondere von Mitarbeitern der Hospizbewegung, welche sich in ihren Heimen um eine liebevoll fürsorgliche Begleitung Sterbender durch schmerzlindernde Palliativmedizin und seelsorgerlichen Zuspruch bemüht.

Eröffnung eines Dignitas-Büros in Deutschland

Der andere Anlass der Debatte war die Ende September 2005 erfolgte Eröffnung eines ersten Büros des Schweizer Vereins Dignitas. Diese bietet Menschen Hilfe zum Suizid mit dem in der Schweiz für den Handel freigegebenen Mittel Natrium-Pentobarbital an, sowie tätige Todesbegleitung bis zur Beerdigung. Solche Hilfe zur Selbsttötung ist in der Schweiz – ebenso wie schon in Holland und Belgien – straffrei. 150 Deutsche sollen den Dienst von Dignitas in der Schweiz für den Preis von 1.100 Euro bereits in Anspruch genommen haben. – Die niedersächsische Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) hat indes vorgeschlagen, Dignitas zu verbieten und den geschäftsmäßigen Betrieb von Suizidhilfe strafrechtlich zu verfolgen.

Gegen die aktive Sterbehilfe sprechen nicht nur biblisch-theologische, sondern auch gesellschaftliche und demografische Gründe. Ist die Schwelle des Tötungsverbots erst einmal prinzipiell gesenkt, ist ein Dammbruch zu befürchten. Es steht zu erwarten, dass sich Angehörige von pflegebedürftigen Familienmitgliedern ihrer Verantwortung dadurch zu entledigen suchen, dass sie auf diese psychischen Druck ausüben und eine entsprechende „Sterbehilfe“ auch den Ärzten nahelegen, wie dies in Holland und Belgien massenweise der Fall ist. Diese Entwicklung ist um so bedrohlicher, als sich in den letzten Jahren die Bevölkerungsstatistik beträchtlich auf einen Überhang der älteren gegenüber der mittleren und jüngeren Generation hin verschoben hat, wodurch auch unser Rentensystem ins Wanken gerät. Einer Meinungsumfrage der Illustrierten „Stern“ zufolge sollen schon jetzt 75 Prozent aller Deutschen der Legalisierung „aktiver Sterbehilfe“ zuneigen. Diese Einschätzung teile angeblich auch die große Mehrheit der kirchlich gebundenen Menschen: 60 Prozent der Protestanten, 68 Prozent der Katholiken.

Stellungnahme im Wortlaut:

Der Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Kusch, die aktive Sterbehilfe straffrei zu stellen, ist für die Gesellschaft, aber erst recht für jeden Christenmenschen, im höchsten Maße alarmierend. Das gilt in besonderer Weise für uns Christen in Deutschland, wo sich in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur der mörderische Zugriff des Unrechtsstaates auch gegen das angeblich „wertlose Leben“ geistig Behinderter und anderer unheilbar Kranker wandte. Hervorragende Repräsentanten beider Konfessionen, wie besonders der Leiter der Betheler Anstalten, Pastor Fritz von Bodelschwingh, sowie der Bischof von Münster, Clemens Kardinal Graf von Galen, stellten sich damals schützend vor ihre bedrohten Mitchristen.

Auch heute ist es in unserm demokratischen Staate ethisch nicht hinnehmbar, wenn das ungeborene menschliche Leben keinen vollen Rechtsschutz genießt und im Konfliktfall getötet werden darf. Als bekennende Christen werden wir nicht aufhören, gegen dieses Unrecht zu protestieren.

Ethisch genauso wenig hinnehmbar ist es, wenn künftig Sterbende oder Sterbenskranke auf eigenen Wunsch getötet werden oder sich selber töten dürfen. Das Leben gehört von Anfang bis Ende Gott. Gott ist darum Eigentümer und nicht der Mensch. Es darf daher kein Recht und keine Erlaubnis zum Töten von Menschenleben geben. Vor Gott sind wir Menschen nicht autonom, denn Er hat uns zu Seinem Ebenbild und zur Gemeinschaft mit Ihm in Zeit und Ewigkeit erschaffen.

Ein würdiger Tod hat mit liebevoller Pflege, mit Hilfe gegen Schmerzen (Palliativmedizin) und Ängste, mit menschlicher und seelsorgerlicher Begleitung zu tun. Gemeinschaft, Gebet, Beichte, Krankensalbung und der Empfang des hl. Abendmahles sind für Christen Stärkung und Hilfe zum würdigen, ja seligen Sterben. Diese Hilfen sollten verstärkt ins Bewusstsein gerückt werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„Liturgische Leidensgeschichte“

Zu meinem Artikel über die Liturgie (s. Kirche heute 12/2005) habe ich viele Zuschriften bekommen, ausschließlich zustimmende. Dabei wurde mir bewusst, dass mein Bericht keineswegs vollständig war. Zwei Punkte möchte ich nachtragen und dann einen Freund aus Wien zu Wort kommen lassen, der meine „liturgische Leidensgeschichte“ mit eigenen Erlebnissen ergänzt hat. Zunächst also nochmals eigene Beobachtungen.

Von Weihbischof Andreas Laun

• Ein schmerzendes Beispiel erzählten mir vor Jahren Wiener Freunde: Am Gründonnerstag wurde in ihrer Kirche die Passionsgeschichte zwar vorgetragen, aber mehrfach unterbrochen von Radio-Meldungen über irgendwelche Vorgänge in der Dritten Welt, die über einen Lautsprecher eingespielt wurden. Man ahnt die gute Absicht, gutheißen kann man diese „Gestaltung“  deswegen nicht. Dass sich dann während der ganzen heiligen Messe Laien im Altarraum aufhielten und um den Altar standen und die hl. Kommunion von Laien ausgeteilt wurde, während die Priester sitzen blieben, passt ins Bild.

• 2004 erschien das römische Dokument „Redemptionis sacramentum“. Es rief eine Reihe liturgischer Bestimmungen in Erinnerung. Was ist damit geschehen, welche Wirkung hatte es? Als es veröffentlicht wurde, hat man es vielfach kritisiert und relativiert – und dann dem Vergessen anheim gegeben. In den zuständigen kirchlichen Gremien jedenfalls wurde es kaum oder überhaupt nicht besprochen, höchstens da und dort erwähnt, aber abschätzig.

Nun aber zu den Beispielen meines Freundes, die ich so oder ähnlich aus eigenen Erfahrungen kenne:

• Nicht wenige Priester sagen „Der Herr ist mich euch“ statt „sei mit euch“ – nicht häretisch, aber doch anders, und es gibt gute Gründe, das „sei“ für richtiger zu halten.

• Man ersetzt Lesung oder Evangelium durch profane Texte, lässt sie von Laien vortragen und abschließen mit „Wort des lebendigen Gottes“ oder „Evangelium Jesu Christi“. Ein Kommentar erübrigt sich.

• Man lässt den Embolismus nach dem „Vater unser“ aus – warum? Gerade die Bitte um Bewahrung vor „Verirrung“ ist heute so wichtig. (Nebenbei: In der französischen Übersetzung kommt dieser Gedanke überhaupt nicht vor – sollte es nicht eine „Übersetzung“ sein? Bekanntlich gibt es auch Kritiker, die die deutschen Übersetzungen überprüft und auch sie bei vielen Fehlern ertappt haben. Das wäre noch ein eigenes „Kapitel“, das bei einer liturgischen Reform beachtet werden müsste.)

• Die Segensformel „neu“ lautet: „Es segne uns ...“ statt „Es segne euch ...“ Mein Verdacht ist: Das Grundgefühl von der Gleichheit aller, neben der auch der Priester keine Sonderstellung beanspruchen kann, drückt sich auch in solchen Kleinigkeiten aus.

• Textänderungen werden nicht nur an den Tagesgebeten vorgenommen, sondern sogar an den Wandlungsworten.

• Statt des Kyrie betet man irgendetwas anderes.

• Einleitung und Schluss der Fürbitten betet der Laie, der die Fürbitten vorträgt.

• Beim Friedensgruß verlässt der Priester den Altarraum und versucht, ihn möglichst allen zu geben.

 • Das Agnus Dei stimmt nicht der Priester an, sondern ein Kirchenbesucher.

• Der Priester lädt alle ein, die Doxologie („Durch Ihn, mit Ihm und in Ihm…“) mitzubeten – so auch in „Radio Maria“ erlebt.

 • Die Messe schließt mit dem Schlussgebet, das „Ite missa est“ und der Schluss-Segen entfallen.

  In diesem Rahmen ist es nicht möglich, alle Einzelheiten mit liturgischen Argumenten, Pro und Contra, zu besprechen. Aber ich halte es für wichtig sie wahrzunehmen. Könnte es nicht sein, dass hier etwas „rieselt“ oder „bröckelt“ wie eine Mauer bei einem Erdbeben – bevor ein größerer Riss entsteht?

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2006
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