Herold der Versöhnung

Papst Benedikt XVI. tritt als Bote der Versöhnung vor die Völker dieser Welt. Was ermöglicht den Menschen, ihre Herzen wieder füreinander zu öffnen und sich zu einigen? Es ist für Benedikt XVI. vor allem die Wahrheit. Mit seinem klaren Geist wagt der Papst, die Dinge beim Namen zu nennen und durch einen ehrlichen Blick auf Gegenwart und Vergangenheit das Böse zu entwaffnen und dem Guten Kraft zu verleihen. In Auschwitz ging es ihm weder um billige Entschuldigungen, noch um ein Leugnen unserer heutigen Verantwortung für das, was geschehen ist, sondern um ein gerechtes Verstehen der Geschichte – aus der Sicht unserer menschlichen Gefühle wie im Horizont des Glaubens.

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

„Ergreifende Rede“ oder „verpasste Gelegenheit“?

Der Besuch eines deutschen Papstes im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau am 28. Mai 2006 war ohne Zweifel ein historisches Ereignis, für Benedikt XVI. ein Höhepunkt seines bisherigen Pontifikats. Mit Spannung waren die Worte erwartet worden, die er dort finden würde. Von den Medien in Deutschland wurde seine Ansprache schließlich sehr positiv aufgenommen und beispielsweise als „ergreifende Rede“ bezeichnet. Doch meldeten sich auch andere Stimmen zu Wort. Der römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni bewertete sie als eine „verpasste Gelegenheit“. Nach Claudio Morpugo, dem Leiter der römischen Synagoge, hätten die Worte des Papstes „die Verantwortung des deutschen Volkes und all jener, die aus einer antisemitischen Ideologie heraus handelten“, herabgesetzt. Auf diese Bemerkungen hin sah sich Stanislaus Kardinal Dziwisz aus Krakau, der frühere Privatsekretär Papst Johannes Pauls II., dazu gezwungen, Benedikt XVI. in Schutz zu nehmen. Er verteidigte seine Aussagen als „absolut richtig“ und erklärte: „Es gibt keine Kollektiv-Schuld der Deutschen an den Schrecken des Nazi-Regimes.“

Das Bundeszeichen Gottes

Als wollte Gott selbst dem Papst in dieser entscheidenden Stunde zu Hilfe eilen, erschien genau während des Papstbesuchs in Auschwitz ein eindrucksvoller Regenbogen über dem Konzentrationslager. Sicher dürfen solche Zeichen nicht überinterpretiert werden, aber es wäre ebenso verfehlt, würden wir sie einfach ignorieren. Das Bundeszeichen Gottes dürfte kein Zufall gewesen sein. Es leuchtete wie eine gewaltige Bestätigung der Worte auf, die Benedikt XVI. über die heilsgeschichtliche Bedeutung der Judenverfolgung während des Dritten Reichs vortrug: „Die Machthaber des Dritten Reiches wollten das jüdische Volk als ganzes zertreten, es von der Landkarte der Menschheit tilgen. … Im tiefsten wollten jene Gewalttäter mit dem Austilgen dieses Volkes den Gott töten, der Abraham berufen, der am Sinai gesprochen und dort die bleibend gültigen Maße des Menschseins aufgerichtet hat. Wenn dieses Volk einfach durch sein Dasein Zeugnis von dem Gott ist, der zum Menschen gesprochen hat und ihn in Verantwortung nimmt, so sollte dieser Gott endlich tot sein und die Herrschaft nur noch dem Menschen gehören – ihnen selber, die sich für die Starken hielten, die es verstanden hatten, die Welt an sich zu reißen. Mit dem Zerstören Israels, mit der Schoah, sollte im letzten auch die Wurzel ausgerissen werden, auf der der christliche Glaube beruht, und endgültig durch den neuen, selbstgemachten Glauben an die Herrschaft des Menschen, des Starken, ersetzt werden.“

Unser Volk wurde missbraucht

Gleichzeitig vermittelte der Regenbogen über Auschwitz das tiefe Gefühl, dass Papst Benedikt XVI. in seiner Art, wie er zur Versöhnung beitragen wollte, den richtigen Ton gewählt hatte. Ehrfürchtig brachte er die Saite der Anteilnahme wie die Saite der Gerechtigkeit zum Schwingen. Es geht ihm um eine Versöhnung, die aus einer ehrlichen, vernünftigen Einsicht geboren wird: „Der Gott, dem wir glauben, ist ein Gott der Vernunft – einer Vernunft, die freilich nicht neutrale Mathematik des Alls, sondern eins mit der Liebe, mit dem Guten ist. Wir bitten Gott, und wir rufen zu den Menschen, dass diese Vernunft, die Vernunft der Liebe, der Einsicht in die Kraft der Versöhnung und des Friedens die Oberhand gewinne inmitten der uns umgebenden Drohungen der Unvernunft oder einer falschen, von Gott gelösten Vernunft.“ Gerade in diesem Sinn war es ein Beitrag zur Aussöhnung, wenn Benedikt XVI. hervorhob: „Ich konnte unmöglich nicht hierherkommen. Ich musste kommen. Es war und ist eine Pflicht der Wahrheit, dem Recht derer gegenüber, die gelitten haben, eine Pflicht vor Gott, als Nachfolger von Johannes Paul II. und als Kind des deutschen Volkes hier zu stehen – als Sohn des Volkes, über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so dass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte. Ja, ich konnte unmöglich nicht hierherkommen.“

Dass der Stern der Versöhnung aufgehe!

Papst Benedikt XVI. hätte sich als Deutscher in Auschwitz vor der ganzen Welt für all die Gräuel entschuldigen können, die durch Deutsche an diesem Ort geschehen sind – ähnlich etwa, wie Papst Johannes Paul II. seine Vergebungsbitten im Jubeljahr 2000 formuliert hatte. Doch beschränkte er sich auf die Aussage: „Dazu bin ich auch heute hier: die Gnade der Versöhnung zu erbitten … von den Menschen, die hier gelitten haben.“ Das ist eine Bitte um Vergebung. Doch wollte der Papst offensichtlich bewusst den Eindruck vermeiden, als wolle er durch ein Schuldbekenntnis dem deutschen Volk eine „Kollektiv-Schuld“ zuweisen. Dies wird umso verständlicher, als er durch seine Mitgliedschaft bei der Hitlerjugend bereits zu Beginn seines Pontifikats weltweit gebrandmarkt wurde, obwohl er fern jeder persönlicher Schuld oder Mittäterschaft selbst einfach Opfer der Nazimaschinerie gewesen war. So versuchte er in Auschwitz deutlich zu machen, dass die Wahrheit über die Verantwortung des deutschen Volkes differenzierter gesehen werden muss. Wenn nun von Seiten hochrangiger Vertreter des jüdischen Volkes Bedauern und Enttäuschung über Benedikt XVI. geäußert worden sind, so ist dies umso mehr ein Zeichen dafür, dass der Papst aus Deutschland letztlich an einem richtigen Punkt zu wirklicher Aussöhnung angesetzt hat. Denn diejenigen, welche die vom Papst genannten Zusammenhänge nicht wahrhaben wollen, offenbaren nur, dass sie im Herzen noch nicht wirklich bereit sind, den Schritt zur Aussöhnung mit dem heute lebenden deutschen Volk zu vollziehen. Angesichts des grauenvollen Leids, das durch Deutsche über die Juden gekommen ist, sind die Verletzungen zwar mehr als verständlich. Doch kann gerade ein ehrlicher Blick auf die Vergangenheit die entscheidende Hilfe zur Heilung darstellen. Erst eine Betrachtung im Licht der Wahrheit macht den Menschen bereit, zu vergeben. Versöhnung bedeutet dabei auch, dass man ein Volk nicht ewig unter der Last seiner Geschichte niederhält, sondern ihm ermöglicht, sich wieder aufzurichten. Im Grunde genommen hat der deutsche Papst in Auschwitz genau darum die Welt in aller Demut gebeten – stellvertretend für sein Volk. Dafür hat er sich sowohl mit seinen Worten als auch mit seinem symbolträchtigen aufrechten Gang eingesetzt.

Nie wieder

Als Johannes Paul II. durch das Brandenburger Tor schritt, wurde er von Bundeskanzler Kohl begleitet. Es war für den Papst in gewisser Weise ein Tag des Triumphes. Die Welt bestätigte ihm, dass ohne seinen Beitrag der Eiserne Vorhang nicht gefallen wäre. Nun schritt Benedikt XVI. durch das Tor von Auschwitz – ohne Begleitung. Bewusst wollte er nicht im Wagen hindurchfahren wie ehemals die deutschen Soldaten, sondern zu Fuß gehen wie die unzähligen Opfer der Nazischergen, auf welche im Lager nicht „befreiende Arbeit“, sondern die „Hölle“ wartete. Benedikt XVI. kam nicht, um Ehren in Empfang zu nehmen, sondern beladen mit einer Geschichte, von der er sagte: „Das Vergangene ist nie bloß vergangen.“ Und er zeigte uns, wie wir mit dieser unserer Geschichte fertig werden können: Er schritt allein, ohne menschlichen Gesprächspartner; denn in diesen Augenblicken war sein Gesprächspartner Gott. Nur im Gebet können wir eine solche Vergangenheit aufarbeiten. Und so bestand auch die Rede des Papstes zu weiten Teilen aus Psalmversen, dem Gebet des Volkes Israel. Allein in der Hinwendung zu Gott findet der Mensch an diesem Ort „Zuversicht“, wo das anfängliche „erschütterte Schweigen“ zur „lauten Bitte um Vergebung und Versöhnung, zu einem Ruf an den lebendigen Gott“ wird, „dass er solches nie wieder geschehen lasse“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2006
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Die katholische Basis für die Begegnung mit dem Islam

Es ist längst müßig zu fragen, ob wir Europäer die Muslime bei uns haben wollen oder nicht. Sie sind längst da und sie wachsen jeden Tag an Zahl. Viele von ihnen besitzen schon den Pass eines europäischen Landes, und auch als neue Europäer werden sie ständig mehr. Sie sind da, und die Frage lautet nur noch: Wie gehen wir mit ihnen um? Weihbischof Dr. Andreas Laun zeigt die „katholischen Voraussetzungen“ für die Begegnung mit dem Islam auf. Die Lehre, welche die Kirche zu dieser aktuellen Frage entwickelt hat, bezeichnet er als „eines der ganz großen Verdienste des 2. Vatikanischen Konzils und ein Geschenk der katholischen Kirche an die Menschheit“.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Ist die katholische Kirche bereit für ein Miteinander mit dem Islam? Vor allem seit dem 2. Vatikanischen Konzil ist die Frage mit einem klaren Ja zu beantworten, und zwar wegen dreier Texte des Konzils und auf Grund der katholischen Soziallehre. Denn diese bilden jene Plattform, auf der Katholiken den Muslimen friedlich begegnen und friedlich mit ihnen leben können.

Der erste Text des Konzils handelt von der Heilsmöglichkeit der Muslime, der zweite würdigt muslimisch-christliche Gemeinsamkeiten und leitet davon jene Haltung ab, die Christen gegenüber Muslimen einnehmen sollten, und der dritte benennt jenes Menschenrecht, auf Grund dessen sich Menschen mit verschiedenen Überzeugungen friedlich begegnen können:

1. Lumen gentium

Das Konzil spricht vom allgemeinen Heilswillen Gottes und richtet dabei seine Aufmerksamkeit auch auf die Anhänger des Islam: „Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.“ Der Grund für diese Zuversicht ist: „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen“ (LG 16).

Dieser Text „entspannt“ die Sorge um den Andersdenkenden und schützt den christlichen Missionar vor der gefährlichen Versuchung, angesichts der vermeintlichen Gefahr, in der sich der Nicht-Katholik befindet, unlautere, irgendwie gewaltsame Methoden anzuwenden. Vergleiche wie „Man darf einen Selbstmörder gegen seinen Willen retten“ sind dann gegenstandslos, weil die Prämisse nicht mehr stimmt. Auch der Nicht-Katholik kommt nicht „unvermeidlich“ in die Hölle.

Weil es die Kirche aber auch ohne dieses äußerste Damokles-Schwert („Wer nicht katholisch getauft wird, kommt in die Hölle!“) dennoch für ein großes Übel hält, nicht katholisch zu sein, und eingedenk des Wortes Jesu hält sie an ihrem Missionsauftrag unbeirrt fest, „eifrig bestrebt, zur Ehre Gottes und zum Nutzen des Heils (aller) Menschen die Missionen zu fördern“ (LG 16).

2. Nostra aetate

Das Konzil legt dar, was die Kirche über die anderen Religionen denkt und worin die richtige Haltung ihnen gegenüber besteht. Nicht nur bezüglich des Islam, sondern angesichts aller anderen Religionen wollen die Konzilsväter „vor allem das ins Auge (fassen), was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt“ (NA 1). Diesem Vorsatz entsprechend führten sie über den Islam aus:

„Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten.“

Aus dieser Würdigung des Islam einerseits und angesichts der früheren Kämpfe andererseits bitten die Konzilsväter, man möge „das Vergangene beiseite lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen bemühen und gemeinsam eintreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ (NA 3).

Damit hat das Konzil die einzig richtige, sowohl der Gerechtigkeit wie der Liebe entsprechende Haltung beschrieben und zugleich jene, ohne die es offensichtlich kein wirklich friedliches Zusammenleben geben kann. Bedenkt man all die früheren, aggressiven Auseinandersetzungen, wird man zugeben müssen: ein großer Schritt in eine bessere Zukunft der Menschheit ist damit getan.

3. Dignitatis humanae

Das Dokument über die Freiheit des Glaubens und Gewissens spricht nicht ausdrücklich vom Islam, aber es bringt jene Freiheitslehre auf den Punkt, ohne die ein Rechtsstaat, in dem Menschen mit verschiedenen Überzeugungen leben, nicht existieren kann. Die Lehre besteht aus drei Grundsätzen:

• „Alle Menschen sind … verpflichtet, die Wahrheit, besonders in dem, was Gott und seine Kirche angeht, zu suchen und die erkannte Wahrheit aufzunehmen und zu bewahren“ (DH 1).  

• Die Kirche lehrt, „dass diese Pflichten die Menschen in ihrem Gewissen berühren und binden, und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt“. Das heißt: Die hier gemeinte Freiheit bezieht sich „auf die Freiheit von Zwang in der staatlichen Gesellschaft“; mit religiöser Beliebigkeit hat sie nichts zu tun (DH 1).

• „Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet.“ Diese ist auch durch die Vernunft, ohne Offenbarung, erkennbar (DH 2).

Mit dieser Klarstellung hat die Kirche weder auf ihren Wahrheitsanspruch verzichtet noch widerstreitet diese Lehre der Mission. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, heißt es schon in der ersten Nummer des Dokumentes: „Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche, die von Jesus dem Herrn den Auftrag erhalten hat, sie unter allen Menschen zu verbreiten.“ Das befürchtete Missverständnis ist allerdings dennoch nicht ausgeblieben.

Aber die Lehre von der Gewissens- und Religionsfreiheit so formuliert zu haben, ist eines der ganz großen Verdienste des 2. Vatikanischen Konzils und ein Geschenk der katholischen Kirche an die Menschheit. Denn damit schafft sie jenen geistigen Raum, innerhalb dessen Menschen auch über das sprechen und streiten – ja auch leidenschaftlich streiten – können, was ihnen das Heiligste ist, ohne vor die unheilvolle Wahl gestellt zu werden, entweder ihre Überzeugungen aufzugeben oder Krieg zu führen. Die Lehre des Konzils begründet Wahrheit mit Toleranz und Toleranz gerade auf Grund der Wahrheit und nicht gegen oder ohne Wahrheit. Die These, Toleranz sei nur ohne Wahrheitsanspruch möglich, wie sie Lessing so verführerisch in seinem „Nathan, der Weise“ vertreten hat, ist philosophisch oberflächlich, weil sie meint, von „Überzeugung“ sprechen zu können ohne die Frage zu stellen, wovon jemand überzeugt ist. Zudem müsste die Erfahrung zu denken geben: Die größten Terrorsysteme der Geschichte, nämlich das Hitlerreich und das Stalinregime, waren nicht religiöser Natur, gründeten philosophisch im Relativismus und leiteten ihren pervertierten Wahrheitsanspruch von ihrem „Nutzen“ ab.[1]

4. Die katholische Soziallehre und die Unterscheidung von Kirche und Staat

Für ein gutes Zusammenleben mit dem Islam gehören nicht nur die drei dargelegten Lehren, sondern wirklich grundlegend auch die katholische Soziallehre. Sie ist so wichtig, weil nur dann, wenn ihre Grundsätze anerkannt sind, haben die Christen Sicherheit, im Falle von muslimischen Mehrheiten nicht doch erdrückt und zu „Dhinnis“, zu Bürgern zweiter Klasse, gemacht zu werden. Im Gespräch mit den Muslimen werden die Christen nicht ruhen dürfen, bis die Gesprächspartner die Unterscheidung von Kirche und Staat und überhaupt das Naturrecht mit seiner Begründung der Menschenrechte anerkannt haben. Denn ohne sie bleibt der Islam tendenziell totalitär. Der Tendenz nach möchte auch die katholische Kirche alle Menschen erreichen und überzeugen – aber, und das ist der Unterschied, in Freiheit und niemals ohne sie.

Diese vier grundlegenden Lehren bilden eine tragfähige Basis für die friedliche Begegnung und das friedliche Zusammenleben von Christen und Anhängern anderer Religionen.

Abgesehen von der Lehre über den Heilswillen Gottes sollten auch Laizisten diese Plattform des Gespräches betreten können.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] T. H. Huxley zitiert nach Ibn Warrag: Warum ich kein Muslim bin. Berlin 2004, 155.

Vor 150 Jahren: Religionsfreiheit in der Türkei

Auf ein Jubiläum besonderer Art macht Professor Dr. Rudolf Grulich mit seinem Beitrag über den Krimkrieg und die Religionsfreiheit der Christen in der Türkei aufmerksam. Vor 150 Jahren nämlich garantierte der Sultan für alle Untertanen des Osmanischen Reichs Religionsfreiheit. Dies ist umso bemerkenswerter, als er damals auch zugleich Kalif, d.h. Oberhaupt der Muslime war. Der Artikel zeigt eindrucksvoll, dass das politische Ringen um die „Europatauglichkeit“ der Türkei gar nicht so neu ist – allerdings mit einem Unterschied: Damals kämpften die europäischen Staaten mit allen diplomatischen Mitteln für den Schutz der Christen sowie die Möglichkeit für Muslime, zum Christentum zu konvertieren. Nach der entsprechenden Proklamation erklärte der russische Zar, damit sei „das Osmanische Reich in den allgemeinen Verband der europäischen Staaten eingetreten“.

Von Rudolf Grulich

Vor 150 Jahren ging 1856 mit dem Frieden von Paris der Krimkrieg zu Ende, in dem England und Frankreich seit Kriegsbeginn, das Königreich Piemont-Sardinien seit 1855 Verbündete der Osmanischen Türkei gegen Russland waren. Grund und Auslöser für diesen Krieg war die Rolle, die Russland als Schutzmacht über die orthodoxen Christen in der Türkei beanspruchte, insbesondere im Heiligen Land, wo es an den historischen Stätten des Lebens Jesu in Betlehem und Jerusalem immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Christen gekommen war. Auch Österreich stand im Krimkrieg den Westmächten und der Türkei wohlwollend nahe, nur Preußen stellte sich damals nicht gegen Russland, sondern verdiente gut als Kriegslieferant. Ein wichtiges Ergebnis des 1856 beendeten Krieges war die Sicherung der Religionsfreiheit für die Christen im Osmanischen Reich. 150 Jahre später steht die moderne Türkei als EU-Beitrittskandidat vor der gleichen Frage.

Das ganze 18. Jahrhundert hatte dem Osmanischen Reich eine Niederlage nach der anderen zugefügt und seinen Verfall sichtbar gemacht. Die Kriege mit Venedig und Österreich, später auch mit Russland, hatten den Verlust reicher Provinzen nach sich gezogen und schließlich gar die ersten Stimmen nach einer Teilung des Reiches oder gar einer Vertreibung der Türken aus Europa laut werden lassen. Sultan Selim III., einem aufgeklärten Absolutisten, der seit 1789 den Thron innehatte, war es beschieden, dieses sich langsam auflösende Reich in das 19. Jahrhundert zu führen. Er wollte das Reich im Stile Kaiser Josefs II. von oben reformieren und modernisieren, aber er hatte alle religiösen und konservativen Kräfte gegen sich und wurde deshalb 1807 gestürzt.

Ein Reformersultan

Sein Nachfolger Mustafa IV. wurde bereits 1808 beseitigt, als der Pascha von Rustschuk mit 10.000 Mann nach Konstantinopel zog und wiederum Selim einsetzte, der aber zugunsten seines Neffen Mahmut II. verzichtete. Dieser neue Sultan wird zum eigentlichen Reformer des Reiches. Sultan Mahmut hatte eine Französin als Mutter, die Schwester der Josephine Beauharnais, der ersten Frau Napoleons. Sie war eine Kreolin von der Insel Martinique, war von algerischen Seeräubern bei der Überfahrt nach Europa gefangengenommen und in den Harem des Sultans verkauft worden, wo sie zur Sultansmutter aufstieg. Mahmut II. sollte es gelingen, 1826 mit brutaler Gewalt die Janitscharen in der Hauptstadt zu vernichten und damit die destruktivste Kraft des Reiches auszuschalten. Er leitete die Epoche der so genannten Tanzimat ein, der Reformen.

Sein Vermächtnis war der Hatt-i scherif von Gülhane, in dem 1839 von seinem Sohn und Nachfolger formal die Feudalstruktur des Reiches aufgehoben und die Gleichheit aller Bürger proklamiert wurde. Der Sultan garantierte in diesem Motuproprio, das in Anwesenheit der Würdenträger des Reiches, der Patriarchen und des Volkes am 2. November 1839 im Park von Gülhane beim Sultanspalast verlesen wurde, Sicherheit des Lebens und der Habe, Freiheit des Glaubensbekenntnisses, Gleichheit in der Besteuerung und andere bürgerliche Freiheiten:

„Diese kaiserlichen Konzessionen erstrecken sich auf alle Unsere Untertanen, von welcher Religion oder Sekte sie sein mögen; sie alle ohne Ausnahme sollen derselben teilhaftig werden. Eine vollkommene Sicherheit wird demnach von Uns den Bewohnern des Reiches für ihr Leben, für ihre Ehre und ihr Vermögen gewährt, wie es der geheiligte Wortlaut unseres Gesetzes erheischt.“

Um die französische Mutter des Sultans rankten sich in christlichen Kreisen Konstantinopels verschiedene Legenden, bis hin zur Behauptung, der Sultan sei vor seinem Tode insgeheim Christ geworden.

Die Frage der Religionsfreiheit

Trotz des Hatt-i scherif von Gülhane schritten aber in den Provinzen des Osmanischen Reiches die Reformen nur langsam voran, nicht nur die Bemühungen um eine Modernisierung des Staates, sondern vor allem die Verbesserung der Lage der Christen. „Freilich ist das Institut der seidenen Schnur abgeschafft, und niemand wird mehr von der Mauer des Serails in den Bosporus gestürzt; Leben, Eigentum und Ehre, auch der Diener des Sultans, sind seit dem Hattischerif von Gülhane gegen Willkürlichkeiten geschützt. Aber eine aufgeklärte Gesetzgebung und der milde, edle und menschenfreundliche Sinn des Sultans Abdul-Medjid haben die Charaktere der Menschen und die Sitten der Nation nicht zu ändern vermocht.“ So umriss damals der Autor F. Eichmann die Situation. Vor allem die rechtliche Gleichstellung der Christen stand immer noch auf dem Papier und der Übertritt eines Muslim zum Christentum wurde trotz des Hatt-i scherif von Gülhane, trotz der Versicherung, dass sich dessen Konzession auf alle kaiserlichen Untertanen erstrecke, „ohne Ausnahme“, noch mit dem Tode bestraft. So wurde am 25. August 1845 das Todesurteil an einem muslimischen Armenier vollstreckt, der sich wieder mit seiner Kirche ausgesöhnt hatte und zu ihr zurückgekehrt war.

Da seine Verurteilung vor einem offenen Tribunal der muslimischen Gelehrten stattfand, erregte das Urteil Empörung in der westlichen Welt und zog lebhafte Proteste der westlichen Botschafter bei der Pforte nach sich. Vor allem England, das die eben begonnene protestantische Mission unter den Armeniern und Syrern Anatoliens begünstigte, schlug harte Töne an. Es erreichte 1850 die Anerkennung der Protestanten als eigene Glaubensgemeinschaft, die durch einen kaiserlichen Ferman im November 1850 konstituiert wurde und an deren Spitze ein „Vekil der Protestanten“ trat „zur Beförderung ihrer Geschäfte und um ihnen Ruhe, Frieden und Sicherheit zu verschaffen.“ Das Gesetz, das den Tod für muslimische Apostaten vorsah, konnte aber selbst der Sultan nicht abschaffen, da er ja ebenfalls der Scharia unterstellt war und sie zu erfüllen hatte. Doch teilte die Hohe Pforte in einer offiziellen Note den europäischen Mächten mit, sie werde alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um solche Hinrichtungen zu verhindern. „Es kann jedoch nicht zugestanden werden, dass tatsächlich dieses diplomatische Verständnis zwischen der Pforte und ihren Alliierten, obgleich gekrönt durch das Versprechen des Sultans, zu so entschiedenen und wirksamen Erfolgen geführt habe, als die französische und englische Regierung zu erwarten berechtigt gewesen wären“, musste der englische Gesandte Stratford de Redcliff in einer an die Pforte gerichteten Note vom 26. Januar 1856 feststellen. „Zwei Fälle sind bekannt, in denen letzthin gewisse Personen den Tod von Henkers Hand aus religiösen Gründen erlitten haben. In anderen Fällen hat man durch Gefangensetzung, schlechte Behandlung oder weite Entfernung entweder einen Widerruf zu erwirken oder die feindselige Stimmung eines fanatischen Haufens zu beruhigen gesucht.“ Lord Stratford nennt dann einzelne Schikanen wie die Deportierung ganzer Familien katholischer Konvertiten nach Kleinasien unter unmenschlichen Bedingungen und Begünstigungen von Gewalttätigkeiten gegenüber Protestanten durch osmanische Behörden, obgleich ein kaiserlicher Ferman dieses religiöse Bekenntnis anerkannt hatte.

Da England und Frankreich im Krimkrieg seit 1853 als Verbündete des Sultans gegen Russland kämpften, konnten sie solche entschiedenen Forderungen stellen, um „bemerklich zu machen, dass die großen Mächte niemals darin einwilligen können, dass durch die Triumphe ihrer Flotten und Armeen in der Türkei die Gültigkeit eines Gesetzes befestigt werde, welches nicht nur für sie ein beständiger Schimpf, sondern für ihre Mitchristen eine Quelle grausamer Verfolgung ist. Sie sind berechtigt zu verlangen und die britische Regierung verlangt ausdrücklich, dass der zum Christentum übergehende Mohammedaner dieses wegen ebenso frei von jeder Art Strafe sein soll, wie der zum Mohammedanismus übergehende Christ.“ Zehn Tage vor diesem entschiedenen Auftreten hatte der englische Botschafter seiner Regierung in London ein „Memorandum über die von der Pforte ihren christlichen Unterthanen ab antiquo in geistlichen Dingen verliehenen Privilegien“ gesandt. Ihm können wir Angaben über die damalige rechtliche Stellung der Christen entnehmen, die zeigen, wie sich auch rechtlich die Spannbreite zwischen Mohammeds Abkommen mit den südarabischen Christen und den späteren Einschränkungen des Kalifen Omar II. in der Praxis entwickelt hatte. Neben Fragen der Wahl von Patriarchen und Bischöfen finden wir die Bekräftigung des Richteramtes des Patriarchen in zivilrechtlichen Fragen, aber auch: „Niemand darf sich der Wiederherstellung von Klöstern und Kirchen einer Gemeinschaft nach dem alten Plan und alten Grundsätzen widersetzen“, was den westlichen Missionaren in Konstantinopel und im ganzen Reich die Gründung neuer Gemeinden erleichterte.

Als „neuerlich in geistlichen Dingen gemachte Conzessionen“ wird die früher bewilligte Erlaubnis, Kirchen wiederherzustellen, auch auf deren Erweiterung und ganz neuen Aufbau ausgedehnt. Unter „Früherer Zustand nichtmuselmanischer Unterthanen“ wird aufgeführt, dass Muslime dem Staat den „Uschur“ zahlten, d.h. den Zehnten des Bodenertrages, Nichtmuslime aber noch den „Summ“ oder Achten. „Während muselmanische Unterthanen nur 4 Procent von ihren Waren als Zoll zahlten, zahlten nichtmuselmanische 5 Procent.“ Außerdem entrichteten Nichtmuslime noch eine Entschädigungstaxe, da sie nicht Militärdienst leisten durften, sowie verschiedene andere Taxen und leisteten gewisse Frondienste.

Um willkürlichen Auslegungen osmanischer Richter, die sich darauf berufen könnten, das alte Gesetz sei nicht ausdrücklich genug aufgehoben worden, entgegenzutreten, erzwang Lord Stratford durch die Note vom 26. Januar 1856 am 12. Februar 1865 die Zusage Fuad Paschas, dass ein neuer Erlass des Sultans, der Hatt-i Hümayun tatsächlich volle Religionsfreiheit gewährte, was Außenminister Fuad Pascha bestätigte: „Demgemäß werden die früher der britischen und französischen Regierung in Bezug auf die Renegaten-Frage gegebenen Zusicherungen jetzt erneut und abermals bestätigt, während in Zufügung einer weiteren Zusicherung erklärt und bekannt gemacht wird, dass die bei der damals getroffenen Entscheidung gebrauchten Ausdrücke in dem Sinne sollen verstanden werden, dass sie alle Renegaten umfassen.“

Damit war auch zugesichert, dass ein Muslim ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, Christ werden konnte. Diese Reformen waren damals möglich, weil sich die europäischen Mächte als Schutzmächte der Christen in der Türkei verstanden. Das Engagement der europäischen Mächte war im 19. Jahrhundert besonders groß, weil das Osmanische Reich keine Bedrohung mehr darstellte, sondern im Krimkrieg bereits Verbündeter Englands, Frankreich und Piemont-Sardiniens war und damit eigentlich auch in den Kreis europäischer Mächte aufgenommen wurde.

Frankreich, Österreich und Russland als Schutzmächte der Christen

Frankreich hatte bereits seit dem 16. Jahrhundert gute Beziehungen zur Hohen Pforte und besaß seitdem ein gewisses Protektorat über die Christen im Osmanischen Reich, das später auch Österreich und Russland beanspruchten. Österreich erhielt Zusage und Rechte für die Katholiken im Orient in den Friedensverträgen von Karlowitz (1699), Passarowitz (1718) und Belgrad (1739), Russland im Vertrag von Konstantinopel (1720) und im Friedensvertrag von Kücük Kainarci 1774 für die türkischen Untertanen orthodoxen Glaubens. Dieses Schutzrecht über alle orthodoxen Untertanen bot in der Folgezeit der russischen Regierung oft Gelegenheit, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einzumischen und hatte 1853 zum Krimkrieg geführt. In dem Vier-Punkte-Programm der Krimkrieg-Koalition, das in Wien vom englischen und französischen Gesandten als Minimalprogramm künftiger Verhandlungen in einer Note übermittelt wurde, wird von Russland die Aufgabe des „Anspruchs auf eine amtliche Schirmherrschaft über die Untertanen der Hohen Pforte, welchem Glaubensbekenntnis sie auch angehören mögen“, verlangt. Durch den Erlass des Hatt-i Hümayun wurden schließlich den Christen gleiche Rechte wie den Mohammedanern eingeräumt, „damit dem russischen Kabinett ein für allemal die Gelegenheit genommen würde, unter dem Vorwand des Schutzes der griechischen Christen sich in die inneren Angelegenheiten des türkischen Reiches einzumischen.“

Dadurch hoffte der Sultan, den Großmächten zuvorzukommen, und glaubte, die Frage der Stellung der Christen im Osmanischen Reich würde auf der Pariser Friedenskonferenz nicht mehr als Verhandlungspunkt auftreten. Eine europäische Diskussion darüber oder erst recht die Aufnahme dieses Punktes in den zu erwartenden Friedensvertrag sah der Sultan als Einmischung in die innere Angelegenheit seines Reiches an. Die russische Diplomatie setzte alles daran, die Formulierung „la sollicitude des puissances pour le sort des Chrétiens de la Turquie (die Sorge der Großmächte um das Los der Christen in der Türkei)“ auch in den Friedensvertrag aufzunehmen. Schließlich einigte man sich darauf, den Hatt-i Hümayun „in irgendeiner Form im Friedensvertrag zu erwähnen. Der Streitpunkt war nun: In welcher Form.“ Die Hohe Pforte ließ durch den Großwesir erklären, dass sie die Unterzeichnung eines Friedensvertrages verweigern müsse, dessen Text es den Russen ermöglichen würde, auch nur irgendwie ein Einmischungsrecht für die Orthodoxen herauslesen und sich damit die gleichen Rechte anzumaßen wie sie ihnen der Frieden von Kücük Kainarci gegeben hatte. Schon auf der in der Literatur über den Krimkrieg wenig beachteten Konferenz von Konstantinopel – auf ihr wurde noch vor den Pariser Friedensgesprächen von den Botschaftern der alliierten Mächte mit den Vertretern des Sultans, Ali und Fuad Pascha, das Wiener Vier-Punkte-Programm behandelt – war es in dieser Frage zu Kontroversen und Misshelligkeiten gekommen. Der damalige Wiener Botschafter von Prokesch-Osten trat für Mäßigung gegenüber der Türkei ein, da er davon ausging, dass es im damaligen Europa kein Land mehr gäbe, das in religiöser Hinsicht so tolerant sei wie die Türkei. Es war dann auch der österreichische Vertreter am Pariser Friedensgespräch, Karl Ferdinand von Buol-Schauenstein, der vorschlug, die Formel „prendre acte“ in Bezug auf die Kenntnisnahme des Hatt-i Hümayun im Pariser Friedensvertrag durch die Worte „constater la haute valeur“ zu ersetzen. Russlands letzter Versuch, statt dessen einen anderen längeren Passus über die Christen im Osmanischen Reich einzusetzen, wurde nicht entsprochen. Trotzdem betonte der Zar in seinem Manifest vom 31. März 1856, dass „der ursprüngliche und hauptsächliche Zweck des Krieges“ von Russland erreicht worden sei: „Das künftige Los und die Rechte aller Christen im Orient sind von nun an sichergestellt. Der Sultan erkennt sie feierlich an, und in Folge dieses Aktes der Gerechtigkeit tritt das Osmanische Reich in den allgemeinen Verband der europäischen Staaten ein! Russen! Eure Anstrengungen und Eure Opfer waren nicht vergeblich. Das große Werk ist vollendet.“

Tatsächlich hatte das Ende des Krieges und der Friede von Paris Entscheidendes gebracht. Das Eintreten der Engländer und Franzosen trug Früchte, denn als „Concessionen, welche nichtmuselmanischen Unterthanen seit dem Tanzimat ertheilt sind“, kann der englische Botschafter die Aufhebung des Unterschiedes in der Besteuerung, die Abschaffung der Frondienste, die Freizügigkeit des Reisens, die Umwandlung der Militärdienststeuer in eine Militärzuschusssteuer als ein Loskauf von der Leistung persönlicher Dienste, die Zulassung von nichtmuslimischen Untertanen zum Dienst in der Pforte nach Fähigkeit und Verdienst melden. „Alle Unterschiede, welche für nichtmuslimische Unterthanen in Bezug auf Kleidung, Wohnung und andere Dinge bestanden, sind abgeschafft; Jedermann kann sich kleiden, sein Haus bauen und einhergehen, wie es ihm beliebt.“

Der Druck der westlichen Mächte zeigte angesichts der Verhandlungen über eine Beendigung des Krimkrieges noch weitere diplomatische Erfolge. Als am 18. Februar 1856 der Hatt-i Hümayun veröffentlicht wurde, der in 20 Paragraphen die Stellung der osmanischen Untertanen bestimmte und dessen Ausführungen über die freie Ausübung der Religion auch ihren Niederschlag im Pariser Friedensvertrag fanden, war in der islamischen Welt etwas Revolutionäres geschehen: Der Sultan, der auch Kalif, also Oberhaupt der Muslime war, hatte Religionsfreiheit garantiert, ja ging damals weit über das hinaus, was heute islamische Staaten gewähren. Das zeigen einige Aussagen ganz deutlich.

Paragraph 1 betont und erneuert die Garantien des Hatt-i scherif von Gülhane, also Sicherheit der Person und der Habe eines jeden ohne Unterschied des Standes und der Religion.

Paragraph 2 erneuert alle Privilegien und Immunitäten, die von den Vorgängern des Sultans christlichen Gemeinschaften und anderen nichtmuslimischen Riten gewährt wurden.

Am wichtigsten aber ist Paragraph 5, der die freie Religionsausübung für jeden Bürger gewährt: „Kein Unterthan meines Reiches darf in der Ausübung seiner Religion, die er bekennt, gehindert werden.“

Zwar erfüllten sich in der Türkei nicht alle Erwartungen und kam es unter Sultan Abdul-Hamit nach 1878 wieder zu Übergriffen, ja Pogromen wie 1894/95, 1898 und 1908 gegen die Armenier. Aber man kann auch von einem Aufblühen christlicher Kirchen im 19. Jahrhundert in der Türkei sprechen. Das zeigen noch heute die Kirchenbauten, die damals in Istanbul und Kleinasien entstanden, die Neugründungen katholischer Bistümer, die Entstehung protestantischer Kirchen bei Armeniern und syrischen Christen. Von den heute fast 150 Kirchen Istanbuls sind die meisten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg gebaut worden. Das gilt für griechische Kirchen ebenso wie für armenische, katholische und protestantische. So entstand die große griechische Dreifaltigkeitskirche auf dem Taximplatz mit Kuppel und Türmen 1880, die St. Antoniuskirche als größtes katholisches Gotteshaus kurz vor dem Ersten Weltkrieg. In Kleinasien wurden ebenfalls Kirchen gebaut, von denen aber nur wenige die Verfolgung im Ersten Weltkrieg und die Zeit des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches überlebten. Durch das 20. Jahrhundert, durch die Armenier-Endlösung, durch den Vertrag von Lausanne 1923, durch Abwanderung der Griechen nach den Unruhen 1955 und 1979 wurde das Christentum mehr als dezimiert und lebt nur in bescheidenen Gemeinden weiter.

Unsere Aufgabe ist es, einer Türkei, die nach Europa drängt, klar zu machen, dass das Reich der Sultane im 19. Jahrhundert in Fragen der Religionsfreiheit weiter war als die laizistische Türkei als Mitglied im Europarat und in der Nato und als EU-Beitrittskandidat zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Sicher ist die Lage in der Türkei besser als manche Islamgegner im Westen behaupten: Es gibt Kreuze auf den Kirchen und die Glocken dürfen läuten. Aber es gibt Diskriminierungen, die beendet werden müssen.

Das Engagement der damaligen christlichen Mächte und ihr Eintreten für die Christen während des Krimkrieges fehlt allerdings den heutigen Politikern des Westens. Was die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (mit Sitz in Frankfurt) fordert, sollten daher die Vertreter der EU von der türkischen Regierung verlangen, wenn sie erfolgreiche Beitrittsverhandlungen will:

• Baumöglichkeiten für Kirchen, Beachtung von Anträgen zum Kirchenbau und zur Renovierung von Kirchen und Gemeindehäusern;

• Stopp der Enteignungen christlichen Gemeindeeigentums aufgrund der Anwendung eines Stiftungsgesetzes von 1935, Rückgabe enteigneter Immobilien oder eine angemessene Entschädigung dafür und die uneingeschränkte Möglichkeit neuen Eigentumserwerbs;

• Rechtsanerkennung aller religiöser Gemeinschaften und Öffnung der geschlossenen Seminare sowie Zulassung des Unterrichts von Kirchensprachen wie des Aramäischen in den Klöstern des Tur Abdin;

• Sicherstellen der störungsfreien Versammlungsfreiheit aller Christen in der Türkei;

• Rechtliche Regelungen und Sicherheit wie Klärung von Haus- und Grundbesitzfragen für in den Tur Abdin (Südost-Türkei) zurückkehrende assyrische Christen;

• Ermöglichung des beruflichen Aufstiegs für Nichtmuslime zu allen Stufen in Verwaltung und anderen öffentlichen Stellen;

• Freie öffentliche Diskussionen über den Völkermord an den Armeniern und assyrischen Christen während des Ersten Weltkriegs vor der Gründung des modernen Staates Türkei;

• Ratifizierung des „Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Ist der Islam „europa-reif“?

Angesichts der zunehmenden Zahl von Muslimen in Europa stellt sich die Frage: Wie regeln wir in Zukunft unser Zusammenleben? Die Antwort auf diese Frage setzt die Antwort auf eine andere Frage voraus, die da lautet: Wer sind die Muslime, was ist Islam? Darüber, so fordert Weihbischof Dr. Andreas Laun, muss offen und ehrlich diskutiert werden. Ansonsten könne das Projekt eines „europäischen Islam“ nicht gelingen. Laun nämlich ist überzeugt: „Der Islam ist, so wie er sich heute darstellt, nicht kompatibel mit Europa, mit seinen christlichen Werten und mit seiner Kultur.“

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Früher“ waren die Muslime eine Gefahr und wurden ausschließlich so gesehen. Man muss nur die Geschichte der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen nachlesen, sehen, wie viele Bilder in Museen oder Skulpturen in Kirchen und an öffentlichen Gebäuden an die „Türkengefahr“ und ihre Überwindung erinnern, um zu wissen: Die Beziehung zwischen den Christen und den Türken war viele Jahrhunderte eine Beziehung in Feindschaft, und diese Feindschaft wurde blutig und erbarmungslos ausgetragen. Unbegründet war die Angst vor den Türken wahrlich nicht.

Das neue Miteinander fordert gebieterisch die Überwindung der alten Feindschaft samt ihren Feindbildern. Aber dazu ist es notwendig, dass sich die Europäer fragen, ob einerseits sie für die Aufnahme der muslimischen Kultur bereit sind und andererseits, ob der Islam mit Europa kompatibel ist. Angesichts des islamischen Terrors ist diese Klärung doppelt wichtig. Die Frage muss ähnlich sachlich und kritisch gestellt werden wie bei der Aufnahme eines neuen Landes in die EU.

Denn: Bis auf weiteres ist der Islam nicht „europa-reif“. Ob ihn eine Mehrheit willkommen heißt, für unbedenklich hält oder fürchtet, ist unerheblich. Entscheidend ist, was der „authentische Islam“ sagt, wie er sich im Koran, in den Haditen, im Leben des Mohammed – dessen Taten die Muslime ja auch für „normativ“ halten – darstellt. Unbedingt „ausdiskutieren“ müssen die Europäer mit den Muslimen folgende Themen:

Die Gewissensfreiheit

Bis zum heutigen Tag anerkennt der Islam nicht die Gewissensfreiheit. Vielleicht ist er systemimmanent dazu gar nicht in der Lage. Aber ohne Anerkennung dieses Grundsatzes sind Streit und der „clash of civilisations“ programmiert. H. Boulad warnt unverblümt: „Europa soll nicht gerade die Türen weit aufmachen für eine Religion, die von Natur aus intolerant ist."[1] Das heißt: Wenn es sich erweisen sollte, dass der Islam tatsächlich intolerant ist und seine Anhänger weder fähig noch willens sind, ihre Religion in diesem Punkt zu verändern, dann sollte Europa die schon zu weit geöffneten „Türen“ dringend schließen – nachdenken, wie man sie „schließen“ kann.

Trennung von „Religion und Staat“

Solange die Muslime diese Unterscheidung nicht anerkennen, müssen sie logischerweise nach der Macht streben und, wenn sie sie errungen haben, danach trachten, auch die Scharia einzuführen. Wenn der Pakistani Mawlana Mawdudi recht hat mit dem Satz: „Der Islam ist keine normale Religion … der Islam ist ein revolutionärer Glaube, der antritt, jede von Menschen geschaffene Staatsform zu zerstören“, muss das Europa in Alarm versetzen.[2] Sogar ein so behutsamer Mann wie H. Boulard warnt: Die Geschichte zeigt, dass es sich beim Islam „nicht um eine Religion, sondern um ein ganzheitliches System handelt.“ Darum habe er die Sorge, dass das, was sich in Europa „zunächst als religiös verbrämte Toleranz darstellt, letztlich die Islamisierung der Gesellschaft zum Ziel hat; in ein, zwei Generationen eine realistische Möglichkeit."[3] Daher muss Europa alles tun, um den Muslimen diese Unterscheidung zu vermitteln. J. Ratzinger hat es höflich so gesagt: „Wir müssen einer Religion, in der die Untrennbarkeit von Staatsgewalt und Religion so bestimmend ist, ein Konzept der religiösen Freiheit anbieten. Wir könnten ihnen zeigen, dass ein Gott, der dem Menschen mehr Freiheit lässt, dem Menschen auch neue Räume zu seiner eigenen kulturellen Entwicklung anbietet."[4]

Die Wahrhaftigkeit

Verlangen muss man von den Muslimen unbedingt eine Absage an ihr koranisches Prinzip der „Takiya“, das heißt einer zu Gunsten des Islam „erlaubten Lüge“. Dazu passt das islamische Sprichwort: „Wenn du deinem Feind nicht die Hand abschlagen kannst, dann küsse sie."[5]

Djihad und Terror

Sind für den islamischen Terror nur „schlechte“ Muslime verantwortlich, die ihre Religion nicht wirklich kennen oder nicht ernst genug nehmen und sich von nicht-islamischen Einflüsterungen zum Terror verleiten lassen, oder ist der Terror bei Vorliegen von „guten Gründen“ nicht doch genuin moslemisch? Koranzitaten, die das Tötungsverbot beinhalten, sollte man eher misstrauisch begegnen. Die Muslima Irshad Manji meint z.B., Bin Laden könne sich ohne weiteres zum Prinzip „Niemals einen Unschuldigen töten“ bekennen und gleichzeitig Terroranschläge planen, weil „der Westen“ gemessen an den Prinzipien des Islam ja nicht unschuldig sei.[6]

Der „Buchstabe“ des Koran

Kann ein Buch mit so gefährlichen Textstellen, wie sie der Koran in großer Zahl enthält, für „unfehlbar“ gehalten werden, und zwar ohne dass es eine Autorität gäbe, die diese Stellen klar und verbindlich in die Schranken weist?[7] Man muss „sich die hässliche Seite des Koran eingestehen und erkennen, wie diese den Terrorismus prägt.“ So Ishad Manji.[8] Sie hat recht, darüber muss geredet werden, und wenn das stimmt, braucht es den Freiraum, darüber in aller Freiheit zu reden. Immerhin beschäftigen sich rund 60 Prozent des Koran mit dem Djihad.[9] Auch J. Ratzinger hat, damals noch Kardinal, gemeint, es müssten die „kulturellen Schwächen einer Religion erfasst werden, die so sehr an ein Buch gebunden ist, das für wörtlich inspiriert erachtet wird – mit allen Gefahren, die sich daraus ergeben."[10] Wie man sieht, auch er hält diesen Aspekt des Islam für gefährlich.

Die Gewalt

Kann man einen Mann wie Mohammed, von dem die muslimischen Quellen selbst so viele Raubzüge, Morde und sexuelle „Großzügigkeiten“ erzählen, als verbindliches Vorbild hinstellen, ohne dass an ihm die geringste Kritik erlaubt wäre?[11]

Die Menschenrechte

Aufhorchen lassen zwar Texte wie die „Grazer Erklärung“ der Konferenz der „Leiter islamischer Zentren und Imame in Europa“ (Graz, 15. Juni 2003) – aber ist eine solche Erklärung typisch für den Islam? Wird da nicht manches Problem „schöngeredet“? Etwa wenn es heißt, der Pluralismus sei im Islam „gottgewollt“? Ist er das wirklich? Oder ist die ganze Erklärung vielleicht nur Takiya? Islamisierung bedeutete, das lässt sich empirisch zeigen, sehr oft: „Ausschaltung der Menschenrechte“.[12] H. Boulad meint, die Europäer sollten zum Beispiel in der Türkei nachfragen, wieso am Beginn des Jahrhunderts ein Drittel der Bevölkerung Christen waren, jetzt hingegen nur noch 0,3 Prozent? Und Boulad weiter: Man sollte sich hüten vor einem Schweben „in Wolken der Gewissensfreiheit und der Menschenrechte, die von der anderen Seite geleugnet werden.“ Solange muslimische Denker, die wirklich für Menschenrechte eintreten, mundtot gemacht werden, könne man kaum Hoffnung haben.[13]

Die Stellung der Frau

Wie steht der Islam zu den Frauen? Zu bestreiten, dass der Islam Frauen schwer benachteiligt, widerspricht der Evidenz der Belege.[14] Ist ein ideologisches System, das auf der Minderwertigkeit der Frau besteht, für Europa tragbar?

Der Antisemitismus

Affen und Schweine nennt der Koran die Juden, und der muslimische Antisemitismus ist eine Realität,[15] die längst erwiesen ist. Über sie muss „hart“ gesprochen werden. Eine so gefährliche Einstellung wie den Antisemitismus darf Europa, das überall und manchmal in fast lächerlicher Weise nach neuem Antisemitismus fahndet, nicht auf sich beruhen lassen.

Diese und andere Elemente, die für den Islam allerdings wesentlich zu sein scheinen, führen zu der Folgerung: Der Islam ist, so wie er sich heute darstellt, nicht kompatibel mit Europa, mit seinen christlichen Werten und mit seiner Kultur.

Darüber muss geredet werden, aber geredet kann nur dann werden, wenn die universal gültigen Bedingungen eines echten Dialogs von allen Gesprächsteilnehmern angenommen worden sind: Respekt vor dem Gesprächspartner, auf Grund dessen es möglich ist, auch heikle Themen anzusprechen und harte Auseinandersetzungen zu führen. Diesen Dialog darf sich Europa nicht ersparen, wenn das Projekt eines „europäischen Islam“ gelingen soll. So sagt auch der protestantische Theologe Körtner richtig: „Der interreligiöse Dialog muss auf eine neue, realistischere Grundlage gestellt werden, bei der bestehende Unterschiede und offenkundige Gegensätze nicht verbrämt, sondern offen benannt und diskutiert werden."[16] Nachgeben bestärkt die Muslime nur im Glauben an ihre „Überlegenheit“ und führt nicht zur erwünschten Anerkennung des Christentums durch die Muslime, sondern im Gegenteil: Für schwache Christen oder nur getaufte Heiden haben gläubige Muslime nur Verachtung übrig. Dialog, bei dem sich einer der Partner schon vorher aufgegeben hat, ist sinnlos. Europa muss von seiner eigenen Identität her argumentieren.

Wenn Ausländer in europäische Länder eingebürgert werden wollen, müssen sie bestimmte Voraussetzungen mitbringen, neuerdings z.B. verlangt man, dass sie die Landessprache kennen.

Dasselbe sollte noch viel mehr für die geistigen Voraussetzungen gelten: Die Muslime müssen Grundprinzipien anerkennen, ohne die sie keine Europäer sind und auch nicht werden können. Wie sie diese Grundsätze mit ihrer Religion vereinbaren können, müssen sie selbst zusehen, aber die Europäer sollten ihnen helfen: durch Dialog mit jenen Muslimen, die die dazu nötige geistige Freiheit mitbringen. Und die Kirche sollte bei diesem Dialog, auf dem festen Boden ihrer Lehre, ganz vorne stehen und darauf achten, dass in aller Freiheit über alles, auch über die Inhalte der beiden Religionen, gesprochen werden kann. Denn dann würden die Muslime vielleicht entdecken, dass das Christentum ihrer Religion „an sich“ turmhoch überlegen ist, weil es einen Gott der Liebe verkündet.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Henri Boulad, zitiert nach Kathpress v. 21. Mai 2006, 6.
[2] Mark Gabriel: Islam und Terrorismus, Gräfeling 2004, IX; 105.
[3] Henri Boulad, a.a.O., 6.
[4] Joseph Ratzinger: Gott bleibt am Rand. Exklusiv-Interview mit Joseph Kardinal Ratzinger, In: Die Welt v. 24.11.2004.
[5] Mark Gabriel, a.a.O., 116.
[6] Irshad Manji: Der Aufbruch, München 2005, 51.
[7] Der Verweis auf die Bibel, wo es solche Stellen doch „auch“ gäbe, zieht nicht: Erstens gibt es in der Bibel viel, viel weniger Stellen dieser Art, kaum solche mit so brutal-direkten Aufforderungen zum Töten und Quälen wie im Koran, und zweitens zweifelt kein Christ auch nur einen Augenblick lang, dass solche Stellen das 5. Gebot Gottes aufheben würden – schon gar nicht ein Christ der katholischen Kirche mit ihrem Lehramt.
[8] Irshad Manji, a.a.O., 51.
[9] Mark Gabriel, a.a.O., 52.
[10] Joseph Ratzinger, a.a.O.
[11] Auch hier wieder der Vergleich zum Christentum: Jesus war ganz anderer Art. Wenn, könnte man manche Taten von Mohammed nur mit dem Leben mancher Heiliger vergleichen – aber auch da ist der Unterschied eindeutig: Es gibt Heilige, die schreckliche Dinge getan haben, aber als Heilige werden sie nicht deswegen, sondern trotz ihres Vorlebens – das Christen verurteilen – verehrt.
[12] Ibn Warraq: Warum ich kein Muslim bin, Berlin 1995, 240.
[13] Henri Boulad, a.a.O., 6.
[14] Mark Gabriel: Jesus und Mohammed, Gräfelfing 2006, 199.
[15] Vgl. die vielen Belege in Roy H. Schoeman: Salvation is from the Jews, San Francisco 2003, 254ff.
[16] Ulrich H. J. Körtner: Ende der interreligiösen Gemütlichkeit, In: Der Standard vom 20.5.2006, 39.

Europa und die islamische Kultur

Wie kann Europa ein friedliches und gerechtes Zusammenleben mit der islamischen Kultur finden? Europa ist geistig bestimmt einerseits durch das Christentum, vor allem durch die katholische Kirche, andererseits seit rund 200 Jahren durch den immer aggressiver werdenden Laizismus. Weihbischof Dr. Andreas Laun geht der Frage nach, wie sich ein solches Europa für die Begegnung mit dem Islam wappnen kann. Dabei beleuchtet er die Schwachstellen und Fehlentwicklungen, denen es entgegenzuwirken gilt.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Problematische Entwicklung in der katholischen Kirche

Seit dem 2. Vatikanischen Konzil breitet sich in weiten und einflussreichen Kreisen des christlichen Europas ein Geist aus, der sich vielfach auf das Konzil beruft, aber dessen Lehre in gefährlicher Weise entstellt hat:

Erstens ist der Missionseifer weithin erloschen. Wozu Mission, wenn die Menschen in jeder anderen Religion und sogar ohne Religion ohnehin auch „gerettet“ werden können? Daher spricht man in gewissen Kreisen kaum noch von „Mission“ oder man benützt zwar den Begriff, aber ersetzt das Gemeinte klammheimlich durch Entwicklungshilfe.

Zweitens interpretiert man das vom Konzil geforderte „Verständnis“ des Islam und die Anerkennung gewisser Gemeinsamkeiten so, als ob der Islam eine untadelige, dem Christentum gleichgestellte Religion wäre. Wenn sich jemand dennoch kritisch äußert oder bestimmte Vorwürfe nicht abgestritten werden können, wird die Kritik abgeschwächt, durch Vergleiche mit christlichen Fehlern relativiert („Die Christen haben doch auch…“) und der Kritiker nicht selten als gefährlicher Fundamentalist diffamiert, der den Frieden stört. So gibt es kaum noch christliche Islam-Kritik, und wenn doch, dann am ehesten in akademischen Zirkeln, aber nicht in der Öffentlichkeit. Islamkritik gilt als politisch nicht korrekt. Es gehört zum guten Ton, sich islam-freundlich zu äußern, manchmal gerade angesichts einer Provokation der anderen Seite. Damit zeigt man, wie „christlich“ und wie „tolerant“ man doch sei!

Diese Kreise hegen und pflegen ein romantisches Bild vom Islam, und sie werden aggressiv, wenn man es ihnen nehmen will. Sagt jemand, er wünsche nicht, dass Europa muslimisch werde, gilt dies in bestimmten Medien bereits als „Verhetzung“ und wird dem islamischen Terror gleichgestellt. Es wundert nicht, dass in einem solchen Klima kein Willen gedeihen kann, Muslimen den katholischen Glauben näher zu bringen und sie zu Christus zu führen – wozu denn, fragt man, sie haben doch ihren Mohammed, und außerdem sei es ein Unrecht, ihre religiöse Identität zerstören zu wollen.

Drittens deutet man die Konzils-Erklärung zur Religionsfreiheit im Sinn des Indifferentismus bezüglich der Wahrheit. Es störe, sagt man, den religiösen Frieden und die Ökumene, wenn eine Religion oder eine bestimmte Kirche behauptet, die Wahrheit zu haben. Und zudem macht man denjenigen, der anders denkt, mundtot durch die moralische Keule: Wer behauptet, die „einzig wahre Religion“ zu sein,[1] sei arrogant. Dass die katholische Kirche sowohl in ihrer Tradition als auch auf dem 2. Vatikanischen Konzil genau das von sich selbst sagt, wird dabei mit Schweigen übergangen (so man die Konzilstexte überhaupt gelesen hat und sich nicht nur auf sie beruft).

Auf den ersten Blick hin könnte man meinen, der Verzicht auf Wahrheitsanspruch, auf Mission und Kritik am Islam diene dem Frieden. Das Gegenteil ist wahr, und dies aus folg. Grund: Durch die genannte Nachgiebigkeit fehlt die Möglichkeit zu prüfen, ob der Islam mit Europa kompatibel ist oder nicht. Die Folge wird sein: Der Islam bleibt, wie er ist, mit seinen europa-feindlichen Elementen, und zugleich werden die Muslime alles tun, um auch politische Macht zu gewinnen. Auf Grund ihrer hohen Kinderzahl ist das Erreichen dieses Zieles nur eine Frage der Zeit.

Der Laizismus

So bereit die katholische Kirche mit ihrer authentische Lehre ist, die islamische Kultur aufzunehmen, so schlecht vorbereitet ist der Laizismus. Denn dieser ergeht sich immer noch, unbeeindruckt von dem Kindermangel und seinen Folgen, in seinen vernunft-widrigen Ideologien. Seine Feindschaft gegenüber dem Christentum ist so groß, dass er unfähig zu sein scheint, die Gefährdung durch den Islam auch nur wahrzunehmen. Von ihm gilt wirklich das Wort des französischen Philosophen E. Morin: „Dass sich die Vernunft für die reine Wahrheit hält, endet mit ihrer Selbstvergötterung; und durch die Selbstvergötterung wird die Vernunft zur Närrin."[2] Wahrhaft zur „Närrin“, man denke nur an die „Homo-Ehe“, an die „Gender-Gerechtigkeit“ (auch wenn in dieser Diskussion richtige Anliegen enthalten sind), an die „Antidiskriminierungsgesetze“ mit ihrer Eignung, eine neue Zensur zu ermöglichen, an die Familienfeindlichkeit bestimmter Politiker, an das „Recht“ auf Abtreibung und auf freien Sex. Glauben diese Laizisten wirklich, mit einem solchen Europa könnten sie die Muslime zur „Integration“ motivieren? Sie werden sich vielleicht vorläufig still verhalten, aber sie werden nicht bereit sein, sich auf diese „europäischen Werte“ einzulassen, die sie mit Recht für Unsinn und Unwerte halten.

Für einen weiterführenden Dialog ist dieser Laizismus ungeeignet, weil ihm, zusätzlich zu den genannten Irrtümern, an denen er leidet, ein tieferes Verständnis für das Wesen der Toleranz und Religionsfreiheit fehlt. Die Berufung auf die Ringparabel von Lessing geht ins Leere. Denn „in Wahrheit ist sie gar kein Ausdruck von echter Toleranz, sondern von religiöser Indifferenz, weil sie die Wahrheitsfrage von vornherein suspendiert und damit den jeweiligen Geltungsanspruch der verschiedenen Religionen gar nicht ernst nimmt."[3] Sie verwechselt Toleranz mit Gleichgültigkeit. Aber so kann man einen Moslem mit seiner Überzeugung weder verstehen noch mit ihm sprechen.

Die Notwendigkeit des Dialogs

Nur ein offener Dialog ist hilfreich, das Einhalten von Tabus, wie sie heute schon weithin bestehen, verurteilt ihn zum Scheitern. Gerade die Kirche müsste sich der Ausgrenzung von Themen durch Tabuisierung im Namen „politischer Korrektheit“ widersetzen.[4]

Mission mit Hilfe des Dialogs ist ein unschätzbarer Dienst an den Muslimen, weil er ihnen entweder hilft, einige wichtige Wahrheiten in den Islam „einzubauen“ und ihn damit in guter Weise zu reformieren, oder überhaupt Christus zu finden. M. Gabriel hat recht: „Muslime hungern nach Wahrheit, weil sie vom Geist des Betrugs im Islam enttäuscht sind. Muslime dürsten nach Liebe, Vergebung und Barmherzigkeit. Muslime sind auf der Suche nach Frieden in dieser Welt, weil sie desillusioniert sind über den religiösen Djihad, der zu Blutvergießen und Hass führt. Frauen sind frustriert über die Verfolgung und die Verweigerung ihrer Rechte. Muslime sehnen sich nach einer persönlichen Beziehung zu Gott als ihren Erlöser."[5] Nur im Wissen um diesen Durst sollten sich Christen an den Gesprächstisch mit Muslimen setzen.

Ein solcher Dialog wäre auch eine große Hilfe für jene Mehrheit von Muslimen, die trotz bestimmter Elemente in ihrer Religion vernünftig und auch kritisch über den Koran nachdenken, den Frieden wollen und die Menschenrechte wirklich anerkennen. „Nötig“ für den Islam ist „eine erzieherische Renaissance, eine Reform, die die Menschen ändert und die Vernunft wieder ins Zentrum rückt“, sagte vor kurzem der Jesuit Samir Khalil Samir, Professor für Islamkunde an der Universität von Beirut.[6] Muslime geben ihm recht: „Das größte Problem“ des Islam „ist möglicherweise die zunehmende Isolierung des islamischen Gelehrtentums vom Rest der modernen Welt."[7] Irshad Manji überschreibt ein Kapitel ihres Buches mit der provokanten Frage: „Wann haben wir zu denken aufgehört?"[8] Europa könnte den Muslimen helfen, wieder zu denken.

Ob der Islam eine Reform im Sinne der vollen Anerkennung der Vernunft überleben kann, ist freilich eine Frage, die am besten die Erfahrung beantworten wird.

Änderung der Familien- und Kinderpolitik

Eine Veränderung des Islam, die eine notwendige Bedingung für ein wirklich friedliches Nebeneinander mit dem Christentum vielleicht auf Jahrhunderte hin ist, kann nicht Frucht irgendeiner Gewaltanwendung sein. Aber diese „Europäisierung“ des Islam wird sicher nicht stattfinden, wenn die Europäer sich selbst weiter vernichten und durch Kinderlosigkeit ihr eigenes Überleben gefährden. Der Dialog kann nur zwischen einigermaßen gleich starken Partnern, auf „Augenhöhe“, gelingen und sicher nicht, wenn europäische Greise mit islamischen Jugendlichen diskutieren.

Unter anderem aus diesem Grund muss Europa eine effiziente Familien- und damit Geburtenpolitik betreiben. Aber dazu wäre es nötig, die katastrophalen Fehler der jüngsten Vergangenheit einzugestehen. Mehr Kinder haben zu wollen und gleichzeitig Karriere an den ersten Platz zu stellen, Kinder vor allem als etwas zu sehen, was man verhütet und gegebenenfalls abtreibt, geht nicht. So unpopulär es sein mag, man muss es aussprechen:

Wenn es zu wenig Kabeljau in der Nordsee gibt, verbietet man den Fischfang. Wenn Tiger auszusterben drohen, verbietet man die Tigerjagd. Wenn der Sommer zu trocken ist, verbietet man die Wasserverschwendung. Immer dann, wenn etwas fehlt, führt man Verbote ein, um den kostbaren Rohstoff zu schützen. Warum soll diese Logik nicht auch für Kinder gelten? Warum verbietet man nicht endlich wieder die Abtreibung: wenn nicht aus moralisch-rechtlichen Gründen, so doch wenigstens, um die Zukunft Europas zu retten? Hätte Europa die Kinder, die seit den 70er Jahren getötet wurden, gäbe es weniger Muslime in Europa und die Europäer könnten den Muslimen den Dialog aus einer Position der Stärke heraus anbieten.

Was Europa aus vielen Gründen braucht, ist eine Familienpolitik, die diesen Namen verdient, die alten Fehler schleunigst korrigiert und die Frau als Mutter neu zu Ehren bringt.

Man sollte auf Laokoon hören!

Als die Griechen Troja nicht erobern konnten, bauten sie ein hölzernes Pferd und versteckten ihre Soldaten in dem Pferd. Die Trojaner fanden das merkwürdige Pferd, waren begeistert und begannen, ihre Stadtmauer einzureißen, um das Pferd in die Stadt zu ziehen. Ein gewisser Laokoon warnte sie und stieß sogar mit dem Speer gegen das Pferd, so dass man die Waffen klirren hörte. Aber Zweifel und Kritik waren unerwünscht, die Trojaner weigerten sich nachzuschauen – und so ging Troja zugrunde.

Könnte sich der Islam, der nach Europa gekommen ist und immer noch mehr kommt, als ein solches „trojanisches Pferd“ entpuppen? Wunschdenken war noch nie ein guter Ratgeber für politisches Handeln. Wer gegen eine kritische Prüfung ist, hat wohl etwas zu verbergen. Die Europäer sollten auf ihre „Laokoons“ hören. Es ist doch nicht zuviel verlangt, die Überprüfung zu fordern, wer die neuen Mitbewohner in Europa sind und worin ihre Überzeugungen bestehen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] DH 1.
[2] Edgar Morin zitiert nach Giovanni Reale: Kulturelle und geistige Wurzeln Europas, Paderborn 2004, 104.
[3] Ulrich H. J. Körtner: Ende der interreligiösen Gemütlichkeit, In: Der Standard vom 20.5.2006, 39.
[4] Peinlich, wie auch die EU dem Wunschdenken, Schönreden und Tabuisieren Vorschub leistet: Islamic terrorism phrase to be banned from EU lexicon: 13.04.2006, By Mark Beunderman: The EU is working on a public communication lexicon which blacklists the term „Islamic terrorism“.
[5] Mark Gabriel: Islam und Terrorismus, Gräfeling 2004, 230.
[6] Giorgio Paolucci: Eine erzieherische Renaissance wäre nötig. In: Spuren, 5. Jg.,  März 2006, 16.
[7] Mahathir bin Mohamad: Die aufgegebene Renaissance des Islam, In: Die Presse v. 11.11. 2005, 30.
[8] Irshad Manji: Der Aufbruch, München 2005, 57.

 

 

Gegen die Geschichtsfälschung Dan Browns

Im Juni erschien ein empfehlenswertes Taschenbuch zu Dan Browns „Sakrileg“.[1] Es bietet eine geeignete Argumentationshilfe gegen den überaus erfolgreichen Roman, der mittlerweile die Kinosäle erreicht hat und die Menschen mit haarsträubenden Geschichtslügen gegen die Kirche aufbringt. Professor Dr. Manfred Hauke (Theologische Fakultät Lugano) gibt einen ersten Einblick in das Werk, das zuerst auf Italienisch veröffentlicht wurde, aber auch in anderen Sprachen erscheint (Französisch und Russisch).

Von Manfred Hauke

Ist es wichtig, sich mit dem Roman und dem Film von Dan Brown auseinanderzusetzen?

Der Roman „Sakrileg“ (im englischen Original „The Da Vinci Code“) gehört zu den erfolgreichsten Büchern der neueren Zeit. Er hat viel Verwirrung gestiftet mit der Behauptung: „Sämtliche in diesem Roman erwähnten Werke der Kunst und Architektur sind wirklichkeits- bzw. wahrheitsgetreu wiedergegeben“. Im Zentrum des Thrillers steht die angebliche Aufdeckung einer Verschwörung der Kirche. Jesus Christus sei nicht Sohn Gottes, sondern nur Mensch. Erst Kaiser Konstantin auf dem Konzil von Nizäa (325) hätte die Lehre von der Gottheit Jesu eingeführt. Dabei hätte er den Christen die vier kanonischen Evangelien auferlegt und die wahren Evangelien, die der Gnostiker, unterdrückt. Die gnostischen Evangelien würden die Ehe zwischen Jesus und Maria Magdalena lehren. Deren Nachkommen lebten noch heute und würden seit der Zeit der Kreuzzüge durch das „Priorat von Sion“ beschützt. Zu den Anhängern dieser Geheimorganisation habe unter anderem Leonardo da Vinci gehört, der Maria Magdalena auf seinem Gemälde über das Letzte Abendmahl dargestellt habe.

All diese Behauptungen sind blühender Unsinn und werden von keinem Wissenschaftler ernst genommen. Dabei geht es gar nicht einmal zunächst um den Glauben, sondern um eine unverschämte Verfälschung kontrollierbarer geschichtlicher Kenntnisse. Die Geschichtslügen Browns spielen keine Rolle in der Wissenschaft, wohl aber in den Massenmedien und werden gerne eingesetzt zum Kampf gegen Christus und gegen die Kirche. Eine Schweizer Telefongesellschaft beispielsweise verspricht in einem Werbeprospekt für Mobiltelefone, in denen gratis ein Auszug des Films abgespielt werden kann: „Enthüllen Sie das größte Geheimnis in der Geschichte der Menschheit“. Schon für 14jährige ist es dann „cool“, sich das Machwerk „hineinzuziehen“.

Wieso gibt es dieses neue Buch zum Roman Dan Browns? Sind nicht bereits andere Publikationen dazu vorhanden?

Gott sei Dank ist dies nicht die erste kritische Veröffentlichung zu dem Roman, der nun auch über die Verfilmung einige Verwirrung stiftet. In dem neuen Sammelwerk finden sich aber manche Hinweise, die bisher in der Diskussion zu kurz gekommen sind. Arturo Cattaneo, der Herausgeber des Buches, bietet zunächst eine handliche Zusammenfassung des Thrillers. Wer sie liest, kann bei der Diskussion mitreden, ohne darum den umfangreichen Roman selbst lesen zu müssen. Massimo Introvigne ist einer der bekanntesten Spezialisten für „neue Religionen“ und Sekten, wozu auch Verschwörungstheorien aller Art gehören. Introvigne, von Haus aus Rechtsanwalt, entlarvt die wichtigsten Lügen Dan Browns, in dessen Werk so gut wie nichts den geschichtlichen Fakten entspricht. Der brillante, mit viel Humor gewürzte Beitrag von Introvigne geht auf einen Vortrag an der Universität von Lugano zurück, der eine riesige Menschenmasse tief beeindruckt hat. Introvigne und Cattaneo sind auch im italienischen Fernsehen aufgetreten.

Was findet sich sonst noch in dem Werk?

Die übrigen Beiträge des Buches widmen sich, ebenfalls für ein breit gestreutes Publikum, der Vertiefung einiger besonderer Aspekte. Ich selbst habe zwei Artikel beigesteuert. In meinem ersten Beitrag geht es um den Angriff Browns auf die Gottheit Christi. Die geschichtlichen Quellen bezeugen ganz eindeutig den Glauben an Jesus Christus als wahren Gott und wahren Menschen bereits von Anfang an. Die vier Evangelien sind die einzigen, die von der Kirche akzeptiert wurden. Sie stammen aus dem ersten Jahrhundert. Die gnostischen Evangelien hingegen sind später entstanden (seit dem zweiten Jahrhundert). Sie bieten nicht einmal die Lehre, die Brown in ihnen zu finden meint: gerade die Gnostiker leugnen die wahre Menschheit Jesu, die hingegen von den katholischen Christen und den biblischen Quellen betont wird (neben der wahren Gottheit). Das Konzil von Nizäa wendet sich gegen Arius, der alle vier Evangelien akzeptierte, aber aus philosophischen Gründen die Gottheit Christi ablehnte.

Mein zweiter Beitrag stellt die Frage: Hat die Kirche die Sexualität verteufelt und die Frau verachtet? Gerade die von Brown gepriesenen Gnostiker führen die Schöpfung des Leibes und die Sexualität auf den Teufel zurück, während die Kirche stets die Güte des Geschaffenen verteidigte und die christliche Ehe als Sakrament betrachtet. Nach dem gnostischen Thomas-Evangelium hingegen muss sich die Frau zum Manne machen, um in den Himmel zu kommen. Das gnostische Philippus-Evangelium, von Brown als entscheidendes Argument für eine Ehe Jesu mit Maria Magdalena angeführt, hat eine ganz andere Bedeutung: es betrachtet die „fleischliche“ Ehe als unreine Schweinerei. Der als Aufwertung des „göttlich Weiblichen“ betonte Fruchtbarkeitskult ist in Wirklichkeit eine Entwürdigung der Frau, die sich im Tempel prostituieren musste. Diesen Kult in die jüdische Welt zur Zeit Jesu zu versetzen, ist vollkommener Unsinn. Ich gehe auch auf die Fragen ein, wer Maria Magdalena wirklich war und welchen Sinn die Ehelosigkeit Jesu besitzt. Die wahre Bedeutung der Frau zeigt sich am besten in der Gottesmutter, was ich anhand der Marienerscheinungen von Guadalupe deutlich mache.

Weitere Beiträge befassen sich mit dem Bild Jesu in den kanonischen und den apokryphen Evangelien (Bernardo Estrada) sowie mit den zahlreichen geschichtlichen Phantastereien des amerikanischen Romans, die im einzelnen widerlegt werden (etwa der Vorwurf, „die Kirche“ hätte „fünf Millionen“ Hexen verbrannt) (Alberto Torresani). Arturo Cattaneo schließlich widmet sich den falschen Vorwürfen gegen das „Opus Dei“. Die erste italienische Auflage des Buches war schon nach einer Woche vergriffen. Auch für den deutschen Sprachraum kann das Taschenbuch helfen, das Licht des katholischen Glaubens zum Leuchten zu bringen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Der Betrug des „Da Vinci Code“. Geschichtsfälschung auf Kosten der Kirche in Dan Browns Bestseller „Sakrileg“. Mit Beiträgen von Massimo Introvigne, Manfred Hauke, Bernardo Estrada, Alberto Torresani, Arturo Cattaneo. Taschenbuch, 240 S., ISBN 3-928929-95-X.

Glaubenszeichen – Kunst im Leben der Kirche

Im Jahr 1999 eröffnete der Goldschmiedemeister Bernd Cassau aus Paderborn in einem historischen Gewölbekeller ein „Museum für sakrale Kunst“. Bereits in jungen Jahren hatte er damit begonnen, Exponate, vornehmlich liturgische Geräte, zu sammeln. Neben altehrwürdigen Stücken enthält die Sammlung auch eigene Arbeiten des Künstlers.

Von Bernd Cassau

Idee und Konzeption

„Die Kunst überhaupt, aber besonders die der Alten, lässt sich ohne Enthusiasmus weder fassen noch begreifen. Wer nicht mit Erstaunen und Bewunderung anfangen will, der findet nicht den Zugang in das innere Heiligtum“, so schrieb Goethe. Seit über 40 Jahren beschäftige ich mich mit der kirchlichen Kunst. Durch die Leidenschaft zu meinem Beruf habe ich über viele Jahre Kunstwerke gesammelt und es ist mir gelungen, eine Sammlung zusammenzustellen, die ich nicht nur Kunstkennern, sondern der breiten Öffentlichkeit präsentieren möchte. Die Gelegenheit zur Verwirklichung eines eigenen Museums, meines Jugendtraums, erhielt ich nach dem Tod meiner Mutter. Fast sechs Jahre dauerte es von der Konzeption bis zur Verwirklichung meiner Vorstellungen.

Ich habe die Kunst in den Mittelpunkt meines Lebens gestellt. Persönlich kann ich nur etwas gestalten, wenn ich mich darin wiederfinde. Das Ganze muss stimmen, um glaubwürdig zu sein.

Verschüttete Quellen öffnen

Die Tradition ist das Fundament, auf dem die Zukunft steht. Das gilt auch oder gerade für das künstlerische Schaffen. Ein Maler muss die Malweisen der alten Meister studieren und verstehen, um seine eigenen Fähigkeiten daraus entwickeln zu können. Auch ein Gold- und Silberschmied braucht das Fundament der Erfahrung vorausgegangener Generationen, um seinen eigenen Weg zu finden. Hierzu kommt wesentlich die Freude am Beruf. Das Planen, Entwerfen, Ausführen, der Umgang mit den Materialien müssen einfach Spaß machen – sonst gelingt die Arbeit nicht. Und sie soll ja überzeugen. Sie soll die Blicke auf sich ziehen, zum Verweilen anhalten, zum Nachdenken anregen – und vielleicht auch verschüttete Quellen des Glaubens wieder öffnen. Vieles kommt also zusammen, muss beim sakralen Kunsthandwerk bedacht werden.

Aufgabe der sakralen Kunst

Gerade der sakralen Kunst wird die Aufgabe zufallen, Mittlerdienste in einer säkularen Welt zu übernehmen. Kunst hilft erklären. Kirchliche Kunst kann ein Stück Glaubensvermittlung sein. Deshalb muss ich als Künstler, der im sakralen Bereich tätig ist, mein Augenmerk immer stärker auf Formen und Symbole richten, die diese Mittlerfunktion übernehmen können. Das Kunstwerk muss wie ein Leitwort sein.

Unser „Museum für sakrale Kunst“ möchte in vielfältiger Weise inspirieren und anregen und eine Möglichkeit bieten, in Diskussionen und Gesprächen die Seele der Kunst zu ergründen. In sechs Jahren der Vorbereitung ist ein Ausstellungsraum entstanden, der Würde und Ehrfurcht vermittelt. Ein Besuch im Museum ist zugleich eine Stunde der Besinnung.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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