Kirche und Staat

Weihbischof Dr. Andreas Laun geht der Frage nach, wie das Verhältnis von Staat und Kirche nach den Prinzipien des katholischen Glaubens aussehen sollte. Inspiriert wurde er dabei von einem Buch des Theologen Hugo Rahner über die Situation in den ersten Jahrhunderten. Heute steht die Kirche einer modernen Demokratie gegenüber, die sie in mehrfacher Weise herausfordert. Weihbischof Laun tritt für eine Balance „zwischen Anerkennung des Staates und Widerstand gegen Grenzüberschreitungen“ ein, bei der der Kirche vor allem ein Wächteramt zukomme.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Nach dem Schock, den die Kirchenpolitik des Nationalsozialismus ausgelöst hatte, herrschte in Mitteleuropa lange Jahre Friede zwischen Staat und Kirche. Man wusste: Früher haben die Nationalsozialisten die Kirche verfolgt, heute tun es die Kommunisten jenseits des „Eisernen Vorhangs“, aber bei uns ist Friede, und die Kirche ist frei.

Spätestens seit den Abtreibungsgesetzen hat sich die Situation geändert. Zwar ist das Einvernehmen zwischen Kirche und Staat zum Beispiel in Österreich immer noch „gut“ zu nennen, aber die „Wunde“ der Fristenlösung (so Kardinal König) ist nicht geheilt, sie eitert weiter, und die Beziehung zwischen Kirche und Staat verschlechtert sich.

Dazu kommt: Es wäre falsch, die Frage auf Mitteleuropa zu beschränken. Das Verhältnis Kirche und Staat war immer und überall eine heikle Frage und wird es wohl bis ans Ende der Welt bleiben.

I. Theoretische und praktische „Modelle“ der Beziehung von Staat und Kirche

Die Geschichte liefert eine Fülle von Beispielen, wie die Beziehungen von Kirche und Staat sein können. Die historischen Beispiele stimmen mit den denkbaren Modellen überein, auch wenn es in der Wirklichkeit des politischen Lebens immer auch fließende Übergänge und Mischformen gibt. Die „Modelle“ kann man so beschreiben:

• (1.) Die mehr oder weniger absolute Macht der Regierung über die Kirche, gleich ob Kaiser oder Präsident und Parlament. Besonders anschaulich im Altertum: Der Kaiser sah sich als „Bischof der Bischöfe“, als derjenige, der das letzte Wort auch in Fragen der Religion hat – der sog. Cäsaropapismus.

• (2.) Das umgekehrte „Modell“: Die Macht der Kirche über den Staat im Sinn einer „Theokratie“ oder „Gottesherrschaft“ auch im politischen Sinn.

• (3.) Mischformen: Gemessen an dem berühmten Jesus-Wort, dass man nämlich dem Kaiser geben solle, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, können Kirche und Staat ihre jeweiligen Kompetenzen natürlich auch nur teilweise überschreiten:

- Teilübergriffe des Staates betreffen nicht selten nicht nur wirtschaftliche Fragen, sondern die Lehre der Kirche: Im Altertum mischten sich Kaiser in dogmatische Fragen ein, der heutige Staat beansprucht, vor allem in Fragen der Moral zu entscheiden.

- Teilübergriffe der Kirche: Männer der Kirche oder Vertreter einer bestimmten Religion üben politische Macht aus. Eine nicht seltene Folge: Politisch anders Gesinnte wenden sich von der Kirche ab, weil sie ja auch „politische Partei“ ist.

• (4.) Kirche und Staat werden strikt getrennt, so als handelte es sich um verfeindete Brüder, die jeden Kontakt abgebrochen haben und ihn auch konsequent vermeiden.

• (5.) Das fünfte Modell gründet auf dem Jesuswort: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ und heißt übersetzt: die Teilung der Zuständigkeiten: der Kaiser für das politische Leben, die Kirche für die Religion – in diesem Sinn Freiheit der Kirche, aber auch Freiheit des Staates von kirchlichen Einmischungen.

Anerkennt man das Prinzip, ist das viel, aber es bleibt natürlich die Frage, was nun wem zuzuordnen ist: Was ist Sache des Staates, was ist Sache der Kirche? Das ist in vielen Bereichen eindeutig, aber eben nicht in allen, und daraus entstanden und entstehen immer wieder Konflikte.

II. Das Menschenbild und die Gefahr der relativistisch-absoluten Demokratie

Was ist der Staat? Die Antwort auf diese Frage greift unvermeidbar auf das Menschenbild zurück. Aus diesem ergibt sich, was der Staat ist und sein soll, und daraus folgt das Verhältnis des Staates zur Kirche.

Laizisten werden es bereits als Einmischung der Kirche werten, wenn der Katechismus (Nr. 2244) lehrt: „Einzig die göttlich geoffenbarte Religion hat … klar den Ursprung und das Ziel des Menschen erkannt. Die Kirche lädt die politischen Verantwortungsträger ein, sich … nach dieser geoffenbarten Wahrheit über Gott und den Menschen zu richten.“

Aber die Sache ist ernst, es geht dabei letztlich um die Freiheit des Menschen. Denn ohne das richtige Menschenbild wird der Staat immer irgendwann in die totalitäre Versuchung geraten, die sehr oft im Namen des Gemeinwohls auftritt, auch wenn eigentlich das Verlangen nach Macht dahintersteht.

Die Gefahr beschreibt der Katechismus (Nr. 2244) so: „Die Gesellschaften, die diese Offenbarung nicht kennen oder sie im Namen ihrer Unabhängigkeit von Gott ablehnen, müssen ihre Maßstäbe und Ziele in sich selbst suchen oder einer Ideologie entnehmen. Und da sie kein objektives Kriterium zur Unterscheidung von gut und böse dulden, maßen sie sich offen oder unterschwellig eine totalitäre Gewalt über den Menschen und sein Schicksal an, wie die Geschichte beweist.“

Um diese Aussage zu belegen, verweist der Katechismus auf die Enzyklika Centesimus annus (Nr. 45 und 46). Dort führt Johannes Paul II. aus: Auch die Demokratie ist kein wirklich sicherer Schutz für Recht und Freiheit. Denn: „Eine wahre Demokratie ist nur in einem Rechtsstaat und auf der Grundlage einer richtigen Auffassung vom Menschen möglich. … Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus.“

Diese Warnung wiederholt der Papst in Evangelium vitae (Nr. 20): Das Grundübel ist der Relativismus: „Da lässt sich alles vereinbaren, über alles verhandeln: auch über das erste Grundrecht, das Recht auf Leben. Das geschieht denn auch in der Tat im eigentlich politisch-staatlichen Bereich: das ursprüngliche, unveräußerliche Recht auf Leben wird auf Grund einer Parlamentsabstimmung oder des Willens eines – sei es auch mehrheitlichen – Teiles der Bevölkerung in Frage gestellt oder verneint. Es ist das unheilvolle Ergebnis eines unangefochten herrschenden Relativismus: das ,Recht‘ hört auf Recht zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf die unantastbare Würde der Person gründet, sondern dem Willen des Stärkeren unterworfen wird. Auf diese Weise beschreitet die Demokratie ungeachtet ihrer Regeln den Weg eines substantiellen Totalitarismus.“

In einer Zeit, in der die Großmächte die Demokratie als das Allheilmittel des politischen Lebens mit Waffengewalt allen Völkern aufzwingen wollen, ist es gut zu präzisieren: Die Kirche bejaht die Demokratie, aber sie bleibt kritisch und geradezu ablehnend, wenn Demokratie heißen sollte, dass der „Volkswille“ oder der „Wille der Mehrheit“ (nach J. J. Rousseau) immer im Recht ist. Ein demokratisches System, das Menschenrechte mit Mehrheitsentscheiden außer Kraft setzt, hört auf, ein Rechtsstaat zu sein. Demokratie im guten Sinn setzt notwendig die Annahme voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung um Wahrheit und Gerechtigkeit bemüht ist.

III. Aufgabe des Staates

Was sind im Licht einer wahren Anthropologie die Aufgaben des Staates und was sind die der Bürger? Der Katechismus antwortet:

• Pflichten des Staates: Gemeinwohl, Freiheit, Menschenrechte

Einige Zitate aus dem Katechismus beantworten die Frage:

„Die Ausübung von Autorität zielt darauf ab, eine gerechte Rangordnung der Werte sichtbar zu machen, um allen den Gebrauch ihrer Freiheit und Verantwortung zu erleichtern“ (Nr. 2236). „Die Ausübung der politischen Rechte soll das Gemeinwohl der Nation und der menschlichen Gesellschaft fördern“ (Nr. 2237). „Die politischen Autoritäten sind verpflichtet, die Grundrechte der menschlichen Person zu achten. Sie sollen die Gerechtigkeit menschlich ausüben und dabei das Recht eines jeden, besonders das der Familien und Bedürftigen, achten“ (2237).

• Pflichten der Bürger: Zusammenarbeit mit den Autoritäten

Selbstverständlich hat auch der Bürger Pflichten, und auch diese benennt der Katechismus: „Pflicht der Bürger ist es, gemeinsam mit den Behörden im Geist der Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit zum Wohl der Gesellschaft beizutragen“ (Nr. 2239).

• Für Staat und Bürger gilt: Keine widergöttlichen Gesetze

Für beide, für die Träger der politischen Verantwortung wie für den Bürger, gilt: Der Staat darf keine widergöttlichen Gesetze einführen, und der Staatsbürger darf sich ihnen nicht unterwerfen:

An die Regierung gerichtet lehrt der Katechismus: „Niemand darf etwas befehlen oder einführen, was der Menschenwürde und dem natürlichen Sittengesetz widerspricht“ (Nr. 2235).

Und den Bürger ermahnt der Katechismus: „Der Bürger hat die Gewissenspflicht, die Vorschriften der staatlichen Autoritäten nicht zu befolgen, wenn diese Anordnungen den Forderungen der sittlichen Ordnung, den Grundrechten des Menschen oder den Weisungen des Evangeliums widersprechen“ (Nr. 2242). Eine Berufung auf Befehlsnotstand gibt es nicht.

IV. Aufgabe der Kirche

Für sich selbst benennt die Kirche in ihrem Katechismus die Aufgabe, vor allem das transzendente Menschenbild und die Freiheit der Menschen gegenüber einer Übermacht des Staates zu verteidigen:

„Die Kirche, die sich aufgrund ihres Auftrags und ihrer Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft keineswegs deckt, ist Zeichen und zugleich Schützerin des transzendenten Wesens des Menschen“ (Nr. 2245). Und: Als solche „achtet und fördert sie auch die politische Freiheit der Bürger und ihre Verantwortlichkeit.“ Dabei zitiert der Katechismus das Konzil (GS 76,3).

V. Heutige Gefahren

Mit großer Selbstsicherheit verteidigen heute die Verantwortlichen in den USA und genauso in der EU die „Werte“ der freien Gesellschaft gegen verschiedene „Reiche des Bösen“, wie sie es nennen, und rühmen dabei besonders die Freiheit und die Menschenrechte.

Ja, es ist wahr, in vieler Hinsicht leben die Menschen in den USA und in Europa in einer Rechtssicherheit und Freiheit, von der die Menschen in bestimmten anderen Ländern nur träumen können.

Dennoch muss man sagen: Wieder einmal bedroht ein falsches Menschenbild die politische Freiheit, weil dieses Menschenbild keine metaphysischen Wurzeln hat. Die logische Konsequenz ist: Der Staat hält sich immer weniger an die Grenzen seiner Kompetenz und beginnt, gegen die Einsprüche der Christen aggressiv zu reagieren.

So ist es nicht verwunderlich, dass, im Widerspruch zum viel beschworenen „Pluralismus“ als gesellschaftlichem Wert, ein alter Irrtum wieder auftaucht: Man tut so, als ob die oft beschworene „Seele“ Europas eine Taufe bräuchte, die auf dem Glaubensbekenntnis zur Ideologie der Aufklärung und der 68er Jahre beruht. Wie die römischen Kaiser meinten, um der Einheit des Reiches willen über die Glaubenslehren der Kirche bestimmen zu können, so wollen bestimmte Kreise der EU vor allem über die moralischen Ansichten ihrer Bürger herrschen – und diese Vereinheitlichung nennen sie „Wertegemeinschaft“, auf die sie alle Europäer verpflichten und die sie in andere Länder „exportieren“ wollen.

Beispiele für diese Entwicklung sind deutlich zu sehen:

• Kompetenzüberschreitungen

Die EU beansprucht das Recht, Themen gesetzlich zu regeln, für die sie keine Zuständigkeit hat: „Weder für Abtreibung noch für Stammzellen-Forschung noch für Klonen, und erst recht nicht für die Frage, was eine Ehe ist, gibt es eine Zuständigkeit der EU. Dennoch findet seit Jahren um diese heißen Eisen ein zähes Ringen auf europäischer Ebene statt."[1]

Bevor man darüber redet, was in diesen Fragen richtig ist, müsste man fragen, ob die EU dafür überhaupt zuständig ist. Sie ist es nämlich nicht, gemessen an ihren eigenen Prinzipien.

• Abtreibung

Unter dem Stichwort „Sexuelle und reproduktive Gesundheit“ versteckt sich die Forderung, Abtreibung als Recht einzuführen – legal, sicher und für alle zugänglich. Konkret heißt das zum Beispiel: Feministinnen im EU-Parlament wollten die Aufnahme Polens in die EU an die Bedingung knüpfen, dass Polen die Abtreibungsgesetze liberalisiert. Und in der Resolution des Europarates vom 4.10.2005 mit dem Titel „Frauen und Religion in Europa“ heißt es: Gesetze gegen Abtreibung seien eine Form der „Intoleranz und Diskriminierung“ von Frauen, gemacht von Männern gegen Frauen.[2] Die Tendenz geht in diese Richtung: Abtreibung ist Menschenrecht, und Menschenrechte müssen von allen anerkannt werden.

Die Diskussion über Embryonen-Versuche und Euthanasie ist noch nicht so weit gediehen, aber es ist schon jetzt abzusehen: Wenn man das 5. Gebot Gottes mit einem Damm vergleicht und die Abtreibungsgesetze mit einem Bruch dieses Dammes, dann werden die Interessen bestimmter Kreise diesen Riss immer weiter auswaschen – mit einer ähnlichen Unaufhaltsamkeit wie das Wasser, das durch die Bresche eines gebrochenen Staudamms schießt und die Lücke größer und größer macht.

• Homosexualität

Ähnliches gilt für die Homosexualität und ihre Bewertung: 2006 beschloss das EU-Parlament einen Text gegen „Homophobie“: Praktisch jede kritische Sicht von Homosexualität wird als „Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz“ verurteilt, wider alle Vernunft angesichts der offenkundigen Nicht-Gleichheit von normaler Mann-Frau-Beziehung und einer homosexuellen Neigung. Ungeniert spricht man von „gleichgeschlechtlichen Familien“, obwohl die Idee einer solchen Familie ein Widerspruch in sich ist. Wie weit dieser Wille zur ideologischen Gleichschaltung verbreitet ist, zeigt das bekannte Beispiel von Rocco Buttiglione: Er wurde als EU-Kommissar abgelehnt, weil er homosexuelles Verhalten auf Grund seiner katholischen Überzeugung für objektiv schlecht hält.

• Antidiskriminierungsgesetze

Das Rohmaterial, aus denen man verschiedene Gesetze wie die genannten machen kann, sind die so genannten „Antidiskriminierungsgesetze“. Sie scheinen mir wie die erste Aufrüstung der Kirchenfeinde zu sein: Heute schmieden sie die Waffen, morgen werden sie sie gegen die Kirche richten – eine neue Form der Inquisition, und zwar in den Händen des Staates. Heute will man die Anerkennung von Homosexualität und Abtreibung damit durchsetzen, welch andere Inhalte werden es morgen und übermorgen sein?

• Das staatliche „Lehramt“ für Sexualität“

In vielen westlichen Ländern ist der Sexualunterricht in die Schulen eingedrungen, Gegenstimmen von Seiten der Eltern übergeht man. Gelehrt wird dabei die Freizügigkeit der 68er-Bewegung, und die Kirche wird entmündigt. Das geht zum Beispiel so:

Das Land Nordrhein-Westfalen verweigert die Genehmigung, eine katholische Schule zu gründen, in der wirklich katholische Moral gelehrt wird, wenn sich die Schule nicht auf den liberalen Sexualkunde-Unterricht verpflichtet.

Der „Fall“ der Schwesternschule von Auerbach ist ein anderes Beispiel, das zeigt, in welche Richtung die Entwicklung geht.

• Frauenfrage

Die EU will das „Gender-Mainstream“-Programm des radikalen Feminismus allen Ländern aufzwingen. Auch hier ist die Tendenz, die Kirche anzuklagen und in die Knie zu zwingen. So die Schweizerin Rosmarie Zapf-Heibling im Europarat (26. Sitzung vom 4.10.2005 in Straßburg): Es ist eine Realität, „dass in allen Religionen der Welt die Frauen noch heute ungleich behandelt und Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden … Wir alle, die wir in einem Rechtsstaat leben, müssen wissen, dass wir es nicht dulden, wenn Frauen aus traditionellen oder kulturellen Gründen nur minderwertige Rechte haben. Das gilt für alle Länder und Religionen in Europa, und dafür engagieren wir uns in der ganzen Kommission."[3]

Wenn man Wort für Wort auf die Waagschale legt: Frau Zapf-Heibling mischt sich in rein religiöse Fragen ein (wie etwa die Priesterweihe für Frauen) und droht: Widerstand werden „wir“ – wer „wir“? – „nicht dulden“. Man fragt sich bange: „Nicht dulden“ mit Hilfe welcher Mittel? Ich fürchte, wiederum sind Gesetze und Strafdrohungen gemeint.

VI. Schlussbemerkung

Hugo Rahner hat eingehend das Verhältnis von Kirche und Staat in den ersten Jahrhunderten nach Christus studiert. Sein Ergebnis bezüglich der Kirche von Rom:

„Die Kirche hat niemals ein glattes, nur mystisch jenseitiges Nein zur Ablehnung des Staates ausgesprochen, aber ebenso auch nie das Ja einer haltlosen Anerkennung oder auch nur eines gleichgültig unpolitischen Gehenlassens."[4]

Dieses Urteil über die Geschichte der Kirche im Altertum enthält auch die Wegweisung für die Zukunft. Es gilt, die Balance zu halten zwischen Anerkennung des Staates und Widerstand gegen Grenzüberschreitungen. Auch diesbezüglich kommt der Kirche vor allem ein Wächteramt zu. Dazu brauchen wir Bischöfe, Priester und Laien vom Format eines Basilius, der den Glauben, wie ihn das Konzil von Nizäa formulierte, im Osten des Reiches zu verteidigen hatte. Der kaiserliche Präfekt wollte ihn davon abbringen, aber er stieß auf Granit: „Niemand hat mir bis zum heutigen Tag mit solcher Freiheit zu reden gewagt“, sagte der mächtige Mann zu Basilius vermutlich ebenso verärgert wie erstaunt, und dieser gab die denkwürdige Antwort: „Ihr seid offenbar noch nie einem Bischof begegnet."[5]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2006
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[1] Stephan Baier, in  KOMMA 32/2006, 46.
[2] Dokumentiert in KOMMA 32/2006, 52.
[3] Dokumentiert in KOMMA 32/2006, 52
[4] Hugo Rahner: Kirche und Staat im frühen Christentum. Dokumente aus acht Jahrhunderten und ihre Deutung, München 1961, 22.
[5] Hugo Rahner, a.a.O., 97.

Wenn Staaten zur Mitwirkung bei Sünden nötigen

Pfarrer Dr. François Reckinger macht den Versuch, konkrete Situationen, durch die ein echter Christ in einen Gewissenskonflikt geraten kann, zu durchleuchten. Konkrete Ratschläge zu erteilen, ist und bleibt dabei immer ein Wagnis. Vielleicht könnte man an der einen oder anderen Formulierung Anstoß nehmen. Doch ist Dr. Reckinger zu danken, dass er uns spüren lässt, wie aufmerksam wir den verschiedenen Formen der „Vergewaltigung des Gewissens“ begegnen sollten. Wir dürfen nicht so tun, als wäre alles in Ordnung, wir können nicht überall schweigend mitmachen.

Von François Reckinger

Im vorhergehenden Beitrag (Kirche heute 3/2006, 16-18) hatte ich um Rückmeldung von Ärzten, Apothekern oder anderen Personen gebeten, die zur Mitwirkung bei Abtreibungen aufgefordert oder veranlasst worden sind und eine solche verweigert haben; ebenso von Forschern, die jegliche Mitwirkung bei der verbrauchenden Embryonenforschung abgelehnt haben. Dabei sollten sie insbesondere angeben, welche Konsequenzen die Weigerung für sie gehabt hat.

Eine Angabe bekam ich von einer angestellten Apothekerin, die sich seit längerem besorgt die Frage stellt, ob sie die „Pille danach“ noch weiter verkaufen darf oder bereit sein muss, wegen ihrer Weigerung die Stelle zu verlieren und vielleicht den Beruf aufgeben zu müssen. Sie berichtete von mehreren Kolleginnen, die sich dieselbe Frage stellten. Geistliche allerdings, die sie bisher dazu befragt hat, hätten ihr gesagt, wenn der Inhaber der Apotheke das verlange, dann trage sie dafür keine Verantwortung. Sie selber dagegen hatte den Eindruck, dass sie sich damit nicht zufrieden geben könnte, und da ich nach meiner Meinung gefragt war, musste ich – so leid es mir wegen der Konsequenzen für sie tat – entsprechend dem, was ich schon im Artikel ausgeführt hatte, ihren Eindruck bestätigen: dass die Darreichung eines Tötungsmittels unmittelbare materielle Mitwirkung bedeutet, die niemals erlaubt sein kann.

Wie sich die Betreffende und ihre Kolleginnen inzwischen entschieden haben, weiß ich nicht. Ich lade Sie, liebe Leser, zum Gebet für diese jungen Frauen ein. Vielleicht sind sie berufen, eine Lawine der Weigerung loszutreten. Die Menschen in diesem Land sollten doch nicht wieder zu einem Volk von zu Unrecht Gehorchenden werden! Im Übrigen waren Widerstand und Weigerung, wie die historische Forschung fortschreitend aufzeigt, zur NS-Zeit häufiger als bisher angenommen[1] – häufiger auch, als heute gegen die sanfte Manipulation, Verführung und Nötigung innerhalb der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft Widerstand geleistet und Weigerung ausgesprochen wird. Welch beschämendes Beispiel für uns Heutige, angesichts der damals noch weitaus furchtbareren Konsequenzen für jene, die zu widerstehen wagten!

Zu den im Folgenden zu nennenden Fällen sei daran erinnert, dass ihre Beurteilung zu einem guten Teil nicht als feste Behauptung, sondern als Fragestellung vorgetragen werden soll: Reaktionen von Betroffenen und Stellungnahmen von Moraltheologen, die hierdurch angeregt werden, könnten helfen, die schwierige Grenzziehung zwischen unmittelbarer materieller Mitwirkung, die immer sündhaft ist, und entfernterer materieller Mitwirkung, die aus entsprechend wichtigen Gründen erlaubt sein kann, genauer zu erkennen und zu benennen.

Standesbeamte und Homo-Verbindungen

Zwischen den beiden bekannten Formen staatlicher Regelung von Homosexuellen-Verbindungen ist m.E. ein wesentlicher Unterschied festzustellen. Wo, wie in Spanien, eine solche Verbindung als „Ehe“ bezeichnet wird, da wird von Staats wegen die Lüge zum Prinzip erhoben, die Ehe verhöhnt und nicht nur kulturelle Revolution betrieben, sondern der Niedergang jeglicher Kultur eingeläutet. Mit Recht hat daher etwa der Vorsitzende des Päpstlichen Familienrates, Kardinal López Trujillo, die katholischen Standesbeamten Spaniens dazu aufgefordert, derartige „Trauungen“ nicht vorzunehmen.[2] Die gegenteilige Entscheidung ist m. E. als objektiv sündhafte Mitwirkung bei der Zerstörung der Ehe und bei der Anerkennung sündhaften Tuns als eines „normalen“ Verhaltens zu bewerten. Kindern gegenüber, die von derartigen „Ehepaaren“ adoptiert werden sollten, machen sich alle, die bei den entsprechenden „Trauungen“ oder bei der Durchführung des Adoptionsvorgangs mitwirken, vor Gott ebenfalls mitschuldig und ggfs. schadenersatzpflichtig.

Dass für solche Kinder körperliche und seelische Schäden zu befürchten sind, leuchtet von selbst allen ein, die von der Sündhaftigkeit homosexueller Praxis überzeugt sind und bedenken, dass in derartigen Verbindungen aufwachsende Kinder ein entsprechendes Verhalten ja notgedrungen erlernen oder wenigstens als „normal“ anzusehen lernen. Dass diese Kinder Gefahren ausgesetzt sind, dürfte aber auch anderen Zeitgenossen klar werden aufgrund des im Oktober 2000 veröffentlichten Ergebnisses einer umfassenden Untersuchung, die das US-Justizministerium (unter dem Druck der Homosexuellenverbände!) durchgeführt hat. Daraus geht hervor, dass in den Jahren 1993-1999 innerhalb der US-Bevölkerung der Prozentsatz der Männer und Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, innerhalb von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften um ein Vielfaches höher war als innerhalb von Ehepaaren – selbst dann noch, wenn bei Letzteren die Getrennten und Geschiedenen mitgerechnet werden.[3] Welcher verantwortlich handelnde Mensch kann da bereit sein mitzuwirken, dass Kinder einem solchen Milieu ausgeliefert werden? Hauptschuldige sind in diesem Fall alle, die öffentlich für die moralische Anerkennung homosexueller Beziehungen und insbesondere für ein entsprechendes Adoptionsrecht eintreten, sowie die staatlichen Amtsträger, die „Gesetze“ in diesem Sinn entwerfen, beschließen, unterzeichnen oder ihre Durchführung anordnen.

Etwas anders sieht es, wenigstens für subalterne Ausführende wie die Standesbeamten, hinsichtlich der bloßen „Eingetragenen Partnerschaften“ aus, solange damit kein Adoptionsrecht verbunden ist. Durch diese Regelung wird der gesellschaftlichen Anerkennung homosexueller Betätigung nicht im selben Maße Vorschub geleistet und die Ehe nicht unmittelbar ins Lächerliche gezogen. Daher kann in diesem Fall die Mitwirkung bei dem Vorgang aus wichtigen Gründen (wie etwa befürchteter Verlust des Arbeitsplatzes) als sittlich erlaubt gelten – vorausgesetzt, der betreffende Beamte unterlässt alle Aussagen und Gesten, die auf eine positive Bewertung des Geschehens hindeuten würden. Er darf insbesondere zu einer solchen, nach christlicher Lehre sündhaften Verbindung nicht gratulieren, vielmehr müsste er in seinem gesamten Verhalten Distanz zu dem, was da vor sich geht, bekunden – also am Ende, anstatt von Glückwünschen, etwa sagen: „Meine Damen/Herren, ich habe das eingetragen. Sie können gehen“ – oder allenfalls: „Dann einen schönen Tag noch“ – Letzteres in einer Art und einem Ton, wie man es auch zu einem zufällig angetroffenen Bekannten sagen könnte.

Abtreibung per Gesetz erzwingen?

„Gunta Lazdane, die Delegierte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) betonte …, (es) sei notwendig, Ärzte durch das Gesetz zu Abtreibungen zu zwingen, weil sie es sonst nicht tun würden“.[4] Verwirklicht scheint diese im wörtlichen Sinn makabre Zielsetzung u. a. in der Slowakei. Denn in einer Nachricht vom 8.2.2006 heißt es: „Der Streit um einen Vertrag mit dem Vatikan hat in der Slowakei zum Bruch der Regierungskoalition geführt. … Das umstrittene Konkordat … würde es beispielsweise Ärzten ermöglichen, bei Gewissenskonflikten eine Abtreibung zu verweigern…"[5] Wenn damit die rechtliche Situation im slowakischen Staat richtig wiedergegeben ist, werden dort, solange ein solches Konkordat nicht zustande kommt, Ärzte mittels staatlichen Gesetzes auch gegen ihre Überzeugung genötigt, Abtreibungen und andere von ihnen abgelehnte Handlungen vorzunehmen. Ähnliches ist sicher in manchen anderen Ländern der Fall. Das ist ein Beispiel von Vergewaltigung des Gewissens durch die verantwortlichen Amtsträger im Staat und durch alle, die entsprechende Unrechtsanordnungen als Mitwirkende weitergeben.

Medizinstudent(inn)en und Abtreibung

Anders verhält es sich m. E., wenn Medizinstudenten genötigt werden, einer Abtreibung beizuwohnen. Dies ist zwar ein Übel, für bloß Zuschauende an sich jedoch keine Sünde. Sie müssten nur darauf achten, dass sie in Wort und Geste keinerlei Zustimmung bekunden. Am besten sollten sie sich um eine Haltung bemühen wie die eines Menschen, der (als Angehöriger oder Freund des Opfers) einer von ihm als unmoralisch abgelehnten Hinrichtung beiwohnt. Das bedeutet im Normalfall, dass sie nur kurz angebunden grüßen und nur das Allernötigste reden sollten. Entschlossen sein müssten sie allerdings, auch auf Aufforderung hin nicht mit Hand anzulegen. Sollten sie nach ihrer Meinung zur Abtreibung gefragt werden, müssten sie entweder Klartext reden oder, falls dies für ihr Fortkommen im Studium weniger gefährlich erscheint, wiederum kurz angebunden etwa erklären: Ich möchte mich hier dazu nicht äußern.

Kommen Studenten mit einer solchen Haltung nicht durch, dürfen sie sie dennoch nicht verleugnen, sondern müssen notfalls zum Studium in ein anderes Land ausweichen, schlimmstenfalls auf den angestrebten Beruf verzichten. Denn etwas in sich Böses darf man nie tun, einerlei welches die Folgen sind. Dasselbe gilt für bereits ausgebildete Ärzte. „Gesetzen“ gegenüber, die sie nötigen wollen, Abtreibungen durchzuführen, Abtreibungspräparate zu verschreiben oder Patienten an Kollegen zwecks Abtreibung zu überweisen, sind sie zur Gehorsamsverweigerung verpflichtet, auch unter Inkaufnahme des möglichen Berufsverbots. Wo immer derartige Maßnahmen Ärzten, Arzthelferinnen, Krankenschwestern und -pflegern, Studenten oder Auszubildenden tatsächlich angedroht werden – und um so mehr, wo Gerichte Ärzte wegen unterlassener Abtreibung zur Schadenersatzleistung für die Geburt behinderter Kinder verurteilen –, da ist laut und deutlich von Verfolgung des Christentums zu reden. Denn jeder halbwegs Gebildete weiß, dass das Christentum (wenigstens so, wie es in diesem Punkt in der katholischen und der orthodoxen Kirche sowie in weiten Kreisen evangelischer Christen authentisch erhalten ist) Abtreibung moralisch eindeutig ablehnt. Christen zu einem gegenteiligen Verhalten nötigen zu wollen, bedeutet daher Vergewaltigung des Gewissens und Verletzung der Religionsfreiheit.

Zum Sexualkundeunterricht

Zu Recht sollen Biologielehrer, wie über alle Vorgänge des physischen Lebens, so auch über das Geschehen menschlicher Paarung und Vermehrung informieren – vorausgesetzt, dass sich in der jeweiligen Klasse oder Gruppe demgegenüber eine disziplinierte und respektvolle Haltung erreichen lässt. Da es innerhalb unserer Gesellschaft hinsichtlich der moralischen Beurteilung sexuellen Verhaltens unüberbrückbare Gegensätze zwischen gläubigen Christen und anderen Menschen gibt, kann der Staat als solcher keine wirkliche Sexualerziehung durchführen. Biologielehrer, die das einsehen, werden den entsprechenden Stoff daher als bloße Sexualkunde bezeichnen. Christlich gesinnte Biologielehrer werden diesen Stoff in einer Weise vermitteln, die nicht zu sexueller Aktivität vor der Ehe anreizt. Gleichzeitig werden sie darauf hinweisen, dass die menschlichen Entscheidungen in diesem Bereich sehr schwerwiegende moralische Fragen aufwerfen und für deren Erörterung auf die Fächer Religion und Ethik verweisen.[6]

Das Dramatische an unserer heutigen Situation ist, dass in vielen Religionskursen und -lehrbüchern die christliche Lehre nicht eindeutig ausgesagt, sondern wenigstens zum Teil ähnliche Positionen vertreten werden wie in den Sexualkundebüchern. Dies ist der Situation des alten Israel vergleichbar, als im Tempel des einen Gottes die Götzen der Völker verehrt wurden. Biologielehrer tun daher gut daran, als authentische Quelle für die katholische Position auf den Katechismus der Katholischen Kirche (Volltext oder Kompendium) hinzuweisen, zusätzlich dazu eventuell auch auf die Veröffentlichungen von „Jugend für das Leben“, Österreich[7],  und „Wahre Liebe wartet"[8].

Ein christlich gesinnter Biologielehrer ist derzeit durchweg genötigt, Sexualkundeunterricht zu erteilen aufgrund schlechter Lehrpläne und hat dafür offiziell meist nur schlechte Lehrbücher zur Verfügung. Zu einer solchen Situation kann ich persönlich, so scheint mir, ein wenig mitreden, weil ich in etwa dasselbe als Religionslehrer miterlebt habe. Schon in den 70er Jahren, als ich hauptamtlich am Gymnasium unterrichtete, hielt ich fachlich nicht viel von den verfügbaren Lehrbüchern, und spätestens ab den 80er Jahren entfernten sich die meisten davon zunehmend von der geltenden Lehre der Kirche. Ich habe daher nie mit Religionsbüchern, sondern nur mit der Bibel gearbeitet und für alles andere meine eigenen Texte formuliert und diktiert. Auch die Lehrpläne gefielen mir nicht besonders: es war die Zeit, in der man begann, statt auf Lernen immer mehr auf Erarbeiten durch bloßes „Diskutieren“ zu setzen. Ich wusste jedoch mit diesen Plänen auszukommen, ohne etwas an dem Stoff zu ändern, den ich auch vorher jeweils vermittelt hatte. Ich gab den Themen lediglich neue Titel. Aus dem Block z. B., den ich selbst in meiner Schülerzeit als „Gottesbeweise“ kennengelernt und später etwa als „Wege zur Erkenntnis der Existenz Gottes“ bezeichnet hatte, wurde nun „Die Frage nach Gott“. Damit wäre ich, so scheint mir, bei jeder Inspektion durchgekommen. Besser war es allerdings noch, dass eine solche nie wirklich stattgefunden hat.

Ich wäre dankbar, wenn Biologielehrer sich melden und mitteilen würden, ob sie ein solches Vorgehen hinsichtlich der Sexualkunde innerhalb ihres Faches für praktikabel halten.

In einem selbst erstellten Kurs könnten Biologielehrer rein profanwissenschaftliche Angaben und Hilfsmittel wie folgende verwenden:

• Embryonenmodell, etwa von Durchblick e. V.;[9]

• Film „Der stumme Schrei“;

• Post-Abortion-Syndrome;

• Wirkweise und Nebenwirkungen der Abtreibungs- und der Verhütungspillen;

• Demographische Statistiken und Prognosen;

• Die oben erwähnten Statistiken hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Verbindungen;

• Statistiken, die die Löcherigkeit des Aids-Schutzes durch Kondome und den Erfolg der Kampagne für Treue und Enthaltsamkeit, etwa in Uganda, belegen.

Christlich gesinnten Studentinnen und Studenten, die Biologie mögen und sie auf Lehramt studieren wollen, ist auf jeden Fall zu empfehlen, Zweit- oder Drittfächer so zu wählen, dass sie nicht so leicht arbeitslos wären, wenn sie genötigt würden, die unchristlichen Inhalte von Lehrbüchern effektiv zu vermitteln, und sie deswegen die Erteilung dieses Faches in den entsprechenden Jahrgangsstufen ablehnen würden.

Jede „legale“ Beschäftigung annehmen? Das letzte Beispiel betrifft eine Äußerung, die vor einiger Zeit aus CSU-Kreisen zu hören war: Langzeitarbeitslose sollten per Gesetz dazu verpflichtet werden, jede „legale“ Beschäftigung anzunehmen; andernfalls sollten sie ihren Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung verlieren. Da es, wie in dieser Artikelreihe an Beispielen nachgewiesen wird, eine ganze Reihe von Berufen gibt, in denen den Beschäftigten Handlungen abverlangt werden, die unser Staat sich derzeit zwar für legal zu erklären anmaßt, die dies aber nach christlicher Lehre vor Gott nicht sind, muss eine solche Forderung als zutiefst unmoralisch zurückgewiesen werden.

Formen des Widerstandes

Überall, wo Christen in ihrem Beruf benachteiligt, behindert oder von dessen Ausübung ausgeschlossen werden, weil sie Lehren des Christentums vertreten und befolgen, ist das unmissverständlich als Religionsverfolgung anzuprangern. Den Mitchristen und der Kirche als ganzer ist es aufgegeben, sich den Betroffenen gegenüber solidarisch zu erweisen, etwa durch Hilfe bei der neuen Arbeitssuche, materielle Unterstützung, Proteste oder Streiks. Wo noch einmal von einem Christen als Vorbedingung für die Nominierung zu einem nichtkirchlichen Amt, wie vor kurzem von Rocco Buttiglione, die Beantwortung der Frage verlangt wird, ob er zu einer bestimmten Lehre des Christentums steht oder nicht, sollte der Fragesteller umgehend wegen Übertretung des Antidiskriminierungsgesetzes verklagt werden. Wenn das beim ersten Mal nicht zum Erfolg führt, dann vielleicht doch beim dritten oder zehnten Mal. Gewiss sollten Christen einen solchen Schritt immer mit Gebet für die Verfolger verbinden. Aber juristische Bemühungen zur Abwehr der Verfolgung sind uns Christen sicher nicht verwehrt (im Gegensatz zum gewaltsamen Widerstand: vgl. Mt 20, 52).

Einladung

Auch diesmal bitte ich Betroffene, die sich geweigert haben, Dienste, die man von ihnen erwartet hat, zu leisten, weil sie diese für unmoralisch halten, sich zu melden und zu berichten, wie das aufgenommen wurde und welche Konsequenzen es für sie gehabt hat. Aus der Vorgehensweise und den Erfahrungen des einen können andere Nutzen ziehen, aus den Beiträgen aller können auch wir Hirten der Kirche und Theologen lernen, wie wir wirklichkeitsnäher und effektiver über diese Dinge reden und schreiben können. Auf diese Weise helfen Sie uns, unsere eigene Pflicht besser und engagierter zu erfüllen, damit nicht auch wir mitschuldig werden, indem wir dort schweigen, wo uns zu reden geboten ist.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. dazu die einschlägigen Veröffentlichungen von Prälat Helmut Moll, besonders: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, 2 Bde., Paderborn 1999; Martyrium und Wahrheit. Zeugen Christi im 20. Jahrhundert, Gustav-Siewerth-Akademie, Weilheim-Bierbronnen 2005.
[2] Die Tagespost v. 7.5.2005, 4.
[3] www.familyresearchinst.org: FRR December 2001, Vol 16, No 8: Gay Domestic Violence Finally Measured; vgl. den Leserbrief von Gabriele Kuby in: Die Tagespost v. 5.8.2006, 19, der ich den Hinweis auf diese Internetseite verdanke; dazu auch Hans Lachenmann: Marketing im Dienst von Ideologen – ein Lehrstück aus den USA, ebd., 13.7.2006.
[4] Bericht über den 6. Kongress der „Internationalen Vereinigung von Fachkräften und Verbänden zu Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption“, September 2004 in Wien, in: CDL aktuell, Oktober 2004, 1.
[5] Berliner Morgenpost v. 8.2.2006.
[6] Vgl. dazu die Stellungnahme 4.02 des ATK (Arbeitskreis Theologie und Katechese): Zum Problem der schulischen Sexualkunde aus Anlass des Falles Auerbach (zu beziehen bei ATK – Arbeitskreis Theologie und Katechese e.V., Postfach 500302, D-79029 Freiburg, oder aus dem Internet: www.atk-home.de).
[7] www.youthforlife.net
[8] www.wahreliebewartet.de
[9] www.der-durchblick.de

Der russische Major, der Karol Wojtyla gerettet hat

Pfr. Erich Maria Fink berichtet von einem bemerkenswerten Detail aus dem Leben Johannes Pauls II., das den meisten unbekannt ist. Der Biographie dieses großen Papstes fügt er damit etwas Neues hinzu; denn zumindest im deutschen Sprachraum wurde diesem Vorgang bislang keine Aufmerksamkeit gewidmet. Es ist die dramatische Geschichte eines russischen Majors, in der sich eindrucksvoll die göttliche Vorsehung offenbart. Auch ihm selbst wurde erst sehr viel später bewusst, welche Rolle er in Gottes Heilsgeschichte spielte. Trotz seines hohen Alters und bereits erblindet war er gerade dabei, ein Buch über das orthodoxe Christentum fertigzustellen. Doch nun ist er vor wenigen Wochen gestorben.

Von Erich Maria Fink

„Der Papst betet ständig für Sie!“

Am 9. August 2006 starb in der nordkaukasischen Stadt Armawir der russische Geschichtsprofessor Wassilij Trofimowitsch Sirotenko. Im November wäre er 91 Jahre alt geworden. Diesen Veteranen der russischen Armee verbindet eine einzigartige Begegnung mit Karol Wojtyla. Es war im Januar 1945, als das Schicksal diesen Historiker mit einem jungen polnischen Studenten zusammenführte, der als Papst Johannes Paul II. in die Geschichte eingehen und diese Begegnung zeitlebens nicht mehr vergessen sollte.

Im November 2000 erhielt Professor Sirotenko zu seinem 85. Geburtstag ein Glückwunschschreiben aus dem Vatikan, in dem es heißt: Der Papst betet ständig für Sie! Außerdem lag dem Brief ein Foto Johannes Pauls II. bei. Dazu meinte der freudig überraschte russische Gelehrte, es seien auf dem Bild dieselben schwarzen Augen mit ihrem blauen Schillern zu sehen, wie sie ihn 1945 angeblickt hätten.

Im Blutbad des II. Weltkriegs

Was war damals geschehen? Sirotenko, der am 9. November 1915 im westukrainischen Ort Stryzhavka geboren wurde, hatte 1939 an der Kiever Universität die historische Fakultät absolviert und dozierte an der Pädagogischen Hochschule in Tschernigiv mittelalterliche Geschichte. Nach dem Ausbruch des II. Weltkriegs wurde er am 15. Januar 1940 in die Sowjetarmee eingezogen. Von Anfang an, d.h. seit Juni 1941, nahm er auf russischer Seite am Kriegsgeschehen teil. Bis 1945 war er an verschiedenen Fronten im Einsatz und stieg vom Zugführer zum Kompaniechef auf. Er erinnert sich, wie sich seine Division gleich zu Beginn den Panzern Hitlers mit Gewehren entgegenstellte und in einem regelrechten Massaker aufgerieben wurde. Von 10.000 Mann blieben nur 110 am Leben. Zweimal wurde auch er sehr schwer verwundet. Das erste Mal, es war bei Scors, durchbohrte ein Bombensplitter seine Schulter. Für mehrere Monate wurde er zur Behandlung in ein Militärkrankenhaus nach Sibirien gebracht. Das zweite Mal, im Jahr 1943, erlitt er vor Leningrad eine ernsthafte Verwundung am rechten Bein. Schließlich hinterließ eine Kanonenexplosion bei der Verfolgung der Deutschen in Richtung Westen schreckliche Spuren in seinem Gesicht.

„Krakau haben wirklich wir gerettet“

Im Januar 1945 begann die 59. Armee unter General Konev mit der Befreiung Krakaus. In ihr  diente auch der inzwischen 30-jährige Major Sirotenko. Sie hatte den Befehl erhalten, die Stadt ohne Deckung durch die Luftwaffe und die Artillerie einzunehmen. Stalin nämlich, dem Polen von den Siegermächten bereits zugesprochen worden war, wollte eine unversehrte Stadt übernehmen. So wurde die deutsche Wehrmacht von der russischen Infanterie immer weiter zurückgedrängt. Das Sturmbataillon, für das Sirotenko als stellvertretender Kommandeur zuständig war, nahm als eines der ersten den Kampf um diese polnische Stadt auf. Er berichtet: „Wir waren sehr gut vorbereitet, in diesem Punkt alles erfahrene Kämpfer. Nur Gewehre, Maschinengewehre und Granaten, also leichte Waffen, um die Deutschen Haus um Haus zurückzuschlagen. Aber der Widerstand war nicht übermäßig, in zwei Tagen hatten wir die Stadt eingenommen; am 17. Januar feierte uns das Volk auf den Straßen. Wir hatten in Erfahrung gebracht, dass die Deutschen bereits die Vorbereitungen dafür getroffen hatten, alles zu sprengen, von der Kathedrale bis zur Burg. Und darauf bin ich stolz: Krakau haben wirklich wir gerettet.“

Gefangenenlager im Solvay-Steinbruch

Als die Deutschen noch nicht ganz aus der Stadt vertrieben waren, erhielten die russischen Befehlshaber die Nachricht, dass die Faschisten dabei seien, in einem der Steinbrüche außerhalb Krakaus eine große Gruppe polnischer Gefangener umzubringen. Der Sturm auf die Stadt konnte deswegen nicht gestoppt werden, doch wurde ein Teil des Bataillons zur Befreiung der gefangenen Polen in dieses Lager abkommandiert.

Major Sirotenko befand sich am 18. Januar in dieser Abteilung, welche den Steinbruch zu besetzen hatte. Er lag etwa 50 km von der Stadt entfernt und war mit dem chemischen Industriebetrieb Solvay verbunden. „Auch dort haben sich die Deutschen fast augenblicklich ergeben und davongemacht. Die polnischen Arbeiter hatten sich versteckt, so dass wir zu rufen begannen: Ihr seid frei, kommt heraus, ihr seid frei! Als wir eine Zählung durchführten, kamen wir auf 80. Und kurz danach ermittelten wir, dass unter ihnen 18 Seminaristen waren“, so Sirotenko.

Der sprachenbegabte Student Karol Wojtyla

Als die russische Armee Krakau befreit hatte, suchten die meisten Soldaten zunächst einfach etwas zu essen. Sirotenko dagegen interessierte sich für Bücher in lateinischer und deutscher Sprache. Mit Latein hatte er sich im Rahmen seiner Lehrtätigkeit in Geschichte beschäftigt, Deutsch war die Sprache des Krieges. So habe er sich erkundigt, ob einer dieser Seminaristen in der Lage sei, aus dem Lateinischen oder Italienischen zu übersetzen. Der von ihm Angesprochene habe erschreckt reagiert und sofort hinzugefügt, er habe einen intelligenten und sprachenbegabten Mitstudenten – ein gewisser Karol Wojtyla. „Also gab ich die Anweisung, diesen Karol aufzuspüren.“ Sirotenko erinnert sich, wie er den 25-jährigen Studenten gemustert und ihm schließlich die Frage gestellt habe: „Welches gute Buch über das Ende des römischen Reiches kannst du mir empfehlen?“ Schließlich begann Wojtyla für ihn tatsächlich Dokumente und Bücher zu übersetzen, woran der russische Major großen Gefallen fand.

Alle Seminaristen kamen auf die Liste

Da ließ der politische Kommissar Lebedev Sirotenko zu sich kommen und stellte ihm die Frage: „Genosse Major, was möchten Sie mit diesem Seminaristen tun? Sind Sie entschlossen, die Anweisungen Stalins zu ignorieren?“ Und er erinnerte ihn an die Anordnung Stalins vom 23. August 1940 zur Behandlung von Lehrern und Seminaristen. Darauf habe ihm Sirotenko geantwortet: „Ich kann ihn nicht erschießen, er ist zu nützlich, er kennt die Sprachen und die Stadt!“ Der Kommissar musste zustimmen, wollte aber kein Risiko eingehen. So betonte er, dass Sirotenko die alleinige Verantwortung für diesen Fall zu tragen habe.

In Lublin hatte das von Stalin anerkannte polnische Komitee der nationalen Befreiung bereits die Regierung übernommen. Schon fielen die ersten Köpfe und auch aus Krakau bewegten sich die ersten Gefangenentransporte nach Osten in die Sibirischen Gulags – mit Menschen, die nie wieder zurückkehrten. Auch die Seminaristen aus dem Solvay-Steinbruch kamen auf die Liste, alle, außer Karol Wojtyla.

Für Wojtyla sein Leben riskiert

Sirotenko versuchte zu erklären, warum er sich so entschlossen für Wojtyla einsetzte: „Seine schwarzen Augen mit ihrem blauen Schillern und sein wie Schnee leuchtendes, weißes Gesicht zogen meine Aufmerksamkeit auf sich wie ein Magnet.“ Schon bei der Befreiung der Gefangenen sei ihm dieser Priesteranwärter aufgefallen. „Ich weiß es nicht“, so Sirotenko, „aber es kam mir der Gedanke, ihn einfach freizulassen; denn dieser junge Pole war ganz ungewöhnlich“. So nahm er Wojtyla aus der Registrierung aus – ungeachtet der damit verbundenen Gefahr für ihn selbst. Denn die Folgen hätten schrecklich sein können. Tatsächlich wurde er noch 1953 wegen angeblicher Anti-Stalin-Propaganda angeklagt. Dem drohenden Tod entging er nur, weil noch im März desselben Jahres Stalin selbst starb.

Befreier des künftigen Papstes

Sirotenko war sich gewiss, dass er das künftige Oberhaupt der katholischen Kirche gerettet hatte. Im Jahr 1978 erfuhr er „wie alle auf der Welt“, dass Karol Wojtyla zum Papst gewählt wurde. Außer den Leuten des KGB sei er bei der Bekanntgabe des Wahlergebnisses wohl der einzige Russe gewesen, der mit dem Namen Wojtyla sofort etwas anfangen konnte. Das bedeutete für ihn, der im Lauf seines Militärdienstes mit zahlreichen Verdienstorden geehrt worden war, die eigentliche Auszeichnung seines Lebens. Er hatte den Orden des Vaterländischen Krieges zweiten Grades erhalten, den Orden des Roten Sterns sowie zehn Medaillen z.B. „Für die Verteidigung von Leningrad“, „Für die Verteidigung von Kiev“ oder „Für die Befreiung von Prag“. Ein Orden lautete bezeichnenderweise „Für den Mut“. Diesen Mut hatte Sirotenko auch bei der „Befreiung“ Karol Wojtylas bewiesen. Am Abschied von Johannes Paul II. im April 2005 nahm er mit tiefer Trauer Anteil. „Millionen von Christen werden ihn als Papst im Gedächtnis behalten, in meiner Erinnerung wird er immer der 25-jährige Theologiestudent an der Universität in Krakau bleiben“, sagte Sirotenko kurz vor seinem Tod.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

1700 Jahre Konstantin: ein aktuelles Jubiläum

Genau vor 1700 Jahren wurde Konstantin zum Kaiser ausgerufen. Diesem Anlass sind heuer und nächstes Jahr Ausstellungen und Veranstaltungen in verschiedenen Ländern gewidmet. Dr. Margareta Fopp[1] wirft einen Blick auf dieses Jubiläumsjahr und hebt seine aktuelle Bedeutung für Europa hervor. Die Verknüpfung des römischen Reichs mit dem aufkeimenden Christentum, welche sich durch diesen Kaiser vollzog, führte zu einer weltgeschichtlichen Umwälzung, welche den Weg der Menschheit bis heute prägt. Hat dieser Prozess für unsere heutige Zeit eine Vorbildfunktion? Ist er zum Segen für die Völkerfamilie geworden? Dieses Jubiläum der christlichen Wurzeln unserer europäischen Kultur zeigt auf, wie eng Politik und Religion miteinander verknüpft sind und wie groß die Herausforderung ist, solche gefahrvollen Entwicklungen friedlich zu gestalten.

Von Margareta Fopp

Jubiläum eines „Hochverrats“

Es geschah vor 1700 Jahren am 25. Juli 306. In Eboracum, der wohl nördlichsten römischen Stadt in Britannien, dem heutigen York, wurde Konstantin, ein dreißigjähriger Mann, von den Truppen als neuer Augustus des römischen Reiches ausgerufen. Keiner der jubelnden Soldaten konnte sich dabei vorstellen, wie sehr dieser Moment nicht nur das Leben dieses jungen Mannes verändern, sondern die Geschichte des römischen Reiches bis in unsere heutige Zeit prägen würde. Dieser Augenblick, diese Ausrufung, welche sich fernab alles politischen und gesellschaftlichen Lebens ereignete, welche eine Eigenmächtigkeit, ja sogar Hochverrat darstellte und in die Geschichte der Vergessenheit eintauchen hätte können, wurde zum Wendepunkt für das in sich verfallene und vom Heidentum geprägte römische Reich. Konstantins späteres Bekenntnis zum Christentum sowie seine Politik gegenüber den verschiedenen Religionen besitzen zugleich eine besondere Aktualität.

Scheidungskind der Karriere wegen

Konstantin wurde um das Jahr 272/273 als Sohn von Konstantius Chlorus und Helena geboren. Sein Vater stammte aus Illyrien, dem heutigen Albanien, und durchlief eine erfolgreiche Militärkarriere. Unter Diokletian wurde er mit ca. 43 Jahren durch Maximian zum Caesar für das Westreich eingesetzt. – Überblick über die Tetrarchie (das Vier-Kaiser-System):

Maximian

(Augustus über das Westreich)

Diokletian

(Augustus über das Ostreich)

Konstantius Chlorus

(Caesar über das Westreich)

Galerius

(Caesar über das Ostreich)

Er war für Gallien und Britannien verantwortlich und hatte seinen Hauptsitz in Trier. Dieser Karrieresprung forderte von ihm, sich von Helena scheiden zu lassen und Theodora, die Schwiegertochter des Maximian, zu heiraten. Das konnte Maximian einfordern, da das iustum matrimonium römischen Offizieren verbot, Damen der Provinz zu heiraten. Für seinen Sohn Konstantin bedeutete dies, dass er getrennt von seinem Vater unter der Obhut Helenas aufwuchs.

Die abenteuerliche Flucht

Konstantin begann seine militärische Laufbahn im kleinasiatischen Nikomedia unter Diokletian und setzte sie unter Galerius fort. Dort erhielt er eine hervorragende Ausbildung. Das Jahr 305 bildete einen Höhe- und Wendepunkt im Leben des inzwischen rund Dreißigjährigen: Seine Frau Minervina gebar ihm seinen Sohn Crispus, er selbst besiegte den Führer der gegnerischen Sarmaten und sein Vater wurde durch die Abdankung von Diokletian und Maximian zum Augustus des Westreiches ausgerufen, während Galerius zum Augustus des Ostreiches aufstieg. Dies war der Moment, in welchem Konstantius seinen Sohn nach Britannien zurückrief, da die Anwesenheit Konstantins am Hof des Ostreiches einen Garanten für die Botmäßigkeit des Vaters darstellte. In einer abenteuerlichen Flucht entkam Konstantin den Truppen des Ostreiches. In York angekommen unterstützte er seinen Vater bei der Verteidigung gegen die „Picts“ in Nord-Britannien.

Schutzsuche beim Sonnengott

Bereits ein Jahr später, am 25. Juli 306, starb Konstantius Chlorus und die Truppen riefen Konstantin zum neuen Augustus aus. Dies kam einem Staatsstreich gleich, da die Tetrarchie keine dynastische Nachfolge vorsah. Konstantin hatte keine legale Rechtfertigung für seine Herrschaft. Galerius stufte ihn deshalb zum Caesar zurück, womit für den jungen Konstantin jedoch schon viel erreicht war. Dennoch war damit die tetrarchische Ordnung durchbrochen und trotz vieler Versuche gelang es nicht, sie wieder herzustellen. Folgende Mitkaiser wurden in die Tetrarchie aufgenommen:

Servus (306-307)

Licinius (308-324)

(Augustus über das Westreich)

Galerius (305-311)

(Augustus über das Ostreich)

Konstantin (306-337)

(Caesar über das Westreich)

Maximinus Daia (308-313)

(Caesar über das Ostreich)

Nach der Einäscherung seines Vaters kehrte Konstantin von York nach Trier zurück und verordnete als erste gesetzgeberische Maßnahme die Entbindung der Christen, die sich in seinem Herrschaftsbereich befanden, von der Verpflichtung zum Kaiseropfer. Wenn diese Gleichsetzung auch nur einen kleinen Schritt darstellte, so war die Wirkung dennoch außerordentlich. Denn die Nichtbeachtung dieser Verpflichtung hatte immer wieder zu Christenverfolgungen geführt. Gleichzeitig festigte Konstantin seine Autorität dadurch, dass er am Rhein die Franken zurückschlug. Das Jahr 310 bildete den nächsten wichtigen Punkt in seinem Leben. Er eroberte Spanien hinzu und hatte im Apollo-Heiligtum von Grand eine Vision mit drei Licht-Kreuzen. Er deutete diese drei XXX als Prophezeiung einer 30-jährigen Regentschaft. Tatsächlich wurden es fast 31 Jahre. Zu dieser Zeit nahm er den Sonnengott Sol als Schutzgott an und ließ ihn seit 311 auf Münzen abbilden.

In diesem Zeichen siege!

Nach dem Tod des Galerius im Jahr 311 musste Konstantin sich mit Maxentius, dem Sohn des ehemaligen Augustus Maximianus, auseinandersetzen, der mit der Prätorianergarde und den städtischen Kohorten usurpierte. Die Truppen des Maxentius waren denen von Konstantin zahlenmäßig weit überlegen. Während dieser 100.000 Mann hatte, verfügte Konstantin nur über 40.000 Mann. Konstantin jedoch besiegte die feindlichen Truppen zunächst bei Turin, Brescia und Verona und marschierte dann Richtung Süden. Am 28. Oktober 312 gelang es ihm, Maxentius in der Schlacht bei der Milvischen Brücke vernichtend zu schlagen. Den Erfolg des Kampfes führte er auf eine Christuserscheinung zurück, die er einen Tag zuvor gehabt hatte. Die bekannteste Version der Berichterstattung über dieses einschneidende Erlebnis geht auf Eusebius von Caesarea zurück. Er hat das Ereignis in der sog. Vita Constantini (Eus. V. C. 1,27-32) festgehalten. Auf einem Marsch vor der Schlacht sahen Konstantin und seine Soldaten ein Kreuz aus Licht über der Sonne mit den Worten: In hoc signo vinces („Mit diesem Zeichen wirst du siegen“). In der Nacht vor den Kampfhandlungen hatte Konstantin noch einen Traum, in dem ihm Jesus erschienen sei und dazu aufgefordert habe, in der Schlacht das Kreuz als Schutz- und Siegeszeichen zu verwenden. Daraufhin ließ er auf alle Schilder Kreuze aufzeichnen. Verschiedene Autoren berichten auch, dass auf den Helmen und Schildern das Chi-Rho (XP) als Abkürzung für den Namen „Christus“ aufgemalt wurde. Die einzelnen Berichte darüber sind jedoch sehr unterschiedlich. Einigkeit besteht aber in der Kernaussage, dass Konstantin diesen Sieg Jesus Christus zuschrieb und dass dieser Sieg einen Wendepunkt in seinem religiösen Leben darstellte.

Von der Religionsfreiheit zum Konzil

Nach dem Sieg über Maxentius übernahm Konstantin im Alter von ca. 40 Jahren die Herrschaft über das gesamte Westreich. Er veranlasste den Bau von Kirchen in Rom und vielen anderen großen Städten des Reiches. Außerdem führte er den Sonntag als Tag der Ruhe ein und schaffte die Gladiatorenspiele ab. 313 traf er mit Licinius, dem Kaiser des Ostens, zusammen. Gemeinsam verabschiedeten sie das sog. Toleranzedikt von Mailand, welches allen Freiheit in der Wahl und Ausübung ihrer Religion zusicherte. Für die Christen, die ca. 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten und dadurch den anderen Religionen gleichgestellt wurden, begann dadurch eine vollkommen neue Epoche. 324 besiegte Konstantin Licentius und war, nachdem er ihn im Jahr 325 töten ließ, Kaiser und Alleinherrscher über das gesamte römische Reich. Noch im gleichen Jahr berief er das Erste Konzil von Nicäa ein. Er lud dazu die Bischöfe aus allen Ländern ein, um den Streit mit den Arianern beizulegen. 328 gründete er Konstantinopel als neue Hauptresidenz im Osten. Er ließ sie prächtig ausbauen und 330 feierlich einweihen. Trotz der strategisch guten Lage und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung dauerte es jedoch noch Jahrzehnte, bis sich die Stadt wirklich zur Hauptstadt des östlichen Reichsteiles entwickeln konnte.

Konstantin „der Große“

Konstantin starb am 22. Mai 337. Kurz davor war er von Bischof Eusebius von Nikomedia noch getauft worden. In der katholischen Kirche wird Konstantin im Kirchenkalender neben seiner Mutter, der hl. Helena, lediglich erwähnt, während ihn die orthodoxe Kirche als Heiligen verehrt. Schon zu Lebzeiten wurde Konstantin der Titel „der Große“ verliehen. Dr. Christopher Kelly, ein Experte für römische Geschichte in Cambridge, führt dies auf folgende drei Umstände zurück: Zum einen gelang es Konstantin, das römische Reich wieder unter einem Führer zu vereinen und Stabilität und Sicherheit zu garantieren. Weiter gründete er mit Konstantinopel eine Hauptstadt, die mehr als 1000 Jahre Bestand haben sollte. Sein wichtigster Beitrag zur Europäischen Geschichte besteht aus heutiger Sicht jedoch in der Unterstützung des Christentums.

Geschichtliche Umwälzung ohne Erschütterung

Keiner der jubelnden Soldaten konnte im Jahr 306 vorhersehen, dass dieser junge Offizier seine Stellung nicht nur behaupten, sondern derart ausbauen würde. Keiner konnte ahnen, dass er sich nicht nur für die Christen einsetzen, sondern selbst den Weg zu Christus finden würde und schließlich zum Wegbereiter des Imperium Romanum Christianum werden sollte. Victor Schulze beschreibt dies folgendermaßen: „So ist es ihm gelungen, eine der größten Umwälzungen der Geschichte, die Loslösung des Reichs von den Zusammenhängen mit der alten Religion und die Verknüpfung mit dem siegreichen Christentum ohne Erschütterung zu vollziehen. Das gefahrvolle Unternehmen verlief in der Bahn friedlicher Entwicklung. Dass Konstantin diese Tat angefasst und durchgeführt hat, macht ihn wert, den größten Männern der Geschichte zugerechnet zu werden.“

Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr

Vom 31. März bis zum 29. Oktober 2006 wurde in York anlässlich dieses Jubiläums die Ausstellung „Constantine the Great – York‘s Roman Emperor“ organisiert. Dazu wurden mehr als 270 Exponate aus ganz Europa zusammengestellt, um die Bedeutung Konstantins im vierten Jahrhundert aufzuzeigen.[2]

Vom 2. Juni bis zum 4. November 2007 findet in der Stadt Trier die bedeutende kulturhistorische Ausstellung „Konstantin der Große“ statt. Zum ersten Mal widmet sich eine Ausstellung in diesem Umfang dem römischen Kaiser, der Konstantinopel gegründet und durch die Anerkennung des Christentums die Geschichte Europas bis heute geprägt hat. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Prof. Dr. Horst Köhler und für Luxemburg mit Großregion, der Kulturhauptstadt Europas 2007, unter der Schirmherrschaft Ihrer Königlichen Hoheiten des Großherzogs und der Großherzogin.[3]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Dr. Margareta Fopp: Studium der Betriebswirtschaft und Philosophie. Promotion in Philosophie an der Ludwig- Maximilians-Universität in München und an der Sorbonne in Paris zu dem Thema „Zukunft – Die Zeitdimension des Handelns“. Seit Dezember 2004 ist sie für eine amerikanische Firma als Office Managerin tätig.
[2] Siehe unter www.constantinethegreat.org.uk
[3] www.konstantin-ausstellung.de

Helena – die „Kaiserinmutter“

Nach dem mittelalterlichen „Colchester Chronicle“ wurde die hl. Helena um das Jahr 250 in Colchester in England als Tochter des Königs Coel geboren, welcher Colchester gründete und später König von England war.

Von Margareta Fopp

Die Chronik berichtet weiter, dass Helena Konstantius vermutlich gegen Ende seines zweijährigen Aufenthalts in Colchester geheiratet hat, während er dort als römischer Soldat stationiert war. Außerdem sei auch ihr Sohn Konstantin in Colchester geboren worden. Sie ist die Patronin dieser Stadt und bis auf den heutigen Tag gibt es dort viele öffentliche Plätze, Straßen und Gebäude, die nach ihr benannt sind. In einer kleinen, von ihr gegründeten Kapelle, die im Jahr 2000 wieder in einen sakralen Raum zurückgeführt wurde, wird die hl. Helena von der griechisch-orthodoxen Kirche verehrt.

Entgegen dieser Darstellung gibt es in der Wissenschaft eine zweite Tradition, die auf eine Bemerkung des hl. Ambrosius zurückgeht. Er bezeichnet die hl. Helena in seinen Schriften als stabularia, was viele Autoren dazu veranlasst hat, ihr eine niedrige Herkunft zuzuschreiben. Weiter führen zahlreiche Forscher die Umbenennung des kleinasiatischen Drepanum in Helenopolis von Konstantin darauf zurück, dass Helena dort geboren wurde.

Helena muss eine sehr attraktive junge Frau gewesen sein, als sie mit etwa 20 Jahren den römischen Offizier Konstantius heiratete. Diese Verbindung hielt bis zur Vermählung des Konstantius mit Theodora. Erst nach dem Tod von Konstantius rief Konstantin Helena an den Hof in Trier, wo sie einige Zeit verbrachte. Auch ist bekannt, dass sie später einige Jahre ein großes Landgut in der Nähe von Rom bewohnte. Obwohl es keine genauen Aufzeichnungen darüber gibt, wird vermutet, dass sie sich um das Jahr 312/313 taufen ließ. 324 ernannte Konstantin Helena, die bisher noblissima femina (edelste Frau) war, zur Kaiserinmutter, zur „Augusta“, und ließ Münzen zu ihren Ehren prägen. Damit war Helena zur zweitwichtigsten Person des römischen Reiches geworden. Zwei Jahre später, im Jahr 326, ließ Konstantin (seinen eigenen Gesetzen verpflichtet und einer Verleugnung erlegen) seinen ältesten Sohn Krispus aus der Ehe mit Minervina umbringen und kurz darauf seine Frau Fausta, die er für diese Verleugnung verantwortlich machte. Kurz darauf reiste Helena im Alter von knapp 80 Jahren nach Jerusalem, um das Kreuz Jesu zu suchen. Konstantin stattete sie dazu mit großzügigen Mitteln und allen Vollmachten aus, weshalb verschiedene Autoren diese Reise als eine Art Wiedergutmachung des in der Familie geschehenen Übels betrachten. Helena veranlasste im Heiligen Land sowohl den Bau der Geburts- als auch der Grabeskirche und fand nach langem Suchen das Kreuz Christi in einer alten Zisterne, dazu Nägel sowie den Titulus, die Kreuzesinschrift. Sie verstarb am 18. August 328 erschöpft von den Strapazen einer langen Reise im Beisein ihres Sohnes Konstantin in Nikomedia.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2006
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„Mittlerin aller Gnaden“ – Ringen eines Kardinals um die Dogmatisierung

Prof. Dr. Manfred Hauke, der bekannte Dogmatiker an der Theologischen Fakultät in Lugano, hat eine interessante Studie vorgelegt:[1] er behandelt das nach wie vor aktuelle Thema der Gnadenmittlerschaft Mariens, das auch auf dem II. Vatikanischen Konzil diskutiert worden ist. Die Arbeit wendet sich in erster Linie an den Theologen, doch kann auch der interessierte und gebildete Laie aus ihrer Lektüre großen Nutzen ziehen.

Besprechung Von Msgr. Dr. Rupert Gläser

Der Autor lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die bekannte Persönlichkeit von Kardinal Mercier, der sich um eine Dogmatisierung dieses Lehrsatzes bemühte. Das ausführliche Literaturverzeichnis, das fast 20 Seiten umfasst, zeigt, dass es sich um eine eingehende und detailreiche Studie handelt. Hauke verwendet nicht nur viele Druckschriften, sondern auch unbekannte Archivalien. Er besuchte etliche Bibliotheken im Ausland und befragte eine ganze Reihe von Personen. Aus dieser Forschung entstand eine Arbeit, die sich in zehn Abschnitte gliedert: Aktualität, Initialzündung, Vorbereitung, geistlicher Impuls, Lebensweg Merciers, Bedeutung des Ersten Weltkriegs, Spannungen zum Ökumenismus, marianische Initiativen Merciers, Ausgang dieser Initiativen, Ergebnis. Zur Ergänzung sind drei Anhänge angefügt: liturgische Texte sowie zwei Stellungnahmen. Die erste stammt vom seligen P. Marmion OSB, die zweite von P. Garrigou-Lagrange OP. Darauf folgen Abkürzungs- und Literaturverzeichnis. Ein umfassendes Personenregister, das den Abschluss bildet, bietet eine ausgezeichnete Hilfe zum raschen Nachschlagen.

Der Leser entdeckt mit Verwunderung, dass auch hier die Mystik die Theologie beeinflusst hat: Mutter Magdalena von Jesus (Karmel von Uccle) drängte auf eine Dogmatisierung schon vor dem Ersten Weltkrieg (1906); im gleichen Jahr konnte Mercier mit Papst Pius X. über die Thematik sprechen. Aufgrund der Erschütterungen durch den Krieg forcierte der Kardinal eine Dogmatisierung und bemühte sich gleichzeitig um eine liturgische Verehrung. 1916 konnte er seine Initiative Papst Benedikt XV. vortragen, der ihr gegenüber ausgesprochen wohlgesonnen war. 1921 gestattete die Ritenkongregation das liturgische Fest „Maria, Mittlerin aller Gnaden“. Angespornt durch diese Erlaubnis verstärkte Mercier seine Bemühungen durch Bittschriften und Kongresse. Auch Papst Pius XI. begünstigte die Sache, indem er eine belgische, spanische und römische Kommission einsetzte. Der Kardinal starb jedoch am 23. Januar 1926, bevor seine Initiative ihr Ziel erreicht hatte.

Die Fülle an Daten und Details versetzt den Leser in Staunen. Die Schrift dokumentiert erneut die Präzision, von der die wissenschaftlichen Arbeiten Prof. Haukes gekennzeichnet sind. Das Buch, das bereits in englischer und italienischer Übersetzung erschienen ist, kann ohne Einschränkung empfohlen werden. Für jeden Theologen ist es nützlich und hilfreich, für den Mariologen geradezu unverzichtbar. Auch ein Philosoph wird sich gewinnbringend damit beschäftigen. Der Laie bekommt einen interessanten und spannenden Einblick in die Welt der Theologie.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2006
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[1] Hauke Manfred: Maria – „Mittlerin aller Gnaden“. Die universale Gnadenmittlerschaft Mariens im theologischen und seelsorglichen Schaffen von Kardinal Mercier 1851-1926 (Mariologische Studien 17), Regensburg 2004, 224 S., kartoniert, ISBN 3-7917-1930-0.

Erwartungen des Papstes an die deutsche Politik

Vor kurzem wurde Hans-Henning Horstmann zum neuen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl ernannt. Am 28. September 2006 überreichte ihm Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo das Beglaubigungsschreiben. Dabei brachte er die Erwartungen der Kirche an die Politik zum Ausdruck. Auch ihr müsse es „immer zuerst um den Menschen“ gehen. Die Kirche, die dabei das „umfassende Heil“ des Menschen im Blick hat, kann der Politik in vielen Bereichen die notwendige Orientierung geben. Nachfolgend die Ansprache des Papstes, lediglich um den ausführlichen Begrüßungsabschnitt gekürzt.

Von Papst Benedikt XVI.

Umfassendes Wohl aller Menschen

Sehr geehrter Herr Botschafter! Die Mission des Heiligen Stuhls ist universal; die Aufmerksamkeit und Sorge des Papstes und seiner Mitarbeiter an der Römischen Kurie gelten, soweit möglich, allen Menschen und Völkern. Zwar bemüht sich der Heilige Stuhl naturgemäß zunächst um die Christen in den verschiedenen Ländern der Erde, doch misst er dem umfassenden Wohl aller Menschen unabhängig von ihrer Kultur, Sprache und Religionszugehörigkeit hohe Bedeutung zu. Daher sucht der Heilige Stuhl, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, wenn es darum geht, dem Menschen, seiner Würde, seiner Integrität und seiner Freiheit zu dienen. Sein ganzheitliches Heil liegt der katholischen Kirche am Herzen; darum stehen der Einzelne wie die Gemeinschaften, denen er angehört bzw. in denen er lebt, im Mittelpunkt der Aktivitäten des Apostolischen Stuhles. Dessen Wirken auf der internationalen Bühne zeigt, dass die Kirche auf der Seite der Menschen steht, hier in Europa und in allen Teilen der Welt. In der Tat teilt die Kirche die „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten jeder Art“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 1). Da es der Kirche aus ihrem Glauben heraus um „die Rettung der menschlichen Person und um den rechten Aufbau der menschlichen Gesellschaft“ geht, steht der Mensch „mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen“ (ebd., 3) im Zentrum ihrer pastoralen Sorge.

Wahre Toleranz verlangt Ehrfurcht vor Gott

Aber die Kirche drängt sich nicht auf. Sie nötigt niemanden, die Botschaft des Evangeliums anzunehmen. Denn der Glaube an Jesus Christus, den die Kirche verkündet, kann nur in Freiheit geschehen. Daher müssen Toleranz und kulturelle Offenheit die Begegnung mit den anderen prägen. Toleranz darf freilich niemals mit Indifferentismus verwechselt werden. Denn jede Form von Gleichgültigkeit ist dem tiefen christlichen Interesse am Menschen und an seinem Heil radikal entgegengesetzt. Wahre Toleranz setzt immer auch den Respekt vor dem anderen voraus, vor dem Menschen, der Geschöpf Gottes ist und dessen Existenz Gott bejaht hat. Die Toleranz, die unsere Welt braucht, – ich habe dies erst kürzlich in München ausgeführt – „schließt die Ehrfurcht vor Gott ein – die Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist. Diese Ehrfurcht vor dem Heiligen der anderen setzt aber wiederum voraus, dass wir selbst die Ehrfurcht vor Gott wieder lernen. Diese Ehrfurcht kann in der westlichen Welt nur dann regeneriert werden, wenn der Glaube an Gott wieder wächst“ (Homilie am 10. September 2006 in München).

Solides Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland

Herr Botschafter! Sie haben in Ihrer Rede ganz zu Recht das ausgezeichnete Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl und die erfreuliche Kooperation beider in einigen Bereichen hervorgehoben. In diesen guten Beziehungen spiegelt sich gewiss auch das solide Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Deutschland selbst wieder. Bei früheren Gelegenheiten ist wiederholt auf die gute Zusammenarbeit beider Institutionen auf verschiedenen Feldern zum Nutzen und Wohl der Menschen in unserer Heimat hingewiesen worden. Es bleibt zu hoffen, dass das bewährte Zusammenwirken von Kirche und Staat in Deutschland auch bei sich verändernden politischen Prämissen auf der europäischen Ebene fortgesetzt und ausgebaut werden kann.

Wie in jeder Nation, so steht auch in Deutschland das Staat-Kirche-Verhältnis in einer engen Beziehung zur Gesetzgebung. Daher verfolgt der Heilige Stuhl die diesbezüglichen Entwicklungen und Tendenzen in Bund und Ländern mit regem Interesse. In dieser Ansprache kann ich nur einige Bereiche streifen, die aus der Sicht der katholischen Kirche, der es – wie oben dargelegt – immer zuerst um den Menschen und sein umfassendes Heil geht, von Bedeutung sind.

Verteidigung der natürlichen Familie und Schutz behinderten Lebens

Ich nenne an erster Stelle den im Grundgesetz verbrieften Schutz von Ehe und Familie, der auf Grund eines sich verändernden Verständnisses ehelicher Gemeinschaft in der politischen Öffentlichkeit einerseits und neuer vom Gesetzgeber vorgesehener Formen, die sich von der natürlichen Familie entfernen, andererseits von der Aushöhlung bedroht ist. Die durch nichts zu rechtfertigende Abtreibung, die nach wie vor vielen unschuldigen ungeborenen Kindern das Leben kostet, bleibt eine schmerzlich empfundene Sorge des Heiligen Stuhls und der ganzen Kirche. Vielleicht kann die aktuelle Diskussion um die Spätabtreibungen bei den politisch Verantwortlichen das Bewusstsein dafür schärfen, dass die absehbare Behinderung eines Kindes kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch sein darf, weil auch das behinderte Leben ebenso wertvoll und von Gott bejaht ist und weil es auf dieser Erde niemals und für niemanden eine Garantie auf ein Leben ohne körperliche, seelische oder geistige Einschränkungen geben kann. Des weiteren wird der Heilige Stuhl nicht müde, bei den betreffenden europäischen Institutionen und den einzelnen Nationen auf die ethischen Probleme im Kontext der embryonalen Stammzellenforschung und der so genannten „neuartigen Therapien“ hinzuweisen.

Asyl für politisch und religiös Verfolgte

Sehr geehrter Herr Botschafter, Deutschland hat vielen Menschen, die in ihren Herkunftsländern von Verfolgung aus politischen oder religiösen Motiven bedroht sind, sowie anderen Flüchtlingen Zuflucht und eine neue Heimat gegeben. Das Netz der Hilfe und Solidarität, das auch bedürftige Fremde mitträgt, steht in der Tat für eine humane Gesellschaftsordnung. Die Tragkraft dieses Netzes hängt von den Beiträgen aller ab. Daher ist es erforderlich, dass Asyl entsprechend der Intention des Gesetzgebers, in Konformität mit den rechtlichen Vorgaben und nach dem Prinzip der Gerechtigkeit gewährt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für eine Reihe von Flüchtlingen die Zuflucht in Deutschland geradezu lebenswichtig ist. In diesem Zusammenhang bittet der Heilige Stuhl die zuständigen staatlichen Instanzen, ausländische Christen, deren Leben und Wohlergehen auf Grund ihres Glaubens in der Heimat bedroht ist, nicht abzuschieben und ihnen die Integration in der Bundesrepublik zu erleichtern.

Einsatz für Religionsunterricht – Ablehnung wertneutralen Ethikunterrichts

Deutschland kann zu Recht stolz sein auf seine große Bildungstradition. Die Vermittlung von Bildung an die kommenden Generationen gehört zu den zentralen Aufgaben, denen sich der Staat zu stellen hat. Wissen muss zusammen mit Werten vermittelt werden, damit Formung stattfinden kann. In den meisten deutschen Bundesländern teilt der Staat diese große Herausforderung mit der Kirche, die durch den Religionsunterricht, der als „ordentliches Lehrfach“ erteilt wird, in den Schulen präsent ist. Vielerorts wird den Schülern und Schülerinnen, die keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören, „religionsneutraler“ Ethikunterricht erteilt. Dieser Ethikunterricht kann und darf aber keinesfalls „werteneutral“ sein. Er sollte den Schülern ermöglichen, auch mit der großen Tradition des abendländischen Geistes vertraut zu werden, der die Geschichte und Kultur Europas geprägt hat und diese weiterhin inspiriert. Hierbei erscheint es der Kirche wichtig, dass der Ethikunterricht neben dem konfessionellen Religionsunterricht erteilt wird, ohne diesen in irgendeiner Form zu verdrängen.

Zusammenarbeit auf internationaler Ebene

Sehr geehrter Herr Botschafter! Deutschland ist ein weltzugewandtes Land. Unser Heimatland hat heute seinen festen und anerkannten Platz in der europäischen Staaten- und Völkergemeinschaft. Und über die Fragen nationalen Interesses hinaus vergisst Deutschland nicht die Probleme vieler armer Länder in anderen Teilen der Welt. Auch die internationalen kirchlichen Hilfswerke der katholischen Kirche, die auf deutschem Boden ihren Sitz haben, dürfen auf die treue Spendenbereitschaft der Bevölkerung zählen. In vielen internationalen, humanitären und Menschenrechtsfragen kann der Apostolische Stuhl mit der vertrauensvollen Zusammenarbeit der deutschen Bundesregierung rechnen. Für all dies bin ich und ist die Kirche aufrichtig dankbar. Mit Ihrer langen diplomatischen Erfahrung im Dienst der Bundesrepublik Deutschland werden Sie, Herr Botschafter, dazu beitragen können, dass diese Zusammenarbeit stets fest und für die Menschen gewinnbringend ist. Von Herzen erbitte ich Ihnen, Ihrer werten Familie und allen Botschaftsangehörigen Gottes beständigen Schutz und Seinen reichen Segen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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