„Werde, sei und bleibe ein geistlicher Mensch!“

Wir freuen uns sehr, dass wir schon vorab Auszüge aus dem neuen Buch von Walter Kardinal Kasper über das Priestertum veröffentlichen dürfen. Er hat es unter den Titel „Diener der Freude"[1] gestellt, den er vor 50 Jahren als Primizspruch gewählt hatte. In der Zwischenzeit erlebte er als Professor, Bischof und nun als einer der wichtigsten Kurienkardinäle in Rom eine wechselvolle Entwicklung seines priesterlichen Dienstes. In seinem Buch geht es weniger um autobiographische Erinnerungen, als vielmehr um ein allgemeines Zeugnis über den Hirtendienst in der Kirche. So gewährte uns der Kardinal ein Interview mit sehr persönlichen Antworten, das seine lebendige und tiefe Gläubigkeit zum Ausdruck bringt.

Interview mit Walter Kardinal Kasper, Rom

Kirche heute: Eminenz, wir dürfen Ihnen zu Ihrem goldenen Priesterjubiläum die herzlichsten Glück- und Segenswünsche aussprechen. Jeder Priester hat seine eigene Berufungsgeschichte. In welchem Alter und auf welche Weise haben Sie Ihre Berufung entdeckt?

Kardinal Kasper: Der Gedanke, Priester zu werden, ist mir schon sehr früh gekommen, mit etwa fünf Jahren. Ich wollte, wie man bei uns sagt, Pfarrer werden. Natürlich war dies am Anfang noch ein recht kindlicher Wunsch; aber er hat sich in den folgenden Jahren konsequent durchgehalten. Während meiner Gymnasialzeit ist er dann endgültig gereift.

Kirche heute: Was hat Sie persönlich auf dem Weg zum Priestertum gestärkt? Welche entscheidenden Hilfen haben Sie bis zur Priesterweihe erfahren?

Kardinal Kasper: In erster Linie muss ich unser Elternhaus nennen. Das gemeinsame Beten, der sonntägliche Kirchgang, der Besuch in der Kirche an Werktagen, das alles war eine Selbstverständlichkeit. Ich bin als Bub gern und später jeden Tag in die Kirche gegangen. Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehört, wie ich jeden Sonn- und Feiertag neben dem Vater, der Lehrer war und als solcher den Kirchenchor leitete, auf dem Orgelbock sitze. Nach der Messe haben wir dann zu Hause „Pfarrerles“ gespielt. Während des Dritten Reiches habe ich von meiner Mutter – der Vater war Soldat – eine streng antinazistische Erziehung erhalten. Ich wusste: Du bist katholisch und deshalb gegen Hitler. Das hat meine katholische Identität nachhaltig geprägt. Nach dem Krieg bin ich in die katholische Jugendbewegung, den Bund Neudeutschland, hineingewachsen und von einigen prächtigen jüngeren Priestern, denen ich bleibend dankbar bin, in die Bibelbewegung und in die Liturgische Bewegung eingeführt worden. Das hat mich bleibend geprägt.

Kirche heute: Gab es für Sie besondere Vorbilder? Welche Persönlichkeiten oder Heilige haben Ihre priesterliche Spiritualität geprägt?

Kardinal Kasper: Für mich waren Franz Lenk, Konviktsdirektor in Ehingen, und der Konviktsdirektor in Rottweil und nachher in Tübingen, der spätere Weihbischof Anton Herre, der mir noch als Bischof ein väterlicher Freund und Mentor war, sehr wichtig. Natürlich spielte in meiner Kindheit und Jugendzeit die Marienverehrung, die Wallfahrten auf den Hohen Rechberg und den Schönenberg eine große Rolle. Im Priesterseminar habe ich mich viel mit Johannes vom Kreuz und mit der „kleinen“ Therese von Lisieux, später mit Teresa von Avila und Edith Stein befasst. In meiner Tübinger Zeit ist die Spiritualität der Wüste des Charles de Foucauld sehr wichtig für mich geworden. Die Exerzitien habe ich lange Zeit nach dem Exerzitienbüchlein des Ignatius von Loyola gemacht; ich habe mich darin von Erich Przywara und Karl Rahner einführen lassen. In den letzten Jahren fahre ich zu privaten Exerzitien immer wieder nach Beuron und freue mich an der benediktinischen liturgischen Spiritualität und an der großen Weisheit der Regel des hl. Benedikt, des Patrons Europas. Als ehemaliger Bischof einer Martinsdiözese muss ich selbstverständlich auch den hl. Martin nennen, eine der ganz großen Bischofsgestalten und Gründergestalten Europas.

Kirche heute: Was haben Sie an Ihrer Priesterausbildung besonders geschätzt? Worauf kommt es Ihrer Meinung nach heute bei der Formung der Kandidaten im Priesterseminar an?

Kardinal Kasper: Die Ausbildung im Tübinger Wilhelmstift und im Priesterseminar in Rottenburg war damals relativ streng; so sind wir an Ordnung gewöhnt worden, was wie im Leben allgemein so auch im geistlichen Leben wichtig ist. Heute ist die Situation sehr verschieden. Es kommt heute zunächst auf die Förderung der ganzheitlichen menschlichen Reife an; denn die Gnade setzt die Natur voraus. Dann geht es darum, ein ordentlicher Christ zu sein, der aus dem Wort Gottes und aus der Liturgie lebt, der in und mit Gemeinschaft und Gemeinden lebt, der nicht immer etwas Besonderes sein will, sondern Christ mit und unter Christen ist; Erfahrungen mit menschlichen Notsituation und im diakonischen Dienst scheinen mir ebenfalls wichtig zu sein. Auf dieser Grundlage kann dann die Hinführung zu einer klaren priesterlichen Identität aufbauen, in deren Mitte die persönliche Freundschaft mit Jesus Christus steht. Deshalb hat mich die „Johannesminne“ im ehemaligen Zisterzienserinnenkloster Heiligkreuztal in Oberschwaben immer besonders angesprochen.

Kirche heute: Welche Erwartungen haben die Gläubigen vor 50 Jahren an einen jungen Priester gerichtet? Was hat sich seither geändert? Mit welcher Atmosphäre und Erwartungshaltung wird ein Neupriester in unserer Zeit konfrontiert?

Kardinal Kasper: Als junger Priester war man vor 50 Jahren ganz selbstverständlich von der Gemeinde getragen. Meine Primiz am Ostermontag 1957 war ein großes und frohes Fest. Diese Zustimmung hat uns damals ungemein geholfen. Das gibt es heute auch noch, aber die Atmosphäre insgesamt hat sich gewandelt. Heute gibt es auch aus der Gemeinde kritische Anfragen an Priesteramtskandidaten und an junge Priester: Ist es ratsam und vernünftig, diesen Weg zu gehen? Ist das nicht ein auslaufendes Modell? Was bist du denn als Priester Besonderes? Auf der anderen Seite war ich als Bischof bei Priesterweihen immer wieder davon überwältigt, wie sehr die Gläubigen wissen, dass sie Priester brauchen, wie sehr sie sich über Neupriester freuen, wie viel sie für Priester und um gute Priester beten. Priester, die sich mühen Seelsorger zu sein, brauchen nach wie vor nicht über mangelnde Nachfrage klagen. Im Gegenteil, es gibt viel mehr junge und ältere Menschen als wir denken, die dringend auf sie warten.

Kirche heute: Sie können auf 50 Jahre Priestertum zurückblicken. Was zählt zu Ihren schönsten Erfahrungen als Priester?

Kardinal Kasper: Mit einer Gemeinde eine festliche Liturgie zu feiern, ist für mich jedes Mal ein Erlebnis; dabei werde ich, auch wenn es an Festtagen länger geht, nie müde, im Gegenteil, das macht mich innerlich froh. Ich erinnere mich auch an eine Reihe von persönlichen seelsorgerlichen Begegnungen, teilweise im Beichtstuhl, teilweise im Krankenhausdienst, bei denen mir Menschen einfach deshalb, weil ich Priester bin, Vertrauen entgegenbrachten und denen ich in einer schwierigen Situation ein gutes und ermutigendes Wort sagen konnte, das weitergeholfen hat.

Kirche heute: Sie selbst haben in dieser Zeit eine spannenden Entwicklung durchgemacht. Was ist Ihnen im Lauf dieser 50 Jahre aufgegangen oder wichtig geworden?

Kardinal Kasper: Ja, es waren spannende und wandlungsreiche 50 Jahre, weltpolitisch, kirchengeschichtlich und nicht zuletzt auch persönlich. Ich wollte ursprünglich einfach Pfarrer werden und jetzt bin ich in Rom gelandet, was mir vor 50 Jahren nicht einmal im Traum eingefallen wäre. Dazwischen lag das Jahr als Vikar in Stuttgart, die Jahre als Repetent und Assistent, als Universitätsprofessor zuerst in Münster und dann in Tübingen mit Gastvorlesungen in den USA, in Rom und Jerusalem sowie Reisen in die Dritte Welt. Auch in dieser Zeit war es mir wichtig, den direkten Kontakt zur Seelsorge nicht zu verlieren. Als Bischof einer großen Diözese durfte ich mich dann – und das war das Schönste – für 10 Jahre wieder der Seelsorge widmen. Ich wollte nicht nach Rom, aber der Papst wollte, und wieder hat sich meine Erfahrung bestätigt: Man kann sein Leben nicht „machen“ und sein Glück nicht planen. Glücklich wird man am ehesten, wenn man dorthin geht, wohin man gerufen und wo man gebraucht wird. So sind mir in den letzten Jahren die Größe, Weite, die Vielfalt und der Reichtum der Weltkirche neu aufgegangen. Ich möchte es ganz einfach so ausdrücken: Es ist schön, katholisch zu sein.

Kirche heute: Das Priestertum der katholischen Kirsche ist in unserer heutigen säkularisierten Welt auf verschiedenste Weise angefochten. Was würden Sie unseren Priestern raten, um zu einem glücklichen und erfüllten Leben zu gelangen?

Kardinal Kasper: Ich würde sagen: Werde, sei und bleibe ein geistlicher Mensch. Richte dich nicht nach den weltlichen Maßstäben von Erfolg, Karriere und Glück. Da wirst du ohnehin nie mithalten können und nie ganz auf deine Rechnung kommen. Leb vielmehr aus den geistlichen Wurzeln, aus der Hl. Schrift, aus der Liturgie und aus dem persönlichen Gebet. Werde dabei kein Eigenbrödler, sondern suche Gemeinschaft  und Freundschaft mit anderen Geistlichen. Doch versuch um Gottes willen nicht, ein Übermensch zu sein; bleib Mensch und vergiss den Humor nicht, wenn dir andere allzu dumm in die Quere kommen.

Kirche heute: Als verantwortlicher Kardinal des Sekretariats für die Einheit der Christen haben Sie einen besonderen Einblick in die Formen des Priestertums bei anderen Konfessionen, beispielsweise in den orthodoxen Kirchen. Welche Impulse können sich aus diesen ökumenischen Begegnungen für die katholische Kirche und ihr Priesterbild ergeben?

Kardinal Kasper: Bei den Orthodoxen fasziniert mich, wie einfach, oft sehr einfach deren Priester normalerweise mit ihren Familien leben und wie sehr sie ganz für und aus der Liturgie leben; dagegen spielen Predigt, Katechese, soziale Diakonie und Jugendarbeit im Allgemeinen keine große Rolle; hier müssten sie wohl noch einiges dazulernen. Bei den evangelischen Pastoren dagegen stehen die Predigt und ihre Vorbereitung ganz im Vordergrund. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir in den vergangenen Jahrzehnten einiges von ihnen lernen dürfen, während sie gegenwärtig bei uns die Bedeutung sakramentaler und liturgischer Symbole schätzen lernen. Ökumene ist keine Einbahnstraße, sie ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen.

Kirche heute: Anlässlich des Wirbels um Erzbischof Milingo hat sich im Vatikan eine Kardinalsversammlung mit dem Thema Zölibat befasst. Welche richtungweisenden Gedanken kamen dabei zur Sprache?

Kardinal Kasper: Es gab keine grundsätzlich neuen Gesichtspunkte; es wurde – wie zu erwarten – nochmals die traditionelle Disziplin der katholischen Kirche betont.

Kirche heute: Wie sehen Sie den priesterlichen Zölibat und das Ringen der Kirche um diese Lebensform?

Kardinal Kasper: Die zölibatäre Lebensform ist kein göttliches Gebot; darum konnte das letzte Konzil seine Achtung vor der ostkirchlichen Tradition, die im Normalfall den verheirateten Gemeindeklerus kennt, zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig hat es aber ausdrücklich an der Tradition der lateinischen Kirche festgehalten. Diese Tradition beginnt nicht – wie man fälschlicherweise oft sagt – erst im 2. Jahrtausend, sie geht vielmehr bis ins 3. und 4. Jahrhundert, also bis in die unmittelbar nachapostolische Zeit zurück und entspricht somit einer langen und reichen geistlichen Erfahrung. Ich bin überzeugt, dass die Kirche auch in Zukunft keine grundsätzliche Änderung vornehmen wird. Gerade in einer so innerweltlich orientierten, übersexualisierten und übererotisierten Zeit wie der unsrigen ist die glaubwürdig gelebte Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ein wichtiges Zeichen und eine Botschaft. Dass sie heute von vielen nicht mehr verstanden wird, spricht nicht dagegen, sondern zeigt, dass sie eine heilsame Herausforderung darstellt.

Kirche heute: Wie ist es Ihnen gelungen, Ihre verschiedenen Aufgaben als Professor, als Bischof und nun als Kardinal in Rom mit dem priesterlichen Dienst zu verbinden?

Kardinal Kasper: Mir war es immer wichtig, seelsorgerlichen Kontakt zu Gemeinden zu halten und mit in der Seelsorge tätigen Priestern im Kontakt zu bleiben. Als Professor war ich fast jeden Sonntag als Zelebrant und Prediger in einer Gemeinde; als Bischof waren mir die Gemeindebesuche, wann immer es ging, jeden Sonntag, ein Hauptanliegen. Natürlich spielt auch die tägliche Zelebration, auf die ich nicht verzichten möchte, eine wichtige Rolle. Es freut mich, dass ich zu meinem goldenen Priesterjubiläum ein kleines Buch herausbringen kann, in dem ich nicht nur theologisch über das Priestertum nachdenken sondern auch von meinen eigenen priesterlichen Erfahrungen erzählen und Zeugnis geben will. Es hat meinen Primizspruch von vor 50 Jahren zum Titel: „Diener der Freude“. Genau darum geht es im priesterlichen Dienst.

Kirche heute: Unserem Papst Benedikt  XVI. sind die Priester und neue Berufungen ein besonderes Anliegen. Welche Akzente hat der Papst bislang in diesem Bereich gesetzt? 

Kardinal Kasper: Papst Benedikt XVI. geht es nach meinem Eindruck nicht so sehr um außerordentliche äußere Aktionen, sondern um Konzentration auf die Mitte, um Vertiefung und Befestigung des Glaubens. Es geht ihm um die christliche und katholische Identität und damit auch um die Identität des Priesterbildes. Dazu gehört für ihn selbstverständlich auch eine solide theologische Ausbildung, die den Priester fähig macht, Rechenschaft vom Glauben zu geben, was gerade in unserer aufgeklärten oder besser: halbaufgeklärten Zeit wichtiger ist als je.

Kirche heute: Wie erleben Sie Ihr goldenes Priesterjubiläum?

Kardinal Kasper: Ich werde mein goldenes Priesterjubiläum in meiner Primizkirche und in meiner Heimatgemeinde St. Martin in Wangen im Allgäu feiern. Das wird wieder wie vor 50 Jahren ein schönes Fest werden, auf das sich viele freuen. Außerdem hat mich Bischof Gebhard Fürst, mein Nachfolger als Bischof von Rottenburg-Stuttgart, eingeladen, am Abend zuvor in der Domkirche zu Rottenburg mit alten Mitarbeitern und Freunden aus der Diözesanleitung und mit der Domgemeinde zu feiern. Schließlich will ich zusammen mit meinem Weihekurs, wir waren damals 40 an der Zahl, Exerzitien machen. Viele habe ich jetzt länger nicht mehr gesehen, und ich freue mich darauf, alle, die noch leben, wieder zu treffen.

Kirche heute: Welche Ziele stehen Ihnen für Ihr zukünftiges Priesterleben vor Augen?

Kardinal Kasper: Zunächst werde ich wohl, so Gott und der Hl. Vater will, auf jeden Fall bis zu meinem 75. Geburtstag in Rom sein und dort meinen Dienst im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen tun. Danach hoffe ich noch Zeit und Kraft zu haben, wieder etwas mehr seelsorgerlich tätig zu sein, mich durch Exerzitien wie durch theologische Fortbildungskurse für Priester nützlich zu machen und den einen oder anderen theologischen Plan doch noch verwirklichen zu können. Im Übrigen würde mir ein bisschen mehr Ruhe und Besinnlichkeit, als mir gegenwärtig vergönnt ist, vermutlich auch geistlich gut tun.

Kirche heute: Eminenz, wir danken Ihnen ganz aufrichtig für dieses gehaltvolle Gespräch!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Walter Kardinal Kasper: Diener der Freude. Priesterliche Existenz – priesterlicher Dienst, Freiburg i. Br. 2007, 176 S., gebunden mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-451-29394-8.

Priester – Diener der Freude

In Kürze erscheint das Buch „Diener der Freude. Priesterliche Existenz – priesterlicher Dienst“,[1] das Walter Kardinal Kasper aus Anlass des 50. Jahrestages seiner Priesterweihe verfasst hat. Es ist ein wunderbares Zeugnis eines Kurienkardinals, mit dem er auch andere Menschen anstecken und anregen möchte. Dabei lässt er seine persönlichen Erfahrungen eher im Hintergrund und arbeitet ein für alle Zeiten gültiges und maßgebliches Priesterbild heraus, wie wir es im „biblischen Ursprungszeugnis“ des Neuen Testaments entdecken können. Er zeigt die verschiedenen Dimensionen der priesterlichen Existenz auf, ausgehend von der „christlichen“ über die „apostolische“ und „pastorale“ bis hin zur „eucharistischen“. Gleichzeitig geht er auf die heutige Krise des priesterlichen Amtes ein und eröffnet eine hoffnungsvolle und begeisterte Perspektive für die Zukunft. Dankenswerterweise hat der Herder-Verlag „Kirche heute“ den Vorabdruck einer Leseprobe genehmigt.

Von Walter Kardinal Kasper

Docta spes – Hoffnungsvoller Blick nach vorn

Mir sind die fünfzig Jahre priesterlichen Dienstes Anlass zu großer Dankbarkeit wie zu ei-nem hoffnungsvollen Ausblick. Es ist unbestreitbar, die Kirche hat nicht wenige Probleme und lebt an manchen Orten in großer Bedrängnis; aber ebenso und noch mehr ist es wahr, was Papst Benedikt XVI. bei seiner Amtseinführung sagte, die Kirche lebt, sie ist jung, dynamisch und lebendig. Das ist auch die Summe meiner Erfahrungen aus den vergangenen fünfzig Jahren (S. 20). 

Ein hoffnungsvoller Ausblick ist, zumal nach fünfzigjähriger Erfahrung, kein naiver jugendlicher Optimismus. Die christliche Hoffnung ist ohnedies von einem rein menschlichen Optimismus verschieden; sie ist weder eine glückliche menschliche Eigenschaft noch eine rasch verfliegende Stimmung; sie ist vielmehr in der „Sache“ des Evangeliums, in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi begründet. In solch österlich begründeter Hoffnung bin ich überzeugt: Das Priestertum wird trotz allen und in allen Schwierigkeiten Zukunft haben. Kreative Formen der Berufungspastoral können dafür nützlich sein; dabei gilt es vor allem, junge Menschen persönlich auf den Priesterberuf anzusprechen und sie dann geistlich zu begleiten. Denn die überzeugendste Form der Berufungspastoral ist, wenn junge Menschen Priestern begegnen, die den Glanz der Wahrheit des Glaubens (Veritatis splendor) und dessen innere Schönheit widerspiegeln und mit Zuversicht und Freude bezeugen. Eine Besinnung auf Dienst und Spiritualität des Priesters kann dafür hilfreich sein. Denn letztlich kann allein der Glanz der Wahrheit dem Priesterberuf Anziehung und Ausstrahlung verleihen. Aufgrund dieser Überzeugung kann ich mit meinem Primizspruch von vor fünfzig Jahren sagen: Der Priester wird auch in Zukunft Diener der Freude sein (2 Kor 1,24). (S. 22f.).

Wer ist ein guter Hirte?

Ein guter Hirte ist der, welcher führt und den Mut hat, aus dem Glauben heraus eine klare und verlässliche Richtung vorzugeben. Das ist zumal heute nötig, da viele wie Schafe ohne Orientierung sind. Wischiwaschi und Anpassung an das, was viele gerne hören wollen, sind keine pastorale Einstellung, sondern pastorales Versagen. Hirte ist aber auch, wer nicht hartherzig reagiert, sondern Verständnis, Mitgefühl und Geduld für die aufbringt, die auf dem Weg nicht mitkommen, die zurückbleiben und die schwach sind. Hirte ist, wer die Wahrheit in der Liebe zu sagen vermag (S. 93).

Große „Seelsorgeheilige“ können das Gesagte konkretisieren. Die Kirchenväter waren nicht nur große Theologen, die meisten waren auch Bischöfe und als solche Seelsorger ihrer Gemeinden. Karl Borromäus hat nach der Reformation eine umfassende pastorale Erneuerung eingeleitet, Philipp Neri gilt mit seinem Apostolat der Straßen und der Straßenjungen als der zweite Apostel Roms, Johannes Don Bosco hat mit seiner Jugendpastoral der Freude und der Freundschaft Maßstäbe gesetzt, Don Luigi Orione hat die Seelsorge in der Peripherie Roms begründet und sich um die „am meisten Verlassenen und am weitesten von Gott Entfernten“ gekümmert, Klemens Maria Hofbauer ging nach dem Zusammenbruch der alten Reichskirche in Wien neue Wege der Individualseelsorge und der Laienbewegung, zwischen den beiden Weltkriegen waren Rupert Mayer in München und Carl Sonnenschein in Berlin Vorläufer heutiger City-Pastoral. Auch heute gibt es, Gott sei Dank, viele heiligmäßige Seelsorger. Ich bin überzeugt, es gibt nicht wenige junge Menschen, welche diesen pastoralen Dienst als Herausforderung und als Berufung empfinden und die hochherzig genug sind, dazu bereitwillig „Ja, ich bin bereit“ zu sagen. Wir werden sie freilich nicht durch ein Priesterbild zu ermäßigten Preisen überzeugen; überzeugend ist nur ein ganz und ganzheitlich gelebter priesterlicher Dienst (S. 94f.).

Kleiner Exkurs zur pastoralen Neugestaltung

In der gegenwärtigen pastoralen Situation enthält die Regel „Vorfahrt für die Eucharistie“ eine besondere Brisanz. Angesichts des Priestermangels in vielen Teilen der Welt und inzwischen fast überall in Westeuropa stellt sich die Frage, ob die „eucharistische Vorfahrt“ nicht ein zwar schönes, aber praktisch wenig realistisches Postulat ist. Die Frage, wie unter den obwaltenden Umständen für alle Christen die Möglichkeit zur sonntäglichen Mitfeier der Eucharistie gewährleistet werden kann, ist für jeden Bischof eine schwere Gewissensfrage; sie hat mich während meiner Zeit als Bischof viel beschäftigt. Auf diese Frage gibt es keine Patentantwort; eine solche soll auch im Folgenden nicht gegeben werden. Aber wir brauchen wenigstens eine Perspektive für eine künftige mögliche Entwicklung.

Eine weit verbreitete Antwort auf diese Frage ist die Forderung nach einer Aufhebung der allgemeinen Verpflichtung zum Zölibat und die Zulassung von so genannten Viri probati (in Ehe und Beruf bewährten Männern) zur Priesterweihe. Dieser Vorschlag ist mit Blick auf die spirituelle Bedeutung der Ehelosigkeit, die mehr als eineinhalb Jahrtausende alte Tradition und deren Bestätigung durch das Zweite Vatikanische Konzil inzwischen schon mehrfach negativ beschieden worden. Es ist auch umstritten, ob das Problem auf diese Weise wirklich zu lösen wäre. Dagegen wird ein Austausch von Priestern mit anderen Ländern und Kulturen empfohlen. Das kann im Einzelfall eine Lösung sein; vielen ausländischen Priestern gebührt Dank für ihren Einsatz. In vielen anderen Fällen hat dieser Versuch jedoch zu pastoral eher zweifelhaften Ergebnissen geführt; er kann darum nicht als generelle Lösung gelten.

Die meisten Diözesen sind inzwischen – neben der Betonung des Gebets um Priesterberufe und der Intensivierung der Berufungspastoral – den Weg der pastoralen Umstrukturierung gegangen. Sie ist, realistisch betrachtet und auf die vorhersehbare Zukunft bezogen, unumgänglich. Die Akzeptanz von tiefgreifenden und wirklich zukunftsfähigen Umstrukturierungen ist jedoch in den meisten Gemeinden im Augenblick gering; so gibt es neben einigen problematischen Lösungen bislang meist nur Übergangslösungen.

Ein problematischer, inzwischen leider vielerorts praktizierter Lösungsversuch besteht darin, dass man in Gemeinden, in denen am Sonntag aufgrund des Priestermangels keine Eucharistie möglich ist, Wortgottesdienste „anbietet“ und die Teilnahme an solchen Wortgottesdiensten als Erfüllung der Sonntagspflicht betrachtet. Diese Lösung versucht, möglichst viel von den bestehenden Gemeindestrukturen aufrechtzuerhalten. Doch um welchen Preis? Man will die bestehenden Gemeindestrukturen bewahren und beraubt sie gerade so ihrer Mitte und höhlt sie innerlich aus. Wenn eine solche Praxis nach zehn oder spätestens zwanzig Jahren zur Normalität geworden ist, wird sie gewohnheitsmäßig zur Norm. Die Eucharistie hätte dann ihre zentrale Bedeutung verloren und wäre austauschbar geworden. Diese Praxis kann darum keine zukunftsweisende Lösung sein. Sie übersieht, dass die Sonntagspflicht keine Leerhülse ist, die man mit verschiedenen Inhalten füllen kann; sie ist Ausdruck der inneren Verpflichtung, ja des inneren Bedürfnisses jedes bewussten Christen, am Herrentag als „kleinem Ostertag“ an der eucharistischen Feier von Tod und Auferstehung Jesu Christi teilzunehmen. Man sollte die beschriebene Praxis darum auf seltene Notfälle beschränken, sie aber nicht zum Gegenstand einer pastoralen Ordnung machen.

Vollends ist es unverantwortlich, Messfeiern am Sonntag nicht deshalb ausfallen zu lassen, weil kein Priester da ist, sondern weil man einen Priester, welcher der Gemeinde nicht direkt zugeteilt ist (etwa einen noch rüstigen Pensionär oder einen Gast), nicht zur Zelebration zulässt. Manchmal beanspruchen Laien, die dankenswerterweise bereit waren, sich für Wortgottesdienste beauftragen zu lassen, das Recht, Wortgottesdienste auch am Sonntag abhalten zu dürfen. Eine solche Praxis stellt eine Verkehrung der Maßstäbe dar; das vermeintliche Recht Einzelner gilt hier mehr als das Wertvollste, was die Kirche hat, die Eucharistie. Bei einer solchen Praxis wird das vermeintliche Recht Einzelner dem fundamentalen Recht der Gemeinde auf die Eucharistie übergeordnet (S. 143ff.).

Geistliche Zentren in Form von Mittelpunktskirchen

Mir schwebt als Vision, oder bescheidener formuliert: als Perspektive, die Bildung von geistlichen Zentren in Form von Mittelpunktskirchen vor. Dabei wird es sich meist um zentrale Pfarreien, es könnte sich aber auch um Klöster oder Ordenshäuser, Wallfahrtsorte oder andere pastorale Zentren handeln. Diese müssten, wie es dem Wesen der einen Eucharistie entspricht, das ganze Volk Gottes versammeln; sie müssten alle Christen einer Region ansprechen und für alle offen sein. In solchen Mittelpunktskirchen würden die Gläubigen am Sonntag kein reduziertes und langsam aussterbendes, sondern ein lebendiges, volles kirchliches Leben erfahren. Dazu gehört in erster Linie ein reiches gottesdienstliches Leben, neben der gemeinsamen Feier der Eucharistie Vespergottesdienste, Familien-, Kinder-, Jugend- und Altengottesdienste.

Es müssten dort außerdem Beichte und geistliche Beratung, Katechese und Erwachsenenbildung angeboten, sozial-karitative Hilfe vermittelt werden und das Erleben der größeren katholischen Gemeinschaft möglich sein. Das Letztere ist deshalb wichtig, weil in der fast überall zu Ende gehenden volkskirchlichen Situation die praktizierenden Christen sehr oft isoliert in einer inneren oder äußeren Diaspora leben. Eine solche Umstrukturierung kann nur ein längerfristiger Prozess sein. Der Weg dorthin wäre jedoch kein Prozess der Reduktion, des Abbaus und der Ausdünnung, sondern ein zukunftsorientierter Prozess der Konzentration und der Bündelung der Kräfte um die zentrale Mitte, die gemeinsame Feier der Eucharistie. Sie würde dem Wandel entsprechen, in dem sich die allermeisten Gemeinden soziologisch wie innerkirchlich ohnedies längst befinden. Zwar ist jedem Einsichtigen klar, dass damit auch vieles an guter Tradition verloren ginge; dennoch macht es keinen Sinn, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen und wirklichkeitsfremd einer inzwischen weithin vergangenen Gemeindewirklichkeit nachzuhängen. Schon jetzt deckt sich die herkömmliche Territorialpfarrei in den meisten Fällen nicht mehr mit dem Lebensraum der Menschen. Wir müssen dieser neuen Wirklichkeit Rechnung tragen und sie beizeiten aktiv zu gestalten suchen.

Der Aufbau und Ausbau von Mittelpunktskirchen darf selbstverständlich nicht zu einer Austrocknung und Versteppung des Umfelds führen. Die Kirche muss gerade in der neuen missionarischen Situation in Hör- und Sichtweite bleiben. Deshalb muss es vielfältige Formen von Gemeinschaften geben: Hauskreise, Gebetskreise, Bibelkreise, Familienkreise, Jugendgruppen, Freundeskreise, Gesprächsgruppen, Aktionskreise verschiedenster Art, die alle offen sein sollten für suchende und fragende Menschen. Sie sollen Biotope des Glaubens und Laboratorien einer neuen, vom Evangelium geprägten Kultur und damit Sauerteig in der Welt sein. Sie können außerdem ein Gegengewicht bilden zur Individualisierung und Privatisierung des Glaubens.

Der Initiative und der Aktivität von einzelnen Laien oder von Gruppen und Bewegungen von Laien ist da ein weites Feld eröffnet. Eine Seelsorgeeinheit neuen Stils soll also eine Gemeinschaft von Gemeinschaften unterschiedlichster Art sein, die sich an den Sonn- und kirchlichen Festtagen zu der einen gemeinsamen Eucharistie versammeln und von dort wieder neu ausgesandt werden.

Damit knüpfen wir in heutigen Umständen und Bedürfnissen angepasster Form an das biblische Konzept der Hausgemeinden an. In der frühen Kirche gruppierten sich diese Hausgemeinden um bestimmte Familien; sehr oft scheinen dabei Frauen führend gewesen zu sein. In der frühen Kirche scheint ein Netz von Hausgemeinden bestanden zu haben, die der missionarischen Tätigkeit des Apostels Paulus als lokale Stützpunkte dienten (vgl. Apg 2,46; 10,2; 21,8; Röm 16,5.10f; Kol 4,15; Phlm 2). Heute wird diese Idee in vielen Ländern mit Hilfe des Konzepts der „kleinen Gemeinschaften“ wieder aufgegriffen; es nimmt dort in der pastoralen Konzeption einen zentralen Platz ein. Ansätze gibt es auch bei uns, etwa dort, wo die Hinführung zu den Sakramenten in Formen der Familienkatechese stattfindet, in Zentren von geistlichen Gemeinschaften oder in den bereits genannten Kreisen.

Mit dem Konzept von Mittelpunktskirchen könnte auch dem dringenden Bedürfnis nach geistlichen Lebensräumen für die Priester Rechnung getragen werden. Die Priester, auch die Priester mit besonderen Aufgaben und die emeritierten Priester, sollten den Mittelpunktskirchen zugeordnet sein. So könnte unter den Priestern, je nach den örtlichen Gegebenheiten, Formen geistlicher Gemeinschaft, auch Tischgemeinschaft gepflegt werden. In geeigneter Weise sollte auch das Team der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in diese Gemeinschaft einbezogen werden. Das alles ist gar nicht revolutionär neu. Bei Kirchenvätern wie Basilius von Caesarea und Augustinus finden sich dafür große Vorbilder, die man in zeitgemäßer flexibler Form umsetzen kann. Auch von der Idee eines Oratoriums bei Philipp Neri und John Henry Newman könnten wir einiges lernen.

Auf diese Weise kann der Vereinzelung und Vereinsamung vieler Priester vorgebeugt werden. Die Singleexistenz vieler Priester entspricht nicht der gemeinschaftlichen Lebensform, wie sie für die jesuanische Jüngergemeinde wesentlich ist; sie ist keine sinnvolle und vor allem keine verantwortbare Lösung. Es ist dringend geboten, dass von der eucharistischen Mitte her neue Lebensräume und Lebensbedingungen für die geistliche Lebensform der Priester geschaffen werden. Auch hier könnte man auf freiwilliger Basis mit Einzelprojekten beginnen.

Das alles ist keineswegs nur ein Traum. Ich habe solche Formen in Ländern der Dritten wie der Ersten Welt erlebt. Ansätze dazu bestehen vielerorts auch bei uns; sie müssten ermutigt und weiterentwickelt werden. Ausgehend von der gemeinsamen Feier der Eucharistie könnten solche geistliche Zentren Strahlkraft in eine ganze Region entfalten. So hat die erste Mission Europas mit großem Erfolg begonnen; für eine neue Evangelisierung sehe ich keinen anderen Weg (S. 146-150).

Vertiefung der Eucharistiefrömmigkeit

Zur Eucharistie gehört wesentlich die Anbetung. Doch nach dem Konzil hat man die Anbetung oft gegen den Mahlcharakter der Eucharistie ausgespielt. Oft konnte man hören: Brot ist zum Essen und nicht zum Anbeten da. In der Tat war es berechtigt, dass man nach dem Konzil Messfeiern vor ausgesetztem Allerheiligsten verboten hat. Aber oft verfiel man dabei ins entgegengesetzte Extrem und verlor den eschatologischen Aspekt der Anbetung aus dem Blick. Das führte zur Verflachung der Eucharistiefrömmigkeit. Glücklicherweise gibt es Anzeichen eines Umdenkens. Der Stupor eucharisticus, das Staunen darüber, dass in den schlichten Zeichen von Brot und Wein Gott wahrhaft mitten unter uns gegenwärtig ist, und der Sinn für die Anbetung sind wieder im Kommen. Wir müssen es wieder neu lernen zu beten und zu singen: „Adoro te devote, latens Deitas“, „Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir. Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier“ (GL 546).

Entgegen einer gewissen Tendenz, Gottesdienste nach Art eines Events oder Festivals zu gestalten, sollten wir gerade in einer lärmenden und hektischen Gesellschaft wie der unsrigen darauf achten, der Liturgie als Kontrast einen meditativen Charakter zu geben und während der Liturgie Räume der Stille zu schaffen, welche persönliche Gottesbegegnung und Anbetung ermöglichen. Die Erfahrungen mit Gottesdiensten der Gemeinschaft von Taizé zeigen, dass solche Gottesdienste gerade von jungen Menschen gesucht und geschätzt werden (S. 152f.).

Heute und in Zukunft Diener der Freude

Nimmt man alle die vielfältigen Aspekte zusammen, so bestärkt dies meine Überzeugung: Das Priestersein hat nicht ausgedient. Es ist auch in Zukunft ein für die Menschen notwendiger und Not wendender Dienst, und es ist für den Priester selbst ein lohnender und ein schöner Dienst. Es bleibt wahr, was wir vor der nachkonziliaren Messreform jedes Mal zu Beginn der Eucharistiefeier mit  dem Psalm 42(43) gesprochen haben: „Introibo ad altare Dei, ad Deum qui laetificat iuventutem meam“, „Ich will hintreten zum Altar Gottes, zu Gott, der meine Jugend erfreut.“ Damit ist abschließend nochmals das Thema der Freude und die Aufgabe, Diener der Freude zu sein, angesprochen (S. 155).

Wir haben die Botschaft von der Auferstehung, von der Freude und von der Hoffnung zu verkünden. So können wir bei allem, was uns beschwert, und trotz mancher eher pessimistisch anmutenden Prognosen, zuversichtlich in die Zukunft blicken. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche den Aufbruch in eine neue Zeit gewagt. Damit stehen wir erst am Anfang. Niemand konnte realistischer Weise erwarten, dass dies ein bequemer Spaziergang sein werde. Doch der Dienst des Priesters ist, bei allem, was als Kreuz ganz selbstverständlich dazugehört, schon jetzt vom verklärenden Licht der Auferstehung umstrahlt. Mit der österlichen Botschaft kann er Orientierung, Licht, Trost, Zuversicht, Hoffnung und Freude in das Leben vieler Menschen bringen. Er soll bezeugen: „Die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Neh 8,10). Der Priester kann auch heute und in Zukunft Diener der Freude sein (2 Kor 1,24) (S. 157f.).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Walter Kardinal Kasper: Diener der Freude. Priesterliche Existenz – priesterlicher Dienst, 176 S., geb. mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-451-29394-8. © Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2007.

Die Predigt in der Heiligen Messe

Vergangenen Herbst empfing Papst Benedikt XVI. im Rahmen der Ad-Limina-Besuche sowohl die Bischöfe aus der Schweiz als auch aus Deutschland. Beide Male ging er auf das Problem der Homilie ein. Mit klaren Worten bekräftigte er, dass „die Predigt in der Heiligen Messe ein an das Weiheamt gebundener Auftrag ist“. Gleichzeitig legte er den Bischöfen ans Herz, daraus die „notwendigen Konsequenzen zu ziehen“. Nachfolgend zwei Auszüge aus den genannten Ansprachen: die ersten drei Abschnitte richtete der Papst in freier Rede an die Schweizer Bischöfe, den letzten Abschnitt in einer schriftlich vorbereiteten Ansprache an eine Gruppe von Bischöfen aus Deutschland.

Von Papst Benedikt XVI.

Der universale Charakter der Liturgie

Es wird allmählich wieder deutlich, dass die Liturgie eben nicht eine „Selbstveranstaltung“ der Gemeinde ist, die sich dabei einbringt, wie man so schön sagt, sondern das Heraustreten der Gemeinde aus dem bloßen Selbersein und das Hineintreten in das große Mahl der Armen, in die große, lebendige Gemeinschaft, in der Gott uns selber speist.

Dieser universale Charakter der Liturgie muss wieder allen bewusst werden. In der Eucharistie empfangen wir etwas, das wir nicht machen können, sondern treten in ein Größeres hinein, das gerade dann unsrig wird, wenn wir uns in dieses Größere hineingeben und die Liturgie wirklich als Liturgie der Kirche zu feiern versuchen.

Das berühmte Problem der Homilie

Damit verbunden ist dann auch das berühmte Problem der Homilie. Rein funktional kann ich das sehr gut verstehen: Vielleicht ist der Pfarrer müde oder hat schon mehrfach gepredigt, oder er ist alt und kräftemäßig überfordert. Wenn dann ein gescheiter Pastoralassistent da ist, der das Wort Gottes sehr gut und überzeugend auslegen kann, sagt man natürlich: Warum soll nicht der Pastoralassistent sprechen, der kann‘s besser, und dann haben die Leute mehr davon.

Aber das ist eben die rein funktionale Sicht. Dagegen muss man berücksichtigen, dass die Homilie nicht eine Unterbrechung der Liturgie für einen Redeteil ist, sondern dass sie ins sakramentale Geschehen hineingehört und eben das Wort Gottes in die Gegenwart dieser Gemeinde hineinträgt. Sie ist der Augenblick, wo wirklich das Subjekt dieser Gemeinde angesprochen werden will und zum Hören und zum Annehmen gebracht werden soll; das heißt, sie ist selbst Teil des Mysteriums, der Mysterienfeier, und daher nicht einfach aus ihr herauszulösen.

Innere Einheit der Eucharistiefeier

Vor allen Dingen aber ist mir auch wichtig, dass der Priester nicht sozusagen auf das Sakrament und auf die Jurisdiktion beschränkt wird, in der Überzeugung, alle anderen Aufgaben könnten auch andere übernehmen, sondern dass die Integralität seines Auftrags bleibt. Nur dann ist Priestertum auch schön, wenn es da einen Auftrag zu erfüllen gilt, der eine Ganzheit ist, an dem man nicht einfach herumschneiden kann. Und zu diesem Auftrag gehört immer schon – auch im alttestamentlichen Kult – die Pflicht des Priesters, mit dem Opfer das Wort zu verbinden, das wesentlicher Bestandteil des Ganzen ist. Rein praktisch müssen wir dann natürlich dafür sorgen, den Priestern die nötigen Hilfen zu geben, damit sie auch den Dienst des Wortes recht tun können. Grundsätzlich ist diese innere Einheit sowohl des Wesens der Eucharistiefeier wie auch des Wesens des priesterlichen Dienstes ganz wichtig.

Verhältnis von Priestern und Laien

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf ein ebenso dringendes wie emotional belastetes Problem eingehen: Es ist das Verhältnis von Priestern und Laien bei der Erfüllung der Sendung der Kirche. Wie wichtig die aktive Mitarbeit der Laien für das Leben der Kirche ist, erfahren wir in unserer säkularen Kultur immer mehr. All den Laien, die die Kirche aus der Kraft der Taufe lebendig mittragen, möchte ich von Herzen danken. Gerade weil das aktive Zeugnis der Laien so wichtig ist, ist auch wichtig, dass die spezifischen Sendungsprofile nicht vermischt werden.

Die Predigt in der Heiligen Messe ist ein an das Weiheamt gebundener Auftrag; wenn eine ausreichende Zahl von Priestern und Diakonen anwesend ist, steht ihnen die Ausspendung der heiligen Kommunion zu. Auch wird immer wieder der Anspruch auf von Laien auszuübende pastorale Leitungsfunktionen erhoben. Dabei dürfen wir die damit zusammenhängenden Fragen nicht nur im Licht pastoraler Zweckmäßigkeiten erörtern, denn es geht hier um Glaubenswahrheiten, nämlich um die von Jesus Christus gestiftete sakramental-hierarchische Struktur Seiner Kirche. Da diese auf Seinem Willen und die apostolische Vollmacht auf Seiner Sendung beruhen, sind sie dem menschlichen Zugriff entzogen.

Nur das Sakrament der Weihe befähigt den Empfänger, in persona Christi zu sprechen und zu handeln. Dies gilt es, mit aller Geduld und Lehrweisheit immer wieder einzuschärfen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Das Feuer der Hoffnung braucht Nahrung

„Die Zeichen der Hoffnung und des Aufbruchs sind unverkennbar“, so betonte Erzbischof Dr. Ludwig Schick in seiner Ansprache an Silvester 2006. Es sei die besondere Aufgabe der Christen, diese Hoffnungszeichen „aufzunehmen und zu fördern“. Als Beispiel nannte er den Papstbesuch in Bayern, der ein „Highlight“ gewesen sei. „Religiöse Fragen und Themen können wieder offener diskutiert werden. Auch Jugendliche sagen: ‚Man muss sich nicht mehr schämen und verstecken, wenn man glaubt und zur Kirche geht’.“ Überhaupt sei eine „neue Nachdenklichkeit“ und „Aufbruchstimmung“ festzustellen. „Die Fragen nach Würde, Menschenrechten und Tugenden werden klarer gestellt.“ Doch gleichzeitig hebt Schick hervor: Ohne religiöses Wissen hat die christliche Hoffnung keinen Bestand! Nachfolgend ein Auszug aus dieser Silvesteransprache.

Von Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg

„Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen“ (Röm 5,5)

Eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche heute ist: die Hoffnung lebendig zu halten. Christen sind Menschen der Hoffnung, Hoffnungsträger und Hoffnungsgeber. Hoffnung ist der Motor des Lebens. „Die Hoffnung erhält das Leben“, so lautet ein französisches Sprichwort. Goethe schreibt in einem Brief: „Die Hoffnung hilft uns leben“. „Der Mensch kann ohne Hoffnung nicht bestehen“, fasst der Schriftsteller Gilbert Chesterton seine Einsicht zusammen. Deshalb mahnt der 1. Petrusbrief die Christen seiner Zeit und uns heute: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,19-20). Die christliche Hoffnung besteht darin, dass Gott alles für uns gut macht.

Unsere Hoffnung ist Gott

Die Hoffnung der Christen gründet in Gott. „Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung“ (Röm 8,24), schreibt Paulus den Römern und fügt hinzu: „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach seinem ewigen Plan berufen sind“ (Röm 8,29). Der Völkerapostel schließt seine Darlegungen über die Hoffnung so ab: „Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“ (Röm 8,31). „... Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,38 f.).

Die christliche Hoffnung ist keine passive Haltung, sondern aktiv, sie vollbringt gute Taten, für die man eventuell auch leiden und zu leiden bereit sein muss. Im Epheserbrief heißt es deshalb: „Seine Geschöpfe sind wir, in Christus Jesus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im voraus bereitet hat“ (Eph 2,10).

Die christliche Hoffnung ist Gabe Gottes. Sie ist wie ein Feuer, das in uns brennt und unsere Liebe zum Nächsten, zum Arbeiten für die Familie und das Gemeinwohl „am Kochen hält“, erwärmt und fördert.

Glaubenswissen und Zeugnis für die Hoffnung

Das Feuer der christlichen Hoffnung, der Motor unseres Lebens und Wirkens, braucht Nahrung. Sie besteht vor allem im Glaubenswissen. Der 1. Petrusbrief erinnert deshalb, nachdem er die Christen zum Zeugnis für die Hoffnung aufgerufen hat, an die Hauptaussagen des Glaubensbekenntnisses: „Christus ist für uns gestorben und auferstanden. Er ist zum Vater heimgegangen. Ihm ist bzw. wird alles unterworfen.“ Auch im Römerbrief wird die Aufforderung, in Hoffnung zu leben und zu wirken, mit Verweisen auf das Glaubensbekenntnis verbunden (vgl. z.B. Röm 5,1-11). Das Glaubenswissen nährt unsere Hoffnung.

Wir leiden derzeit aber eklatant an einem Mangel an Glaubenswissen. Vor Weihnachten wurde erneut darauf hingewiesen, dass 10% der Deutschen nicht mehr wissen, was Weihnachten bedeutet. Was an Ostern und Pfingsten gefeiert wird, wissen noch weniger. Mit dem Mangel an religiösem Wissen geht die Fähigkeit zum Bekenntnis zurück. Was ich nicht weiß, kann ich einem anderen nicht erklären und beibringen. „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“. Das können viele Christen nicht, weil sie nichts über den Glauben wissen.

Das mangelnde Wissen über den Glauben lässt auch die Bindung an die Kirche zurückgehen. Christen, die ihren Glauben nicht kennen, sind auch leicht für Sekten und andere sog. neue Religionen verführbar.

Wenn man nicht weiß, warum man zur Kirche gehört, warum es sinnvoll ist, Christ zu sein und worin Christsein überhaupt besteht, nimmt die Bindung an die Kirche ab, die innere Distanz wächst und der Kirchenaustritt rückt näher. Auch die religiöse Praxis wird schwach, wenn man nicht weiß, was ein Christ tun soll und wie er sich verhalten muss. „Die sittliche Tugend setzt Wissen voraus“, hat der große Theologe Thomas v. Aquin geschrieben und hinzugefügt: „Gewissen kann nur sein, wo Wissen ist“. Zur Erneuerung der Kirche, des religiösen und christlichen Lebens gehört die Erneuerung des Glaubenswissens unbedingt dazu. Ohne diese Erneuerung gibt es keine innere Erneuerung, keine Glaubensfreude und ist ‚Zeugnis geben von der Hoffnung, die euch erfüllt‘, nicht möglich.

Der Grundbestand religiösen Wissens

Es ist heute bei uns leicht, sich Glaubenswissen anzueignen. Zumindest in unseren Breitengraden können alle lesen und schreiben, der Zugang zu Büchern und Zeitschriften, aber auch zum Internet, ist leicht und prinzipiell jedem möglich. Wer will, der kann Informationen über Glaube und Kirche finden. Ganz konkret möchte ich darum bitten und dazu aufrufen, die Grundgebete wieder zu lernen, zu pflegen und den Kindern und Jugendlichen beizubringen. Es sind: das „Vater unser“, das „Gegrüßet seist du Maria“, Morgen-, Abend- und Tischgebete. Sie sollen in den Familien gepflegt werden.

Zum Grundbestand religiösen Wissens gehört auch das „Glaubensbekenntnis“. Jeder Grundschüler sollte es auswendig beten können. Jeder sollte die „sieben Sakramente“ auswendig aufsagen können und deren Bedeutung kennen. Die „Zehn Gebote“ und die „Gebote der Kirche“ gehören dazu. Auf den ersten Seiten des „Gotteslobes“ sind sie alle zu finden. Die Grundkenntnisse über die Bibel und vor allem über das Leben und die Lehre Jesu muss jeder parat haben. Auch der interreligiöse Dialog, der so wichtig ist, kann ohne Grundkenntnisse des eigenen Glaubens nicht geführt werden; er muss aber geführt werden, um einer friedlichen Zukunft willen.

Wie kann das religiöse Wissen wachsen? Es muss in der Familie beginnen. Wenn wir in der Familie beten, das „Vater unser“, das „Gegrüßet seist du, Maria“, das Morgen-, Abend- und Tischgebet sprechen – und möglichst zusammen – dann werden die Kinder sie von selbst lernen. Ältere Kindergärtnerinnen oder Grundschullehrer erzählen: „Wenn früher die Kinder kamen, dann konnten sie bereits das „Vater unser“, das „Gegrüßet seist du, Maria“, das „Kreuzzeichen“. Wenn sie heute das alles nicht mehr können, dann deshalb, weil es in der Familie nicht gepflegt wird. Die Familie ist die erste Erzieherin der Kinder, auch in religiöser Hinsicht. Wir müssen auch in den Kindergärten, vor allem auch in unseren kirchlichen Kindergärten, das religiöse Wissen pflegen. Dabei sind die Erzieherinnen gefordert, aber auch die Elternbeiräte, die in den Kindertagesstätten auch darauf achten müssen, dass das religiöse Wissen kindgerecht vermittelt wird. Der schulische Religionsunterricht muss, entsprechend den Lehrplänen, das Glaubenswissen verbreiten. Auch im schulischen Religionsunterricht setzen die notwendigen Gespräche und Diskussionen über die sogenannten Lebensfragen abrufbares Wissen voraus.

Das religiöse Wissen ist auch für Nichtchristen wichtig. Unsere Kultur wurzelt im Christentum. Wer keine Grundkenntnisse des christlichen Glaubens hat, versteht unsere Kultur nicht.

Auch in den Pfarreien ist es wichtig, bei Buß-, Kommunion- und Firmunterricht nicht nur auf Praxis und Einübung in soziales und karitatives Handeln wert zu legen; es muss das religiöse Wissen über die Eucharistie und die Messfeier, über den dreifaltigen Gott, den Heiligen Geist und seine sieben Gaben hinter allem stehen, sonst wird die Praxis bald wieder verebben. Die Erwachsenenbildung sollte sich ebenfalls bemühen, religiöses Wissen und katholischen Glauben an Frauen und Männer zu vermitteln.

Die Kenntnis der Kirchengeschichte ist unabdingbar. Hier gibt es viel Halbwissen und Unwissenheit – und dann besteht Kirchengeschichte nur noch aus Kreuzzügen, Hexenverbrennungen und Zwangsbekehrungen.

In der Jugendarbeit könnte z.B. durch Quiz und Spiele jugendgerecht und interessant religiöses Wissen vermittelt werden.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich religiöses Wissen anzueignen, die Notwendigkeit dazu ist unabdingbar. Es ist wichtig, dass wir uns daran machen.

Die Hoffnung gibt der Liebe Flügel

Es gibt Zeichen der Hoffnung in Kirche und Gesellschaft! Sie brauchen Flügel, um in die Höhe zu kommen, und dann zu fliegen, zu unserem Wohl und für eine gute Zukunft. Denn allzu schnell ergreift im Laufe des Jahres und des Lebens die Menschen die Routine, der Pessimismus, die Resignation. Der Grauschleier des Alltags, der Enttäuschung und der Rückschläge legt sich über alles, erstickt alle Hoffnungszeichen und lähmt alle Aufbrüche. Die christliche Hoffnung kann „Flügel“ geben. Als Kirche, die wir alle sind, können wir Christen Hoffnung geben mit unserem Glauben, der sich in der Liebe verwirklicht. Wir sollen und können Hoffnungsträger sein. „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ Auch unsere christliche Hoffnung ist nicht nur für uns, sondern für die Welt da; sie ist so wichtig für die Menschheit und unsere Zukunft.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2007
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Vademecum für Hirten

Jorge Kardinal Medina Estévez, der ehemalige Präfekt der Gottesdienstkongregation, legte zum Christkönigsfest 2006 ein sog. „Vademecum für Hirten“ vor. Es handelt sich um eine Sammlung äußerst wertvoller Anregungen für Priester. Zur persönlichen Gewissenserforschung sind sie jedem Hirten zu empfehlen. Die Orientierungshilfe, die der Kardinal mit der Zusammenstellung seiner Gedanken anbietet, lässt auch die feine und klare Art spüren, mit der er selbst seinen priesterlichen Dienst bis heute verrichtet hat. Das „Vademecum“, das in der nachfolgenden Fassung für „Kirche heute“ neu bearbeitet worden ist, wird seiner Bezeichnung tatsächlich gerecht.

Von Jorge Kardinal Medina Estévez, Rom

1. Grundsätze

Ein Priester ist dazu berufen, Jesus Christus auf besondere Weise nachzufolgen und sein Leben Gott und den Menschen zu schenken. Das verlangt von ihm als Ideal, Gott über alles zu lieben und die Menschen so, wie Gott sie liebt (vgl. Dtn 6,5; Mt 22,37; Mk 12,30; Lk 10,27).

Dabei versucht der Priester, immer das ewige Leben als Ziel vor Augen zu haben und alle Dinge danach zu beurteilen, inwieweit sie diesem Ziel zu- bzw. abträglich sind. Er muss sich bewusst sein, dass das irdische Leben nichts anderes ist als der Vorraum zum ewigen Leben und dass alles, was wir hier auf Erden tun oder erstreben, nur insofern Sinn und Wert hat, als es zum Aufbau des Reiches Gottes beiträgt. So sollte die Beziehung des Priesters zu seinen Mitmenschen in erster Linie vom Eifer für die Rettung der Seelen geprägt sein. Am besten kann ihm dies gelingen, wenn er versucht, die Menschen mit den Augen Christi zu betrachten.

Bei all seinem Tun darf es dem Priester nicht um die eigene Ehre oder um persönliche Interessen und Vorteile gehen. Sein Ideal ist es, immer und vor allem die Ehre Gottes zu suchen (vgl. Petr 4,11) und nicht selbst im Mittelpunkt stehen zu wollen. Ein solches Streben befähigt ihn zu einer Großzügigkeit, die immer bereit ist, mehr zu geben als zu nehmen (vgl. Apg 20,35).

Ein Priester liebt die Kirche. Er glaubt fest daran, dass sie wirklich die heilige Braut Christi ist, auch wenn sie aus begrenzten und sündigen Menschen besteht (vgl. LG 8). In dem Bewusstsein, dass das christliche Leben für jeden Gläubigen einen Weg der Reinigung darstellt, bemüht er sich ständig, seine eigenen Absichten und Motivationen mit Hilfe der Gnade Gottes zu korrigieren und zu läutern.

2. Spiritualität und priesterlicher Dienst

Die Grundlage für das geistliche Leben des Priesters bildet das tägliche Stundengebet. Er bemüht sich nach Kräften, dieses Gebet der Kirche vollständig und zur entsprechenden Tageszeit zu verrichten. Nur aus einem wirklich bedeutsamen Grund darf ein Teil des Breviers entfallen. Gleichzeitig setzt er alles daran, das Stundengebet würdig zu gestalten und mit Andacht und Aufmerksamkeit zu füllen.

Jeden Tag versucht der Priester eine geeignete Zeit für die Betrachtung zu finden, ohne die er allmählich den Blick für das Übernatürliche verlieren würde. Im Mittelpunkt steht die Heilige Schrift, welche als Wort des Lebens Nahrung des Geistes und unersetzbare Quelle für die Verkündigung des Reiches Christi darstellt.

Der persönliche Besuch des Herrn im allerheiligsten Altarsakrament sollte zu einer festen Gewohnheit im täglichen Leben eines Priesters werden. Auch das Rosenkranzgebet ist für einen Hirten unverzichtbar. Es eröffnet einen Raum der Meditation und vertraut zugleich die Erfüllung des priesterlichen Dienstes der Fürbitte Mariens an. Außerdem sollte der Priester tagsüber seine Gedanken so oft wie möglich zu Gott erheben und ihm seine Arbeit aufopfern.

Die tägliche Feier der heiligen Messe muss für jeden Priester eine Selbstverständlichkeit sein. Eine Ausnahme darf es nur geben, wenn er durch Krankheit oder einen anderen schwerwiegenden Grund daran gehindert wird. Bei der Vorbereitung auf eine liturgische Feier bemüht er sich um innere Sammlung, die auch äußere Stille voraussetzt. Dies hilft ihm, den Sinn für das Heilige zu bewahren. Während der liturgischen Feiern vermeidet er unnötige Kommentare und alles, was die heiligen Handlungen trivialisieren könnte. Ferner hält er die kirchlichen Normen ein, da der Gottesdienst eine öffentliche Handlung ist, die nicht willkürlich vollzogen werden darf. Am Ende der heiligen Messe nimmt er sich genügend Zeit für eine persönliche Danksagung. Dabei macht er sich bewusst, dass er das Opfer Christi für die ganze Kirche darbringen durfte.

Eine besondere Sorgfalt wendet der Priester der Predigtvorbereitung zu. Das Volk Gottes hat ein Recht auf die Auslegung des Wortes Gottes in Übereinstimmung mit der Tradition und dem Lehramt der Kirche. Dazu orientiert sich der Priester am „Katechismus der Katholischen Kirche“  sowie an Autoren, welche die Kirche als authentische Lehrmeister auf dem Weg des Glaubens anerkennt. Er vermeidet es gewissenhaft, in der Predigt rein persönliche Meinungen vorzutragen.

Der Priester muss immer bereit sein, den Gläubigen das Sakrament der Versöhnung zu spenden. Er folgt dem Beispiel Christi, des guten Hirten, der nach dem verlorenen Schaf Ausschau hält, bis er es findet. Sein Wirken muss Zeugnis von der barmherzigen Liebe des Vaters geben und die große Freude widerspiegeln, die im Himmel über jeden Sünder herrscht, der umkehrt. Von entscheidender Bedeutung für den Hirtendienst ist es, dass ein Priester auch selbst regelmäßig beichtet. Dabei wäre es empfehlenswert, sich über einen längeren Zeitraum hinweg einem festen Beichtvater anzuvertrauen, um dadurch eine verbindlichere Beratung und Hilfe erfahren zu können.

Wenn an den Priester die Bitte um den Empfang der Krankensalbung herangetragen wird, darf er keinen Augenblick zögern, dieses Sakrament zu spenden. Hat er den Eindruck, dass das Krankensakrament einem Gläubigen zum Heil gereichen könnte, bietet er es in angemessener Weise auch von sich aus an.

Ein Priester nimmt mindestens einmal im Jahr an geistlichen Exerzitien teil, die er nach seinen persönlichen Bedürfnissen auswählen kann.

3. Pastorale Haltungen

Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mt 20,28). An dieser Haltung Christi orientiert sich der Priester in seinem Dienst an Gott und der Kirche. Er beklagt sich nicht über Widrigkeiten, sondern nimmt alles voll Zuversicht aus der Hand des Herrn entgegen. In jeder Situation versucht er zu sagen: „Ich bin zufrieden, Herr, ja zufrieden!“ In der Gewissheit, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht, gelangt er zur wahren Freude im Herrn (vgl. Phil 4,4; Röm 8,28). So nimmt er alle seine pastoralen Verpflichtungen mit einer frohen Selbstverständlichkeit auf sich, ohne zu rechnen, welchen Lohn er dafür in dieser Welt erhalten wird. Den Pflichten des priesterlichen Dienstes zieht er nie seine eigenen Vorlieben vor.

Von großer Bedeutung sind mitbrüderliche Beziehungen zu anderen Priestern. Erfahrungen miteinander zu teilen, ist für eine fruchtbare Ausübung des Hirtendienstes ganz entscheidend (vgl. Röm 12,15). Dabei muss der Priester immer darum bemüht sein, sich über den Erfolg seiner Mitbrüder freuen zu können und keine Neidgefühle aufkommen zu lassen. Gleichzeitig sollte der Austausch untereinander die Bereitschaft stärken, sich bei der Erfüllung der pastoralen Aufgaben gegenseitig zu helfen.

Wenn der Priester ein neues Amt antritt, braucht er in der Regel nicht von vorne zu beginnen, sondern sollte mit Achtung und Interesse an den Ergebnissen seines Vorgängers anknüpfen bzw. dessen Erfahrungen aufgreifen. Wenn er ein Amt abgibt, muss er in jedem Fall drauf verzichten, Bedingungen zu stellen oder sich in die Tätigkeiten seines Nachfolgers einzumischen. Vielmehr hält er am besten auch physisch Abstand und gibt keine Urteile über die Arbeitsweise und den Führungsstil seines Nachfolgers ab.

Der Priester achtet seine Vorgesetzten, auch wenn er an ihnen Fehler und Schwächen entdeckt. Er hält sich mit Kritik zurück und trägt ihre Vergehen nicht ohne Notwendigkeit weiter. Vielmehr vertraut er darauf, dass die göttliche Vorsehung auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. Er bemüht sich immer um eine zielführende und konstruktive Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen.

Den Gläubigen versucht der Priester grundsätzlich mit Liebenswürdigkeit zu begegnen. Er gibt jedem Einzelnen das Gefühl, angenommen zu sein und respektiert zu werden. Zugleich ist er bestrebt, den Anliegen der Gläubigen mit größter Sorgfalt zu entsprechen. Wenn er ein geistliches Gespräch führt, sollte er um der Aufmerksamkeit und der Achtung willen keine unnötigen Unterbrechungen zulassen. Stellt er ein Fehlverhalten fest, betet er zunächst für den Betroffenen um die Gnade der Besserung. Scheint es ihm angebracht, so übt er in Demut und Milde brüderliche Zurechtweisung.

Der Priester bemüht sich, im pastoralen Dienst ohne Ansehen der Person alle gleich zu behandeln. Weder durch Sympathie und persönliche Freundschaft, noch durch Verwandtschaft oder andere Motive lässt er sich dazu verleiten, bestimmte Menschen zu bevorzugen. Besonders aufmerksam achtet er darauf, dass er keinen Unterschied zwischen Arm und Reich zugunsten der Begüterteren macht oder nur diejenigen gelten lässt, die in ihren Vorlieben und Ansichten mit ihm übereinstimmen. Grundsätzlich vermeidet er übertriebene Vertrautheit, da sie das Vertrauen der übrigen Gläubigen verletzen und seine ungeteilte Hingabe an Gott einschränken kann.

Der Priester ist bestrebt, mit seinem Verhalten ein gutes Beispiel zu geben und bei niemandem Ärgernis hervorzurufen. Er drückt sich auf korrekte Weise aus und meidet prinzipiell vulgäre Themen oder Ausdrücke (vgl. Eph 5,3). Er unterlässt alle Handlungen, die – auch wenn sie in sich legitim und korrekt sein sollten – falsch verstanden oder interpretiert werden könnten. In Demut nimmt er Ratschläge und Hinweise dankbar an. Wenn er merkt, dass er einen Fehler begangen hat, gibt er diesen ehrlich zu und versucht, den daraus entstandenen Schaden zu beheben.

Für den Hirtendienst ist es von grundlegender Bedeutung, dass der Priester immer wahrheitsliebend ist und jede Art von Lüge, Falschheit, Betrug oder Verstellung von sich weist. Für ihn muss in besonderer Weise gelten: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein!“ (vgl. Jak 5,12; Joh 8,32).

Beim Essen und Trinken legt er Mäßigung an den Tag und achtet auf das kostbare Geschenk der Gesundheit, durch das er dem Herrn und den Gläubigen dienen kann. Im Blick auf sein verantwortungsvolles Amt ist es für den Priester eine besondere moralische Pflicht, Anordnungen des Arztes gewissenhaft Folge zu leisten.

Der Priester trägt eine Kleidung, die ihn als solchen erkennbar macht. Sie hat einerseits eine pastorale Bedeutung, andererseits hilft sie dem Priester selbst, sich vor Gefahren der Untreue zu schützen.

Der Priester bezieht in seinen pastoralen Dienst auch Laien als Mitarbeiter ein. Sie können in den verschiedensten Bereichen des kirchlichen Lebens einen wertvollen Beitrag leisten. Dafür muss ihnen eine solide spirituelle und religiöse Ausbildung zuteil werden.

Wenn ein Priester in Angelegenheiten von größerer Bedeutung Entscheidungen treffen muss, holt er Ratschläge von kompetenten Personen ein. Dies gilt vor allem dann, wenn er selbst im Zweifel ist. In jedem Fall konsultiert er die vom Kirchenrecht vorgeschriebenen Gremien. Er versucht, an notwendigen und nützlichen Sitzungen teilzunehmen, bleibt jedoch mit gutem Gewissen fern, wenn solche Versammlungen oder Treffen tatsächlich nur Zeitverlust bedeuten.

Über interne Angelegenheiten der Kirche äußert er sich mit Maß und Klugheit, vor allem gegenüber Menschen, die den Glauben der Kirche nicht teilen oder keine gute theologische Ausbildung besitzen. Bei Gesprächen über politische Fragen berücksichtigt er die einschlägige Lehre der Kirche.

4. Arbeit

Bei der Erfüllung seiner pastoralen Verpflichtungen versucht der Priester, in erster Linie nicht den Menschen, sondern Gott zu gefallen (vgl. Eph 6,6f; Kol 3,22f). Er ordnet seine Aufgaben nach Prioritäten und übernimmt keine Arbeiten, die er später nicht ausführen kann. Gleichzeitig versucht er Angelegenheiten, die sofort erledigt werden können, nicht aufzuschieben.

Was Sprechstunden und Bürotätigkeiten angeht, bemüht er sich um Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Er verlangt von den Gläubigen keine unnötigen bürokratischen Formalitäten. Wenn ein schriftliches Ansuchen eingeht, sollte er so bald wie möglich darauf antworten, um keine Unsicherheit oder gar Missfallen seitens des Antragstellers hervorzurufen.

Bei der Tages- und Arbeitseinteilung plant der Priester ausreichende Zeit zur Erholung ein. Er hat darauf zu achten, dass seine Gesundheit aufgrund zu hoher Belastung nicht angegriffen wird und sein Charakter unter dem Stress nicht leidet (vgl. Mk 6,31). Aber auch im Urlaub und in Zeiten der Erholung hält er den priesterlichen Lebensstil aufrecht.

5. Verwaltung

Die priesterliche Wohnung führt er ordentlich und sauber. Wenn er versetzt wird, achtet er darauf, dass sein Nachfolger die Wohnung in einem guten Zustand vorfindet.

Bei der Buchführung und Verwaltung des Vermögens hält er die persönlichen Güter von denen der Kirche und der kirchlichen Einrichtungen klar getrennt. Messstipendien vermerkt er – wenn möglich samt Messintentionen – in einem eigenen Register. Falls er sterben sollte, ohne der Verpflichtung nachgekommen zu sein, kann ein anderer Priester die ausstehenden heiligen Messen feiern.

Bei der Übergabe eines seelsorglichen Amtes überlässt er seinem Nachfolger alle Unterlagen, die die Verwaltung und Buchhaltung betreffen, in vollständigem und geordnetem Zustand. Er liefert alle notwendigen Hinweise, damit sich der Nachfolger darin zurechtfinden kann.

Wenn er die Verantwortung für kirchliche Angestellte innehat, schließt er – dem Gesetz entsprechend – schriftliche Verträge und garantiert eine gerechte Entlohnung. Er kommt allen gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtungen gegenüber den Angestellten gewissenhaft nach. Dabei handelt es sich nicht nur um einen Akt der Nächstenliebe, sondern auch der Gerechtigkeit.

Empfehlungen stellt er nur dann aus, wenn es sich um Personen handelt, deren Lebensweise und Fähigkeiten er tatsächlich persönlich kennt. Eine Bürgschaft oder Schulden für andere Personen darf er nur nach reiflicher Überlegung und mit der Gewissheit übernehmen, dass er damit kein Risiko eingeht, das ihn in der Erfüllung seines Hirtendienstes einschränken oder binden könnte. Keinesfalls darf er für Güter der Kirche ohne Genehmigung der zuständigen kirchlichen Behörde eine solche Bürgschaft eingehen.

Er kümmert sich um eine sachgerechte Behandlung der Kunstobjekte, die in der ihm anvertrauten kirchlichen Einrichtung vorhanden sind, und trifft die notwendigen Vorkehrungen, dass sie nicht gestohlen werden können. Außerdem ist er sich klar bewusst, dass er als Verwalter solcher Gegenstände nicht das Recht besitzt, sie zu veräußern.

Er hält die zu verwaltenden Gebäude instand und nimmt jedes Jahr die notwendigen Reparaturen vor, sodass sich ihr Zustand nicht verschlechtert. Wenn der Priester Pfarrer ist, legt er gegenüber seinen kirchlichen Autoritäten und den Gläubigen jährlich Rechenschaft über die Verwaltung ab, um so ein Umfeld der Transparenz und des Vertrauens zu schaffen.

Der Priester bemüht sich um einen bescheidenen Lebensstil. Er kauft beispielsweise kein auffallend teures Auto, sondern begnügt sich mit einem für den pastoralen Dienst geeigneten Fahrzeug. Es muss sichtbar sein, dass er nicht an den Dingen dieser Welt hängt und seine pastorale Aufgabe in keinem Fall darin sieht, sich zu bereichern. Insbesondere achtet er darauf, dass er nicht Familienangehörigen oder Freunden durch kirchliche Güter Vorteile verschafft.

Er verfasst ein Testament und berücksichtigt dabei, dass er jene Güter, die er im Rahmen der Ausübung eines kirchlichen Amtes erworben hat, in erster Linie kirchlichen und wohltätigen Zwecken zuwenden sollte.

Ein Priester, der seinen Hirtendienst nach diesen Idealen und Weisungen gestaltet, wird auf seiner „irdischen Pilgerreise“ den wahren inneren Frieden finden und als „treuer und guter Knecht in die Freude des Herrn eingehen“, wenn dieser ihn zu sich ruft.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2007
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Zeugen Christi im 20. Jahrhundert

Buchbesprechung von François Reckinger

Prälat Helmut Moll (Köln) ist weithin bekannt, seit er 1999 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz das zweibändige Werk „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ herausgegeben hat, dessen vierte, vermehrte und aktualisierte Auflage Ende 2006 erschienen ist. Aus diesem großen Nachschlagewerk hat der Herausgeber einige Beispiele herausgegriffen und sie in dem hier anzuzeigenden Band vorgestellt.[1] Zum Teil ist dies geschehen als Ergebnis von Vorträgen, bei denen der Autor auf Wunsch seiner jeweiligen Gastgeber Blutzeugen aus ihrer Gegend, aus bestimmten Verbänden und Gruppen oder nach Berufen aufgeschlüsselt behandelt hat. Zum Teil konnte er dabei aber inhaltlich auch schon über den Umfang des Hauptwerkes hinausgehen. Wie in diesem beginnt die Darstellung mit einer Theologischen Einführung, danach werden, wie im Hauptwerk, die vorzustellenden Personen unter den drei Stichworten Opfer des Nationalsozialismus, Reinheitsmartyrien und Martyrium in der Mission gruppiert.

Die NS-Opfer werden eingeteilt in solche, die durch die „Todesmärsche“ nach Auflösung des Konzentrationslagers Dachau gestorben sind; Diözesanpriester und Ordensleute; Angehörige marianischer Gemeinschaften; Zeugen in Thüringen, im Euskirchener Raum und solche in und aus Köln.

Dabei erfahren wir Wichtiges über Menschen, die von ihrem christlichen Glauben her nicht nur die Perversität des NS-Staates, sondern auch die Sündhaftigkeit des von diesem Staat geführten Krieges erkannt und deswegen jegliche Mitwirkung dabei abgelehnt haben. Es ist ein Glücksfall, dass ihr Beispiel endlich auf den Leuchter gestellt wird. Von einem deutschen Polenseelsorger lesen wir, der im KZ ermordet wurde, weil er von Deutschen in Polen begangene Verbrechen gerügt hatte; von einer guten Inschrift auf dem Kölner Westfriedhof, in der aus den früheren „Helden“ von Kriegen „Opfer der Gewaltherrschaft und des Krieges“ geworden sind; von Gläubigen, die bei aller tief empfundenen Liebe zu ihren Familien und banger Sorge um sie sich geweigert haben, das als sündhaft Erkannte zu tun.

Ebenso wertvoll sind die acht Beispiele von jungen Mädchen von 11 bis 24 Jahren, die als Märtyrinnen gestorben sind, weil sie das Mittun bei Unzuchtssünden abgelehnt und sich gegen Vergewaltigung gewehrt haben. Pflichtinhalt jeglicher künftigen Firmvorbereitung sollte das Zeugnis der 11-jährigen Brigitta Irrgang aus Loitz an der Peene sein, die im Firmunterricht 1954 Maria Goretti näher kennen lernte, ihr bewusst nachstreben wollte und auf dem Heimweg nach einem Firmvorbereitungstreffen das Martyrium erlitten hat.

Nicht verständlich ist mir indes die Aussage, Brigitta habe „im Licht des ursprünglichen Planes Gottes enthaltsam zu leben“ vermocht (200) – das ist für unverdorbene Elfjährige schließlich normal, auch nach der Durchkreuzung des ursprünglichen Planes Gottes durch die Ursünde und ihre Folgen. Einen besonderen Zusammenhang zwischen dem Vorhaben lebenslanger Jungfräulichkeit und dem Martyrium kann ich weder in den vorgestellten Beispielen noch – wie Moll (173f) – grundsätzlich erkennen. Wer entschieden als Christ im Ehesakrament lebt oder dies anstrebt, hat m.E. eine ebenso starke Motivation, sich gegen Verführung zur Sünde und gegen Vergewaltigung zu wehren, wie der ehelos lebende Christ.

Abschließend ist festzustellen, dass der Autor nicht nur eine Unmenge Quellen und Literatur souverän beherrscht, sondern Lebensbilder auch verständlich und packend darzustellen weiß. Wegen der Wichtigkeit des Martyriums als spirituelles Thema empfiehlt sich das Buch allgemein als geistliche Lesung. Der von mir anlässlich der Veröffentlichung des Hauptwerkes gemachte Vorschlag, Auszüge daraus in einem künftigen neuen oder zusätzlichen Lektionar zum Stundenbuch zu verwerten, ist im Blick auf das hier angezeigte Buch um so betonter zu wiederholen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2007
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[1] Helmut Moll: Martyrium und Wahrheit. Zeugen Christi im 20. Jahrhundert, , 2., durchgesehene Auflage 2006, 238 S., ISBN 3-928273-74-4. Bestellungen an: Gustav-Siewerth-Akademie, D-79809 Weilheim-Bierbronnen.

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