Türkeireise: Triumph des Dialogs

Mit seinen einfühlsamen und angeregten Antworten lässt uns Paul Badde die Reise Papst Benedikts XVI. in die Türkei aus erster Hand miterleben. Er spannt verschiedene Bögen, von der schwierigen Ausgangssituation des Papstbesuchs bis zu seinem strahlenden Ende, von seinen politischen Rahmenbedingungen bis zu seinen heilsgeschichtlichen Hintergründen, von Tragödien in der Vergangenheit bis zu hoffnungsvollen Neuansätzen für eine versöhnte Zukunft. In literarisch kraftvoller Sprache, wie sie Badde zueigen ist, verbindet er seine sachliche Analyse mit tiefen persönlichen Empfindungen.

Interview mit Paul Badde

Kirche heute: Herr Badde, Sie haben die Reise Papst Benedikts XVI. in die Türkei miterlebt. Nach dem Papstbesuch konnte man den Eindruck gewinnen, dass alle Beteiligten zunächst einmal erleichtert waren. Können Sie dieses Empfinden bestätigen?

Paul Badde: Unbedingt. Den meisten ging es am Schluss ein wenig ähnlich wie den Tauben, die Benedikt XVI. vor seiner Heimkehr nach Rom vor der Heiliggeist-Kathedrale in Istanbul freiließ. Vor der Reise war in den Medien wie in den noch undurchsichtigeren Kanälen des Internet ein enormer Druck aufgebaut worden, für den jede Falschmeldung gerade recht kam, auch jede Drohung. Was echt war, ließ sich da kaum noch unterscheiden, und auch nicht die wirklichen Gefahren. Vieles war irrational, anderes gezielte Propaganda. Persönlich konnte ich das an vielen besorgten E-Mails, Anrufen oder sonstigen Anfragen erfahren – bis hin zu der Bitte, dieses gefährliche Abenteuer doch besser nicht einzugehen. Das war bei vielen nicht ohne Wirkung geblieben.

Kirche heute: Was hat Ihrer Meinung nach die Reise so erfolgreich werden lassen?

Paul Badde: Weil sie eben diese virtuelle Scheinwelt durch die persönlichen und realen Erfahrungen und Begegnungen ersetzte und entsprechend korrigierte. Die Reise wurde dadurch wie von selbst ein Prozess der gegenseitigen Entdämonisierung. Davon waren auch die Berichterstatter betroffen, von denen viele die Türkei – und die zum größten Teil hinreißend freundlichen Türkinnen und Türken – auf dieser Reise zum ersten Mal kennenlernten.

Kirche heute: Würden Sie auch von einem Triumph des Papstes sprechen, wie es in manchen Medien geschehen ist?

Paul Badde: Ja, aber mehr noch war es ein Triumph des Dialogs. Denn hier wurde ja wirklich miteinander geredet und nicht nur übereinander, wie es im so genannten „Clash of Civilisations“ leider zumeist geschieht – mit dem Ergebnis einer immer größeren Entfremdung und Angst voreinander, in die sich die Kontrahenten da in ihren Selbstgesprächen hineinreden.

Kirche heute: Die Berichterstattung in der Türkei wurde von Tag zu Tag positiver. Am Ende machte sich eine regelrechte Begeisterung breit. Haben die Türken den Papst tatsächlich in ihr Herz geschlossen?

Paul Badde: Ja, doch, es war ein gegenseitiges Ins-Herz-Schließen. Das ließ sich auch sehr schön an der Körpersprache des Papstes ablesen, der sich am Anfang noch oft etwas linkisch bewegte und am Schluss so sicher wurde wie ein Seiltänzer auf dem Hochseil – bevor er einen Teil seines Herzens in der Türkei zurückließ, wie er vor seinem Abflug sagte. Das alles war sehr authentisch.

Kirche heute: Wie ist dies dem Papst gelungen?

Paul Badde: Am ehesten, würde er wohl selber sagen, durch die vielen betenden Hände, die ihn auf dieser Reise begleitet haben. Da kann und will ich ihm nicht widersprechen. Dazu ist er aber auch jemand, der selbst im hohen Alter noch erstaunlich dazu zu lernen versteht. Sein Text aus Regensburg war also nicht nur eine Vorlesung für ihn; im Nachhinein wurde er für ihn auch zu einer außerordentlich großen Lektion.

Kirche heute: Wie beurteilen Sie den Besuch in der Blauen Moschee? Was wollte der Papst zum Ausdruck bringen, als er bewusst die Gebetshaltung der Moslems einnahm?

Paul Badde: Der Gang in die Moschee war nicht spontan, sondern natürlich lange vorher geplant – sicher auch ganz bewusst in der Tradition Johannes Pauls II., der vor Jahren schon der ehrwürdigen Moschee von Damaskus einen spektakulären Besuch abgestattet hatte. Dahinter kann heute kein Papst mehr zurück. Dieser Aufgabe kam Benedikt XVI. nun in Istanbul mit souveräner Sicherheit nach. Dass er dabei die Gebetshaltung eines Muslims einnahm, lässt sich eigentlich nicht sagen. Dass er die Schuhe vor der Moschee auszog, ist normal. Das macht jeder. Er ging aber nicht in die Knie, wie es die Beter in der Moschee normalerweise tun, und er machte auch keine muslimische Gebetsgebärde. Er betete nur einfach leise. Pater Lombardi, sein neuer Pressesprecher, hat nachher gesagt, dass er dort über das Gesicht Gottes meditierte. So wurde es im Pressesaal erzählt. Und er betete länger als der Mufti von Istanbul an seiner Seite. Dass er sich aber nach Mekka wandte, darf am wenigsten überstrapaziert werden. Er ging und stand ja einfach Seite an Seite mit dem Mufti, und wie sonst hätte er sich auch wenden sollen. Nach Mekka aber wendet er sich auch jedes Mal, wenn er in Sankt Peter und auf dem Petersplatz die heilige Messe liest. Weil der Petersdom – im Gegensatz zu den allermeisten Kirchen – „gewestet“ ist, schaut der Papst seit der Liturgiereform am Altar immer nach Osten.

Kirche heute: Der Papst habe sein Kreuz bei seiner Ankunft auf dem Flughafen verborgen getragen. Wollte er damit ein Signal geben?

Paul Badde: Das würde ich nicht überbewerten. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er sein Kreuz versteckt hat und mir ist es auch nicht aufgefallen. Sicher weiß ich, dass er sich Ratschlägen oder gar Forderungen, zu dem einen oder anderen Ort besser ohne Kreuz hinzugehen, bisher immer energisch widersetzt hat. Es wäre auch unsinnig. Keinem war doch verborgen, dass er als Christ kam, und mehr noch: als der Repräsentant der größten Kirche der Welt. Wie bei seinen Audienzen in Rom oder bei den Repräsentanten der Judenheit in Auschwitz hat er jedenfalls auch in Ankara und Istanbul jedem seiner muslimischen Gesprächspartner am Schluss einen Rosenkranz überreicht – mit eben jenem Kruzifix, das auch seinen Hirtenstab schmückt.

Kirche heute: Der Papst wurde ohne besondere Ehrenbezeugungen auf dem Flughafen empfangen – und auch ohne jedes Zeremoniell wieder verabschiedet. Wie ist dies zu beurteilen? Geht es auf einen Wunsch des Vatikans oder auf die alleinige Entscheidung der türkischen Regierung zurück? Was sollte damit zum Ausdruck gebracht werden?

Paul Badde: Empfang und Abschied waren lange vorher so geplant gewesen. Im Nachhinein betrachtet, könnte man sich leicht vorstellen, dass beide Seiten es wohl heute etwas anders gestalten würden. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass der Besuch des Papstes in erster Linie dem Patriarchen Bartholomaios I. galt, der in Istanbul nicht nur einer kleinen aussterbenden und überalterten Gemeinde vorsteht, sondern in gewisser Weise auch der letzte Statthalter des byzantinischen Reiches ist, das schon lange nicht mehr existiert – als eine Art König ohne Land. All das will die türkische Regierung von ihrer streng laizistischen Staatsdoktrin her jedoch nicht anerkennen. Für sie ist der Patriarch nur ein einfacher Bürger. Es ist eine ebenso komplexe wie delikate Lage, die in jedem Schritt viel Fingerspitzengefühl verlangte.

 

Kirche heute: Im letzten Augenblick hatte Ministerpräsident Erdogan den Beschluss gefasst, doch noch in Ankara zu bleiben und den Papst persönlich zu begrüßen. Was hat Ihrer Meinung nach den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben?

Paul Badde: Es war am Schluss politische Klugheit. Viele Türken hätten ihrem Premier nicht so ohne weiteres verziehen, wenn er diese Gunst der Stunde nicht genutzt hätte – und vor dem Papst quasi geflohen wäre, der ja nicht zuletzt auch das Oberhaupt eines Zwergstaates ist.

Kirche heute: Wie beurteilen Sie die Aussage Erdogans, der Papst habe sich für einen Beitritt der Türkei in die EU ausgesprochen? Ist es tatsächlich nur eine gewisse Vereinnahmung bzw. Manipulation von Seiten des Ministerpräsidenten oder hat sich der Papst in dieser Frage gegenüber seiner früheren Auffassung nicht doch bewegt?

Paul Badde: Das war etwa so listig, wie wenn im Basar ein Teppichhändler jemanden zu einem Kaffee einlädt und nachher ganz erstaunt ist, wenn man – unter Freunden! – dafür nicht auch einen kleinen Teppich kauft. Der Papst hat aber nichts gekauft – und er wird sich gewiss auch nicht dafür einsetzen, dass die klaren Kriterien für den Beitritt zur Union im Fall der Türkei außer Kraft gesetzt werden. Er ist gewiss ein Anwalt der Türkei – aber noch mehr ein Anwalt der Religionsfreiheit. Das wird den Menschen auch in der Türkei nur zugute kommen.

Kirche heute: Der Papst hat bei jeder nur denkbaren Gelegenheit die Religionsfreiheit angemahnt. Kam diese Botschaft zur Geltung? Welches Echo fanden seine klaren Worte in der Türkei?

Paul Badde: Das bleibt natürlich abzuwarten. Jedoch genau das meinte ich oben: Der Papst hat auch immer wieder daran erinnert, was die Standards in Europa sind. Wenn die Türkei es ernst meint mit ihrem Beitrittsbegehren, wird sich da noch etwas bewegen müssen. Vergessen darf man aber auch hier nicht, dass es sich hier oft um jahrhundertealte Gewohnheiten handelt, die dafür abgeschafft werden müssten. Das wird nicht einfach und auch nicht so schnell möglich sein.

Kirche heute: Indirekt sprach der Papst auch den Völkermord an den Armeniern an. War es klug oder gar eine Pflicht des Papstes?

Paul Badde: Der Papst hat den Hinweis sehr deutlich auf eine Weise formuliert, mit der jeder verstand, wovon er sprach – ohne dabei an die Schuldfrage der armenischen Tragödie zu rühren oder gar mit dem Finger auf irgend jemanden zu zeigen. Nach der Vorgeschichte in Regensburg war dieser Hinweis sehr mutig – und sehr weise formuliert. Dieser Text zeigt auch, dass er sich nicht hat einschüchtern lassen von allen Drohungen.

Kirche heute: In Ephesus begann der Papst mit seinem eigentlichen Verkündigungsdienst. Inwiefern hat sich Benedikt XVI. in der Türkei als ein Missionar erwiesen?

Paul Badde: Das Haus Mariens oberhalb von Ephesus eignete sich dafür besonders, weil es ein Pilgerort der Christen und Muslime ist. Interessant dabei ist, dass das Haus Marias der wohl intimste Ort der ganzen Pilgerreise war, wo der Papst sich „zu Hause“ fühlte, wie er später sagte – und dennoch missionarisch für den Frieden der ganzen Welt gebetet hat.

Kirche heute: Der Höhepunkt der Reise war die Begegnung mit Patriarch Bartholomäus I. in Istanbul. Worin sehen Sie die Bedeutung dieses Ereignisses für die Ökumene? Hat es außer atmosphärischer Verbesserung wesentlich Neues gebracht?

Paul Badde: Der Besuch war kein Aufbruch, sondern ein weiterer bedeutender Schritt in dem fast schon revolutionären Prozess der Wiederannäherung der Kirche Roms mit der Kirche Ostroms, der kaum fünfzig Jahre alt ist. Der bittere Prozess der Entfremdung hatte davor eine halbe Ewigkeit gedauert, der über Paul VI., Johannes Paul II. und den drei letzten Patriarchen Konstantinopels nun in einen Weg zur „vollständigen Einheit“ gemündet ist. Die Hoffnung ist nicht unbegründet, dass diese Einheit noch viele Zeitgenossen erleben dürfen. Sie muss ja auch bald kommen, weil die klein gewordene Kirche Konstantinopels akut in Gefahr ist, auszusterben. Die Vereinigung dieser beiden apostolischen Pole wird aber ein unglaublich starkes Signal für die ganze Ökumene werden. Der Besuch Benedikts XVI. hat schon jetzt alle Christen und Kirchen gestärkt – innerhalb und außerhalb der Türkei.

Kirche heute: Was wird von dieser Papstreise in die Geschichte eingehen?

Paul Badde: Sicher diese Impulse für die Ökumene. Vielleicht aber auch sein wortloses Gebet in der Blauen Moschee – dessen Wirkungen den Papst selbst recht offensichtlich auf ähnliche Weise erstaunt und überrascht haben, wie vorher die ungeahnten Wirkungen seiner klugen Rede in Regensburg, nur geradewegs anders herum! Seine stille Zwiesprache mit Gott hatte hier viele Herzen erreicht – von denen sich viele nur einen Monat zuvor durch seine Worte verletzt gefühlt hatten.

Kirche heute: Was hat Ihnen persönlich an diesen Tagen am besten gefallen? Was hat Sie am tiefsten beeindruckt?

Paul Badde: Die leuchtende Schönheit des Nachtigallenhügels beim Haus Mariens, an diesem wundervollen Herbsttag. Und auch die Rufe der Muezzine, die mich sowohl in Izmir wie in Istanbul morgens in der Früh im Dunkeln an Jerusalem erinnert haben.

Kirche heute: Herr Badde, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Festschrift für Rudolf Grulich

„Europassion"[1] heißt ein ungewöhnliches Buch, das kürzlich erschienen ist. Zwar liegt der 60. Geburtstag von Prof. Dr. Rudolf Grulich schon zwei Jahre zurück, doch ist die Festschrift diesem Anlass gewidmet. Sie trägt den bezeichnenden Untertitel „Kirche – Konflikte – Menschenrechte“.

Buchbesprechung von Wolfgang Stingl

Ungewöhnlich an diesem Buch sind Inhalt und Mitarbeiter. Die über zwei Dutzend Beiträge von ebenso vielen Autoren zeigen den Doppelsinn des Wortes Passion, das ebenso Leidenschaft wie Leiden heißen kann. Die Leser von Kirche heute kennen die Leidenschaft des Kirchenhistorikers Grulich für Europa, sie wissen aber auch, dass er an diesem Europa leidet, das im Krieg der 90er Jahre im ehemaligen Jugoslawien nicht in der Lage war, neue Vertreibungen zu verhindern, und das in der Europäischen Union nicht fähig ist, den Gottesbezug oder einen Hinweis auf die christlichen Wurzeln Europas in eine europäische Verfassung aufzunehmen.

Warum nennen wir diese Festschrift ungewöhnlich? Unter den Mitarbeitern sind Autoren aus einem Dutzend Länder wie Deutschland, der Schweiz, Italien, Tschechien, Polen, Russland, der Slowakei, Litauen, Bosnien, Kroatien, Rumänien, Frankreich, der Türkei und Amerika. Es schreiben Professoren, Kollegen und Freunde des Jubilars, aber auch Bischöfe, Pfarrer und Politiker. Es sind Katholiken, Orthodoxe, Altkatholiken, Protestanten, Hussiten und Muslime vertreten, deren Beiträge sich über 2000 Jahre europäischer Kirchen- und Leidensgeschichte erstrecken und deren Themen so vielfältig sind wie die Interessensgebiete und das Engagement von Rudolf Grulich.

Seinem ehemaligen Lehrer und Mitherausgeber des Buches Adolf Hampel ist ein treffendes Lebensbild Grulichs gelungen, in dem er viele Facetten der weitreichenden Tätigkeit, vor allem das Sentire cum ecclesia des Jubilars einfängt. Hampel hat auch eine (fast vollständige) Liste der wichtigsten Veröffentlichungen Grulichs erstellt. Der Religionspädagoge Bäumer schrieb unter dem Titel „Bindung – Erinnerung – Begegnung – Versöhnung“ eine Würdigung der Didaktik und Praxis seines Kollegen Grulich, der bei all seiner Originalität und seinem Nonkonformismus nicht nur seinen Studenten, sondern gerade in der Erwachsenenbildung vielen anderen die Anliegen seiner Kirche, aber auch unserer Volksgruppe nahebringt.

Die Thematik der Beiträge hat europäische Dimension, denn sie reicht von der frühchristlichen Kirche über die Kirche des Mittelalters und der Neuzeit bis zur aktuellen Gegenwart. Wir finden Artikel über die Templer in Böhmen und über hussitische Theologen, über die lutherische Kirche in Ingermanland und die unierte Kirche in Griechenland, die glagolitische Kultur in Istrien und die Minderheitenproblematik nach der EU-Osterweiterung, aber auch  über Grenzgänger zwischen den Kirchen in Böhmen und über die Kapellenwagen der Nachkriegszeit. Zwei Beiträge sind der Lage der Christen in der Türkei gewidmet. 

Den Umschlag ziert eine Miniatur aus einer glagolitischen Handschrift, die heute im Topkapi-Museum in Istanbul aufbewahrt wird. Sie zeigt Jesus mit der Samariterin am Brunnen. Dieses Bild symbolisiert ausdrucksstark die Vielfalt der Beiträge des Buches, aber auch die geistige Weite unseres Landsmannes Grulich. Wir können nur einladen, mit diesem Buch auf Entdeckungsreisen durch Zeiten, Völker und Kulturen zu gehen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Franz-Josef Bäumer, Adolf Hampel u.a. (Hrsg.): Europassion. Kirche – Konflikte – Menschenrechte. Rudolf Grulich zum 60. Geburtstag, 430 S., ISBN 978-3-87336-350-2.

Ein Realist auf dem Thron Petri

Professor Dr. Rudolf Grulich ist ein herausragender Kenner der Türkei. Ihm sind Geschichte wie gegenwärtige Situation der Christen im kleinasiatischen Raum bestens vertraut. Auf sein Urteil setzten auch die Medien in Deutschland, als sie über den Papstbesuch berichteten. In vielen Sendungen war er als Kommentator oder Diskussionsteilnehmer gefragt. Seinen Beitrag für unsere Zeitschrift hat er nach den drei Zielen der Papstreise in die Abschnitte gegliedert: Bedeutung des Besuchs im Blick auf den Dialog mit dem Islam, auf die ökumenische Annäherung an die Orthodoxie sowie auf die pastorale Begegnung mit den katholischen Gläubigen in der Türkei.

Von Rudolf Grulich

Er kam, um zu versöhnen!

Von Minenfeldern war vor dem Besuch die Rede. Dass der Papst nicht erwünscht sei. Dass ihn Erdogan nicht sehen wolle. Dass es die schwerste Reise sein werde…

Dann aber las man von „einem Erfolg auf der ganzen Linie“, „eine Stadt schwärmt von Benedikt“, er habe die Herzen der Muslime gewonnen, ja der Besuch habe alle Erwartungen übertroffen.

Warum konnte man Positives nicht schon im Vorfeld des Besuches erwarten? Wie schon beim Weltjugendtag in Köln und beim Besuch in Polen hat der Papst gezeigt, dass seine Miesmacher und Kritiker älter aussehen als er ist.

Ziel der bereits nach seiner Wahl 2005 angekündigten Reise waren ein Voranbringen von Ökumene und Dialog mit den orthodoxen Kirchen und dem Islam, aber es sollte auch ein Pastoralbesuch sein, um die in verschiedenen Riten aufgegliederte kleine Herde der Katholiken in der Türkei zu stärken. Dass eine solche Stärkung der Katholischen Kirche auch eine Hilfe für alle Christen des Landes sein werde, war angesichts der besonderen Situation der nichtmuslimischen Gruppen des Landes klar. Angesichts der traditionell guten Beziehungen der Türkei zu Rom war aber von Anfang an auch der Aspekt des Staatsbesuches bedeutsam und hätte Mut machen müssen, statt Bedenken zu erzeugen. Schließlich war ein Vorgänger des Papstes, Johannes XXIII., zehn Jahre lang vatikanischer Vertreter in der jungen Republik Türkei gewesen, noch unter Atatürk seit 1935 und nach dessen Tode bis 1945. Er steht bis heute in der Türkei in hohem Ansehen. Eine Papa Roncalli-Straße seit seiner Seligsprechung im Jahr 2000 ist in einem heute zu 99 Prozent muslimischen Land ebenso wenig selbstverständlich wie ein Denkmal für den Friedenspapst Benedikt XV. im Hof der Heilig-Geist-Kathedrale in Istanbul. Wenn auch Päpste wie Paul VI. und Johannes Paul II. die Türkei erfolgreich besuchten, warum sollte dies bei Benedikt XVI. anders sein?

Er kam, um zu versöhnen, nicht zu spalten, dies prägte seine vierte Auslandsreise.

Zusammenarbeit mit der Orthodoxie

Die Begegnung mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. knüpfte in vielem an die Vorgänger der beiden ranghöchsten Kirchenoberhäupter an. Wie schon in Jerusalem 1964 beim Treffen von Papst Paul VI. mit Patriarch Athenagoras I. oder 1967 in Istanbul zwischen den gleichen Hierarchen als Nachfolger der Apostel Petrus und Andreas, aber auch 1979 beim Besuch Johannes Pauls II. bei Patriarch Demetrios I. waren auch die Oberhäupter anderer orthodoxer Kirchen beim Besuch einbezogen: Auch Benedikt XVI. besuchte den armenischen Patriarchen in Istanbul und der syrisch-orthodoxe Metropolit Philoxenos nahm ebenso wie die beiden Patriarchen am Gottesdienst in der Heilig-Geist-Kathedrale teil.

Damit wurden weitere Schritte gemacht auf dem Weg zur Einheit, den „unsere ehrwürdigen, im Herrn seligen Vorgänger … bahnten, auf dem wir durch Dialog, Gebet und tägliches kirchliches Leben zu ihr gelangen werden“.

Bei der Überreichung eines Kelches als Erinnerungsgeschenk sprach der Ökumenische Patriarch von der zukünftigen Stunde des gemeinsamen Trinkens aus dem gleichen Kelch. „Der Heilige Geist wird uns helfen, den großen Tag der Wiederherstellung der vollkommenen Einheit vorzubereiten, wenn und wie Gott es will“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Diese betont die vorrangige Sendung aller Christen zur Verkündigung des Evangeliums in der heutigen Welt, in der die Kirchen das verstärkte Auftreten von Säkularismus, Relativismus und Nihilismus nicht ignorieren können.

Papst und Patriarch würdigen in dieser Erklärung den Weg zur Bildung der Europäischen Union positiv und heben hervor, die Politiker als „Pioniere dieses bedeutenden Unterfangens“ sollten „alle Aspekte berücksichtigen, die die menschliche Person und ihre unveräußerlichen Rechte, insbesondere die Religionsfreiheit betreffen, die der Beweis und Garant des Respekts vor jeder anderen Freiheit ist.“ Schutz der Minderheiten wird ebenso gefordert wie die Bündelung „unserer Kräfte, um die Wurzeln, Überlieferungen und christlichen Werte zu bewahren, um den Respekt vor der Geschichte zu gewährleisten und zur Kultur des Europa von morgen, zur Qualität der menschlichen Beziehungen auf allen Ebenen beizutragen“. Dazu sind die theologischen Traditionen beider Kirchen ein solides Fundament für eine gemeinsame Verbündung und ein gemeinsames Handeln.

„Wir wollen vor allem mit größtem Nachdruck feststellen, dass die Ermordung Unschuldiger im Namen Gottes ein Frevel gegen Gott und gegen die Menschenwürde ist. Wir müssen uns alle zu einem erneuten Dienst am Menschen und zum Schutz des menschlichen Lebens, jedes menschlichen Lebens, verpflichten.

Ganz besonders liegt uns der Friede im Mittleren Osten am Herzen, dort, wo unser Herr gelebt und gelitten hat, gestorben und auferstanden ist und wo seit vielen Jahrhunderten eine große Zahl christlicher Brüder lebt. Wir sehnen uns brennend nah der Wiederherstellung des Friedens in diesem Land, nach der Stärkung des staunenswerten Miteinanders seiner unterschiedlichen Volksgruppen, seiner Kirchen und der verschiedenen Religionen, die dort zu Hause sind. Darum ermutigen wir auch die Entwicklung enger Beziehungen zwischen den Christen und das Gelingen eines authentischen und konsequenten interreligiösen Dialogs in der Perspektive des Kampfes gegen jede Form von Gewalt und Diskriminierung.“

„Du aber stärke Deine Brüder!“

Der Petrusdienst des Bischofs von Rom zeigt sich bei der Pilgerreise des Papstes der Weltöffentlichkeit besonders deutlich bei den beiden heiligen Messen in Ephesus und in der Heilig-Geist-Kathedrale in Istanbul. Bei seinem Pastoralbesuch kam Benedikt XVI. nur in zwei der drei lateinischen Jurisdiktionsgebiete der Türkei: in das Erzbistum Izmir und das Apostolische Vikariat Istanbul. Bei der Messe vor dem Haus Mariens bei Ephesus sah man aber auch den Bischof des Apostolischen Vikariates Anatolien, der seinen Sitz in Iskenderun hat, mit Priestern und Gläubigen aus Tarsus, Antiochien und Iskenderun. Die Weltkirche war bei diesem Gottesdienst auch zu spüren, als vor dem Altar im Freien an einer Wand die Marienikone aus der Kapelle hing, die den Papst in Kleinasien an seine bayerische Heimat erinnerte: Eine Benediktinerin der Fraueninsel im Chiemsee hat dieses Marienbild gemalt, das der Heilige Vater nach der Messe verehrte.

Die Messe in der Heilig-Geist-Kathedrale als Abschlussgottesdienst der Reise erinnerte fast an das Sprachenwunder bei der Ausgießung des Heiligen Geistes am ersten Pfingstfest: Armenisch, Griechisch, Aramäisch (als Muttersprache Jesu), Latein, Türkisch, Arabisch und verschiedene europäische Sprachen waren in Lied, Gebet und Ansprachen zu hören, ein Abbild der Riten und Kulturen in der katholischen Kirche der Türkei.

Auf dem Wege zur Kathedrale weihte Benedikt XVI. im Vorhof eine Bronzestatue Johannes XXIII. Vor der Kathedrale steht bereits ein überlebensgroßes Denkmal für Benedikt XV. Von ihm stammt das Wort, dass die Kirche weder lateinisch noch griechisch noch slawisch, sondern „katholisch“ sei, allumfassend. Darauf sind die wenigen Katholiken der Türkei besonders stolz. Das sah man an den in Ephesus nach dem Gottesdienst tanzenden Jugendlichen ebenso wie an der Begeisterung der Gläubigen in Istanbul. Etwas von dieser Begeisterung sollte auch uns entflammen, die Kirche der Türkei mehr zu stärken.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Leserreise im Vorfeld des Papstbesuchs

Vom 9.-13. November 2006 war eine dreißigköpfige Gruppe von Lesern und Freunden unserer Zeitschrift „Kirche heute“ in Istanbul und Nizäa. Insbesondere die fachkundige Führung durch Prof. Dr. Rudolf Grulich ließ die Reise zu einem außerordentlichen Erfolg werden. Daran hatten auch die drei Priester ihren Anteil, die die Pilgerreise seelsorglich begleiteten. In Anbetracht der Diskussionen nach der Regensburger Rede des Papstes galt das Gebet in besonderer Weise dem unmittelbar bevorstehenden Besuch Benedikts XVI. in der Türkei. Eine Teilnehmerin schildert ihre Eindrücke.

Von Milda Pantasis

Als wir uns am Ende unserer Wallfahrt auf dem Münchner Flughafen verabschiedeten, waren alle Teilnehmer nicht nur zufrieden, sondern begeistert. Doch erst zwei Wochen später, als der Heilige Vater die Türkei besuchte, konnten wir die Bedeutung unserer Pilgerreise wirklich verstehen. Angesichts der Bilder des Papstes in Istanbul, welche ihn in der griechisch-orthodoxen St. Georgs-Kirche im Phanar, in der Hagia Sophia und in der Blauen Moschee, vor allem aber bei der Heiligen Messe in der Heilig-Geist-Kathedrale zeigten, wurden für uns alle die Stationen lebendig, wo wir wenige Tage zuvor für das Gelingen der Reise des Heiligen Vaters gebetet hatten. Ebenso vernahmen wir mit großer Freude, dass unser Reiseleiter Professor Dr. Rudolf Grulich im Bayerischen Fernsehen bei der Übertragung der beiden Heiligen Messen des Papstes in Ephesus und Istanbul als Kommentator mitwirkte.

Eucharistie – Zentrum unserer Reise

Bei aller Schönheit des alten Konstantinopel bzw. des heutigen Istanbul standen die Gottesdienste im Zentrum unserer Reise. Am ersten Abend feierten unsere drei Priester mit uns die Heilige Messe in der großen St. Antonius-Kirche, am zweiten Tag in der Kirche der heiligen Euphemia auf der asiatischen Seite der Stadt im ehemaligen Chalzedon. Hier hatte im Jahr 451 das vierte Ökumenische Konzil stattgefunden. Ein alter Priester, der diese Kirche betreut, erzählte uns über seine Arbeit. Er stammt aus dem Elsass und lebt seit 47 Jahren in der Türkei. Heute zählt seine Gemeinde nur noch etwa 100 katholische Gläubige. Aber in dieser wunderbaren Kirche aus dem 19. Jahrhundert feiern sonntags auch die syrisch-orthodoxen Christen ihre Liturgie. Als wir von Nizäa zurückkamen, dankten wir Gott mit einem Gottesdienst in der österreichischen St. Georgs-Kirche im Stadtteil Galata. Am Sonntag war es die Heilig-Geist-Kathedrale, in der wir besonders innig für Benedikt XVI. beteten. Im Hof der Kathedrale zeigte uns Professor Grulich die Statue Benedikts XV., des großen Friedenspapstes während des Ersten Weltkriegs. Die Abschlussmesse führte uns in die Franziskanerkirche Santa Maria Draperis, einem alten Gotteshaus, in dem die Geschichte der katholischen Präsenz am Goldenen Horn sichtbar ist. Ein aufrichtiger Dank gilt unseren Priestern Direktor Thomas Maria Rimmel als Mitherausgeber von Kirche heute, Msgr. Johannes Bösch und Pfarrer Dr. Bogdan Piwowarczik! Sie haben mit uns Eucharistie im wahrsten Sinne des Wortes gefeiert und uns das Wort Gottes verkündet.

Ökumenischer Höhepunkt

„Wo unser Glaube entstand“, so lautete das Thema unserer Pilgerreise; denn das große Glaubensbekenntnis, das sog. „Nicäno-Constantinopolitanum“, entstand eben in Nizäa und Konstantinopel auf den ersten beiden Ökumenischen Konzilien in den Jahren 325 und 381. Es ist bis heute Gemeingut aller Kirchen.

Aus dem reichen Schatz seines Wissens vermittelte uns Prof. Grulich in erster Linie den ökumenischen Aspekt unserer Reise, aber auch ein Verständnis für die tatsächliche Lage der wenigen Katholiken in ihren verschiedenen Riten. Ein Höhepunkt war dabei der Empfang im Thronsaal des Armenischen Patriarchen Mesrop II., der uns persönlich begrüßte und über die Lage seiner Gläubigen sowie die Erwartungen an den Papstbesuch informierte. Dankbar empfingen wir auch seinen Segen. In der Kirche des griechischen Ökumenischen Patriarchen brachte uns Prof. Grulich die Spiritualität der orthodoxen Schwesterkirche nahe.

Unterstützung für die Christen in der Türkei

Durch diese Reise hat sich bei jedem von uns das bisherige Türkeibild wohl ein wenig verändert. Insbesondere ist uns bewusst geworden: Beim Problem und den Verhandlungen des EU-Beitritts der Türkei geht es nicht nur um politische Fragen, sondern um die Glaubwürdigkeit Europas, das seine christlichen Wurzeln offensichtlich nicht mehr kennt und bekennt. Die über 100 Kirchen Istanbuls wurden unter Sultanen gebaut, die auch Kalifen waren, also Stellvertreter Mohammeds. Das heißt, dass die Osmanische Türkei des 19. Jahrhunderts toleranter war und mehr Religionsfreiheit gewährte als die moderne Türkei seit Atatürk oder moderne Möchtegern-Kalifen in anderen islamischen Ländern. Als der Sultan 1856 die Religionsfreiheit gesetzlich verankerte (vgl. Kirche heute 7/2006), geschah dies auch, weil damals die europäischen Länder bei der Hohen Pforte intensiv für die Rechte der Christen in der Türkei eingetreten waren. Das müsste heute auch der EU viel mehr am Herzen liegen!

Andererseits konnten wir beobachten, wieviel Hilfe geleistet wird. An den Schriftenständen der Kirchen sahen wir beispielsweise die Kinderbibel von „Kirche in Not“ in türkischer und aramäischer Sprache. Gleichzeitig durften wir erkennen, wie wichtig solche Reisen sind, um den Gemeinden in der Türkei das Bewusstsein zu geben, dass sie nicht vergessen sind. Deshalb begrüßten es alle Teilnehmer unserer Pilgerfahrt, als Direktor Rimmel für 2007 gleichsam eine Fortsetzung unserer Reise ankündigte, und zwar nach Antiochien, wo die Jünger Jesu nach der Apostelgeschichte zum ersten Male „Christen“ genannt wurden, sowie nach Tarsus, wo der Völkerapostel Paulus geboren wurde.

Mehr über die Christen in der Türkei finden Sie unter: www.kirche-in-not.de – Das Hilfswerk Kirche in Not (Albert-Roßhaupter-Straße 16, 81369 München) stellt Ihnen auch weitere Informationen zur Lage der Christen unter dem Islam zur Verfügung.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Ein Mensch, der Millionen Herzen bewegte

So überschreibt Erich J. Lejeune ein Kapitel über Papst Johannes Paul II. in seinem Buch „Lebenswissenschaft Motivation. Das Geheimnis Ihres persönlichen Erfolgs“.[1] Darüber hinaus widmet er sogar sein ganzes Buch „in Dankbarkeit Papst Johannes Paul II., dem Papst des Glaubens, der Werte und der Motivation“. Wer den Autor kennt, versteht sofort, dass es sich bei diesem Zeugnis um eine riesige Überraschung, ja um eine Sensation handelt. Lejeune ist evangelischer Christ. Er hatte die Kirche verlassen, trat nach zwanzig Jahren jedoch wieder in seine Evangelische Kirche ein. Eigentlich aber ist er in der Wirtschaft zuhause, wo er einen faszinierenden Aufstieg schaffte – vom Großhandelslehrling zum erfolgreichen Firmengründer, von einer Kindheit in bitterster Armut bis zum Börsengang seines Unternehmens „ce Consumer Electronic“. Schließlich rief er seine „Lejeune Academy for Motivation, Communication and Success“ ins Leben und erhielt ab dem Herbstsemester 2005/6 einen Lehrauftrag an der TU München. Als international anerkannter Global Player und „Unternehmer des Jahres“ genießt er sowohl in Wirtschaft und Politik als auch in den Medien ein außerordentliches Ansehen. Topmanager sind von seinen Motivationsvorträgen in gleicher Weise begeistert wie ganze Belegschaften mittelständischer Unternehmen. Seine Bestseller „Lebe ehrlich – werde reich!“ und „Du schaffst, was du willst!“ wurden in vierzehn Sprachen übersetzt. Nachfolgend geben wir die genannten Ausführungen über Johannes Paul II. wieder.

Von Erich J. Lejeune

Motivation ist die Triebfeder des Lebens

Motivieren heißt: etwas bewegen, und zwar zuallererst sich selbst, sein Umfeld und dann seine Mitmenschen. Ich möchte ganz in diesem Sinn der Motivation die Herzen, die Köpfe und Seelen der Menschen bewegen, sodass sie sich für ihr eigenes Glück begeistern.

Die großen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte strahlen im Großen das aus, was im Alltag unseren Erfolg bewirkt. Diese Menschen sind deshalb in ihren Spitzenpositionen angelangt – oft nach einem mühevollen und arbeitsreichen Leben –, weil sie die Grundsätze der Motivation und der Kommunikation angewandt haben.

Ich möchte Ihnen aus meiner Lebenserfahrung eines ans Herz legen: Betrachten Sie jede scheinbar noch so unbedeutende Situation in Ihrem Leben als eine Aufforderung, Ihre Motivation ganz bewusst in den Vordergrund Ihres Denkens und Handelns zu stellen und somit mehr Motivation in Ihr Leben und in diese Welt zu bringen. Wer sich des großen Geheimnisses der Motivation bewusst wird, weiß, dass Leben bedeutet: positive Emotion und Freude schenken, Begeisterung empfinden und weitergeben, die Seele reinigen, loben, aufeinander zugehen, mitfühlen, danken, um Verzeihung bitten, einander umarmen und seinen Mitbewohnern auf diesem einzigartigen Planeten größtmögliche Achtung entgegenbringen.

Johannes Paul II. – der Papst der Motivation

Niemand hat das lebendiger und wirkungsvoller bewiesen als Papst Johannes Paul II., der die Botschaft des Glaubens, der Nächstenliebe und der Werte als unverrückbare Grundfesten des menschlichen Zusammenlebens bis in die entlegensten Winkel dieser Erde getragen hat. Er war der Papst der Mitmenschlichkeit, des Glaubens, der Werte und der Motivation. Das ist der Grund, warum ich als gläubiger Protestant mein Motivationsbuch dem Andenken dieses großen katholischen Papstes widme.

Johannes Paul II. hat in den Menschen Mut und Freude geweckt, er hat Zuversicht und Hoffnung in die Herzen gepflanzt – vor allem in die Herzen der Jugend. Kein Ton der Resignation, kein Seufzen kam über seine Lippen, als ihn die Kräfte verließen und ihn, sichtbar für alle Welt, die Schmerzen peinigten. Seine letzte Botschaft ist einfach überwältigend. Er konnte sie, von seiner Krankheit auf minimale Gesten reduziert, nicht mehr aussprechen. Deshalb schrieb er diesen fast schon biblischen Satz in seiner polnischen Muttersprache mit zittriger Hand auf einen kleinen Zettel: „Ich bin froh – seid ihr es auch!“

Dieser Satz ging um die Welt! Ich würde mich glücklich schätzen, diesen Zettel im Original zu besitzen, denn er enthält die grundlegende Botschaft der Motivation für alle Menschen auf dieser Welt. Und ich ergänze: „Solange wir froh sind und an uns glauben, haben wir alle Chancen im Leben!“

Wer nämlich froh ist und diese Freude mit anderen teilen will, kann nicht gleichzeitig verzagt, missmutig, pessimistisch, rechthaberisch oder gar fanatisch und bösartig sein. Der wünscht sich diese freudige Grundstimmung, die unser Zusammenleben so unendlich bereichert, nicht nur für sich selbst, sondern für alle Menschen. Deshalb ist diese wunderbare Botschaft des Papstes der Motivation so allgemein gültig wie der große Satz aus dem Neuen Testament: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“

Durch die Situation in der letzten Stunde seines Lebens, in der Johannes Paul II. diesen Satz „Ich bin froh – seid ihr es auch!“ niedergeschrieben hat, erhält seine Botschaft für uns erst ihre ganz tiefe Bedeutung. Da steht nicht ein Mensch im Vollbesitz seiner Kräfte, der vielleicht gerade einen großartigen Erfolg erzielt hat. In so einem Zustand des Glücks fällt es leicht, sich zu freuen und andere aufzufordern, dass sie sich mitfreuen. Nein, diesen Satz schreibt ein alter, weiser und gebrechlicher Mann, der keine Stimme mehr hat, der schon so geschwächt ist, dass er kaum noch die Hand heben kann, um den Menschen Trost zu spenden und sie zu segnen!

Motivation – die Grundstimmung für alle Lebenslagen

Um anderen Menschen eine so großartige Botschaft zu schenken, muss man in seinem Innersten froh sein. Dazu bedarf es einer unglaublichen Zuversicht und einer unglaublichen Stärke, die über die eigenen Sorgen und Gebrechen hinwegsieht. Was für ein leidensvoller und schwieriger Lebensweg und was für ein großer Glaube standen hinter dieser Zuversicht und Stärke von Johannes Paul II.! Geboren in dem kleinen polnischen Ort Wadowice als Sohn eines Schneiders und späteren Offiziers verliert Karol Wojtyla mit neun Jahren seine Mutter. Gegen sein großes Leid und seinen Kummer setzt er unermüdliches Lernen, Lesen, Beten und Meditieren. Und er begeisterte sich für Sport. Im Winter spielt er Eishockey, im Sommer mit großer Freude Fußball. Er ist ein robuster Spieler, technisch beschlagen und von einer gesunden Härte.

Kaum hat er den Schmerz und die Trauer über den Tod seiner geliebten Mutter einigermaßen verarbeitet, trifft ihn ein weiterer schwerer Schlag des Schicksals. Sein von ihm bewunderter älterer Bruder stirbt mit dreiundzwanzig Jahren an Scharlach. Karol zieht mit seinem über alles verehrten Vater nach Krakau. Mittlerweile sind Hitlers Truppen in seine polnische Heimat eingefallen und Karol Wojtyla erlebt, zu welchen Verirrungen der Mensch fähig ist. Nachdem die Uni geschlossen wird, arbeitet er vier Jahre lang im Steinbruch und in einer Chemiefabrik. Als auch der Vater stirbt, ist Karol völlig allein. Später sagt er über diese schlimmste Zeit seines Lebens: „Mit einundzwanzig Jahren hatte ich alle lieben Menschen verloren. Ich stand vor dem Nichts und wusste, dass mir nur der Glaube helfen kann!“

Was wir aus Karol Wojtylas Leben lernen können

Wieviele Menschen hierzulande trotten lustlos, missmutig, mürrisch, zickig und unmotiviert vor sich hin und haben weder für sich, geschweige denn für andere ein freundliches oder aufmunterndes Wort? Schauen Sie sich doch mal selbst um – wie selten sieht man in der U-Bahn ein fröhliches oder gar lachendes Gesicht! Dabei leben die meisten Menschen hier doch noch immer in einem Wohlstand, von dem ein großer Teil der Menschheit nur träumen kann.

Die Beschäftigung mit der Lebensgeschichte von Karol Wojtyla sollte uns alle eines Besseren belehren. Der Glanz Roms und der Feierlichkeiten seiner Kirche darf nicht den Blick dafür verstellen, wieviele Entbehrungen und Niederlagen er ertragen und wieviele harte Kämpfe er durchstehen musste, ehe dieser großartige Schlusspunkt eines erfüllten Lebens erreicht werden konnte.

Der Marathonmann Gottes und der Motivation

Als Johannes Paul II. war Karol Wojtyla der Papst der Superlative. Man nannte ihn auch den „Marathonmann Gottes“. Er unternahm mehr als hundert offizielle Reisen ins Ausland – so viele wie kein Papst jemals zuvor. Er legte weit über eine Million Flugkilometer zurück, um seine Botschaft des Glaubens, des Friedens und der Mitmenschlichkeit zu verkünden. Er rang diese Reisen seinem geschwächten Körper ab und ließ sich auch nicht durch die Beeinträchtigungen hindern, die Folge seiner lebensbedrohlichen Verletzungen durch das Attentat 1981 auf dem Petersplatz waren.

Jedoch nicht die zurückgelegten Flugkilometer und die Zahl der bereisten Länder allein weisen ihn als den großen Botschafter der Werte und der Motivation für das Gute, für Wahrheit und Gerechtigkeit aus. Johannes Paul II. hat Unglaubliches für den Frieden und für die Wahrung der Menschenrechte geleistet. Er war mit seinem unerschütterlichen Glauben an die Menschenrechte und mit einem zähen, aber niemals verbissenen Kampf maßgeblich am Zusammenbruch des unüberwindlich scheinenden Sowjetreiches beteiligt. Stalin hatte einmal, als es um die Rechte der Kirche in den von ihm unterdrückten Ländern ging, die spöttische Frage an seine Ratgeber gestellt: „Wieviele Divisionen hat der Vatikan?“ Damals war Karol Wojtyla noch Student an einem Priesterseminar, das es offiziell gar nicht geben durfte. Als Papst Johannes Paul II. hat er diesen totalitären Hochmut ganz einfach beantwortet: mit seiner unermesslichen Kraft einer wahrhaft großen und integren Persönlichkeit. Sie wog alle Divisionen auf, weil er entschlossen zum Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit und die Menschenwürde jedes Einzelnen angetreten war!

Dem mächtigsten Herren dieser Erde vor und hinter dem Eisernen Vorhang hat Johannes Paul II. sehr deutlich seine Meinung auch auf der emotionalen Ebene kundgetan, um sie ganz klar an ihre Verantwortung für das Wohl der gesamten Menschheit zu erinnern. Mit eisernem Willen mühte er sich in persönlichen Gesprächen bis zuletzt um die Aussöhnung der unterschiedlichen christlichen Kirchen und um die Annäherung an die anderen Weltreligionen. Er hat einen wahrhaft freien und offenen Geist bewiesen.

Als erstes katholisches Kirchenoberhaupt besuchte er eine Moschee und er entschuldigte sich dort für die Verbrechen der Kreuzritter, die diese vor Jahrhunderten im Heiligen Land begangen hatten. Eines der bewegendsten Bilder für menschliche Größe zeigt ihn in einem römischen Gefängnis im versöhnlichen Gespräch mit dem Attentäter, der ihn im Auftrag einer bisher nicht aufgedeckten Macht ermorden sollte. Dieser einzelne Mensch war ihm genauso wichtig wie die Hunderttausende, die sich in aller Welt während seiner Gottesdienste um ihn scharten.

Ein höchst motivierter alter Mann – das Vorbild der Jugend

Was war so besonders an Papst Johannes Paul II., dass zu seinen Lebzeiten die größten Menschenmassen zusammenströmten, die jemals freiwillig und nur dem Ruf ihres Glaubens folgend einem einzigen Menschen zugehört haben? Nie in der Geschichte der Menschheit versammelten sich mehr Menschen – in der Ewigen Stadt und rund um den Globus vor den Fernsehgeräten –, um einer Beerdigung beizuwohnen. Und viele riefen: „Santo subito!“ Sie forderten, dass der Mann, den sie schon zu Lebzeiten wie einen Heiligen verehrten, so schnell wie möglich heilig gesprochen werde.

Was hat diese Menschen zu der tiefen Verehrung motiviert? Kein Popstar, kein Präsident, kein Parteisekretär konnte jemals so viele Menschen um sich versammeln wie er – allein mit der Kraft seiner Persönlichkeit. Dabei verlangte Johannes Paul II. den Menschen das Eintreten für Werte ab, deren Umsetzung ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, an Disziplin, ja auch an Entsagung forderte. Sogar die Menschen, die in entscheidenden Punkten seiner moralischen Forderungen konträrer Meinung waren, empfanden größte Achtung für seine Person.

Das Erstaunlichste für mich aber war und bleibt, dass er als alter und gebrechlicher Mann auf allen Kontinenten und quer durch alle Nationalitäten und Religionen scharenweise junge Menschen begeistert hat – durch ein Festhalten an Werten und vor allem durch deren absolut integres Vorleben. Von diesen Werten heißt es heute allgemein, dass sie für unsere Gesellschaft bedeutungslos geworden seien. Dabei hat gerade die weltweite Trauer über den Tod dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit gezeigt, wie groß die Sehnsucht aller Menschen nach Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Liebe und Anerkennung ist.

Wie war es möglich, dass ein einzelner Mensch eine derartige Kraft ausstrahlte, dass beim Weltjugendtreffen in Rom zwei Millionen Jugendliche an seinen Lippen hingen? Es war das hohe Maß an Integrität, das all diese Tugenden in sich vereinte. Johannes Paul II. geht als ein Papst der mitreißenden Motivation und der flammenden Begeisterung für die grundlegenden Werte des friedvollen und erfüllten Zusammenlebens aller Erdenbürger in die Geschichte ein. Als solcher wird er in den Herzen der Menschen für immer lebendig bleiben!

Ist es nicht fantastisch, welch ungeheure Kraft ein einzelner Mensch durch Werte in sich versammeln und welchen positiven Einfluss er damit ausüben kann? Ich nehme das als einen eindeutigen Beweis dafür, dass der Ausstrahlungskraft und Begeisterungsfähigkeit eines Menschen keine Grenzen gesetzt sind. Und meinen Sie nicht, dass auch Sie die Kraft Ihrer Persönlichkeit und die Strahlkraft Ihrer Begeisterung noch um ein Vielfaches steigern könnten? Die Kraft der Motivation und der Begeisterung ist keine feste Größe, die der eine mitbekommt und der andere nie erreichen kann. Die Kraft der Motivation lässt sich unendlich steigern – wenn man sich ihrer erst einmal bewusst geworden ist. Man muss nur damit anfangen sie umzusetzen!

Vom Wert der Werte

Das Beispiel dieses einzigartigen Lebens macht uns Mut und spornt uns an, im Rahmen unserer Möglichkeiten für diese Werte der Wahrheit und des Guten einzutreten, sie mit einem hohen Maß an Motivation weiterzutragen und vor allem sie vorzuleben. Papst Johannes Paul II. hat der Welt gezeigt, dass die Ethik, die Werte und die Moral die zentralen Themen des 21. Jahrhunderts, ja der Menschheitsgeschichte insgesamt sind. Er hat eindringlich vorgelebt, dass jeder Mensch viel mehr ist als nur die Summe seiner Leistungen. Motivation braucht als Grundlage die unverrückbaren Werte des menschlichen Zusammenlebens – Glaube, Hoffnung und Liebe. Ohne Glauben, ohne diese Werte sind wir wirklich arm dran und somit zum Scheitern verurteilt. Wir alle sollten uns daher für die Suche nach festen Fundamenten, nach ewigen Werten und nach einer tragenden Mitte des Glaubens motivieren und engagieren.

Woher wir diese Werte beziehen können, ist klar und eindeutig. Diese Werte kommen nicht aus Parteiprogrammen und schon gar nicht aus der Spaß- und Konsumgesellschaft. Sie können auch nicht aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch oder aus unserem Grundgesetz allein abgeleitet werden. Sie sind in tiefer und unverrückbarer Weise im Glauben und in den Religionen verankert. Ohne Glauben fehlt uns das Fundament, fehlt das einigende Band, das unsere Gesellschaft trotz aller Verschiedenheit der sozialen Schichten, der Ausbildung, der politischen Überzeugungen, des Alters oder der Nationalität zusammenhält.

Dass dieses einigende Band des Glaubens keinen Eingang in die Europäische Verfassung gefunden hat, ist zu bedauern. Diese traurige Tatsache sollte uns umso mehr dazu motivieren, in unseren jeweiligen Ländern aktiv für diesen Glauben einzutreten und ihn zu leben. Ein Leben ohne Glauben, ohne Werte bedeutet nämlich, dass nichts mehr übrig bleibt, woran der Mensch sich halten kann, wenn eine Gesellschaft auseinanderbricht oder die Gesetze nach Belieben der Mächtigen aufgeweicht werden. Ohne die Kraft des Glaubens entstehen Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Denn wer an nichts mehr glaubt als an das blinde Schicksal, hat wenig Grund zur Hoffnung, und wo es keine Hoffnung gibt, lohnt sich keine Anstrengung. Das ist eine Spirale nach unten, ein Teufelskreis, der Menschen in eine tiefe Resignation verfallen lässt. Der Glaube an Gott ist der Glaube an die Zukunft und an die Geborgenheit in der Gegenwart!

Motivation und Glaube, Motivation und Werte, Motivation und Lebensglück, Motivation und Liebe, Motivation und Hoffnung sind eng miteinander verbunden. Die Motivation schenkt uns Menschen eine besondere Lebensqualität. Als der Nachfolger von Papst Johannes Paul II., Benedikt XVI., noch Kardinal war, wurde er einmal gefragt: „Wieviele Wege gibt es zu Gott?“ Seine spontane Antwort lautete: „Es gibt genau so viele Wege zu Gott, wie es Menschen auf dieser Welt gibt!“ Das gilt auch für die Wege zur Motivation. Jeder Mensch trägt dieses Geheimnis der Motivation in sich und nur er selbst kann es für sich entdecken. Er muss es nur wollen und dann auch tun!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Motivationsbücher von Erich J. Lejeune: Lebenswissenschaft Motivation. Das Geheimnis Ihres persönlichen Erfolgs, 296 S., ISBN 978-3-636-06250-5; 365 Tage Motivation. Für Körper, Geist und Seele, 384 S., ISBN 978-3-636-01504-4.

Jesus gibt mir Kraft für die Motivation

Als Ergänzung zum Beitrag von Erich J. Lejeune über Papst Johannes Paul II. haben wir dem Autor einige Fragen zu seinem persönlichen Glaubensleben gestellt. Sein Bekenntnis zu Jesus Christus ist erfrischend klar und offen.

Interview mit Erich J. Lejeune

Kirche heute: Herr Lejeune, mit dem „Schlüssel der Motivation“, wie Sie es nennen, ist Ihnen in Ihrem Leben ein unglaublicher Aufstieg gelungen. Nun versuchen Sie auch anderen Menschen „den Schlüssel für ihren Lebenserfolg und für ihre erfolgreiche Persönlichkeit in die Hand zu legen“. Ihr Buch „Lebenswissenschaft Motivation. Das Geheimnis Ihres persönlichen Erfolgs“ haben Sie „in Dankbarkeit Papst Johannes Paul II., dem Papst des Glaubens, der Werte und der Motivation“, gewidmet. Wie haben Sie als evangelischer Christ die Persönlichkeit Johannes Pauls II. entdeckt?

Erich Lejeune: Durch seine unglaubliche Ausstrahlung und seine berührende Menschlichkeit. Ganz besonders tief im Herzen hat mich angesprochen, dass ein Mensch in seinem körperlichen Leiden kurz vor seinem Tode der Menschheit diese wunderbare Botschaft hinterlässt: „Ich bin froh – seid Ihr es auch“!

Kirche heute: Haben Sie sich mit seinen Schriften beschäftigt?

Lejeune: Ja sehr, sie waren zum Teil Grundlage für mein Buch.

Kirche heute: Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach dieser Papst für die Kirche und für die Menschheit?

Lejeune: Johannes Paul II. war der Papst der Motivation und der mitreißenden Emotion. Damit hat er Millionen Menschen für den Glauben und für die Werte begeistert.

Kirche heute: Lässt sich Ihre „Lebenswissenschaft“ auch auf die Seelsorge übertragen?

Lejeune: Aus meiner täglichen Arbeit im Bereich der Motivationen für Menschen weiß ich, wie sehr christliche Werte auf Menschen wirken.

Kirche heute: Welchen Rat würden Sie einem Pfarrer oder Verantwortlichen in der Gemeindeleitung geben?

Lejeune: Der Beruf des Pfarrers und Seelsorgers hat eine große Vorbildfunktion. Pfarrer sollten die Grundgesetze der Motivation, sprich herzliche und mitfühlende Kommunikation in Verbindung mit Begeisterung für den Glauben authentisch vorleben.

Kirche heute: Wie können kirchliche Mitarbeiter für Ihren Dienst in der Kirche motiviert werden?

Lejeune: Durch menschliche Anerkennung und zum Beispiel durch einen Besuch eines Seminars in der Lejeune-Academy.

Kirche heute: Kann man Ihren Ansatz auch auf den Predigtdienst anwenden?

Lejeune: Oh ja! Predigten müssen wieder stärker uns Menschen erreichen. Neben den beeindruckenden Zeremonien der Kirche sollten im Gottesdienst die Glaubensinhalte wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt werden.

Kirche heute: Wie müsste Ihrer Meinung nach die Predigt gestaltet werden?

Lejeune: Emotionaler, herzlicher und vor allem näher an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

Kirche heute: Was machen die Kirchen Ihrer Ansicht nach falsch?

Lejeune: Das sich die Katholische und die Evangelische Kirche nicht in drängenden religiösen Fragen verständigen.

Kirche heute: Welche Chancen sehen Sie für das Christentum in Deutschland und in Europa?

Lejeune: Große Chancen, denn das Christentum ist eine der tragenden Säulen unserer abendländischen Kultur.

Kirche heute: Wie lassen sich Ihre Grundsätze mit dem Glaubensleben verbinden?

Lejeune: Eins zu eins.

Kirche heute: Sehen Sie Parallelen zum Evangelium?

Lejeune: Ja, das sehe ich ganz deutlich. Auch die Evangelien fordern den Menschen immer wieder auf, sein Leben zu verändern und nach den Grundsätzen des Glaubens auszurichten.

Kirche heute: Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?

Lejeune: Eine sehr wichtige. Ein Leben ohne Glaube ist für mich unvorstellbar.

Kirche heute: Haben Sie eine persönliche Beziehung zu Jesus gefunden?

Lejeune: Ja, denn Jesus gibt mir täglich Kraft für die Motivation.

Kirche heute: Denken Sie auch manchmal an das ewige Leben?

Lejeune: Ja, ich glaube an das ewige Leben!

Kirche heute: Herr Lejeune, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Rückkehr der Religion in Politik und Gesellschaft

Wolfram Weimer, der bei verschiedenen deutschen Tageszeitungen in führenden Positionen wie zuletzt als Chefredakteur der „Welt“ tätig war, gründete 2004 sein eigenes Magazin für politische Kultur. Es heißt „Cicero“ und gehört inzwischen zu den maßgeblichen Publikationen im gesellschaftspolitischen Bereich. Nun ließ Weimer, der sein Politmagazin auch selbst als Chefredakteur leitet, mit einem Büchlein aufhorchen, das den Titel trägt: „Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist“.[1] Mit Macht kehre das Religiöse weltweit mitten in den politischen Raum zurück. Dies aber bedeute, so Weimer, dass die Gesellschaft nicht vor dem demographischen und kulturellen Zerfall stehe, sondern am Anfang eines neuen Aufschwungs. Weimer stellt nicht nur eine überzeugende Analyse vor, sondern wirkt an dieser Rückkehr Gottes in Politik und Gesellschaft mit seinem Magazin Cicero selbst mit. Nachfolgend geben wir gleichsam als Dokumentation einige Auszüge aus Artikeln von Weimer wider, die er in Cicero veröffentlicht hatte. Ergänzt wird die Zusammenstellung durch einen Abschnitt aus einer Analyse von Jürgen Busche.

Von Wolfram Weimer

Der sichere Instinkt der katholischen Kirche

Im September 2006 erschien „Cicero“ mit zwei Heften. Eine Sonderausgabe zeigte Papst Benedikt XVI. als Titelfigur. In seinem Artikel „Gott ist wieder da“ schrieb Wolfram Weimer:

„Dass Millionen von Jugendlichen aus aller Welt ausgerechnet dem Vatikan zujubeln, hätte man vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten. Die verblüffende Zuneigung zu Johannes Paul II. und auch zu Benedikt XVI. ist ein Indiz für die Religions-Revolution, in der wir uns befinden. Denn alles an ihnen scheint antimodern.

Mit der demonstrativen Krönung zweier Konservativer zeigt die katholische Kirche einen sicheren Instinkt für die neo-religiöse Sehnsucht nach geordneter Behausung in einer obdachlos gewordenen Moderne. Mit Wojtyla und Ratzinger scheinen alte Werte wie Demut, Würde, Nächstenliebe nicht mehr wie niedliche Accessoires einer Welt, in der das Eigentliche immer nur das Machbare und Moralfreie zu sein hat. Sie sind plötzlich der Kontrapunkt einer ironischen Welt, die in eine tiefe philosophische Krise geraten ist“ (S. 96).

Das neue religiöse Zeitalter

„In der Ursachenforschung für das globale Comeback der Religion interpretieren wir Europäer den Vorgang gerne materialistisch – als Sekundäreffekt von sozialen oder wirtschaftlichen Phänomenen. Erst zögernd begreifen wir, dass die neuen Konflikte eher wenig mit Geld – aber ganz viel mit Gottessehnsüchten zu tun haben. Die meisten Attentäter entstammen wohlhabenden Familien, sind gebildet und haben beste Perspektiven für ein gutbürgerliches Leben nach westlichen Vorstellungskategorien. Die Annahme, hier handele es sich um ein soziales Phänomen, hier revoltierten die armen Massen des islamischen Raums gegen die ungleiche Verteilung von Reichtum in der Welt, ist widerlegt. Inzwischen begreifen wir, dass immer mehr Menschen auf der Erde nicht von Geld und Gier, sondern von religiösen Gefühlen motiviert werden.

Auch das zweite Erklärungsmuster – es handele sich bei den neoreligiösen Bewegungen um ein Phänomen zurückgebliebener Kulturen –, erweist sich als falsch. Im Westen ist der modernste und am höchsten entwickelte Staat – die USA – religiös am weitesten aufgeladen. Im islamischen Raum sind es ebenfalls die reichen und in vielem hochentwickelten Länder wie Saudi-Arabien oder der Iran, wo die religiösen Impulse für politisches Handeln am aggressivsten sind. Das neoreligiöse Zeitalter wird nicht von den Peripherien, sondern von den Kraftzentren der Globalisierungsbeschleunigung definiert.

Russland: „Holt Gott zurück in die Politik!“

Auch bei den aufstrebenden Weltmächten von Brasilien über Nigeria, Indonesien und Indien bis China geht der wirtschaftliche und politische Aufbruch einher mit religiöser Selbstaufladung der Kultur. Selbst Russland lebt den Kulturwechsel in seiner vollen Bandbreite aus. Die Sowjetunion, die bekennend atheistische Weltmacht schlechthin, ist einem russischen Staat gewichen, der die alte orthodoxe Kultur im Zeitraffer revitalisiert. Putin behauptet mit der Selbstverständlichkeit eines modernen Zaren, dass der christlich-orthodoxe Glauben ‚für die Verankerung, Entwicklung und Zukunft von Russland‘ entscheidend sei. Binnen zwei, drei Jahrzehnten ist die Religion in Russland aus den entlegenen Nischen provinzieller Privatheit zurückgekehrt mitten hinein in das politische und gesellschaftliche Bewusstsein einer Weltmacht. Alexander Solschenizyn hatte 1994 in einem dramatischen Appell offen gefordert: ‚Holt Gott zurück in die Politik!‘ Inzwischen ist es geschehen. Nach jüngsten Umfragen glauben wieder mehr als zwei Drittel aller Russen an Gott“ (S. 95).

Der Freiheitskern unserer Kultur

In Oktober 2006 dokumentierte „Cicero“ die komplette Rede, die Papst Benedikt XVI. in Regensburg gehalten hatte (S. 28-32). Unter der Überschrift „Der kulturelle Dschihad“ kommentierte Wolfram Weimer die Reaktionen mit den Worten:

„Wenn nun auch der Papst von der Raserei des Ressentiments getroffen wird, dann hat man ihn nicht missverstanden, man hat ihn missverstehen wollen, weil man ihn und mit ihm den Westen hasst. Der kulturelle Dschihad ist unterwegs, er organisiert den globalen Kommunikationsraum wie früher linke Spontigruppen die Unis: mit einer subtilen Mischung aus latenter Gewalt, rhetorischer Aggressivität und moralisch aufgeladenen Opfermythen. Es geht ihm nicht um Dialog, sondern um Stigmatisierung. Sein Ziel ist es, den vorpolitischen Raum systematisch mit Denk-, Kultur- und Redeverboten zu belegen. Erst die Schriftsteller und Künstler wie Rushdie und Van Gogh, neulich die Karikaturisten aus Skandinavien, jetzt der Papst und morgen das Gute-Nacht-Gebet unserer Kinder, das als üble Provokation des Propheten interpretiert werden könnte. Das Tabuisieren zielt auf den Freiheitskern unserer Kultur – wir sollen nicht mehr sagen dürfen, was wir denken und glauben. Wenn sich aber sogar der Papst abgewöhnen sollte, eine theologisch komplexe Rede darüber zu halten, dass Gewalt im Glauben nichts zu suchen habe und der Frieden das göttliche Prinzip sei, dann hätten wir den Frieden schon verloren“ (S. 146).

Nachhaltige Wirkung des Charismas Johannes Pauls II.

„Der Zeitgeist ist konservativ. Drei Thesen und eine Analyse“, so lautet der Titel eines Beitrags von Jürgen Busche in der August-Ausgabe 2006 von „Cicero“. Er bewertet darin auch die Entwicklung des deutschen Katholizismus und geht darin auf die Wirkung des Pontifikats Johannes Pauls II. ein:

 „Für die CDU mag ein weiteres Datum bedenkenswert sein. In den ersten zwanzig Jahren ihrer Geschichte war die konfessionelle Bindung ihrer Wähler von großer Bedeutung für ihren Erfolg. Auch bezog sie aus kirchlichen Laienorganisationen besonders bei den Katholiken einen unverächtlichen Teil ihrer Mandatsträger und Funktionseliten. Das ließ dann kräftig nach und bald machte das Reden die Runde, eine Modernisierung der CDU müsse das Unbedeutendwerden der Kirchen für den öffentlichen Raum in Rechnung stellen. Dann, einige Zeit nach dem Ende des europäischen Kommunismus, ereignete sich die erstaunliche Revitalisierung des Religiösen, vor allem durch das Charisma des Papstes Johannes Paul II. Die Millionen von jungen Menschen, die er in seinen Bann zog – und das, wie sich heute zeigt, nachhaltig –, verkörpern sicherlich mit ihrer Haltung eine konservative Stimmung, aber die ist etwas völlig anderes als das, was einst deutsche Katholiken Pius XII. verehren oder den reformwilligen Konzilspapst Johannes XXIII. lieben ließ. Man sagt wohl nichts Falsches, wenn man die Vermutung wagt, dass junge CDU-Politiker, wie eifrig sie auch die ökumenischen Gottesdienste bei politischen Anlässen besuchen, mit den Campern auf dem Kölner Marienfeld wenig zu tun haben. Wahrscheinlich gibt es eine größere Nähe zwischen linken atheistischen Kritikern und älteren katholischen Kirchgängern angesichts der lebhaften Bilder von den Papst-Treffen, als beide das zugeben würden.

Für die CDU Angela Merkels, aber auch Christian Wulffs oder Roland Kochs stellt sich die Frage, ob sie überhaupt noch das Personal hat, die konservativen Stimmungen zu nutzen, die sich in einer neuen Generation artikulieren. Schon die Grünen waren ja erfolgreich mit einer konservativen Haltung zur Umwelt, wie sie zuerst spektakulär von dem CDU-Bundestagsabgeordneten Gruhl publik gemacht worden war. Sein Buch ‚Ein Planet wird geplündert‘ wurde ein Bestseller, in seiner Partei stand der Autor auf verlorenem Posten. Dergleichen darf der CDU mit den Christen in Deutschland nicht passieren, auch wenn es stimmen sollte, dass sie allmählich weniger werden“ (S. 56-57).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Wolfram Weimer: Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist, 78 S. geb., DVA 2006, ISBN: 9783421042446. Das 21. Jahrhundert wird ein Zeitalter der Religion. Gott kehrt zurück, und zwar mit Macht – im doppelten Sinne des Wortes: nicht nur als philosophische Kategorie, revitalisierte Tradition, theologische Überzeugung oder spirituelle Kraft. Er kommt vielmehr mitten hinein in den politischen Raum. Diese Streitschrift vertritt die These, dass sich der Säkularisationsprozess umkehren wird. Wir gehen vom postmodernen ins neo-religiöse Zeitalter. Entgegen düsteren Prophezeiungen muss das nicht schlecht sein. Das Comeback des religiösen Bewusstseins könnte eine kulturelle Renaissance des Abendlandes erzwingen. Nach Jahrzehnten der kulturellen Regression, der Infantilisierung und Geschichtslosigkeit steht die Frage des „Selbst-Bewusstseins“ auf der Tagesordnung. Mit der Religion kommt das mächtigste Moment wider den Relativismus und Kulturpessimismus zurück ins Spiel. Die Gesellschaft steht also nicht vor dem demographischen und kulturellen Zerfall, sie steht am Anfang eines neuen Aufschwungs.

Heimweh nach Gott

Wolfram Weimer erklärt die Rückkehr des Religiösen mit einem „Heimweh nach Gott“. „Dieses Heimweh wird stärker. Vielleicht wird der Mensch des 21. Jahrhunderts wieder Mystiker, vielleicht wird sein Heimweh der Reflex auf die Raserei der Moderne, vielleicht wird der Religiöse der eigentliche Revolutionär unserer Zeit, vielleicht wird er irgendwann erklären: Credo, ergo sum.“ (Credo, S. 79). Wie aber steht es mit dem persönlichen Glauben von Wolfram Weimer? Dieser Frage sind wir in einem Interview nachgegangen.

Interview mit Wolfram Weimer

Kirche heute: Herr Dr. Weimer, Ihr Buch „Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist"[1] findet eine unglaubliche Resonanz. Sie haben nicht nur überzeugend dargestellt, wie sich das Comeback des Religiösen in den politischen und gesellschaftlichen Raum weltweit vollzieht, sondern auch eine persönliche Leidenschaft für dieses Thema an den Tag gelegt. Würden Sie sich selbst als gläubigen Menschen bezeichnen?

Wolfram Weimer: Ja. Ich wurde religiös erzogen und habe das zeitlebens als großes Geschenk empfunden.

Kirche heute: Wie haben Sie zum Glauben gefunden?

Weimer: Glauben hat zunächst eine kulturelle Dimension, denn vieles, was unsere europäische Zivilisation ausmacht, ist Frucht vom Baum der christlichen Tradition und Kultur. Dazu kommt die Erfahrungskategorie, denn Menschen, die in Glaubenswelten aufwachsen, betrachten das als natürlichen Teil ihrer selbst. Und schließlich gibt es eine philosophische und spirituelle Dimension; die eine hat etwas mit Lebens-Sinn zu tun, die andere mit Gebet und Innerlichkeit. Glauben speist sich also aus vielen Quellen.

Kirche heute: Gab es auf Ihrem religiösen Weg Schlüsselerfahrungen?

Weimer: Die Schlüssel zum Glauben waren bei mir Vater und Mutter.

Kirche heute: Aus welchen Quellen schöpfen Sie für Ihr persönliches religiöses Leben?

Weimer: Aus literarischen und theologischen Quellen für den Verstand, aus menschlichen Begegnungen für das Herz und aus Naturerlebnissen für die Seele.

Kirche heute: Wo haben Sie Ihre religiöse Heimat gefunden?

Weimer: In Gott.

Kirche heute: Welche Rolle spielt Ihr Glaube für Ihre publizistische Tätigkeit?

Weimer: Er formiert Haltung.

Kirche heute: Was hat Sie am Weltjugendtag in Köln begeistert?

Weimer: Die Faszination, die eine der ältesten Institutionen der Menschheit gerade auf die Jugend ausübt. In einer rasenden Moderne sind Orientierung, Treue und Haltung offenbar sehr gefragt.

Kirche heute: Hatte Papst Johannes Paul II. eine besondere Bedeutung für Ihre religiöse Entwicklung?

Weimer: Er war in gewisser Weise ein Heiliger unserer Zeit. Das hat Millionen beeindruckt, aber mein persönlicher Glaube ist davon nicht berührt.

Kirche heute: Glauben Sie, dass Papst Benedikt XVI. das religiöse und gesellschaftspolitische Leben in Deutschland verändert?

Weimer: Papst Benedikt verstärkt nun auch in Deutschland die Wiederkehr des Religiösen in den öffentlichen Raum. Zugleich ist er ein großer Intellektueller und stellt sich einer der Kernfragen der Moderne: der Versöhnung von Vernunft und Glaube. Das dürfte für die geistige Konstitution noch weitreichende Folgen haben.

Kirche heute: Welche Erwartungen haben Sie an die katholische Kirche in Deutschland?

Weimer: Dass sie den stark wachsenden religiösen Sehnsüchten der Menschen entgegengeht. Dass sie Deutschland von innen her re-missioniert. Dass sie die Ökumene ernster nimmt.

Kirche heute: Wie stehen Sie zum europäischen Einigungsprozess?

Weimer: Ich bin bekennender Europäer. Ich bin in Portugal aufgewachsen, war lange Jahre Korrespondent in Spanien und freue mich über das Friedens- und Wirtschaftsprojekt Europa. Denn in Wahrheit sind wir Europäer eine Kulturgemeinschaft, eine uralte Familie, die endlich wieder zueinanderfindet.

Kirche heute: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit den christlichen Kirchen im Blick auf die Zukunft Europas?

Weimer: Europa ist geronnenes Christentum. Ich wünsche mir darum, dass die konfessionellen Streitigkeiten in einem vereinten Europa überwunden werden.

Kirche heute: Was halten Sie von einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union?

Weimer: Da bin ich skeptisch. Europa würde zu einer Mini-UNO mutieren, wenn es über seine historischen, kulturellen und geographischen Grenzen hinauswüchse. Wer die europäische Einigung will, muss sich auch zu Europa als Europa bekennen.

Kirche heute: Wie sollten sich die Christen zur zunehmenden Islamisierung Europas verhalten und wie sollten sie mit den Muslimen in ihren eigenen Ländern umgehen?

Weimer: Tolerant und voller Respekt. Aber auch mit dem Selbstbewusstsein eigener Traditionen und Überzeugungen. Ein Dialog der Kulturen kann nur funktionieren, wenn man die Sprache der Religion beherrscht.

Kirche heute: Wie bewerten Sie den Irak-Krieg im Blick auf die kulturelle und religiöse Entwicklung der Völkerfamilie?

Weimer: Die Entwicklung im Irak ist eine Tragödie, seit Jahrzehnten leiden die Völker des Zweistromlandes unter Diktaturen und Kriegen. Vielleicht wäre eine Teilung des postkolonialen Kunststaates Irak in echte Völkerstaaten die klügste Lösung.

Kirche heute: Wie beurteilen Sie die „Vision der Hoffnung“ Papst Johannes Pauls II., der einen neuen geistigen Frühling für die Menschheit vorausgesagt hat?

Weimer: An diesem geistigen Frühling würden wir uns alle gerne erwärmen. Nur leider gibt es auch Frosteinbrüche von Fundamentalisten verschiedener Herkunft. Da gilt es die Pflanze des Glaubens liebevoll zu schützen.

Kirche heute: Herr Dr. Weimer, herzlichen Dank für das Gespräch!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Wolfram Weimer: Credo. Warum die Rückkehr der Religion gut ist, 78 S. geb., DVA 2006, ISBN: 9783421042446. Das 21. Jahrhundert wird ein Zeitalter der Religion. Gott kehrt zurück, und zwar mit Macht – im doppelten Sinne des Wortes: nicht nur als philosophische Kategorie, revitalisierte Tradition, theologische Überzeugung oder spirituelle Kraft. Er kommt vielmehr mitten hinein in den politischen Raum. Diese Streitschrift vertritt die These, dass sich der Säkularisationsprozess umkehren wird. Wir gehen vom postmodernen ins neo-religiöse Zeitalter. Entgegen düsteren Prophezeiungen muss das nicht schlecht sein. Das Comeback des religiösen Bewusstseins könnte eine kulturelle Renaissance des Abendlandes erzwingen. Nach Jahrzehnten der kulturellen Regression, der Infantilisierung und Geschichtslosigkeit steht die Frage des „Selbst-Bewusstseins“ auf der Tagesordnung. Mit der Religion kommt das mächtigste Moment wider den Relativismus und Kulturpessimismus zurück ins Spiel. Die Gesellschaft steht also nicht vor dem demographischen und kulturellen Zerfall, sie steht am Anfang eines neuen Aufschwungs.

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