1000 Jahre Bistum Bamberg

Am 1. November 2007 feiert das Erzbistum Bamberg sein 1000-jähriges Gründungsjubiläum. Mit einem mächtigen Glockengeläute wurde am 31. Oktober 2006 ein vorbereitendes Gedenkjahr eröffnet, das nun in der ganzen Erzdiözese mit Gottesdiensten, Vorträgen, Wallfahrten, Ausstellungen, Pfarrei- und Diözesanfesten begangen wird. Einen besonderen Höhepunkt bildet der Festtag des hl. Kaisers Heinrich II. am 13. Juli. Denn die Geschichte des Bistums ist mit den beiden Gründergestalten und Bistumspatronen Heinrich und Kunigunde untrennbar verbunden. Pfarrer Jürgen Benisch (51), Autor von Gedichten, Betrachtungen und Essays, gibt uns mit seinem Beitrag einen wunderschönen Einblick in die geschichtlichen Anfänge seines Heimatbistums Bamberg. Gleichzeitig lässt er den Geist spürbar werden, von dem das derzeitige Jubiläumsjahr geprägt ist.

Von Jürgen Benisch

Ein heiliges Kaiserpaar begrüßt die Gläubigen

Wer sich dem ehrwürdigsten der sieben Anhöhen Bambergs – deshalb auch das fränkische Rom genannt – nähert, erblickt auf dem sog. „Domberg“ den fast tausendjährigen Kaiserdom St. Georg und St. Peter. An der schönsten Eingangstür dieses altehrwürdigen, in seiner Substanz fast unbeschadet zehn Jahrhunderte überdauernden Gotteshauses erblickt der fromme Betrachter die Adamspforte und daran das heilige Kaiserpaar. Heinrich II. (973-1024) und seine hoheitliche Gemahlin Kunigunde (980-1039) begrüßen den Gläubigen. Um das Jahr 1237 herum entstand dieses Steinbildnis und zeigt doch ganz lebendig dieses vorbildhafte Herrscherpaar am „Eingang“ des Hochmittelalters. Der jetzige Bamberger Dom ist der dritte seiner Art. Er stammt von Bischof Ekbert von Andechs und wurde 1237 eingeweiht. Die beiden Vorgänger-Dome sind durch Feuersbrünste zum Teil ganz niedergebrannt. Formvollendet zeigt sich in der Gesamtheit des heutigen Dombaus die Gotik auf ihrem Höhepunkt. Schlichter, doch auch konzentrierter in seiner zum Himmel aufragenden Höhe kann ein Kirchengebäude gar nicht sein. Wer dieses großartige Haus Gottes besucht, taucht ein in die Glaubenswelt des Mittelalters. Es atmet Würde und königliche Andacht, strahlt Erhabenheit und seelischen Adel aus. Der Bamberger Dom passt einfach zu diesem kaiserlichen Ehepaar Kunigunde und Heinrich. Auch wenn er zu ihrer Lebenszeit noch nicht so majestätisch war, wie wir ihn heute sehen, so ist er doch ein sichtbares Zeichen für ihren strahlenden Glauben.

Bistum Bamberg war gleichsam ihr Kind

Heinrich und Kunigunde hatten keine eigenen Kinder. Am 1. November des Jahres 1007 gründeten sie das Bistum Bamberg. Es war gleichsam ihr Kind, ihr Nachkomme, ihr Erbe. Lange musste sich das Kaiserpaar bemühen, bis das damalige Reichs- und Fürstensystem, darunter auch bischöfliche Herrscher, sein Einverständnis für die Errichtung gab. Denn das Gebiet stammte hauptsächlich aus Pfarreien, die bis dahin dem Bistum Würzburg angehörten. Noch am selben Tag, an Allerheiligen 1007, wurde Eberhard, der vormalige Kanzler Heinrichs II., zum ersten Bischof des neuen Bistums geweiht. Er erwies sich als treuer Hüter und Sachwalter des kaiserlichen Willens. Seine Amtszeit dauerte bis 1040. Während dieser Zeit wurde unter anderem der erste Dom geweiht (6. Mai 1012) und das Bistumsgebiet um einen Teil der Eichstätter Diözese sowie das Regnitzland um Hof (1032) erweitert. Außerdem gründete Bischof Eberhard im Jahre 1015 das Benediktinerkloster St. Michael, höher gelegen als der Domberg, volkstümlich „Michelsberg“ genannt. Dem neu geschaffenen Bistum übertrug das kaiserliche Ehepaar einen gewaltigen Grundbesitz bis in den Harz und nach Kärnten und vermachte ihm eine Vielzahl geistiger und geistlicher Schätze (Reliquien, liturgische Geräte, wertvolle Handschriften und Buchmalereien). Die Stadt Bamberg, die der jugendliche König und spätere deutsche Kaiser als Ehegeschenk in die Vermählung mit seiner jungen Ehefrau eingebracht hatte, wurde zu ihrer Lieblingsresidenz, der Dom zu ihrer Lieblingskirche. Hier wurden die beiden Heiligen auch beigesetzt.

Streben nach Heiligkeit und weltliche Herrschaft

Eine bekannte Darstellung zeigt Heinrich und Kunigunde als einfache Büßer und fromme Pilger im schlichten Gewand jener gläubigen Zeit. Ja, in beiden Persönlichkeiten kam glücklicherweise das zusammen, was man heute als „gemeinsames Interesse“ bezeichnet. Beide, Kunigunde und Heinrich, wollten gute Herrscher, jedoch auch vorbildhafte, glaubende Christen sein. Beides unter einem gemeinsamen Dach, in einer gemeinsamen Ehe zu vereinen, weltliche Macht, aber auch Streben nach den jenseitigen Gütern des Himmels, gelingt nicht immer. Doch Heinrich und Kunigunde glückte es.

Die innerste Kraft für eine erfolgreiche Regierung der Untertanen empfing das junge Kaiserpaar vom Glauben an Jesus Christus. Aus jener Zeit ist eine wertvolle Elfenbein-Schatulle erhalten; Musiknoten wurden darin aufbewahrt. Auf dem Deckel, Emaille-Arbeit in Gold getrieben, erblicken wir Heinrich und Kunigunde vor dem göttlichen Thron, auf dem der Herr selber, Jesus Christus, sitzt. Von ihm her, von Gottes Gnade bekommen sie ihre ganze Kraft und den Willen zur weltlichen Macht.

Eine weitere Darstellung zeigt uns, wie der junge Bayern-Herzog Heinrich zum König und später zum Kaiser gekrönt wird. Wer krönt ihn? Es ist Jesus Christus selber. Politiker heute erhalten ihren Auftrag aus dem Willen des Volkes. Kaiser damals waren überzeugt, dass sie ihr Recht und ihre Befugnis aus dem Willen Gottes empfangen. Jesus Christus gibt Heinrich die Kraft zu seinem Kaiseramt, so will uns diese wunderbare Darstellung sagen.

Politisches Talent mit gesundem Ehrgeiz

Heinrich II. muss ein tatkräftiger Regent, ein geschickter Politiker gewesen sein. Damals im 11. Jahrhundert „Kaiser“ sein, das bedeutete, ständig unterwegs sein, das riesige Deutsche Reich nach allen Seiten hin verteidigen müssen; es gab politische Feinde und auch Feinde und Gegner der Kirche. Heinrich führte ein unruhiges Leben, mühsam und schwer oft genug, und doch gelang es ihm, für Recht und Ordnung, für soziale Einrichtungen und für kirchliche Klöster und Gebäude zu sorgen. Ein staatliches Gemeinwesen wie heute gab es ja damals überhaupt noch nicht. Der berühmte, überaus wertvolle Sternenmantel, prächtiger Kaiserumhang, heute im diözesanen Museum zu bestaunen, zeigt uns, was Heinrich wollte: „nach den Sternen greifen“. Heinrich war nicht ohne Ehrgeiz, er wollte ein glanzvoller Herrscher sein. In den mittelalterlichen ausgemalten Büchern und Handschriften wird uns gezeigt, was Heinrich damals leistete und was im Gedächtnis der Nachkommen blieb.

Natürlich zuerst die doppelte Krönung der beiden: mit der Krone des deutschen Königs (1002) und einige Jahre später mit der Würde des Kaisers (1014) versehen fand hier das uralte bayerische Geschlecht der Sachsenherzöge ihren Höhepunkt. Nicht zufällig war Heinrich als bayerischer Prinz in jungen Jahren von dem berühmten Regensburger Bischof, dem hl. Wolfgang, erzogen worden.

Die Kultur geschah in den großen Klöstern

Ein mittelalterliches Bild zeigt uns ein wenig, wie damals die politischen Verhältnisse im Deutschen Reich waren: es gab sog. vier Stände: die Bischöfe und Mönche, also Kleriker, dann Adelige und Ritter, schließlich Bauern und Handwerker. Die Kultur geschah in den großen Klöstern und Abteien, vor allem in den Klosterschulen der Benediktinermönche. Hier wurde gedichtet und Wissenschaft betrieben; in der klösterlichen Kanzlei entstanden aber auch die vielen Schriftstücke, die der Kaiser als Gesetz und Anordnung ins Reich hinausgehen ließ. In der kaiserlichen Kanzlei wurde wohl auch die Schenkungsurkunde von Heinrich II. unterschrieben, mit welcher er Bamberg den fürstlichen Dom vermachte.

Der zweite Bamberger Bischof, Nachfolger Eberhards, hieß Suidger. In schwieriger Kirchenzeit – drei konkurrierende Päpste gab es gleichzeitig – wurde er nach der Synode von Sutri am ersten Weihnachtstag 1046 als neuer Papst Clemens II. in Rom inthronisiert. Wahrscheinlich von missliebigen Gegnern vergiftet übte dieser fränkische Papst sein Pontifikat nicht einmal ein Jahr lang aus. Er wurde auf eigenen Wunsch hin im Bamberger Dom beigesetzt. So befindet sich dort das einzige Papstgrab nördlich der Alpen. Bedeutsam aber wurde das kirchliche Leben Bambergs vor allem durch seinen dritten Bischof, einen Mönch und Abt namens Otto. Als heiligmäßiger Oberhirte war er ein Mann des Ausgleichs. Er pflegte gute Kontakte zum päpstlichen Rom, förderte tatkräftig das mönchische Leben und war ein erfolgreicher Pommern-Missionar. In sieben Diözesen bewerkstelligte er 27 Klostergründungen. Unter seinem Einfluss kam auch das bekannte „Wormser Konkordat“ zustande, das den unseligen Investiturstreit zwischen deutschem Kaiser und römischem Papst beendete. Im Jahre 1139 weihte er den neu aufgebauten, zweiten Dom ein. Die Grabstätte des 50 Jahre später heiliggesprochenen Bischofs Otto befindet sich allerdings nicht im Dom, sondern in der ehemaligen Benediktinerabtei St. Michael. Dagegen ist in der Kathedrale sein bischöflicher Thron zu sehen, die „Cathedra Ottoni“.

Kluge Regentin und betende Witwe

Kunigunde wurde 59 Jahre alt. Auch sie stammte aus europäischem Hochadel. Als Fürstin von Luxemburg kam sie in die Ehe mit dem bayerischen Herzogssohn. Sie wurde um das Jahr 980 als Grafentochter in Luxemburg geboren und mit 19 Jahren dem jugendlichen Herzog Heinrich von Bayern vermählt. Im Jahre 1002 wurden sie und ihr Gemahl deutsche Könige, 12 Jahre später erwarben sie die Kaiserkrone. In Rom setzte sie ihnen Papst Benedikt VIII. am 14. Februar 1014 aufs Haupt. Mehrfach war Kunigunde während der vielen Reisen Heinrichs die Regentin im Reich. Sie soll eine mildtätige, weise und kluge Herrscherin gewesen sein. In der gemeinsamen Ehe mit Heinrich war sie vielleicht sogar die stärkere Persönlichkeit. Viele der Regierungsentscheide von Kaiser Heinrich tragen auch ihre Handschrift. Am 13. Juli 1024 starb ihr Gemahl. 22 Jahre lang waren sie verheiratet gewesen. Kunigunde zog sich als hochadelige Witwe in das von ihr gestiftete Kloster Kaufungen zurück. Sie tat noch 15 Jahre lang (gest. am 3. März 1039) viele Werke der Nächstenliebe – und sie betete viel!

Auf dem berühmten Hochgrab im Bamberger Dom, geschaffen von Tilman Riemenschneider, finden sich in Stein gemeißelt zahlreiche Darstellungen aus dem Eheleben des kaiserlichen Paares. Am bekanntesten ist die „Pflugscharen“-Legende: Von eifersüchtigen Neidern der ehelichen Untreue bezichtigt willigt Kunigunde in ein Gottesurteil ein, nämlich über glühendheiße Pflugscharen zu laufen. Sie bleibt unverletzt, ihre Unschuld ist bewiesen.

Früchte für die Ewigkeit

Die übrigen Darstellungen auf der Grabplatte zeigen, welch großen Glauben das fromme Kaiserpaar Heinrich und Kunigunde besessen haben. Heinrich wird nach schwerer Krankheit wieder gesund. Ein anderes Bildnis stellt dar, dass der sterbende Kaiser selbst jetzt noch in großer Liebe sich um seine Gemahlin Kunigunde kümmert. Als der Erzengel Michael die Seele des Verstorbenen wiegt, wollen Teufelchen sie in die Hölle ziehen. Doch die Seele des heiligmäßigen Herrschers darf ganz zu Gott heimkehren.

Ein Leben lang hat Heinrich fest gebetet – noch heute ist sein Gebetbuch zu sehen – und viel für die Kirche getan: auf einem Blatt erkennen wir eine Beschreibung der Domkirchweihe aus dem Jahre 1012. Die weltberühmte Adamspforte, das vorhin schon erwähnte Seitenportal am Dom: durch diese enge Pforte gingen bildhaft gesprochen Heinrich und Kunigunde in das ewige Leben ein.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Mariologen erkennen Aufbruch von Medjugorje an

Von Alfons Sarrach ist ein neues Buch über Medjugorje erschienen. Im Vorfeld legte er bereits Zeugnis über die Hintergründe der Veröffentlichung ab: Er war an bösartigem Blutkrebs erkrankt. Die Ärzte machten ihm gegenüber kein Geheimnis aus seinem eigentlich hoffnungslosen Zustand. In einer rätselhaften Bewusstlosigkeit wurde er nach einer mystischen Begegnung mit dem Herrn von einem nie gekannten Glücksgefühl erfüllt. Sein Herz brannte nach der Ewigkeit. Aber dann eröffneten ihm die Ärzte, dass ihm – zu ihrem eigenen Erstaunen – noch einige Zeit geschenkt wurde. Er fügte sich dem Willen des Himmels, um durch mutige Publikationen Gottes Wirken in unserer Zeit herauszustellen. Die erste Frucht ist sein neues Buch mit dem Titel „Jenseits des Scheins“.[1] In einem Interview zeigt Alfons Sarrach auf, was ihn beim Schreiben bewegt hat.

Interview mit Alfons Sarrach

Kirche heute: Herr Sarrach, Sie haben in diesen Tagen ein neues Buch herausgebracht. Es trägt den Titel „Jenseits des Scheins“. Was wollen Sie damit ausdrücken?

Sarrach: Der moderne Mensch lebt in einer Welt der Illusionen. Den ganzen Tag hindurch, das ganze Leben hindurch. Neue technische Entwicklungen fördern diese verhängnisvollen Selbsttäuschungen. Was wir als Wirklichkeit bezeichnen oder erleben, ist vergänglich, kann mit einem Klick verschwinden. Die wahre Wirklichkeit liegt jenseits dieses Scheins. Es ist die Wirklichkeit Gottes, die Ewigkeit.

Kirche heute: Vor einiger Zeit wurde bei Ihnen ein bösartiger Krebs festgestellt. Ihr Zustand hatte sich rapide verschlechtert und Sie haben dem Tod bereits ins Auge geschaut. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser kritischen Zeit gemacht?

Sarrach: Die Erfahrung, dass der heutige Mensch auf die eigentliche Wirklichkeit seines Lebens nicht vorbereitet ist. Er steht ihr vollkommen unvorbereitet gegenüber. Wenn sie auf ihn zukommt,  stürzt er in einen Abgrund. Bis zuletzt klammert er an den äußeren Reizen. Er stirbt profillos, beinahe gesichtslos – sagte mir ein junger Arzt. Es gibt keine christliche Sterbekultur mehr.

Kirche heute: Sie haben auf die Nachricht, eventuell sterben zu müssen, gefasst, ja sogar mit Freude reagiert. Woher haben Sie diese Festigkeit, diese Einstellung zum Leben?

Sarrach: Es war die Spiritualität von Medjugorje, die ich über Jahre verinnerlicht hatte. In Gesprächen mit den Sehern, mit Mitgliedern des Gebetskreises konnte ich erspüren, dass für diese jungen Menschen Zeit und Ewigkeit bereits eine Einheit geworden waren. „Wir leben bereits in der Ewigkeit“ sagten sie mir immer wieder. „Leben ist Vorfreude auf die Ewigkeit.“ Ein Mädchen aus dem sog. Gebetskreis der Jelena, es war Marija Dugandzic, damals 22 Jahre jung, bekannte einmal: „Ich habe nur eine Angst, durch die Sünde von Gott getrennt zu werden.“ So wurde mir klar: Unsere Leiden heute sind Teil unserer Seligkeit von morgen.

Kirche heute: Sie berichten, von römischen Theologen werde Medjugorje neuerdings als Prophetie, zum Teil sogar als neues Pfingsten bezeichnet. Können Sie mehr dazu sagen? Wie deuten sie diese Entwicklung?

Sarrach: Mit Staunen nimmt man wahr, was aus Rom zu vernehmen ist. Der bekannte Mariologe, Stefano De Fiores, Mitglied der Internationalen Päpstlichen Akademie für Mariologie, hat davor gewarnt, Medjugorje gering einzuschätzen. Dahinter stehe möglicherweise eine große Prophetie. „Freuen wir uns doch, wenn die Menschen dorthin pilgern“, hat er einer italienischen Zeitung gesagt. Don Gabriele Amorth, Exorzist in Rom, leitet sogar einen Medjugorje-Gebetskreis. Seiner Meinung nach ist Medjugorje eine Festung gegen den Ungeist der Zeit. Große Sympathie für Medjugorje hat auch Raniero Cantalamessa, päpstlicher Hofprediger. Er hätte dort gern im Juli internationale Exerzitien für Priester gehalten. Im Augenblick ist es noch nicht möglich. Cantalamessa will aber als Pilger nach Medjugorje kommen.

Kirche heute: Worauf beruht Ihrer Beobachtung nach die Anziehung, die viele Menschen aus aller Welt bewegt, nach Medjugorje zu pilgern?

Sarrach: Sie erleben dort von der ganzen Atmosphäre her das Urchristentum, Originalität, Spontaneität und gleichzeitig Treue zur Kirche, zur kirchlichen Liturgie, zum Lehramt. Interessanterweise zieht es dort gerade Ärzte hin, Leute mit Bildung, schlichte Leute mit hoher Herzenskultur und Jugendliche.

Kirche heute: Welche Bedeutung hat der dortige Kreuzberg, den Pilger oft unter großen Mühen und mit bewundernswerter Opferbereitschaft erklimmen? Wie bewerten Sie dieses Phänomen?

Sarrach: Die Menschen sind von der Verheißung des Zeitgeistes, sich selbst erlösen zu können, enttäuscht. Sie brauchen Erlösung, sie brauchen den Erlöser und sie bekennen sich zu ihm. Sie wollen ihm näher kommen.

Kirche heute: Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Seher von Medjugorje seit dem Beginn der Erscheinungen? Können Sie erkennen, dass Seher mit ihrem Leben ein besonderes Zeichen setzen?

Sarrach: Ein sehr starkes. Sie haben alle große Familien gegründet. Im Durchschnitt hat eine Frau in Bosnien-Herzegowina 1,6 Kinder, also nicht einmal zwei. Seher und Mitglieder des Gebetskreises haben zwischen drei und sieben Kindern. Medjugorje ist eine Oase des Lebens geworden, ein Aufschrei des Lebens. Das ist eine von den großen Prophetien dieser Stätte.

Kirche heute: Welche Früchte sehen Sie auf dem Hintergrund ihrer langjährigen Beobachtungen in Medjugorje?

Sarrach: Es gibt heute in der Welt einen fast fanatischen Kampf gegen das Übernatürliche – leider manchmal auch unter Christen. In Medjugorje wird den Menschen bewusst, dass ihnen nicht nur die Natur, sondern auch die Übernatur geschenkt wird, sie ist unser eigentliches Ziel. Der marianische Prophet Pater Josef Kentenich aus Schönstatt pflegte im 20. Jahrhundert zu sagen, „Christen sollten Jenseitsmenschen werden“. Das werden sie in Medjugorje.

Kirche heute: Welchen Beitrag leistet Medjugorje Ihrer Ansicht nach für die Erneuerung der Kirche? Inwiefern hilft der Ort den Gläubigen, ihre christliche Identität neu zu entdecken?

Sarrach: Dort erwacht in ihnen Verantwortung für andere, für die ganze Kirche, für die ganze Menschheit. An dieser Stätte erleben sie das Miteinander und das Füreinander. Man hat oft den Eindruck, durch Medjugorje wurden sie zu erwachsenen Christen, zu reifen Mitgliedern der kirchlichen Gemeinschaft.

Kirche heute: Herr Sarrach, herzlichen Dank für das Gespräch!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Alfons Sarrach: Jenseits des Scheins. Nahtod-Erfahrung und Medjugorje, 224 S., ISBN 978-3-87449-349-9.

Liturgisches Beten

Romano Guardinis 1918 erstmals veröffentlichtes Büchlein „Vom Geist der Liturgie"[1] ist in die Geschichte der Literatur über die katholische Liturgie als ein Klassiker eingegangen und hat über Jahrzehnte hinweg den Gläubigen eine tiefgründige Orientierung gegeben. Beim diesjährigen Frühjahrs-Forum von „Kirche heute“ arbeitete P. Dr. Johannes Nebel FSO die Aktualität der Überlegungen Guardinis für unser heutiges Ringen um den wahren Geist der Liturgie heraus. Er folgte den sieben Schritten, mit denen sich Guardini dem „Geist“ der Liturgie annäherte, und stellte sie in das Licht eines ähnlich lautenden Werks, nämlich des Buchs „Der Geist der Liturgie“ des jetzigen Papstes und damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger. Nachfolgend die Ausführungen zum ersten dieser sieben Schritte, der vom liturgischen Beten handelt.

Von Johannes Nebel

Subjekt der Liturgie ist die Kirche als ganze

Für das liturgische Beten setzt Guardini an bei der gewachsenen Gestalt der Liturgie. Ihr jahrhundertealtes Reifen verhalf ihr zu höchstmöglicher Abgeklärtheit, Objektivität und Ausgewogenheit, worin auch Natur und Gnade zu einem gereiften Verhältnis gefunden haben. Guardini sieht – ohne Gefahr, Christus als dem Haupthandelnden einen Abbruch zu tun –, dass das Subjekt der Liturgie weder der individuelle Beter noch die Versammlung mehrerer Betender sei, sondern die Kirche als eine und als ganze. Was er damit sagen wollte, findet sich auch ohne Umschweife in dem Buch von Kardinal Ratzinger im Hinblick auf die Wesensbeschreibung des liturgischen Ritus, wenn erklärt wird: Liturgischer Ritus „ist gestaltgewordener Ausdruck der Ekklesialität und der geschichtsüberschreitenden Gemeinschaftlichkeit des liturgischen Betens und Handelns. In ihm konkretisiert sich die Bindung der Liturgie an das lebendige Subjekt Kirche, das seinerseits durch die Bindung an die in der apostolischen Überlieferung gewachsene Form des Glaubens gekennzeichnet ist“.[2]

Diese Gedanken führen nun zu der eigentlichen Aussage, auf die Guardini hinauswill: Das liturgische Beten hat seine eigene Form und muss von anderen Formen des Betens unterschieden bleiben. Diese anderen Formen sind nicht abzuwerten; vielmehr besteht eine gegenseitige Ergänzung zwischen Liturgie und außerliturgischem Beten. Liturgisches Beten ist oberster Maßstab allen anderen Betens, etwa entsprechend dem Verhältnis von Dogma und persönlichem Glaubensdenken.

Lehrmeister in der Ausgewogenheit

Schon hier eröffnet sich Guardini der Bezug zum Stil. Liturgisches Beten zeichnet sich aus durch klare und umfassende Gedanken. Er schreibt: Die Liturgie „führt die ganze Weite der Wahrheit in das Gebet ein. Ja sie ist nichts anderes als gebetete Wahrheit. Und zwar sind es die großen Grundwahrheiten, die vor allem die Liturgie erfüllen: Gott in seiner ungeheuren Wirklichkeit, Fülle und Größe, der Eine, Dreieinige; Gottes Schöpfung, Vorsehung, Allgegenwart; Sünde, Gerechtigkeit und Erlösungssehnsucht; der Erlöser und sein Reich; die letzten Dinge. Nur eine so reiche Wahrheit wird nie ermüden; sie allein wird wirklich allen alles sein können, neu an jedem Tage."[3] Ein solches liturgisches Beten ist gemäß Guardini Lehrmeister in der Ausgewogenheit. Gemäß unserer heutigen Liturgie können wir dies z.B. am Tagesgebet vom 10. Sonntag im Jahreskreis verdeutlichen; dort beten wir: „Gott, unser Vater, alles Gute kommt allein von Dir. Schenke uns deinen Geist, damit wir erkennen, was recht ist, und es mit deiner Hilfe auch tun.“ Man sieht in diesem kurzen Text die Ausgewogenheit zwischen Gabe Gottes und Antwort des Menschen, zwischen Erkenntnis und Tun, sowie den gebührenden Vorrang des Handelns Gottes vor dem Handeln des Menschen.

Zugleich muss liturgisches Beten erfüllt sein vom „Wahrheitsgut der Offenbarung“:[4] „Der dogmatische Gedanke macht frei von der Knechtschaft des Gemütes, von der Verschwommenheit und Trägheit des Gefühls."[5] Auch dies sei in einem Beispiel veranschaulicht. Am 13. Sonntag im Jahreskreis betet die Kirche im Tagesgebet: „Gott, unser Vater, Du hast uns in der Taufe zu Kindern des Lichtes gemacht. Lass nicht zu, dass die Finsternis des Irrtums über uns Macht gewinnt, sondern hilf uns, im Licht deiner Wahrheit zu bleiben."[6] In diesen Worten wird die christliche Existenz im Licht der Wahrheit Gottes klar und prägnant ausgedrückt, und auch der Anspruch, der daraus an den Menschen ergeht, in seinem Kern getroffen.

Vulkan, dessen Gipfel klar in kühler Luft steht

So ist liturgisches Beten für Guardini zwar geprägt von der Ergriffenheit von der Wahrheit, dabei aber nicht der Wechselhaftigkeit menschlicher Gefühle unterworfen: „Soll ein gemeinsames Gebet brauchbar sein, so muss es von klaren, reichen Glaubensgedanken getragen und durchwirkt sein. Nur dann kann es einer Gesamtheit dienen, die aus verschiedenen Veranlagungen besteht und von wechselnden Gefühlsstimmungen bewegt wird."[7] Liturgie ist für Guardini daher „gebändigtes Gefühl“: Das „liturgische Gemütsleben ist überaus lehrreich. Es hat wohl Augenblicke höchster Steigerung, in denen alle Fesseln gesprengt werden, so den grenzenlosen Jubel des Exsultet am Karsamstag. In der Regel aber ist es gedämpft. Das Herz spricht mit Kraft, doch tritt zugleich der Gedanke stark hervor: Die Gebetsformen sind reich gegliedert, in ihren Teilen sorgsam gegeneinander abgewogen. So entsteht, trotz der tiefen Empfindung der Psalmen, eine gehaltene Gesamtstimmung. Die Liturgie als Ganzes liebt das Übermaß des Gefühls nicht. Es glüht in ihr, aber wie in einem Vulkan, dessen Gipfel klar in kühler Luft steht."[8]

Daher konzentriert sich liturgisches Beten auf Grundempfindungen wie Anbetung, Verlangen nach Gott, Dank, Bitte, Furcht, Reue, Liebe, Opfergesinnung, Leidensmut, Glauben, Vertrauen. Das Tagesgebet vom 4. Sonntag im Jahreskreis mag uns dies hier verdeutlichen: „Herr, unser Gott, Du hast uns erschaffen, damit wir Dich preisen. Gib, dass wir Dich mit ungeteiltem Herzen anbeten und die Menschen lieben, wie Du sie liebst."[9] Der Text ist klar und prägnant, geht aber über die Äußerung der Anbetung und der Liebe als grundlegender Seelenhaltungen nicht hinaus. – Zugleich ist die Liturgie auch immer zurückhaltend in der Äußerung sittlicher Forderung, um nicht durch zu hohe Ansprüche an das Alltagsleben die Tragweite ihrer Texte zu entleeren.

Wechselgebet zwischen Christus und seiner Braut

Doch nicht nur die Art der Formulierung, auch die grundlegende Form prägt den spezifisch liturgischen Stil des Betens; Guardini eröffnet sich dies anhand der Frage, welche Weise des Gebetes eine größere Anzahl von Menschen innerlich in Bewegung zu bringen und gleichmäßig darin zu erhalten vermag. Die Liturgie selbst antwortet darauf mit ihrer dramatischen Form einer „lebendig voranschreitende[n] Bewegung, handelnde[r] Anteilnahme“.[10] Um der Ordnung willen muss aber ein liturgischer Diener die „Gesamtleitung“ übernehmen. Diese lebendige Wechselbeziehung war zwar zu jeder Zeit der Liturgie vorhanden, wurde aber durch die nachvatikanische Liturgiereform wieder deutlicher herausgestellt. Kardinal Ratzinger stellt hierzu in seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ fest: „Es ist ein wichtiges Ergebnis der liturgischen Erneuerung, dass das Volk wirklich wieder in der Akklamation antwortet und dies nicht einem Stellvertreter, dem Ministranten, überlassen muss. Erst so ist die wahre liturgische Struktur wiederhergestellt, die ihrerseits ... die Grundstruktur von Gottes Handeln im Gottesdienst konkretisiert: Gott, der Offenbarende, wollte nicht im solus Deus, solus Christus (Gott allein, Christus allein) verbleiben, sondern sich einen Leib schaffen, eine Braut finden – Er sucht nach Antwort."[11]

Balance zwischen Natur und Kultur

Neben der Gemeinschaftlichkeit spiegelt sich für Guardini aber auch das grundlegende Menschenbild im liturgischen Beten wider. Die Liturgie nimmt den Menschen mit all seinen Veranlagungen, wie er wirklich ist und wie dies in den Psalmen zum Ausdruck kommt. Die Natur des Menschen, schreibt Guardini, „ist ein Gewebe von Adel und Armseligkeit, von Hohem und Niedrigem, und so steht er in den Gebeten der Kirche; kein zurechtgemachtes Menschenbild, aus dem die herben und schlimmen Züge sauber herausgenommen wären, sondern der Mensch, wie er ist."[12] Der Mangel an Natürlichkeit würde dafür sorgen, dass die Gedanken leer und eintönig, die Empfindungen dürftig oder gekünstelt, die Gleichnisse und Bilder matt würden.[13]

Doch das Natürliche darf auch nicht überbetont werden; Guardini erkennt in der Liturgie vielmehr eine Balance zwischen Natur und Kultur. Kultur ist für ihn der „Inbegriff alles dessen, was die schaffende, gestaltende, ordnende Menschenkraft an Wertvollem hervorbringt“.[14] Die Kultur hat eine Kraft, die die natürlichen Veranlagungen auf Dauer aneinander ausgleicht und vor Einseitigkeiten bewahrt, wie sie sich nur zu leicht mit dem geistlichen Leben verbinden können. In der Liturgie, so Guardini wörtlich, „kommt zum Bewusstsein, dass viele Jahrhunderte hier gearbeitet und ihr Bestes niedergelegt haben. Durchgebildet das Wort; mannigfach entfaltet die Welt der Begriffe und Gedanken, in vielartiger Schönheit entwickelt die Weisen des Aufbaus, angefangen von den kurzen Verssprüchen und dem feingearbeiteten Gefüge der Gebete bis zur kunstvollen Gestalt der Tagzeiten oder der heiligen Messe – alles schließlich aufgehend im Gesamtwerk des Kirchenjahres."[15]

Notwendigkeit einer Reinigung der nachkonziliaren Pfarrliturgie

Was Guardini hier schreibt, ist freilich an der durchschnittlich heute erlebbaren nachkonziliaren Pfarrliturgie oft nicht mehr so erfahrbar, wie dies in der überlieferten römischen Liturgie anwesend war. Durch die Liturgiereform ist der Strom der Jahrhunderte, der die Kultur liturgischen Ausdrucks heranbildete, eingefasst worden in die Ansprüche, die das theologische und pastorale Denken des westlichen Bürgertums der 60er Jahre an die Liturgie stellte. Dies hat den Eindruck eines ungebrochenen historischen Wachstums nachhaltig erschüttert, aber dennoch das, worauf Guardini hier hinauswill, auch nicht völlig vereitelt: Eine treu nach den Normen der Kirche gefeierte Liturgie, die zudem nicht durch Ergüsse subjektiver Emotionalität unnötig angereichert und überlagert wird, hat auch gemäß dem nachkonziliaren Ritus eine Formkraft, die die Ausgewogenheit von Natur und Kultur erkennen lässt. Das aneinander ausgewogene Verhältnis von Natur und Kultur schafft erst die Grundlage dafür, dass die Gnade in der Natur einen fruchtbaren Boden erhält („gratia supponit naturam“). Das Belassen beim Natürlichen wäre Wildwuchs; das Überbetonen der Kultur wäre lebensfern.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Die folg. Ausführungen beziehen sich auf die Ausgabe: Romano Guardini: Vom Geist der Liturgie. Zur aktuellen Situation, mit einem Nachwort von Hans Maier, Herderbücherei 1049, Freiburg 1983.
[2] Ebd., 143.
[3] Vom Geist der Liturgie, 26.
[4] Vom Geist der Liturgie, 23.
[5] Vom Geist der Liturgie, 25.
[6] Zitiert gemäß den amtlichen Texten des Messbuches für das deutsche Sprachgebiet.
[7] Vom Geist der Liturgie, 24.
[8] Vom Geist der Liturgie, 28.
[9] Zitiert gemäß den amtlichen Texten des Messbuches für das deutsche Sprachgebiet.
[10] Vom Geist der Liturgie, 36.
[11] Joseph Ratzinger: Der Geist der Liturgie, 178f.
[12] Vom Geist der Liturgie, 37.
[13] Vgl. Vom Geist der Liturgie, 41.
[14] Vom Geist der Liturgie, 38.
[15] Vom Geist der Liturgie, 38.

Familiäre Wurzeln Papst Benedikts XVI.

Das Bild zeigt den oberbayerischen Ort Rimsting. In diesem idyllischen Dorf am Chiemsee wuchs die Mutter Benedikts XVI. auf, welche der Papst selbst einmal als „poetisch und herzensgut“ bezeichnete. Darauf nimmt ein neues Buch von Johann Nußbaum Bezug. Sein Titel lautet: „Poetisch und herzensgut – Die Spuren des Papstes und seiner Familie in Rimsting“.[1] In der Zusammenstellung werden nicht nur bisher unveröffentlichte Bilder von Joseph Ratzinger und seiner Familie gezeigt. Das Buch spricht auch offen schwierige Situationen der Vorfahren des Papstes an, die in manchem an den Stammbaum Jesu erinnern.

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Das erste von acht Kindern

Die Mutter Papst Benedikts XVI. hieß mit Mädchennamen Maria Peintner. Sie wurde am 8. Januar 1884 um vier Uhr nachmittags in Mühlbach bei Kiefersfelden geboren. Als sie sechs Jahre alt war, zog ihre Familie nach Rimsting am Chiemsee, wo der Vater eine Bäckerei gekauft hatte. „Als erstes von acht Kindern hatte unsere Mutter eine entbehrungsreiche Kindheit“, erzählt Georg Ratzinger, der Bruder des Papstes. „Neben der Arbeit in der Bäckerei der Eltern, dem morgendlichen Austragen von Brot und Brezn, musste sie sich auch um die vielen Geschwister sorgen. Um der Haushaltskasse nicht länger zur Last zu fallen, wurde sie früh in fremde Dienste geschickt.“

Schöne Jugendjahre in Rimsting

So lebte Maria etwa 30 Jahre lang in Rimsting und arbeitete vor allem als Köchin, bis sie am 9. November 1920 mit fast 37 Jahren den sieben Jahre älteren Gendarmeriewachtmeister Joseph Ratzinger heiratete. Mit ihm zog sie zunächst nach Pleiskirchen, wo Tochter Maria und Sohn Georg geboren wurden. Am 1. Mai 1925 wurde Joseph Ratzinger als Stationskommandant nach Marktl am Inn versetzt. Dort kam 1927 als drittes Kind Joseph, der jetzige Papst, zur Welt. Seine Mutter war damals immerhin schon 43 Jahre alt und sein Vater bereits 50. Bis Maria Ratzinger am 16. Dezember 1963 starb, kam sie gerne und regelmäßig an den Ort ihrer Kindheit zurück. Hier verbrachte sie nach eigenen Angaben „ihre schönsten Jugendjahre“. An ihrem Elternhaus in Rimsting weist heute ein Schild auf sie hin.

Hochzeit mit einem fleißigen Bäcker

Wie Papst Benedikt XVI. in seinem Buch „Salz der Erde“ sagt, stammte sein Vater aus Niederbayern, seine Mutter „aus dem Tirolischen“. Diese Herkunft wird durch Ahnentafeln bestätigt, die bis in das Jahr 1667 zurückreichen.

Bisher ging die Geschichtsschreibung davon aus, dass Maria Ratzinger in Mühlbach im Südtiroler Pustertal geboren wurde. Nun haben die Forschungen von Johann Nußbaum aus Rimsting wie auch von Franz Haselbeck, dem Traunsteiner Stadt-Archivar, ergeben, dass die Papstmutter am 8. Januar 1884 in einem anderen Mühlbach, nämlich bei Kiefersfelden in Bayern, als lediges Kind der Dienstmagd Maria Peintner zur Welt gekommen ist. Diese heiratete eineinhalb Jahre später den Bäcker Isidor Rieger aus Welden bei Zusmarshausen, das in der Nähe von Augsburg liegt. Es ist sicher davon auszugehen, dass er als junger Bäckergeselle auf seiner Wanderschaft im Tiroler Raum seine künftige Gattin kennen gelernt hatte und der Vater der kleinen Maria war. Die Hochzeit fand am 13. Juli 1885 in Absam bei Innsbruck statt. Seit 1797 war dieser Ort die bekannteste Wallfahrtsstätte in Tirol. Bereits am 23. August 1885 brachte Maria Peintner ihr zweites Kind zur Welt. Dieser Bruder der Papstmutter, Benno Rieger, übernahm nach dem Tod des Vaters Isidor, die Bäckerei in Rimsting.

Heimstätte für schwangere Mädchen

Die Großmutter des Papstes, Maria Peintner, stammte tatsächlich aus Südtirol. Auch sie war ein uneheliches Kind. Sie wurde am 29. Juni 1855 in Raas im Pustertal geboren. Ihre Mutter hieß Elisabeth Maria Tauber und heiratete am 9. Februar 1858 Anton Peter Peintner, den so genannten „Haindlmüller“ in Mühlbach am Eingang des Pustertals. In diese Ehe brachte sie ihre dreijährige Tochter Maria Tauber mit, die nach der Hochzeit den Familiennamen Peintner erhielt. Auch hier kann aus guten Gründen angenommen werden, dass Anton Peintner der Vater des Kindes war. Noch im selben Jahr, in dem die Vermählung stattfand, wurde ihnen die zweite Tochter Rosina geboren.

Als Maria Peintner, die Großmutter des Papstes, selbst unehelich schwanger wurde, fand sie bei der ausgesprochen sozial eingestellten Familie Gabenstätter im bayerischen Mühlbach bei Kiefersfelden Aufnahme. Die zufällige Übereinstimmung der Ortsnamen hat wohl zu der genannten Verwechslung geführt. Beide Orte, das bayerische Mühlbach und das Südtiroler Mühlbach, das damals zu Österreich gehörte, waren durch die 1867 eröffnete Bahnlinie Bozen–Innsbruck–München miteinander verbunden und daher relativ leicht erreichbar. Im Haus der Familie Gabenstätter wurden viele uneheliche Kinder geboren. Es war das erklärte Ziel der Familie, ledigen Müttern eine würdige Möglichkeit zur Entbindung zu verschaffen. So wurde diese Heimstätte auch zur ersten Heimat der Papstmutter, die bereits einen Tag nach ihrer Geburt in der Pfarrkirche zu Oberaudorf das Sakrament der Taufe empfing. Mühlbach  gehörte damals wie auch heute noch politisch zu Kiefersfelden, kirchenrechtlich jedoch zu Oberaudorf. Als Taufpatin ist im Taufbuch der Pfarrei Oberaudorf interessanterweise Magdalena Gabenstätter, Dienstmagd, aufgeführt. Als Name der Mutter ist „Maria Peintner“, als Herkunftsort „Mühlbach bei Brixen in Tirol“ angegeben. Am 13. Mai 2007 (Muttertag) besuchte Domkapellmeister Georg Ratzinger das Haus Gabenstätter, in dem seine Mutter zur Welt kam. Am selben Tag weihte er in der Kirche in Oberaudorf eine Tafel zur Erinnerung an die Taufe der Papstmutter ein.

Berührendes Zeugnis lebenslanger Verbundenheit

Es war im Jahr 1890, als Isidor Rieger die Bäckerei in Rimsting kaufte und mit seiner Familie dorthin zog. Warum die kleine Maria, die Papstmutter, den Mädchennamen der Mutter „Peintner“ bis zur Eheschließung mit Joseph Ratzinger behielt, ist nicht ganz ersichtlich. Der Vater hätte die Tochter lediglich „legitimieren“ müssen, was aber zur damaligen Zeit in vielen Familien nicht für wichtig erachtet wurde. Wahrscheinlich dem Kind zuliebe wurde es in der Öffentlichkeit, wie z. B. in der Schule, trotzdem als „Maria Rieger“ geführt. Doch lautete ihr offizieller Name in allen Dokumenten, wie z. B. in der Heiratsurkunde des Standesamts in Pleiskirchen, weiterhin „Maria Peintner“.

Die Großmutter von Joseph Ratzinger blieb mit ihrer Mutter Elisabeth Maria, der Urgroßmutter des Papstes, das ganze Leben lang eng verbunden. Aus Briefen der Schwester Rosina, der Tante der Papstmutter, geht hervor, dass sich Elisabeth Maria häufig in Rimsting aufhielt und der Familie bei der Kindererziehung beistand. Dort ist sie 1904 auch gestorben und beerdigt worden, obwohl ihre große Familie in Südtirol zuhause war. Maria Peintner selbst, die Großmutter des Papstes, ist am 17. Juni 1930 in Rimsting gestorben und im Grab ihrer Mutter beigesetzt worden. Es ist ein berührendes Zeugnis für die tiefe innere Verbindung, welche Mütter gerade zu ihren unehelichen Kindern empfinden. Sowohl das Durchstehen der Schwierigkeiten, die zu jener Zeit noch viel drückender als heutzutage auf einer ledigen Mutter lasteten, als auch das Verantwortungsgefühl, das eine auf sich selbst gestellte Mutter für ihr lediges Kind entwickelt, kann die Beziehung für das ganze zukünftige Leben positiv prägen.

1. Vorsitzender des Seelsorge-Vereins in Rimsting

 Die Mutter des Papstes übernahm von frühester Jugend an Verantwortung für ihre Familie und für ihr eigenes Leben. Sie lernte Köchin und war unter anderem in Kufstein, Salzburg, Wiesbaden und München tätig. Aus einem Meldezettel vom Salzburger Landesarchiv beispielsweise geht hervor, dass sie vom 1. Oktober 1900 bis zum 19. April 1901 bei Maria Zinke, einer Konzertmeistersgattin, beschäftigt war. Oder in München war es das Hotel Wittelsbach, in dem sie Arbeit gefunden hatte. Während der Studienzeit ihrer Söhne bot sie u.a. in einem Hotel in Reit im Winkel ihre Dienste als Saisonköchin an, um zum kärglichen Salär ihres pensionierten Ehemanns etwas dazu zu verdienen.

Das füreinander Einstehen, das den Geist der Familien Rieger und Ratzinger prägte, formte aufrechte, selbstbewusste Persönlichkeiten. Die Großeltern des Papstes waren einander in großer Liebe zugetan, entwickelten aber auch nach außen hin Verantwortungsbewusstsein und Engagement. Am 6. Dezember 1901 wurde in Rimsting ein Seelsorge-Verein gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, „die Mittel aufzutreiben und die nötigen Schritte zur Errichtung einer Expositur in Rimsting einzuleiten.“ Isidor Rieger hatte sich an dieser Gründung nicht nur beteiligt, sondern wurde der 1. Vorsitzende des Vereins. Schließlich war es seinem Einsatz zu verdanken, dass die Gemeinde Rimsting zur ordentlichen Pfarrei aufstieg und endlich einen eigenen Pfarrer bekam. Seit dem Mittelalter nämlich gehörten Rimsting und die umliegenden Gemeinden zur Pfarrei Prien.

Johann Nußbaum fördert Familienschätze ans Licht

Dipl.-Ing. Univ. Johann Nußbaum, ein pensionierter Ministerialrat und Gemeinderat in Rimsting, ging den Spuren des Papstes und seiner Familie in Rimsting nach. Rund 600 Stunden lang forschte er in der Familiengeschichte des Papstes. 89 Personen gaben ihm Auskünfte insbesondere über die 30 Jahre, die Maria Peintner von 1890 an in Rimsting verbracht hatte. Manche Familienschätze förderte Nußbaum bei seinen Recherchen ans Licht, wie die Fotos der Geschwister Ratzinger. Eines zeigt den kleinen Joseph, der einen Ball wie eine Weltkugel in der Hand hält. An einen Zufall konnte mancher dabei gar nicht glauben. Eine Cousine schließlich steuerte das Glanzstück der Papst-Gedenkstücke bei: die zinnernen Messkännchen, mit denen die Brüder Georg und Joseph schon als kleine Buben Pfarrer gespielt hatten. Die Ergebnisse seiner Nachforschungen hat Nußbaum nun in einem Büchlein niedergeschrieben, das 72 Seiten umfasst und rund 100 Bilder enthält, darunter auch viele bislang unveröffentlichte aus den privaten Archiven der Familie Ratzinger. Der Bruder des Papstes, Georg Ratzinger, verfasste nicht nur ein Grußwort, sondern erzählte auch viel von sich und aus dem Leben seiner Familie und Verwandtschaft. Bürgermeister Florian Hoffmann erinnert in seinem Vorwort daran, wie aus einer angedachten Broschüre, welche die Chiemgau-Gemeinde zum Jahrestag der Wahl Joseph Ratzingers zu Papst Benedikt XVI. am 19. April 2006 herausbringen wollte, unter der Schriftleitung des Autors Johann Nußbaum nach und nach ein veritables Buch wurde.

Zeichen der Hoffnung für die heutige Menschheit

Neben dem Lebensweg der Mutter des Papstes werden auch Erinnerungen an seinen Vater, seine Großeltern, Tanten und Onkel nachgezeichnet. Außerdem dokumentiert Johann Nußbaum neuere Ereignisse. Aus der Verbundenheit mit der Heimat ihrer Mutter feierten die Brüder Georg und Joseph Ratzinger 1951 nach ihrer gemeinsamen Primiz in Traunstein mit der ganzen Familie eine Nachprimiz in Rimsting. Auch später besuchten die beiden oft den Heimatort ihrer Mutter, wo noch heute einige Verwandte leben. Festgehalten ist auch der Besuch der Rimstinger im November 2005 in Rom. Damals hatte Benedikt XVI. beim Angelussegen auf dem Petersplatz die Pilger aus der Gemeinde, in der seine Mutter aufwuchs, besonders begrüßt.

Sicherlich ist die Frage berechtigt, ob es angebracht ist, die besondere Situation der Mutter und Großmutter des Papstes durch eine solche Publikation an die Öffentlichkeit zu tragen. Wir glauben, wir dürfen dafür sogar dankbar sein. Denn diese Familiengeschichte schmälert in keiner Weise die Integrität und Größe unseres Papstes. Ganz im Gegenteil. Wir sind an das zentrale Geheimnis der Heilsgeschichte erinnert. Der Evangelist Matthäus stellte durch den Stammbaum Jesu ganz bewusst heraus, dass die Erlösung der Menschheit zuallererst unverdiente Gnade ist. Wenn sich der Sohn Gottes auf seinem Weg zu uns Menschen in eine Kette von Unvollkommenheiten, von Ehebruch und menschlichen Hinfälligkeiten einreiht, so möchte er zeigen, dass Gott auf krummen Zeilen gerade schreibt. Er offenbart seine barmherzige Liebe, indem er das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht (Jes 42,3), sondern dem gefallenen Menschen zu Hilfe kommt und ihn aufrichtet. Auch an der Geschichte der Familie Ratzinger gibt es nichts zu verbergen. Sie erscheint im Glauben an die göttliche Vorsehung als ein besonderes Zeichen der Hoffnung (vgl. Mt 12,20f.). Ja, sie kann die Person unseres Papstes der heute so sehr geprüften Menschheit sogar näher bringen. Ohne Zweifel leuchtet die Berufung Benedikts XVI. auf diesem wohl unerwarteten Hintergrund in einem tröstlichen Licht auf. Es kann vielen Menschen helfen, sich mit dem obersten Hirten der Kirche gerade aufgrund seiner Familiengeschichte ganz neu zu identifizieren.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Johann Nußbaum: „Poetisch und herzensgut“. Die Spuren des Papstes und seiner Familie in Rimsting. Reihe Rimstinger Lebenserinnerungen, hrsg. v. d. Gemeinde Rimsting, 72 S., ca. 100 Bilder, gebunden mit Schutzumschlag, 12.90 Euro, ISBN 3-00-018885-1.

Die ersten zehn Lebensjahre des Papstes in Bildern

Johann Nußbaum, der Autor des Buchs „Poetisch und herzensgut“,[1] illustriert mit ausgewählten Bildern und Texten die Kindheit des Papstes. Schon die Klassenkameraden Benedikts XVI. in der Volksschule stellten fest: Er ist „etwas Besonderes“!

Von Johann Nußbaum

Im Dezember 1932 ziehen der Polizeikommissar Joseph Ratzinger und seine Frau Maria mit ihren drei Kindern, der elfjährigen Maria, dem achtjährigen Georg und dem fünfjährigen Joseph von Tittmoning nach Aschau am Inn. Sie beziehen den ersten Stock eines Hauses, in dessen Erdgeschoß die Gendarmerie (Polizei) ihren Sitz hat. Nach Ostern 1933, als das neue Schuljahr beginnt, kommt Joseph in die 1. Klasse der Aschauer Dorfschule.

Die Erinnerungen der Klassenkameraden zeichnen das Bild eines auffallend begabten, sehr gut erzogenen, ruhigen Buben, mit dem es nie Ärger gab und der sich gut in die Klassengemeinschaft einfügte. So gescheit ist er, dass manchmal sogar die Lehrerin Mühe hat, ihm gerecht zu werden. In den Augen der anderen Dorfkinder ist er „etwas Besonderes“, ist er doch immer gut angezogen und trägt feste Schuhe, im Gegensatz zu den meisten von ihnen, die in der warmen Jahreszeit barfuß zur Schule gehen. So erzählen zwei ehemalige Klassenkameraden über Joseph.

Im März 1936 empfängt Joseph zusammen mit 35 Aschauer Kindern in der Pfarrkirche „Mariä Himmelfahrt“ die Erste Heilige Kommunion. Ein Jahr später erreicht der Vater das Pensionsalter und die Familie zieht 1937 nach Hufschlag, wo der inzwischen zehnjährige Joseph aufs Gymnasium in Traunstein geht.

Onkel Benno aus Rimsting hatte den Brüdern Ratzinger einen kleinen Altar mit einem drehbaren Tabernakel geschenkt, mit dem sie in der Scheune in Hufschlag gerne spielten. Messgewänder und Altarbehänge hatten die Tanten aus Rimsting geschneidert. Georg und Joseph predigten abwechselnd und schrieben ihre Ansprachen säuberlich in Schulhefte. Beim Pfarrer-Spielen benutzten sie kleine Kannen aus Zinn für den Messwein und das Wasser zur Gabenbereitung in der Eucharistiefeier. Diese „Messkandl“ sind noch erhalten und als Leihgabe im renovierten Geburtshaus von Papst Benedikt XVI. in Marktl am Inn ausgestellt. Zum Größenvergleich ist aus dem Gotteslob das Lied „Großer Gott wir loben Dich“ aufgeschlagen. Das Lied hat einen besonderen Bezug: Als nach dem Krieg der vermisste Georg plötzlich – er war in Italien Soldat – in Hufschlag auftauchte, setzte er sich nach der freudigen Begrüßung an den Flügel und intonierte ein brausendes „Großer Gott wir loben Dich“.

Zu den einzelnen Bildern:

Papstvater Joseph Ratzinger, geboren 1877 in Rickering in Niederbayern, wurde mit 20 Jahren zum Militär eingezogen. Seine Einheit war das königlich bayerische 16. Infanterie-Regiment in Passau, wo er seine zweijährige Wehrdienstzeit ableistete. Nach seiner Entlassung aus dem aktiven Militärdienst verblieb er noch bis 1902 bei der Reserve. Dann wechselte Joseph Ratzinger in das Bayerische Gendarmerie-Korps.

Die Papstmutter Maria Ratzinger wurde 1884 in Mühlbach bei Kiefersfelden geboren und hatte sieben Geschwister. Sie lebte 30 Jahre in Rimsting in einer angesehenen Bäckerfamilie und heiratete 1920 den Gendarmeriemeister Joseph Ratzinger.

Die drei Geschwister Maria, Georg und Joseph Ratzinger. Bild oben: Joseph in der Mitte ist hier drei Jahre alt. Bild unten: Hält Joseph hier bereits die Weltkugel?

Joseph Ratzinger bei der Erstkommunion in Aschau am Inn. Er ist der zweite Bub in der ersten Reihe (von links).

Klassenfoto von der Volksschule in Aschau am Inn. In der zweiten Reihe steht als Dritter von links der fröhlich strahlende Joseph Ratzinger.

Maria Rieger, die aus Südtirol stammende Großmutter des Papstes.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Johann Nußbaum: „Poetisch und herzensgut“. Die Spuren des Papstes und seiner Familie in Rimsting. Reihe Rimstinger Lebenserinnerungen, hrsg. v. d. Gemeinde Rimsting, 72 S., ca. 100 Bilder, gebunden mit Schutzumschlag, 12.90 Euro, ISBN 3-00-018885-1.

Auf dem Weg zum neuen Gender-Menschen (Teil II)

Im letzten Heft haben wir den ersten Teil eines Beitrags von Gabriele Kuby veröffentlicht, der sich mit den erklärten Zielen weltweiter Erziehungs- und Familienpolitik beschäftigt.[1] Deutschland spielt eine Vorreiterrolle bei der Förderung eines Menschenbildes, das den Grundsätzen unseres christlichen Glaubens zuwider läuft. „Gender Mainstreaming“ lautet seine Kernbotschaft. Sie leugnet den Wesensunterschied von Mann und Frau und strebt die vollkommene Überwindung der „traditionellen Familie“ an. Die Schöpfungsordnung Gottes mit ihrer Struktur der hingebenden Liebe ist damit im Innersten getroffen. Die krasse Benachteiligung der Mütter, die ihre Kinder in den ersten Lebensjahren selbst erziehen wollen, ist ein erster Schritt dazu.

Von Gabriele Kuby

Diffamierung der Mutter durch Simone de Beauvoir

Die Mutter in Misskredit zu bringen, Mutterschaft als Sklaverei zu diffamieren, legt das Messer an die Wurzel der Gesellschaft. Dies ist das Werk meist kinderloser Feministinnen. Sie haben für die Mutter nur Hohn und Spott übrig und untergraben systematisch deren Existenzbedingungen. In der Bibel des Feminismus, „Das andere Geschlecht“, fordert Simone de Beauvoir die Frau auf, „der Sklaverei der Mutterschaft“ zu entfliehen. Das hört sich so an:[2]

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (S. 265).

„[Die Frau] empfindet [die Schwangerschaft] gleichzeitig als eine Bereicherung und als eine Verstümmelung. Der Fötus ist ein Teil ihres Körpers und auch wieder ein Parasit, der auf ihre Kosten lebt“ (S. 482).

„Sie fürchtet mit einem Schwächling und Ungeheuer niederzukommen, weil sie die scheußliche Zufälligkeit des Körpers kennt, und dieser Embryo, der in ihr haust, ist ja nichts wie Fleisch“ (S. 483).

„Von den Lasten der Fortpflanzungsaufgabe zum großen Teil befreit [durch von S. de Beauvoir propagierte Verhütung, Abtreibung und künstliche Befruchtung, Anm. d. Autorin], kann die Frau die volkswirtschaftliche Aufgabe auf sich nehmen, die vor ihr liegt und die ihr zur Erlangung der unumschränkten Macht über ihre gesamte Person verhelfen wird“ (S. 33).

 „Wenn heute die Frau meist nur mühsam den Beruf, der sie stundenlang vom Heim fernhält und ihr alle Kräfte nimmt, mit den Interessen ihrer Kinder vereint, liegt das daran, dass einesteils die Frauenarbeit noch allzu oft Sklavenarbeit ist, andererseits sich niemand darum gekümmert hat, die Pflege, die Aufsicht und Erziehung der Kinder außerhalb des Hauses zu sichern. Hier liegt eine soziale Lücke vor. Es ist jedoch ein Trugschluss, wenn man diese Lücke mit der Behauptung rechtfertigt, es stehe im Himmel geschrieben oder es sei ein Grundgesetz der Erde, dass Mutter und Kind einander ausschließlich zugehörten. Dieses gegenseitige Zueinandergehören stellt in Wirklichkeit nur eine doppelte, verhängnisvolle Unterdrückung dar“ (S. 508).

Die Menschenverachtung, die hier zum Ausdruck kommt, ist mittlerweile Politik geworden und schafft durch die Abtreibungsgesetzgebung gesellschaftliche Realität. Wie es mit der Interessenvertretung der Frauen durch die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft bestellt ist, hat Frau Tina Moll, Attaché Deutschlands bei den Vereinten Nationen, demonstriert. In der 51. Sitzung der „UNO-Kommission für den Status der Frau“ im März 2007 stand ein Entschließungsantrag zur „Abschaffung von schädlichen Praktiken des vorgeburtlichen geschlechtsbestimmten Sortierens und des Kindermords an Mädchen“ auf der Tagesordnung. Dies ist gängige Praxis in China und weiten Teilen Asiens. Frau Moll brachte den Antrag als Repräsentantin der 27 Mitgliedstaaten der EU zu Fall mit der Begründung: „Dieser Entschließungsantrag ist vor allem ein heimlicher Angriff der USA gegen Abtreibung. Das wollen wir nicht mittragen."[3]

Die Saat geht auf: Demographische Wende

„Von der Fortpflanzungsaufgabe zum großen Teil befreit …“ – ob sich Simone de Beauvoir hat träumen lassen, dass die Saat des Todes, die sie ausgesät hat, in wenigen Jahrzehnten aufgehen würde? Ein Haus anzuzünden geht leichter, als eines zu bauen – eine Kultur kaputt zu machen leichter, als sie aufzubauen. Kulturaufbau geschieht durch die Ausübung von Tugend, Kulturzerstörung durch Verführung der Massen zu egoistischer Triebbefriedigung.

Deutschland war das erste Land, das im Frieden zu schrumpfen begann: Seit 1972 sterben in Deutschland mehr Menschen als geboren werden. Durch den „Pillenknick“ in den siebziger Jahren sank die Geburtenrate von 2,4 Kindern auf 1,4 Kinder pro Frau, Tendenz sinkend – ein Prozess, der ganz Europa relativ gleichzeitig erfasste. Dabei hat sich hierzulande der Kinderwunsch der faktischen Geburtenrate weitgehend angeglichen. „In Deutschland hat sich das Ideal der freiwilligen Kinderlosigkeit ausgebreitet."[4]

Diese Bevölkerungsdezimierung, die die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges in den Schatten stellt, bedeutet, dass die 20-60jährigen, also die Erwerbsfähigen, von 1998 bis 2050 um 16 Millionen, die unter 20jährigen um 8 Millionen abnehmen, während die Zahl der über 60jährigen um 10 Millionen, die der über 80jährigen um 7 Millionen steigen wird. Dann ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 20 etwa gleich groß wie die der über 80jährigen, nämlich 10 Millionen, die Zahl der über 60jährigen ist dann dreimal so hoch wie die der unter 20jährigen.[5] Deutschland wird zu einem Altersheim. Die Sozialsysteme werden in naher Zukunft zusammenbrechen. Laut Alarmrufen der EU fehlen bis 2030 zwanzig Millionen Arbeitskräfte in Europa.

Da die deutsche Bevölkerung schrumpft, die zugewanderte aber durch Einwanderung und eine hohe Geburtenrate zunimmt, werden die Deutschen unaufhaltsam zur Minderheit im eigenen Land. „Die zugewanderte Bevölkerung wird bei den unter 40jährigen in vielen Großstädten in wenigen Jahren die absolute Mehrheit erreichen“,[6] wie das in Rotterdam bereits der Fall ist. Der größte Teil der ausländischen Bevölkerung ist muslimisch. Prof. Birg sagt: „Wir haben nicht nur Parallelgesellschaften, wir haben auch Gegengesellschaften."[7] Eine alternde, schrumpfende, depressive deutsche (europäische) Bevölkerung steht einer jungen, wachsenden, islamischen Bevölkerung außerhalb Europas und im eigenen Land gegenüber, die weiß, worauf sie wartet und wofür sie kämpft – mit allen Mitteln.

Familie ist Zukunft

Das sind die großen Entwicklungen, innerhalb derer Politik, insbesondere Familienpolitik stattfindet. Wenn wir eine Zukunft haben wollen, dann brauchen

• 1. Männer und Frauen Bedingungen, unter denen sie Eltern werden wollen und

• 2. Kinder und Jugendliche Bedingungen, unter denen sie zu seelisch gesunden, leistungsfähigen Menschen heranwachsen können.

Es gibt keinen Zweifel, dass die Familie – heute muss man sagen: die traditionelle Familie, bestehend aus verheirateten Eltern verschiedenen Geschlechts mit Kindern – die Sozialgestalt ist, die diesen beiden Anforderungen am besten gerecht wird. Es gibt auch keinen Zweifel, dass sich jedes Kind eine traditionelle Familie wünscht und „nachhaltige“ Verletzungen davonträgt, wenn dieser elementare Wunsch nicht erfüllt wird.

Die Folgen des Familienzerfalls zeigen sich in den ständig steigenden Zahlen für psychische Störungen schon bei Kleinkindern, Sprachverfall, Leistungsabfall, Drogensucht, Essstörungen, Gewalttätigkeit und Kriminalität bei Jugendlichen.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) wies bei ihrer Jahrestagung 2007 darauf hin, dass etwa 25% aller Kleinkinder klinisch relevante psychische Störungen aufweisen. Die „Kinder- und Jugendgesundheitsstudie“ des Robert-Koch-Instituts, veröffentlicht im Mai 2007, zeigt, dass bei 20% der Null- bis 17jährigen psychische Auffälligkeiten vorliegen, dass ein Viertel der 11- bis 17-jährigen über regelmäßige Schmerzen klagt, dass 15% der Drei- bis 17jährigen übergewichtig sind. „Unter den untersuchten Risikofaktoren erweisen sich vor allem ein ungünstiges Familienklima sowie ein niedriger sozioökonomischer Status als bedeutsam“, heißt es in der Studie.

Zum traditionellen Familientyp gehören in Deutschland laut Mikrozensus von 2005 drei Viertel aller Familien. Warum überrascht diese Zahl? Weil die traditionelle Familie keine mediale und keine politische Repräsentanz hat.

Familie: Stiefkind der Medien

Die traditionelle Familie kommt in Talkrunden und in Spielfilmen kaum vor. Zum einen wirkt da ein Wahrnehmungsgesetz, von dem jede Hausfrau ein Lied singen kann: Ordnung und Sauberkeit gelten als normal, nur die Unordnung und der Schmutz fallen auf, das heißt: wir schauen auf das Kaputte und sehen gar nicht mehr das noch Tragfähige. Zum andern liefern intakte Familien einfach nicht den Stoff für hohe Einschaltquoten. Durch die Medien wird das Kaputte zum alltäglichen Vor-Bild und soll nun durch Umdeutung und Entkernung des Familienbegriffs in allen Parteiprogrammen zur Normalität erhoben werden.

Familie: Stiefkind des Staates

Die traditionelle Familie ist das Stiefkind von Vater Staat, zur Zeit verheiratet mit Mutter von der Leyen, und wie das bei Stiefkindern so ist, sie wird nicht angeschaut, kommt nicht zu Wort, wird materiell benachteiligt, ja ausgehungert.

Alle verlieren dabei: die Mütter, die Väter, die Kinder. Ergebnis: Die Familie geht kaputt. Das Lebensziel Familie ist immer schwerer zu verwirklichen, weil die Struktur der Sozialsysteme und der Steuergesetzgebung die Familie massiv benachteiligt.

Das Grundproblem ist: Der Staat begünstigt die Kinderlosen und benachteiligt Familien mit Kindern. Fachleute sprechen von „Transferausbeutung der Familien“. Was damit gemeint ist, ist leicht zu verstehen: Jeder Mensch braucht zweimal im Leben Unterstützung: als Kind und im Alter, auch die Singles. Diese allerdings zahlen nur einmal, weil sie keine Ausgaben für Kinder haben. Um dieses Thema wird der zukünftige Generationenkampf toben, wenn sich die Jungen weigern werden, die Rente von alten Leuten zu bezahlen, die auf ihre Kosten vergleichsweise in Saus und Braus gelebt haben.

Schon jetzt sind es die Kinder und Jugendlichen, die die Zeche zahlen. Innerhalb eines Jahres, von 2005 bis 2006, stieg die Zahl der Kinder unter 15 Jahren, die von der Sozialhilfe leben, um mehr als 10% an.[8] Seit fünfzehn Jahren mahnt das Bundesverfassungsgericht den Staat, Familiengerechtigkeit herzustellen – vergeblich. Der Staat weigert sich zu tun, wozu ihn das Grundgesetz (Art. 6,1) verpflichtet, welches Ehe und Familie „unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ stellt.

Kinderwunsch?

Damit Frauen Mütter werden wollen und können, brauchen Sie Wertschätzung, Zeit und Geld. Seit Vater Staat zunehmend an die Stelle des Ehemanns und Vaters tritt, mangelt es an allem: an Wertschätzung, an Zeit und an Geld. Es scheint, dass die Frauen keinen guten Tausch gemacht haben. Sie verlieren die Lust am Kinderkriegen, wenn sie

1. dafür missachtet werden,

2. keine Zeit haben, weil sie Geld verdienen wollen oder müssen,

3. nicht genügend Geld verdienen können, weil sie Zeit für die Kinder brauchen.

14,6% der Frauen und 26,3% der Männer wollen im Jahr 2005 keine Kinder; sie wollen das Leben, das sie selbst empfangen haben, nicht weitergeben.[9] Immer mehr können es nicht, obwohl sie wollen. Statt die Grundstrukturen des Sozial- und Steuersystems so zu verändern, dass Familiengerechtigkeit entsteht, soll nun noch der letzte Rest an Produktivität aus den Frauen herausgequetscht werden, indem sie ihre Kinder bereits mit einem Jahr dem Staat übergeben und frei werden für die Erwerbstätigkeit.

Krippenpropaganda

Um das zu erreichen, kämpft Familienministerin Ursula von der Leyen für die Erhöhung der Krippenplätze auf das Dreifache, nämlich auf 750.000.

Sie tut es mit Argumenten, die sich bei näherer Betrachtung als Propaganda erweisen, das heißt um Verschleierung der eigentlichen Ziele durch falsche Angaben. Das pfeifen inzwischen die Spatzen von den Dächern.

• 1. Um die von der Ministerin angestrebte Versorgungsquote mit 35% Krippenplätzen zu erreichen, sind nicht 500.000 neue Krippenplätze nötig, sondern maximal 220.000.[10] Das ergibt die schlichte Berechnung des Bedarfs aufgrund der zu erwartenden Geburtenzahlen Die Ministerin zielt also auf eine Abdeckungsrate von circa 60%.

• 2. Laut von der Leyen sollen 500.000 neue Krippenplätze drei Milliarden Euro kosten. Für die Finanzierung weiterer 500.000 Plätze sind aber Einstiegsinvestitionen von 9,5 Milliarden Euro (Berechnungen des Städte- und Gemeindebundes) und jährliche Betriebskosten von ca. 9 Milliarden Euro aufzubringen. Es wären 200.000 neue Erzieherinnen nötig, für die es derzeit keine ausreichenden Ausbildungsplätze an den Fachhochschulen gibt.

• 3. Die Krippenpläne werden mit dem Köder „Wahlfreiheit“ an die Frau gebracht. Es besteht aber keine Wahlfreiheit, wenn die Existenz der Familie nur mit zwei erwerbstätigen Eltern gesichert werden kann, weil durch Steuern und Sozialabgaben eine Familie ab zwei Kindern im Durchschnitt unter die Armutsgrenze rutscht.

• 4. Die Krippenpläne entsprechen nicht den Wünschen der Frauen. Würde man den Frauen 1000 Euro in die Hand geben, die der Staat zur Subventionierung der Krippenplätze mindestens ausgeben muss, würden 69,2% die ersten drei Jahre am liebsten zu Hause bleiben.[11]

• 5. Krippenplätze sollen zur Erhöhung der Geburtenrate beitragen. In der Studie „Nachhaltige Familienpolitik“, die Prof. Bertram im Auftrag des Familienministerium durchgeführt hat, heißt es: Der Mikrozensus zeigt, „dass die Frauen mit einer adaptiven Lebenskonzeption ähnlich wie die Hausfrauen eine höhere Kinderzahl realisieren als die voll erwerbstätigen Frauen.“

• 6. Dass die „Wahlfreiheit“ eine Farce ist, zeigt auch die Ablösung des Erziehungsgeldes durch das Elterngeld. Während das Erziehungsgeld jeder Mutter zwei (früher drei) Jahre lang 300 Euro in die Hand gegeben hat, bekommt sie ab Januar 2007 nur noch ein Jahr lang Elterngeld, und zwar abhängig vom Verdienst, plus zwei Monate, falls der Vater zu Hause bleibt. Bei hohem Einkommen kann das bis zu 1800 Euro monatlich sein. Hat eine Frau kein eigenes Einkommen, weil sie noch im Studium ist oder Kinder großgezogen hat, bekommt sie nur noch ein Jahr lang 300 Euro. Das Elterngeld ist also ein Anreiz, auf der Karriereleiter möglichst hoch zu steigen, bevor man sich zum Kind entschließt. Aber: Je höher die Ausbildung, umso geringer die Kinderzahl. Die besonders häufig kinderlosen Akademikerinnen, denen es gerade an Geld nicht mangelt, wird man mit Geld nicht für die Mutterschaft ködern können.

Politik für Minderheit statt für das Allgemeinwohl

Die Politik unseres Staates dient also nicht den Interessen der Mehrheit der Frauen, der Mütter, der Kinder. Frau von der Leyen macht Minderheitenpolitik und verkauft sie als Allgemeinwohl.

• Begünstigt wird die Familie mit zwei erwerbstätigen Eltern auf Kosten der Alleinverdiener-Familie.

• Begünstigt werden erwerbstätige Frauen auf Kosten der Frauen, deren Beruf Mutter ist.

• Begünstigt wird der Arbeitsmarkt auf Kosten der Mütter und Kleinkinder.

• Begünstigt werden Frauen mit niedriger Geburtenrate auf Kosten der Frauen mit höherer Geburtenrate.

• Begünstigt werden berufstätige Mütter mit hohem Einkommen auf Kosten der Mütter mit geringem oder gar keinem Einkommen.

Abschied von der Rationalität

Wissenschaftliche Rationalität – ein Wert, auf den unsere aufgeklärte Kultur stolz war, wird der Ideologie geopfert. Da es unter der Diktatur des Relativismus keine verbindlichen Werte mehr gibt und deswegen auch keine Möglichkeit, das Allgemeinwohl zu definieren, zerfällt die Gesellschaft in Partikularinteressen, von denen sich jene durchsetzen, die die größte Macht hinter sich haben, u. a. die demokratisch nicht legitimierte Macht der Medien. Weil die Zieldiskussion nicht offen und redlich geführt werden kann, müssen die Fakten verbogen werden.

Wäre das, was tatsächlich geschieht, ein unerwünschter Nebeneffekt, so hätte sich das herumgesprochen und die Politik wäre korrigiert worden. Seit den siebziger Jahren geht die Politik aber kontinuierlich in dieselbe Richtung: die Abschaffung der traditionellen Familie und die Schließung der „sozialen Lücke“, die Simone de Beauvoir vor gut sechzig Jahren gefordert hat. Immer weniger Familie, immer mehr Staat: Von der Krippe in den Pflicht-Kindergarten und von dort in die Ganztagsschule. Der Staat legt die Hand auf die Kinder.

Eltern, deren „natürliches Recht und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht“ die Pflege und Erziehung der Kinder sind (GG Art 6,2) sollte es interessieren, ob die Erziehungsziele des Staates mit ihren eigenen übereinstimmen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Von Gabriele Kuby: (1) Die Gender Revolution. Relativismus in Aktion, 160 S., ISBN 978-3-939684-04-6. (2) Verstaatlichung der Erziehung. Auf dem Weg zum neuen Gender-Menschen, 64 S., ISBN 978-3-939684-09-1.
[2] Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, Reinbek bei Hamburg, 1968.
[3] Die Tagespost, 13.03.2007, S. 3.
[4] Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Einstellungen zu demographischen Trends und zu bevölkerungsrelevanten Politiken, Wiesbaden 2005.
[5] Herwig Birg: Die ausgefallene Generation. Was die Demographie über unsere Zukunft sagt, München 2005, Kap. 8.
[6] Herwig Birg, a.a.O., S. 67.
[7] Wir haben Gegengesellschaften, Interview mit Herwig Birg, in: Die Welt, 27.02.2006.
[8] Spiegel Online, 23.04.2007.
[9] Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, a.a. O., S. 36.
[10] Jürgen Liminski: Wenn es Wahlfreiheit gäbe…, in: Die Tagespost, 31.03.2007. Berechnungen des Heidelberger Familienbüros, 27.03.2007. Siehe www.daserste.de/ichstellemich/faktencheck_leyen.asp, 18.04.2007.
[11] ipsos-Umfrage, siehe www.familie-ist-zukunft.de; Emnid-Studie 4/2004.

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