Ein Papstbuch wird zum Fanal

„Dass der Papst von Jesus spricht, ist in keinster Weise überraschend. Es ist die erste und wichtigste aller seiner Aufgaben. Überraschend ist vielmehr, wie er es tut“, so hieß es bei der offiziellen Präsentation des neuen Papstbuches über Jesus von Nazareth im Vatikan. Denn Benedikt XVI. habe kein lehramtliches Schreiben verfasst, sondern ein Zeugnis für seinen persönlichen Glauben an Christus abgelegt. Alfons Sarrach möchte dies nicht einfach gelten lassen. Für ihn ist das neue Werk von Joseph Ratzinger auf dem Stuhl Petri das „Jesus-Buch des Papstes“ und so werde es auch von den Menschen in aller Welt gelesen werden. Wir freuen uns, dass wir Alfons Sarrach für einen Kommentar gewinnen konnten. Denn er brachte unlängst selbst ein leidenschaftliches Buch über die Zuverlässigkeit des neutestamentlichen Zeugnisses von Jesus Christus heraus. Es trägt den Titel: „Der Jahrhundertskandal. Von der unhaltbaren Kritik an den Evangelien“.[1] Nun fühlt er sich bestätigt und hofft, dass das Buch des Papstes einen neuen Aufschwung in der Theologie, ja eine geistesgeschichtliche Wende herbeiführe. Benedikt XVI. habe in der Finsternis unserer modernen Zeit ein Fackel entzündet, die den Beginn einer neuen Ära ankündigen könnte.

Von Alfons Sarrach

In großer Demut bezeichnet der Papst sein Buch „Jesus von Nazareth“ als „persönliche Suche nach dem Angesicht des Herrn“. Aber es ist weitaus mehr, es ist ein Fanal, das in die Zukunft weist und zum Meilenstein in der Geistesgeschichte werden dürfte. Für einen Papst gibt es kein Privatleben, auch keine private Veröffentlichung. Es ist der Papst, der spricht, als Nachfolger Petri, dazu berufen, „seine Brüder im Glauben zu stärken“.

Historischer und kritischer Scharfsinn

Benedikt hofft, dass der Leser nicht den Eindruck gewinnt, sein Werk sei gegen die moderne Exegese gerichtet, mit anderen Worten, gegen die so genannte historisch-kritische Methode. Damit liegt er goldrichtig. Denn wer sich nach diesem Buch als glaubwürdiger Verfechter dieser Methode erweisen wird, könnte er selber sein. Bei einigen Aspekten der Gestalt Jesu verrät er ein Ausmaß an historischem und kritischem Scharfsinn, den manche radikalen Bibelkritiker in eklatanter Weise vermissen ließen.

Bibelauslegung kann Instrument des Antichristen werden

Ehe er auf wesentliche Züge Jesu zu sprechen kommt, räumt er erst einmal im Vorfeld auf. Nicht umgehen konnte er die willkürliche Aufspaltung der Gestalt Jesu in einen historischen, vorösterlichen Jesus, und einen nachösterlichen „Christus des Glaubens“, der als Entwurf erst in den  nachösterlichen Gemeinden entstanden sein soll. Mit sanfter Ironie stellt er die Frage, wer denn die theologisch genialen Köpfe waren, die in anonymen Gemeinden dieses literarische Christus-Gemälde zustande gebracht haben. Bei aller Vornehmheit lässt er es nicht an deutlichen Worten fehlen. „Bibelauslegung kann in der Tat“ – so Ratzinger in Anspielung an eine Erzählung des russischen Mystikers Wladimir Solowjew – „zum Instrument des Antichrist werden. Aus scheinbaren Ergebnissen der wissenschaftlichen Exegese sind die schlimmsten Bücher der Zerstörung der Gestalt Jesu, der Demontage des Glaubens geflochten worden“.

Der Teufel als „Schriftgelehrter“

Außerordentlich eindrucksvoll erinnert der Papst an die zweite Versuchung Jesu durch den Teufel, in dem dieser sich als Schriftkenner erweist, der den Psalm genau zu zitieren weiß: „Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu hüten auf allen deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt“ (Ps 91,11). Das ganze Gespräch der zweiten Versuchung erscheine förmlich wie ein Streit zwischen zwei Schriftgelehrten. Der Teufel trete als Theologe auf. Eine unmissverständliche Warnung des Papstes vor dem Missbrauch der Heiligen Schrift.

Kreuzigung und Auferstehung – zwei „Vergrößerungsgläser“

In den Spekulationen der liberalen Exegeten war die Kreuzigung Jesu und sein Tod ein Schock für die Jünger Jesu. Die Auferstehung habe es nie gegeben. Sie sei das Produkt der Verzweiflung seiner Anhänger, die sich mit dem schmachvollen Sterben des verehrten Meisters nicht abfinden konnten.

Benedikt dagegen gelingt es zu verdeutlichen, dass Kreuzigung und Auferstehung für die Jünger und Anhänger Jesu gewissermaßen zu zwei Vergrößerungsgläsern wurden, durch die sie die Gestalt Jesu schärfer und genauer zu sehen vermochten, in allen Details und in den großen gewaltigen kosmischen Zusammenhängen. Er nennt es das „neue Sehen“. Mehr noch, er erwähnt die nachösterlichen Gespräche Jesu mit seinen Jüngern. Als geradezu wohltuend empfindet man das klare Bekenntnis zu den 40 Tagen, in denen der Auferstandene sich immer wieder den Jüngern zeigte und sie tiefer in seine Sendung einführte. In den selbstgefälligen Augen  der radikalen Kritiker waren dagegen beide Ereignisse zu Milchglas geworden, durch das sie am Ende vom wahren Jesus nichts mehr erkannten.

Wissenschaftlichkeit schützt nicht vor Irrtümern

Ratzinger sucht in den Berichten der Evangelisten und anderer Schriften nach dem authentischen Angesicht des Herrn. Exegeten der letzten zweihundert Jahre fahndeten in ihnen nach einer Bestätigung ihrer vorgefassten Meinung – und untermauerten damit naturwissenschaftliche Erkenntnisse, dass der Untersuchende das Ergebnis seiner Untersuchung beeinflussen, also auch verfälschen kann. Rudolf Bultmann vor Augen sagt Ratzinger, dass man an seinem Beispiel sehen kann „wie wenig hohe Wissenschaftlichkeit vor tiefgehenden Irrtümern schützen kann“.

Für Benedikt XVI. steht fest, das Große, das Neue und Erregende kommt gerade von Jesus – von der urchristlichen Gemeinde wird es entfaltet, deutlicher erkannt, aber nicht geschaffen. Ein Hinweis auf die Linie von Eta Linnemann, einer Schülerin von Rudolf Bultmann in Marburg, der das Evangelium „entmythologisieren“ wollte. Ihr standen alle akademischen Türen offen. Als sie den Irrtum ihres Lehrmeisters erkannte, warf sie die von ihr verfassten Bücher in den Mülleimer und empfahl ihren Anhängern das gleiche zu tun.

Berichte der Evangelisten von bezwingender innerer Logik

Für Ratzinger sind die Berichte der Evangelisten von bezwingender innerer Logik. Wäre Jesus nur ein Reformator der Tora gewesen, ein charmanter Menschenfreund, ein humanistischer Rebell, hätten die Anschuldigungen für eine Kreuzigung nicht ausgereicht und der römische Statthalter Pontius Pilatus warf genau das den Anklägern vor. Jesus war eben mehr und er hat es bei seinem Verhör in der letzten Nacht vor dem Hohenpriester Kaiphas unmissverständlich bekannt.

Jesus identifizierte sich mit Gott

Bereits am Anfang seines Berichtes bringt Markus einen Vorfall, der keinen Zweifel darüber lässt, dass Jesus sich als Gott ausweisen wollte. Es ist die Erzählung vom Gelähmten, den seine Freunde auf einer Trage vom Dach her dem Herrn zu Füßen gelegt hatten. Statt ein Wort der Heilung zu sprechen, wie es alle erwarteten, sagt Jesus zu dem Leidenden: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ (Mk 2,5). Sünden vergeben kann nur Gott, werfen die anwesenden Theologen ihm vor. Wenn Jesus dem „Menschensohn“ diese Vollmacht zuschreibt, so beansprucht er, in Gottes eigener Würde zu stehen und aus ihr heraus zu handeln. Das bekräftigt er auch gegenüber seinen Gegnern: „Damit ihr seht, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf Erden Sünden zu vergeben, sagt er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm deine Tragbare und geh nach Hause.“

Ähnlich reagiert Jesus – auch schon am Anfang seines Wirkens –, als es um den Sabbat ging. Man warf ihm vor, den Sabbat zu entheiligen, weil er an diesem Tag geheilt hat. Seine Antwort. „Der Menschensohn ist Herr auch über den Sabbat“. Das Gebot, den Sabbat zu heiligen, kam direkt von Gott. Die Schlussfolgerung für alle war klar: Jesus identifizierte sich mit Gott. Darum waren Kritiker bemüht, diese Aussagen als nicht von Jesus stammend zu bezeichnen.

Evangelist Johannes – ein erstklassiger historischer Zeuge

Um die Selbstbezeichnung Jesu – so Ratzinger – hat sich in der modernen Exegese eine ungeheure Debatte entwickelt. Jesus habe sich nie als Gott bezeichnet, so die dreisten Behauptungen. Diesen Irrtum entkräftet der Autor. Und man spürt aus jeder Zeile, wie sehr ihm daran liegt, darauf aufmerksam zu machen, wie klar, wie unzweideutig, wie unmissverständlich vor allem für die damaligen Juden, ihre Führungsschicht und ihre Theologen Jesus sich mit Gott selber identifiziert hat. Und er verweist dabei ausführlich auf die Berichte des Evangelisten Johannes, den die „Schriftkundigen“ der Neuzeit nur zu gern als eine Dichtung aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. verkauft hätten. Aus ihrer Sicht verständlich. Damit hätten sie nämlich der göttlichen Verehrung Jesu, einem Eckpunkt des christlichen Glaubens, die Basis entzogen. Historisch und exakt wissenschaftlich denkende Fachleute der jüngsten Zeit räumen daher Johannes auch eine Vorrangstellung ein, sogar zeitlich gesehen, was die Entstehung betrifft. Benedikt spricht sich entschieden für Johannes als einem erstklassigen historischen Zeugen aus.

Selbstoffenbarung Jesu vom „dienenden Gott“

Mit großer Genugtuung kann man feststellen, wie Benedikt zwei Aspekte der Selbstoffenbarung Jesu herausstellt. Und das zeigt, wie sehr er seine Veröffentlichung als Botschaft an den Menschen von heute versteht, an eine Zivilisation, die immer mehr in der Gefahr steht, sich auf selbstmörderische Weise selbst zu überschätzen.

Zum einen betont Jesus, dass der Gott, den er verkündet und mit dem er sich identifiziert, ein „dienender Gott“ ist: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Der Evangelist Johannes liefert mit seinem Bericht (13,1-17), wie Jesus seinen Jüngern am letzten Abend die Füße wäscht, einen einprägsamen Hintergrund zu den Worten seines Freundes Markus. Ein Gottesbild, mit dem sich bis heute viele nicht abfinden können, die in Gott eher die Verkörperung von Macht und Allmacht sehen möchten, in dessen Namen auch sie Macht ausüben und dienenden Gehorsam einfordern könnten.

Urteil des Hohen Rats: Gotteslästerung

Auf der anderen Seite macht Jesus kein Geheimnis daraus, dass er das letzte Wort in der Geschichte haben wird. Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, um die Welt mit göttlicher Vollmacht zu richten, um ein abschließendes Urteil über das Auf und Ab der Geschichte zu fällen, um alle und jeden einzelnen zur Verantwortung zu ziehen für seinen positiven oder destruktiven Beitrag zu dieser Geschichte.

In dem Bewusstsein, dass er damit sein Todesurteil heraufbeschwört, hat er es vor der höchsten richterlichen Instanz seiner Zeit, vor dem Hohen Rat bekräftigt: „Da wandte sich der Hohepriester nochmals an ihn und fragte: Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? Jesus sagte: Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen. Da zerriss der Hohepriester sein Gewand und rief: Wozu brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was ist eure Meinung? Und sie fällten einstimmig das Urteil: Er ist schuldig und muss sterben“ (Mk 14, 61-64). Die großen Propheten Israels Jesaja und Daniel haben diese Doppelrolle mit „Gottesknecht“ und „Menschensohn“ bezeichnet.

Schlüsselbegriff: „Ich bin es!“

Der Schlüsselbegriff in den Selbstbezeichnungen Jesu sind die Worte: „Ich bin es!“ (Ani hu). Sie mussten jeden jüdischen Zeitgenossen an die Worte Gottes aus dem brennenden Dornbusch an Moses erinnern. Jesus macht sie sich zu eigen. Und die Richter des Hohen Rates zu Jerusalem haben ihn richtig verstanden und Jesus selbst hat dieses sein Selbstbekenntnis in keiner Weise abgeschwächt. Im Gegenteil. Es war sein letztes, großes und entscheidendes Wort an die ganze Menschheit: „Ich bin es.“

Ärgernis für alle totalitären politischen Mächte

Als Markus diese Worte niederschrieb, wusste er, was er tat. Sie waren nicht nur für die führende Schicht der Juden zum Ärgernis geworden, sie stießen auch mit dem Totalitätsanspruch der römischen Kaiser zusammen und werden allezeit – so Ratzinger – mit totalitären politischen Mächten zusammenstoßen, sie werden Christen in die Situation des Martyriums drängen, in die Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten, der nur „vom Holz her“ herrscht.

Der brennende Dornbusch Jesu wurde dann einige Stunden später das Kreuz. Vom Kreuze her hat er das von ihm geoffenbarte Gottesbild bekräftigt: die totale Verfügbarkeit Gottes gegenüber seiner Schöpfung, gegenüber dem Menschen – bis zur Selbstaufopferung.

Der Herr und Meister wird als Weltenrichter erscheinen

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Benedikt XVI. dieses Buch einer selbstgefällig gewordenen Menschheit entgegen hält, als Zeichen der Hoffnung und als Mahnung. Es ist ein Schlussstrich unter die Verniedlichung Jesu, den man gern als „Bruder Jesus“ bezeichnet, und so auch mit ihm umgeht. Einem Bruder gegenüber ist man keine Rechenschaft schuldig, man macht ihn oft zum Komplizen. Er aber wollte als Herr und Meister bezeichnet werden („Ihr nennt mich so und ich bin es“). Jesus, der in inniger Seinsgemeinschaft mit Gott gelebt hat, hat sich als Dienender erwiesen. Um jedoch nicht missverstanden zu werden, hat er seinen Jüngern in dramatischen Worten vor Augen geführt, dass er auch als kommender Weltenrichter nicht unterschätzt werden will: „Denn wie der Blitz von einem Ende des Himmels bis zum anderen leuchtet, so wird der Menschensohn an seinem Tag erscheinen“ (Lk 17,24).

   Die großen Verführer der Welt wollen das menschliche Leben als Endstation darstellen. Benedikt XVI. erinnert die Menschheit daran, dass es eine Zeit der Bewährung ist, mit einem liebenden, einem „dienenden“ Gott als Orientierung, vor dem sich am Ende ein jeder wird verantworten müssen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Alfons Sarrach: Jahrhundertskandal – Von der unhaltbaren Kritik an den Evangelien, 192 S., kart., 10.– Euro, ISBN 978-3-87449-323-9, www.miriam-verlag.de

Fatima ist aktueller denn je!

Erzbischof Dr. Karl Braun ist fest davon überzeugt, dass der Zusammenbruch des atheistischen Kommunismus im Osten dem siegreichen Eingreifen der Gottesmutter zu verdanken ist. Gleichzeitig sieht er im Fall des „Eisernen Vorhangs“ die eindeutige Erfüllung dessen, was von Maria vor 90 Jahren in Fatima vorausgesagt worden ist. Doch deshalb, so unterstreicht Erzbischof Braun, hat die Botschaft von Fatima nichts an Aktualität verloren. Nur auf dem Weg, den Maria dort aufgezeigt hat, kann die Welt Frieden finden. Heute stehen wir neuen Bedrohungen gegenüber, die ebenfalls im Licht der Botschaft von Fatima zu deuten sind. Der Schlüssel zum Frieden ist die Rückkehr zu Christus, eine Neuevangelisierung nach dem Vorbild und mit der Hilfe Mariens.

Von Erzbischof em. Karl Braun, Bamberg

Die Menschheit am Scheideweg

Wir stehen heute – wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte – vor der Alternative: Verantwortungsbewusste Gestaltung oder unverantwortliche Zerstörung unserer Zukunft. Und dies nicht nur im materiellen, sondern besonders auch im geistigen Bereich des Lebens.

Eine der schwersten Belastungen unserer Tage ist für viele die des Sinnverlustes, der Sinnleere. Die Faszination der Zukunft und ihrer Machbarkeit ist der Angst vor ihr gewichen. Diese Angst wird in der Frage laut: Was wird im dritten Jahrtausend der Mensch tun? Wird er sich selbst zerstören? Wird dieses Jahrtausend ein Kampf der Stärkeren gegen die Schwachen sein, der Gesunden gegen die Kranken, der Geborenen gegen die Ungeborenen, der Jungen gegen die Älteren, der Machthaber gegen die Ohnmächtigen?

Es wächst die Flucht in den Rausch, nicht allein des Alkohols, sondern der Drogen, in selbstgeschaffene Scheinwelten des Vergnügens, der Rekorde, des Absurden, in die Sackgassen von Ideologien und Sekten, die wie Pilze aus dem Boden schießen. Das Ausmaß der Säkularisierung als Folge von Wohlstand und religiöser Gleichgültigkeit ist in weiten Bereichen des privaten wie des öffentlichen Lebens in erschreckendem Maße fortgeschritten, die christlichen Wertvorstellungen im familiären, beruflichen und politischen Leben schwinden zusehends, an die Stelle sittlicher Werte tritt die normative Kraft des Faktischen. „So machen es alle“; Schlüsselbegriffe der christlichen Botschaft wie Sünde und Gnade, Erlösung, Heil und Auferstehung finden in vielen Herzen nur mehr ein geringes Echo, die Gebote Gottes werden nicht ernst genommen; die Stimme der Kirche findet im Zuge einer wachsenden Gleichgültigkeit kaum Beachtung. Die Ehrfurcht vor dem Leben des Menschen ist geschwunden. Unsere Gesellschaft, die nicht bereit ist, die ersten Wochen und Monate des ungeborenen, bereits existierenden menschlichen Lebens auch vom Gesetz her zu schützen, ist auf dem besten Weg dazu, ebenso das Leben alter, behinderter und kranker Menschen zur Disposition zu stellen. Wenn menschliches Leben in den ersten drei Monaten getötet werden darf, dann gibt es kein durchschlagendes Argument, warum dies nicht auch in der Folgezeit geschehen darf.

Neues Heidentum

Nach dem Zusammenbruch des marxistischen Kollektivismus im Osten, der so viele Völker ihrer Freiheit beraubt hatte, füllt sich das Vakuum, der entstandene geistige Leerraum mit dem praktischen Materialismus des Westens, der die Menschen nicht weniger versklavt. In weiten Kreisen unserer Bevölkerung gibt es keine Sehnsucht mehr nach dem, was jenseits des täglich sichtbaren Horizontes liegt; das Diesseits wird dem Jenseits vorgezogen. Wir stehen vor einem neuen Heidentum, für das der Glaube an Gott keine Bedeutung hat. Viele unserer Zeitgenossen sind dabei, religiöse Analphabeten zu werden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands gibt es Millionen Bürger, die nichts von Gott gehört haben, nichts von ihm wissen wollen oder den Glauben an Gott entschieden ablehnen. Die Kirche selbst ist bedrängt durch Glaubensschwund, Zwietracht und Spaltungen. Nicht unterschätzt werden dürfen der Einfluss der internationalen Freimaurerei und des Islams, der in den nächsten Jahren mit einem starken Wachstum rechnet.

Europa steht im Begriff, mit seiner mehrtausendjährigen Tradition zu brechen, die Wurzel seiner einstigen Größe, nämlich seinen Glauben an Gott zu verlieren und eine „Stadt ohne Gott“ zu werden. Die Frage steigt bedrängend auf: Wird im dritten Jahrtausend europäischer Geschichte Jesus Christus das Haupt der europäischen Völker bleiben oder wird Gott „den Leuchter“ vom Abendland wegrücken? Soll für uns gelten, was Papst Gregor der Große im Jahre 580 angesichts der Eroberung Roms durch Heidenvölker sagte: „Jetzt ist das Geschlecht heraufgekommen, dessen Bestimmung es ist, ein gewaltiges Erbe versinken zu sehen; ein Geschlecht, das nicht mehr fähig ist, Erbe zu sein“?

In dieser Situation ist eine Neuevangelisierung Europas drängendes Gebot der Stunde. Gemeint ist die Wiedererweckung eines verkümmerten Glaubenslebens, die Vertiefung oft nur noch rudimentär, verschwommen und bruchstückhaft vorhandener Glaubensüberzeugungen, die Hinführung von Nichtglaubenden zum Glauben der Kirche.

Maria geht uns voran

Tiefgreifende Erneuerungen im kirchlichen Leben und mutige Bemühungen um die Ausbreitung des Glaubens nahmen in der beinahe zweitausendjährigen Geschichte unserer Kirche immer Maß am Vorbild der Gottesmutter und wussten sich getragen von der Fürbitte der „Siegerin in allen Schlachten Gottes“.

Maria geht uns auf dem Weg mutiger Hoffnung voran. Mit ihr begann der Weg der Kirche durch die Zeit. Das Evangelium nach Lukas hebt Maria und ihre Beziehung zum Kommen Christi in unserer Welt hervor und verbindet in gleicher Weise die Gestalt Marias mit der Geburt der Kirche. Die Gottesmutter gehört zur Urgemeinschaft der Kirche. „Maria, die ihren Weg des Glaubens und der Liebe in vollkommener Einheit mit Christus ging, teilt von Pfingsten an ihren Weg mit dem der Kirche."[1] Für diesen Weg gilt: „Wenn Christus der Weg des Menschen ist, dann ist Maria die zuverlässige Führerin auf diesem Weg."[2]

Das Leben der Gottesmutter war ein beständiges Pilgern im Glauben an Jesus Christus. Hierin ist sie den Jüngern vorangegangen und geht sie der Kirche stets voran. Darum ist Maria immer dort als Mutter zugegen, wo es um die Wiedergeburt und Erziehung der Menschen zum Glauben geht. Die Jungfrau Maria war nicht nur die Erste, der das Evangelium verkündet wurde (vgl. Lk 1,26-38), sie war auch dessen erste Verkünderin, als sie ihre Verwandte Elisabeth besuchte und die Großtaten Gottes pries (vgl. Lk 1,39-56). Über alle Zeiten hinweg und für alle Menschen gilt ihr weisendes Wort: „Was Er (Jesus) euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5).

Vollkommene Hingabe an Jesus durch Maria

Maria hat sich ganz und gar dem Auftrag Jesu angeschlossen und daran mit mütterlicher Liebe teilgenommen. Sie erweckt in uns ein immer wacheres Bewusstsein, dass wir Verantwortung für das Wachsen des Reiches Gottes im dritten Jahrtausend tragen. In der Schule Marias erlernen wir jenen missionarischen Geist, von dem unser christliches Leben heute mehr denn je erfüllt sein soll.

Grundlegende Voraussetzung für unser Bemühen ist, dass wir wie Maria mit ungeteilter Liebe Jesus anhangen. Diese vollkommene Hingabe an ihn, unseren Herrn, können wir gerade durch Maria, durch unsere Weihe an sie, festigen und vertiefen. Ist es nicht so: Wir zerbrechen uns den Kopf darüber, wie wir die Neuevangelisierung am besten angehen, wir halten Konferenzen und Synoden darüber ab, entwerfen Pläne und Programme und gehen in Betriebsamkeit unter. Dabei vergessen wir: Die Weitergabe des Glaubens ist nicht so sehr eine Frage des Organisierens, Machens und Diskutierens, sondern in erster Linie eine Frage der lebendigen Verbundenheit mit dem Herrn, des Einsseins mit Christus, des „In-Christus-Seins“, des „Wandelns in ihm“, des „Erfülltseins von ihm“ (vgl. Kol 2,6; 2,10). Die Neuevangelisierung soll „nicht in überredenden Worten voll menschlicher Weisheit“ geschehen, „sondern im Erweis des Geistes und der Kraft“, damit sich „der Glaube nicht auf Menschenweisheit“ stütze, „sondern auf die Kraft Gottes“ (vgl. 1 Kor 2,4f.). Wir müssen deshalb wie Maria und mit Maria beständig auf den Herrn schauen und uns von seinem Licht erfüllen lassen. Dann kann es nicht anders sein, als dass wir dieses Licht widerspiegeln, als dass der Funke unserer Christusnähe auf die anderen überspringt und sie den „Vater im Himmel preisen“ (vgl. Mt 5,16).

Helferin in den Stürmen der Zeit

In einem Hirtenwort zur Marienweihe des Bistums Eichstätt am 11. Oktober 1942 schrieb Bischof Dr. Michael Rackl: „Wer die Geschichte der katholischen Kirche aufmerksam betrachtet, kann beobachten, wie in allen wichtigen Ereignissen der Christenheit der Schutz der jungfräulichen Gottesmutter sichtbar und handgreiflich in Erscheinung getreten ist. In Zeiten der Not und Gefahr wandten sich unsere Väter vertrauensvoll an Maria. Die Siege, welche die hl. Jungfrau erstritt, bereiteten die Rückkehr besserer Zeiten vor. So soll es auch in den Stürmen der Gegenwart sein.“

Wir dürfen sicher sein, dass Maria am Beginn des dritten Jahrtausends „mütterlich und teilnahmsvoll anwesend (ist) bei den vielfältigen und schwierigen Problemen, die heute das Leben der einzelnen, der Familien und der Völker begleiten; sie … (ist) die Helferin des christlichen Volkes beim unaufhörlichen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, damit es nicht falle oder, wenn gefallen, wieder aufstehe“.[3]

Aktualität der Botschaft von Fatima

Sicher dürfen wir die Umwälzungen, die im kommunistischen Machtblock stattgefunden haben, auf dem Hintergrund der Botschaft von Fatima und der darin angekündigten Befreiung des Ostens verstehen. Hier haben sich die Voraussagen Marias erfüllt. Viele Millionen Gläubige haben im vergangenen Jahrhundert um die Bekehrung Russlands gebetet und dafür geopfert. Sie haben uns in gewissem Sinn vor dem Abgrund gerettet. Doch ist bei aller Freude und Dankbarkeit zu fragen: Müsste dieser betende, opfernde und sühnende Einsatz nicht größer sein? Wie soll sich Russland vollständig bekehren, wenn hierzulande und in ganz Europa die Zeichen der Umkehr so spärlich sind; wenn nur eine politische und wirtschaftliche, und keine geistige und moralische Neuorientierung erfolgt? Der große Friede kommt nicht ohne unser aller Bekehrung. Umkehr oder nur Transformismus, das ist die entscheidende Frage! Wir dürfen deshalb jetzt die Forderungen von Fatima nicht weniger ernst nehmen als vorher.

Wenn wir nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in vielen Ländern des Ostens „auf den Ruinen dieses neuen babylonischen Turmes der Menschheitsgeschichte"[4] die neue christliche Zukunft Europas aufbauen sollen, dann erfordert dies unser entschiedenes Handeln, aber vor allem auch dessen tragendes Fundament, unser Gebet und Opfer – und dies ganz im Sinn der Botschaft von Fatima. Dies ist heute genauso aktuell und bedeutsam wie vor der sog. „Wende“.

Das Herz Marias als Quelle der Hoffnung

Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht: Sicher ist die Ost-West-Verständigung in Europa von größter Bedeutung für den Frieden. Doch die Konflikte im Nahen Osten machen blitzartig deutlich: Die Zukunft Europas – wenn nicht der Weltfriede überhaupt – ist mit der Zukunft des Nahen Ostens und Israels verknüpft. Auch diese Tatsache ist im Licht der Botschaft von Fatima zu sehen. Mit Papst Johannes Paul II. bitten wir: „Noch einmal zeige sich in der Geschichte … die Macht der erbarmenden Liebe, dass sie dem Bösen Einhalt gebiete! Dass sie die Gewissen wandle! In deinem Unbefleckten Herzen offenbare sich allen das Licht der Hoffnung!“ (13. Mai 1982 in Fatima).

Und dies gilt in besonderer Weise für das Beten des Rosenkranzes. Fatima lehrt uns, die großen Anliegen unserer Zeit einzuschließen: Bekehrung der Menschen zu Gott, Erhaltung des Friedens, Förderung von Ehe und Familie, von Priester- und Ordensberufen. Die schönste Frucht des Rosenkranzgebetes ist die Weihe an die Muttergottes, an ihr Unbeflecktes Herz. Diese Weihe ist Verwirklichung der Taufweihe – durch Maria zu Christus.

Das marianische Gebet und die marianische Aktion sind von größter Bedeutung für die Neuevangelisierung und den Aufbau des Friedens in der Welt. Mit diesen beiden Mitteln leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Bekehrung, wie sie Maria in Fatima fordert. Dabei sind gerade die Marienheiligtümer Ausgangspunkte und Kraftzentren für die Evangelisierung unseres Kontinents.

Neuen Siegen entgegen

Maria ist dem Abendland in seiner wechselvollen Geschichte stets nahe gewesen. Der Sorge ihres mütterlichen Herzens, die sie uns in Fatima so beeindruckend geoffenbart hat, dürfen wir die Trendwende im Ostblock zuschreiben. Im Blick auf die Fürsprache Marias können wir auch künftig darauf vertrauen: Das Gute wird sich mächtiger erweisen als das Böse. Der Säkularisierungsprozess, der gegenwärtig noch mit offenbar ungebrochener Gewalt voranschreitet, wird einen Wandel erfahren, wenn wir nur unverzagt, opferbereit und in unerschütterlichem Glauben das in die Tat umsetzen, wozu uns die Gottesmutter in Fatima aufruft, und wenn wir viele Menschen dafür gewinnen. Es geht letztlich um den Ruf des Evangeliums: Metanoeite! Bekehret euch! Ändert euch!

Kraft dieser ständig neu zu vollziehenden Umkehr zu Gott kann am Beginn des dritten Jahrtausends Hoffnung erstehen und wird wahr werden, was ein tiefgläubiger russischer Christ so zum Ausdruck bringt: „ … Wenn anscheinend alles am Ende profaniert ist, wenn Satan sich vorbereitet, die Ernte einzuholen, gerade dann geschieht das, was kein Computer der Welt hätte voraussehen und erklären können: Alles beginnt von neuem."[5] Und wir dürfen mit Papst Pius XII., dem überzeugten Förderer von Fatima, hinzufügen: Die Kirche, wir Christen gehen „neuen Zielen, neuen Siegen entgegen. Denn so verheißt uns die Mutter Christi: Wer mich findet, der findet das Leben und schöpft das Heil vom Herrn (Spr 8,33)."[6]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Papst Johannes Paul II.: Mittwochskatechese am 30. Juni 1989.
[2] Papst Johannes Paul II.: 17. September 1989, Autostrada del sole.
[3] Papst Johannes Paul II.: Enzyklika Redemptoris mater, Art. 52.
[4] Papst Johannes Paul II.: Prag, 21. April 1990.
[5] Sergej Avercinev: Cose attuali, cose eterne, Verlag Casa die Matriona, Mailand 1989, 108.
[6] Neue Übersetzung: „Wer mich findet, findet Leben und erlangt das Gefallen des Herrn“ (Spr 8,35).

Pater Werenfried und Fatima

Pater Werenfried van Straaten hat mit seiner „Ostpriesterhilfe“ bzw. seinem Hilfswerk „Kirche in Not“ eine unglaubliche Flamme der Nächstenliebe und der Evangelisation entfacht. Es ist nicht übertrieben, wenn wir feststellen: Das Herz seines Werkes bildete die Botschaft der Gottesmutter von Fatima, oder wie es der Bischof von Fatima einmal umgekehrt ausgedrückt hat: Das Werk hat seinen Platz im Herzen der Fatimabotschaft! Der Osteuropa-Expertin Mag. Eva-Maria Kolmann ist es in ihrem sog. „Brief an den Speckpater"[1] auf einzigartige Weise gelungen, das Geheimnis dieser Beziehung zwischen Pater Werenfried und Fatima einzufangen. Die entscheidenden Stellen haben wir nachfolgend zu einem Beitrag zusammengefasst, der in die wichtige Aussage einmündet: Pater Werenfried ging es nicht darum, die orthodoxen Gläubigen zum katholischen Glauben zu „bekehren“, sondern darum, Eintracht und Frieden zwischen den Schwesterkirchen zu fördern.

Von Eva-Maria Kolmann

Versprechen in Todesnot

Als du 1982 einmal nach Afrika geflogen bist, um als geistlicher Assistent in Bukavu dem Kapitel der Priorei der Auferstehung beizuwohnen, hätte die Welt beinahe den Tod des Speckpaters betrauern müssen. Gott sei Dank wissen wir, dass alles gut ausgegangen ist, aber auch heute noch stockt einem der Atem, wenn man liest, wie Du um ein Haar mit dem Flugzeug zerschellt wärest … Der Flug über den Urwald in dem kleinen, einmotorigen Missionsflugzeug sollte mehr als sechs Stunden dauern. Zunächst ging alles gut, aber dann wurde die Lage dramatisch. Der See, an dem Bukavu liegt, war durch Wolken und Nebel Eurem Blick entzogen, das Radar funktionierte nicht mehr, und die Kommunikation mit dem Kontrollturm des Flughafens war abgebrochen, weil aus Mangel an Diesel der Strom ausgefallen war. Ihr hattet keine andere Möglichkeit, als alle drei Minuten durch die Wolken herabzutauchen und zwischen Bergen und Vulkanen den See zu suchen. Zehnmal, zwanzigmal tauchtet Ihr durch die lichte Wolkendecke, aber kein See war in Sicht – überall nur Urwald und Hügel. Du hast den Rosenkranz gebetet. Auf einmal gab ein Loch in den Wolken den Blick auf die Erde frei. Die Entfernung zu einem Berghang: 20 Meter! Eine Hütte flitzte vorbei, die Bewohner flüchteten in Panik ins Freie. Die Maschine streifte fast die Gipfel der Bananenstauden, bevor sie sich gerade noch in den rettenden Himmel emporheben ließ…

Weihe des Werkes an die Gottesmutter von Fatima

Du fragtest Dich, wie lange Ihr wohl schon blindlings zwischen den Bergen herumgeirrt wart. Dich befiel eine seltsame Ruhe. Nach einem Irrflug von anderthalb Stunden konnte das Ende nicht mehr fern sein, und der Treibstoff ging langsam zur Neige. Du dachtest an Mutter Hadewych und ihre Schwestern, die vergeblich auf Dich warten würden, an Deine Mitarbeiter und Wohltäter, die das Unglück aus der Presse erfahren würden… Du hattest keine Angst vor dem Tod, machtest aber der Mutter Gottes ein Versprechen, denn sie war in allen Gefahren Deines Lebens stets Deine sichere Zuflucht gewesen. Ob sie es war, die die Wolken auseinanderriss? Auf einmal erblicktet Ihr den Kivu-See, der in der Sonne glitzerte! Als Ihr am Flughafen gelandet seid, war gerade noch Benzin für 10 Minuten im Tank… Was Du der Mutter Gottes versprochen hattest? Du hattest ihr versprochen, ihr Dein ganzes Werk zu weihen und Deine Wohltäter unermüdlich anzuspornen, täglich mit Dir den Rosenkranz zu beten. Bereits 1967 hattest Du Dein Werk der Mutter Gottes von Fatima geweiht, und nun wiederholtest Du Dein Gebet von damals noch einmal aus ganzem Herzen:

Ja, wir weihen unser ganzes Volk und uns selbst Dir, Maria, Mutter Jesu, allerreinste Jungfrau, mächtige Fürsprecherin, Vorbild aller Menschen, Unbefleckte! Bewahre uns in der Liebe Deines Sohnes, schütze uns vor den Gefahren dieser Welt und führe uns sicher zum Herzen Gottes. Und gib, Mutter, dass, wenn wir durch das dunkle Tor des Todes gegangen sind und vor dem Richterstuhl Deines Sohnes stehen werden – gib, dass wir Dich dort finden mit einem Lächeln in Deinen Augen und dass wir ruhig sagen dürfen: Grüß Dich, Mutter!

Verteidigung der Ehre Mariens

Du hast die Mutter Gottes Dein Leben lang innig geliebt, und den größten Schmerz bereiteten Dir diejenigen Katholiken, die die Verehrung der Heiligen Jungfrau am liebsten abschaffen wollten. Als ein Priester gar zu verkünden wagte, Maria sei möglicherweise eine Dirne gewesen, konntest Du nicht schweigen. Du hast die Ehre der Gottesmutter glühend verteidigt und hast den „geistigen Vandalismus der Religionslehrer und Seelsorger, die das Glaubensbild der Gottesmutter in den Herzen der Gläubigen entstellen, sie ihres Ruhmes berauben, ihre Herrlichkeit verdunkeln, ihr ihre Kinder entfremden und dadurch das weltweite Beten des Ave-Maria zum Verstummen bringen“ als „lebensgefährlich für das Gottesreich“ angeprangert. Damit bist Du nicht nur auf Zustimmung gestoßen, und Du erhieltest so manchen bitterbösen Brief. Selbst Freunde von Dir befürchteten, Dein Werk könne dadurch finanziellen Schaden nehmen. Du aber hast darauf vertraut, dass die Mutter Gottes es nicht zulassen werde, dass auch nur einem einzigen Bruder in Not nicht geholfen werden könne, weil Du zu ihrer Ehre in den Kampf gezogen bist. Und Du wurdest nicht enttäuscht!

In Maria sahst Du Deine eigene Zuflucht und die der ganzen verloren scheinenden Menschheit. In einem Deiner „Echo“-Briefe hast Du geschrieben:

Maria ist unsere Mutter, so schwach, sündhaft und verloren wir auch sein mögen. Ihr blauer Mantel ist so weit, dass es darin für jedes verängstigte Kind wohl noch eine weiche Falte als Unterschlupf gibt. Auch für Euch und Euren Werenfried van Straaten.

Und Du flehtest Deine Leser an:

Werdet darum wie Kinder, die in Todesangst nach ihrer Mutter rufen. Betet den Rosenkranz mit dem Glauben von Kindern und alten Mütterchen!

Kinder Mariens hören auf den Papst

Das Hohngelächter und die Anfeindungen von Seiten sich für „modern“ haltender Christen waren unvorstellbar, aber Du hast Dich nicht beirren lassen, denn Du wusstest:

Überall, wo Menschen guten Willens ihrem (NB: Mariens) Licht folgen, überwindet sie die Finsternis. Sie siegt in der Seele aller, die sich ihr vorbehaltlos anvertrauen. Während das Böse überall zunimmt, gewinnt in ihnen das Gute die Oberhand. Während eine Flut von Sünde die Welt überspült, triumphiert in ihnen Gottes Gnade. Während sich der Irrtum hemmungslos verbreitet, sind sie Zeugen für Gottes Wahrheit. Während Zwietracht die Kirche spaltet, retten sie ihre Einheit durch die Liebe. Während der Papst von Unzähligen verlassen wird, stellen sie sich auf seine Seite, um ihn zu verteidigen. Und während das apokalyptische Tier öffentlich triumphiert, siegt Maria im verborgenen Leben ihrer Kinder.

Und Du hast Deinen Wohltätern zugerufen:

Habt keine Angst! Maria ist bei euch, wenn euch widersprochen wird, weil ihr das totgeschwiegene Evangelium laut verkündet, indem ihr arm, schlicht, keusch und in voller Hingabe an Gott lebt. Sie ist bei euch, wenn ihr auf den Papst hört, dessen Stimme wie die eines Rufenden in der Wüste geworden ist. Sie ist bei euch, wenn ihr keine andere Verteidigung mehr habt als Beten, Schweigen und Verzeihen. Sie ist bei euch, wenn ihr euer Kreuz hinnehmt und Christus folgt.

Leidenschaftliches Bekenntnis zu Fatima

Bereits 1942 hattest Du als junger Ordensmann in Tongerlo von den Fatima-Botschaften erfahren. Dem Aufruf der Gottesmutter: „Helft mir, meine Kinder zu retten!“ bist du Dein Leben lang gefolgt. Die Botschaften von Fatima waren der Wegweiser für Dein Wirken und der rote Faden, der sich durch Dein ganzes Leben zog. Insgesamt hast Du Dein Werk mehrfach feierlich der Mutter Gottes geweiht.

Gabriele Weber aus Ettlingen hat 1997 an der von „Kirche in Not/Ostpriesterhilfe“ veranstalteten Wallfahrt nach Fatima teilgenommen:

Im Jahre 1997 jährten sich zum achtzigsten Mal die Erscheinungen von Fatima. „Kirche in Not“ bot im Oktober eine Flugreise nach Fatima an. Spontan meldete ich mich an und erlebte eindrucksvolle, unvergessliche Tage dort. Einer der Höhepunkte unter anderen war die Ansprache von Pater Werenfried in der Halle von Fatima. Sein Bekenntnis und seine leidenschaftliche Rede vor vielen tausend Menschen begeisterten mich. Nach Beendigung der Veranstaltung setzte sich Pater Werenfried ins Foyer mit seinem Hut, der fast so berühmt wie er selbst ist. Er war umringt von einer Menschenmasse. Es war fast ein Glücksfall für mich, mit meiner Kamera an ihn heranzukommen und einen Schnappschuss einzufangen.

Der Sieg Mariens in Russland

Insbesondere die Worte der Mutter Gottes über die Bekehrung Russlands verbinden Dein Werk seit jeher mit Fatima. Der Bischof von Fatima sagte einmal zu Dir, Dein Werk habe seinen Platz im Herzen der Fatimabotschaft. So wurdest Du eingeladen, am 13. Mai 2000 bei der Seligsprechung der beiden Hirtenkinder Francesco und Jacinta mit Papst Johannes Paul II. in Fatima zu konzelebrieren. Die abendliche Lichterprozession, bei der Du unmittelbar hinter dem Gnadenbild im Rollstuhl durch die Menge von einer Million Pilger geschoben wurdest, gehört zu den Höhepunkten in Deinem Leben. Du schreibst:

Nie habe ich mich mit Maria und ihren einfachen Kindern so verbunden gefühlt wie an diesem Abend im leuchtenden Kerzenmeer von Fatima.

Die Mutter Gottes ließ Dich so manches Wunder erleben, und ganz sicher hast Du bei der Lichterprozession in Fatima an alles das gedacht. Wer hätte zu träumen gewagt, dass Du eines Tages auf dem Roten Platz in Moskau, dem ehemaligen Zentrum des Weltkommunismus, während der Wachablösung vor dem Lenin-Mausoleum öffentlich und ungehindert den Rosenkranz würdest beten können, wie Du es am 13. Oktober 1992, dem Jahrestag des Sonnenwunders von Fatima, zusammen mit einigen Ordensfrauen und Mitarbeitern tatest? Kein Wunder, dass Du Dich an diesem Tag nicht achtzig Jahre alt, sondern viermal zwanzig Jahre jung fühltest… An einem anderen 13. Oktober – nämlich 1989 – wurde Deine Aufforderung, für die kommunistischen Führer zu beten, unzensiert vom staatlichen Fernsehen Jugoslawiens übertragen. Und am 13. Oktober 1991 hast du von Fatima aus zu 40 Millionen Russen über die Botschaften der heiligen Jungfrau sprechen können. Deine Rede wurde vom Staatsfernsehen übertragen, und Du hast dem russischen Volk zugerufen:

Ihr seid Kinder Mariens, der besten Mutter, die man sich vorstellen kann, einer Mutter, die ihre Kinder niemals verlässt. Deshalb hat sie, die die Gläubigen eures Volkes als Muttergottes von Kazan und Patronin Russlands verehren, ihren mütterlichen Blick auf euer Vaterland gerichtet, als sie 1917 in Fatima den Kampf gegen Lenins Revolution aufnahm.

Das Wunder von Radio „Frohe Botschaft“

Und noch ein Wunder geschah. Es begann damit, dass Kirche in Not/Ostpriesterhilfe einen Radiosender für die erste gemeinsame Rundfunkanstalt der orthodoxen und der katholischen Kirche nach Russland schickte. Da das Kommunikationsministerium jedoch zunächst die Lizenz verweigerte, wurde der Sender in einer Lagerhalle untergebracht. Als in der Nacht zum 19. August 1991, dem Jahrestag der vierten Erscheinung von Fatima, in Russland der Putsch der Stalinisten begann, waren alle Radiosender im Land in den Händen der Putschisten. Jelzin versuchte, ohne Lautsprecher und auf einem Panzer stehend zum Volk zu sprechen, aber vergeblich… Er brauchte unbedingt einen Sender! Ein orthodoxer Freund Deines Werkes, ein Mitglied des Parlaments, flüsterte ihm zu: „Ich habe einen!“ Ein Luftwaffenoffizier, ein Anhänger Jelzins, schickte einen LKW, der den Sender – verborgen unter Salat, Tomaten und anderen Lebensmitteln – ins Parlamentsgebäude schmuggelte. Ingenieure installierten den Sender, die Luftwaffe stelle eine Antenne zur Verfügung, und kurz darauf konnte Jelzin die Moskauer Bevölkerung um Hilfe anrufen. Dies war der entscheidende Moment, der zum Scheitern des Putsches führte. Der Ministerpräsident bedankte sich, indem er sofort die Sendeerlaubnis erteilte.

Tausende von Briefen bezeugen die Dankbarkeit der Russen für das religiöse Radioprogramm! Besonders groß war die Resonanz, als von Radio Blagovest („Frohe Botschaft“) verkündet wurde, dass jeder Russe, der darum bitten würde, religiöse Literatur und eine Bibel erhalten würde. Hunderttausende Briefe gingen ein – erst Bittbriefe, dann Dankesbriefe wie dieser:

Ich habe Ihnen aus Kasachstan geschrieben und Sie um Bücher gebeten, aber niemals erwartet, dass Sie mir auch welche schicken würden. Wer macht heute schon noch Geschenke? Aber dann war ich auf der Post und erhielt ein Paket aus dem Westen! Ich war so glücklich, dass ich fast den Kopf verlor. Noch auf der Post öffnete ich das Paket. Sogleich standen viele Leute um mich herum und baten mich, ihnen etwas aus den Büchern vorzulesen. Ich las und las, bis die Post ihre Türen schloss. Die Leute stellten mir viele Fragen über religiöse Dinge, aber ich konnte sie nicht alle beantworten, da ich selbst noch nicht viel darüber weiß. So gab ich ihnen Ihre Adresse und erzählte ihnen auch von Radio Blagovest.

Auch die von Dir ins Leben gerufene Rosenkranzaktion fand ein enormes Echo. Du wolltest im Namen von Versöhnung und Einheit und im Sinne der Botschaft von Fatima gemeinsam mit den orthodoxen Christen den Rosenkranz beten. Dabei ging es nicht darum, die orthodoxen Gläubigen zum katholischen Glauben zu „bekehren“, sondern darum, Eintracht und Frieden zwischen den Schwesternkirchen zu fördern (S. 77-85).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Eva-Maria Kolmann: Danke, Pater Werenfried! Ein Brief an den Speckpater. Vorwort von Joachim Kardinal Meisner, 148 S., zu bestellen (unentgeltlich) bei Kirche in Not – www.kirche-in-not.de

Das allgemeine Priestertum im Licht Fatimas

Seit dem II. Vatikanischen Konzil ist viel vom „allgemeinen Priestertum“ die Rede. Oft erscheint es in Konkurrenz zum „besonderen Priestertum“ und lässt sogar die Grenze zwischen beiden verwischen. Was bedeutet eigentlich das allgemeine Priestertum aller getauften und gefirmten Gläubigen? Auf dem Hintergrund der Spiritualität von Fatima werfen Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel ein kurzes Schlaglicht auf die Thematik.

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

In Fatima wünscht die Gottesmutter, beim Rosenkranzgebet an das Ende jedes Gesätzes den Zusatz anzufügen: „O mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.“ Dieses kurze Gebet führt in die Mitte der Spiritualität von Fatima. Die Gläubigen werden eingeladen, nicht nur für sich zu beten, sondern sich für die Rettung aller Menschen mitverantwortlich zu fühlen. Unterstrichen wird dieser Gedanke der Stellvertretung durch verschiedene Visionen der Seherkinder. Aus ihnen geht hervor, dass das ewige Heil vieler Menschen von den freiwilligen Gebeten und Opfern anderer Menschen abhängt. Papst Pius XII. bezeichnete diesen Zusammenhang im Erlösungswerk als „schaudererregendes Geheimnis“.

Genau in dieser Verwiesenheit der Menschheit auf die Gemeinschaft der Gläubigen kann die Bedeutung des sog. „allgemeinen Priestertums“ erkannt werden. Das Wesen des Priesters besteht darin, dass Gott diesen Menschen auserwählt, um ihn als Werkzug einzusetzen und durch ihn anderen Menschen Segen und Heil zukommen zu lassen. Dies gilt sowohl für das allgemeine Priestertum aller getauften und gefirmten Gläubigen als auch für das besondere Priestertum derer, die durch das Sakrament der Priester- bzw. Bischofsweihe in die Nachfolge der Apostel eingesetzt sind. Worin aber besteht der Unterschied?

Das besondere Priestertum verleiht dem Priester die sog. „apostolische Vollmacht“ für das dreifache Amt des Priesters, des Lehrers und des Hirten innerhalb der Kirche. Er bekommt Anteil an einer göttlichen Autorität, die ihm durch die Handauflegung unmittelbar von Jesus Christus verliehen wird. Dabei wird er seinsmäßig mit Christus vereint, um in seinem Namen, ja „in persona Christi“ die Sakramente spenden zu können und Christus selbst in der Kirche sichtbar darzustellen. Durch diesen priesterlichen Dienst wird die Gemeinschaft der Gläubigen als Kirche konstituiert, als sichtbarer Leib Christi auferbaut. Das besondere Priestertum, das durch nichts ersetzt werden kann, ist in erster Linie auf die Kirche ausgerichtet und steht im Dienst der getauften Gläubigen.

Das „allgemeine Priestertum“ aller Gläubigen aber lässt die Kirche zum Werkzeug in der Hand Gottes für die ganze Menschheit werden. Es ist besonders ausgerichtet auf diejenigen, die außerhalb der Kirche stehen. „Die Kirche ist ja in Christus“, so sagt das II. Vatikanische Konzil, „gleichsam das Sakrament, das heißt das Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Nur in dem Maß als die Gläubigen ihr „allgemeines Priestertum“ ausüben, d.h. sich durch ihr christliches Leben mit Gebet, Opfer und Werken der Liebe für die Rettung aller Menschen und den Frieden unter den Völkern einsetzen, ist die Kirche Sakrament für die Welt. Diese Aufgabe wiederum kann den Gläubigen nicht vom hierarchischen Priestertum abgenommen werden. Es hängt von den Gläubigen ab, inwieweit sie die Gemeinschaft der Kirche zu einem lebendigen Ausdruck des allgemeinen Heilswillens Gottes werden lassen. Fatima nimmt die Gläubigen genau dafür in die Schule, um sie zu einem wirksamen Sakrament für die Welt zu formen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2007
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Argumente gegen die Kinderkrippen-Idee

Die Kinderkrippen-Idee ist für Weihbischof Dr. Andreas Laun eine moderne Variante des Märchens von „des Kaisers neuen Kleidern“. „In eindrucksvoller Klarheit“ habe Bischof Dr. Walter Mixa von Augsburg gegen diese Ideologie seine Stimme erhoben. Während Laun die Verdienste des Augsburger Bischofs herausstellt, warnt er davor, das Thema nun ad acta zu legen. Er setzt sich dafür ein, die begonnene Diskussion zu nützen, um die tatsächlichen Hintergründe ins Bewusstsein zu bringen. Laun sieht „schlagende Argumente“, die jeder am Wohl der betroffenen Menschen Interessierte anerkennen müsste.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Die Ministerinnen in Deutschland und Österreich sind sich derzeit einig, ja sie sind wie besessen von der Idee: Kinderkrippen müssen her, viele, viele, damit die Frauen arbeiten gehen können. Ihre Kinder, so wollen sie die Eltern beruhigen, werden von professionellen Kräften betreut. Dagegen steht der Hausverstand der breiten Mehrheit: Die besten „Profis“ für Babys sind, von tragischen Ausnahmen abgesehen, ihre Mütter. Und die Fachleute bestätigen das, unter anderem angesichts der modernen Gehirnforschung. Nur manche der Politikerinnen wiederholen unermüdlich: Vereinbarkeit von Kinderkriegen und Beruf muss sein, damit die wertvolle Arbeitskraft der Frau der Industrie nicht verloren geht. Aber worum geht es, um das Kindeswohl und das der Mütter, oder um das Wohl der nimmersatten Wirtschaft? Warum nicht die Alternative: „Vereinbarkeit von Kinderkriegen und Leben“, von „glücklichen Kindern“ mit „glücklichen Müttern“ in gesunden Familien? Wäre es nicht die wahre Freiheit, den Müttern das Geld zu geben, damit sie die so wichtige Aufgabe beim Kind erfüllen können – und im Ausnahmefall das Geld haben, um die Fremdbetreuung zu bezahlen?

Der Augsburger Bischof Mixa erhob gegen die flächendeckende Kinderkrippen-Idee in eindrucksvoller Klarheit seine Stimme, auch in einer TV-Diskussion bei Frau Christiansen. Nur 24 Stunden später wurde ich, Weihbischof zu Salzburg, gebeten, im Rahmen der Abendnachrichten mit Frau Ministerin Bures zu streiten – über das dasselbe Programm.

Der sozialistische „Aufschlag“ verläuft immer nach dem gleichen Schema: Ein Notstand wird an Hand von Einzelschicksalen dramatisch dargestellt, es folgt die Behauptung, diese Not sei allgegenwärtig, und dann wird die ideologisch vorgefertigte Lösung angeboten und zugleich mit ihr verkündet, der Staat werde nun, wohltätig wie er eben ist, handeln – flächendeckend, versteht sich, und im Sinn der Ideologie, rasch und ohne Widerspruch zu dulden. Wer dennoch nein sagt, ist „nicht fortschrittlich“, „veraltet“, gehört eigentlich zum Schweigen gebracht, wenigstens dadurch, dass man mit ihm nicht spricht. Die Diskussion flammt nur kurz auf, aber nicht zur Klärung, sondern als Alibi.

So ist es wieder einmal mit den Kinderkrippen. Bischof Mixa meinte: Damit werden Frauen zu „Gebärmaschinen“ gemacht, ein Begriff, der übrigens früher von den Linken in der Abtreibungsdebatte gerne verwendet wurde. Der Unterschied ist offenkundig: Durch Nicht-Abtreiben werden Frauen zu Müttern, nicht zu Gebärmaschinen, aber durch Kinderkrippen werden sie es tatsächlich: Sie bringen die Kinder auf die Welt und geben sie dann fast gänzlich in staatliche Obhut: von der Wiege bis zum Schulende, und das ist dann ohnehin die Zeit, in der sie flügge werden und in den Arbeitsprozess eintreten sollten. Die Elternschaft wird so fast gänzlich auf das „Zur Welt bringen“ reduziert und die Frauen sind in diesem System wirklich bis auf einen kleinen Rest „Gebärmaschinen.“

Bemerkenswert und unübersehbar ist: Das war das Programm in den kommunistischen Systemen, zuletzt in der DDR, und es gibt Studien, die auf die verheerenden psychischen Folgen vieler junger Menschen hinweisen, die daraus entstanden sind. Mit anderen Worten: Das was „man“ sowohl in Deutschland als auch in Österreich jetzt wieder einführen will, ist das kommunistische System, das den Eltern die Kinder wegnimmt und diese nach eigenen ideologischen Ideen formen will. Frauen, das sollte man nicht aufhören laut zu sagen, werden dadurch entmündigt und der Freiheit beraubt wie schon lange nicht mehr. Mütter nicht nur werden, sondern auch sein dürfen sie nicht mehr, man will sie so schnell wie möglich der Industrie-Arbeit zuführen.

Die „Not“, die dieses alte System der Unterdrückung neu legitimieren soll, ist die Schwierigkeiten vieler Frauen und Familien, materiell zu überleben, wenn die Frau bei den Kindern bleibt. Die Antwort ist einfach: Gebt den Müttern das nötige Geld, ein Müttergehalt, oder wie immer man es nennt, es muss nur gerecht und genug sein, damit Frauen und Familien leben können.

Für diesen Vorschlag gibt es schlagende Argumente, wirklich Argumente, die nicht anzuerkennen für einen denkenden, am Wohl der Betroffenen interessierten Menschen eigentlich unmöglich sein müsste, möchte man zumindest glauben. Es sind vor allem die folgenden:

1. Das Wohl der Kinder

Wie schade, dass man nicht die Kinder fragen kann? Fragen nicht, aber sie beobachten und verstehen, was sie sagen würden, wenn sie schon könnten. Ja, es genügt zu sehen, wie gehetzte Mütter ihre Kinder in der öffentlichen Einrichtung abgeben und wie viele von ihnen sich mit Händen, Füßen und Tränen wehren, weil sie unter der Trennung von der Mutter leiden. Warum hört man nicht auf diese Stimme der Kinder, während man gleichzeitig fordert, den Bedürfnissen der Kühe durch einen Laufstall und denen der Hühner durch Feldhaltung entgegenzukommen? Man lese, wie Eva Hermann das „Abgeben“ der Kinder beschreibt,[1] und wage zu behaupten, es sei nicht so!

Es ist vergleichbar dem Altersheim: Auch dort gibt es „professionelle Pflegerinnen“ und doch bleiben die alten Menschen lieber in der eigenen Wohnung und, wenn möglich, bei ihrer Familie.

Was eigentlich schon das natürliche Empfinden in Verbindung mit dem Hausverstand lehrt, nämlich dass Kinder lieber bei den Müttern sind und es für sie so auch besser ist, bestätigt die Psychologin Christa Meves eindrucksvoll von Seiten der Wissenschaft:

„Das gilt es also dringend neu zu lernen: Dass das Gefühl liebevoller Verbundenheit und Anregung das entscheidende Stimulans der Hirnentwicklung sowohl des Intellekts wie auch von jeglicher späteren Motivation, Leistungs-, Gemeinschafts- und Ehefähigkeit darstellt!

Bei den Neurobiologen löste diese Erkenntnis kein geringeres Erstaunen aus als die Entdeckung des Galilei. Nicht durch Dressur in Massenpflege oder gar durch Baby-Partys also, sondern durch die Liebe der Mutter (Bezugsperson) erhält der Mensch Impulse und die Kraft zur Höherentwicklung des Homo sapiens! Streicheln, lächelndes Ansprechen, sanftes Massieren, vor allem aber das Saugen und Sattwerden an der Brust sind die maßgeblichen Anreger! Die positive, konstante, wenig gestörte Mutter-Kind-Beziehung am Lebensanfang – gestützt durch den Vater, durch Großeltern, durch Geschwister und weitere Angehörige der Familie – ist der Garant einer optimalen seelisch-geistigen Entfaltungsmöglichkeit des Menschen! Hier ist die Grundlage! Erst wenn sie möglichst umfänglich gelegt ist, lässt sich im Schulalter darauf eine kognitive Füllung des Gehirns sowie eine Erziehung zu bewusster Mitmenschlichkeit und Verantwortlichkeit aufbauen.“

Und umgekehrt: „Vom Gegenteil der Medaille können wir Psychotherapeuten ein trauriges Lied singen; zumal seit 40 Jahren die frühe natürliche Mutter-Kind-Nähe als nichtig und unnötig erklärt und durch Unangemessenheiten ersetzt wurde: durch die Flasche, durch Isolation und durch Delegieren, welcher Art auch immer. Aber auch dieses ließ sich nun durch die neue Forschung erhärten: Die Stresshormone Adrenalin und Cortison werden ausgeschüttet, wenn das Kind z. B. in seiner ersten Lebenszeit allzu oft und immer wieder von der Mutter getrennt wird. Und es ist neuerdings ein Leichtes, bei Trennungserlebnissen die Angst, den Stress des Babys durch die Erhöhung des Cortisonspiegels im Speichel zu messen. Und so hat sich bald herausgestellt, dass durch immer erneute Trennungen dieser Stresspegel chronisch erhöht bleibt und später seelische und körperliche Beeinträchtigungen vielfältiger Art hervorruft. Auf diese Weise bestätigt sich, was Freud uns bereits ins Stammbuch schrieb und sich durch hundert Jahre psychoanalytische Praxis immer neu bestätigt hat: Dass die Kernneurosen ihren Ursprung in der frühen Kindheit haben. Ja, den Neoanalytikern gelang es dann in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, diesen Hinweis zu differenzieren, indem sie Kategorien der seelischen Erkrankungen je nach der Zeit ihrer Entstehung im Entwicklungsprozess des Kindes ausmachten. Anomalien im Essverhalten und beim Zugreifen z. B. sind danach  ältesten Datums (und damit u.U. Depressionen, Alkoholismus ebenso wie Diebstahlskriminalität), Störungen der Bindung, die ebenfalls in den ersten drei Jahren entstehen, beschwören die Neigung zu Schizoidie, zu Panikattacken, Borderline-Not und anderem seelischen Elend mehr herauf.

Dass Kollektivierung von Kleinkindern als Norm also bereits im Schulalter und erst recht dann im Erwachsenenalter eine schwer revidierbare Minderung der seelischen Stabilität und schließlich der Leistungsfähigkeit in einer so verfahrenden Gesellschaft hervorruft, ist eine berechtigte Schlussfolgerung, die sich übrigens in dem 70jährigen Großexperiment der atheistischen Sowjetunion längst bestätigt hat. Man könnte interpretieren: Die Auflösung der Mutter-Kind-Dyade, wie sie dort geschah, indem man die jungen Mütter kurze Zeit nach der Geburt eines Kindes wieder in die Produktion stellte, verursachte stattdessen Minderung der Leistungsfähigkeit vieler Menschen und damit wirtschaftlichen Niedergang.“

Dass Kinderkrippen im Widerspruch zum Kindeswohl stehen, bestätigen die Erfahrungen sowohl der kommunistischen Sowjetunion als denen, die man in Schweden damit gemacht hat: leidvolle Erfahrungen für alle Beteiligten. Schweden hat das übrigens begriffen und den Kurs radikal geändert. Letzte Nachrichten sagen: „Anders als in Deutschland äfft die neue Regierung nicht das jahrzehntelang praktizierte sozialdemokratische Familienversorgungs-programm nach, sondern schafft ein Stück mehr an tatsächlicher Wahlfreiheit: Ab nächstem Jahr gibt es nicht nur das Recht auf eine dreijährige Elternzeit, sondern zugleich auch eine verbesserte wirtschaftliche Basis dafür. Das bisherige Elterngeld wird dann durch ein Betreuungsgeld bis zum dritten Lebensjahr ergänzt.“

2. Das Wohl und die Freiheit der Frauen, die Mütter sein wollen

Zunächst: Es ist wider jede Vernunft zu behaupten, Frauen seien brennend interessiert daran, doppelt belastet zu sein. Aber die meisten Frauen wollen bei ihren Kindern bleiben können und haben kein sonderliches Interesse, einen in den meisten Fällen mühsamen und eintönigen Beruf auszuüben.

Bei der Diskussion über die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ sollte man sich von einem stillschweigend angenommenen Mythos befreien: als ob jeder Beruf „Karriere“ und „Erfüllung“ wäre. Diese Vorstellung geht an der Realität sowohl der Männer als auch der Frauen vorbei, viele Arbeitnehmer welchen Geschlechtes auch immer, müssen ungeliebte Arbeiten verrichten.

Um es aber vorweg außer Streit zu stellen: Es gibt Fälle, in denen eine Kinderkrippe nötig ist, und es gibt Berufe, die es für die Frauen wünschenswert erscheinen lassen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Richtig, sie sollen die Möglichkeit haben, ihr Kind stundenweise einer Krippe anzuvertrauen. Aber die große Mehrheit der Mütter würde gerne ganz bei ihrem Kind bleiben und es selbst erziehen, wenn sie die Mittel dazu hätten.

Dazu kommt die Absurdität: Die Frau muss ihr Kind abgeben, um das Geld zu verdienen, das sie dann zum Großteil ausgeben muss, um den Krippenplatz zu bezahlen, der ohnehin noch viel mehr kostet. Warum gibt man ihr nicht das Geld und damit die Freiheit zu entscheiden, was sie tun will, angepasst an ihre besondere Lebenssituation?

Das ist, aus der Sicht der Frauen, ein ganz besonders wichtiger Punkt:

Ein Müttergehalt würde den Frauen endlich die Freiheit der Selbstbestimmung geben, es wäre wirklich ein Empowerment of women, wie es vielfach nur heuchlerisch gefordert wird.

Ein weiterer positiver Effekt wäre ein Ende jener Abwertung der „Nur-Mütter“, als ob die mütterlichen Leistungen „nicht der Rede wert“ wären und unvergleichbar mit „wirklicher“ Arbeit! Mutter sein heißt, einen Kleinbetrieb zu managen, und das ist eine kreativere Leistung als so manch anderer Brotberuf.

Frauenministerinnen, die die Frauen möglichst schnell wieder auf einen Arbeitsplatz zurückführen wollen, haben ihren Beruf verfehlt: Sie sollten sich um das Wohl der Frauen kümmern, nicht um die Begehrlichkeiten der Industrie! Es genügte, die Frauen zu fragen, um zu wissen, wo die wahren Interessen der Frauen liegen!

3. Die Kinderkrippen sind unwirtschaftlich

In einer in allen Bereichen von der Industrie bestimmten Welt sollte allein das ein schlagendes Argument für das Müttergehalt sein: Mütter zu bezahlen ist billiger als die Einrichtung und Erhaltung von Kinderkrippen – und die Qualität des „Produktes“ ist besser! Welches Unternehmen produziert seine Ware sehenden Auges teuer und schlecht, wenn es anders ginge? In diesem Fall wäre es gut, ein Kind wie ein „Produkt“ zu betrachten. Und wenn man so weiterdenkt: Der Industrie ist besser gedient mit gesunden, ausgeglichenen Mitarbeitern als mit Menschen, die mit ihren frühkindlichen Störungen ein Leben lang Probleme haben und anderen bereiten.

Dazu kommt noch ein Vorteil: Wenn mehr Frauen bei ihren Kindern bleiben, steigt das Angebot von Arbeitsplätzen, und das wiederum würde die Zahl der Arbeitslosen senken. Auch das wäre ein Gewinn für die Allgemeinheit.

4. Das Kindergeld – Anreiz, Kinder zu gebären, Antwort auf die demographische Krise

Eine Förderung der Mütter würde auch die Bereitschaft zum Kinderkriegen steigern – und Kinder braucht Europa so dringend wie den sprichwörtlichen „Bissen Brot“.

Ganz Europa steht vor einer Art Tsunami als Folge des dramatischen Kindermangels! Wie diesem zu begegnen sei, weiß niemand ganz genau, aber sicher ist, wie jedes Kind versteht, die erste Wichtigkeit, wieder mehr Kinder zu bekommen! Ein Müttergehalt wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung. Denn Frauen, die abgesichert sind, können Kinder gebären und werden sie auch erziehen wollen. Aber Frauen, die die Kinder nur „abgeben“ und dann wieder arbeiten müssen und so nicht einmal die Freuden am Muttersein genießen können, werden weiter keine Lust haben, Kinder zu gebären.

Russland z.B., das ebenfalls an dramatischem Kindermangel leidet, beginnt in dieser Richtung zu handeln: 2006 sagte Premierminister Primakow zu diesem Thema: „Wenn die gegenwärtigen Trends anhielten, würde Russland um die Mitte des Jahrhunderts aufhören zu existieren; die Entvölkerung Sibiriens und der fernöstlichen Landesteile würde ein Vakuum schaffen, in das andere vorstoßen könnten, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern. Der Bevölkerungsrückgang sei für die nationale Sicherheit inzwischen ein Thema von höchster Priorität. Wenn es noch eine ,russische Idee‘ gebe, dann die, wie man das Land vor dem Aussterben bewahren könne.“ Im Mai 2006 verabschiedete die Regierung Putin einen Haushaltsplan, in dem das monatliche Kindergeld drastisch angehoben wurde. Ob die Maßnahme greifen wird, muss die Zukunft erweisen.[2]

5. Wichtig für den Dialog mit dem Islam

Wenn mehr Kinder zur Welt kommen, heißt das auch: Der Dialog mit dem Islam wird leichter, kann auf gleicher Augenhöhe geführt werden, weil „Augen da sind“. Wenn Europa keine Kinder hat, die zudem psychisch gesund sind, brauchen die Muslime mit den Europäern nicht mehr reden, sondern nur tun, was manche ohnehin ankündigen: Sie werden Europa nieder-gebären und dann in Besitz nehmen. Warum auch nicht, warum sollten sie ein leeres Europa nicht übernehmen und warum mit den restlichen Einwohnern mühsame Verhandlungen führen, wenn sie ohnehin die Stärkeren, weil die Überzahl sind?

6. Reduktion der Abtreibungen

Ebenfalls wegen des Kindermangels und nicht auf Grund von moralischen Erwägungen, wird man in absehbarer Zeit auch die Abtreibungsgesetze überdenken müssen – und darum wird man es trotz aller Ideologie auch tun: weil es zu absurd ist, angesichts der verheerenden Folgen des Kinder-Mangels den „Rohstoff“ Kind massenhaft zu vernichten. Es ist so unlogisch und widersinnig, wie wenn man in einem Wüstengebiet die wenigen Brunnen ins Meer ableiten würde!

Verhütung und Abtreibung, dessen wird man sich bewusst werden, verhindern oder vernichten auch Kunden und Mitarbeiter, die die Industrie dringend brauchen wird.

7. Der nötige Diskurs in der Gesellschaft

Lauter Argumente gegen den Vorschlag, vor allem Kinderkrippen einzurichten. Dabei gilt es zu begreifen: Wenn es brennt, fragt ja auch niemand, welcher Partei das Feuer zugehörig ist. So auch hier: Man kann das Thema nicht dem Parteienstreit zum Fraße geben, es muss über alle Parteigrenzen hinweg gesprochen werden. Mehr noch: Alle gesellschaftlich wichtigen Gruppen sollten in einen Dialog zum Wohl der Kinder, zum Wohl der Frauen und zu Gunsten einer guten Zukunft Europas eingebunden werden. Es geht nicht mehr anders.

8. Stimme des Volkes

Es gibt Fragen, die sollen und müssen die Politiker entscheiden, weil zur Antwort viel Sachwissen erforderlich ist, das die breite Masse nicht haben kann. Das ist ein Grund, warum es Berufs-Politiker geben muss. Aber es gibt auch andere Fragen, die fast jeder Mensch beantworten kann. Die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Beziehung ist eine solche Frage, und die Politiker täten gut daran, auf die Menschen zu hören: Darum einige besondere Beiträge, die ich als Antwort auf meinen Kampf gegen „flächendeckende“ Kinderkrippen und meine Forderung nach einem Muttergehalt  erhielt:

Eine Frau: „Ich war bis heute niemals Ihrer Meinung, aber nun kann ich jedes Wort, das Sie im Fernsehen gesagt haben, unterschreiben. Kleinkinder brauchen eine fixe Bezugsperson, im Idealfall die Mutter. Das weiß jeder Entwicklungspsychologe und ist nicht zu leugnen. Auch ich bin für eine Art Müttergehalt. Es muss einfach nur so viel sein, dass Mutter und Kind davon leben können, ohne Existenzängste haben zu müssen. Ein Krippenplatz kostet übrigens ungefähr so viel, wie ich mir ein Müttergehalt vorstelle.“

Ein Mann: „Tatsächlich hat Schweden außer dem Ostblock die längste Tradition von Tagesstätten für Kleinkinder, die durch die Regierung eingerichtet wurden und sich nach 25jähiger Erfahrung heute als das größte soziale und wirtschaftliche Desaster des Jahrhunderts erweisen, Fakt ist, dass in Schweden Jahr für Jahr 100 Kinder Selbstmord begehen. Das ist die gleiche Selbstmordrate wie in Deutschland, wobei Deutschland allerdings eine Bevölkerung von 80 Millionen hat. Viele dieser Kinder sind nicht älter als vier, fünf oder sechs Jahre. Eine steigende Zahl der Kinder verlässt die Schule nach neun Jahren ohne Lese- oder Schreibkenntnisse. Die Lehrer beklagen, dass sie viel Zeit aufwenden müssen, um den Kleinen Betragen und gewöhnliche Dinge beizubringen, wie zum Beispiel ein Hemd zuzuknöpfen, die Schuhe zuzubinden oder Messer und Gabel zu handhaben. Obgleich sich dieses System nach 25-jähriger Praxis in Schweden als ein soziales und wirtschaftliches Desaster herausgestellt hat, soll es europaweit übernommen werden…“

Eine Frau um die 60: „In meiner Jugend war es ein Hauptgrund der Angst vor dem Kommunismus, weil die Kommunisten den Eltern die Kinder früh entziehen wollten, um sie dann staatlich zu indoktrinieren und die Mutter in die Arbeit zu schicken – für meine Eltern eine Horrorvorstellung. Inzwischen weiß man auch um die schlimmen Folgen dieser Zwangserziehung.“ Und meine Gesprächspartnerin fügte hinzu: „Es ist nicht zu fassen, heute, heute haben wir das alles vergessen und wollen wieder denselben Fehler begehen?“

Besonders eindrucksvoll ist ein Brief von Frau Mag. Dwkff. Gregoritsch und Herrn Mag. Ing. Kreuzberger, in dem sie für eine vollkommen neue Familienpolitik eintreten (siehe Beitrag in dieser Nummer).

Die prophetische „Kinderstimme“ aus dem Märchen

Vielfach würde das Kind aus „Des Kaiser neue Kleider“ genügen, das endlich laut und vernehmlich ruft: „Der Kaiser ist ja nackt!“  Diesen Kinderruf der Vernunft und des Hausverstandes braucht unsere Zeit so nötig wie selten zuvor: Waren es früher die absurden Ideen des Rassismus und der Heilung der Welt durch Enteignung und Kollektivierung, heute sind es die maßlose Selbstbestimmung, die Gender-Programme, die „Homoehe“, die Antidiskriminierungsgesetze –  und auch die Ersetzung der Mütter durch „diplomierte Fachkräfte“, die dringend die Kinderstimme brauchen: Denn all diese Ideen sind „nackt“, und sie führen zu schweren Erkrankungen der Gesellschaft. Die „Stimmen“ hätten wir schon, aber noch wollen die Höflinge des Zeitgeistes nicht hören – bis sie irgendwann „fühlen“ werden, ob sie wollen oder nicht!  

Ein besonderes „Kind“, das seine Stimme so eindrucksvoll erhebt, ist Benedikt XVI.: Er spricht in letzter Zeit oft von der „gesunden Vernunft“, die nötig ist für alles, für die Religion und auch für die Politik, weil ohne sie alles entartet, ja auch die Religion. Wir brauchen den Glauben, aber auch die Vernunft!

Das Wichtigste ist jetzt: Nur nicht schweigen, um Gottes willen, nicht schweigen! Jeder hat die Berufung des Kindes im Märchen! Es ist wie bei dem Walfisch, der unter das Polareis geriet und dessen Luftloch einzufrieren drohte: Nur indem er immer wieder auftauchte und das sich bildende Eis zerbrach, konnte er überleben und schließlich wieder ins offene Meer der Freiheit hinausfinden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Eva Hermann: Das Eva-Prinzip, Mü. 2006, 99.
[2] Vgl. Walter Laqueur: Die letzten Tage von Europa, Berlin 2. Aufl. 2006,182.

Plädoyer für eine neue Familienpolitik

In einer Fernsehdiskussion über Kinderbetreuung außerhalb der Familie setzte sich Weihbischof Dr. Andreas Laun nachdrücklich für ein Umdenken in der Familienpolitik ein. Vor allem forderte er eine gerechtere Entlohnung der Leistung von Müttern, die ihre Kinder selbst erziehen. Eine der zahlreichen Reaktionen, die Laun auf sein engagiertes Eintreten im Fernsehen hin erhalten hat, geben wir nachfolgend in leicht gekürzter Fassung wieder.

Von Tatjana Gregoritsch  und Gustl Kreuzberger

Echte Wahlfreiheit für Mütter

Mein Mann und ich sind uns einig in der Überzeugung, dass es eine neue Familienpolitik braucht. Alle bisher gegangenen Wege und Lösungsansätze führten in Sackgassen. Wir sehen die Auswirkungen täglich. Nicht ein neuer, grauenerregender, lebensfeindlicher, fundamentalistischer Sozialismus führt uns weiter, sondern gelebte Werte in der Familie, nicht außerhalb. Weihbischof Laun hatte vollkommen Recht mit seinem Argument der Bevormundung der Frauen. Ich brauche als Mutter echte Wahlfreiheit, das Geld für Betreuungsplätze in meiner Hand zur Erziehung der Kinder. Dann kann ich souverän und respektvoll Kinder in der Familie erziehen. Dann wird meine Arbeit von der Gesellschaft geschätzt.

Angemessenes Honorar für Erziehungsarbeit

Am Tag nach der Fernsehdiskussion kamen die Psychotherapeutin Christa Meves, vielfach ausgezeichnete Familienkämpferin und Wissenschafterin, und die Journalistin Eva Herman zu einem Vortrag nach Klagenfurt. Der Katholische Familienverband hatte eingeladen. Der Saal war berstend voll wie schon am Vorabend in Graz. An die 70 Personen konnten nicht mehr eingelassen werden. Hier wurden Gedanken öffentlich ausgesprochen, von denen ich bereits seit meiner Kindheit überzeugt bin.

Mein Mann hat zu diesem Thema folgende Vorschläge: Nötig sind nicht nur Erleichterungen für Familien, wie es sie bereits gibt. Das ist zu wenig. Wir wollen unsere Kinder nicht nur auf die Welt bringen, um sie dann außer Haus zu geben. Wir wollen sie unsere Werte lehren, nicht die eines fundamentalistischen Sozialismus, wie er ja – wie die Geschichte lehrt – nicht funktioniert hat. Für Frauen soll es nicht nur das Taschengeld „Kindergeld“ geben, sondern eine Umschichtung der staatlichen Ausgaben für Kinderbetreuung soll als angemessenes Honorar für die hoch qualifizierte Leistung, die vollbracht wird, in ihre Hände gelangen. Dies löst sie aus der Abhängigkeit des Familienvaters und dann zumeist Alleinverdieners und lässt sie souverän in Würde als Hausfrau und Mutter agieren, ohne betteln zu müssen oder Bedingungen unterworfen zu sein, die dem Kindeswohl schaden.

Familienfreundliches Klima schaffen

Ein weiterer Vorschlag ist die Erhöhung der Pensionsleistung für Mütter. Für Männer soll es für die Zeit der Kinder-Erziehung ein Zeitfenster flexibler Arbeitszeiten über ein sog. Zeitkonto geben, das sich über die gesamte Lebens-Arbeitszeit erstreckt. Sie könnten vor und nachher mehr, während dieser Zeit jedoch weniger arbeiten. Für Alleinverdiener soll die Lohnsteuer für die Kindererziehungszeit reduziert bis ganz gestrichen werden – als Solidarlösung für die Leistung, die das Aufziehen von Kindern für die Gesamtgesellschaft bedeutet.

Nach unserer Erfahrung aus unser beider Herkunftsfamilien sind wir der Meinung, dass das Aufziehen von Kindern am besten im Rahmen eines Familienbetriebs gelingt. Hier kann auch das Thema pflegebedürftiger Personen im Familienverband am günstigsten gelöst werden. Personen, die nicht in dem Maße arbeitsfähig sind, können hier in Teilzeit tätig sein, oft weit über die offizielle Pensionsgrenze hinweg, und weiter ihren Beitrag zum Sozialsystem leisten. Innovationen zum Wohle aller keimen in einem solch guten Klima, bringen Nutzen für die Gesamtgesellschaft.

Politik muss den Menschen dienen

Die Menschen wollen Familien! Es ist die verpflichtende Aufgabe des Staates, familienfreundliche Strukturen zu ermöglichen und nicht diese um einer längst überholten Ideologie von Kapitalismus und sog. Selbstverwirklichung des Einzelnen willen vollends zu zerschlagen, nur um der Wirtschaft einsame Menschen als willige, das heißt in Wirklichkeit verzweifelte Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die zu jeden Bedingungen arbeiten müssen und über keinerlei Rückhalt verfügen. Dies kommt dem Staat letztlich teuer und zu teuer zu stehen. Es geht nicht um ein Zurück zu früheren Strukturen, die es nicht mehr gibt, sondern um ein neues lebbares Miteinander von Mann und Frau und ebenso von Alt und Jung für eine lebenswerte Zukunft, für eine Wirtschaft, die den Menschen dient, und, nicht umgekehrt, für eine Welt der Werte, der Ethik und Umweltfreundlichkeit, um einen lebenswürdigen Planeten Erde.

Alle bisherigen Wege und Lösungsansätze haben uns in Sackgassen geführt. Es ist hoch an der Zeit, neu zu denken und sich radikal und konsequent für neue Lösungen zum Wohle aller einzusetzen. Politisch betrachtet, fehlt es an einer guten starken Kraft der Mitte. Sie ist da, hat aber nur keine öffentliche Vertretung. Ich persönlich halte wenig von Parteien, umso mehr von Interessensvertretungen, von guten Lobbys – hier gefällt mir sehr, dass die Kirche ihren Standpunkt öffentlich und deutlich ausspricht. In einer Zeit der Säkularisierung ist dies umso wichtiger. In unserem politischen System jedoch wäre es eine Lösung, eine Partei für die Familie zu gründen, eine Partei, in der Hausfrauen anerkannte politische Personen sind und Forderungen einbringen können, in der Väter geschätzt werden für ihre Leistung, die sie in einer langen Arbeitswoche für die Familie erbringen, in der Werte wie Gemeinsamkeit von Mann und Frau selbstverständlich sind – statt einem Gegeneinander, wie es politisch heute erwünscht zu sein scheint.

Öffentliches Auftreten bringt Veränderung

Ich plädiere für Aufstehen, für Briefe an Politiker und Verantwortliche, für mehr Veranstaltungen, offene Diskussionen. Die Zahl der Interessierten ist groß. Es ist den Menschen ein Bedürfnis, darüber zu hören und zu sprechen.

Beim Vortrag von Christa Meves und Eva Hermann war es geradezu bewegend zu sehen, wie Männer und Frauen, Alte und Junge kamen, Eltern mit halbwüchsigen Töchtern gemeinsam zuhörten, junge Mädchen und Burschen, verlobte Paare – ein Querschnitt der Bevölkerung war versammelt! Das Thema ist nicht mehr tot zu schweigen, auch wenn es die Medien versuchen!

Was tun mit den Frauen und Männern der starken Jahrgänge, die nun in den 40ern sind, kinderlos, zumeist allein lebend, eine verlorene Generation der wohlhabenden Tanten und Onkeln? Was ihnen anbieten als Ersatz für Familie, die sie nicht mehr haben können? Wohin kanalisiert man dieses Übermaß an Liebessehnsucht und Ressourcen, die nicht eingesetzt werden? Allein in meiner Umgebung kenne ich allzu viele, die allein leben und nicht wissen, um wen sie sich kümmern, an wen sie sich binden könnten. Soziale Fähigkeiten sind verkümmert, neue zu entwickeln scheint nicht möglich. Die Menschen flüchten sich in altjüngferliche, junggesellenhafte Beschäftigungen, sinnentleert, ohne Zukunft.

Ich freue mich, wenn die Kirche die Frauen unterstützt, damit sie in der Familie mit ihren Männern leben können. Dies birgt auch eine Chance für die Kirche in sich. Doch braucht es noch mehr an entschiedenen Worten im Sinne der Menschen. Es erfolgt immer eine Veränderung, wenn auch in kleinen Schritten! In meiner Zeit in London und Afrika habe ich Ehevorbereitungen erlebt, praxisnah, lebendig und humorvoll, Alpha-Kurse und vieles mehr, was attraktiv ist – mehr davon wäre auch hier gut.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2007
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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