150 Jahre Lourdes: „Meine Last ist leicht!“

Am 11. Februar 2008 werden es genau 150 Jahre, dass in Lourdes die Gottesmutter der hl. Bernadette Soubirous zum ersten Mal erschienen ist. Das Jubiläumsjahr begeht die Kirche offiziell vom 8. Dezember 2007 bis zum 8. Dezember 2008. Papst Benedikt XVI. möchte im Lauf des Jahres selbst den französischen Wallfahrtsort besuchen. Pfarrer Erich Maria Fink und Direktor Thomas Maria Rimmel gehen in ihrem Beitrag auf die Ereignisse von Lourdes ein und deuten sie im Licht des heutigen Bedürfnisses der Menschen nach Heilung. Hinter dem großen Aufruf der Gottesmutter zur Buße erkennen sie ein zentrales Geheimnis des christlichen Glaubens, das sich in die Worte fassen lässt: „Für den, der nicht sündigt, wird alles leicht!“

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Das Wunder von Lourdes

Über fünf Millionen Menschen pilgern jedes Jahr nach Lourdes. Viele von ihnen suchen körperliche Heilung. Mit seiner Quelle stand der Wallfahrtsort von Anfang an im Zeichen der Linderung von Not und Leiden. Unzählige Sonderzüge mit Schwerstkranken bewegen sich Jahr für Jahr aus ganz Europa nach Lourdes. Und immer schwingt die Hoffnung auf ein wunderbares Eingreifen des Himmels mit. Immerhin ist die Quelle offenkundig ein Geschenk der Gottesmutter. Auf eindrucksvolle Weise bestätigen die als echt anerkannten Wunderheilungen das übernatürliche Wirken Gottes an diesem Gnadenort. Etwa 7000 körperliche Heilungen sind in Lourdes registriert bzw. dokumentiert, auch wenn bisher nur 68 von ihnen durch die Kirche offiziell als Wunder bestätigt worden sind, davon in den letzten 30 Jahren vier Fälle. Aber was bedeuten diese Heilungen im Vergleich zu den Abermillionen von Kranken, die in den vergangenen 150 Jahren nach Lourdes gepilgert sind?

Eine Erwartungshaltung ist bei vielen Kranken da. Doch – und das ist das Erstaunliche – bei den Vielen, die trotz ihrer Zuversicht nicht geheilt worden sind, gibt es eigentlich keine enttäuschten Reaktionen. Vielmehr erleben sie eine tiefe innere Zufriedenheit. Mit welcher Ergebenheit die leidenden Menschen ihren Zustand nach einer Lourdes-Wallfahrt annehmen können, betrachtet die Kirche als das eigentliche Geschenk, die typische Gnadengabe dieses Ortes. Nicht die Heilungen, sondern der Friede im Herzen der Pilger kann als das größte Wunder von Lourdes bezeichnet werden.

Der Welttag der Kranken

Papst Johannes Paul II. führte am 13. Mai 1992 mit einem Brief an Kardinal Fiorenzo Angelini, den Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Krankenpastoral, den jährlichen Welttag der Kranken ein. Als Datum wählte er im Blick auf den liturgischen Gedenktag „Unserer Lieben Frau in Lourdes“ ganz bewusst den 11. Februar. Lourdes, wo schließlich am 11. Februar 1993 auch der erste Weltkrankentag feierlich begangen wurde, war für Johannes Paul II. der authentische Ausdruck dafür, wie sich der kranke Mensch an Gott wenden darf. „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet!“, so sagt Jesus in der Bergpredigt (Mt 7,7). Gott verbietet niemandem, der leidet, um Heilung zu bitten. Aber die Antwort Gottes kann verschieden ausfallen. Die Regel ist eben nicht, dass Gott den Betenden von der Krankheit befreit, sondern dass er ihm neue Kraft schenkt und ihn befähigt, sein Leiden anzunehmen.

Wie die Erfahrung in Lourdes zeigt, ist mit der Gnade der Stärkung eines kranken Menschen meist auch eine tiefere Einsicht in den Sinn des Leidens verbunden. Dabei handelt es sich nicht etwa um theologische Erklärungen, welche der Betroffene intellektuell nachvollziehen und wiedergeben könnte. Vielmehr geht es um die innere Gewissheit des Kranken, dass Gott mit seinem Opfer etwas anzufangen weiß, etwas, was sein menschliches Planen und Handeln übersteigt. Der Kranke empfängt einen inneren Frieden, ein versöhntes Gefühl. Er hadert nicht mit Gott, sondern traut ihm zu, dass er als Herr über Leben und Tod weiß, warum dieser Weg des Leidens zum Heil notwendig ist. Intuitiv spürt der Kranke: Es geht nicht nur um mein eigenes Heil! Dabei spielt der Blick auf Jesus Christus eine entscheidende Rolle. Je bewusster und gläubiger der Leidende das Kreuz des Erlösers betrachtet, umso klarer wird ihm, dass die Aufopferung des Leidens ein Dienst an anderen, ja an der ganzen Menschheit darstellt.

Apostolisches Schreiben über den Wert des Leidens

Nicht zufällig hatte Johannes Paul II. bereits im Jahr 1984 sein Apostolisches Schreiben „Salvifici doloris“ über die „heilbringende Kraft des Leidens“ ebenfalls auf den 11. Februar datiert, und zwar mit einem ausdrücklichen Hinweis auf Lourdes. Auf einzigartige Weise zeigt er darin den Wert des menschlichen Leidens auf, wie er sich aus christlicher Sicht erschließt. Johannes Paul II. versucht den Grundgedanken mit der prägnanten Formulierung „Das Evangelium vom Leiden“ (Nr. 25 ff.) einzufangen, auf die er im Lauf seines Pontifikates wiederholt zurückgegriffen hat. Interessanterweise geht er in diesem Dokument zwar ausführlich auf den christlichen „Samariterdienst“ an den Kranken ein, spricht jedoch mit keinem Wort die Möglichkeit an, Gott um Heilung oder Befreiung von seinem Leiden zu bitten. Vielmehr versucht er, dem leidenden Menschen zu helfen, sich auf die Ebene der Liebe emporzuschwingen. Er beginnt ganz unten, nämlich beim natürlichen religiösen Empfinden, welches im Leiden eine Strafe für die Sünden gegen Gott erkennt. Anhand der Offenbarung aber öffnet er Schritt für Schritt den Blick dafür, dass Krankheit und Leiden auch eine Berufung darstellen können, die Gott in besonderer Weise Unschuldigen überträgt.

In das Geheimnis des Leidens als christliche Berufung führt Johannes Paul II. mit den Worten ein: „Die Liebe ist die reichste Quelle für die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Leidens. Diese Antwort ist von Gott dem Menschen im Kreuze Jesu Christi gegeben worden“ (Nr. 13). Und er schließt das gesamte Dokument mit dem Wunsch an die Kranken ab: „Wir bitten euch alle, die ihr leidet, uns zu unterstützen. Gerade euch, die ihr schwach seid, bitten wir, zu einer Kraftquelle für die Kirche und für die Menschheit zu werden. Möge in dem schrecklichen Kampf zwischen den Kräften des Guten und des Bösen, der sich vor uns in der heutigen Welt abspielt, euer Leiden in Einheit mit dem Kreuze Christi siegen!“ (Nr. 31) Der Gedanke vom Wert des angenommenen Leidens für die ganze Welt klingt auf entsprechende Weise im genannten Schreiben zur Einführung des Welttags der Kranken an. Wie ein roter Faden durchzieht er seither auch die jährlichen Botschaften zum Weltkrankentag.

Das Wort Jesu vom „süßen Joch“

„Christus hat seinen Zuhörern die Notwendigkeit des Leidens nicht verborgen. Er sagte ganz klar: ,Wer mein Jünger sein will ..., nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach‘ (Lk 9,23)“ – mit diesem Hinweis gibt Johannes Paul II. in „Salvifici doloris“ die Richtung an (Nr. 25). Jesus hat nicht versprochen, uns das Kreuz abzunehmen, sondern er hat uns zur Nachfolge aufgerufen. Und Nachfolge – wie er selbst sagt – bedeutet an erster Stelle, sein Kreuz auf sich zu nehmen. Es gibt sehr unterschiedliche Kreuze. Aber in der Mehrzahl ist das tägliche Kreuz der Menschen mit deren Krankheiten verbunden. Wenn gewisse religiöse Gruppen den Gläubigen heutzutage verkünden: „Jesus will dich heilen, du musst nur fest genug daran glauben!“, so entspricht diese Art von Verheißung nicht dem Geist des Evangeliums. Als Petrus den Weg der Erlösung in der Gestalt des Leidens nicht akzeptieren will, wird er mit den strengsten Worten zurechtgewiesen, welche Jesus je einem Menschen gegenüber gebraucht hat: „Weg mit dir Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16,23). Genau in dieselbe Richtung zielen die Worte der Gottesmutter an Bernadette Soubirous gleich in der dritten Erscheinung am 18. Februar: „Ich verspreche Ihnen nicht, Sie in dieser Welt glücklich zu machen, wohl aber in der anderen.“ Mit ihrer Höflichkeitsform klingen diese Worte wie ein feierlicher Auftakt zur gesamten Botschaft von Lourdes.

Gewiss hat Jesus den von ihm Geheilten gegenüber immer wieder bekräftigt: „Dein Glaube hat dir geholfen!“ (vgl. Mk 5,34). Aber seine Wunder waren in erster Linie Zeichen, mit denen er die Glaubwürdigkeit seiner Predigt erweisen wollte. Als die Leute zu ihm strömen, nur um geheilt zu werden, zieht er sich zurück und versteckt sich sogar vor ihnen. Denn dazu ist er gar nicht in die Welt gekommen, sondern um allen das Evangelium zu verkünden (vgl. Mk 1,35-39). Und da verspricht er etwas anderes. Was er den Menschen anbietet, geht aus dem tröstlichen Wort hervor, das uns Matthäus überliefert hat: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt.“ Nach dieser Einladung versichert Jesus: „Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Aber auf welche Weise? Er fährt fort: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht“ (Mt 11,28-30). Jesus bietet keine einfache Lösung an, ausdrücklich nicht die Befreiung vom Joch. Aber er führt in das tiefe Geheimnis ein, das Johannes Paul II. ein „seltsames Paradox“ nennt. Wer das Kreuz als Teilhabe am Leiden Christi auf sich nimmt, empfindet es plötzlich als etwa Leichtes, sogar als etwas „Süßes“. Das Kreuz wird zur Quelle von göttlicher Kraft und Stärke (Nr. 23 und 27).

Das Dogma von der „Unbefleckten Empfängnis“ Mariens

Bereits im Jahr 2004 stand Lourdes im Zeichen eines Jubiläums, nämlich der 150-Jahrfeier der Verkündigung des Dogmas von der „Unbefleckten Empfängnis“ Mariens. Für Lourdes spielt dieser Glaubenssatz eine Schlüsselrolle. Bei der sechzehnten Erscheinung am 25. März 1858 hatte Maria endlich kundgetan, wer sie ist. Dreimal hatte sie Bernadette um ihren Namen gebeten, doch zweimal erhielt sie keine Antwort. Erst beim dritten Mal blickte die „Dame“ nach oben, faltete ihre Hände und sagte mit tiefer Ergriffenheit: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis!“ Als sie anschließend dem Pfarrer davon berichtete, fragte dieser: „Es ist also die seligste Jungfrau, die du siehst?“ Da antwortete sie: „Ich glaube nicht. Es ist die Unbefleckte Empfängnis!“ Dies hatte den Pfarrer vollends überzeugt; denn dem einfachen Mädchen war offensichtlich nicht bekannt, dass der Papst vier Jahre zuvor das entsprechende Dogma verkündet hatte.

Zum Jubiläum im Jahr 2004 besuchte Papst Johannes Paul II. selbst als sterbenskranker Pilger das Heiligtum in Lourdes. Und in seiner Botschaft zum Welttag der Kranken dieses Jubiläumsjahres ging er besonders auf das Freisein der Gottesmutter von jeder Sünde ein. Er fragt nach der „Bedeutung der körperlichen und geistlichen Heilungen, die sich an der Grotte von Massabielle ereignen“ und gibt folgende Antwort: „Seit dem Tag, an dem die Jungfrau Bernadette Soubirous erschienen ist, hat Maria an jenem Ort Schmerzen gelindert und Krankheiten geheilt und somit vielen ihrer Kinder das körperliche Wohlbefinden wiedergeschenkt. Weit unvorhersehbarere Wunder hat sie jedoch in den Seelen der Gläubigen gewirkt, indem sie ihre Herzen öffnete für die Begegnung mit ihrem Sohn Jesus als wahre Antwort auf die innerste Sehnsucht des menschlichen Herzens. Der Heilige Geist, der im Augenblick der Menschwerdung des Wortes über sie kam, verwandelt die Seelen zahlloser Kranker, die sich ihr zuwenden. Auch wenn sie die Gabe der körperlichen Heilung nicht erhalten, so empfangen sie stets ein weit wichtigeres Geschenk: die Umkehr des Herzens als Quelle des Friedens und der inneren Freude. Diese Gabe verändert ihr Leben und macht sie zu Aposteln des Kreuzes Christi, Zeichen der Hoffnung auch angesichts der härtesten und schwersten Prüfungen“ (Nr. 3).

„Buße! Buße! Buße!“

Die entscheidende Aussage in dieser Antwort Johannes Pauls II. lautet: „die Umkehr als Quelle des Friedens und der inneren Freude“. Wem wird es möglich, das Kreuz mit Christus anzunehmen? Wer kann sein Joch als süß und seine Last als leicht empfinden? Nur derjenige, der umkehrt, der Buße tut. Es ist eines der großen Themen in der Botschaft von Lourdes. Bei ihrer achten Erscheinung am 24. Februar wiederholte Maria dreimal hintereinander das Wort „Buße“, nachdem sie Bernadette mit sehr ernster Stimme gebeten hatte, für die Sünder zu beten. Bereits am 21. Februar hatte sie mit traurigem Blick zu Bernadette gesagt: „Bete für die armen Sünder, bete für die kranke Welt!“ Ähnlich forderte sie Bernadette schließlich am 27. Februar bei ihrer zehnten Erscheinung auf, für die Sünder zu beten und Buße zu tun. Sie sollte sich nun auf den Knien den Abhang hinaufbewegen und dabei den Boden küssen. Maria sagte: „Küsse die Erde zur Buße für die Sünder!“ Gleichzeitig lud Bernadette die Leute ein, ihr Beispiel nachzuahmen. Mit diesem einfachen Zeichen machte der Himmel deutlich, was Buße bedeutet. Es ist die Demut, die sich vor Gott kleinmacht und ihre Armseligkeit eingesteht, es ist der opfervolle Weg, der nach oben führt, und es ist die Stellvertretung für die Anderen. Nicht umsonst knüpfte Jesus seine Verheißung von der „Ruhe“ an das „demütige Herz“ (Mt 11,29).

Bei ihrer neunten Erscheinung trug Maria dem Mädchen auf, aus der Quelle zu trinken und sich in ihr zu waschen. Doch es war noch gar kein Wasser zu sehen. Da begann Bernadette in der Grotte zu graben. Als es unter ihren Fingern etwas nass wurde, bedeckte sie ihr Gesicht mit der feuchten Erde, sodass sie von vielen Anwesenden für verrückt gehalten wurde. Sehr deutlich erinnert der Vorgang an die Heilung des Blindgeborenen im Johannesevangelium, als Jesus die kranken Augen mit Teig aus Erde und Speichel bestreicht (vgl. Joh 9,6). Mit Schlamm beschmiert zu werden, ist unangenehm, so wie auch das Bekenntnis der Sünden wie zum Beispiel in der Beichte immer Überwindung kostet. Lourdes legt den Finger auf die eigentlichen Wunden der Menschen: Sie müssen ihre Sünden eingestehen und sich bewusst von ihnen abwenden. Nur dann können sie das große Geschenk des inneren Friedens empfangen. Und diese Gnade ermöglicht ihnen, ihre Leiden sogar mit Freude im Herzen anzunehmen. Auch diese Gabe ist eine Heilung: es ist die „geistliche Heilung“, von der Johannes Paul II. spricht. Ein großes Verdienst der charismatischen Erneuerung besteht darin, dass sie genau auf diesen Schlüssel zur inneren Befreiung und ganzheitlichen Heilung des Menschen hinweist. Allerdings ist Lourdes auch ein deutliches Korrektiv für alle, die dabei die körperliche Heilung zu sehr in den Vordergrund rücken.

„Hier will ich eine Kapelle errichtet haben!“

Maria macht in ihrer Botschaft mit einer ganzen Fülle von Hinweisen auf das Geheimnis der Kirche aufmerksam. Dort können die Menschen der eigentlichen Quelle des Lebens begegnen, nämlich Christus. Aber nur wer glaubt, wird ihn dort erkennen und finden. Pfarrer Peyramale forderte von der Erscheinung als Beweis der Echtheit, dass der Rosenstrauch bei der Grotte zu blühen beginnt. Maria erfüllte ihm diesen Wunsch nicht. Vielmehr lenkte sie mit der Selbstbezeichnung „Unbefleckte Empfängnis“ seinen Blick auf die Lehrverkündigung der Kirche. Selbst die eigenartige Geschichte mit den Kräutern kann im Licht des Geheimnisses der Kirche gedeutet werden. Als die Quelle zu fließen beginnt, fordert Maria Bernadette nicht nur auf, zu trinken, sondern fügt gleich zu Beginn hinzu: „Und iss von den Kräutern, die dort wachsen!“ Wie bei der neunten Erscheinung, so kommt sie dieser Aufforderung auch bei der fünfzehnten nach. Die Kräuter erinnern an die Offenbarung des Johannes, wo vom neuen Jerusalem, der Kirche, die Rede ist. „Vom Thron Gottes und des Lammes“ fließt ein Strom, das „Wasser des Lebens, klar wie Kristall“. Entlang dieses Stromes stehen „Bäume des Lebens“, die immerfort Früchte tragen. Und schließlich heißt es: „Die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker“ (Offb 22,1 ff.). Analog hatte bereits der Prophet Ezechiel das Geheimnis der Kirche in der Vision vom neuen Israel angekündigt (Ez 47,1-12). Der Gottesmutter geht es in Lourdes um die reichen Gnadenschätze, die den Menschen im Segensraum der Kirche mit ihren Sakramenten angeboten werden. Deswegen wünscht sie sich auch den Bau einer Kapelle und lädt die Menschen ein, in Prozessionen hierher zu ziehen. Ebenso ist die Quelle selbst, die seit den Tagen der Erscheinung bis heute konstant 122.400 Liter pro Tag liefert, ein Symbol für die Zuverlässigkeit des Erlösungshandelns Christi durch die Kirche.

Interessanterweise erlebte Lourdes den kirchlichen und politischen Durchbruch Ende September 1858, als der Sohn Kaiser Napoleons III. gefährlich erkrankt war und gesund wurde, nachdem ihm eine Hofdame von den Kräutern der Grotte zu essen gegeben hatte. Der Kaiser ließ daraufhin die Grotte öffnen, die seit Juni mit einem hohen Bretterzaun verschlossen war.

Der unversehrte Leib der hl. Bernadette

Bernadette, die 1925 selig und 1933 heilig gesprochen worden ist, bietet mit ihrem Opferleben bis zum ihrem Tod am 16. April 1879 einen beispielhaften Ausdruck der Spiritualität von Lourdes. Bei der siebzehnten Erscheinung am 5. April 1858 hielt sie während der Erscheinung eine brennende Kerze und war so versunken, dass sie die Finger ihrer linken Hand eine Viertelstunde lang in die Flamme hielt. Ein anwesender Arzt bestätigte den Vorgang. Er machte nach der Erscheinung eine Probe. Als er die brennende Kerze in die Nähe ihrer Finger brachte, schreckte sie sofort zurück, während die Hand bei der Erscheinung ohne das geringste Anzeichen einer Verbrennung blieb.

Wir können auch diesen Vorgang symbolisch deuten: Hier in der Welt sind wir dem Feuer von Krankheiten und Leiden ausgesetzt. Solange wir in der Sünde leben und unsere Beziehung zu Gott gestört ist, vermögen wir das Feuer nicht auszuhalten. Wir schrecken zurück. Sind wir aber mit Gott versöhnt, haben wir uns für den Weg der Heiligkeit entschieden, so bleibt unser Herz mitten im Feuer unberührt. Wir können es auf alle Lebensbereiche übertragen und in die Worte fassen: Für den, der nicht sündigt, wird alles leicht! Der unversehrte Leichnam der hl. Bernadette ist wie ein Bote aus der Ewigkeit, der uns die frohe Nachricht verkündet: Selbst der Tod kann uns nicht berühren, wenn wir Jesus auf dem Weg des Kreuzes in die Herrlichkeit der Auferstehung folgen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2008
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Anregungen zum Erlernen der Hoffnung

Der Beitrag von Erzbischof Dr. Ludwig Schick von Bamberg über die neue Enzyklika des Papstes ist mehr als ein Kommentar. Er ist eine wunderbare Anleitung, die Gedanken des Papstes im Leben konkret umzusetzen. Schick greift die „Lernorte der Hoffnung“, wie sie Benedikt XVI. nennt, auf und wendet sie auf die heutigen Probleme an. Er ist überzeugt: Der Papst hat uns mit seinem Schreiben über die Hoffnung Überlebensnotwendiges ins Gedächtnis gerufen! Doch nun kommt es darauf an, die Hoffnung auch wirklich einzuüben.

Von Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg

Hoffnung ist die Frucht der Beziehung zu Gott

In seiner Enzyklika „Spe salvi“ über die Hoffnung behandelt Papst Benedikt XVI. das Thema zunächst im Licht des Neuen Testaments, vor allem der Paulusbriefe. Dem achten Kapitel des Römerbriefs ist auch der Titel der Enzyklika entnommen: „Spe salvi facti sumus“ (Röm 8,24) – auf Hoffnung hin sind wir gerettet. Danach geht Benedikt XVI. auf die Tradition der Kirche ein, vor allem zitiert er Augustinus, aber auch den hl. Ambrosius.

Als Quintessenz unterstreicht er, dass aus christlicher Sicht die Hoffnung das Ergebnis bzw. der Ausfluss einer „Beziehung zu Gott“ ist. Das macht der Epheserbrief deutlich, wenn er sagt, dass die Epheser vor ihrer Bekehrung zu Christus „ohne Hoffnung und ohne Gott“ waren (vgl. Eph 2,12). Der Papst schreibt wörtlich: „Leben im wahren Sinn hat man nicht in sich allein und aus sich allein: Es ist eine Beziehung. ... Wenn wir mit dem in Beziehung sind, der nicht stirbt, der das Leben selber ist und die Liebe selber, dann sind wir im Leben. Dann ‚leben‘ wir“ (Nr. 27). Die Frucht dieser Liebesbeziehung zu Gott ist die Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt (vgl. Röm 5,5).

Sicher gibt es Hoffnung auch in dieser Welt. Da aber Hoffnung nach Ewigkeit strebt, kann man letztlich nur von Hoffnung im umfassenden Sinn sprechen, wo es eine Beziehung mit dem ewigen Gott gibt. Deshalb ist der Glaube an den allmächtigen, gütigen und ewigen Gott unabdingbar für die „Hoffnung in Fülle und Vollendung“. Der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal schreibt überzeugend: „Alles, was nicht Gott ist, kann meine Hoffnung nicht erfüllen.“

Innerweltliche Hoffnungskonzepte scheitern

In diesem Sinn geht der Papst auf unsere gegenwärtige Situation ein. Er zitiert die wichtigsten Philosophen, die unser heutiges Denken und auch Handeln bestimmen. Es sind Francis Bacon, dann die Frankfurter Schule mit Theodor Adorno und Max Horkheimer, aber auch Immanuel Kant sowie Friedrich Engels und Karl Marx. Sie stimmen trotz ihrer unterschiedlichen Ausgangspunkte und Ziele darin überein, dass sie sich zwar bewusst sind, dass Hoffnung für das Leben des einzelnen Menschen und der Geschichte unabdingbar ist, aber sie wollen, weil der Gottesglaube fehlt, eine innerweltliche Hoffnung aufbauen und sie als genügend hinstellen. Alle ihre immanenten, „gottlosen“ Hoffnungskonzepte sind gescheitert. Sie können keine wirkliche Hoffnung vermitteln. Der Mensch, der auf sich selbst gestellt ist, der nur innerweltlich seine Hoffnung finden will, scheitert mit seinen Hoffnungskonzepten und -versuchen.

Das ist besonders erschreckend und schrecklich bei Lenin und Stalin deutlich geworden, die den Kommunismus von Marx und Engels in die Praxis umzusetzen versuchten. Sie wollten den Menschen ohne Gott „beglücken“; sie haben ihm in Revolutionen, Gulag und sibirischen Lagern das Unglück bereitet. Nach diesen gescheiterten Hoffnungsentwürfen und -versuchen konstatiert Max Horkheimer in seiner letzten Lebensphase „die Sehnsucht nach dem ganz Anderen“. Ohne Gott kann es keine tragfähige Hoffnung des Menschen geben.

Hoffnung ist „überlebensnotwendig“

Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben. Wenn die Kirche den Menschen „das Leben in Fülle“ bringen soll (vgl. Joh 10,10), muss sie vor allem Hoffnung verkünden. Die Wiederbelebung der Hoffnung ist in unserer Zeit sehr notwendig. Durch Umfragen ist nachgewiesen, dass beinahe 2/3 der jungen Erwachsenen in Deutschland nicht mehr an eine positive Zukunft glauben. Bei den Erwachsenen ist es nicht anders. Viele unserer Probleme in Deutschland und im deutschsprachigen Raum hängen mit dem Mangel an Hoffnung und Zuversicht zusammen. Ich nenne nur einige.

Die Grundproblematik unserer Gesellschaft ist die demografische Entwicklung. Unsere jungen Erwachsenen haben keine oder zu wenige Kinder. Wenn man keine Hoffnung und Zuversicht hat, hat man auch keine Kinder! Der Mangel an Kindern zieht die Überalterung der Gesellschaft, das Einbrechen des so genannten Generationenvertrages und das Wanken der Sozialsysteme nach sich.

Mangel an Hoffnung zerstört die Solidarität

Ein zweiter Problemkreis: Wir leben in einer Zeit der „sozialen Paralyse“. Bürgersinn und soziale Verantwortung nehmen ab. Das hängt mit dem Misstrauen zusammen, das individualisiert. Wenn ein Mensch kein Vertrauen und keine Hoffnung auf eine gute Zukunft hat, dann wird er individualistisch und versucht für sich zu retten, was er retten kann. Das ist schon im Brief des Apostels Paulus an die Philipper gesagt: „Wenn wir an keinen Gott glauben, und daraus Hoffnung schöpfen, dann ist unser Gott der Bauch“ (vgl. Phil 3,18). Im 1. Korintherbrief schreibt Paulus bezüglich des Fehlens der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten und das ewige Leben (vgl. 1 Kor 15,32): „Dann lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ Ohne Hoffnung zerbrechen die sozialen Netze.

Auch der Mangel an Solidarität, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich ist eine Folge der mangelnden Hoffnung und Zuversicht. Hoffnung verbindet und macht solidarisch; sie ist auch eine soziale Tugend. Die jüngst erschienene Bertelsmann-Studie über die Religiosität der Deutschen hat „als Nebenfrucht“ auch erwiesen, dass religiöse Menschen sich häufiger als nichtreligiöse ehrenamtlich engagieren. Die Hoffnung ist eine Frucht des Glaubens und macht solidarisch!

Ursache für Depression und Aggression

Sicher sind auch die zunehmenden psychischen Krankheiten, wie Depression und Aggression, eine Folge von „Hoffnungslosigkeit“. Der Mensch, der spürt, dass er nur auf sich gestellt ist, fühlt sich sehr bald überfordert und wird dann, je nach Veranlagung, depressiv oder auch aggressiv.

Die Hoffnungslosigkeit ist auch eine Ursache für Terror und Kriege. Wenn der Mensch aufgrund eines Mangels an Glaube, Hoffnung und Liebe zu der Überzeugung kommt, dass er alle Probleme seines Lebens, seiner Gesellschaft, seiner Zeit und Welt selber lösen muss, dann neigt er angesichts seiner Machtlosigkeit zur Aggressivität und zum Terror. Hoffnung ist unabdingbar für eine friedvolle Zukunft.

Hoffnung muss eingeübt werden

Der dritte Teil der Enzyklika „Spe salvi“ befasst sich mit den Lernorten der Hoffnung. Ernst Bloch hat den Satz geschrieben: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.“ Dabei dürfen wir als Christen bekennen, dass Hoffnung, wie auch Glaube und Liebe, eingegossene, d.h. von Gott geschenkte göttliche Tugenden sind. Aber auch die von Gott geschenkte Hoffnung muss eingeübt, das heißt gelernt werden.

Hoffnung hat mit Beziehung zu tun. Beziehungen können eingeübt werden. Deshalb kann auch Hoffnung, zumindest indirekt, gelernt werden. Hoffnung ist das Produkt, der Ausfluss, die Frucht und die Konsequenz von guten, geglückten Beziehungen; diese müssen das ganze Leben des Menschen umfassen. Der hl. Augustinus schreibt: „Hoffen heißt, an das Abenteuer der Liebe glauben“, und dann führt er aus: „Vertrauen zu den Menschen haben, den Sprung ins Ungewisse tun und sich ganz Gott überlassen, das ist Hoffnung.“ Er benennt das Beziehungsgeflecht „Mensch und Gott“ sowie „Mensch und Mitmensch“. Hinzugefügt werden muss „die Natur“ und „die Gesellschaft“ und letztlich auch das „eigene Ich“. Ein Mensch kann nur Hoffnung haben, wenn er in diesen fünf Dimensionen gute Beziehungen hat: 1. zu sich selbst, 2. zu den Mitmenschen, 3. zur Natur und Schöpfung, 4. zur Gesellschaft und 5. zu Gott. Es darf keine fehlen. Sie können gelernt werden, so wird das Hoffen gelernt.

In der Beziehung zu sich selbst

Das Kind und der Jugendliche, vor allen Dingen in der Pubertät, müssen lernen, zu sich selbst zu stehen und erkennen, dass sie mit ihren positiven und negativen Seiten wertvoll sind. Das lernt der junge Mensch, wenn mit ihm reflektiert wird, welche Stärken er hat und wie er mit seinen Schwächen zu Rande kommen kann. Bei Kindern, die allein gelassen werden und mit denen man nicht genügend spricht, wird das gesunde, realistische Selbstbewusstsein, die eigene Identität, nicht oder unzureichend entwickelt. Kinder brauchen für den Lernprozess der Identitätsfindung stabile Beziehungen, vor allem in der eigenen Familie und besonders zu den eigenen Eltern. Wo sie fehlen, werden das Erlernen der Beziehung zu sich selbst und damit die Entfaltung von Hoffnung und Zuversicht schwierig. Stabile Ehen und Familien, gute Kindergärten und Schulen sowie Jugendarbeit sind für das Erlernen der Hoffnung unabdingbar.

In der Beziehung zur Natur

Wir sprechen von „den ewigen Bergen“ und vom „unendlichen Meer“. Wir sprechen auch vom „Wunder des Lebens“ bzgl. Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung des menschlichen Lebens. Unsere jungen Menschen erfahren die Natur heute zu wenig. Computer, Fernsehen, Video beanspruchen zu viel Zeit und engen ein. Wer keine Natur-Erfahrungen mehr macht, für den wird Hoffen schwierig. Er erlebt nicht mehr, dass die Schöpfung trägt und nährt und dass das Leben wunderbar gestaltet ist. Gehen wir genügend in die Natur hinaus, machen wir Urlaub in der Natur? Lesen wir Psalm 103 und den Sonnengesang des hl. Franziskus! Das schafft gute Beziehung zur Schöpfung, die Quelle der Hoffnung ist.

In der Beziehung zur Gesellschaft

Der Papst geht ausführlich auf das Tun ein. Die Arbeit in der Gesellschaft und für das Gemeinwohl schenkt Hoffnung. Arbeitslosigkeit bedeutet und bewirkt Hoffnungslosigkeit. Deshalb sind „Ausbildung und Arbeit“ so wichtig. Auch trösten, mitleiden und gegen das Leid erfolgreich angehen, gibt Hoffnung. Aber auch das Ertragen von Leiden und das Annehmen von nicht veränderbaren leidvollen Gegebenheiten sind Orte der Hoffnung, sagt der Papst ausdrücklich. Damit bestätigt er, was Paulus im Brief an die Römer schreibt: „Mehr noch, wir rühmen uns unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen, durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,3-5).

Notwendig ist das Erleben von guten Vorbildern in der Gesellschaft. Vertrauenswürdige Politiker, Manager, Betriebsleiter, Lehrer und Professoren sind für gute Beziehungen zur Gesellschaft wichtig. Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Ehrenamt. Wenn die Ehrenamtlichkeit bei uns abnimmt und unsere Vereine sterben, dann ist das schade für die Gesellschaft, aber auch schade für jeden einzelnen Menschen. Die Ehrenamtlichkeit, das freiwillige Sich-einsetzen, das Mitleben und Mittun in unserer Gesellschaft, macht zuversichtlich und hoffnungsvoll: Ich bin getragen von anderen, freiwillig, unentgeltlich und ohne Vorleistungen; ich kann mich einsetzen und somit zum Wohl aller (zum Gemeinwohl) beitragen. Diese Erfahrung ist wichtig und entscheidend für Hoffnung und Zuversicht. Hoffnung baut sich auf durch „Geben und Nehmen“. Wer gibt, der empfängt. Wer den Mitmenschen in Wort und Tat Hoffnung macht, der empfängt auch Hoffnung.

In der Beziehung zu Gott

Vom sel. Adolph Kolping stammt der Satz: „Wie übel wären wir dran, wenn unsere Hoffnung auf Menschen ruht“. Hoffnung und Zuversicht braucht den Glauben an den gütigen, liebenden und ewigen Gott, denn ohne diese Beziehung gibt es keine Hoffnung, die wirklich trägt. Wenn wir unsere Kinder heute nicht religiös erziehen, sie nicht mehr in den Glauben einüben, dann betrügen wir sie um Gott und damit um die Hoffnung und ein geglücktes Leben. Lernort der Hoffnung ist das tägliche Gebet, abends und morgens, auch dann, wenn es einmal nicht passt oder schwer fällt. Lernort der Hoffnung ist das Lesen der Heiligen Schrift. Im Brief an die Römer heißt es: „Alles, was geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch Geduld und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben“ (Röm 15,4). Das betende Lesen der Heiligen Schrift hält die Beziehung zu Jesus Christus lebendig und ist deshalb Quelle der Hoffnung. Lernort der Hoffnung ist der sonntägliche Gottesdienst, in dem die Beziehung zu Gott für die ganze Woche „aufgefrischt“ wird. Lernorte der Hoffnung sind, dass wir die Wendepunkte unseres Lebens, wie Geburt, Pubertät und Eheschließung mit den Sakramenten der Kirche Taufe, Firmung, kirchliche Trauung umgeben. Ebenso wird eine Krankheit mit dem Sakrament der Krankensalbung und unser Sterben mit der „Wegzehrung“ „hoffnungsvoll“ begleitet. Die Feier der Sakramente, Segnungen und die Verehrung der Heiligen sind wichtige Lernorte der Hoffnung.

Von Theodor Storm, dem deutschen Dichter, stammt die Aussage: „Wir können wohl das Glück entbehren, aber nicht die Hoffnung.“ Und der Märtyrer des Nazi-Regimes Alfred Delp SJ schrieb kurz vor seinem Tod „mit gefesselten Händen“: „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“ Was der Mensch erhoffen darf, so der Papst, zeigt uns Maria, die als „Stern der Hoffnung“ verehrt wird. Sie ist auch die vorausgenommene Erfüllung der Hoffnung in der Ewigkeit, denn sie ist die in den Himmel aufgenommene Königin.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2008
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DVD zum Thema Gender und Homosexualität

Von Weihbischof Andreas Laun

Wer hätte vor Jahren noch gedacht, die Homosexuellen-Bewegung könnte weltweit solche Macht gewinnen, wie sie sie heute besitzt? Viele wagen es gar nicht mehr, das Thema anzusprechen, schon gar nicht kritisch! Das gilt auch für hochrangige Politiker und gleichermaßen Männer der Kirche. Und jetzt ist die Sache noch einen Schritt weiter gegangen: Gender-Mainstreaming heißt die Devise, und sie ist sogar in Religionsbücher der katholischen Kirche „hineingerutscht“. Neulich erzählte mir eine US-Amerikanerin: „Unser“ Arnold Schwarzenegger, Gouverneur in den USA, hat ein Gesetz unterzeichnet, das es dem Lehrer verbietet, von „Vater“ oder „Mutter“ zu sprechen. Begründung: irgendeine von den Gender-Ideologen behauptete Diskriminierung. – Es ist schwer zu glauben, aber Lüge und Dummheit haben scheinbar in Richtung von „Noch mehr“ keine Grenzen. Jesus hat für den Teufel zwei Kennzeichen genannt: Er ist der „Vater der Lüge“ und „Mörder von Anbeginn“. Wenn es einen Beweis bräuchte, unsere Zeit liefert den „Teufelsbeweis“: Gemordet und das Morden schön-geredet wird auf der ganzen Linie, und die Lüge tritt so leicht als Lüge erkennbar auf, dass einem nur schlecht werden kann.

Nun, in dieser Lage kann die Kirche auch keine Wunder wirken, sie kann nur eines tun: Zeugnis für die Wahrheit ablegen. Und wenn sie es in ihrer Sprache tut, dann verstehen es die Menschen auch und sind dankbar. Was ist die „Sprache der Kirche“? Es ist die Sprache der Wahrheit in der Liebe. Nun, in diesem Geist haben Frau Gabriele Kuby und ich versucht, über den Zeitgeist mit seiner Gender- und Homo-Ideologie zu sprechen, und zwar zu sprechen für die Betroffenen, zu ihrem Wohl, nicht als akademische Übung! Das ist gelungen: Ich bekam zwei Briefe mit der Grundaussage: Danke, Herr Bischof, ich verstehe gut, was sie sagen, das hilft mir!

Das Thema ist „nicht jedermanns Sache“! Aber mehr Menschen, als man meinen möchte, haben irgendein persönliches Interesse daran: von der persönlichen Betroffenheit über betroffene Angehörige bis hin zum Unterricht in der Schule. Darum wage ich es, die DVD den Lesern von Kirche heute anzubieten, und bitte für die DVD mit Verpackung und Versand um 10.– Euro.[1]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2008
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[1] Andreas Laun/Gabriele Kuby: Die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität. DVD, 50 min, 10.– Euro. Bestelladresse: Sekretariat Weihbischof Laun, Kapitelplatz 2, A-5010 Salzburg.

Das christliche Fundament der europäischen Kultur

Wie hat das Christentum das Denken in Europa geprägt? Welchen Beitrag hat das Christentum für die europäische Kultur geleistet? Diesen Fragen geht Dr. Martin Cajthaml (Palacky Universität Olmütz) in seinem Beitrag nach. Er arbeitet auf meisterhafte Weise die christlichen Wurzeln Europas heraus, indem er die tragenden Linien der europäischen Geistesgeschichte aufzeigt. Er prägt den Begriff des „europäischen kulturellen Stils“, der versucht, zu Gott und zur Welt „Ja“ zu sagen und damit der schöpferischen und verantwortungsvollen Freiheit des Menschen Raum zu schaffen. Das christliche Fundament der europäischen Kultur leuchtet damit in seiner positiven Einstellung zur aktiven Weltgestaltung auf.

Von Martin Cajthaml

Umformung der griechischen Philosophie

Das Christentum gestaltete die geistigen Wurzeln Europas, indem es das antike geistige Erbe umformte. Die grundlegende Veränderung, die das Christentum in den ersten Jahrhunderten nach Christus bewirkte, besteht in der Entwicklung einer „personenzentrierten“ Auffassung der Wirklichkeit. Griechische Philosophen hatten zwar durchaus erhabene Vorstellungen von der menschlichen Psyche, sie betrachteten die Seele jedoch nur als einen Teil des Kosmos und keineswegs als dessen wichtigsten Teil. Aristoteles und Platin hielten nicht den Menschen, sondern die Gestirne für das Wertvollste. Nach Platon war der Mensch sogar nur ein von den Göttern geschaffenes Spielzeug.

Die christlichen Denker knüpften zwar an die Vorstellungen der griechischen Philosophen an, räumten jedoch dem Menschen eine Stellung im Universum ein, welche für das griechische Denken geradezu unzumutbar war. Die menschliche und göttliche Person wurde im christlichen Denken zum vollkommensten und höchsten Seienden innerhalb der ganzen Wirklichkeit. Diese neue und höhere Stellung des Menschen war nicht primär eine Folge der philosophischen Spekulation. Sie ging vielmehr aus der philosophischen und theologischen Reflexion der jüdisch-christlichen Offenbarung hervor. Bereits im Alten Bund wurde der Mensch als Abbild Gottes aufgefasst. Das Christentum knüpfte an dieser Sonderstellung des Menschen im Alten Bund an und vertiefte sie weiter.

„Person“ als dritter Grundbegriff der Wirklichkeit

In der europäischen Philosophiegeschichte sind drei sog. „metaphysische Paradigmen“ entstanden, d.h. drei Grundbegriffe der Wirklichkeit. Mit Hilfe dieser Grundbegriffe versuchte die Philosophie das eigentliche Fundament der Wirklichkeit im unsichtbaren Bereich zu erfassen. Bereits Aristoteles hatte die Metaphysik mit Ontologie identifiziert, d.h. mit der Lehre des Seins. Doch neuere Arbeiten über die Geschichte der Metaphysik zeigen, dass das metaphysische Paradigma, auf dessen Grundlage sich das griechische Denken herausgebildet hat, nicht die Metaphysik des „Seins“, sondern des „Einen“ war. Das metaphysische Paradigma des Seins, das von Aristoteles auf großartige Weise herausgearbeitet wurde, tauchte erst wieder bei den arabischen Philosophen in der Scholastik (Avicenna, Averoes usw.) und auf verschiedene Weise in der Neuzeit auf. Die christliche Philosophie übernahm sowohl das Paradigma des Seins als auch das Paradigma des Einen und versuchte beide zu verbinden. Dabei herrschte bei den Kirchenvätern das Paradigma des Einen vor, in der Scholastik jedoch das des Seins. Die durch das Christentum angeregte metaphysische Reflexion schuf schließlich ein drittes metaphysisches Paradigma: die Metaphysik der Peron bzw. die personalistische Metaphysik. Dieses Konzept versucht, den Vorrang der menschlichen Person innerhalb der gesamten Wirklichkeit zu begründen. Der metaphysische Grundbegriff der Person ist exemplarisch in der Definition formuliert, wie sie der hl. Thomas von Aquin vorgelegt hat, indem er schreibt: „Persona significat id quod est perfectissimum in tota natura, scilicet subsistens in rationali natura“ (Summa Theologica, I, q. 29, a. 3). Damit spricht er sowohl den axiologischen als auch den ontologischen Primat der Person an, d.h. die bevorzugte Stellung der Person in der gesamten Wirklichkeit, sowohl was ihre Werthaftigkeit als auch was ihre Seinshaftigkeit betrifft.

Positive Bewertung des menschlichen Leibes

Die herausragende Stellung des Menschen in der gesamten Wirklichkeit, die das Christentum mit sich brachte, drückt sich auch in der neuen positiven Bewertung des menschlichen Leibes aus. Die griechischen Philosophen hatten eine vorwiegend negative Haltung: Sie sahen im menschlichen Leib ein Hindernis auf dem Weg der philosophischen Wahrheitserkenntnis und somit auf dem Weg zur wahren Glückseligkeit. Sie fassten den menschlichen Leib – vor allem unter dem Einfluss der sog. „orphischen Religion“ – als „Kerker der Seele“ auf und sahen ihn als vermeintliche Quelle alles Bösen für den Menschen. Obwohl wir Spuren einer solchen Einschätzung des menschlichen Leibes auch bei vielen christlichen Denkern finden, liegt der Grund dafür nicht in der christlichen Lehre als solcher, sondern in dem fortbleibenden Einfluss der heidnischen Philosophien. Denn die menschlichen Leiber sind, wie der hl. Paulus sagt, „Glieder Christi“ und „Tempel des Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,13-20). Die positive Bewertung des menschlichen Leibes hat sein festes Fundament im Glauben an Christi Inkarnation und Auferstehung.

Tieferes Verständnis der menschlichen Freiheit

Unter dem Einfluss des Christentums entwickelte sich in Europa auch ein tieferes Verständnis der menschlichen Freiheit. Damit wurde gleichzeitig der Weg zu ihrer vollkommeneren Verwirklichung geebnet. Während die Griechen und Römer die Freiheit vom Eigentum, vom Bürgerrecht bzw. von eigenen Fähigkeiten ableiteten, besteht für die Christen die eigentliche Quelle der Freiheit in ihrer existenziellen Verankerung in Christus. Dadurch wird die Freiheit jedem zugänglich, auch den niedrigsten sozialen Schichten, während sie in der Antike ein Privileg der Vermögenden war. Nur sie konnten es sich leisten, sich einer freien Tätigkeit zu widmen.

Dieses neue christliche Verständnis befreit den Menschen von der eisernen und unerbittlichen Notwendigkeit der Naturkräfte. Der vorchristliche Mensch war einem unpersönlichen Schicksaal unterstellt, das im ganzen Universum waltete. Bereits der jüdische Glaube an einen Schöpfergott öffnete das in sich geschlossene Universum der vorchristlichen Zeiten, definitiv aber wurde es erst durch Christus aufgesprengt. Die Quelle der christlichen Freiheit ist die Freiheit Gottes selbst, welche in der Souveränität Gottes gegenüber seiner Schöpfung besteht. Diese Freiheit wurde von Christus dem Menschen geschenkt.

Authentische Freiheit für alle Menschen

Es  gab jedoch schon in der vorchristlichen Antike Ansätze zu einem tieferen Verständnis der Freiheit. Das Drama des ewigen Schicksals der Seele, die zwischen dem Guten und dem Bösen wählen muss, ist bereits bei Platon mit beinahe derselben Radikalität und Intensität beschrieben, wie später bei den christlichen Denkern. Auch hier ist schon von der ewigen Rettung des Guten, der ewigen Verdammnis des Bösen und sogar von einer Art „Fegefeuer“ die Rede (Gorg. 524b-526d).

Es existierte also in der heidnischen Antike nicht nur eine Freiheit, die auf Vermögen, Bürgerrecht und eigenen Fähigkeiten beruhte. Trotz dieser Einschränkung aber gilt die These von der neuen Qualität der christlichen Freiheit. Denn erstens fehlt in der Antike der Begriff des freien Willens (liberum arbitrium) und zweitens besteht zwischen beiden Auffassungen ein entscheidender Unterschied: Positiv lösbar ist das Dilemma der Seele bei Platon nur in einem Leben, das voll der Philosophie gewidmet ist (Ep. VII, 340b-341a). Eine solche Lebensweise aber kann nur derjenige wählen, der dank einer „göttlichen Begabung“ mit der Philosophie innerlich verbunden ist und der eine umfassende Erziehung bekommt, an dessen Spitze die Kunst der Dialektik steht. So steht die Möglichkeit eines authentisch freien Lebens nicht allen Menschen offen, sondern nur einer schmalen intellektuellen Elite. Die christliche Freiheit hingegen ist sogar denen zugänglich, die – mit Platons Worten gesagt – ihre Seelen vernachlässigen bzw. zu keiner hohen intellektuellen Leistung fähig sind. Aus christlicher Sicht haben alle Menschen dank Gottes Gnade und Barmherzigkeit Zugang zur authentischen menschlichen Freiheit.

Lineare Auffassung von Zeit und Geschichte

Das Christentum brachte ferner eine neue Auffassung der Zeit und der Geschichte. Sie führte zu einem neuen Bewusstsein der Geschichtlichkeit der Welt und der menschlichen Existenz. Was bereits in der hebräischen Tradition angelegt war, vollendete sich in der Entwicklung des christlichen Denkens. Sein Fundament ist die lineare Auffassung der Geschichte: Die Weltgeschichte wird als Prozess verstanden, der einen Anfang und ein Ziel hat. Die vorchristlichen Überlieferungen deuteten die Geschichte vorwiegend zyklisch, d.h. als eine zyklische Wiederkehr von Dingen und Ereignissen, als einen ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen, wie wir ihn aus der Natur kennen.

 Erst eine lineare Auffassung lässt die Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit der Geschichte begreifen. Geschichte erscheint in dieser Perspektive als ein freies Werk Gottes und des Menschen, als ein Werk freier Personen, die unverwechselbar, unersetzbar und unwiederholbar sind. Diese im christlichen Glauben verwurzelte Betrachtung der Geschichte hängt eng mit der bereits erwähnten höheren Bewertung des Menschen und der neuen Auffassung der Freiheit im Christentum zusammen. Die Geschichte wird zum Drama freier und für ihre Taten voll verantwortlichen einzigartigen und unverwechselbaren Individuen. Ihre Entscheidungen gewinnen in dieser Perspektive ihr wahres Gewicht und ihre ewige Geltung.

Befreiung der Natur aus „heidnischer Sakralität“

Unter dem Einfluss des Christentums verändert sich in der europäischen Geistesgeschichte ebenfalls die Auffassung der Natur. Wie der tschechische Philosoph Karel Vrána schreibt, befreit das Christentum das Verständnis der Natur von der „heidnischen Sakralität“.[1] Für die Heiden war die Natur von göttlichen Kräften durchdrungen. Das Christentum säkularisierte die Natur und zeigte dadurch ihre wahre Gestalt.

Die heidnisch-sakrale Mentalität empfindet die Welt in all ihren Dimensionen als etwas Göttliches. Dadurch wird ihre wahre Gestalt verschleiert und ihr Sein verunstaltet. Die Welt wird im Grunde genommen verkleinert. In der christlichen Sicht dagegen erscheint die Welt größer. Sie wird zwar zunächst „weltlich“ gedeutet, gleichzeitig aber wird sie als Träger einer transzendenten Bedeutung verstanden. Man könnte von einer christlich-sakralen Auffassung der Welt sprechen. Im Unterschied zum Verständnis der heidnischen Sakralität wird die „Weltlichkeit der Welt“ nicht unterdrückt, sondern sie gesteht ihr zu, dass sie sich „autonom“ entfaltet. Gerade dank ihrer freien Entfaltung ist die Welt imstande, auf ihren transzendenten Schöpfer zu verweisen, der hinter ihr steht.

So gilt im heidnisch-sakralen Modell der Wirklichkeit z.B. das Wasser als Sitz dämonischer, dunkler Kräfte, als Reich von Gottheiten. Dadurch wird das Wasser seiner eigenen Wirklichkeit und Weltlichkeit beraubt. Nach der heidnisch-sakralen Symbolik ist es unantastbar und gefährlich. Der Mensch kann seine Gunst nur dadurch erwirken, dass er beispielsweise einen magischen Spruch anwendet. Im christlich-sakralen Modell dagegen wird das Wasser zu einer Schöpfung Gottes und zu einem dem Menschen dienenden Naturelement. Der Mensch gebraucht es frei, er nimmt es in seine Hände und untersucht seine Eigenschaften. Gerade dadurch rettet er aber auch seine wahre Symbolik. Für einen Christen ist Wasser sowohl ein wissenschaftlich erforschbares und erkennbares Element, als auch der Träger einer der Welt transzendenten Bedeutung: Das Wasser ist eben auch Symbol des Lebens, seiner Durchsichtigkeit und undurchdringlichen Tiefe.

Der Mensch als schöpferisches und verantwortliches Wesen

Das Christentum hat mit der Auffassung der Natur auch die des Menschen verändert und gereinigt. Durch den christlichen Glauben gewinnt der Mensch nicht nur eine neue Stellung innerhalb der Wirklichkeit, vielmehr wird er selbst innerlich verwandelt. Er erfährt auf eine neue und tiefere Art und Weise seine Verantwortung für sich selbst, für seinen Nächsten und für die Welt. Er weiß, dass er nicht bloßes Spielzeug eines blinden kosmischen Gesetzes ist, sondern ein freies und verantwortliches Wesen. Aus dem Erleben eines verantwortlichen und freien Willens erwächst die schöpferische christliche Hoffnung, die die Welt nicht als etwas für immer Fertiges ansieht, sondern als etwas, was viele Möglichkeiten für menschliches Handeln offen lässt. Der Mensch darf über die Kräfte der Natur herrschen, er kann das scheinbar Unmögliche wagen.

Die gegenseitige Offenheit zwischen Gott und Welt

Das Christentum veränderte auch das Bild Gottes. Aristoteles beispielsweise fasste Gott als „ersten Beweger“ auf, der „als Subjekt der Liebe“ alles in Bewegung setzt, der aber selbst nicht liebt, weil er nur das denkt, was am Vollkommensten ist, d.h. sich selbst. Obwohl die Texte von Aristoteles über den „ersten Beweger“ zum Erhabensten gehören, was rein philosophisch je über Gott geschrieben worden ist, so bleiben sie für das christliche Empfinden tief unbefriedigend. Mit Pascal gesagt ist der Gott von Aristoteles der Gott der Philosophen und eben nicht der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, d.h. es ist nicht der Gott, der die Herzen derer fühlt, die ihm gehören, der ihnen seine unendliche Barmherzigkeit zeigt, der sich mit der Tiefe ihrer Seelen verbindet und sie mit Demut, Freude, Liebe und Vertrauen erfüllt.

Das christliche Denken erkennt die Offenheit der Welt gegenüber Gott an und die Offenheit Gottes gegenüber der Welt. Dank dieser transzendenten gegenseitigen Offenheit betrachtet das Christentum die Wirklichkeit als offen und dynamisch. Sie ist nicht homogen, statisch und ein für allemal in sich abgeschlossen. Diese Dynamik ist aber auch die Quelle innerer Spannungen. Sie trägt in sich die Voraussetzung für Unruhen und Konflikte zwischen ihren einzelnen Schichten und Komponenten.

Das mutige Programm der europäischen Kultur

Deshalb verlangt das christliche Modell nach einem gewissermaßen heroischen Menschen, einem Menschen, der imstande ist, den Bogen zwischen scheinbar nicht zu verbindenden Wirklichkeiten zu spannen: Gott und Welt, Ewigkeit und Zeit, Geist und Materie, Endlichkeit und Unendlichkeit, Gnade und Natur, Glaube und Vernunft usw. Die europäische Kultur ist ein mutiger Versuch, eine existenzielle Einheit zwischen diesen Gegenpolen der Wirklichkeit herzustellen, die in der christlichen Auffassung von Gott und von der Welt enthalten sind. Die europäische Geschichte ist eine Geschichte erfolgreicher und weniger erfolgreicher Versuche, die existenzielle Einheit zwischen den Gegenpolen zu verwirklichen, d.h. der Erarbeitung eines Modells, der beide gegensätzlichen Pole untereinander verbindet, ohne eines von beiden zu verdecken bzw. zu leugnen. Die Geschichte Europas ist in dieser christlichen Perspektive der Versuch, ein grundlegendes „Ja“ zu Gott und zur Welt zu sagen. Dieses Ja ist schwierig und erscheint manchmal fast unmöglich. Zum europäischen kulturellen Stil gehört jedoch die Überzeugung, dass ein solches „Ja“ kein romantischer Traum, sondern ein historisch realisierbares Programm ist.

Der hl. Thomas von Aquin war ein Denker, der diesen europäischen christlichen Stil mustergültig zum Ausdruck gebracht hat. In seinem philosophischen und theologischen Werk ist es ihm gelungen, das scheinbar Unverbindbare zu verbinden: die Bibel und Aristoteles, d.h. den übernatürlichen Bereich, den die Bibel repräsentiert, und die natürliche Wirklichkeit, deren Ausdruck die aristotelische Philosophie ist. Im Denken des hl. Thomas siegte der europäische kulturelle Stil, dessen Gesetz wir immer noch in uns tragen. Thomas hat voll und ganz die Verschiedenheit und Unzurückführbarkeit der beiden Pole der Wirklichkeit anerkannt.

Die christliche Schöpfungslehre als Fundament

Es ist die christliche Schöpfungslehre, welche die Möglichkeit bietet, beide Pole der Wirklichkeit miteinander zu verbinden. Da der christliche Gott absolut gut ist, ist auch die Welt gut, die er geschaffen hat. Die Schöpfungslehre ist das tiefste theologische Fundament der positiven Einstellung des Menschen zur endlichen weltlichen Wirklichkeit. Dank dieser Lehre hat das christliche Europa das scheinbare Dilemma überwunden: entweder Gott oder die Welt. Dank dieser Lehre konnte sich Europa gegen die verschiedensten Formen des Manichäismus verteidigen, die in den ersten Jahrhunderten der christlichen Ära und im Mittelalter von Asien nach Europa strömten. Die europäische christliche Kultur erkennt die Wirklichkeit des Bösen an. Das Böse aber hat keine eigene Natur, sondern setzt immer das Gute voraus, auf dem es parasitisiert. Die durch die Sünde und das Böse verwundete Welt kann befreit, gereinigt, erlöst und geheilt werden. In Herzen Europas lebt immer die Hoffnung, dass alle Entfremdungen überwunden werden können, ja überwunden werden sollen. Die ganze kulturelle, politische und gesellschaftliche Tätigkeit ist aus dieser Sicht nichts anderes als menschliche Mitwirkung an Gottes Schöpfung. Es ist der Versuch, an der Überwindung der Entfremdung, Erniedrigung und Verschmutzung der Schöpfung mitzuwirken. Die Welt – so die europäische Haltung – verdient unsere Liebe, unsere Sorge, unsere Arbeit, da sie trotz ihrer Fragilität und Verwundbarkeit gut ist. Dieser kulturelle europäische Stil ist in uns Europäern weiterhin vorhanden, weitgehend unabhängig davon, ob wir praktizierende Christen sind oder nicht.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob dieser spezifisch europäische kulturelle Stil auf Dauer aufrechterhalten werden kann in einem Europa, in dem der lebendige christliche Glaube nicht mehr vorhanden ist. Diesen kulturellen Stil zu erhalten zu versuchen, ist daher eine Herausforderung an die Europäer von heute und von morgen, insbesondere an die Christen unter ihnen. Christus hat seinen Jüngern gesagt: „Ihr seid das Salz der Erde“. Vielleicht bedeutet dieses Wort Christi in unserem kulturellen und geschichtlichen Kontext, dass sich die Christen in Europa als „Salz“ der europäischen Kultur erweisen sollten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] * Diese und viele andere Gedanken in diesem Aufsatz verdankt der Autor dem tschechischen katholischen Philosophen Karel Vrána. Vgl. K. Vrána: „Experiment Europa“, in: Experiment kfiesÈanství, Praha 1995.

Die Wahrheit verleiht der Liturgie Ruhe und Schönheit

In der letzten Folge einer Zusammenfassung des Büchleins „Vom Geist der Liturgie“, das Romano Guardini bereits 1918 veröffentlicht hat, stellt P. Dr. Johannes Nebel FSO die letzten beiden der insgesamt sieben Schritte vor: Auch im „Ernst der Liturgie“ und im „Primat des Logos über das Ethos“ (der vom Verfasser dieses Beitrages nun zuerst in den Blick genommen wird) zeigte Guardini Grundlinien des Wesens der Liturgie auf, die auch heute noch gültig sind.

Von Johannes Nebel

Der Primat des Logos über das Ethos

Die Liturgie ist in der heutigen Zeit der Gefahr einer ungebührlichen Verzweckung ausgesetzt. Es besteht – vor allem im Bereich des nachkonziliaren Ritus – die Tendenz, aus ihr ein Medium zu machen, um den heutigen Menschen möglichst zeit- und gegenwartsbezogen anzusprechen, die Liturgie also für pastorale Zwecke zu instrumentalisieren. Dem hält Romano Guardini im letzten Kapitel seines Büchleins „Vom Geist der Liturgie“ entgegen, dass in der Liturgie immer der Logos den Primat über das Ethos haben muss. Es gibt in der modernen Mentalität aber Kräfte und Tendenzen, die den Weltdienst des Christentums herausheben wollen, die vom Christentum einen Einfluss auf Gesellschaft, Staat und Wirtschaft erhoffen, und von daher ein unmittelbares Interesse an der moralisch-geistigen Effizienz der Liturgie haben.

Die Neigung zu diesem Umgang mit der Liturgie sieht Guardini tief in der neuzeitlichen Geistesgeschichte verankert. Schon zu Beginn der abendländischen Moderne, als man dem metaphysischen Denken den Rücken kehrte, schob sich der Wille vor die Erkenntnis, das Ethos vor den Logos, die Tat vor die Wahrheit. Der wichtigste Philosoph für diese Verschiebung war Immanuel Kant, der den Zugang zu Gott nur dem Bereich der praktischen Vernunft zuwies. Darin war er letztlich aber abhängig vom Protestantismus, der die Glaubensgewissheit, die im kirchlichen Dogma wurzelt, durch ein persönliches Ergriffenwerden von einem Glaubenserlebnis und damit durch das (willentlich mitbestimmte) Privaturteil ersetzte.[1]

Erkenntnis der Wahrheit befreit und beruhigt

Die Vorlagerung des Willens und der Ethik vor die Wahrheit bewirkt eine Ruhelosigkeit, die gemäß Guardini dem menschlichen Wesen nicht entspricht. „Die Seele braucht einen unbedingt festen Boden, auf dem sie stehen kann. Sie braucht eine Stütze, an der sie sich aus sich selbst herausheben kann; einen sichern Punkt außerhalb ihrer, und das ist nur die Wahrheit. Die Erkenntnis der Wahrheit ist die grundlegende Tat der seelischen Befreiung. ,Die Wahrheit wird euch frei machen.‘ Die Seele braucht jene innere Lösung, in welcher der Krampf des Wollens gestillt ist, die Unrast des Strebens ruhig wird, der Schrei des Begehrens schweigt."[2] Der Katholizismus konnte daher „die rasende Jagd des entfesselten, aus den ewigen Ordnungen gerissenen Willens nicht mitmachen. Er hat dafür etwas unersetzlich Kostbares bewahrt: den Primat des Logos über das Ethos und damit den Einklang mit den unabänderlichen Gesetzen alles Lebens."[3]

Diese Eigenart des katholischen Christentums zeigt sich für Guardini vor allem in der Liturgie: In ihr haben nämlich Logos und Wahrheit den gebührenden Vorrang vor Willen und Moral. „Daher ihre wunderbare Gelassenheit, ihre tiefe Ruhe. Daher scheint sie ganz aufzugehen in der Anschauung und Anbetung und Verherrlichung der göttlichen Wahrheit. Daher scheint sie so unbekümmert um die kleinen Nöte des Tages. Daher sucht sie so wenig unmittelbar zu erziehen und Tugend zu lehren."[4] Das ist für Guardini aber keineswegs weltfern und auch keine Entfremdung vom konkreten Lebensalltag der Mitfeiernden: Denn „der Liturgie ... ist es vor allem darum zu tun, die grundlegende christliche Gesinnung zu schaffen. Sie will den Menschen dahin bringen, dass er sich in die rechte, wesenhafte Ordnung zu Gott stelle, er in Anbetung, Gottesverehrung, Glauben und Liebe, Buß- und Opfergesinnung innerlich ,recht‘ werde. Kommt er dann in die Lage, zu handeln, so wird er aus jener Gesinnung heraus auch tun, was recht ist."[5] Die missionarische und die Lebensumstände prägende Kraft der Liturgie bedarf also keiner zusätzlichen menschlichen Produktion, die letztlich die liturgische Feier verzweckt und sie ihres eigentlichen Einflusses beraubt.

Keine Vermengung von Mysterium und Zeugnis

Zugegebenermaßen fordert es von einem Seelsorger, der mitten in den Nöten der Glaubensweitergabe steht, viel, diese stille Kraft der Liturgie einfach hinzunehmen und anzuerkennen, sich der Verzweckung ihrer Möglichkeiten zu enthalten und somit auf die direkte Erfahrung ihrer evangelisierenden Effizienz teilweise verzichten zu müssen. Nur aus einem bewussten Leben vor dem Angesicht Gottes und einem übernatürlichen Denken kann in unserer heutigen Zeit eine solche Haltung im Bezug auf die Liturgie aufrechterhalten werden. Diese Haltung darf freilich andererseits nicht zur Bequemlichkeit führen, indem man nun umgekehrt die missionarische Aufgabe ganz auf das gefeierte Mysterium abschiebt und das mutige und zeitnahe Glaubenszeugnis in Predigt und Katechese vernachlässigt. Die rechte Haltung besteht vielmehr darin, das Mysterium wirklich Mysterium sein zu lassen und zugleich das Zeugnis für dieses Mysterium zu einem wirksamen Ruf in die Zeit zu gestalten. Eine mutwillige Vermengung von beidem instrumentalisiert das Mysterium, schwächt das Zeugnis und ist daher in jeder Hinsicht kontraproduktiv.

Ritualistische Verzweckung der Liturgie

Doch es gibt heutzutage nicht nur die Gefahr einer pastoralen Verzweckung der Liturgie: Unter manchen liturgischen Ästheten, sowie unter manchen Vertretern des tridentinischen Ritus, sowie auch bei manchen Veranstaltern orientalischer Riten hier im Westen – ist die Neigung spürbar, aus der Liturgie ein Mittel dafür zu machen, die Qualität eines liturgischen Ritus vor sich selbst und vor anderen Menschen zu demonstrieren – was freilich jetzt kein Urteil über die Seelenhaltung einzelner Zelebranten und liturgischer Diener sein soll. Es muss aber erlaubt sein, einmal ungeschminkt zur Sprache zu bringen, wie manche Feier in hochfeierlichem heutigem Ritus, sowie auch manchmal im tridentinischen (oder in einem orientalischen) Ritus auf heutige Beobachter wirkt. Guardini ergänzt daher seine Gedanken um ein weiteres Thema, den Ernst der Liturgie. Wenn wir einmal von der heute etwas antiquierten sprachlichen Formulierung abstrahieren, können folgende Worte uns auch jetzt noch beeindrucken: „Der kümmerliche Mann, der im Hochamt nichts wissen will als seinem Gott den schuldigen Dienst erfüllen; das zusammengeschaffte Weib, das herkommt, um ihrer Last ein wenig erleichtert zu werden; die vielen, die dürren Gemütes sind und von all der Schönheit nichts spüren, wie sie ringsum spricht und tönt und glänzt, sondern nur Kraft suchen für ihre tägliche Mühsal – sie alle wissen mehr vom eigentlichen Wesen der Liturgie als der Kenner, der nach der Tonfülle eines Graduales die strenge Schönheit der Präfation genießt."[6]

Der Ernst der Liturgie

Der Ernst der Liturgie bedeutet, dass sie Ausdruck des Heilswerkes Gottes im Innern der Menschheit ist: „Wirklichkeit also, Annäherung des wirklichen Geschöpfes an den wirklichen Gott, die bitter ernste Sache des Heiles – um das handelt es sich hier zuerst und vor allem. Keine Schönheit hat hier hervorgebracht werden sollen, sondern die sündenverlorene Menschheit sollte ihr Heil finden. Um Wahrheit geht es hier, um Seelenschicksal, um wirkliches, ja um das letzterdings einzig wirkliche Leben. Das sollte offenbart, gesagt, gesucht, errungen, gefunden, gegeben werden durch alle Mittel und Weisen des Ausdrucks. Und siehe da, es begab sich, dass es zur Schönheit geriet!"[7] Daraus folgt für Guardini, dass sich die eigentliche Schönheit der Liturgie nur demjenigen offenbart, der zunächst von ihrer Wahrheit ausgeht.[8]

Schönheit als Glanz der Wahrheit

Um den Ernst der Liturgie gedanklich zu erfassen, setzt Guardini daher ebenfalls beim Wahrheitsbegriff an, den er mit der Schönheit zusammendenkt: „Wahrheit“, so sagt er, „bedeutet nicht tote Begriffsrichtigkeit, sondern rechte Seinsfügung, innere Lebensgültigkeit, bedeutet die ganze Kraft und Fülle gehaltreichen Daseins. Und Schönheit ist der frohe Glanz, der hervorbricht, wenn die verborgene Wahrheit in guter Stunde offenbar werden kann."[9]

Die Schönheit ist also Glanz der Wahrheit; sie ist abhängig von der Wahrheit. Die ästhetische Weltanschauung aber stellt die Schönheit der Wahrheit voran und dreht somit das Verhältnis zwischen beidem um. Eine ritualistische Verzweckung der Liturgie führt unweigerlich in einen solchen Ästhetizismus.

Liturgie bleibt dann wirklich, was sie sein soll, wenn im Herzen derer, die sie feiern, und in der Motivation, sie zu feiern, das Stehen vor dem Angesicht des lebendigen Gottes ernsthaft den ersten Rang einnimmt. Nur aus innerer Läuterung derer, die die Liturgie feiern, strömt der Liturgie wahre Sakralität zu.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Romano Guardini: Vom Geist der Liturgie, 131ff.
[2] Ebd., 140f.
[3] Ebd., 142.
[4] Ebd.
[5] Ebd., 130.
[6] Ebd., 110.
[7] Ebd., 122f.
[8] Vgl. ebd., 124.
[9] Ebd., 115f.

Jugendgemäße Hinführung zur Ehe

Dr. Dominik Schwaderlapp, der Generalvikar von Köln, hat ein sehr ansprechendes Buch über die christliche Ehe verfasst. Es trägt den Titel: „Für immer Ja. Ein Kurs in Sachen Liebe“.[1] Eine junge Studentin aus der sog. „Generation Benedikt“, Johanna Ohm, vermittelt in ihrer Buchbesprechung einen ersten Eindruck. Sie ist begeistert und empfiehlt es auch jungen Leuten, die der Kirche nicht unbedingt nahe stehen.

Buchrezension von Johanna Ohm

Die revolutionäre Kraft ehelicher Liebe

In einem Hirtenbrief schrieb der Kölner Kardinal Joachim Meisner im Jahr 2006: „Mann und Frau sind schon von der Sinngebung menschlichen Daseins her aufeinander hin geordnet. ‚Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch‘ (Gen 2,23-24): Diese Worte der Schöpfungsgeschichte bezeugen die geradezu revolutionäre Kraft ehelicher Liebe, welche die familiären Bindungen der Kindheit und Jugend sprengt und eine neue, grundlegende Einheit schafft. ‚Ein Fleisch‘ – dieses Wort bezeichnet eine Gemeinschaft von Personen, wie sie in dieser Welt inniger nicht sein kann und wie sie in der leiblichen Intimität der Eheleute in aller Verbindlichkeit ihren Ausdruck findet.“

Fragen, die sich junge Menschen stellen

Was aber heißt das genau? Was ist Liebe? Wie kann man diese Liebe leben und doch frei sein? Wieso bedarf es der Ehe? Was soll es bringen, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten? Und was bedeutet eigentlich Ehe? Dies sind Fragen, die sich junge Menschen irgendwann einmal stellen, überdenken oder vielleicht im Freundeskreis diskutieren. Mit seinem Buch „Für immer Ja. Ein Kurs in Sachen Liebe“ möchte Dominik Schwaderlapp, Generalvikar des Erzbistums Köln, diesen Fragen nachgehen und junge Menschen auf dem Weg zur Ehe begleiten. Durch die Art, wie Schwaderlapp in die Thematik einführt, wie er Theorie und Praxis verbindet, sowie durch die Klarheit seiner Sprache vermag er junge Menschen anzusprechen. Nicht nur bereits von der vorgestellten Lebensphilosophie überzeugte Jugendliche werden sich für dieses Buch interessieren, sondern auch jene, die nicht in gläubigen Verhältnissen aufgewachsen sind, oder solche, die eine Ehe für sich ausschließen.

Behutsame Hinführung zum Sakrament der Ehe

Inhaltlich ist das Buch gut strukturiert. Der Autor nähert sich langsam der Thematik „Liebe“. In kleinen Schritten tastet er sich an die Ehe heran und legt in den ersten Kapiteln das Fundament für eine grundlegende Diskussion über das Sakrament der Ehe. Ganz nach dem Motto „Man kann nur lieben, wenn man sich selbst kennt und liebt“, beschäftigt sich der Autor zunächst mit der Frage nach dem Ich. Gerade in unserer Gesellschaft, in der die Frage nach dem eigenen Glück, der eigenen Erfüllung und der eigenen Freiheit, die allgemeine Ich-Bezogenheit über allem anderen steht, erscheint es wichtiger denn je, zu erklären, wie die Liebe zu anderen, das Aufopfern für den Nächsten und Rücksicht und Verzicht für die Liebe lohnend, erfüllend und beglückend sein können. Somit schafft es Dominik Schwaderlapp, die Leser aus der Ecke des Egoismus herauszuholen und ihnen die Vielfalt, die verschiedenen Dimensionen von Beziehung und Liebe darzulegen. Erst nach diesen Grundlagen beschäftigt sich der Autor mit der höchsten Form der Liebe, der Liebe zwischen Mann und Frau. Auch, oder gerade, in diesem Bereich ist der Klärungsbedarf besonders groß. In einer Zeit, in welcher immer weniger Jugendliche und junge Erwachsene gesunde Beziehung zwischen Vater und Mutter kennen lernen und nur wenige noch um die Bedeutung, Schönheit und Gewichtigkeit der Ehe wissen, ist es wichtig, dass einfühlsam, persönlich und ehrlich die Lehre von echter Liebe dargelegt und erklärt wird.

Anwendung der Theorie auf das alltägliche Leben

Was nutzt es einem aber, dies alles zu wissen und die Zusammenhänge zu erkennen? Wie wendet man die Theorie an? Dieses Buch bleibt nicht im rein Theoretischen stehen, sondern beantwortet auch praktische Fragen und führt somit das Erklärte weiter und verbindet die Theorie mit der Praxis.

Wie wichtig es ist, die Liebe auszubilden, zeigt uns unsere Umwelt. In Gesprächen zwischen jungen Erwachsenen und noch mehr in ihrem Umgang miteinander zeigt sich immer wieder, dass sie sich alle nach Liebe sehnen und oft doch nicht wissen, was Liebe genau ist, wie Liebe „funktioniert“. Dies beweist, dass – obwohl die Veranlagung zur Liebe in jedem von uns steckt – die Liebe aber gelernt und stets gepflegt sein möchte. Durch Beschreibung zahlreicher Alltagsituationen und unter Verwendung vieler Beispiele erklärt Schwaderlapp, wie die Liebe ausgebildet und in welchen Situationen es für die Liebe schwer werden kann. Versuchungen, die jedem begegnen, werden in diesem Buch beschrieben und es wird erklärt, inwiefern sie für die Liebe gefährlich werden können. Immer wieder erlebt man in Gesprächen, dass der Trieb zur Begründung und Rechtfertigung einer freien und uneingeschränkten sexuellen Befriedigung dient. Der Kirche wird hingegen vorgeworfen, sie verteufele diese natürlichen Triebe. Auch mit diesen Vorurteilen räumt der Autor auf und beschreibt eindrucksvoll die viel differenziertere Position der Kirche zu diesem Phänomen.

Die Lehre der Kirche in jugendgemäßer Sprache

Auch sprachlich kann das Buch als gelungen bezeichnet werden. Kurz gehaltene Sätze und eine einfache Wortwahl geben dem Buch ein jungendliches Flair. Dabei wird das Thema dadurch keinesfalls verniedlicht. Immer wieder gibt es in diesem Genre Bücher für junge Menschen, denen die Angesprochenen mit Abneigung begegnen. Dies liegt teils darin begründet, dass deren Autoren allem Anschein nach bemüht sind, ihre eigene Jugend neu auszuleben, anstatt sich als Erwachsene einer verständlichen Sprache zu bedienen. Dies ist hier sicherlich nicht der Fall. Der Autor verwendet zwar eine frische, lebendige Sprache, doch kommt immer wieder auch seine persönliche und pastorale Erfahrung zum Vorschein. Damit erscheint das Buch als sehr persönliches Zeugnis. Ohne selektive Abstriche stellt der Autor die Positionen der katholischen Kirche umfassend dar. An keiner Stelle des Buches entsteht beim Leser der Eindruck, dass der Autor etwas verschweigt oder um der Zustimmung willen vereinfacht. Da Schwaderlapp als Generalvikar die Position der Kirche vertritt, kommt es – anders als in vielen anderen Werken – nicht vor, dass einzelne Lehren der Kirche verächtlich gemacht oder der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

Dies ist ein Buch, bei dessen Lektüre der junge Mensch unmittelbar erkennt, was Meinung des Autors und was Position der Kirche ist. Es  bleibt zu wünschen, dass viele – insbesondere kirchenkritische – Jugendliche dieses Buch in die Hand bekommen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Dominik Schwaderlapp: Für immer Ja. Ein Kurs in Sachen Liebe. Pattloch 2007, Broschur, 160 S., Euro 12.95, ISBN: 978-3-629-02165-6.

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