Humanae vitae – unnötige Last oder Quelle der Liebe?

Behutsam geht Weihbischof Dr. Andreas Laun an das Thema „Humanae vitae“ heran. Am 25. Juli werden es 40 Jahre, dass die Enzyklika von Papst Paul VI. veröffentlicht worden ist. Bis heute stellt die Entscheidung des kirchlichen Lehramts zur Frage der Empfängnisverhütung eine der größten Herausforderungen des kirchlichen Lebens dar. Weihbischof Laun gesteht zu, dass bei allem prophetischen Charakter des Dokuments die Begründung sowie die Vermittlung der Argumente eine noch weitgehend unerfüllte Aufgabe darstellen.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Die Vorgeschichte

Warum veröffentlichte Paul VI. die Enzyklika „Humanae vitae“ (im Folgenden kurz HV)? Weil die Frage nach der künstlichen Verhütung schon während des Konzils virulent geworden war und weil 1965 die „Pille“ auf den Markt kam und die Frage nochmals neu und drängend aufwarf: Wenn die bekannten Verhütungs-Methoden unerlaubt sind, ist die Pille nicht etwas Neues, ein Weg der Verhütung, der anders ist – endlich die Methode, an der kein moralischer Makel haftet und die daher die Sehnsucht früherer Päpste erfüllt – die Sehnsucht, es möge doch ein moralisch gangbarer Weg der Geburtenplanung gefunden werden.

Von den Vätern des Konzils wollte der Papst die Frage nicht behandeln lassen, versprach aber, er selbst werde die Antwort geben. Mit HV löste er sein Versprechen ein. Um selbst letzte, entscheidende Klarheit zu gewinnen, setzte er zuvor eine Studiengruppe ein. Die Mitglieder dieser konnten sich aber nicht einigen, und so entstanden ein Minderheiten- und ein Mehrheits-Gutachten: Die Minderheit hielt an der traditionellen Lehre mit ihrem Nein zur Verhütung fest, die Mehrheit trat für eine veränderte Positionierung der Kirche ein. Beide Gutachten wurden dem Papst vorgelegt, und dieser machte sich zum Entsetzen vieler die Position der Minderheit zueigen. Diejenigen, die ihm dies bis heute zum Vorwurf machten, übersehen, dass es sich bei der Kommission um ein beratendes Gremium handelte, nicht um eine Entscheidungs-Instanz, die dem Papst die Entscheidung hätte abnehmen und vorschreiben können.

Die Entscheidung des Papstes Paul VI.

Aus mehreren Gründen konnte sich Papst Paul VI. die Entscheidung nicht leicht machen:

• Er sah die sachliche Schwierigkeit der Frage.

• Er wollte den Menschen auf keinen Fall eine Last auferlegen, die nicht wirklich gottgewollt und daher notwendig ist.

• Er wusste, wie schwierig es für viele sein werde, das Nein der Kirche zur Verhütung anzunehmen. Die vorausgehenden Diskussionen der Theologen und Meldungen in den Medien hatten Erwartungen geweckt, die er jetzt enttäuschen musste.

• Er ahnte wohl die Proteste gegen die Lehre und die Aggressionen gegen seine Person, die kommen würden, und wusste, dass Ihm damit zumindest ein „kleines Martyrium“ bevorstand.

• Er hatte die schlechten Folgen der Verhütungs-Praxis vor Augen.

Der Protest

Tatsächlich war es so: Eine gewaltige Welle des Protestes ging wie ein geistiger Tsunami um die Welt und richtete auch in der Kirche schweren Schaden an. Ein Riss tat sich auf, der durch die ganze Kirche ging und bis heute andauert: Einige Professoren der Theologie veröffentlichten eine kritische Erklärung, hunderte Professoren aus aller Herren Länder unterzeichneten sie nachträglich.

Der Hauptschaden, den dieser Kampf um HV anrichtete, ist wohl zu sehen im erschütterten Vertrauen auf das Lehramt der Kirche und im praktischen Ungehorsam vieler Katholiken in der Frage der Verhütung – ein Ungehorsam, aus dem sich im Lauf der Jahre all die negativen Folgen der Verhütung, die der Papst vorausgesagt hatte, ergeben haben, wie wir heute sehen können.

Dabei ist klar, dass sich dieser Ungehorsam nicht auf die Verhütungsfrage beschränken konnte: Wer eine Lehre des Lehramtes im Namen seiner Einsicht und seines Gewissens bestreiten kann, kann dies grundsätzlich auch in Bezug auf alle anderen Lehren der Kirche. Das aber bedeutete: Mit dem Protest gegen HV drang ein protestantisches Verständnis des Lehramtes in die Kirche ein und setzte sich in ihr fest. Typisch dafür war 1989 die „Kölner Erklärung“, mit der über 200 Theologen gegen ihre „Entmündigung“ durch das Lehramt der Kirche protestierten.[1] und 1995 das so genannte „Kirchenvolksbegehren“,[2] das im gleichen Geist der Selbstherrlichkeit das Volk gegen die Leitung der Kirche zu mobilisieren suchte. Sinngemäß beschuldigten die einen und die anderen den Papst, den Eheleuten eine schwere, unnötige, weil von Gott nicht gewollte Last aufzuerlegen!

Die Reaktion der Bischöfe

HV war, das hatte Dietrich v. Hildebrand richtig gesehen, tatsächlich ein „Zeichen, dem widersprochen wird“ – und der Widerspruch wurde, so könnte es scheinen, von den Bischöfen geradezu bestätigt.

Denn in vielen Ländern herrschte nach den Erscheinen von HV große Aufregung. Daher meinten die Bischöfe, die pastoral schwierige Lage durch eine „Erklärung“ beruhigen zu müssen. In Deutschland entstand so die „Königsteiner Erklärung“, in Österreich die „Maria Troster Erklärung“. Auffallend ist: Beide Erklärungen vermeiden es, klar zu sagen, was die Bischöfe selbst über den Wahrheits-Anspruch der Enzyklika denken. Stattdessen betonten beide Erklärungen: HV ist formell gesehen keine unfehlbare Entscheidung des Lehramtes. Und: Beide Erklärungen räumten den Gläubigen die Möglichkeit ein, sich eine andere Meinung als die des Papstes zu bilden und mit mehr oder weniger gutem Gewissen nach ihr zu leben. Offen gelassen wurde, ob es sich dabei um ein irrendes Gewissen handelt oder eine katholisch einwandfreie, legitime Gewissensentscheidung. Vielleicht hat Papst Johannes Paul II. an diese deutschsprachigen Erklärungen gedacht, als er in seiner Enzyklika „Veritatis splendor“ schrieb, eine von HV abweichende Lehre sei eine Art „Lossprechung durch eine gefällige Lehre“, die nicht glücklich machen könne.[3]

Der entscheidende Satz der Königsteiner Erklärung lautete: „Wer glaubt, in seiner privaten Theorie und Praxis von einer nicht unfehlbaren Lehre des kirchlichen Amtes abweichen zu dürfen – ein solcher Fall ist grundsätzlich denkbar –, muss sich nüchtern und selbstkritisch in seinem Gewissen fragen, ob er dies vor Gott verantworten kann.“ Dabei suggerierten die Bischöfe: Ja, möglicherweise kann der Christ diese „Abweichung“ von der Lehre der Kirche „vor Gott verantworten!“

Ähnlich die Österreicher: „Wer auf diesem Gebiet fachkundig ist und durch ernste Prüfung, aber nicht durch affektive Übereilung zu dieser abweichenden Überzeugung gekommen ist, darf ihr zunächst folgen. Er verfehlt sich nicht, wenn er bereit ist, seine Untersuchung fortzusetzen und der Kirche im übrigen Ehrfurcht und Treue entgegenzubringen. Klar bleibt jedoch, dass er in einem solchen Fall nicht berechtigt ist, mit dieser seiner Meinung unter seinen Glaubensbrüdern Verwirrung zu stiften.“

Auch damit war und ist bis heute für viele Gläubige klar: Man darf verhüten, ohne dadurch mit dem Gebot Gottes in Konflikt zu geraten.

Die Lage heute in der Kirche

Wie haben sich die genannten Erklärungen ausgewirkt? Zunächst natürlich „beruhigend“, zumindest im Leben der Kirche. Die Frage ist freilich, ob der erreichte Friede nicht doch ein fauler Frieden ist. Die heutige Lage mindestens im deutsprachigen Mitteleuropa lässt sich folgendermaßen beschreiben:

Nur noch eine kleine Gruppe von Katholiken hält an HV fest, die Mehrheit sieht keine Notwendigkeit mehr, über die Frage nachzudenken, man hält sie für beantwortet etwa in folgendem Sinn:

Der Papst hat sich geirrt, das Gewissen des Einzelnen kann und muss die Frage selbst entscheiden, auch Katholiken können und sollen ohne Gewissensbisse Verhütungsmittel benützen, sofern mit diesen keine abtreibende Wirkung verbunden ist. Kurz gesagt: Verhütung ist Gewissensfrage. Die Frage ist dabei nicht, ob man verhütet, sondern nur, mit welchem Mittel man es tut.

Diese Sicht der Dinge wird an den meisten Theologischen Fakultäten, im Religionsunterricht, in der Ehevorbereitung weitergegeben, und es gibt kaum einen Bischof, der über Verhütung ein Wort verliert. Papst Johannes Paul II. hat die österreichischen Bischöfe zweimal gebeten, die Maria Troster Erklärung zu überdenken, 1988 hat es einen Versuch in dieser Richtung gegeben, den man aber als misslungen bezeichnen muss. Die Lage ist unverändert so, wie oben beschrieben.

Eine Folge dieses Streits ist es wohl auch, zu beobachten, wie sich kirchliche Kreise auch in anderen Fragen dem Zeitgeist angepasst haben. Tatsächlich meinen viele Katholiken heute, sie hätten eine Art Entscheidungsrecht darüber, was gut und was böse ist, wie es eine bestimmte moraltheologische Strömung ja auch lehrt. Dieser Dissens im Sinne des Rechts auf Selbstbestimmung in moralischen Fragen betrifft heute bei bestimmten Katholiken die Masturbation, den vorehelichen Verkehr, die Homosexualität und, bei manchen, sogar die Abtreibung.

Die Folgen

Einige Folgen der künstlichen Verhütung hat Papst Paul VI. vorausgesagt: die enthemmende Wirkung auf die Jugend, aber auch die veränderte, der Liebe abträgliche Haltung der Männer gegenüber ihren Frauen, die Tendenz des Staates, sich in die Intimsphäre der Menschen und das Familienleben einzumischen.[4] Es bedarf keiner Beweisführung, um zu sehen, wie Recht der Papst hatte! Noch nicht sehen konnte er damals drei weitere Folgen:

• Die Trennung von Fruchtbarkeit und Sexualität hat der Homosexuellen-Bewegung geholfen, auch Katholiken zu verführen.

• Die Trennung von Fruchtbarkeit und Sexualität führte zu jener demographischen Katastrophe, die Europa heute unmittelbar bedroht.

• Die Verhütungsmentalität vermehrte auch die Zahl der Abtreibungen, so paradox diese Behauptung erscheinen mag.[5]

Harmloser Gewissensirrtum oder Katastrophe?

Viele denken: Ob der Papst recht hat oder nicht, kann man beruhigt auf sich beruhen lassen. Bei moralischen Geboten kommt es nicht auf die Wahrheit an, sondern nur auf die Überzeugung dessen, der handelt. Gegen diese These haben sowohl der Kardinal Joseph Ratzinger[6] als auch Papst Johannes Paul II. philosophisch und theologisch Stellung bezogen.[7] In der Praxis wirkt sich diese Auffassung verhängnisvoll auf die Pastoral der Kirche aus: Ob Irrtum oder nicht, die Bischöfe und Priester können die Meinungen ihrer Gläubigen auf sich beruhen lassen, er tut niemandem weh, er schadet auch den Ehen nicht. Der Kampf, der nötig wäre, ihn aufzudecken, lohnt sich nicht, im Gegenteil, er würde den pastoralen Frieden stören.

Dass es aber wichtig wäre, den Menschen zu helfen, die Lehre von HV zu verstehen und danach zu leben, beweist der Blick auf die Begründung der Lehre: Statt hier alle Gründe für die Wahrheit von HV zu entfalten,[8] nenne ich nur den Hauptgrund und erläutere ihn an Hand eines Erlebnisses: Als ich im Gespräch mit einigen Leuten sagte, künstliche Verhütung stehe im Widerspruch zur Liebe, drehte sich eine Frau zu mir um und wiederholte glücklich und mit Nachdruck: „Ja, da haben Sie Recht, Verhütung ist gegen die Liebe“.

Aber: Wenn das stimmen sollte, wäre die Verhütung ein Mitgrund  vieler Scheidungen. Daraus würde folgen: Es ist dringend nötig, HV zu lehren, weil diese Lehre der Liebe guttut und damit beiträgt zur Stabilität der Beziehungen.

Verhütung contra Liebe

Ja, es stimmt, Verhütung richtet sich nicht nur gegen das Kind, sie schädigt auch die Liebe. Die These ist befremdend, denn sie steht im Widerspruch zur gängigen Behauptung, dass die Pille der Liebe, der Freiheit der Liebe diene und um dieses ihres Dienstes an der Liebe auch gerechtfertigt wäre.

Schadet Verhütung der Liebe? Inwiefern, wie tut sie dies? So: Liebe vereint, Verhütung trennt. Verhütung macht aus dem Partner einen anderen Menschen. So ist Verhütung sogar eine Art seelischer „Untreue light“, vergleichbar einem Mann, der seine Frau umarmt und dabei an eine andere denkt. In der Verhütung ist es umgekehrt: Er denkt an seine Frau, aber er umarmt eine „Andere“, seine eigentlich fruchtbare Frau ist jetzt eine sterile Frau.

Aber betreiben Verhütung nicht auch Paare, die sich wirklich lieben? Ja, aber die Frage ist: Ist auch ihr sexueller Akt bis hinein in seine körperliche Dimension noch ein Akt reiner Liebe, wenn dabei verhütet wird? Oder könnte es so sein: Innerhalb einer echten Liebe vollziehen sie einen Akt, der seiner Natur nach nicht mehr ganz eindeutiger Ausdruck der Liebe ist, sondern ein Akt der Befriedigung, den man dem Anderen gönnt, aber sich nicht mehr von der Liebe ganz und gar beseelen lässt?

Das Argument mag viele noch nicht zu überzeugen. Aber es wird die Aufgabe kommender Generationen sein, darüber nachzudenken, ob und wie die Lehre von HV eine logische Forderung der Liebe ist!

Erfahrungen

Ich möchte diesen grundsätzlichen Überlegungen die Erfahrungen von Verheirateten zufügen, die das Gesagte bestätigen und in die gleiche Richtung verweisen. Im Auge habe ich dabei das, was ich im Kreis jener Menschen gehört habe, die der große katholische Arzt Josef Rötzer, der Erfinder der „sympto-thermalen Methode“ der natürlichen Empfängnisregelung, um sich gesammelt hat. Die Verhütung hätte, sagen nicht wenige, ihre Liebe fast zerstört. Ihre sexuellen Beziehungen seien erst dann wieder in Ordnung gekommen, wieder möglich und beglückend geworden, als sie sich auf die natürliche Empfängnisregelung umstellten. Ich erlebte auch Paare, die mit leuchtenden Augen und glücklichen Gesichtern von HV sprachen und dem Papst dafür dankten! Und noch eine Erfahrung, die eine Mitarbeiterin von „Teenstar“, einem „katholischen“ Aufklärungsprogramm, folgendermaßen beschrieb:

„Eine Erfahrung ist: Durch das Verstehen der Zusammenhänge gewinnen die Jugendlichen eine neue Sichtweise. Sie beginnen ihre eigene Fruchtbarkeit als etwas Besonderes und Wertvolles zu verstehen, sie anzunehmen und zu schützen. Eine Folge ist: Viele Mädchen, die schon sexuelle Kontakte hatten, stellen diese wieder ein, weil sie eine neue Einstellung zur Sexualität, zu ihrem Körper, zu ihrer Fruchtbarkeit bekommen haben.“ Und noch mehr: Leute, die bei uns auch die Natürliche Empfängnisregelung lernten, begannen nach Gott zu fragen und den Weg des Glaubens einzuschlagen.“ So unterstreicht die Erfahrung die Lehre. Sie müsste genügen, Interesse zu wecken, was es mit dieser Lehre auf sich hat.

Humanae vitae und die Quelle von Lourdes

Dagegen lässt sich einwenden: Ist es vorstellbar, dass HV von der Mehrheit der Katholiken in Europa entdeckt wird? Ich möchte mit einem Bild antworten:

Als Bernadette von Maria den Auftrag erhielt, „von der Quelle zu trinken und sich das Gesicht zu waschen“, gab es keine Quelle, und so wühlte sie in der Erde und beschmierte damit ihr Gesicht. Die Zuschauer glaubten, sie sei verrückt geworden und gingen nach Hause. Später aber kamen einige Leute zurück und begannen dort, wo das Mädchen in der feuchten Erde gewühlt hatte, zu graben – und siehe da, sie legten die Quelle von Lourdes frei. Vielleicht wird es auch mit HV so gehen: Eines Tages wird ein wirklicher Dialog beginnen, man wird „graben“ und HV als Quelle der Liebe und des Lebens entdecken. Dabei werden freilich diejenigen, die graben, in Kauf nehmen müssen, nun ihrerseits für verrückt gehalten zu werden. Aber das ist eine Situation, die biblisch gut belegt ist, davor sollten sich die Jünger Christi nicht allzu sehr fürchten.

Humanae vitae und die Neuevangelisierung

Wenn der irische Moraltheologe V. Thomey Recht hat, ist dieses „Graben“ ein Gebot der Stunde: „Humanae vitae muss voll rezipiert werden – zunächst von den Bischöfen, dann von den Theologen – damit man wieder Vertrauen in die Kirche gewinnt. Sonst gibt es keine Erneuerung, weder der Theologie noch der Kirche."[9] Eigentlich sagt dasselbe auch Kardinal Christoph Schönborn, wenn er kürzlich meinte, das Nein zu HV sei, neben Abtreibung und Homo-Ehe,  eines der drei Nein Europas zur eigenen Zukunft gewesen. Das heißt umgekehrt: Das Ja zu HV würde den Weg in die Zukunft wieder öffnen!

Argumentation für Humanae vitae

Um die Lehre von HV wieder „unter die Christen“ zu bringen, bedarf es aber nicht nur des Mutes der Bischöfe und Theologen, also der „Opinionleaders“ der Kirche, sondern es braucht auch gute, klare, nicht nur Fachleuten verständliche Argumente. Tatsächlich gibt es Literatur zu HV, auch sehr gute, und doch ist es nötig, an der Argumentation weiterzuarbeiten:

• Die Argumentation darf nicht aus bloßem Zitieren und Abschreiben bei anderen bestehen.

• Die Argumentation muss alle bisherigen Begründungs-Versuche berücksichtigen und würdigen, muss sie aber zugleich kritisch sichten.

• Die Argumentation muss selbstkritisch erarbeitet werden, geleitet von der Frage, ob und wieweit das jeweilige Argument trägt oder eben nicht trägt.

• Die Argumentation sollte letztlich die Unmoral der Verhütung ebenso leicht verständlich machen wie den Satz „Du sollst nicht stehlen“. Das mag schwierig sein, aber es muss das Ziel sein.

• Die Argumentation muss zeigen können, dass und wie das Nein zur Verhütung im Hauptgebot der Liebe enthalten ist.

• Die Argumentation muss (im Anschluss an HV) zeigen, dass Verhütung die eheliche Liebe nicht nur nicht fördert, sondern schädigt.

• Die Argumentation muss klar unterscheiden zwischen

- Argumenten „von außen“, die die Norm von HV zu bestätigen scheinen, aber in Wirklichkeit nichts mit ihr zu tun haben: Wenn sich Pille und andere Verhütungsmittel als medizinisch schädlich erweisen, ist das weder ein Beweis für HV noch wäre ein medizinisch unbedenkliches Verhütungsmittel ein Argument gegen HV.

- Argumenten der Konvergenz, die zeigen, wie die Norm von HV sich einfügt in die natürliche Beschaffenheit des ganzen Menschen: Der Rhythmus von Enthaltsamkeit und sexueller Gemeinsamkeit wiederholt Brautzeit und Hochzeit und hält die Liebe lebendig.

- Argumente, die wesentlich sind, weil sie sich aus der Natur der sexuellen Vereinigung ergeben und darum den eigentlichen Grund der Lehre von HV ausmachen.

Humanae vitae als prophetischer Dienst

Vielleicht wird die weitere Entwicklung erweisen, wie prophetisch Papst Paul VI. war und wie bedeutsam Papst Johannes Paul II., der von sich selbst sagte, er habe gelernt, „die Liebe zu lieben“ und sich darum nicht abhalten lies, immer wieder und wieder an HV zu erinnern. Vielleicht werden spätere Generationen, nicht nur Katholiken und andere Christen, der Kirche danken für den Dienst, den sie der Welt mit HV erwiesen hat.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. Andreas Laun: Die Kölner Theologenerklärung. In: Aktuelle Probleme der Moraltheologie. Wien 1991, 177-193.
[2] Vgl. Andreas Laun: Kirche Jesu oder Kirche der Basis? Köln 1996.
[3] Veritatis splendor 120.
[4] Humanae vitae 17.
[5] Evangelium vitae 13.
[6] Josef Ratzinger: Gewissen und Wahrheit. In: Wahrheit, Werte, Macht. Freiburg 1993, 27-62.
[7] Veritatis splendor 63; 120.
[8] Vgl. Andreas Laun: Liebe und Partnerschaft. 8. Aufl. Eichstätt 2003, 100f.
[9] V. Thomey: Der Schlüssel ist Humanae vitae. In: Medizin und Ideologie 1-2008, 21-27, 25.

Der Jakobusweg und seine Heiligen

Der Jakobusweg nimmt den Pilger in die Schule der Heiligen. Direktor Thomas Maria Rimmel zeigt in der vierten Folge seiner Reihe über die Jakobuswallfahrt beispielhaft auf, wie die Begegnung mit Heiligen die Menschen auf dem Weg nach Santiago de Compostela formen kann.

Von Thomas Maria Rimmel

Auf dem Weltjugendtag 1989 in Santiago de Compostela rief Papst Johannes Paul II. den Jugendlichen zu: „Habt keine Angst, Heilige zu sein!“ Auch der Pilgerweg nach Santiago fordert zum Streben nach Heiligkeit auf. Zahlreiche Heilige sind im Lauf der Jahrhunderte den Camino selbst gegangen. Anderen Heiligen begegnet der Pilger, wenn er auf dem Jakobusweg deren Geburtsorte und Wirkungsstätten durchquert.

Heilige Pilger als Vorbilder und Mahner

Im Jahr 1213/14 besuchte der hl. Franziskus das Grab des hl. Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Gut hundert Jahre später (1340/41) machte sich die hl. Brigitta von Schweden auf den Weg nach Spanien. Sie war im Alter von 14 Jahren mit einem schwedischen Grafen vermählt worden und hatte ihm acht Kinder geboren. Die Pilgerreise nach Santiago führte sie erstmals quer durch Europa. Auf der Rückreise jedoch verstarb ihr Ehemann. Nachdem sie ihr bisheriges Leben als Hofmeisterin am schwedischen Königshof verbracht hatte, trat sie nach der Rückkehr von ihrer Wallfahrt in ein Kloster ein und widmete sich ganz dem Gebet. „Unterwegs traf sie nicht nur mit bedeutenden Menschen zusammen, sie hatte auch Visionen, bei denen ihr der Auftrag erteilt wurde, sich in die politischen Probleme der Zeit einzumischen, vor allem in den Streit zwischen kirchlicher und weltlicher Macht."[1] Damals residierten die Päpste nicht in Rom, sondern in Avignon. Sie begann, ihre Visionen den Päpsten zu übermitteln. 1350 pilgerte sie nach Rom, blieb dort 23 Jahre lang und lebte in völliger Armut. Immer mehr Menschen suchten bei ihr Rat. Schließlich gründete sie auf Visionen hin einen Frauenorden. Im hohen Alter war es ihr noch vergönnt, ins Heilige Land zu pilgern. So hatte sie die drei großen Pilgerorte besucht: Santiago de Compostela, Rom und das Heilige Land. „Die geistesmächtige Seherin aus dem Norden, Brigitta von Schweden, brachte die Hälfte ihres Lebens als Pilgerin zu, viele Länder durchwandernd und allezeit die Lauen aufrüttelnd und die Gleichgültigen entzündend."[2]

Die Gelassenheit des hl. Ignatius von Loyola

Ein bedeutender Heiliger, dem man auf dem Camino begegnet, ist der hl. Ignatius von Loyola (1491-1556). Er war zunächst Soldat, strebte nach den Ritteridealen und wurde bei der Belagerung der Jakobusweg-Stadt Pamplona durch eine Kanonenkugel schwer verwundet. Auf dem Krankenlager konnte er nur lesen: er widmete sich Heiligenlegenden und dem Wirken Jesu. Das verwandelte sein Leben. Er weinte unablässig über die Liebe Jesu Christi. Sieben Stunden am Tag betete er. Er selbst erzählt: „So intensiven Geschmack empfand ich an den göttlichen Dingen, verbunden mit beständigen Tränen, dass es mir schien, als ob mein Gott und Herr, sooft ich ihn nannte, mein Innerstes erfüllte. Während des Messelesens weinte ich so stark, dass ich fürchtete, das Augenlicht zu verlieren. Mit dem Heiligen Geist unterhielt ich mich, weinte dabei und sah und fühlte ihn als Helligkeit und Flamme.“

Nach seiner Gesundung pilgerte er zum katalanischen Marienheiligtum Montserrat und legte seinen Degen vor dem Gnadenbild der Gottesmutter ab, eine Geste, welche die Ritter vor den Damen ihres Herzens zeigten. Fortan wollte er nur noch „Soldat Christi“ sein, tauschte die Ritterrüstung gegen das Pilgerkleid, führte ein strenges Büßerleben und pilgerte über Rom ins Heilige Land. Zurück in Europa sammelte er Gleichgesinnte um sich und legte 1534 mit diesen in Paris das berühmte Gelübde auf dem Montmartre ab, aus dem später die „Gesellschaft Jesu“, also der Jesuitenorden hervorging. Sie verpflichteten sich zu einem Leben in Armut und zum Nutzen für die Seelen.

Für seine Mitstreiter verfasste er das „Buch der Geistlichen Übungen“, eine Darlegung, dass der Mensch erschaffen sei, „um in ehrfürchtigem Dienst der dreifaltigen Majestät Gottes durch Angleichung an den gekreuzigten Menschen Jesus in der streitenden Kirche gegen den Satan zu bestehen und so einzugehen in die Herrlichkeit des Vaters“. In diesen Exerzitien geht es bis heute darum, wie der hl. Ignatius unter Tränen zu entdecken, wie sehr Gott uns liebt, aber auch darum, sich selber anzunehmen und eine gute Beichte abzulegen, Heilung durch Versöhnung zu erfahren, befreit zu werden von seinen Ängsten und wieder Kraft zu bekommen, den christlichen Idealen von Wahrheit, Frieden und Gerechtigkeit treu zu bleiben.

Er „nennt sich selbst in seinen aufschlussreichen ‚Lebenserinnerungen‘ ausschließlich Pilger und nie mit seinem Namen, eine Bezeichnung, die seinem wahren Wesen entsprach, und zwar nicht nur wegen seiner Pilgerreise nach Jerusalem, auf der er hinkenden Fußes weite Strecken zurücklegte."[3]

Was an der Spiritualität des hl. Ignatius fasziniert, ist die Gelassenheit, mit der er alles aus der Hand Gottes annehmen konnte. Gott ist der Geber aller Gaben. Das Gute und das Böse haben unter dem Strich ihren Platz im Plan Gottes. Eine Geschichte versucht die Augen für eine solche Haltung zu öffnen: Einem Bauer läuft ein Pferd weg. Die Nachbarn sagen zu ihm: „Welch ein Unglück!“ Der Bauer meinte nur: „Wer weiß das?“ Am anderen Tag kommt das entflohene Pferd mit einem wilden Pferd zurück. Die Leute meinten: „Welch ein Glück!“ Der Bauer meinte nur: „Wer weiß das?“ Dann wollte sein Sohn das neue Pferd einreiten und stürzte, so dass die Leute wieder meinten: „Welch ein Unglück!“ Der Bauer meinte nur: „Wer weiß das?“ Anderntags kamen Soldaten ins Dorf, um die jungen Männer zu den Waffen zu rufen. Wegen seiner Verletzung wurde der Sohn nicht rekrutiert.  Die Leute meinten: „Welch ein Glück!“ Der Bauer meinte nur: „Wer weiß das?“ usw. Allein Gott weiß, für was alles gut ist. Eine solche Gewissheit zu formen, ist das Ziel einer Pilgerreise nach Santiago.

Die Sanftmut des hl. Franz Xaver

Einer der Gefährten des hl. Ignatius, der 1534 am Gelübde auf dem Montmartre teilnahm, ist der hl. Franz Xaver (1506-1552). Eine Variante des Aragonischen Weges führt im östlichen Navarra durch seinen Heimatort Javier. Im dortigen Kastell ist er geboren und aufgewachsen. 1542 brach er nach Indien auf und begann seine Missionstätigkeit auf Goa, wo noch heute sein Grab verehrt wird. In seinem Eifer kam er bis nach Malakka, zu den Molukken und schließlich nach Japan. „Mit einem Glöcklein in den Händen, so ist es überliefert, zog er unermüdlich umher, scharte Erwachsene und Kinder um sich, lehrte sie beten, mahnte sie zu christlichen Tugenden und taufte Zehntausende von ihnen, bis sein Arm ermüdete."[4] Sein Missionsstil war sanft. Oft betete er nur ein Ave Maria und die Herzen der Menschen wandten sich Jesus Christus zu.

Die Gockel-Legende des hl. Domingo de la Calzada

Viele Heilige entlang des Camino zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich um die Pilger gekümmert haben. Einer der bekanntesten ist der hl. Domingo de la Calzada (1019-1109).[5] Er war ein Eremit, der aufopferungsvoll für die Pilger sorgte. Er ließ beispielsweise ein Stück des Jakobusweges pflastern. Von daher leitet sich sein Name ab, der soviel bedeutet wie „heiliger Dominikus von der gepflasterten Straße“. Er baute Steinbrücken und legte Sümpfe trocken, er stärkte die Pilger im Glauben und organisierte Gebetszusammenkünfte. Heute verbinden die Pilger diesen Heiligen mit der Kirche Santo Domingo de la Calazada, wo sie an seinem Grab niederknien, sowie mit dem sog. „Gockelwunder“. Diese vielleicht berühmteste Jakobusweg-Legende berichtet davon, dass vor vielen Jahren eine Familie aus Xanten, Vater und Mutter mit ihrem Sohn Hugonell, durch diesen Ort nach Santiago de Compostela gepilgert ist. In einem Gasthaus stellte die Magd dem Sohn nach. Dieser aber blieb standhaft. Aus enttäuschter Liebe schmuggelte die Magd einen Silberbecher in das Gepäck des jungen Mannes. Damals stand auf Diebstahl die Todesstrafe. Der Bursche wurde nach kurzem Prozess sofort erhängt. Als die Eltern sich von ihrem toten Sohn am Galgen verabschieden wollten, lebte dieser noch. Die Überlieferung berichtet, der hl. Domingo de la Calzada habe mit seinen Schultern dessen Füße gestützt. Der Richter, der gerade beim Essen war und davon erfuhr, wollte es nicht glauben. Er meinte unwirsch: „Euer Sohn ist so lebendig wie der Gockel, den ich gerade verspeise!“ In diesem Moment krähte der Gockel und flog davon. Heute noch gibt es bei dieser Kirche einen Gockel mit Hühnern. Die Pilger glauben, wenn dieser während ihrer Anwesenheit in der Kathedrale kräht, dann werden sie ihr Pilgerziel erreichen.

Das Bienenwunder des hl. Juan de Ortega

Ein Schüler des hl. Domingo de la Calzada ist der hl. Juan de Ortega (1080-1163).[6] Er machte sich zunächst selbst als Pilger auf den Weg ins Heilige Land. Dann eiferte er seinem Vorbild, dem hl. Domingo, nach und versuchte den Menschen das Pilgern auf dem Jakobusweg zu erleichtern. Er baute Passagen aus, sicherte den Weg vor Räubern und gründete in der Nähe von Burgos das Kloster San Juan de Ortega mit einem Krankenhaus. Heute noch wird dieser Heilige wegen des sog. „Bienenwunders“ bei Kinderlosigkeit angerufen. Als ein kinderlos gebliebenes Königspaar in diesem Anliegen an seinem Grab betete, öffnete sich plötzlich der Sarkophag und es flogen weiße Bienen heraus. Die Überlieferung deutete diese Bienen auf die Seelen der Kinder, welche den Frauen geschenkt werden, die sich mit ihrem Kinderwunsch an den Heiligen wenden.

Ähnlich wie sich diese Heiligen für die Verbesserung der Infrastruktur des Jakobusweges eingesetzt haben, nehmen sich auch heute engagierte Gläubige der Pilger an. Ein Beispiel ist der ehemalige Pfarrer von O Cebreiro, Don Elias Sampedro (1929-1989). Er gilt als Visionär und Wegbereiter der Wiederbelebung des Jakobusweges. Zunächst schrieb er seine Doktorarbeit über den Camino, dann verfasste er den ersten modernen Pilgerführer. Auf ihn gehen auch die gelben Markierungs-Pfeile zurück, welche die Pilger sicher und mühelos von der französisch-spanischen Grenze bis nach Santiago de Compostela geleiten. Es gibt dazu eine schöne Anekdote. Am Anfang führt der Camino durch baskisches Land. Immer wieder war es dort zu Anschlägen der baskischen Separatistenorganisation ETA gekommen. Als Don Elias bei einer Passstraße in den Pyrenäen, die gelegentlich von baskischen Separatisten benutzt wurde, seine gelben Pfeile anbrachte, wurde er von Polizisten der Guardia Civil zur Rede gestellt. Er gab die provozierende, aber prophetische Antwort: „Ich bereite eine große Invasion vor!“ Er hatte bereits die neuen Pilgerströme vor Augen, die sich damals noch niemand vorstellen konnte.

Auch das Bergdorf O Cebreiro ist für ein Wunder bekannt. Im 14. Jahrhundert wirkte dort ein halbherziger Priester. An einem Wintermorgen, als draußen ein Schneesturm tobte, war nur ein einziger Gottesdienstbesucher gekommen – ein frommer Bauer. Der Zelebrant war ungehalten und fragte ihn mürrisch, warum er bei diesem widrigen Wetter überhaupt gekommen sei, dies wäre wirklich nicht nötig gewesen. Der Himmel war anderer Meinung. Bei der Wandlung ereignete sich das eucharistische Wunder von O Cebreiro. Die Gestalten von Brot und Wein verwandelten sich sichtbar in Fleisch und Blut Christi.

Das Vertrauen der hl. Teresa von Avila

Am Jakobusweg begegnet man auch der hl. Teresa von Avila (1515-1582).[7] Es lohnt sich für jeden Pilger, in ihre Schule zu gehen. Ihr letztes Kloster gründete sie in der Jakobusweg-Stadt Burgos. Sie stand dort mit dem Jesuiten Jerónimo Ripalda in engem Kontakt. Wenige Monate, nachdem die Heilige im Jahr 1582 Burgos verließ, starb sie.

Die hl. Teresa hielt sich für die „größte Sünderin der Welt“. In ihrer Autobiographie von 1562 schreibt sie, sie sei „ein Weib – und obendrein kein gutes“. Im stürmischen Meer des Lebens sei sie zwanzig Jahre lang von einem Wellental in ein anderes gefallen: „und wenn ich mich erhob, so nur, um neu zu fallen“. Sie habe von Natur aus nicht die Gaben mitbekommen, die man braucht, um fromm zu sein. Sie war groß und schwarzhaarig, eine leidenschaftliche Schönheit mit ungezügeltem Temperament. Zeit ihres Lebens pflegte sie intensive Freundschaften mit Männern. Einmal sagte sie: „Meine Seele kann nie Ruhe finden außer bei Gott und bei Männern, die mich verstehen.“

Heute bekennt sich die Kirche zu ihr als Kirchenlehrerin und einer der „größten Mystikerinnen der Christenheit“, also zu einer Frau, der eine ganz besondere Gotteserfahrung zuteil geworden ist. Die hl. Teresa kam 23 Jahre nach der Entdeckung Amerikas zur Welt. Als Mädchen saß sie den lieben langen Tag vor dem Spiegel. Nach damaligem Jargon war sie „putzsüchtig“. Wie Mädchen heute verrückt nach TV-Soaps sein können, so liebte und las sie unablässig Ritterromane. Von solchen Geschichten begeistert lief sie eines Tages von zu Hause weg und brannte mit einem ihrer Brüder durch, um gegen die Muslime zu ziehen und den Märtyrertod zu erleiden. Gerade noch rechtzeitig konnten die beiden wieder eingefangen werden. Nach dem Tod ihrer Mutter kam sie mit 16 Jahren in ein Augustinerinnen-Internat. Nach langem Ringen trat sie mit 20 in das Menschwerdungs-Kloster der Karmeliterinnen in Avila ein. Doch dieses Kloster glich eher einer Versorgungsanstalt und Wohngemeinschaft adliger Damen, zwar mit Gelübden, aber ohne wirkliche Führung und Spiritualität.

Teresa kam in einen Zwiespalt: „Ich kann wohl sagen, dass es das unerfreulichste Leben war, das man sich vorstellen kann. Denn weder Gott noch die Welt machten mich glücklich.“ Irgendetwas in ihrem Leben stimmt nicht. Einerseits hat sie Manieren, bezaubert die Gäste, lacht und spielt perfekt die junge Nonne. Andererseits versucht sie ernsthaft zu beten und redet sogar klug darüber. Zum einen will sie das Leben genießen, zum anderen meditieren. Bei allem ist sie tief unglücklich und der innere Kampf macht sie krank. Der Körper macht das Doppelleben nicht mehr mit. Ihr Vater nimmt sie aus dem Kloster und bringt sie zu einer Heilerin, einer Quacksalberin, wie sich herausstellen wird.

In dieser Situation fällt ihr das Buch eines Franziskanerpaters in die Hände. Sie versteht, dass es bei den kirchlichen Zeremonien nicht allein um die äußere Form geht, sondern um die Ergriffenheit des Herzens. Teresa lernt das innere Gebet! Sie versteht, Gebet ist nicht nur Form, sondern ein Gespräch mit Gott – wie mit einem Freund, der immer da ist.

Aber all das kann sie nicht mehr umsetzen. Sie wird dermaßen krank, dass sie in einen todesähnlichen Zustand fällt. Im Kloster wird schon ihr Grab ausgehoben. Doch wie durch ein Wunder kommt sie wieder zu Kräften. Sie erinnert sich an das Buch. Obwohl sie die äußeren Gebete nicht mehr verrichten kann, versucht sie Jesus, so gut sie kann, in sich gegenwärtig zu halten. Sie versetzt sich mit ihrem Herzen in seine Gegenwart, ist mit ihm, wie er lehrt, wie er leidet, und stirbt mit ihm. Über diese Zeit des Leidens sagt sie später: „Man gewinnt an einem einzigen Tag mehr durch das Ertragen der Drangsale, die von Gott oder dem Nächsten kommen, als in zehn Jahren durch selbstgewähltes Leiden.“ Teresa musste 39 Jahre alt werden, wovon sie 18 Jahre im Kloster verbrachte, um zu begreifen, was ihr fehlte. Jahrzehntelang arbeitete sie daran, die Wende herbeizuführen. Doch aus eigener Kraft gelang es ihr nicht. Gott selbst griff in ihr Leben ein. Sie beschreibt, wie ihr die Seele schon müde geworden war. Da wurde sie eines Tages durch den Blick auf ein Christusbild getroffen. Man hatte es im Kloster für ein bevorstehendes Fest aufgestellt. Der Anblick des wundenbedeckten Christus erschütterte sie in ihrer Seele. Tränenüberströmt warf sie sich vor diesem Bild nieder und flehte ihn an, dass er ihr „Kraft gebe, ihn nie mehr zu verletzen.“ Sie warf sich Christus in der Meinung zu Füßen, er könne ihre Tränen nicht von sich weisen. Da geschah es! „Dieses eine Mal, von dem ich erzählte, vor diesem Bild schien mir die innere Wirkung größer zu sein, denn ich setzte mein Vertrauen nicht mehr in mich, sondern in Gott. Ich glaube allerdings, ich sagte ihm, ich würde mich nicht wieder erheben, wenn er mein Flehen nicht erhöre. Und ich bin sicher, dass mir das half, denn von diesem Augenblick an ging es rasch aufwärts mit mir.“ Was ihr gefehlt hatte, war das Vertrauen! Später wird sie sagen: „Gepriesen sei der Herr, der mich von mir selbst erlöst hat!“

Bei der hl. Teresa findet sich der Gebetsruf: „Vor abgehobener Frömmigkeit und sauertöpfischen Heiligen bewahre uns, o Herr!“ So war nämlich ihr altes Leben, äußerlich alles in Ordnung, immer „Herr! Herr!“ auf den Lippen, im Herzen aber keine Freude, sondern nur Trübsal. – Das „alte“ Leben der hl. Teresa ist das Leben so vieler Menschen von heute gerade in der Lebensmitte. Viele machen sich damit auf den Jakobusweg: Dass „sie unausgefüllt sind, sich angezählt fühlen, wenig Spektakuläres auf die Beine gestellt haben, dass ihre Beziehungsversuche gescheitert oder unbefriedigend sind, dass sie sich eingesperrt wissen in eine berufliche oder familiäre Konstellation, dass sie sich ungeliebt fühlen, auch selbst kaum Liebe haben, weder zu sich noch zu einem anderen Menschen. Und wer hat schon genug Liebe?"[8] Die hl. Teresa empfing von Gott eine besondere Einsicht, ein unerschütterliches Vertrauen, um ihr „altes Leben“ zu überwinden. In ihrem Nachlass findet sich ein Blatt mit dem berühmten „Nada te turbe“:

„Nichts soll dich verwirren, nichts dich erschrecken! – Gott ändert sich nicht. Geduld erreicht alles. – Wer sich an Gott hält, dem fehlt nichts. Gott allein genügt.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] A. M. Sicari: Atlas der Heiligen, München 2007, 160.
[2] W. Nigg: Des Pilgers Wiederkehr, Frankfurt 1954, 13.
[3] W. Nigg, a.a.O., 14.
[4] A. Drouve: Lexikon des Jakobswegs, Freiburg 2006, 40.
[5] A. Drouve, a.a.O., 160-161.
[6] A. Drouve, a.a.O., 149.
[7] B. Langenstein: Nada te turbe. Das Lied vom Vertrauen, München 2007, 24-66.
[8] B. Langenstein, a.a.O., München 2007, 46.

Fünf Tage am Herzen Jesu

Vom 13. bis 17. August 2008 findet in Waghäusel wieder das große Internationale Prayerfestival der JUGEND 2000 statt. Dieses Mal wird auch Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann von Speyer mit dabei sein. Am Samstagabend wird er mit den Teilnehmern die Heilige Messe feiern sowie ein Glaubensgespräch führen. Das Festival, dessen Mitte die Gegenwart des Herrn in der Eucharistie bildet, dauert nicht wie üblich 40 Stunden, sondern ist mit einem umfangreichen Programm und Workshops auf fünf Tage ausgeweitet. Alle Interessierte sind herzlich willkommen.

Von Claudia Senk

Ein Prayerfestival – das sind vierzig Stunden am Herzen Jesu: Hunderte von Jugendlichen und in ihrer Mitte auf dem „brennenden Dornbusch“, einer mit Kerzen erleuchteten Pyramide, Jesus Christus in der Monstranz. Der Herr ist uns ausgesetzt – wir sind ihm ausgesetzt. Auf dem Programm stehen Lobpreis und Stille, Katechesen und Glaubenszeugnisse, der gemeinsame Rosenkranz und die Hl. Messe. Kann man heutzutage jungen Menschen mehrere Tage hindurch ein so intensives religiöses Programm zumuten? Kann das gut gehen? Die Zeugnisse von tausenden junger Menschen weltweit beweisen: Es wirkt – ER wirkt!

„Das war mein erstes Prayerfestival und es wird weitere geben. Es ist schwer in Worte zu fassen, was ich erlebe ... Die tiefe Geborgenheit und Liebe – der Geist Gottes. Ich war Jesus noch nie so nah. Ich war seit sechs Jahren wieder beichten und fühle mich befreit…“ (Johannes, 20 J.)

„Mir ist es so schwer gefallen, Maria als meine Mutter anzunehmen. Ich weiß jetzt, dass sie es wirklich ist. Ich kam schuldbeladen hierher und fahre vollkommen frei nach Hause…“ (Gisela, 16 J.)

„ … Allein die Nachtanbetung von Samstag auf Sonntag hat mir eine neue Freiheit geschenkt. Ich war schon sehr lange von der katholischen Kirche getrennt, wollte nichts mehr von Heiliger Messe, Beichte, Rosenkranz oder so hören. ... Durch die Beichte und die Zeugnisse fühle ich mich wieder im Einklang mit der Kirche, den Sakramenten. So einen inneren Frieden habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Danke Dir, Herr, und zeige mir meine Berufung in der Kirche.“ (Antoine, 35 J.)

„Auf diesem Prayerfestival habe ich Jesus ganz anders kennen gelernt und vor allem viel intensiver. Früher war er irgendein Herr. Heute ist er für mich mein Freund, Helfer und Heiland. Außerdem war es gut zu merken, dass es noch viele andere Jugendliche gibt, die sich für Gott interessieren. ... Insgesamt war dieses Prayerfestival einfach megatoll.“ (Friederike, 15)

Junge Menschen erfahren Heilung von Süchten, innerer Leere und Sinnlosigkeit. Viele spüren ganz deutlich: Gott ist da, er liebt mich, er braucht mich. Verwandelt, mit brennendem Herzen gehen sie heim und wollen Apostel sein, „Baummeister einer neuen Zivilisation der Liebe, der Gerechtigkeit, der Wahrheit und des Friedens“, so wie es Papst Johannes Paul II. 1989 auf dem Weltjugendtag in Santiago de Compostela den Jugendlichen aufgetragen hat.

Diese Sendung war der zündende Funke, der damals Ernest Williams und Richard Sohler entflammte, die YOUTH 2000/ JUGEND 2000, eine Initiative zur Neuevangelisierung, ins Leben zu rufen. Ernest war von Anfang an überzeugt, dass es den Jugendlichen nicht aus eigener Kraft gelingen kann, die Kultur des Todes zu überwinden. Sie brauchen Christus.  Deshalb steht er bei jedem Prayerfestival in ihrer Mitte – gegenwärtig im Sakrament der Eucharistie. Die jungen Menschen setzen sich den Strahlen seiner Liebe aus, um sich von Ihm formen zu lassen.

„An der Hand der Gottesmutter  junge Menschen zu einer tiefen und lebensumgestaltenden Begegnung mit dem eucharistischen Herzen Jesu zu führen“, so lautet das Missionsstatement, der Sendungsauftrag der Bewegung YOUTH 2000/JUGEND 2000, die aus diesem Impuls hervorgegangen ist.

Vom 13. bis 17. August findet in Waghäusel wieder das Internationale Prayerfestival der JUGEND 2000 mit interessanten Workshops verschiedener Bewegungen zu brennenden Themen des Lebens und des Glaubens statt. Junge Menschen können zwanglos mit Priestern und Ordensleuten in Kontakt treten und vielleicht auch ihre eigene Berufung entdecken. Für Familien mit ihren Kleinen gibt es eine Kinderbetreuung mit attraktivem und altersgerechtem religiösem Programm. Zu unserer großen Freude wird Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann von Speyer am Samstagabend zu uns kommen, um mit uns die Hl. Messe zu feiern und zum Gespräch für uns da zu sein.

Das Internationale Prayerfestival findet zum vierten Mal in einer großen Zeltstadt beim Kloster Waghäusel statt. Wer sein eigenes Zelt, seinen Wohnwagen oder Campervan mitbringen möchte, kann dies gerne tun, aber es genügen auch Isomatte und Schlafsack. Für die Mahlzeiten wird ein Unkostenbeitrag erhoben, ansonsten vertrauen wir auf großzügige Unterstützung durch freiwillige Spenden, um die Kosten für die Veranstaltung zu decken. Vergelt´s Gott!

Homepage: www.prayerfestival.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Benedikt – Vater des abendländischen Mönchtums

Nur ganz „große“ Heilige wie die Gottesmutter oder die Apostel Petrus und Paulus haben im Kalendarium zwei oder mehr liturgische Gedenktage. Zu dieser auserlesenen Schar zählt auch der hl. Benedikt von Nursia. Den Vater des abendländischen Mönchtums ehrt ein Doppelgedenken: sein Todestag am 21. März und sein Hochfest am 11. Juli. P. Notker Hiegl OSB aus der Benediktiner-Erzabtei St. Martin in Beuron wirft anlässlich dieses bevorstehenden Festes, an dem auch Papst Benedikt XVI. seinen Namenstag feiert, einen kurzen Blick auf seinen Ordensvater.

Von Notker Hiegl OSB

Benedikts Kindheit und Jugend

Der hl. Benedikt stammt aus einer vornehmen römischen Patrizierfamilie in Nursia in Italien. Seine Eltern Eutropius und Abundantia besaßen ein Landgut in der stadtnahen Provinz, auf dem sie zusammen mit ihren Helfern selber arbeiteten. Das tägliche Gebet war eine Selbstverständlichkeit. Als sie schon älter waren, kamen noch Zwillinge auf die Welt: Benedikt und Scholastika. Die Zwillingsgeburt im Jahr 480 war eine doppelte Freude für die bisher schon zahlreiche Familie. „Weißt du was, Schwesterlein? Wenn ich später einmal groß und stark bin, werde ich ein tapferer Soldat und diene Christus, dem wahren König und Herrn“, so soll Benedikt schon in jungen Jahren zu seiner Schwester Scholastika gesagt haben. „Und siehst du das kleine Wollgrasflöckchen, das da schwebt? So werde ich eine weiße Taube sein und den Herrn lieben und loben.“ Ein Stimmungsbild von ihrem gemeinsamen Gehen auf Gott zu ergibt sich aus dem 2. Buch der Dialoge des hl. Papstes Gregor des Großen, in welchem dieser erste Benediktinerpapst das Leben der heiligen Zwillinge schildert, sowie aus diversen Szenen und der Regula Sancti Benedikti.

Benedikt an der Universität in Rom

Früh, kurz nach der Überreichung der „Toga virilis“ zu seinem 15. Geburtstag im Jahr 495, schickten die Eltern Benedikt zum Studium der Wissenschaften in die noch alles überragende Großstadt Rom. Zwar war der Kaisersitz seit Konstantin dem Großen in den Osten des Römischen Reiches verlegt worden, nämlich nach Konstantinopel, zwar gab es in Norditalien das glänzende Ravenna und die Metropole Mailand, alles Städte, welche Rom den Rang in der Bedeutsamkeit von Kunst und Administration abgelaufen hatten, jedoch zehrte das „Roma aeterna“ immer noch vom „vergangenen Ruhm“. Benedikt begegnete in den Schriften des Philosophen Sokrates der Würde des Menschen: wie groß auch jeder einzelne im Gefüge der Gesellschaft sei – ob Freigeborener oder Sklave. Die Realität jedoch war noch anders. „Aber wir Christen müssen dies umsetzen“, so sagte sich Benedikt, „ohne irgendeine Ausnahme“. Bei Platon entdeckte er das höchste Gut als Ursprung alles Geschaffenen – auch das war gut so, aber dennoch zu wenig. Er wollte dem Blick dessen begegnen, den man in Liebe ehren und fürchten soll. Von Aristoteles übernahm Benedikt die Gewöhnung an das Gute und die Freude an der Tugend.

Flucht im 19. Lebensjahr

Nein. Viel Wissen, aber wenig Weisheit und noch viel weniger Tugend fand er in der Stadt. Ein innerer Kampf begann. Trinkgelage der Studenten, Sittenlosigkeit und innere Zerrissenheit, „peccata mundi“, alle Sünden der Welt umgaben den Jugendlichen in seinem Ringen um Reinheit und in seiner Ausrichtung auf Gott. Er traf eine klare Entscheidung: Weisheit ist mehr als Wissen. Nach rund sechs Semestern zog er einen konsequenten Schlussstrich und ließ Karriere „Karriere“ sein. Er begab sich auf den Pfad der Demut, der Niedrigkeit, um durch das Hinabsteigen hinauf zu Gott zu gelangen.

Benedikt erkannte diese paradoxe Weisheit, welche in den Augen der Menschen als Torheit erscheint. Aber der Weg dieser christlichen Paradoxie, der vor allem zu Beginn rau und eng ist, lässt schnell den Gipfel erklimmen. Benedikt ließ sich durch die Anfangsangst nicht vom eingeschlagenen Weg abbringen. Über den Umweg einer „Sabbatzeit“ in Enfide, immer noch begleitet von seiner Amme Cyrilla, findet er mit 20 Jahren schließlich hinauf in das Höhlengebirge bei Subiaco. Gott erwartet ihn oben auf dem Berg in der Person eines guten Mönchs mit Namen Romanus. Diesem älteren Gottsucher bekennt Benedikt, der Anfänger im Eremitenleben: „Ich will auch ein Gottsucher werden!“ „Ja, mein Sohn. Suche ihn, der dich bereits gefunden hat“, so Romanus, der dem Jungen das Mönchskleid überstreift, „hier ist eine Höhle. Wenn du eintrittst, höre auf die Stimme, welche irgendwann in deinem Herzen reden wird.“ Benedikt lacht und weint in einem vor lauter Seligkeit.

Drei Jahre in Subiaco

Jeden Tag lässt Romanus an einem langen Strick einen Korb über den schroffen Abhang der Höhle hinunter, um Benedikt mit einer Mahlzeit zu versorgen. Bergketten umschließen zu beiden Seiten das enge Tal, in dem Kaiser Nero 440 Jahre zuvor für seine Freizeit-Villa in drei Staustufen drei Seen anlegen ließ. Zur Zeit Benedikts waren davon nur mehr Ruinen übrig: „Sic transit gloria mundi!“ Ein Bach, der Anjo, schlängelt sich unter klarem, blauem Himmel plätschernd durch das Tal. Einziger Gefährte ist ein Rabe, der sich bei Benedikt seinen Bissen Brot holt. In dieser Einsamkeit gibt es nur eine Alternative: entweder „verrückt werden“ oder „entrückt werden“. Entweder der Mensch nimmt sich an, oder er verliert den Verstand. In dieser Spannung entdeckte Benedikt, wer er ist. Er ist ein Gesegneter Gottes, ein „Benediktus“. Gleichzeitig empfindet er die „Wüste“. Manchmal überkommen ihn Anfechtungen. Alles erscheint ihm widersinnig: Ich bin ein gekrümmter Wurm im Staub, bin wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Das ewige Schweigen außen und innen – alles ist Unsinn, ich gehe zurück nach Rom. Doch dann bricht wieder der Schrei hervor: „Rede Herr, dein Diener hört!“ Nein, nichts will ich Christus vorziehen. Und durch die Dornen hindurch siegt Benedikt und tanzt ganz allein von Freude erfüllt vor seiner Höhle.

Osterfest mit dem jungen Hirten

An einem Ostermorgen steht plötzlich ein junger Hirte vor dem Eingang seiner Höhle. Er sucht sein verlorenes Schäfchen. Benedikt teilt mit ihm sein Brot, das er von Romanus erhalten hat. Der Hirte und Benedikt essen miteinander. Nach dieser Begegnung erzählte der Hirte oben in den Höhlen über Subiaco von dem jungen Eremiten und sein Ruf verbreitete sich in der ganzen Gegend. Viele kamen, um ihn zu sehen. Eltern brachten dem jungen Asketen ihre Söhne zur „geistigen Lehre“. Zwei Knaben, der junge Maurus und der kleine Plazidus, setzten sich in den Kopf, nicht nur diese Lehre zu absolvieren, sondern selbst Mönch zu werden. Die Osterfestschar vergrößerte sich. Nach einiger Zeit wurde Vater Benedikt Abt für sie und für viele andere. Er verteilte die Schar auf zwölf kleinere Klöster. Dennoch bildeten die Neuankömmlinge zusammen mit ihrem Vater Benedikt eine einzige Gemeinschaft. Sie lernen voneinander und wetteifern, um sich gegenseitig besser zu verstehen und zu ergänzen. Bei der Rekreation und beim Offizium sind sie alle zusammen. Sie verbindet eine Liebe, die alle körperlichen und charakterlichen Schwächen geduldig erträgt, eine großmütige Liebe, die seliger ist im Geben als im Nehmen. In dieser Brudergemeinschaft wird das ganze Leben zu einem Osterfest.

Ora et labora

Wie die beiden Seiten einer Waage ergänzen sich im Kloster-Alltag Gebet und Arbeit, Es sind zwei Formen, die für das Wirken zum Wohl der gesamten Menschheit unentbehrlich sind. „Arbeite und sei nicht traurig“, sagte eines Tages Vater Benedikt zu einem einfältigen Mönch, einem Goten, der einen sorgenvollen und bedrückten Eindruck machte. Müßiggang ist der Feind der Seele. Keine Arbeit ist verächtlich und erniedrigend. Man muss nicht einen Dom bauen, um ein menschenwürdiges Werk zu schaffen. Geistes- und Handarbeit sind gleichwertig. Jedes Menschenwerk soll so getan werden, dass in allem Gott verherrlicht werde – ut in omnibus glorificetur DEUS. In die beiden Waagschalen sind einzulegen: der Gehorsam, das Rezitieren der Psalmen, die Beständigkeit, das stellvertretende Dasein in Lob und Fürsprache, in Buße und Sühne, die persönliche Armut und die Jungfräulichkeit, das Kämpfen in der Krise, das Bekennen der Schuld, der Empfang der Sakramente, die einzuhaltende Ordnung und die Kennzeichnung für den Herrn in Kleidung und im gesamten „Habitus“. „Oboedire“ heißt „obaudire“ – gehorchen heißt horchen. Fliehe nicht, mein Sohn, ob all dieser Waagschalen-Lasten! Bitte Gott, dass er dir für das, was deine Natur nicht vermag, die Hilfe seiner Gnade schenke. Wenn du das tust, wirst du ein wahrer Mönch sein. Du wirst Christus ähnlich werden, der bis zum Tod gehorsam war.

Der Berg Montecassino

Benedikt war 45 Jahre alt, als er zu dem Berg kam, auf dem das alte Römerkastell Cassinum erbaut war. Anstelle des engen Tales von Subiaco, der Stätte seiner Jugendzeit und seiner Reifung, erwartet ihn nun ein weiter, offener Berg im Sonnenlicht, der von der Herrlichkeit des Schöpfers kündet. Statt der schroffen Abhänge ein sanfter Anstieg, statt der engen Höhle ein breiter Bergsattel, auf dem sich ein berühmter heidnischer Tempel erhebt. Im Beuroner Benediktinerkloster ist im Klaustrum die Ankunft des Ordensvaters dargestellt, wie er die Götzenfigur auf Montecassino zerschmettert, ebenso der hl. Gallus und der hl. Kolumban, die es ihm später gleichtun, sowie der hl. Bonifatius mit der Donar-Eiche. Toleranz mit „Götzen“ ist ein unbiblisches Prädikat unserer Zeit! Wie ein Morgen leuchtet der Kirche ein Neubeginn auf. Die Mönche machen sich voller Eifer an den Bau des neuen Klosters, auch an die Neugestaltung der Kommunität. Benedikt schreibt seine Regula mit 73 Kapiteln, der Ur-Regel aller Regeln des monastischen Lebens in der Kirche des Westens. Natürlich zieht er auch vorhandene Schriften aus Mönchsgemeinschaften anderer Regionen heran, aus Südfrankreich und anderswo, die Magister-Regel und sonstige Skripten. Sein persönlicher römischer Duktus jedoch gibt der Benediktus-Regel ihre absolute Überlegenheit.

Regula Sancti Benedikti

Ein kurzer Blick in das Regel-Werk des hl. Benedikt zeigt ihre Vorzüge: durch ihr „Maß“ nicht zu streng und nicht zu „lässig“, die „discretio“ lässt beide Balken von „ora et labora“, was übrigens so in der Regel nirgends in dieser Form ausdrücklich steht, im Gleichgewicht einschwingen. „Obsculta, o fili, praecepta magistri, et inclina aurem cordis tui, et admonitionem pii patris libenter excipe et efficaciter comple, ut ad eum per oboedientiae laborem redeas, a quo per inoboedientiae desidiam recesseras.“ So beginnt das Vorwort zur Regel des hl. Ordensstifters in der typischen römischen langen Satzbildung: „Höre, mein Sohn, auf die Lehren des Meisters und neige das Ohr des Herzens, nimm die Mahnung des gütigen Vaters willig auf und erfülle sie im Werk, damit du durch die Mühe des Gehorsams zu dem heimkehrst, dem du durch die Trägheit des Ungehorsams entlaufen bist.“ Darauf folgen die einzelnen Kapitel: über die verschiedenen Arten der Mönche, wie der Abt sein Amt ausüben soll, dass die Brüder zu den Beratungen herangezogen werden sollen, welches die Werkzeuge für die guten Werke sind, vom Gehorsam und von der Demut, von der Schweigsamkeit, vom Gottesdienst und vom Psalmengebet, von den Dekanen des Klosters, vom Wochendienst in der Küche usw.  – die Regel, welche Europa in den kommenden Jahrhunderten prägen wird.

Die Liebe hört niemals auf

Benedikts Schwester Scholastika hatte sich wie ihr Bruder von früher Jugend an Gott geweiht. Einmal im Jahr pflegte sie ihren Bruder zu besuchen. Bei einem dieser Jahres-Besuche fing Scholastika im Klosterhof von Montecassino plötzlich zu weinen an: „Lieber Bruder, ich brauche deinen Zuspruch. Ich bin krank und fühle, dass mein Ende nahe ist. Ich habe den gefunden, den meine Seele liebt. Als ich schlief, wachte mein Herz. Jetzt klopft er an die Tür, und ich will ihm öffnen. Mächtige Wasser konnten die Liebe nicht löschen.“ Benedikt, der strenge Römer und Ordnungsliebhaber, wollte sich jedoch der Regel entsprechend nach Hause begeben. Scholastika aber weinte weiter, bis sich der Himmel ihren Tränen anschloss und es in Strömen regnen ließ. Die Liebe hatte über die „bloße“ Ordnung gesiegt. Erst zur Matutin war Benedikt wieder im Kloster zurück. Drei Tage danach starb seine Schwester Scholastika und er sah in der kalten Februarnacht eine weiße Taube zum Sternenhimmel emporfliegen. Gott nahm sie auf in sein Herz, er, der die ewige Liebe ist. Benedikt selbst starb rund 68-jährig, stehend vor dem Altar, gestützt durch seine Freunde. Es war der Gründonnerstag 547/548. Nimm mich auf nach deinem Wort: „Suscipe me Domine, secundum eloquium tuum et vivam, et non confundas me, ab exspectatione mea.“

Kloster Beuron und Professor Dr. Josef Ratzinger

Unter Erzabt Dr. Ursmar Engelmann hielt der junge Theologie-Prof. Dr. Joseph Ratzinger dem Benediktiner-Konvent von Beuron mehrere „Monatsvorträge“. In meiner Erinnerung blieb unter vielem anderen seine damalige „Idealvorstellung“ von Gestaltung der Hl. Messe in zwei Hinwenderichtungen: beim Wortteil der Hl. Messe die Richtung des verkündenden Priesters dem Volke zu, beim „Mess-Kanon“ jedoch die Richtung des Zelebranten auch als Zeichen des „mysterium fidei“ Gott zu. Das tägliche, lateinische Choralamt feiern wir Beuroner Mönche als Konzelebration in Halbkreisform um den Altar stehend, dem Volke zu offen. In der Beuroner Gnadenkapelle jedoch beließen wir den Altar und feiern hier die hl. Eucharistie nach der „Ideal-Vorstellung“ des damaligen, „benediktinisch“ geprägten Regensburger Professors Ratzinger. Als er zum Erzbischof von München ernannt wurde – schon wenige Wochen später zum Kardinal –, machte er wie selbstverständlich seine „Einführungsexerzitien“ bei uns im Benediktinerkloster. Es hat einen tiefen Grund, warum er sich als Papst den Namen „Benedikt“ wählte. Nomen est Omen. – So möchte ich auf diese Weise zusammen mit meinen Mitbrüdern und allen Lesern dieser Zeilen unserem Heiligen Vater ganz, ganz herzlich zu seinem Namenstag am 11. Juli gratulieren und ihm Segen über Segen wünschen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2008
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Das neue „Gotteslob“ mit neuem Namen

Pfarrer Dr. François Reckinger hat den Entwurf des „Gemeinsamen Gebet- und Gesangbuchs“, welches das seit 1975 im Gebrauch befindliche „Gotteslob“ (GL) ablösen soll, sorgfältig geprüft. Er steht dem gesamten Projekt grundsätzlich positiv gegenüber und möchte mit seinen Anmerkungen keine generelle Kritik vorbringen. Im Gegenteil zeigt sein Einsatz, wie wertvoll ihm ein gut ausgearbeitetes Gebet- und Gesangbuch für den gemeinsamen Gottesdienst ist. Mit seinen Vorschlägen nimmt er das Angebot der Probepublikation ernst, die ihren Sinn gerade darin sehen möchte, dass bis zur endgültigen Drucklegung an der Ausgabe gefeilt werden kann. In seinem dritten Beitrag geht es Dr. Reckinger vorwiegend um formale Aspekte in dem wichtigen Bereich „Gestalt und Ordnung der Liturgie“.

Von François Reckinger

Taufe und Firmung

Bei der Kindertaufe sollte für die abschließende Prozession zum Altarraum nicht nur Psalm 148, unter Nr. 15 (mit anspruchsvoller Melodie), angegeben werden, sondern zusätzlich dazu gut bekannte Gesänge, insbesondere GL 257.

Angesichts des in keiner Weise duftenden Chrisams, der nahezu allgemein verwendet wird, sollte dessen Erklärung bei der Firmung (227) nicht auf „Christi Wohlgeruch“(!) abheben, sondern ihn (nach Psalm 45,3.8) eher als „Königsöl“, Schönheitsmittel und „Öl der Freude“ deuten.

Eucharistiefeier

Was die feststehenden Messgesänge betrifft, verbietet das geltende lateinische Messbuch von 2002 kategorisch, deren Text durch andere Texte zu ersetzen. Einer Mitteilung in „Gottesdienst“ von Anfang März 2008 ist zu entnehmen, dass bis zu  diesem Zeitpunkt „in Abstimmung mit Rom“ noch zu klären blieb, „welche Anpassungen die Bischöfe für das deutsche Sprachgebiet für opportun halten und festschreiben wollen“.[1] Im Entwurf für das Gemeinsame Gebet- und Gesangbuch findet sich glücklicherweise kein Beispiel eines Credo-Liedes oder eines Sanctus-Liedes, sondern nur das Credo in seinen beiden Fassungen und das Sanctus, beides sowohl deutsch als auch lateinisch. Es gibt demnach Hoffnung, dass für diese drei Texte in Zukunft auf Ersatzformulierungen verzichtet werden soll. Eine solche Entscheidung ist auch längst fällig, denn wozu etwa das ganze Ringen zur Zeit der Konzilien von Konstantinopel I bis Chalzedon um die Formulierung des Großen Glaubensbekenntnisses, wenn heute jeder Dichter oder Komponist eigene Mini-Credos in Umlauf sollte bringen können? Und hinsichtlich des Sanctus stellt die Grundordnung des Römischen Messbuchs unmissverständlich fest, dass dieses gar kein Gesang im eigentlichen Sinn des Wortes ist, sondern eine Gemeinde-Akklamation, die zum Hochgebet gehört und darum an dessen Unveränderlichkeit teilhat (Nr. 79b).

Für das Gloria wird ein Ersatztext angeboten: ein recht bekannter, von K. Stimmer-Salzeder, der dank einer hinzugefügten 3. Strophe sehr nahe an den authentischen Text herankommt (Nr. 71). Vom Agnus Dei findet sich außer dem lateinischen Originaltext (Nr. 66) überhaupt kein Gesang im Entwurf, dafür nach den Sanctus-Melodien jedoch zwei Gesänge unter dem Stichwort „Segen“ (Nr. 81f), wobei nicht gesagt wird, an welcher Stelle des Messablaufs diese einzusetzen sind. Der zweite davon ist zudem kein eigentliches Segenslied, sondern ein Friedenslied. Er wird daher faktisch zum Friedensgruß gesungen werden und dann sehr leicht den Ausfall des Agnus Dei veranlassen. Im Sinn der „Grundordnung“ ist das nicht! Friedenslieder sind im Mess-Ordo bisher nicht vorgesehen.

Falls das Zweite Hochgebet (Nr. 105,3) auch in der endgültigen Ausgabe als einziges ausgedruckt werden sollte, wäre darauf hinzuweisen, dass es dafür mehrere Alternativtexte gibt. Für die täglich wechselnden Vorstehergebete, Lesungen und Antwortpsalmen Beispieltexte auszudrucken (Nr. 103,11; 104,1 usw.) erübrigt sich – da könnte Platz eingespart werden. Sollen solche Texte dennoch erscheinen, wäre jeweils „Beispieltext“ anzugeben. Ebenso erübrigt es sich m. E., ein Fürbittformular vorzulegen (Nr. 104,11). Geschieht es trotzdem, sollte, nach dem Beispiel anderer Sprachgebiete, auf den Adressatenwechsel zwischen den Bitten und der Abschlussformel verzichtet werden.

Der Text der beiden Glaubensbekenntnisse (Nr. 104,9f) sollte für das geordnete gemeinsame Sprechen durch Schrägstriche eingeteilt werden.

Die Eucharistie kann mit Recht als unsere (geistliche) Nahrung bezeichnet werden, nicht aber, wie S. 228, als „Lebensmittel“!

Auf die Möglichkeit, die fälligen Mitteilungen, statt vor dem Schluss-Segen (263), auch vor dem Einzug zur Messfeier zu machen, sollte hingewiesen werden. Eine solche Lösung schützt vor dem Vergessen und erweist sich um so mehr als nützlich, wenn u.a. auf einen aktuellen Kollektenzweck hinzuweisen ist, was am Ende der Feier gegenstandslos wäre, oder wenn Feste oder besondere Gottesdienste anzukündigen sind, die im Lauf der Woche anfallen und auf die der Zelebrant in der Homilie eingehen will.

Kirchenjahr

Im Bereich Kirchenjahr überrascht die Streichung der vierten Strophe des Weihnachtsliedes „Nun freut euch, ihr Christen …“ (Nr. 33; vgl. GL 143). Damit entfallen die Engelchöre, und es entfällt die Möglichkeit, sich an Epiphanie auf die beiden letzten Strophen zu beschränken und demnach mit „Der Abglanz des Vaters … ist heute erschienen …“ zu beginnen.

„Hört der Engel helle Lieder …“ dagegen (Nr. 41) gehört unter „Weihnachten“ (Nr. 26-35) und nicht unter „Epiphanie“. Zu Nr. 40, „Seht ihr unseren Stern dort stehen …“, sollte gesagt werden, dass dieses Lied als Ganzes oder wenigstens dessen 3. Strophe nur von den Sternsingern vorzutragen ist.

Dass die Bezeichnung „Epiphanie“ – in anderen Sprachbereichen eine Selbstverständlichkeit – bei uns erstmals in offiziellen Liturgiebüchern auftauchen soll, ist nachdrücklich zu begrüßen. Denn es handelt sich nicht um ein Heiligenfest – „Heilige Drei Könige“ –, sondern um die  Selbstoffenbarung Jesu in seinen machtvollen Zeichen und Wundern. In der Ostkirche, in der das Epiphaniefest entstanden ist, steht die Taufe Jesu und, wenigstens in früheren Jahrhunderten in bestimmten Gegenden, die Hochzeit zu Kana im Mittelpunkt des Festes – gründend auf Joh 2,11: „So tat Jesus sein erstes Zeichen … und offenbarte seine Herrlichkeit“. Daher sollte als Zusatz zu „Epiphanie“ in unseren liturgischen Büchern nicht „Heilige Drei Könige“, sondern die bisher geltende Bezeichnung „Erscheinung des Herrn“ stehen, wie sie ja auch hier S. 221 Mitte gebraucht wird.

Stundengebet

Zu dem erfreulich reichhaltigen Angebot in puncto Tagzeitenliturgie (Stundengebet) sind mehrere Einzelheiten anzumerken.

Von den GL-Liedern, die S. 271 als mögliche Alternativen zum ausgedruckten Laudes-Hymnus (Stundenbuch III, 288f)[2] angegeben sind, ist m.E. aus inhaltlichen und formalen Gründen lediglich eines, GL 668, liturgietauglich. Statt der übrigen könnte etwa STB III, 307 hinzugenommen werden.

Die Schriftlesung aus Nehemia 8,9f (Nr. 110,1) sollte nur für besondere Tage (etwa Sonn- und Feiertage) angeboten werden, daneben eine andere für gewöhnliche Tage. Umgekehrt sollte der Laudes-Oration (Nr. 110,7), die vom Arbeiten spricht, ein anderer Text für Sonn- und Feiertage beigegeben werden.

Als Hymnus zur Vesper „vor allem für Sonntage“ (Nr. 113,2) sollte an erster Stelle GL 701 stehen (eventuell in der Fassung von STB III, 406f): jener Gesang, der schon im 4. Jh. als von alters her überliefert galt. Unter den angegebenen Alternativtexten sollten GL 559 und um so mehr GL 557 als nicht liturgiefähig ausgeschieden werden, letzteres Lied ebenso S. 309. Auf Nr. 115,3 als Möglichkeit könnte verwiesen werden.

Für die Psalmodie der Sonntagsvesper sollte auf jeden Fall Psalm 110 angeboten werden, an erster Stelle unter „Psalmodie A“ (291f). Der an zweiter Stelle dort ausgedruckte Psalm 116 erscheint etwas lang und könnte, wie im STB, nach Vers 9 sinnvoll geteilt werden. Dafür könnten die Psalmen 111 und 122 aus der „Psalmodie B“ (296) in die später folgende allgemeine Psalmensammlung verwiesen werden.

„Offb 19,5“ als Überschrift zum Responsorium der Sonntagsvesper (Nr. 114, 4) ist offenbar ein Druckfehler. Das Responsorium selbst („Dein Wort ist Licht und Wahrheit …“) stünde besser bei der Wort-Gottes-Feier. Hierher dagegen sollte die Nr. 90 gezogen werden („Herr, mein Beten steige zu dir auf …“). Alternativ sollte dieser Text auch in der Fassung von STB III, 353, mit einfacher, auch einstimmig singbarer Melodie erscheinen. Als Magnificat-Antiphonen (Nr. 114,5) empfehlen sich an erster Stelle GL 597, 1 und 2.

Aus dem für das freier gestaltete „Abendlob“ angebotenen Psalm 141 (Nr. 115,6) sollten die zu völliger Unverständlichkeit verderbten Verse 8f (EÜ: Verse 6f) unbedingt gestrichen werden.

Dass für die Fürbitten der Ostervesper alle (zehn!) genannten Anliegen mit „alle, die“ formuliert wurden (Nr. 117,13), war keine gute Idee!

Im Anschluss an das erwähnte „Abendlob“ wird ein sehr kurzes „Nachtgebet“ angeboten, das von dieser Bezeichnung her und weil darin einzelne Elemente aus der Komplet vorkommen, nur für den späten Abend gedacht sein kann (Nr. 119,1-6). Damit beißt sich jedoch die Tatsache, dass darin zweimal von der „Schwelle des Abends“ die Rede ist (Nr. 119,2 und 4, mit Verweis auf GL 701).

Befremden muss vor allem, dass außer diesem Gebet, das, wie gesagt, Bruchstücke der Komplet enthält, nicht auf die noch aufzunehmende vollständige Komplet verwiesen wird. Sollte es dabei bleiben, wäre dies sicher eine Verarmung gegenüber dem GL – und gegenüber vielen von dessen Vorgänger-Büchern!

Bei der Sammlung von Psalmen und anderen biblischen Gesängen (77-94) wäre darauf zu achten, dass dort, wo kunstvolle mehrstimmige Melodien angeboten werden, entweder darin eine Stimme vorkommt, die leicht von der Gemeinde mitgesungen werden kann, oder aber alternativ eine einstimmige Melodie hinzugefügt wird.

Andachten

Im Bereich der Andachten (359-370) fällt auf, dass die Gemeinde bei Texten, die im Wechsel gesprochen werden, jeweils nur einen gleichbleibenden kurzen Kehrvers zu sprechen hat – durchgehend, mit einer einzigen Ausnahme: S. 370 darf sie zusätzlich noch einen Abschlusssatz sagen, kaum länger als eine Zeile! Im GL war diese Tendenz bereits zu erkennen, hier ist das Modell in radikaler Weise verwirklicht. Gute Vorbeter vorausgesetzt, brauchten die Teilnehmer für einen solchen Part eigentlich gar kein Buch. Kein Wunder, wenn sie sich angesichts dessen entmündigt und veralbert vorkommen. Der Gefahr, dass der Gemeindepart ungeordnet oder zu schnell gesprochen wird, kann man durch Markieren von Sinneinheiten mittels Schrägstrichen vorbeugen.

Noch befremdender erscheinen Struktur und Inhalt des eucharistischen Teils, der ggf. die Andacht beschließen soll (Nr. 123,7). Da gibt es weder Aussetzungslied noch Tantum ergo, noch die zu diesem gehörende Oration. Es findet sich überhaupt kein Sakramentslied, und in den beiden Texten, die angeboten werden, wird Jesus nicht als in der Eucharistie gegenwärtig angesprochen. Es handelt sich um ein knapp 14 Zeilen langes, litaneiartiges, ganz allgemein gehaltenes Christusgebet, gefolgt von einer ebenso langen Oration, die an den Vater gerichtet ist. Danach soll das Vaterunser gesprochen und umgehend der Segen erteilt werden.

Ein solches Programm würde Sinn und Inhalt der eucharistischen Anbetung völlig verkennen und in seiner Dürftigkeit zudem gegen die geltende Regelung verstoßen, wonach vor dem sakramentalen Segen „eine angemessene Zeit für die Lesung des Wortes Gottes, für Gesänge, Gebete und für Zeiten stillen Gebetes“ vorzusehen sind. „Die Aussetzung, die keinen anderen Zweck hat, als den Segen zu erteilen, ist verboten."[3]

Zum Vaterunser vor ausgesetztem Allerheiligsten: Das ist natürlich nicht verboten, und es ist nichts dagegen einzuwenden, etwa bei einer Rosenkranzandacht, wenn diese als eucharistische Andacht gefeiert wird (vgl. Nr. 124). Wenn die eucharistische Anbetung dagegen den in jedem Fall relativ kurzen Schlussteil einer bis dahin ohne Aussetzung gefeierten Andacht darstellt, empfiehlt es sich eher, diesen nichteucharistischen Teil mit dem Vaterunser zu beschließen. Das Gegenteil kann leicht den bei vielen Teilnehmern ohnehin vorhandenen Mangel an Unterscheidung der göttlichen Personen noch bestärken.

Um diese Unterscheidung zu fördern, erscheint für das Lied Nr. 45, „Dich liebt, o Gott, mein ganzes Herz …“ die Umformung des letzten Verses der ersten Strophe empfehlenswert, wie sie etwa der Paderborner Anhang zum GL (dort Nr. 86) vorgenommen hat. Statt „… Ach wasch mein Herz in deinem Blut!“ heißt es dort, an den Vater gerichtet: „Ach wasch mein Herz in Jesu Blut!“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Gottesdienst 42, 5/2008, 34.
[2] Im Folgenden abgekürzt: STB.
[3] Römisches Rituale: Kommunionspendung und Eucharistieverehrung außerhalb der Messe, Vatikan 1973, Nr. 89 (Übers. nach der deutschen Studienausgabe, Salzburg/Trier/Zürich 1976).

 

 

 

Neues Fatima-Buch

Der Paderborner Weihbischof Matthias König hat zu einem neuen Büchlein über Fatima[1] ein berührendes Grußwort geschrieben. Vor zwei Jahren hatte er die Autorin auf einer Wallfahrt zu dem portugiesischen Marienheiligtum selbst als überzeugende Pilgerleiterin erlebt. Schon seit 35 Jahren begleitet sie Gruppen an diesen Ort und versucht sie in sein Geheimnis einzuführen. Weihbischof König legt Zeugnis davon ab, wie er persönlich durch die Begegnung mit Frau Müller einen neuen Zugang zur Botschaft und Spiritualität von Fatima erhalten hat. So kann er mit warmen Worten ihr Buch empfehlen.

Von Weihbischof Matthias König, Paderborn

Im Oktober 2006 hatten sich rd. 50 Pilgerinnen und Pilger aus dem Erzbistum Paderborn und darüber hinaus zusammengefunden, um von Frankfurt aus nach Lissabon zu fliegen. Dort ging es dann weiter zur Wallfahrt nach Fatima. Ich selber – gerade zwei Jahre im Dienst des Erzbistums Paderborn als Weihbischof – durfte diese Gruppe begleiten. Ich gebe zu, dass ich, was Fatima betrifft, ein wenig skeptisch die Reise angetreten habe, denn so richtig nahegekommen war mir bis dahin die Botschaft und die Spiritualität dieses Gnadenortes noch nicht.

Am Flughafen wurden wir von Frau Ursula Müller, unserer Reiseleiterin, in Empfang genommen und souverän durch alle Kontrollen und Hindernisse geführt. Es war wie der Auftakt einer souverän begleiteten Wallfahrt, die von tiefer Innerlichkeit geprägt werden sollte. Von Anfang an hat es Frau Müller verstanden, uns an Fatima heranzuführen und uns das Geheimnis dieses Wallfahrtsortes nahezubringen: einstimmendes Rosenkranzgebet, Lieder, aber auch ihre sehr persönlichen Zeugnisse haben die Busfahrt von Lissabon nach Fatima bereichert und kurzweilig werden lassen. Wir konnten innerlich ankommen. Frau Müller hat uns beeindruckt durch ihren persönlichen tiefen Glauben, aber auch durch all ihre Erfahrungen, die sie mit und um Fatima machen konnte. Sie hatte keine Hemmungen, von ihrem eigenen Erleben zu erzählen – das hat die Wallfahrt so wertvoll gemacht.

Am Gnadenort selber haben wir gespürt, dass sie hier zu Hause ist: nicht nur, dass sie sich vor Ort auskannte, sondern dass sie uns mit einer Selbstverständlichkeit durch die heiligen Stätten führte, die deutlich machte, dass sie seit über 35 Jahren jedes Jahr mehrmals hierherkommt. Die Gottesmutter war und ist ihre Vertraute, die sie begrüßt und verabschiedet, wenn die Reise beginnt und zu Ende geht. Bei ihr kann sie „abladen“, was sie und die Menschen, die ihr ein Gebetsanliegen mitgegeben haben, betrifft und belastet, von ihr Kraft erbitten.

Ich habe gespürt, dass ein solches Zeugnis ansteckend ist. Von vornherein war es keine touristische Reise, die wir machten, sondern eine wahre Wallfahrt: im guten Sinne fromm und intensiv. Die Gruppe, die sich zum größeren Teil vorher nicht kannte, hat sehr schnell zu einer guten Gemeinschaft zusammengefunden, die in der Feier der Eucharistie, dem gemeinsamen Rosenkranzgebet, den Lichterprozessionen eine tiefe Beziehung aufbauen konnte, die ohne die Führung von Frau Müller vermutlich nicht zustande gekommen wäre.

Man nahm selbstverständlich Rücksicht auf die schwächeren und behinderten Pilger und Pilgerinnen; einer stand für den anderen ein. Auch das war eine Erfahrung, die ich bisher nicht auf jeder Pilgerreise gemacht habe.

Für mich waren die Tage – zumal wir den Erscheinungstag, 13. Oktober, mit der großen Messfeier erleben durften – ein wirklich tiefes geistliches Erlebnis, besonders dank der Initiative, des Einsatzes und des Zeugnisses von Frau Müller, der ich auch jetzt noch dafür zutiefst dankbar bin.

Dass sie die Erlebnisse der Jahrzehnte nun in einem Büchlein zusammenfasst, kann vielen Menschen, die Fatima schon öfter erlebt haben oder wie ich im Jahr 2006 zum ersten Mal dorthin reisen durften, eine große Hilfe sein, den Gnadenort besser zu verstehen und das in sich aufzunehmen, was er an Botschaften auch für unsere Zeit bereithält.

Ich wünsche Frau Müller, dass sie noch viele Menschen dorthin begleiten kann, zusammen mit ihrem Mann, der im gleichen Geiste wirkt, und wünsche allen, die dieses Büchlein lesen, Erbauung und Kraft aus dem Glauben, der in Fatima fast mit Händen zu greifen ist.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Ursula Müller: Fatima – Erlebtes und Gelebtes, Bernardus-Verlag 2008, geb., 240 S.,  ISBN: 978-3-810-7976-1, Euro 16,80.

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