Selige Mutter Rosa Flesch

Am 4. Mai wurde Mutter Flesch, die Gründerin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen, in einem feierlichen Pontifikalamt zur Ehre der Altäre erhoben. Die Seligsprechung nahm der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner im Namen Papst Benedikts XVI. vor. Rund 6.000 Gläubige nahmen im Trierer Dom und auf dem Domfreihof an der Zeremonie teil. Kardinal Meisner stellte in seiner Ansprache nicht nur den Dienst der neuen deutschen Seligen an den Armen und Bedürftigen heraus, sondern vor allem die tiefe Bedeutung ihres Leidens. Auf tragische Weise wurde sie von ihrer eigenen Gemeinschaft an den Rand gedrängt und totgeschwiegen. Doch sie verwandelte die Ablehnung in Liebe und Gnade. Für Kardinal Meisner zählt sie zu den „wahren Lehrern der Kirche“. Nachfolgend eine Kurzfassung seiner Predigt.

Von Joachim Kardinal Meisner, Köln

„Noviziat“ in der eigenen Familie

Mutter Maria Rosa Flesch kommt aus Schönstatt bei Koblenz. In der Keltermühle in Niederbreitbach im Wiedtal musste Margaretha, wie sie mit ihrem weltlichen Namen hieß, nach dem Tod ihrer Mutter als älteste Tochter für den Unterhalt ihrer sechs jüngeren Geschwister mitsorgen. Hier begann eigentlich schon ihr Noviziat als Ordengründerin und Schwester ihrer Mitmenschen. Die Liebe Christi drängte sie angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen ihrer Zeit, den zahllosen Menschen in Armut, Krankheit und Not beizustehen. Sie fühlte sich für sie verantwortlich.

Erster Schritt mit Gleichgesinnten

Bald erkannte Margaretha, dass zwei Hände und ein liebendes Herz allein nicht genügen, um den Menschen zu helfen. Darum suchte sie nach einem Miteinander Gleichgesinnter, dem Drängen der Liebe Christi nachzukommen. Im Herbst 1851 zog Margaretha Flesch, zusammen mit ihrer epilepsie-kranken Schwester Marianne, in eine der leer stehenden Klausen in der Kreuzkapelle nahe Waldbreitbach, von wo aus sie die Armen und Kranken des Ortes, bald auch Waisenkinder, aufopferungsvoll betreute. Als Tagelöhnerin, mit Handarbeiten und Unterricht bestritt sie ihren Lebensunterhalt. Ihre Mitschwestern schätzten sie zunächst hoch. Nach Schwester Maria Capistrana Clasen war Mutter Maria Rosa klug und hatte ein gutes Urteil. Und Schwester Maria Radberta Surges berichtete: „Sie sprach wenig und betete viel“.

Im Schatten des Kreuzes

Die Franziskanische Spiritualität prägte ihre Hingabe an Christus vornehmlich in den Kranken und Suchenden. Von ihr stammt das nachdenkliche Wort: „Nur in der Armut ist mir die Hilfe Gottes versprochen, nicht im Überfluss“. Ihr Dienst stand von Anfang an im Schatten des Kreuzes und nahm deshalb oft die Gestalt des Leidens an. Es gibt, wie bei der seligen Mutter Maria Rosa Flesch deutlich sichtbar, eine besondere Berufung in der Kirche, nicht Zuschauer, sondern Mitwirkender seiner Passion zu sein. Alle Geheimnisse des Lebens Jesu sind an die Kirche verteilt. Die Leidensstation, bei der Petrus, der künftige erste Mann der Kirche, bei der Gefangennahme des Herrn vor einer Magd den Herrn verleugnete: „Ich kenne ihn nicht“ (Lk 22,57), war an Mutter Maria Rosa weitergegeben. Auch über sie wurde von den Ihrigen gesagt: „Ich kenne sie nicht“.

Opfer ungerechter Ausgrenzung

Hier hat Mutter Maria Rosa ihren Platz. Im Jahre 1878 ist sie im Alter von 52 Jahren nach 14-jähriger Leitung nicht mehr wiedergewählt worden. Andere rissen die Führung an sich. Die Stifterin wurde ausgegrenzt, ihr Andenken konsequent aus dem Gedächtnis der Gemeinschaft getilgt. Viele nachfolgende Schwestern kannten sie als Gründerin gar nicht. Mit Manipulation und sogar Wahlfälschung verhinderten gewisse Kreise um sie herum im Jahre 1881 erneut ihre Wiederwahl. Dieser Zustand wird 28 lange Jahre anhalten, fast ein Menschenalter lang. Diese tragischen Umstände bewogen die Benediktinerin Schwester Maura Böckeler, ihre Biographie von Mutter Maria Rosa mit der Überschrift „Die Macht der Ohnmacht“ zu versehen.

Geduldiges „Ja“ zur Ablehnung

Wie in einem chemischen Prozess eines Labors wurden in ihrem Herzen Ablehnung, Zurücksetzung, Hass, Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit durch Leiden, Geduld, Schweigen und Beten verwandelt in Liebe, Gnade und geistliche Fruchtbarkeit für ihr Werk. Mutter Maria Rosa Flesch hatte sich nicht verweigert. Hier sagte sie „Ja“ zur Nachfolge Christi, „Ja“ zur Teilhabe der Sendung Jesu an der Welt, „Ja“ zu einer Kirche, die bezeichnet ist mit dem Kreuz. Ihr stand das Wort des hl. Augustinus vor Augen: „Gib, Herr, was du verlangst, und verlange, was du willst“. Dieses Drama ihres Lebens berührt uns heute besonders tief.

Mitwirkende an der Erlösung

Mutter Maria Rosa stand die längste Zeit ihres Ordenslebens in Stellvertretung für die ihr Anvertrauten vor dem Angesicht Gottes. Wir wiederholen nochmals: Alle Geheimnisse des Lebens Jesu, seines Wirkens und besonders seiner Passion sind in irgendeiner Weise an die Christen verschenkt und verteilt. Sie haben an allen Schätzen und Stationen Anteil. Sie können mitwirken, mitgekreuzigt werden, mitauferstehen, am Jüngsten Tag mitrichten, der ewigen Seligkeit des Sohnes mit teilhaftig werden. Wie sollten sie darum also nicht auch teilhaben am Hauptakt der Erlösung, an der Möglichkeit, die Menschen, d.h. die gottlos gewordenen Menschen, zu vertreten? Natürlich in dem Maße wirksamer, als sie von ihren eigenen Sünden befreit und zu einem Mittragen des Kreuzes und zur Teilnahme seiner Einsamkeit geeignet und bereit werden. Mutter Maria Rosa wird dafür sorgen, dass auch eine in die Kirche eindringende Erfolgsideologie nicht dieses biblische Gedächtnis dafür auslöschen wird. Denn wir stehen heute zunehmend in Situationen, die nur durch den Gedanken der Stellvertretung oder – was das Gleiche ist – durch den Gedanken der Gemeinschaft der Heiligen bewältigt werden können.

Patronin der stellvertretenden Sühne

Mutter Maria Rosa ist geradezu eine Patronin der stellvertretenden Sühne. Denn dazu sind alle Christen, jeder in seiner Weise, berufen. Gemeinschaft der Heiligen geht vom Kreuz aus. Diese Gemeinschaft ist keine empirische oder psychologisch erfassbare, sondern ist Einsamkeit und Leiden für den Aufbau der Gemeinschaft des Leibes Christi, der die Kirche ist. Mutter Maria Rosa war ganz von einer tiefen Liebe zur konkreten Kirche beseelt. Schwester Marzella Schumann schrieb diesbezüglich in der Lebensbeschreibung von Mutter Maria Rosa: „Als im Jahre 1846 Pius IX. den Stuhl Petri bestieg, erkannte sie, dass Seine Heiligkeit viel leiden müsse. Er ist ein Kreuzespapst, sagte sie und bat den lieben Gott, er möge einen Teil seiner Leiden auf ihre Schultern legen. Der liebe Gott nahm das Opfer an, wie es die Geschichte zeigen wird. Sie betete und litt für die Kirche und für ihre Mitmenschen.“

Leuchtendes Zeichen für unsere Zeit

Am 25. März 1906 starb Mutter Maria Rosa in Waldbreitbach. Schwester Marzella Schumann, die sich mit der Stifterin über die Entstehung der Gemeinschaft in ihrer zweiten Lebenshälfte häufig unterredete, hielt Folgendes schriftlich fest: „Ihre ungekünstelte, schlichte, einfache Redeweise dabei ist klarer Beweis, dass die Tatsachen auf Wahrheit beruhen. Sie wies alle Ehre von sich, indem sie sich nur als armseliges Werkzeug in Gottes Hand betrachtete.“ Jahrzehnte sollten allerdings vergehen, bis sich die Gemeinschaft ihrer wieder erinnerte und ihrer Gründerin die Anerkennung und Wertschätzung zukommen ließ. Ihr Geist der Nachfolge und des Dienstes bis zuletzt, der Unscheinbarkeit und Zuverlässigkeit kam langsam wieder zum Vorschein. Im Hinblick auf Maria, das Urbild der Ganzhingabe, wurde die Gründerin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen zu einem leuchtenden Zeichen für ihre Gemeinschaft und darüber hinaus für die ganze Kirche, gerade auch in der heutigen Situation.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
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Was sagt der Papst in seinem Brief an die Kirche in China?

P. Anton Weber SVD ist Direktor des katholischen China-Zentrums in St. Augustin. Nach der Veröffentlichung des Briefes Papst Benedikts XVI. an die katholische Kirche in China vom 27. Mai 2007 verfasste er verschiedene Kommentare. In einem Beitrag für die missio korrespondenz (Nr. 3/2007, S. 5-6) stellte er die wesentlichen Inhalte des Papstbriefes heraus. Der nachfolgende Auszug aus dem Artikel von P. Weber zeigt, wie sehr der Papst darum bemüht ist, die seit über 50 Jahren anhaltende Spaltung der katholischen Kirche in China zu überwinden.

Von Anton Weber

Absicht des Papstes

Der Brief Papst Benedikts an die katholische Kirche Chinas spricht für alle, die seinen pastoralen Schwerpunkt erkennen, eine klare Sprache. Es geht dem Papst wesentlich darum, eine grundsätzliche Orientierung zu geben, ohne aber den Problemen, die durch den tragischen Ablauf der Geschichte der vergangenen 50 Jahre geschaffen wurden, aus dem Wege zu gehen. Das Hauptanliegen, das sich wie ein roter Faden durch den ganzen Brief zieht, ist die Integrität der Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen mit der Universalkirche und ihre Verbindung mit dem Papst, dem sichtbaren Haupt dieser Kirche.

Voraussetzungen für Dialog und Gemeinschaft geschaffen

Dass viele Angehörige der Untergrundkirche die Treue zur Kirche unter Beweis gestellt und dafür gelitten haben, wird in dem Brief anerkannt. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass ein Wandel stattgefunden hat und in Anbetracht der Tatsache, dass der Großteil der Bischöfe Chinas inzwischen von Rom anerkannt ist, mehr Offenheit möglich ist. Die Bereitschaft zum Dialog als Voraussetzung für konkrete Schritte der Versöhnung wird nahe gelegt. Früher der Untergrundkirche verliehene Privilegien, die für die damalige Zeit zur strengen Wahrung der katholischen Identität ihre Bedeutung hatten, werden aufgehoben. Damit ist eine größere Offenheit gegeben, die soweit geht, dass der Papst zugesteht, dass Angehörige der Untergrundkirche im sakramentalen Bereich sich an Bischöfe und Priester wenden können, die Mitglieder der offenen Kirche sind, vorausgesetzt, dass diese vom Papst anerkannt sind und sich zu dieser Gemeinschaft mit dem Papst und der Universalkirche bekennen.

Problem 1: Unabhängigkeit als Ziel

Im Zusammenhang mit der Lehr- und Leitungsaufgabe der Bischöfe weist der Papst erneut darauf hin, dass dort, wo in der Kirche versucht wird, „die Prinzipien der Unabhängigkeit und Autonomie, der Selbstverwaltung und der demokratischen Administration“ zu verwirklichen, dies mit der katholischen Lehre unvereinbar sei. Dagegen wiesen hohe Vertreter der Regierung bei der Feier des 50-jährigen Bestehens der Patriotischen Vereinigung am 25. Juli in Beijing darauf hin, wie groß das Verdienst der Patriotischen Vereinigung gerade darin bestehe, dass es ihr gelungen sei, die Unabhängigkeit der katholischen Kirche voranzutreiben, und dass dies auch weiterhin das erklärte Ziel dieser Organisation bleiben solle.

Problem 2: Bischofsernennungen

Auch die Ausführungen des Papstes über die Ernennung der Bischöfe stehen im Gegensatz zu der von staatlicher Seite vertretenen Praxis der Bischofsernennungen. Die Regierung nimmt über die Patriotische Vereinigung für sich in Anspruch, Bischöfe zu ernennen, und betrachtet die Forderungen Roms, dieses Recht als Bestandteil der Wesensstruktur der Kirche wahrzunehmen, als politische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas.

Problem 3: Missverständnis der Kirche als politische Gemeinschaft

Es ist bis jetzt dem Vatikan nicht gelungen, die Regierung der VR China zu überzeugen, dass die Kirche keine politische Gemeinschaft ist und auch keine politischen Ambitionen hat, sondern dass es ihr nur um das spirituelle Wohl der Gläubigen und die Verwirklichung christlicher Werte geht, zu denen ja auch die von der chinesischen Regierung geforderte Liebe zum Vaterland gehört. Aber auch angesichts dieser Gegensätzlichkeit bringt der Papst im Brief die Bereitschaft zum Ausdruck, mit der VR China konkrete Wege der Kommunikation zu finden, um die Missverständnisse der Vergangenheit zu beseitigen und eine Lösung zu finden, die den Ansprüchen beider Seiten gerecht wird.

Aktueller Testfall

Ein erneuter Testfall, wie weit Bereitschaft auf Seiten Beijings vorhanden ist, auf Kommunikation und Kooperation mit Rom einzugehen, ist wohl auch die Wahl des neuen Bischofs von Beijing, des Nachfolgers des am 20. April verstorbenen Bischofs Fu Tieshan. Mit überzeugender Mehrheit und auf „demokratische“ Weise wurde am 16. Juli von einem 93-köpfigen Gremium der Beijinger Erzdiözese, bestehend aus 47 Priestern, 8 Schwestern und 38 Laienchristen der Priester Josef Li Shan zum Nachfolger im Bischofsamt gewählt. Der Staatssekretär des Vatikan, Kardinal Tarcisio Bertone, hat sogleich wissen lassen, dass der Kandidat auch für Rom akzeptabel sei. Nun wartet man in Rom auf das offizielle Gesuch aus Beijing um die Anerkennung des gewählten Kandidaten. Ob das geschieht? Es käme einem kleinen Wunder gleich. In kluger Voraussicht, dass der Weg, den die Kirche Chinas noch zu gehen hat, von immensen Schwierigkeiten begleitet sein wird, hat der Hl. Vater denn auch am Ende seines Briefes seine Zuflucht zur Gottesmutter genommen und den 24. Mai – den liturgischen Gedenktag der Allerseligsten Jungfrau Maria unter dem Titel „Hilfe der Christen“ – weltweit zum Gebetstag für die Kirche Chinas bestimmt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
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Aufruf zum Gebet für China

Mit großem Interesse verfolgt Pfarrer Erich Maria Fink von Russland aus die Entwicklung in China. Was die katholische Kirche vor knapp zwanzig Jahren in der ehemaligen Sowjetunion erleben durfte, das wünscht sie nun auch ihrem Nachbarland: einen gewaltfreien Übergang vom Kommunismus zu einer Gesellschaftsform, die kirchliches Leben und Evangelisierung in Freiheit ermöglicht. Pfarrer Fink betrachtet die gegenwärtige Situation in China als einen historischen Augenblick, der alle Gläubigen dazu einlädt, für umfassende Veränderungen im Reich der Mitte zu beten.

Von Erich Maria Fink

Unwiederholbarer „Kairos“

Über China ist wohl noch nie so viel gesprochen und diskutiert worden, wie in diesen Tagen. Unterschiedlichste Faktoren treffen zusammen und lenken die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf das Riesenreich im Zentrum des asiatischen Kontinents. Mit Sportlern aus allen Ländern bereitet sich China auf die Austragung der Olympischen Sommerspiele vor. Die Unruhen in Tibet bilden nicht nur für China selbst, sondern im Vorfeld des sportlichen Großereignisses auch für die internationale Völkergemeinschaft eine Herausforderung. Das Erdbeben im Süden des Landes hat mit seinen verheerenden Folgen das gesamte menschliche und politische Planen aus den Fugen gerissen. Zum ersten Mal wurde am 24. Mai dieses Jahres auf Anregung Papst Benedikts XVI. der alljährliche Weltgebetstag für die katholische Kirche in China begangen. Es ist gewiss nicht übertrieben, wenn wir angesichts dieses Zusammentreffens von einem unwiederholbaren Kairos sprechen.

China ist reif füreinen Umschwung

Als Kairos bezeichnet man gewöhnlich einen historischen Augenblick, der eine besondere Chance in sich birgt. Doch gilt es, einen Kairos zu nützen; denn lässt man ihn tatenlos verstreichen, bietet sich eine solche Gelegenheit vielleicht nie wieder. Die Entwicklungen, die derzeit in China von verschiedensten Seiten angestoßen werden, könnten letztlich zur Überwindung der kommunistischen Diktatur im Land führen. Zu wünschen wäre ein Zusammenbruch des Systems ohne Blutvergießen, wie dies im Ostblock Ende der 80er Jahre geschehen ist. Was jedoch in der Sowjetunion fehlte, war ein organischer Übergang der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung in die neuen demokratischen Strukturen. Bis heute haben sich viele Länder vom unkontrollierten Zerfall nicht wirklich erholt. Demgegenüber ist China auf einem guten Weg. Es besäße bereits das entsprechende Fundament für einen geordneten gesellschaftspolitischen Umschwung.

Die führende Hand Gottes

Die derzeitigen Ereignisse in China dürfen im Licht der Vorsehung Gottes betrachtet werden. Umso mehr wird klar, dass die von ihnen ausgelöste Dynamik nach der führenden Hand Gottes ruft. Der erhellte Horizont könnte sich schnell wieder verfinstern. Es ist nicht die Aufgabe der katholischen Kirche, den Konflikt in Tibet oder die Spannungen zwischen China und Taiwan zu beurteilen. Hier haben es die Verantwortlichen klugerweise vorgezogen, auf jegliche politische Bewertung der Auseinandersetzungen zu verzichten. Auch die demonstrativen Akte im Zusammenhang mit dem Fackellauf zur Vorbereitung der Olympiade sind nicht unbedingt Sache der Kirche. Doch können die Christen all das, was zurzeit in Bewegung gerät, als Signal verstehen. Es ist ein Anlass, ja ein Weckruf, für das Land zu beten. Der Herr der Geschichte kann die Erschütterungen nützen und den Lauf der Politik in die Richtung der endgültigen Befreiung des chinesischen Volkes lenken. Dafür lohnt es sich, einen weltweiten Gebetssturm zum Himmel zu schicken.

Anliegen Papst Benedikts XVI.

Es ist selbstverständlich, dass weder die Verantwortlichen der katholischen Kirche in China noch der Papst zum Gebet für die Überwindung des Kommunismus in China aufrufen können. Die Aufgabe des Obersten Hirten der Kirche besteht darin, die Wunden der Spaltung innerhalb der katholischen Kirche in China zu heilen und sie als ganze in die Weltkirche zu integrieren. Deshalb kommt in den offiziellen Äußerungen des Papstes alles darauf an, den Machthabern in China zu zeigen, dass die Katholiken loyale Staatsbürger sein möchten. In seinem Brief an die katholische Kirche in China vom 27. Mai 2007 schreibt er: „China möge wissen: Die katholische Kirche hat die feste Absicht, noch einmal einen bescheidenen und uneigennützigen Dienst in den ihr zukommenden Dingen zum Wohl der chinesischen Katholiken und aller Bewohner des Landes anzubieten. … Daher hat auch die katholische Kirche in China die Sendung, nicht die Struktur oder die Verwaltung des Staates zu ändern, sondern den Menschen Christus, den Retter der Welt, zu verkünden“ (Nr. 4).

Forderung nach echter Religionsfreiheit

Allerdings verbindet der Papst mit seiner Bekundung auch klare Forderungen. Zunächst zitiert er aus seiner Enzyklika Deus caritas est vom 25. Dezember 2005: „Die gerechte Gesellschaft kann nicht das Werk der Kirche sein, sondern muss von der Politik geschaffen werden. Aber das Mühen um die Gerechtigkeit durch eine Öffnung von Erkenntnis und Willen für die Erfordernisse des Guten geht sie zutiefst an“ (Nr. 28). Danach fährt er fort: „Die zivilen Autoritäten sind sich wohl bewusst, dass die Kirche in ihrer Lehre die Gläubigen dazu auffordert, gute Bürger, respektvolle und aktive Mitarbeiter des Gemeinwohls in ihrem Land zu sein. Aber es ist ebenso klar, dass sie vom Staat verlangt, diesen katholischen Bürgern die volle Ausübung ihres Glaubens unter der Achtung einer echten Religionsfreiheit zu gewährleisten“ (Nr. 4).

Spaltung der katholischen Kirche in China

Genau darin besteht das Problem. Solange die kommunistische Partei in China an der Macht ist, wird es weder eine wirkliche Religionsfreiheit noch eine Überwindung der Spaltung innerhalb der katholischen Kirche Chinas geben. Ein kurzer Blick in die Geschichte: Nach der Machtergreifung der Kommunisten im Jahr 1949 mussten zunächst alle ausländischen Missionare das Land verlassen. Dieser Prozess dauerte bis Mitte der Fünfzigerjahre. 1951 brach Peking die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab. 1957 wurde unter dem Druck der kommunistischen Regierung die Katholische Patriotische Vereinigung (KPV) gegründet, um Kontakte der chinesischen Katholiken mit dem Vatikan zu verhindern. Bis jetzt ist es Katholiken offiziell nur im Rahmen dieser Vereinigung erlaubt, ihren Glauben zu praktizieren. Der Staat kontrolliert maßgeblich das Leben der KPV und behält sich die Ernennung von Bischöfen vor. Bereits im Jahr 1957 hatte Papst Pius XII. die Bischöfe, die an der Gründung der KPV beteiligt waren, exkommuniziert. Seitdem existieren in China die KVP, die nach eigenen Angaben heute etwa 5 Millionen Mitglieder zählt, und die katholische Untergrundkirche, zu der etwa 10 bis 12 Millionen Gläubige gehören, nebeneinander, wobei sich allerdings immer größere Überschneidungen zeigen.

Geist der kommunistischen Revolution

Die Volksrepublik China signalisiert zwar neuerdings immer wieder, an einer Verständigung mit dem Vatikan interessiert zu sein. Doch setzt sie die Verfolgung der Untergrundkirche unvermindert fort. Gläubige, Priester und Bischöfe werden schikaniert, unter Hausarrest gestellt oder ins Gefängnis geworfen. Ausländischen Missionaren ist die Tätigkeit in China weiterhin offiziell verboten. Die Wallfahrten zum Marienheiligtum in Sheshan am 24. Mai, dem Patrozinium und ersten Weltgebetstag für China, wurden besonders dieses Jahr radikal behindert. Und was die Ernennung der Bischöfe durch Rom betrifft, so bleibt die chinesische Regierung bis zum heutigen Tag kompromisslos. Mit welchem Geist die chinesische Regierung überhaupt ihre Ziele durchsetzt, zeigt auch die Tatsache, dass sie allein im letzten Jahr in mindestens 5.000 Fällen die Todesstrafe vollstreckt hat.

Aufgabe der Weltkirche

Um den Ostblock „aufzubrechen“, forderte die Jungfrau Maria in Fatima die Katholiken der ganzen Welt zum Rosenkranzgebet auf, und zwar ausdrücklich für die Bekehrung Russlands. Auch hier ging die Initiative nicht vom Vatikan oder von Gläubigen in der Sowjetunion aus. Die Hilfe musste von außen kommen. Millionen sind dem Aufruf der Gottesmutter gefolgt und haben mit ihrem Gebet die Wende herbeigeführt. China gehört letztlich zu den Anliegen von Fatima! In ihrer Botschaft sagte die Gottesmutter 1917: „Wenn man meine Bitten erfüllt, wird Russland sich bekehren und es wird Friede sein. Wenn nicht, so wird es (Russland) seine Irrtümer in der Welt verbreiten, Kriege und Verfolgungen der Kirche hervorrufen; die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben; mehrere Nationen werden vernichtet werden …“ Eindeutig ist China eines der besagten Opfer. Die Irrtümer, von denen die Gottesmutter spricht, ist der atheistische Kommunismus, der vor 60 Jahren von Russland aus auch China erfasste. Und wie die Erfahrung zeigt, hat sich das sozialistische Weltbild in diesem Land auf die Formung des Menschen tiefgehender ausgewirkt als beispielsweise in Russland selbst. Der Weltgebetstag für die katholische Kirche in China sollte nur als Auftakt gesehen werden und zu einem Gebet um die Befreiung Chinas ausgeweitet werden. Welche Sonne der Evangelisierung könnte aufgehen, wenn für über eine Milliarde religiös unbedarfter Menschen in China der Weg zu Christus und seiner Kirche frei gemacht würde!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Gebet zu Unserer Lieben Frau von Sheshan

Benedikt XVI. hat anlässlich des Weltgebetstages für die Kirche in der kommunistischen Volksrepublik China am 24. Mai das nachfolgende Gebet zu Unserer Lieben Frau von Seshan verfasst.

Heilige Jungfrau Maria,

Mutter des Mensch gewordenen Wortes Gottes und unsere Mutter, du wirst im Heiligtum von Sheshan als „Hilfe der Christen“ verehrt, auf dich schaut mit Andacht und Liebe die ganze Kirche in China, zu dir kommen wir heute, um dich um deinen Schutz anzuflehen.

Richte deine Augen auf das Volk Gottes und führe es mit mütterlicher Sorge auf den Wegen der Wahrheit und der Liebe, damit es unter allen Umständen Sauerteig für ein harmonisches Zusammenleben aller Bürger sei.

Bereitwillig hast du in Nazareth dazu Ja gesagt, dass der Ewige Sohn Gottes in deinem jungfräulichen Schoß Fleisch annehme und so das Werk der Erlösung in der Geschichte beginne.

Mit großer Hingabe, bereit, deine Seele vom Schwert des Schmerzes durchdringen zu lassen, hast du dann an diesem Werk der Erlösung mitgewirkt bis zu jener äußersten Stunde des Kreuzes, als du auf Golgotha aufrecht stehen bliebst neben deinem Sohn, der starb, damit die Menschheit lebe.

Von da an bist du auf neue Weise zur Mutter all jener geworden, die im Glauben deinen Sohn aufnehmen und bereit sind, ihm zu folgen und sein Kreuz auf die Schultern zu nehmen.

Mutter der Hoffnung, die du in der Dunkelheit des Karsamstags mit unerschütterlichem Vertrauen dem Ostermorgen entgegengegangen bist, schenke deinen Kindern die Fähigkeit, in jeder Situation, mag sie auch noch so düster sein, die Zeichen der liebenden Gegenwart Gottes zu erkennen.

Unsere Liebe Frau von Sheshan, unterstütze den Einsatz all derer, die in China unter den täglichen Mühen weiter glauben, hoffen und lieben, damit sie sich nie fürchten, der Welt von Jesus und Jesus von der Welt zu erzählen.

An der Statue, die über dem Heiligtum thront, hältst du deinen Sohn hoch und zeigst ihn der Welt mit ausgebreiteten Armen in einer Geste der Liebe. Hilf den Katholiken stets glaubwürdige Zeugen dieser Liebe zu sein, indem sie mit dem Felsen Petri vereint bleiben, auf den die Kirche gebaut ist.

Mutter von China und von Asien, bitte für uns jetzt und immerdar. Amen!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
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Das Marienheiligtum von Sheshan

Benedikt XVI. hat in seinem Brief vom 27. Mai 2007 einen alljährlichen Weltgebetstag für die Kirche in China ausgerufen. Als Datum wählte er den 24. Mai, an dem Maria als Hilfe der Christen verehrt wird. Diesen Titel nämlich trägt das Marienheiligtum von Sheshan nahe Shanghai, auf das der Papst ausdrücklich Bezug nimmt. Ein kurzer Blick in die Geschichte lässt die Bedeutung dieses Ortes für die Kirche in China erkennen.

Von Werner Schiederer

Erste Missionsstation – 1844

Sheshan liegt auf einem Hügel etwa 35 km außerhalb von Shanghai. Dort siedelten sich 1844 die ersten Missionare an. Im Jahr 1864 errichtete ein chinesischer Laienbruder auf der Erhebung einen sechseckigen Pavillon, in dem er ein eigenhändig gemaltes Muttergottesbild aufstellte, das er unter dem Titel „Hilfe der Christen“ verehrte. 1871 begannen die Jesuiten mit dem Bau einer ersten Kirche auf dem Berggipfel und weihten sie Maria, der Helferin der Christen. Seither hat sich die Verehrung der Gottesmutter von Sheshan im ganzen Gebiet verbreitet. Alljährlich wird am 24. Mai feierlich ihr Fest begangen. Auf halber Höhe des Berges liegt eine weitere Kirche, die 1894 erbaut wurde.

Weihe Chinas an Maria – 1924

Im Jahre 1924 weihten die Bischöfe Chinas das Land der Muttergottes und pilgerten anschließend zum Sheshan. 1925 wurde mit dem Neubau der Marienbasilika auf dem Berggipfel begonnen, die zehn Jahre später eingeweiht werden konnte. Die Basilika hat einen 38 Meter hohen Turm, dessen Spitze eine Bronzestatue der Muttergottes trägt, die ihren Sohn Jesus in die Höhe hebt. Da dieser die Arme segnend ausbreitet, gleicht die Statue aus der Ferne einem großen Kreuz. Während der Kulturrevolution (1966-1976) wurde die Kirche stark beschädigt. Die ursprüngliche Bronzestatue der Gottesmutter verschwand von der Kirchturmspitze, ebenso andere religiöse Symbole und Gegenstände, einschließlich des Altars.

Hoffnungsvoller Neubeginn – 1981

1981 wurde die Kirche der Diözese Shanghai zurückgegeben und restauriert. Eine Nachbildung der Bronzestatue wurde im Jahr 2000 erneut auf der Kirchturmspitze angebracht. Heute strömen Jahr für Jahr Hunderttausende von Pilgern zur Muttergottes von Sheshan. Es sind ältere, aber auch junge Menschen, die gemeinsam den steilen Berg bis zum Gipfel ersteigen. Unterwegs machen sie Station bei einer Statue des leidenden Christus im Garten Gethsemane sowie 14 Kreuzwegstationen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
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Dialog des Papstes mit dem Islam

Papst Benedikt XVI. versucht den christlich-islamischen Dialog auf höchster Ebene voranzutreiben. Dabei hält er unbeirrt an dem Kurs fest, den er durch seine Regensburger Rede vorgezeichnet hat. Drei Tage lang tauschten sich nun acht katholische und acht muslimische Theologen im Vatikan auf wissenschaftlicher Ebene über „Glaube und Vernunft in Christentum und Islam“ aus. Es war das sechste Kolloquium zwischen dem Heiligen Stuhl und Vertretern der Schiiten dieser Art. An der Spitze der beiden Gruppen standen Kurienkardinal Jean-Louis Tauran, Verantwortlicher für den interreligiösen Dialog im Vatikan, und der Präsident des iranischen „Islamic Culture and Relations Organisation“, Mahdi Mostafavi. Ergebnis der Begegnung ist eine bemerkenswerte gemeinsame 7-Punkte-Erklärung. Die muslimischen Unterzeichner des Dokuments stammen aus der Nähe des früheren Staatspräsidenten Chatami – also eines Opponenten zum amtierenden Präsidenten Ahmadinedschad. Dennoch aber agieren sie mit Rückendeckung des derzeitigen geistlichen Oberhaupts, Ajatollah Chamenei. Nachfolgend die Erklärung im Wortlaut, die mit ihrem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit und zum Respekt gegenüber religiösen Überzeugungen, aber auch zur Vernunft und zur hermeneutischen Methode eine Sensation darstellt.

1. Glaube und Vernunft sind beides Geschenke Gottes an die Menschheit.

2. Glaube und Vernunft widersprechen einander nicht, allerdings kann es manchmal vorkommen, dass der Glaube über der Vernunft steht, auch wenn er ihr nie entgegensteht.

3. Glaube und Vernunft sind von sich aus gewaltlos. Weder die Vernunft noch der Glaube sollten für Gewalttätigkeit benutzt werden. Bedauerlicherweise ist es immer wieder vorgekommen, dass beide missbraucht wurden, um Gewalt zu üben. Auf alle Fälle können diese Ereignisse weder die Vernunft noch den Glauben in Zweifel ziehen.

4. Beide Seiten einigten sich, weiterhin zusammenzuarbeiten, um echte Religiosität und insbesondere echte Spiritualität zu fördern, um zur Achtung der Symbole zu ermutigen, die als heilig angesehen werden, und um moralische Werte zu fördern.

5. Christen und Muslime sollten über Toleranz hinausgehen und Unterschiede akzeptieren, während sie sich ihrer Gemeinsamkeiten bewusst bleiben und Gott dafür danken. Sie sind zu gegenseitigem Respekt aufgerufen und somit dazu, die Verhöhnung von religiösen Überzeugungen zu verurteilen.

6. Verallgemeinerungen sollten gemieden werden, wenn von Religionen die Rede ist. Konfessionelle Unterschiede in Christentum und Islam, Vielfalt der historischen Umstände stellen wichtige Faktoren dar, die in Betracht gezogen werden müssen.

7. Religiöse Traditionen können nicht anhand einzelner Verse oder Textstellen beurteilt werden, die in den jeweiligen heiligen Büchern enthalten sind. Sowohl eine ganzheitliche Sicht als auch eine angemessene hermeneutische Methode sind für ein faires Verständnis erforderlich.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Pilger, werde, was Du bist!

Im dritten Teil seiner Artikelreihe über die Jakobuswallfahrt spricht Direktor Thomas Maria Rimmel die Aufforderung aus: Pilger, werde, was du bist! Worauf kommt es an, dass das Wandern zum echten Pilgern wird? Sein Beitrag könnte als Vertiefung der kritischen Anmerkungen verstanden werden, die Reinhard Kürzinger, der Vizepräsident des Bayerischen Pilgerbüros, vor kurzem zum Thema Jakobusweg vorgebracht hat. Er bedauerte, dass das echte Wallfahrtsanliegen gegenüber den touristisch-kulturellen Interessen fast nicht mehr zum Tragen komme.

Von Thomas Maria Rimmel

In Ayequi wird das Untergeschoss einer großen Turnhalle als Pilgerherberge genutzt. Zu meiner Überraschung stellte sich der Herbergsvater als „Peter aus der Pfalz“ vor. Er ist Deutscher um die Sechzig und hat für den ganzen Sommer den Dienst an den Pilgern übernommen. Den Jakobusweg habe er bereits drei Mal gemacht, einmal sogar von Deutschland aus. Zwei Mal sei er die 800 km von der französisch-spanischen Grenze aus hin- und zurückgegangen. Er wollte das Land, die Ortschaften und Häuser nicht immer nur von Osten her sehen. Der Pfälzer zeigte mir seine Wanderschuhe. Nach 4000 km war selbst die Brandsohle durchgebrochen. Er sei einfach gerne in der Natur, erklärte er mir. Der Camino sei hervorragend organisiert, zudem günstig. Auf die Frage, warum er so oft den gleichen Weg zurückgelegt habe, erwiderte er: „Warum machen viele Menschen ihr ganzes Leben lang die gleiche Arbeit?“ Ich meinte: „Weil sie davon leben.“ Peter: „Der Weg ist mein Leben!“ Zweifelsohne ist dieser Pfälzer ein Pilger. Aber er ist noch nicht geworden, was er ist. Er hat kein wirkliches Ziel vor Augen. Immerzu läuft er den Camino hin und zurück. Mehr nicht!

Auf das Beten kommt es an

Damit man nicht nur wandert und vor sich hin pfeift „Das Wandern ist des Müllers Lust“, sondern tatsächlich pilgert, muss man betend unterwegs sein. Peter habe auf all seinen Wanderungen kaum betende Pilger getroffen. Er könne sich nur an eine junge Tschechin erinnern, die den Weg betend gegangen sei.

Vor meiner Abreise erzählte mir Pfarrer Anthony Pullokaran aus Illerberg, er habe vor einigen Jahren in Indien eine Fußwallfahrt gemacht. Etliche Tage sei er unterwegs gewesen und habe dabei einen Rosenkranz nach dem anderen gebetet. Noch heute zehre er vom Segen dieses Gebetes. Neben der hl. Messe und dem Stundengebet machte der Rosenkranz auch meinen Pilgeralltag aus. Nie in meinem Leben habe ich so viele Rosenkränze gebetet. Den anderen Pilgern blieb dies nicht verborgen. Teilweise bestaunten sie meinen Rosenkranz, das Geschenk eines Kartäusermönchs aus der Marienau. Er hatte ihn selbst geknüpft und schon viele Male betend durch seine Finger gleiten lassen. Eine junge Frau aus Süddeutschland, eine Polizistin, die aus der Kirche ausgetreten war, wollte den Rosenkranz unbedingt in die Hand nehmen, umschloss ihn fest und meinte: „Ich spüre eine große Kraft, die von diesem Rosenkranz ausgeht!“ Dann erzählte sie mir ihre Geschichte. Sie sei auf dem Weg, weil sie ihr Leben ändern wolle. Bisher habe sie sich nur der Karriere verschrieben, und dies auf Kosten der eigenen Gesundheit. Sie müsse umkehren.

Im Gespräch mit den Pilgern kam ich immer wieder auf den Punkt: Beim Pilgern kommt es auf das Beten an. Betend erlebt man den Jakobusweg vollkommen anders.

Beispiel des hl. Benedikt Labre

Ein interessantes Beispiel ist der Pilgerheilige Benedikt Labre (1748-1783). Eigentlich wollte er Priester oder Mönch werden. Sein Wunsch aber ging nie in Erfüllung. Einmal waren die Anforderungen des Studiums zu hoch, ein anderes Mal litt er unter Angstzuständen oder er wurde aus finanziellen Gründen bereits an der Klosterpforte abgewiesen. Benedikt Labre aber wollte sich dieses „Scheitern“ nicht eingestehen. Er versuchte, die Berufung zu erzwingen, und legte Tausende von Kilometern zu Fuß zurück. Unablässig betend machte er sich schließlich in Italien auf die Suche nach einem geeigneten Kloster.

Da erfolgte die Wende in seinem verworrenen Leben. Auf dem Weg nach Italien empfing er eine Erleuchtung und entdeckte plötzlich seine Berufung: Es sei der Wille Gottes, dass er dem Beispiel des hl. Alexius folge, indem er sein Vaterland, seine Eltern, seine Bequemlichkeiten und alles, was in der Welt den Sinnen schmeichelt, verlasse und eine ganz neue Lebensweise führe und zwar die ärmste, die härteste und bußfertigste. Und diese Lebensweise sollte er nicht in einer Wüste oder in einem Kloster führen, sondern in der Mitte der Welt, indem er die berühmtesten Orte als frommer Pilger, soweit es ihm möglich sei, besuche.

Benedikt Labre hatte erkannt, dass ihm das einsame und arme Pilgersein als Wille Gottes auferlegt war. Wenn man ihn fragte, wer er sei, sagte er nur: „Ich bin ein Vagabund!“ Und zu seiner armen Lebensweise meinte er: „Gott hat es gewollt.“ Er wurde zum Pilger auf den Straßen Europas. Jahr ein, Jahr aus pilgerte er im Geist äußerster Armut von einer Wallfahrtsstätte zur anderen: Rom, Monte Casino, Assisi, Loretto, Einsiedeln … Er kam nach Spanien … vermutlich auch nach Santiago de Compostela.

Doch war er eben nicht nur der fromme Wandersmann. „Sein ganzes Leben war nichts als ein immerwährendes Gebet“, so schrieb sein Beichtvater. Benedikt Labre verbrachte die meiste Zeit im Schweigen. Aber dieses Schweigen war innere Zwiesprache mit Gott. Fast immer konnte man ihn in den Kirchen antreffen. Stundenlang verbrachte er dort im Gebet: die Arme in Kreuzesform, den Kopf nach oben ausgestreckt, den Körper nach hinten geworfen. Es war ein mystisches Beten vor dem Tabernakel, oft in der gleichen Gebetshaltung vom Morgen bis zum Abend. Sein Antlitz leuchtete beim Gebet manchmal so hell auf, als würden von seinem Gesicht Feuerfunken rieseln. Eine junge Schwester rief einmal aus: „Der Bettler brennt!“ In seiner Verzückung sah er unaussprechliche Gesichter. Als einmal eine Kirchenbesucherin den verwahrlosten Pilger beobachtete, meinte sie: „Glücklicher Sterblicher! Wer weiß, was du siehst!“

Einmal sagte er zu einem Priester, der ihn prüfend musterte: „Wenn ich die Dornenkrönung betrachte, fühle ich mich zur Dreifaltigkeit Gottes erhoben.“ Der Priester entgegnete etwas hochmütig: „Aber was verstehst du, ungebildeter Mensch, von diesem Geheimnis?“ Der Heilige: „Ich verstehe nichts davon, aber ich bin hingerissen!“

Die Antwort erinnert an ein Wort des hl. Pater Pio: „In den Büchern sucht man Gott, im Gebet findet man ihn.“ Analog könnte man zu den Jakobuspilgern sagen: „Im Wandern sucht ihr Gott, im Gebet findet ihr ihn.“ Erst durch das Gebet wird das Wandern zum Pilgern.

Unterwegs im Geist der Buße

Außerdem kommt es auf den Geist der Buße an. Jesus Christus selbst stellt das Urbild des Pilgers dar. Eines Tages sagte ein Schriftgelehrter voller Begeisterung zu ihm: „Meister, ich will dir folgen, wohin du auch gehst“ (Mt 8,19). Da erhielt er die überraschende Antwort: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8, 20). Diese Worte Jesu bringen die Umstände seines Unterwegsseins zum Ausdruck. Es kennt keine Annehmlichkeiten im irdischen Sinn. Denn der Menschsohn ist als Fremder unterwegs, eben als Pilger: „Pilger sein heißt Fremder sein, dies ist jedenfalls die klassische Bedeutung des lateinischen Wortes peregrinus."[1] Und dieser pilgernde Jesus sagt: „Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“

Auf meinem Weg nach Santiago de Compostela kam ich – zwischen Logrono und Burgos – in eine kleine Pilgerherberge mit gerade einmal zehn Schlafplätzen. Sie war im alten Pfarrhaus von Sansol untergebracht. Im Treppenhaus befand sich auf einer Stehle eine Christusfigur, unser dornengekrönte Herr und Meister, wie er das schwere Kreuz trägt. An der Statue befand sich folgende Aufschrift:

„Cargado con la mochila paso a paso el peregrino come Jesus con la cruz hacia Dios va de camino“. Diese wunderbaren Worte weisen den Pilger auf das Wesen seines Unterwegsseins hin: „Mit dem Rucksack beladen geht der Pilger wie Jesus mit dem Kreuz Schritt für Schritt weiter auf seinem Weg zu Gott.“ Der Rucksack symbolisiert das Kreuz des Pilgers. Es besteht zunächst in der Mühe des Camino selbst, aber auch in all den Lasten des Lebens, die der Pilger mit sich trägt.

Das unablässige Weitergehen auf dem Jakobusweg ist eine echte Buße. Gerade nach der Begegnung mit dem kreuztragenden Jesus in Sansol musste ich immer wieder daran denken, welche Leiden der Herr für unsere Sünden auf sich genommen hat. Dabei kamen mir auch die Bilder aus dem Film über die Passion Christi von Mel Gibson in den Sinn. Was waren meine Wehwehchen, Blasen und Zerrungen im Vergleich zu seinem qualvollen Sterben! So vereinbarte ich mit Jesus: „Wenn du mir noch mehr Schmerzen schickst, will ich sie annehmen. Du aber gib mir die Kraft, sie zu tragen, sodass ich jeden Tag weitergehen kann.“ Für mich glich es einem Wunder, dass ich mich jeden Tag wieder in neuer Frische auf dem Camino befand, obwohl ich mich nachts mit den ganzen Verspannungen kaum im Bett drehen konnte.

Für andere bestand die Last des Jakobusweges darin, zu zweit oder in einer Gruppe unterwegs zu sein: „Zehn Tage mit einem auf dem Weg sein, das ist, wie zehn Jahre mit einem leben“ (Jacques Lanzmann).[2]

Aufruf der Gottesmutter in Lourdes

Die Buße ist eines der großen Themen in der Botschaft von Lourdes. Bei ihrer achten Erscheinung am 24. Februar 1858 wiederholte die Gottesmutter dreimal hintereinander das Wort „Buße“, nachdem sie Bernadette mit sehr ernster Stimme gebeten hatte, für die Sünder zu beten. Bereits am 21. Februar hatte sie mit traurigem Blick zu Bernadette gesagt: „Bete für die armen Sünder, bete für die kranke Welt!“ Ähnlich forderte sie bei ihrer zehnten Erscheinung am 27. Februar Bernadette auf, für die Sünder zu beten und Buße zu tun. Das Mädchen sollte sich auf den Knien den Abhang hinaufbewegen und dabei den Boden küssen. Maria sagte: „Küsse die Erde zur Buße für die Sünder!“ Gleichzeitig lud Bernadette die Leute ein, ihr Beispiel nachzuahmen.

Mit diesem einfachen Zeichen machte der Himmel deutlich, was Buße bedeutet. Es ist die Demut, mit der sich der sündige Mensch vor Gott kleinmacht und seine Armseligkeit eingesteht. Zugleich schließt Buße die Stellvertretung für die Anderen ein. In diesem Geist muss auch der Pilger unterwegs sein. Wenn er seine Belastungen annimmt und aufopfert, dann können sie ihn reinigen und erhöhen, d.h. zum Segen für ihn und andere werden. Dann führt der opfervolle Weg nicht nur nach Santiago, sondern auch nach oben.

Das eigentliche Ziel des Lebens

Damit man nicht nur wandert, sondern pilgert, muss man sich das eigentliche Ziel seines Lebens vor Augen führen. Der Pilger ist derjenige, der durch die Welt seiner himmlischen Heimat entgegenwandert. „Zwischen dem christlichen Pilger und dem modernen Wanderer besteht bei allen Berührungspunkten wiederum ein ganz tief greifender, deutlich zu markierender Unterschied: Der eine ist jenseits gerichtet, während der andere in einer innerweltlichen Denkweise gefangen bleibt (…), er läuft im Grunde seinem eigenen Schatten nach."[3]

Pilger, werde, was du bist! Dies gilt auch für das Menschsein überhaupt. Wer die Ewigkeit nicht als Ziel vor Augen hat, ist aus christlicher Sicht noch gar nicht Mensch geworden. Diese Welt ist nur eine Durchgangsstation: Vom Vater zum Vater!

Das Pilgern ruft uns in Erinnerung: Unsere Zielsetzung ist außerhalb. Der morgige Tag ist niemandem versprochen. Als ich mich am Pfingstmontag, den 28. Mai 2007, in aller Frühe auf den Weg zum Flughafen nach Zürich machte, um von dort aus nach Pamplona zu fliegen, stieß ich schon nach wenigen Kilometern auf einen Unfall. Auf meine Frage, ob ich helfen könne, sagte der Polizeibeamte, ein Radfahrer sei von einem Auto erfasst worden und bereits an der Unfallstelle verstorben.

Dem echten Pilger geht es darum, nicht irgendwann einmal vorbereitet zu sein, sondern jetzt. So gibt es die alte Tradition, dass sich ein Pilger auf den Jakobusweg macht, als ob er schon jetzt seinem Schöpfer entgegengehen und Rechenschaft über sein Leben ablegen müsste: Er bestellt sein Haus, regelt seine materiellen Dinge, macht ein Testament, begleicht seine Schulden, legt eine Lebensbeichte ab und bittet seine Mitmenschen um Vergebung.

Rat des Pilgerheiligen

Nach dem hl. Benedikt Labre versucht ein echter Pilger im Blick auf sein ewiges Ziel, stets ein gottgefälliges Leben zu führen und den Willen Gottes zu erfüllen. In diesem Zusammenhang spricht er von den drei Herzen in einem einzigen:

Das erste Herz sollte ganz von Feuer erfüllt sein und für Gott schlagen, immer an ihn denken, immer von ihm reden und immer für ihn handeln, dabei die Prüfungen und Schmerzen, die Gott sendet, geduldig ertragen.

Das zweite Herz sollte ganz aus Fleisch sein und für den Nächsten schlagen, ihm in materiellen und geistlichen Nöten helfen, durch guten Rat, durch das Beispiel und die Fürbitte. Insbesondere sollte es voll Zärtlichkeit für die Sünder und voller Mitleid für die Armen Seelen sein, unaufhörlich Gott bitten, dass die Sünder sich bekehren und Buße tun.

Das dritte Herz sollte ganz aus Erz sein im Verhältnis zu sich selbst: gegen die Eigenliebe und den Eigenwillen, offen für Fasten und Abstinenz, um alle Neigungen der verderbten Natur zu überwinden.

Ein junger Spanier meinte: „Auf dem Weg werden die Gedanken gereinigt. Sie bekommen Flügel.“ Echtes, segensreiches Pilgern heißt, betend, büßend und erfüllt von himmlischem Heimweh unterwegs sein. Davon sollte auch das Leben eines jeden Christen geprägt sein.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] K. Herbers: Jakobusweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt, München 2006, 34.
[2] M. Zentgraf: Auf dem Jakobusweg. Pilgerbüchlein, München 2008, 12.
[3] W. Nigg: Des Pilgers Wiederkehr, Frankfurt 1954, 20.

Fatima-Schiffsprozession

Bereits zum 27. Mal wird am 15. August 2008 auf dem Bodensee eine Schiffsprozession durchgeführt. Seit die Gebetsstätte Wigratzbad im Jahr 2001 die Verantwortung für die Veranstaltung übernommen hat, steht sie unter dem Gedanken „Für ein Vereintes Europa“. Aus den drei Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz, nämlich von den Häfen Bregenz, Lindau und Rorschach, machen sich die Schiffe mit etwa 5000 Pilgern auf den Weg zu jenem Punkt in der Mitte des Bodensees, wo diese Länder aufeinandertreffen. Dort wird der Segen Gottes auf Europa herabgerufen, damit der christliche Glaube zum festen Fundament seiner Zukunft werde.

Von Thomas Maria Rimmel

Im Zeichen von Fatima

Als Ferdinand Adreatta vor 27 Jahren die Schiffsprozession auf dem Bodensee ins Leben rief, stellte er sie unter das Zeichen Unserer Lieben Frau von Fatima. Im äußersten Westen des Kontinents war die Gottesmutter im denkwürdigen Jahr 1917 erschienen, um über das Schicksal Russland im äußersten Osten Europas zu sprechen. Die Botschaft von Fatima hatte von Anfang an eine europäische Dimension. Der christliche Kontinent stand in der Gefahr, seine Berufung zu verraten und das Kreuz, den einzigen Weg der Erlösung, durch gottlose Ideologien einzutauschen. Die demütige und vertrauensvolle Zuflucht zur Gottesmutter sollte das christliche Europa und seine Sendung für die Menschheitsfamilie retten. Dieser Einladung folgt die alljährliche Schiffswallfahrt zum Dreiländereck von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Von hier aus werden die Nationen Europas dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht und der europäische Einigungsprozess ihrer mütterlichen Liebe anempfohlen.

Der eucharistische Segen

Die Pilgerschiffe, die auf den See hinausfahren, scharen sich um das „Sakramentsschiff“, auf dem das Allerheiligste in der Monstranz mitgeführt wird. Höhepunkt der Wallfahrt ist der eucharistische Segen, den die Pilger stellvertretend für alle Länder Europas empfangen und der damit dem ganzen europäischen Kontinent gespendet wird. Der feierliche Akt ist ein Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes und zum Glauben an die allerheiligste Dreifaltigkeit. Allein im Geist der Anbetung können wir den Stürmen standhalten, die gegen die christlichen Werte losgebrochen sind. Jahr für Jahr laden wir kirchliche Würdenträger ein, um ein Zeugnis für das christliche Europa abzulegen und diesen Akt der Segnung unseres Kontinents zu vollziehen: 2002 Walter Kardinal Kasper (Rom); 2003 Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz (Moskau); 2004 Georg Kardinal Sterzinsky (Berlin); 2005 Erzbischof Alfons Nossol (Oppeln); 2006 Bischof Dr. Walter Mixa (Augsburg); 2007 Bischof Dr. Elmar Fischer (Feldkirch).

2008 mit Erzbischof Mokrzycki

Als diesjährigen Hauptgast dürfen wir den jungen Erzbischof Mieczyslaw Mokrzycki aus Lemberg/Ukraine begrüßen. Er war von 1996 bis 2005 Sekretär von Johannes Paul II. und bis zum 10. September 2007 neben Prälat Georg Gänswein zweiter Sekretär von Papst Benedikt XVI. Erst am 16. Juli 2007 wurde er zum Bischofskoadjutor des Erzbistums Lemberg ernannt. Bald wird er Marian Kardinal Jaworski in dessen Amt folgen. Der auch in der Ukraine geborene Oberhirte vertritt ein Land, das für Europa eine entscheidende Brückenfunktion ausübt: Es verbindet von seiner Geschichte her die russisch-orthodoxe mit der römisch-katholischen Kirche, die beiden Lungenflügel des einen christlichen Europa, wie es Johannes Paul II. genannt hat. Es vereinigt mit seiner griechisch-katholischen Kirche den lateinischen und den byzantinischen Ritus unter dem Primat des Papstes. Es ist mit seiner westlichen Orientierung das Tor der bereits in der Europäischen Union miteinander verbundenen Staaten zu den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Mit dem Gast aus der Ukraine wird unsere diesjährige Schiffsprozession auf dem Bodensee von der Hoffnung auf den in Fatima angekündigten Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens begleitet.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
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Ruhen in der Vollendung

Pater Notker Hiegl begleitet regelmäßig die „Fatima-Gemeinschaft der Erzdiözese Freiburg“ als geistlicher Leiter auf ihren Wallfahrten. Unter anderem nahm er an der Selig- und Heiligsprechung von Pater Pio in Rom teil. Ein besonderes Erlebnis war der Besuch des Grabes von Pater Pio in S. Giovanni Rotondo. Im nachfolgenden Bericht geht Pater Notker auf die neue „P. Pio-Großkirche“ ein, die bei den Pilgern auf ein geteiltes Echo stößt. Architektur und Ausstattung sind nicht unumstritten. Pater Notker gelingt es, einen Zugang zu erschließen. Er lenkt das Augenmerk auf die theologische Dimension des Gotteshauses als einen Ort „des Ruhens in der Vollendung“.

Von Notker Hiegl OSB

Vollendet waren Himmel und Erde und alles, was dazu gehört. Am siebten Tage erklärte Gott sein Werk, das er vollbracht hatte, für beendet, und er ruhte am siebten Tag, nach all seinem Werk, das er vollbracht hatte (Gen 2,1-2). Sieben ist die Zahl der Ganzheit, der Fülle, der Vollkommenheit, der Sakramente und der Werke der Barmherzigkeit. Das permanente Ruhen und das stille Aufblühen in der Siebener-Fülle ist die Überschreitung in die „Acht“ hinein, die Zahl des Paradieses, der Frömmigkeit, der Taufe (Oktogon), der Oktav, des Pfades des zielgerichteten rechten Lebens.

Es war ein Sonntag, der erste bzw. achte Tag eines Wochenzyklus, als Frau Sybille Wagensommer, die Leiterin der deutschen Redaktion der Zeitschrift Die Stimme P. Pio‘s unsere Wallfahrtsgruppe „Fatima-Gemeinschaft der Erzdiözese Freiburg“ zum Kirchplatz der neuen Kirche des hl. P. Pios von Pietrelcina führte. Was wir da sahen, nahm uns allen zunächst den Atem, die Größe des Platzes, die Modernität der Kirchenanlage, das Gesamtwerk, die Einzelheiten. Da der italienische Star-Architekt Renzo Piano, welcher auch das Paul-Klee-Zentrum in Bern und den Neuen Hauptbahnhof in Berlin und vieles mehr geschaffen hat, die Achter-Zahl, die Paradieses-Zahl, die Ostersonntags-Zahl, als Grundlage seines Entwurfs nahm, will ich ebenfalls in acht Bildern diesen persönlichen Erlebnis-Bericht „malen“.

1. Der Kirchplatz mit Jordan und Ölgarten

Vom abgetrennten alten Vorplatz kommend hat dieser neue für gut 30.000 Pilger große Hauptplatz ein leichtes Gefälle und führt den Wallfahrer unmerklich zum Eingang des Gotteshauses. Dominant zur Rechten des heiligen Platzes, durch das Heilige Land Israel inspiriert, verläuft „der Jordan“, vom „Hermon“ herab, Becken für Becken und spendet Fruchtbarkeit den vielen frisch gepflanzten Olivenbäumen, 40 an der Zahl, 5 mal 8, dem Sinnbild des Ölgartens von Jerusalem, den Zypressen, Eichen, Myrten, Lavendel- und Efeupflanzen, der ganzen guten Schöpfung Gottes.

2. Acht Glocken und acht Adler

Acht Glocken unterschiedlicher Größe mit der Klangfarbe vom „Unteren C bis zum Hohen C“ sind mit dem franziskanischen „Pax et Bonum“ (Friede und Güte) geschmückt, zudem sind sie verschiedenen Heiligen (Erzengel Michael, Johannes der Täufer, hl. Pater Pio, hl. Veronika Giuliani, Franz von Assisi, hl. Klara, hl. Antonius von Padua und hl. Laurentius von Brindisi) geweiht. Aufgehängt sind sie nicht auf einem vertikalen Turm, sondern horizontal und bilden zusammen mit dem 40 m hohen Kreuz die linke Front des gewaltigen Kirchenplatzes. Die acht in Stein gemeißelten jungen Adler erinnern in ihrer Abfolge ebenfalls indirekt (Ps 103,5b) an Ostern: Wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert.

3. Das Baptisterium

Wallfahrer werfen Münzen ins Baptisterium hinein wie in den Trevi-Brunnen in Rom, dabei hat das 8-eckige Weihwasserbecken am Eingang des Hauptportals zum Kircheninnern eine viel tiefere, schönere Funktion. In drei Stufen wird der Gläubige hinein bzw. heraus geführt wie in den alten Baptisterien in Ravenna, Pisa usw. Die Reinigung, bevor der Gläubige ins Heiligtum eintritt, hat vor diesem zu geschehen. Gereinigt von Schmutz und Sünden tritt er ein. Zwar ist das Weihwasserbecken, als Erinnerung an unsere eigene Taufe meist in der Kirche, sinnvoller wäre es wie hier in Rotondo vor dem Eingang ins Heiligtum. Zwei bronzene Türflügel bilden den liturgischen Eingang zum Haus des Herrn, links sehen wir Abraham, den Vater des Glaubens und rechts Christus, den Guten Hirten, der dem verlorenen Schaf nachgeht.

4. Die sakrale Halle

Acht imposante Steinbögen gliedern den gewölbten Kircheninnenraum mit seinen 6500 Sitzplätzen zum Altar hin, wo sie sich zu einem Himmelsgewölbe treffen und zugleich durch den darunter liegenden Eckstein, Christus, den Herrn, (1 Petr 2,1-10) getragen sind. Acht weitere Bögen führen aus der Kirchenmitte hinaus „an den Rand des Lebens“ und gliedern dadurch die gewaltige Großkirche in acht kleinere Lebensbezirke. Links neben dem keilförmigen Altar, der von jedem Platz aus eingesehen werden kann, ist eine prachtvolle Orgel, 5815 Pfeifen, 75 Register. Die 700 qm große Glaswand zur Rechten ist mit 84 bemalten Rollos aus der Apokalypse versehen, welche stark an Marc Chagalls Kunst erinnern. Das Kreuz über dem Altar könnte seinen Platz im noch zu gestaltenden Außen-Altar-Bereich finden.

5. Der Magdalena-Ambo

Solch einen Platz zur Verkündigung der Frohbotschaft der Auferstehung des Herrn habe ich noch nirgends gesehen. Eine Wucht! Acht Meter lang ist dieser leicht ansteigende, horizontale Ambo. Maria von Magdala und Nikodemus tragen den gemarterten Leib Jesu zu Grabe. Nikodemus trägt das furchterregende, schmerzgeprägte Gesicht Pater Pios während seiner Leidens-Ekstase. Desweiteren: Maria Magdalena begegnet den Engeln; an der Frontseite des Ambo trifft sie den Auferstandenen Herrn und Heiland Jesus Christus, bei dem sie zunächst den Gärtner vermutet, und schließlich wird sie zur „Apostola Apostolorum“, da sie Petrus und Johannes die Frohe Botschaft von der Auferstehung des Herrn überbringt. Bei der Einrichtung der Kirche, wie z.B. den fehlenden Kniebänken, kann man geteilter Meinung sein, beim Ambo nicht!

6. Die Anbetungs-Kapelle

Gott wohnt unter den Menschen, Gott wohnt hier in dieser großen P. Pio-Kirche in der Anbetungskapelle sakramental in einer monumentalen schwarzen Marmor-Säule. Dieser Monolith, viereckig an der Basis und nach oben hin acht-eckig zulaufend, trägt als Herzstück den Tabernakel mit einer handgearbeiteten Silbertüre, geschmückt mit der Szene des Pelikan, der sein Fleisch und sein Blut seinen Jungen als Nahrung und Trank hinreicht. Beim Öffnen des Tabernakels schieben sich zwei silberne Seitenarme aus der Säule und bilden mit dem Stamme zusammen ein Kreuz.

7. Christus, unser Eckstein

Genau unter dem Presbyterium der Oberkirche befindet sich eine halbkreisförmige Unterkirche, mit einem Fassungsvermögen von gut 500 Personen. Still ist dieser Raum, wenige Pilger verirren sich bis an diesen Ort. Eine gewaltige Säule, mehrere Meter im Durchmesser, wuchtet die gesamte Last der darüber liegenden Großkirche. Auch hier sind fächerartige Träger, welche den Raum überspannen, hier unten jedoch flach. In der alles beherrschenden Großsäule ist eine Nische mit einem beigen Vorhang verhüllt, darüber ein Kreuz mit dem leidenden Herrn. In diese Nische könnte in diesem für stille Meditation geeigneten Raume einmal der Leib des heiligen Pater Pio umgebettet werden.

8. Der Beichtsaal

Aus schwerem Eichenholz sind die Beichtstühle, 31 an der Zahl, in diesem Beichtsaal. Die Führerin sagt uns, dass das viele Holz für das Dach, für die Bänke, die Beichtstühle, die Handgriffe in den Aufzügen, allüberall im Gotteshaus aus Süddeutschland, aus dem Schwarzwald eingeführt worden ist. Pater Pio übte sein Priesteramt vor allem im Beichtstuhl aus, wo er manchmal bis zur totalen Erschöpfung dem Dienst der Versöhnung oblag. In vielen Sprachen wird die Heilige Beichte gehört. Welche Wunder des Lichtes geschehen hier, ich selbst war in diesen Tagen zweimal beim Sakrament der Versöhnung und durfte hier in Rotondo Gnade über Gnade erfahren und auch, obwohl nur auf der Treppe des Kreuzweges sitzend, vielen Deutschen und Italienern Gottes barmherzige Liebe sakramental zusagen.

Die Kirche des hl. Pater Pio in San Giovanni Rotondo ist trotz ihrer gewaltigen Fläche von 6000 Quadratmetern keine katholische Sportarena, sondern ein Ort der Andacht und der Besinnung, ein Ort biblisch und kirchengeschichtlich geprägter Spiritualität, ein Ort römisch gebundener Frömmigkeit und Innigkeit. Mein Herz hat sich hier bei Jesus wohl gefühlt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
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Das neue „Gotteslob“ mit neuem Namen

Das seit 1975 im Gebrauch befindliche „Gotteslob“ (GL) soll durch das „Gemeinsame Gebet- und Gesangbuch“ abgelöst werden, welches vergangenes Jahr als Probepublikation vorgestellt worden ist. Pfarrer Dr. François Reckinger hat sich die Mühe gemacht, diese Fassung aufmerksam durchzusehen und zu bewerten. Im zweiten Beitrag seiner mehrteiligen Reihe geht es wiederum um inhaltliche Anmerkungen.

Von François Reckinger

Christliche Endzeiterwartung

Eine Tendenz zu einer utopischen innerweltlichen Endzeiterwartung weist die auch im GL (Nr. 764) vorhandene „Litanei von der Gegenwart Gottes“ auf (187-190): s. die Verse 67-80. Noch bedenklicher erscheinen die Verse 62-65, weil darin die Überzeugung geäußert wird, dass alle Menschen, einerlei wie sie leben oder gelebt haben, zu Gott rufen oder gerufen haben und alle gerettet sind oder werden. Dabei wird eine Bibelstelle sinnwidrig manipuliert, wenn es heißt: „… mit allen Menschen, die je geboren, mit all den Vielen, die niemand zählen kann …“ Mit diesen „Vielen“ wird auf Offb 7,9 angespielt, dort aber sind keineswegs alle Menschen gemeint, „die je geboren“ wurden, sondern nur die Geretteten, die deutlich von den Verworfenen unterschieden werden (s. bes. Offb 20,15).

Dieselbe Tendenz zeigt sich in Str. 5 von Nr. 19; ebenso in Str. 1 des spanischen Friedensliedes Nr. 82 (in der deutschen Übersetzung irrtümlich als Str. 3 aufgeführt); und um so mehr in den Strophen 4 und 5 von Nr. 96: „Dich loben wir Menschen …“: Man fragt sich unwillkürlich: wir alle? Aber man braucht nur etwas weiterzulesen, um auf die unerbittlich wirklichkeitsfremde Behauptung zu stoßen: „Dich loben wir alle …“ Welche Vereinnahmung der Atheisten und Agnostiker, die es gar nicht schätzen, von uns unter die Gott Lobenden gerechnet zu werden. Es folgt noch die kuriose Aussage: „Dich lobt auch der Tod …“ Für die Bibel dagegen ist der Tod (wenigstens in der Weise, wie er in unserer erbsündigen Situation erfahren wird) „der letzte Feind“, der von Christus bei seiner Wiederkunft entmachtet wird (1 Kor 15,26; Offb 20,14). Ärgerlich und irreführend erscheint die Umkehrung und Umwertung eines Teils von Joh 3,18 in Nr. 123,6. Der zitierte Johannes-Vers enthält das erschütternde Jesuswort: „… Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“. Daraus wird im GGB-Entwurf: „… Wer glaubt, ist schon gerichtet und gerettet…“ Dem Wortlaut nach hätte er die Versicherung für die Ewigkeit in der Tasche, unabhängig davon, ob er auch morgen noch glaubt und ob er dem christlichen Glauben entsprechend lebt oder nicht.

Andererseits ist anzuerkennen, dass die zuständige Unterkommission keineswegs konsequent die Überzeugung propagieren will, dass „alle, alle in den Himmel kommen“, denn sie hat, über den GL-Bestand hinaus, das Lied von Friedrich Spee „Tu auf, tu auf, du schönes Blut …“ aufgenommen, in dem es unmissverständlich heißt: „… Wer unbereit von hinnen scheidt, ist ewiglich verloren“ (Nr. 43,4). Das verdient Lob, aber es geht nicht an, die Wahrheit nach dem Prinzip „Wie hätten Sie‘s denn gern?“ ins Angebot zu stellen: das Vorgaukeln des „alle, alle in den Himmel“ für die einen, die ungeschminkte biblisch-kirchliche Lehre für die anderen.[1]

Byzantinische Liturgie

Wie in vielen Veröffentlichungen wird S. 124 als Quellenangabe für einen ostkirchlichen Gesang die „Orthodoxe Liturgie“ angegeben. Sowohl von der Liturgiewissenschaft als auch von der Ekklesiologie her gesehen ist zu sagen, dass es keine orthodoxe Liturgie gibt und ebenso wenig eine katholische – die katholische Kirche praktiziert vielmehr alle aus dem ersten Jahrtausend stammenden Liturgien. Was hier gemeint ist, ist die byzantinische Liturgie im Unterschied zur unsrigen, der römischen. Als Kirchen sind zu unterscheiden die katholische, die orthodoxe und die verschiedenen altorientalischen, als Liturgien die römische, die byzantinische, armenische, koptische usw.

Weihnachtslieder

Im Bereich der Weihnachtslieder muss eine gewichtige Änderung in „Es ist ein Ros entsprungen“ auffallen (Nr. 31). Für die 2. Strophe wurde die ursprüngliche Fassung aufgegeben und durch die im GL als Anhang nachgereichte „Ökumenische Fassung“ ersetzt. Einziger Unterschied: Statt „… hat sie ein Kind geboren und blieb doch reine Magd“ heißt es nunmehr: „… hat sie ein Kind geboren, welches uns selig macht“. Damit ist zwar nicht mehr, wie bisher, die Wahrheit von der Jungfrauengeburt mit ausgesagt, und das kann man bedauern. Andererseits jedoch ist die neue Aussage nicht falsch, und die Jungfrauengeburt wird durch sie keineswegs geleugnet. Zudem war die Art, wie die bisherige Formulierung die Jungfrauengeburt zum Ausdruck brachte, in zweifacher Hinsicht kritisierbar. Der Ausdruck „Magd“ bedeutete zur Entstehungszeit des Liedes (16. Jh.) offenbar ein Mädchen, heute dagegen eine in der Landwirtschaft oder im Haushalt tätige Angestellte – was für Maria als die Frau eines selbständigen Handwerkers keineswegs zutraf. Frauen können es mit Recht als ärgerlich empfinden, wenn sie in der Kirche spontan immer in der Rolle der „Magd“ gesehen werden.

Der zweite Kritikpunkt gegenüber der traditionellen Formulierung ist noch gewichtiger. Das Wort „reine“ kann nur besagen, dass Maria, indem sie Geschlechtsgemeinschaft mit einem Mann aufgenommen hätte, in der Vorstellung des Autors „unrein“ geworden wäre. Das wäre tatsächlich der Fall gewesen, wenn als Alternative die Vereinigung mit einem Ledigen ohne vorhergehende Eheschließung oder gar mit einem anderweitig Verheirateten zur Debatte gestanden hatte. Die faktische Alternative, die Geschlechtsgemeinschaft mit Joseph nach ihrer Eheschließung mit ihm, hätte dagegen keineswegs der Unreinheit bezichtigt werden können. Zur Zeit des Autors sah man dies offenbar noch anders: eheliche Geschlechtsgemeinschaft als von Gott „tolerierte“ Unreinheit, um Schlimmeres zu verhüten. Diese, aus starken Strömungen der altgriechischen Philosophie in die Kirche eingedrungene Auffassung ist inzwischen glücklicherweise überwunden. Insofern ist es zu begrüßen, dass die wenig glückliche Art der Formulierung der Jungfrauengeburt in dem beliebten Lied aufgegeben wurde.

Auf eine ungebührliche Angleichung von Weihnachten an Ostern in dem Lied „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich …“ (Nr. 32, wie GL 134) sei hier zumindest hingewiesen: Die „Tür zum schönen Paradeis“ wieder „aufgeschlossen“ hat Christus nicht durch seine Geburt, sondern durch seinen Tod und seine Auferstehung.

Als Nr. 84 findet sich das Lied „Brot, das die Hoffnung nährt“, unter den Gesängen für die Messfeier. Als einziger Hinweis darauf, dass dieses etwas mit Gott zu tun haben könnte, enthält es in Str. 2 die Aussage „Kind, das die Großen lenkt“. Wenn das wirklich, wie anzunehmen, von Christus gesagt sein soll, dann wäre das Ganze unter die Weihnachtslieder einzureihen – falls das Lied nicht wegen eines derart dünnen Gottesbezuges besser wieder ausgeschieden wird.

„Verzweiflung“ und „Zweifel“

In moraltheologischer Hinsicht erscheint die Art, wie „Verzweiflung“ und „Zweifel“ gebraucht werden, bedenklich. Freiwillig zugelassene Verzweiflung ist Sünde gegen das Geschenk und die daraus sich ergebende Pflicht der Hoffnung auf Gott. Daher sollte S. 54, im Vorspann zu Nr. 4,12 „Verzweiflung“ nicht in Parallele zu „Leid“ gesetzt werden, weil Letzteres wahrhaftig keine Sünde darstellt. Vielmehr sollte von der Versuchung zur Verzweiflung gesprochen werden. „Zweifel“ findet sich in Nr. 123,4 und wird dort in Gegensatz zu „Glück“ gesetzt. Demnach scheint auch hier eher „Verzweiflung“ gemeint zu sein. Denn Zweifel an der Wahrheit des Glaubens kann ebenso gut mit Glück wie mit Unglück zusammen bestehen. Doch wie dem auch sei – auch hier sollte, wenn der Begriff beibehalten wird, von der Versuchung zum Zweifel oder zur Verzweiflung die Rede sein.

Realitätsferne Aussagen

Einige Passagen wären zu überarbeiten, weil sie realitätsferne oder realitätswidrige Aussagen enthalten. Realistischer wäre es etwa, S. 28 von manchen statt von vielen Christen zu sprechen, die „am Morgen, am Mittag und am Abend“ den „Engel des Herrn“ beten, besser vielleicht noch, einfach zu sagen, dass wir eingeladen sind, dies zu tun.

„Der Herr hat dich von aller Last befreit“ (Nr. 83,5), sollten wir einander nicht zusingen. Was irdisch-erfahrbare Lasten betrifft, wissen die meisten Adressaten, dass dies nicht zutrifft. Und was Sündenvergebung betrifft, geschieht sie selbst im gültig vollzogenen Bußsakrament nur entsprechend der Reue und dem Umkehrwillen des Pönitenten. Ansonsten bliebe ja keine „Last“ übrig, zu deren Abtragen Ablässe beitragen können.

Zäh und anscheinend unausrottbar haben sich auch diesmal die unwahrhaftigen Behauptungen des Liedes „Lobe den Herren“ erhalten (Nr. 92): „… der dich erhält, wie es dir selber gefällt“; und: „… der dir Gesundheit verliehen“: Jeder weiß, dass die erste der beiden Aussagen für niemanden und die zweite für sehr viele Menschen nicht zutrifft. Jetzt soll, durch Hinzunahme einer Strophe, die im GL nicht vorhanden ist, noch eine weitere Behauptung ähnlicher Art gesungen werden: „Lobe den Herren, der sichtbar dein Leben gesegnet …“ Wie viele Menschen können nur hoffen – und für wie viele können andere nur hoffen –, dass Gott ihr Leben in ihrem Inneren gesegnet hat, obwohl davon nichts sichtbar geworden ist.

Offenkundig unwahrhaftig ist ebenso die Behauptung universalen Friedens im Gloria-Lied „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ (GL 457), das uns laut Hinweis auf S. 285 der Probepublikation erhalten bleiben soll: „… nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Kindergebete

Auch Kindern sollte nicht länger Fröhlichkeit bereits beim Aufwachen verordnet werden (Nr. 4,4). Wer Kinder hat, der weiß, dass sie oft mürrisch aufwachen und unwillig sind aufzustehen, u.U. weil sie abends zu lang ferngesehen haben. Ein jeder von uns sollte aber auch wissen, dass viele Kinder, statt sanft zu schlafen, von Albträumen verfolgt werden wegen der Probleme, die sie mit dem Elternhaus, den Lehrern oder anderen Kindern haben.

Ein Vergleich der jetzt vorgelegten Kindergebete (Nr. 4,3-12) mit denen des GL (Nr. 22) ergibt im Übrigen, dass Letztere ein ganzes Stück mehr Niveau aufweisen als die nunmehr wieder hervorgeholten, in Reimverse gefassten früheren, denen ein deutlicher Hang zum Kindischen und Kitschigen eigen ist. Zudem sind sie, wie ich aus Erfahrung weiß, eine hohe Schule der geistlosen falschen Betonung: entsprechend dem Versrhythmus statt nach dem Sinn der Sätze.

Zumindest könnte in Nr. 4,8 „Äuglein“ (!) durch „Augen“, „befohlen sein“ durch „empfohlen sein“ und „sende Ruh“ durch „schenke Ruh“ ersetzt werden; dann gliche das Ganze schon etwas mehr der Art, wie Erwachsene und Kinder sich heute auszudrücken pflegen. Und statt der Schlussverse „Lass den Mond am Himmel stehn und die ganze Welt besehn“ ließe sich sicher eine etwas intelligentere Bitte finden.

Der nachfolgende Text (Nr. 4,9) ist demgegenüber ein ganzes Stück besser. Doch sollten, damit ein wirkliches Gebet daraus wird, die beiden letzten Verse als Anrede an Gott formuliert werden. Statt „Das tat der liebe Gott allein, drum will ich Dank ihm geben“ sollte es heißen: „Das tatest du, Herr, Gott, allein, drum will ich Dank dir geben.“ Damit würde von selbst der Begriff „der liebe Gott“ entfallen, und das wäre gut so. Denn man hat mit Recht von Gott gesagt, dass er liebt, liebend ist, ja die Liebe selbst ist – jedoch durchaus nicht immer „lieb“ ist.

Firmpaten

Was die Angaben zur Auswahl der Firmpaten betrifft (S. 223), verwundert es, dass hier nicht, wie für die Taufpaten (S. 211), „… ein[2] den genannten Aufgaben entsprechendes Leben aus dem Glauben“, sondern lediglich eine „entsprechende Reife“ verlangt wird. Gerade bei der Firmung ließe sich die höhere Forderung doch leichter durchsetzen, weil dort die verkehrte Praxis nicht seit Generationen so festgefahren ist wie bei der Kindertaufe. Weil bei dieser die Durchsetzung der Forderung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, sollte nicht vermerkt werden, dass „der Taufpate auch Firmpate sein“ sollte. Als hilfreich kann es sich bei ernsthaften Firmbewerbern vielmehr erweisen, ihnen zu sagen, sie sollten (außer den Eltern und dem Pfarrer) diejenige Person auswählen, die ihnen bis dahin im Glauben am meisten geholfen hat.

Unstimmigkeiten

Am Abend ist eine Gewissenserforschung, in Verbindung mit dem Abendgebet, mehr als bloß „sinnvoll“, wie S. 41 gesagt wird; sie gehört einfach dahin.

Der aus Irland stammende Segen „Der Herr sei vor dir …, neben dir …, hinter dir …“ scheint zwar beliebt zu sein. Dennoch fragt es sich, ob man Gott wirklich in dieser Weise in den Raum hineinprojizieren sollte.

Wenn als Quellenangabe ein derart unbekannter und fremdartiger Begriff wie „Segenswerkstatt von Iona“ dienen soll (Nr. 3,28), müsste er schon erklärt werden.

Beim Schlussgebet zum „Engel des Herrn“ (29) sollte es, statt des schwerfälligen „Lass uns … gelangen“, wie im Messbuch besser heißen: „Führe uns …“ (Tagesgebet zum 4. Adventssonntag).

Eine falsche Quellenangabe findet sich S. 102, zu Nr. 23. Es sollte nicht „Ecce advenit“ heißen (das wäre der Einzugsgesang zur Messfeier an Epiphanie und nicht „aus der Adventsliturgie“, wie zu Recht angegeben). Es handelt sich um eine der Vesper-Antiphonen zum 1. Adventssonntag, die mit „Ecce Dominus veniet“ beginnt.

Das S. 120 zitierte Stundenbuch heißt einfach so, und nicht – wie angegeben – „Katholisches Stundenbuch“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. dazu F. Reckinger: Alle, alle in den Himmel? Die sperrige Wahrheit im Evangelium, Altenberge 2002.
[2] So richtig, statt „eine“.

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