Maria, Mutter Europas

Pünktlich zur 175-Jahrfeier des Ortes Gnadenweiler in der Nähe des bekannten Benediktinerklosters Beuron wurde vergangenes Jahr die Kapelle „Maria, Mutter Europas“ fertig gestellt und eingeweiht. Die Initiative ging vom Beuroner Geistlichen Rat Pfr. P. Notker Hiegl OSB aus. Nachfolgend gibt er einen Einblick in die Entstehung und die überregionale Bedeutung des neuen Heiligtums.

Von Notker Hiegl OSB

Am 9. Juni 2007 weihte Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz OSB die Kapelle „Maria, Mutter Europas“ in Gnadenweiler ein. Nicht zufällig kam der inzwischen emeritierte Augsburger Bischof auf die Höhen der Schwäbischen Alb nahe des Benediktinerklosters Beuron. Denn vor seiner Bischofsweihe war Dammertz benediktinischer Abtprimas von S. Anselmo in Rom.

An der Feier nahmen rund 2000 bis 3000 Gläubige teil. Die Einweihung der Kapelle war in das 6. Euro-Bärenthal-Treffen eingebunden. Zu diesem Treffen kommen alle drei Jahre die Bärenthalgemeinden aus der Schweiz (Davos), Frankreich (Lothringen), Österreich (Kärnten) und alle deutschen Bärenthal-Ortschaften (Feldberg, Württemberg, Bayern, Hohenzollern) zusammen, also Vertreter aus Gemeinden, die den Namen Bärenthal tragen. Der eigentlichen Weihehandlung ging eine Prozession durch den aus elf Gehöften bestehenden Weiler voraus, die Kapelle ist bedeutungsvoll nun das „zwölfte Anwesen“.

Der Name „Gnadenweiler“

Die Kapelle konnte genau zur 175-Jahrfeier des Ortes Bärenthal-Gnadenweiler fertig gestellt werden. Gnadenweiler besteht also seit dem Jahr 1832. Damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, war das Agrarland im Bäratal (ein Nebental der Donau) für die zahlreichen Einwohner zu knapp geworden. Der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen erlaubte in einem Gnadenakt die Gründung eines Weilers auf der Albhochfläche auf den ehemaligen Klosterweiden, welche er durch die Säkularisation 1803 erhalten hatte. Deshalb trägt die Ansiedlung seit damals den Namen „Gnadenweiler“. In den vergangenen 175 Jahren waren zwei Versuche, eine Kapelle für den Weiler zu bauen, gescheitert. Der eine Versuch wurde in den Jahren des Kulturkampfes unternommen, der andere in den schweren Nachkriegsjahren des Ersten Weltkrieges 1918/1919.

Die Pläne zu der nun errichteten Kapelle stammen von dem berühmten Künstler Helmut Lutz aus Breisach. Die beiden auffälligsten Merkmale des Heiligtums sind der in Gestalt einer empfangenden Hand gestaltete Kirchturm (Gnaden empfangend für den Weiler = Gnadenweiler) und das Regenbogen-Runddach (Arche Noah) über dem rechteckigen Kapellengebäude. Der künstlerische Anspruch beruht auf zwei thematischen Säulen, die in der Innen- und Außengestaltung des neuen Gotteshauses zum Ausdruck kommen. Der eine Themenstrang ist die biblische Sintflut-Geschichte (Kapellenbau mit gläsernem Schiffsbug und Heck), der andere Pfeiler ist Maria als Mutter Europas (Maria mit dem Kinde lieb, geziert mit den zwölf Sternen, im Hintergrund riesengroß die Jakobsmuschel, denn der Jakobusweg führt von Norden kommend hier vorbei Richtung Konstanz, Maria Einsiedeln, Rhonetal, am Mittelmeer entlang Richtung Lourdes über die Pyrenäen zum „Camino“ in Spanien bis nach Santiago de Compostela).

Ein „heiliges Spiel“ mit Zahlen

Im Innern ist die gewölbte Decke, mit rot-fließenden Adern der Liebe Gottes (Brennender Dornbusch und Ecce-Homo-Dornenkrone) aufgebrochen. Der Blick wird damit frei auf zwölf tragende Dachbalken, zwölf Stämme. Diese symbolisieren einerseits die zwölf Stämme Israels, andererseits die zwölf Stämme des Neuen Bundes, die zwölf Apostel, auf denen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche aufgebaut ist. Die Zahl „12“ ist im gesamten Heiligtum überall inkorporiert. Vor dem Altar aus Bärenthaler Tuffstein sind zwölf Ammoniten auf dem Fußboden eingelassen, versteinerte Lebewesen aus Urzeiten, welche damals allein durch ihre Existenz den Schöpfer aller Schöpfung lobten. Das Haupt Mariens ist mit einem Sternenkranz aus zwölf Sternen geziert (Offb 12,1), zwölf Sedilien geben dem Raum die „Abendmahls-Atmosphäre“, von Dachkante zu Dachkante sind es zwölf Meter, der Hand-Glockenturm ist zwölf Meter hoch und draußen vor dem Heiligtum wehen zwölf Fahnen aus allen Ländern Europas, in denen Gemeinden mit dem Namen Bärent(h)al vorkommen, dazwischen die katholische marianische blaue Europafahne mit den zwölf goldenen Sternen.

Drei mal vier ist zwölf. So ist die göttliche Zahl „3“ (der Vater und der Sohn und der Heilige Geist) in den drei Stufen hinauf zum Heiligtum dargestellt, sowie im modernen Gnadenstuhl an der Decke und an der Rückwand zu ersehen, sowie die Erdenzahl „4“ in den vier Wänden (Ost, West, Nord, Süd – sowie Luft, Erde, Wasser, Feuer). Drei und vier ist sieben – „7“ ist die Zahl, welche Erd und Himmel umfasst (die sieben Sakramente der Kirche, die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die sieben Tage der Schöpfung...), wiederum in der Länge der Wände mit jeweils sieben Metern. Ein „heiliges Spiel“ mit Zahlen, welches dem Gottesdienstraum mit Tabernakel (1956 geschaffen von Br. Paulin Cordell OSB, Beuron) und Ewigem Licht eine innere Harmonie schenkt, die unwillkürlich jeden Wallfahrer erfasst.

Christlich-europäische Erde

Das auffälligste Detail der Innenraumgestaltung ist der von Bildhauer Willi Bucher, Fridingen, als Schiffsbug geformte Altar. Am „Heck“ dieses Altares ist das „Grab“, in welches zunächst die Weiheurkunde sowie die Reliquien der seligen Schwester Ulrika von Hegne eingemauert wurden. Unikat dürfte ein Samtbeutelchen sein, in welchem weitere kleine Stoffbeutel enthalten sind, welche Heimaterde der verschiedenen europäischen „Bärenthals“ beinhalten. Einmal werden die Beutelchen zerfallen, dann gibt es keine französische Erde mehr, keine deutsche und österreichische und Schweizer Erde mehr, sondern nur noch Europa-Erde, nicht mehr katholische und protestantische Erde, sondern nur noch christliche, letztlich christlich-europäische Erde.

Die äußerst wertvolle barocke Marienstatue, ein Gnadenbild aus dem Jahre 1750 aus der Zentralschweiz, wurde am 22. Dezember 2006 durch Walter Kardinal Kasper schon im Pfarrhaus Bärenthal eingeweiht. Die Patina in Gold und Silber, die Blumen im Gewand, die Krone auf dem Haupt, das Szepter in der Rechten, der Jesusknabe auf dem linken Arm der Mutter thronend, nicht Baby, sondern ganz „Dominus“, erhaben mit „erwachsenem“ Blick, die Weltkugel in seiner Hand, in Glorie Jesus und Maria. Meines Erachtens wäre gerade auch Maria, die Mutter Europas, eine Brücke für den Islam, zur Erkenntnis der wahren Gottesverehrung in Jesus Christus zu gelangen, da ja Maria im Koran eine „hervorragend-ehrende“ Rolle zugebilligt wird.

Und Maria ist eine Frau aus dem Judentum: auch hier Heils-Brücken-Funktion! Das ist unser Glaube, das ist unsere Hoffnung, das ist unsere Liebe: Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat!

Re-Evangelisierung Europas

Der Gedanke der „Erhaltung und Re-Evangelisierung Europas für Jesus und Maria“ prägt schon Jahrzehnte meinen Lebenslauf als Bärenthaler/Gnadenweiler Pfarrer. In 36 Kursen habe ich rund 700 Bürgermeistern und Landtagsabgeordneten in 39 Kursen immer wieder den ethischen Imperativ zum öffentlichen Einsatz für unsere christlichen Grundwerte in Europa zugesprochen. Dass dies vonnöten ist, zeigen u.a. folgende Ereignisse: Im Jahr 2004 ist die Verbindung „Europa – Maria – Gott“ durch den herrschenden Laizismus und Sozialismus in vielen Ländern unseres Kontinentes (besonders in Frankreich und Deutschland) fast zum Erliegen gekommen. Die innere biblische Einheit wird in vielen Fragen bewusst zerstört, nur wenige Beispiele: Rocco Buttiglione, Freund von Papst Johannes Paul II., wird als EU-Kommissar von entsprechenden Kräften ausgebootet, nur weil er bei einer Vorbefragung das Wort „Sünde“ mit der Schwulenszene in Verbindung bringt. Er sagte die biblische Grundlage betonend: „Ein Mann und eine Frau, die miteinander verheiratet sind, bilden mit ihren Kindern eine Familie. Diese Gemeinschaft geht jeder Anerkennung durch die öffentliche Autorität voraus. Man muss sie als die normale Beziehungsgrundlage betrachten. Mann und Frau sind gleicher Würde.“ Das war zuviel für die Anhänger der Beliebigkeit. Das passte nicht in die Welt der permissiven „Anti-Biblischen“. Auch wurde in die damals bereits verabschiedete und in der Zwischenzeit gekippte Präambel der Europäischen Union (jetzt gibt es einen noch religiös schwächeren, noch nicht verabschiedeten Vertrag von Lissabon) nach heftiger öffentlicher Diskussion der „Gottes“-Bezug nicht hineingenommen.

Wer sein Haus ohne „Gott“ baut, der hat es auf Sand gebaut. Sic! Die Frage der Embryonen-Forschung, der Kindesmisshandlungen, der Toleranz zwischen den Weltanschauungen auch zugunsten der Christen in nichtchristlichen Ländern usw., Fragen über Fragen in unserer Zeit, welche doch nicht im „christlichen Abendland“ ohne Jesus Christus und seine Mutter Maria, nicht ohne die Bibel, unsere „Magna Charta“ gültig gelöst werden können.

Signalzeichen für „Paneuropa“

Aus der Kraft und der Dynamik der Politiker-Exerzitien erwuchs letztlich neben vielen anderen Gründen die Kapelle „Maria, Mutter Europas“. Die Beziehung zu Otto von Habsburg, den ich für den Förderverein der Kapelle als Ehrenmitglied gewinnen konnte, war ebenfalls hilfreich. In einem Dankesschreiben führt er Folgendes aus: „Im hohen Alter, wie dasjenige, das ich erlebe (95 J.), schätzt man das Gefühl der Gemeinschaft, das man in den Fährnissen eines langen Lebens erfahren durfte. Das gilt nicht nur für Personen, sondern auch für Nationen, die viel gelitten haben – nicht zuletzt jene, die nunmehr der Europäischen Union angehören, wie Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Es gilt aber auch für jene Staaten und Nationen, denen das Recht auf Europa noch immer vorenthalten wird, wie Kroatien, Mazedonien, den Kosovo oder die Ukraine. Wir dürfen nicht vergessen: Paneuropa ist ganz Europa! Ich kann auf diese Zeichen der Freundschaft nur damit antworten, dass ich versichere: Sie können auf mich und nicht zuletzt auf die Meinen zählen, solange uns Gott Leben und Kraft gibt, denn es gilt: Treue um Treue!“

Durch Vermittlung Seiner Hoheit Otto von Habsburg kam ich auch in Verbindung mit Bischof Charles Caruana von Gibraltar, welcher ein kleines uraltes Heiligtum zu Ehren „der Gottesmutter Europas“ als Kleinod in seinem Sprengel hütet. Ich denke: Wir Menschen, ob in Gibraltar oder in Mitteleuropa oder im Osten unseres Kontinents (bis hin zum russischen Ural), wir sind Sinnes-Wesen und daher benötigen wir für unsere geistigen Interessen auch materielle Signale, an denen wir uns aus- und aufrichten können. Die Kapelle „Maria, Mutter Europas“ ist ein solches Signal-Zeichen für Jesus und Maria.

„Europäer des Jahres 2007“

Für die Exerzitien, welche Kommunal- und Landespolitiker aus Deutschland und der Schweiz Jahr für Jahr immer wieder nach Beuron führen, für die Euro-Bärenthaler-Treffen und deren geistliche Führung und letztlich für den Bau der Kapelle „Maria, Mutter Europas“ erhielt ich im Februar 2008 vom Europa-Abgeordneten Andreas Schwab aus Brüssel die Auszeichnung „Europäer des Jahres 2007“ überreicht. Auf die Auszeichnung als solche bin ich nicht erpicht, wenn dann, auf die Sache, die Idee, die dahinter steht: „Maria ist die Mutter Europas, Christus der Herr Europas“. Weihbischof Prof. Dr. Paul Wehrle, Freiburg, gratulierte dazu mit folgenden Worten: „In Ihnen wurde zu Recht ein Zeuge gefunden für ein gerechtes Miteinander in europäischer Weite und darüber hinaus.“

Ich will keine fremden Götter neben dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem Namen auch immer, „als Vater Europas“ haben. Der Engel rief Paulus nach Europa, um die Botschaft vom erlösenden Herrn zu verkünden, Europa ist bei Jesu Mutter, bei Maria in guten Händen, unter ihren Schutz und Schirm stellen wir uns, Europa ist auch nicht nur eine „Wirtschafts- oder Wehr- oder Güter-Gemeinschaft“, sondern eine christliche Wertegemeinschaft, alles andere ist zu wenig. Wer nicht für Christus ist, der ist letztlich gegen ihn. Imperativ nicht nur für die Politiker, sondern für jeden Getauften.

Eine Quelle ist aufgebrochen und fließt

Wir Europäer haben das christliche Menschenbild von Mann und Frau zu verteidigen. Kardinal Walter Kasper sagt in seinem Grußwort zur Kapelleneinweihung: „Vor allem ist Maria ,Mutter Europas‘, weil sie die vollkommene Jüngerin ihres Sohnes ist, der das Urbild des neuen Menschen ist. Sie sagt uns Europäern, ‚was er euch sagt, das tut‘ (Joh 2,5). Im Bekenntnis seines Namens wurde Europa geeint und groß. Nur im Bekenntnis zu Jesus Christus kann es seine Einheit wiederfinden und Zukunft haben. Die Mutter Jesu will auch die Mutter Europas sein.“ In einem weiteren Grußwort schrieb Otto von Habsburg: „Diejenigen, die die Gründung der EG angestoßen haben, Robert Schumann, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer, haben ganz klar die christliche Seele Europas erkannt.“ Und der Beuroner Erzabt Theodor Hogg OSB sagt schließlich: „Maria, die Mutter unseres Herrn und Erlösers, die Mutter der Kirche und Europas, wache über dieser Stätte Gnadenweiler und erflehe dem Volke Gottes inneres und äußeres Wachsen.“

Und selbst unser Heiliger Vater, Papst Benedikt XVI., sagte in Wien bei seinem Besuch im vergangenen Jahr: „Österreich, habe doch keine Angst vor der Zukunft, Maria, die Mutter Österreichs und Europas, beschützt euch doch.“ Hier hat ein Papst meines Wissens zum ersten Mal den Titel „Maria, Mutter Europas“ in seine Predigt eingebaut.

In tausend Bildern und Titeln verehre ich Maria, die Mutter unseres Herrn Jesus Christus, tausendundeins ist „Maria, die Mutter Europas“! In den Monaten Juli bis Dezember 2007 kamen rund 10.000 Pilger zur neuen Gnadenstätte. Domkapitular Dr. Stadler aus Freiburg sagte bei der ersten Baubesprechung über diesen Ort: „Eine Quelle, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufbricht, sollte man nicht wieder zuschütten.“ Die Quelle, sie fließt… 

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Einigung Europas mit Maria

Das neue Heiligtum in Gnadenweiler, das von Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz OSB am 9. Juni 2007 eingeweiht worden ist, trägt den programmatischen Titel „Maria, Mutter Europas“. Nachfolgend einige Auszüge aus seiner Predigt, in der er auf die Herausforderungen des europäischen Einigungsprozesses einging.

Von Bischof em. Viktor Josef Dammertz, Augsburg

Grandiose Erfolgsgeschichte

Europa hat einen runden Geburtstag gefeiert. Vor 50 Jahren, am 25. März 1957, haben sechs Staats- oder Regierungschefs in Rom einen Vertrag unterzeichnet, der ein engeres Zusammengehen dieser sechs europäischen Staaten – zunächst im wirtschaftlichen Bereich – vorsah. Inzwischen ist – durch mehrere Krisen hindurch – die Zuständigkeit der gemeinsamen europäischen Organe beträchtlich erweitert worden und die Gemeinschaft ist auf 27 Staaten angewachsen. Wahrlich eine grandiose Erfolgsgeschichte – einmalig in der Geschichte unseres Erdteils.

So genannte „Erbfeindschaften“, die Europa und die ganze Welt mit blutigen Kriegen überzogen haben, sind ein für allemal – sozusagen strukturell – überwunden. Freilich sind nicht alle Blüten gereift, die die Staatsmänner bald nach dem grausamen Weltkrieg erhofft hatten. Christliche Politiker, wie Robert Schuman, Konrad Adenauer und Alcide de Gasperi, hatten die Vision eines Kontinents, der auf dem soliden Fundament der christlichen Werte geeint sein sollte.

Verrat an der Gründungsvision

Inzwischen haben andere Interessen die Oberhand gewonnen. ... Das Bemühen, die europäischen Staaten auch zu einer Wertegemeinschaft zusammenzuführen, erweist sich als sehr schwierig. ... Papst Johannes Paul II. hat immer wieder betont, dass Europa seine christliche Seele wieder entdecken müsse. ...

Ein Abschied vom Christentum oder auch nur eine spürbare Verflüchtigung christlicher Substanz würde unserer europäischen Identität, unserer Kultur und unserem Zusammenleben in der Gesellschaft einen schweren Schaden zufügen; es wäre ein Verrat an der Vision der Gründungsväter Europas.

Maria – Schutz im Kampf gegen den Drachen

Mit all diesen Sorgen und Anliegen auf dem Herzen wenden wir uns an Maria, die wir vertrauensvoll als die „Mutter Europas“ anrufen. Ihr vertrauen wir die Zukunft unseres europäischen Kontinents an. Gerne greifen wir den Wunsch von Papst Johannes Paul II. auf, der uns zugerufen hat: „Kirche in Europa, richte deinen betrachtenden Blick auf Maria und erkenne, dass sie mütterlich und teilnahmsvoll anwesend ist bei den vielfältigen Problemen, die heute das Leben der einzelnen, der Familien und der Völker begleiten“ (Ecclesia in Europa, 124).

Die Flagge Europas zeigt einen Kranz von zwölf Sternen auf blauem Grund. Wir dürfen darin das Bild wiedererkennen, mit dem uns die Offenbarung des Johannes die Frau schildert „mit der Sonne bekleidet, der Mond zu ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12,1). Das ist das Bild der Kirche, die vom Drachen verfolgt, aber gnadenhaft gerettet wird.

In diesem Bild erkennt die Kirche auch Maria, die Mutter des Messiaskindes, dem der ganze Hass des Drachen gilt. In diesen Kampf ist die Kirche zu allen Zeiten gestellt, und sie vertraut auf Maria, die wir vertrauensvoll als „Hilfe der Christen“ verehren und anrufen dürfen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
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Europarat erklärt Abtreibung zum „Menschenrecht“

Am 16. April 2008 hat sich der Europarat gegen das Lebensrecht der Ungeborenen entschieden und das „Recht“ auf Tötung zum „Menschenrecht“ erklärt. Aus christlicher Sicht handelt es sich um das schwerwiegendste Abstimmungsergebnis, das im Rahmen europäischer Politik bislang erzielt worden ist. Dazu gab Mechthild Löhr, die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), im Namen ihrer Lebensrechtsinitiative nachfolgende Stellungnahme ab.

 Von Mechthild Löhr

Diese Entscheidung ist grundlegend falsch, da sie das Lebensrecht der Schwächsten mit Füßen tritt. Sie basiert auf völlig irreführenden Begründungen. Jede Abtreibung ist und bleibt für das Kind ein Todesurteil. Angeblich will der Europarat Abtreibungen möglichst verhindern. Wer aber glaubt, dass durch Legalisierung die Zahl der Abtreibungen sinkt, belügt sich und andere. Der Europarat schwächt mit seiner Entscheidung nur den ohnehin mangelhaften Schutz des ungeborenen Lebens in Europa. In den 47 Ländern des Europarates finden jährlich millionenfach Abtreibungen statt – allein in Russland über eine Million. Überall wo Abtreibung legalisiert wird, steigen nachweislich die Zahlen der vorgeburtlichen Kindstötungen. Weltweit geht dadurch vom Europarat ein falsches, ja fatales Signal gegen die Würde menschlichen Lebens aus. Wie wollen wir jetzt noch kritisieren, dass in anderen Kulturen Mädchen oder als behindert diagnostizierte Kinder allein deshalb abgetrieben werden, weil sie unerwünscht sind?

Der Europarat sprach sich mehrheitlich (106 zu 69 Stimmen bei 14 Enthaltungen) für ein ,Recht‘ auf einen ,sicheren und straffreien‘ Zugang zur Abtreibung, sogar bis zu einer maximalen Schwangerschaftsdauer, aus. Damit befürwortet er auch die Tötung bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähiger Kinder und nimmt die dadurch verursachten massiven Post-Traumatisierungen von Müttern in Kauf.

Offensichtlich ist es drei von fünf Delegierten nicht bewusst, dass gerade in Demokratien, die dem Schutz ihrer Bürger verpflichtet sind, elementarste Rechte, wie das Lebensrecht, nicht einfach zur Abstimmung gestellt werden können. Das Recht auf Leben ist in Artikel 3 der UN-Menschenrechtskonvention von 1948 für jeden Menschen verbürgt.

Immerhin haben vor allem die zur EVP gehörenden Delegierten durch ihr Votum betont, dass es ohne absoluten Lebensschutz auch keine Rechtssicherheit geben kann für andere, weniger elementare Menschenrechte. Sie stimmten gegen die Liberalisierung. Damit nahmen sie ihr Mandat wahr, für das sie delegiert sind: sich für Menschenrechte stark zu machen, und sich dafür einzusetzen, dass das Recht auf Leben das höchste Rechtsgut unserer Rechtsordnung bleibt. Das ,Recht‘ zur Tötung durch Abtreibung wird nie ein Menschenrecht sein können.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
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Gebetsaktion für ein christliches Europa

Um den Angelus wieder stärker zu verbreiten, hat das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ ein Gebets-Faltblatt sowie eine Angelus-Broschüre von Ingeborg und Maria Obereder herausgebracht. Klaus Wundlechner ist der Geschäftsführer des deutschen Zweiges von „Kirche in Not“.

Von Klaus Wundlechner

Auf seinem Kongress „Treffpunkt Weltkirche“ vom 11. bis 13. April 2008 in Augsburg hat „Kirche in Not“ eine Gebets-Aktion für Europa gestartet. Die Wiederbelebung des täglichen Angelus-Gebetes ist ein „Gebot der Stunde“. Heute sollte es entsprechend seiner geschichtlichen Wurzeln vor allem als Gebet für ein „geeintes christliches Europa“ wiederentdeckt werden. Wenn wir den Angelus nicht beten, werden in kurzer Zeit keine Glocken mehr läuten. Mit dem Verstummen der Glocken wird auch unsere christliche Kultur verstummen.

Das Wachstum des Islams, der Esoterik und anderer Weltanschauungen ist eine Folge der Schwäche der Christen, die ihren Glauben nicht mehr öffentlich bekennen.

Zum Angelus oder „Engel des Herrn“ läuten weltweit dreimal täglich die Glocken der meisten katholischen Kirchen. Sie laden ein, den Tag morgens, mittags und abends für ein paar Minuten zu unterbrechen und an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zu denken.

Pfarreien, Gemeinschaften und Gläubige können ein kleines Gebets-Faltblatt mit dem Angelus sowie eine 52-seitige Broschüre (Betrachtungen zum Angelus, zur Entstehungsgeschichte und seinem Charakter als „Schutzgebet für die bedrohte Christenheit“), auch in größerer Stückzahl, unentgeltlich anfordern bei: „Kirche in Not“, Albert-Roßhaupter-Straße 16, 81369 München, Tel. 089/7607055, Internetseite zum Lesen und Ausdrucken des Textes: info@kirche-in-not.de oder www.kirche-in-not.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
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Grußbotschaft des Papstes an das russische Volk

Papst Benedikt XVI. hat sich am 16. April 2008 erstmals im Fernsehen an das russische Volk gewandt. Die nachfolgende Grußbotschaft wurde im Rahmen eines Dokumentarfilms vom russischen staatlichen Nachrichtenkanal „Vesti“ ausgestrahlt. Adressaten der Papstansprache waren das ganze russische Volk, die katholischen Bischöfe, die Katholiken in Russland, das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Alexij II. sowie alle orthodoxen Christen. Film und Ansprache gelten als Symbol für den Prozess der Annäherung beider Kirchen.

Von Papst Benedikt XVI.

Liebe Bürger der Russischen Föderation, ich bin dankbar für die Einladung, mich an Euch zu wenden und Euch meinen herzlichen Gruß auszusprechen, und ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, die Wertschätzung, die Zuneigung und die Achtung auszudrücken, die der Nachfolger Petri und die Katholische Kirche seit jeher Euren Völkern und der Russisch-Orthodoxen Kirche gegenüber hegen.

Russland ist ein wahrhaft großes Land: in seiner territorialen Ausdehnung, seiner langen Geschichte, seiner erhabenen Spiritualität, seinem vielfältigen Kunstschaffen. Im vergangenen Jahrhundert wurde der Horizont Eures edlen Landes, wie der anderer Gebiete auf dem europäischen Kontinent, vom Schatten des Leidens und der Gewalt verdunkelt. Doch diese wurden durchkreuzt und besiegt vom glänzenden Licht so vieler orthodoxer, katholischer und andersgläubiger Märtyrer, die in der Unterdrückung durch schreckliche Verfolgungen gestorben sind.

Die Liebe zu Christus bis zum Martyrium, die ihnen gemeinsam ist, erinnert uns an die drängende Notwendigkeit, die Einheit der Christen wiederherzustellen, eine Pflicht, der sich die Katholische Kirche unwiderruflich verpflichtet fühlt. In diese Richtung bewegen sich die Katholische und die Russisch-Orthodoxe Kirche. Ich erinnere mich gut, dass beim II. Vatikanischen Konzil eine Delegation des Moskauer Patriarchats anwesend war, und ich habe die Kontakte mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, die sich daran anschlossen, mitverfolgt. In den letzten Jahren haben sich diese Kontakte vor allem zwischen den Gläubigen, den Priestern und Bischöfen intensiviert. Und dann der interreligiöse, interkulturelle Dialog, der eine weitere vorrangige Aufgabe der Katholischen und, ich wage zu sagen, auch der Russisch-Orthodoxen Kirche ist.

Im Bewusstsein der geistlichen Gaben, deren Verwalter sie sind, und unter fester Bewahrung ihrer eigenen Identität, sind die Christen eingeladen, die Begegnung mit den Nachfolgern anderer Religionen zu suchen und mit ihnen einen fruchtbaren Dialog in der Liebe und in der Wahrheit zu etablieren. Deshalb bitte und wünsche ich mir, dass die tausendjährige russische Kirchenerfahrung weiterhin das christliche Panorama bereichert, im Geist ehrlichen Dienstes am Evangelium und am Menschen heute. Und jetzt ein Gruß in russischer Sprache:

Ich freue mich sehr darüber, mich in russischer Sprache an das Volk und die Regierung dieses großen und mir so teuren russischen Landes zu wenden. Herzlich grüße ich unsere lieben orthodoxen Brüder, insbesondere Seine Heiligkeit, den Patriarchen von Moskau und ganz Russland, und die katholischen Bischöfe sowie ihre Gemeinden. Allen wünsche ich Frieden und Wohlergehen und gegenseitige Liebe, und ich rufe auf Sie alle den Segen Gottes herab.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
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Pilger, was suchst Du?

Die Jakobuswallfahrt erlebt eine neue Blüte. Direktor Thomas Maria Rimmel ließ sich von der allgemeinen Begeisterung anstecken und machte sich vergangenes Jahr selbst auf den Weg. In einer Artikelreihe betrachtet er die Bedeutung des Jakobusweges. Sein zweiter Beitrag geht der Frage nach, was die einzelnen Menschen zum Pilgern bewegt. Es gilt der Grundsatz, dass es so viele Motive wie Pilger gibt. Manche geben an, es sei für sie nur Zeitvertreib oder ein Naturerlebnis. Und doch steckt hinter dem äußeren Aufbrechen meistens ein tiefes geistliches Bedürfnis, letztlich eine Suche nach Jesus Christus.

Von Thomas Maria Rimmel

Im Heiligen Jahr 2000 nahmen zwei Millionen junge Menschen am Weltjugendtag in Rom teil. Bei der Vigilfeier am Vorabend des Hochfestes Mariä Himmelfahrt stellte ihnen Papst Johannes Paul II. die Frage: „Liebe Freunde! Ihr habt mit allen möglichen Verkehrsmitteln unzählige Kilometer zurückgelegt, um hierher nach Rom an die Gräber der Apostel zu kommen. Erlaubt mir, dass ich an den Anfang der Begegnung mit euch eine Frage stelle: Was sucht ihr hier? Ihr seid da, um euer Jubiläum zu feiern: das Jubiläum der jungen Kirche. Eure Reise ist etwas Besonderes: Ihr habt euch auf den Weg gemacht, nicht nur zum Zeitvertreib oder der Kultur wegen. So lasst mich die Frage wiederholen: Was sucht ihr hier?

Ähnlich dürfen wir die Millionen Pilger fragen, die sich im Verlauf der vergangenen tausend Jahre auf den Weg nach Santiago de Compostela gemacht haben: „Pilger! Was suchst Du?“ Allein in den letzten Jahren zogen Hunderttausende zum Grab des hl. Apostels Jakobus und sie pilgerten nicht nur der Natur oder der Kultur wegen.

Hoffnung auf Rettung in großer Not

Das Wallfahren erlebte „im Mittelalter eine Blütezeit und wurde zu einer der dominierenden Frömmigkeitsformen“:[1] Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela waren die großen Pilgerziele (peregrinationes maiores). Dass die Wallfahrt zum Grab des hl. Jakobus immer populärer wurde, hing vor allem mit der Eroberung Jerusalem durch die Muslime zusammen. Da man nicht mehr ins Heilige Land pilgern konnte, ging man entweder nach Rom „ad limina“, zu den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus, oder – weil es sich nur um ein Apostelgrab handelt – „ad limen“, zum Grab des hl. Apostels Jakobus. „Man glaubte nicht nur, dass an den Gräbern der Märtyrer und Heiligen die besondere Wirksamkeit Gottes durch diese Heiligen offenbar werde, sondern auch, dass durch Wunder Gebrechen geheilt, Wünsche erfüllt oder Sünden vergeben würden."[2] Die Reliquienverehrung nahm dabei einen immer höheren Stellenwert ein und viele Pilger brachten von den Wallfahrtsorten zumindest Berührungsreliquien mit nach Hause. Gleichzeitig bestand die Hoffnung, am Grab des Heiligen ein Wunder zu erleben. Viele brachen wegen Krankheiten auf und suchten körperliche Heilung. Andere pilgerten aus Dankbarkeit, etwa weil sie selbst, ihr Dorf oder ihre Stadt vor Epidemien wie der Pest oder vor Naturkatastrophen bewahrt geblieben waren. Wieder andere hatten in großer Not das Gelübde abgelegt, nach Santiago zu pilgern, wenn z.B. der Hof nicht abbrennt, das Kind gesund auf die Welt kommt oder der Mann aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt, „so wie Francois de Vic Ende des 16. Jahrhunderts, welcher nach langer Gefangenschaft befreit wurde und daraufhin schwor, das Grab Jakobus‘ zu besuchen."[3]

Reinigung von Sünde und Schuld

Viele machten sich aus Sorge um ihr Seelenheil auf den Weg. Sie wollten als geläuterte und neue Menschen in die Heimat zurückkehren. Ziel war es oft, durch die Wallfahrt – in Verbindung mit der Beichte – einen vollkommenen Ablass zu erlangen, d.h. von allen zeitlichen und ewigen Sündenstrafen befreit zu werden.

Im Mittelalter spielte die Verheißung eine entscheidende Rolle, dass dem Menschen durch das Pilgern auf dem Jakobusweg alle Sünden vergeben werden. Die Gefahr einer Akzentverschiebung in Richtung Werkgerechtigkeit war tatsächlich groß. Die Menschen glaubten, durch die Strapazen der Wallfahrt, die sie auf sich nehmen, könnten sie ihre Sünden abbüßen und Vergebung erlangen. Zu Recht haben die Reformatoren genau diesen Punkt im Wallfahrtswesen angegriffen und insbesondere die Jakobuswallfahrt kritisiert. In der Betreuung der Pilger muss hervorgehoben werden, dass das Pilgern dem Menschen helfen kann, sein Herz in Demut und Vertrauen zu öffnen, um für die unverdiente Vergebung durch Gott empfänglich zu werden und den Frieden des Herzens zu erlangen. Letztlich besteht auch heute in der Sehnsucht nach Vergebung von Schuld die häufigste Motivation zu einer Jakobuswallfahrt.

Eine besondere Form waren die Strafpilger. Sie machten eine Bußwallfahrt, um ein begangenes Verbrechen wie Diebstahl, Mord oder Ehebruch zu sühnen. „Erschwerend mussten einige Pilger mit Ketten versehen wandern, wobei diese teilweise aus Mordwerkzeugen der begangenen Tat gefertigt wurden. Die Buße sollte so lange dauern, bis diese Ketten durch die Anstrengung der Pilgerfahrt zerbarsten als Zeichen Gottes, dass die Schuld abgeleistet war. Je nach Schwere des Verbrechens gestalteten sich Dauer und Schwierigkeit der Wallfahrten."[4] Dabei war eine solche Bußwallfahrt oft auch ein Schutz für den Verbrecher, der infolge seiner Abwesenheit nicht Opfer von Blutrache werden konnte.

Spirituelle Vertiefung

Was sucht der Pilger heute? Was treibt heute so viele auf diesen Weg? „Ist es die sportliche Herausforderung, ist es Mode, ist es eine Bußübung, ist es die Sehnsucht nach einem einfachen Leben, ist es religiöse Sehnsucht, ist es das Grab eines Heiligen, ist es die Begegnung mit dem eigenen Ich, ist es die Begegnung mit Menschen aus allen Himmelsrichtungen, ist es die Begegnung mit Kunst und Geschichte, ist es die Flucht vor dem langweiligen Alltag und dem eigenen Ich?"[5]

Don José Maria, der alte Pfarrer von San Juan de Ortega, war nicht nur bekannt für seine Gastfreundschaft und seine famose Knoblauchsuppe, sondern auch aufgrund seiner tiefsinnigen Worte, die er an die Pilger richtete: „Wenn ihr morgen sterben müsstet auf diesem Weg, dann sagt euch, dass euer Leben erfüllt ist, denn ihr wäret gestorben bei der Suche nach dem Absoluten. Und wenn ihr nach Hause kommt, sagt, dass ihr immer noch auf dem Weg seid, und dass ihr von jetzt an immer dort seid; denn das ist ein Weg, der kein Ende kennt. Wisst es und vergesst es nie."[6] Der inzwischen verstorbene Pfarrer hatte erkannt, dass sich heutzutage die meisten Pilger auf den Weg machen, weil sie spüren, dass ihnen in ihrem Leben Entscheidendes noch fehlt. Diese Suche griff er positiv auf und konnte vielen den Impuls mitgeben, dass unsere christliche Berufung in der wunderschönen Erfahrung besteht, sich schon in dieser Welt mit dem Absoluten, mit Gott zu vereinigen. 

Ich selbst konnte beobachten, dass viele Pilger auf dem Weg sind, um ihre Probleme aufzuarbeiten. Eine Protestantin aus dem Schwarzwald erklärte mir, sie sei bereits vergangenes Jahr ein Stück des Jakobusweges gegangen. Nach mehreren Fehlgeburten würde ihr das Pilgern auf dem Weg gut tun. Es sei eine Hilfe, um ihre Fehlgeburten zu verarbeiten. Dieses Jahr sei sie zusammen mit ihrem Mann und mit ihrem Sohn zwei Wochen lang unterwegs.

Ein Polizist aus Westdeutschland, der selber Drogen nahm, depressiv wurde und deswegen aus dem Dienst schied, versucht auf dem Jakobusweg wieder langsam seine Krankheit zu überwinden. Dominik, ein erfolgreicher Architekt, der gerade den Deutschen Architekturpreis gewonnen hatte, nahm sich eine „spirituelle Auszeit“, damit in der beruflichen Jagd nach immer besser, weiter und höher, auch die Seele einmal auf ihre Kosten komme.

Andere möchten ihre Berufung klären oder stärken. George, ein junger Japaner gab seinen Job als Übersetzer in Tokio auf, wurde katholisch und wollte sich nun auf dem Weg darüber klar werden, ob er eine Berufung zum Priestertum hat. Ein Pfarrer aus Passau, der bereits dreißig Jahre Priester ist, nahm sich mehrere Wochen Zeit, um auf dem „Camino“ seine Berufung durch Gebet und Meditation über sein Priestersein zu vertiefen.

Esoterische Anklänge

Alberto, ein junger Spanier, ging den Jakobusweg von Roncesvalles aus schon zum dritten Mal. Er ist Philosophiestudent und meint: „Ich brauche diese spirituelle Erfahrung. Das Pilgern gibt mir Frieden und Harmonie.“ Santiago sei zwar spirituell ein kraftvoller Ort, doch gehe er nicht aus religiösen Gründen dorthin. Der Begriff „Religion“ komme von „religare“ (zurückbinden), er aber wolle sich keinesfalls an eine Organisation wie die Kirche binden. An einen persönlichen Gott glaube er nicht: „Ich bin Pantheist! Gott ist für mich in jeder Blume und in jedem Stein.“

Ganze Romane über den Jakobusweg sind esoterischer Natur, wie jener der amerikanischen Schauspielerin Shirley MacLaine. Darin sind so abstruse Thesen zu lesen wie, dass der Camino „direkt unter der Milchstraße verläuft und Ley-Linien folgt, die die Energie des über ihnen liegenden Sternensystems widerspiegeln. … Ich war nie religiös, suchte stattdessen immer die Spiritualität, darum interessierte mich am Jakobusweg vor allem die Energie der Ley-Linien“.[7] Immer wieder wird der Jakobusweg in esoterischer Manier als Sternenweg bezeichnet. Dies hängt einerseits mit einem Traum Kaiser Karls des Großen zusammen. Andererseits versucht man, den Namen „Compostela“ von der latein. Zusammensetzung „campus stellae“ abzuleiten. Dies ist aber unzutreffend. Tatsächlich setzt sich Santiago de Compostela zusammen aus „Sant`Jago nach dem hl. Jakobus, Compostela wohl deshalb, weil hier ein größerer Friedhof, ein Gräberfeld (compostum) bestand. Diese Erklärung ist jedenfalls der Volksetymologie campus stellae (Sternenfeld) vorzuziehen."[8]

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Pilger, die den Jakobusweg auf dem Hintergrund der Esoterik und nicht aus echt religiösen Beweggründen begonnen haben, am Ende von tiefen religiösen Gefühlen erfüllt sind. 90% der Pilger kreuzen in Santiago, wenn sie ihre Pilgerurkunde erhalten, als Grund für ihre Wallfahrt religiöse Motive an.

Pilger, wen suchst Du?

Im Jubeljahr 2000 hat der Papst die Frage an die Jugend der Welt geändert. Er meinte, statt zu fragen: „Was suchst Du?“, müsste die Frage besser lauten: „Wen suchst Du?“ Also: „Pilger, wen suchst Du?“ Wahrscheinlich würden viele antworten: „Ich bin auf der Suche nach mir selber!“ Und das stimmt sicherlich. Aber: Ob sie es wissen oder nicht, die Pilger suchen Jesus.

Michel Quoist meinte einmal: „Wenn du in Frieden leben willst, lass nicht zu, dass sich jemals in dir auch nur eine Sorge festsetzt – sei sie vergangen, gegenwärtig oder zukünftig; denn was eingeschlossen ist, gärt."[9] Auf dem Weg bin ich gerade am Anfang zahlreichen Menschen begegnet, in denen es gärt. Dies hat oft seine Ursache darin, dass sie unversöhnt leben.

Beeindruckend war die Begegnung mit einem jungen Franzosen, der Anfang Mai aus der Mitte Frankreichs aufgebrochen war. Er erzählte von seinem Vater, der Polizist war und mit 54 Jahren an übermäßigem Genuss von Alkohol und Nikotin starb. „Als ich klein war, hat mir mein Vater sehr viel Liebe gezeigt. Später war das nicht mehr so. Vielleicht sah er sich selber in mir“, so erzählte der junge Mann und begann zu weinen. Er habe überhaupt keinen Frieden im Herzen. Sein Vater sei der Mutter gegenüber immer wieder gewalttätig geworden und er selbst habe seinen Vater einmal richtig geschlagen: „Das tut mir so leid. Ich habe ihn bei mir und trage ihn jetzt nach Santiago de Compostela.“ Dabei deutete er auf seinen Rucksack. Sein Vater wurde feuerbestattet und nun trug er seine Asche mit sich. Unter Tränen wiederholte er unentwegt: „Ich habe meinen Vater geschlagen, das tut mir so leid!“ Was suchte dieser junge Franzose? Vergebung über den Tod hinaus. Er wusste nicht mehr, wohin mit seinem Schmerz und mit seiner Schuld. Und viele Pilger, ob sie es zugeben oder nicht, sind auf dem Weg, um Vergebung zu erlangen, oder auch, um die Kraft zu bekommen, Beleidigungen zu verzeihen.

Bereits am zweiten Tag hatte ich so viele Pilger mit diesem Bedürfnis kennen gelernt, dass ich am 29. Mai 2007 in mein Tagebuch schrieb: „So nett alle Pilger sind, aber sie suchen auf dem Weg etwas, was man nur durch eine gute Beichte bekommt: die Vergebung und den Nachlass der Sünden.“

Wie vielen Menschen auf dem Weg durfte ich die priesterliche Lossprechung erteilen? Pilger sind mir um den Hals gefallen, als ich ihnen sagen konnte: „Ich spreche Dich los von Deinen Sünden!“ – „Gott hat Dir Deine Sünden vergeben. Geh‘ in Frieden!“ Und sie sind den Camino voller Friede und Freude weitergegangen. Was sie gesucht hatten, war Jesus Christus.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] K. Herbers: Jakobusweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt, München 2006, 34.
[2] K. Herbers, a.a.O., 35.
[3] P. Windisch: Jakobusweg. Lesebuch, Welver 2005, 51.
[4] P. Windisch, a.a.O., 53.
[5] M. Zentgraf (Hg.): Auf dem Jakobusweg. Pilgerbüchlein, München 2008, Vorwort.
[6] M. Zentgraf (Hg.), a.a.O., 28.
[7] S. MacLaine: Der Jakobusweg. Eine spirituelle Reise, München 2001, 10-11.
[8] K. Herbers: Jakobus – der Heilige Europas. Geschichte und Kultur der Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela, Düsseldorf 2007, 17.
[9] M. Zentgraf (Hg.), a.a.O., 24.

Mit Liebe und Ehrfurcht

Schon die Kirchenväter ermahnten die Gläubigen, dem Herrn in der Eucharistie „cum amore ac timore“ – „mit Liebe und Ehrfurcht“ zu begegnen. Von Anfang an machten sich Hirten und Theologen Gedanken über eine angemessene Form des Kommunionempfangs. Weihbischof Athanasius Schneider aus Karaganda in Kasachstan untersuchte diese Frage und fasste die Ergebnisse in dem Büchlein „Dominus Est“ zusammen. Der Vatikan reagierte auf die Äußerungen des Weihbischofs mit außergewöhnlicher Aufmerksamkeit. Die nachfolgende Zusammenfassung seiner „historisch-liturgischen Bemerkungen über den Ritus der heiligen Kommunion“ wurde sogar in der italienischen Ausgabe des L’ Osservatore Romano veröffentlicht.

Von Weihbischof Athanasius Schneider, Karaganda

Der große Papst Johannes Paul II. hat in seiner letzten Enzyklika mit dem Titel Ecclesia de Eucharistia der Kirche eine glühende Mahnung überlassen, die wie (s)ein eigentliches Testament klingt: „Indem wir der Eucharistie die volle Bedeutung beimessen, die ihr zukommt, und mit aller Sorgfalt darauf bedacht sind, dass keine ihrer Dimensionen oder Ansprüche abgeschwächt werden, sind wir uns wirklich bewusst, wie groß diese Gabe ist. ... In der Sorge um dieses Geheimnis kann man nicht übertreiben“ (61). Das Bewusstsein der Größe des eucharistischen Geheimnisses zeigt sich ganz besonders darin, wie der Leib des Herrn ausgeteilt und empfangen wird.

Entwicklung äußerer Ausdrucksformen

Sich der Größe des Augenblicks der hl. Kommunion bewusst, hat die Kirche in ihrer zweitausendjährigen Tradition einen rituellen Ausdruck gesucht, der ihren Glauben, ihre Liebe und ihre Ehrfurcht in einer vollkommeneren Art und Weise bezeugen könnte. Dies konnte man seit mindestens dem 6. Jahrhundert feststellen, als die Kirche im Verlauf einer organischen Entwicklung begann, das allerheiligste Sakrament direkt in den Mund zu spenden. Dies bezeugen die Biografie Gregors des Großen (Papst von 590-604)[1] und ein Hinweis des gleichen Papstes.[2] Die Synode von Cordoba im Jahr 839 verurteilte die Sekte der sog. „casiani“ wegen ihrer Weigerung, die hl. Kommunion direkt in den Mund zu empfangen.[3] Dann bekräftigte die Synode von Rouen im Jahr 878 die geltende Norm der Austeilung des Leibes Christi in den Mund unter Androhung der Amtsenthebung jener Kleriker, welche die hl. Kommunion den Laien in die Hand austeilen.[4] Im Westen wurde in Klöstern bereits ab dem 6. Jahrhundert die Geste befolgt, sich vor dem Empfang des Leibes Christi niederzuwerfen und niederzuknien (z.B. in den Klöstern des hl. Kolumban).[5] Später, im 10. und 11. Jahrhundert, verbreitete sich diese Geste noch weiter.[6]

Am Ende des patristischen Zeitalters wurde die Praxis des Kommunionempfangs in den Mund eine allerorts verbreitete und fast universale Praxis. Diese organische Entwicklung kann als eine Frucht der Spiritualität und der eucharistischen Verehrung in der Zeit der Kirchenväter betrachtet werden. Die Kirche sowohl im Orient als auch im Westen spürte in einer bewundernswerten Übereinstimmung die Dringlichkeit, den Laien die heilige Kommunion direkt in den Mund zu spenden. Der bekannte Liturgist J. A. Jungmann erklärte, dass durch die Kommunionspendung direkt in den Mund verschiedene Sorgen beseitigt wurden: Dass die Gläubigen saubere Hände haben müssen, und die noch größere Sorge, dass kein Teilchen des konsekrierten Brotes verloren ginge, sowie die Notwendigkeit, die Handfläche nach dem Empfang des Sakramentes zu reinigen. Das Kommuniontuch und später die Kommunionpatene sind Ausdruck einer gesteigerten Sorgfalt gegenüber dem eucharistischen Sakrament.

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…“

Papst Johannes Paul II. lehrte in der Enzyklika Ecclesia de Eucharistia folgendermaßen: „In Übereinstimmung mit diesem erhabenen Sinn des Mysteriums versteht man, wie der Glaube der Kirche an das eucharistische Mysterium in der Geschichte nicht nur durch das Verlangen nach einer inneren Haltung der Ehrfurcht zum Ausdruck gekommen ist, sondern auch durch eine Reihe äußerer Ausdrucksformen ... “ (49). Die Haltung, die mit diesem Geschenk am meisten im Einklang steht, ist die Haltung der Empfangsbereitschaft, die Haltung der Demut des Hauptmanns, die Haltung, sich nähren zu lassen, also die Haltung des Kindes. Das Wort Christi, das uns einlädt, das Reich Gottes wie ein Kind zu empfangen (Lk 18,17), kann seine beeindruckende und schöne Veranschaulichung in der Geste des knienden Kommunionempfangs in den Mund finden.

Papst Johannes Paul II. hob die Notwendigkeit der äußeren Ausdrucksformen der Ehrfurcht gegenüber dem eucharistischen Brot hervor: „Wenn auch der Kontext des ,Gastmahls‘ eine familiäre Atmosphäre nahe legt, so ist die Kirche doch nie der Versuchung erlegen, diese ,Vertrautheit‘ mit ihrem Bräutigam zu banalisieren; niemals hat sie vergessen, dass er auch ihr Herr ist. ... Das eucharistische Mahl ist wirklich ein ,heiliges‘ Mahl, in dem in schlichten Zeichen der Abgrund der Heiligkeit Gottes verborgen liegt: ,O Sacrum convivium, in quo Christus sumitur!‘ Das Brot, das auf unseren Altären gebrochen und uns für unser Pilgersein auf den Straßen dieser Welt dargeboten wird, ist ,panis angelorum‘, Brot der Engel, dem wir uns nur mit der Demut des Hauptmanns im Evangelium nähern können“ (48).

Die Haltung des Kindes ist die richtigste und tiefste Haltung eines Christen vor seinem Erlöser, der ihn mit Seinem Leib und mit Seinem Blut nährt, wie es die folgenden bewegenden Äußerungen des Clemens von Alexandria zum Ausdruck bringen: „Der Logos ist alles für das Kind: Vater, Mutter, Erzieher, Ernährer. ,Esst, sagt Er, Mein Fleisch und trinkt Mein Blut!‘ ... O unglaubliches Geheimnis!"[7]

Eine andere Betrachtung liefert die Erzählung der Berufung des Propheten Ezechiel. Ezechiel erhielt das Wort Gottes symbolisch direkt in den Mund: „Öffne den Mund und iss, was ich dir gebe. Und ich sah, eine Hand war ausgestreckt zu mir und hielt eine Buchrolle. ... Ich öffnete den Mund, und er ließ mich die Rolle essen. Ich aß sie und sie wurde in meinem Mund süß wie Honig“ (Ez 2,8-9; 3,2-3). In der hl. Kommunion erhalten wir das Wort, das Fleisch geworden ist, Nahrung für uns Kleine, für uns Kinder. Wenn wir uns also der hl. Kommunion nähern, können wir uns an jene Gebärde des Propheten Ezechiel erinnern. Christus nährt uns in der hl. Kommunion wahrhaftig mit Seinem Fleisch und Blut und dies wird in der Patristik mit dem Stillen der Mutterbrust verglichen, wie diese eindrücklichen Worte des hl. Johannes Chrysostomus aufzeigen: „Durch dieses eucharistische Geheimnis vereint sich Christus mit jedem Gläubigen und jene, die er erschaffen hat, ernährt er mit sich und vertraut dieses Ernähren keinem anderen an. Seht ihr nicht, mit welchem Schwung sich die Neugeborenen mit ihren Lippen der Brust der Mutter nähern? Und so lasst auch uns dieser heiligen Speise und an die Brust dieses geistigen Trankes mit gleicher Glut nähern, ja sogar mit einer noch größeren Glut als jener der Säuglinge.[8]

Biblisches Symbol der Anbetung

Die typischste Geste der Anbetung ist die biblische Geste des Niederkniens, so wie es die ersten Christen praktiziert haben. Für Tertullian, der zwischen dem 2. und 3. Jahrhundert lebte, ist die höchste Form des Gebetes der Akt der Anbetung Gottes, der sich auch in der Geste der Kniebeugung zeigen muss:

„Alle Engel, jedes Geschöpf, das Vieh, die Raubtiere beten und beugen die Knie."[9] Der hl. Augustinus sprach die Warnung aus, dass sich nämlich die Gläubigen versündigen, wenn sie den eucharistischen Leib des Herrn beim Empfang nicht anbeten: „Niemand esse dieses Fleisch, bevor er es nicht angebetet habe. Wir sündigen, wenn wir es nicht anbeten."[10] In einem antiken Kommunionritus aus der liturgischen Tradition der koptischen Kirche heißt es: „Alle sollen sich bis zur Erde verbeugen, ob groß oder klein, und so beginne die Austeilung der Kommunion."[11] Gemäß den mystagogischen Katechesen, die Cyrill von Jerusalem zugeschrieben werden, muss der Gläubige die Kommunion mit einer Gebärde der Anbetung und Verehrung empfangen. „Strecke nie die Hände hin, sondern nähere dich in einer Gebärde der Anbetung und Verehrung dem Kelch des Blutes Christi."[12] Der hl. Johannes Chrysostomus ermahnt alle, die sich dem eucharistischen Leib des Herrn nähern, die Magier des Orients im Geiste und in der Geste der Anbetung nachzuahmen: „Nähern wir uns Ihm also mit Inbrunst und glühender Liebe. Dieser Leib wurde, obschon er sich in einer Krippe befand, durch die selben Magier angebetet. Nun haben aber diese Männer ohne Kenntnis der Religion und obschon sie Fremde waren, den Herrn mit großer Ehrfurcht und Zittern angebetet. Wir aber, die wir Bürger des Himmels sind, sollten wenigstens versuchen, diese Fremden nachzuahmen! Im Unterschied zu den Magiern siehst du nicht nur einfach diesen Leib, sondern hast von ihm alle seine Kraft und seine erlösende Macht erfahren. Spornen wir uns also an, erzittern und erweisen eine noch größere Ehrfurcht als jene der Magier."[13] Über die innerste Beziehung zwischen der hl. Kommunion und der Anbetung spricht Papst Benedikt XVI. im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum caritatis: „Die Eucharistie empfangen heißt, Den anbeten, Den wir empfangen. Die Eucharistie zu empfangen bedeutet, sich gegenüber Ihm, den wir empfangen, in eine Haltung der Anbetung zu begeben“ (66). Schon als Kardinal unterstrich Papst Benedikt XVI. diesen Aspekt: „Sich mit der Eucharistie zu ernähren, ist ein spirituelles Ereignis, das die ganze menschliche Wirklichkeit betrifft. Sich von ihr (der Eucharistie) zu ernähren, bedeutet, sie anzubeten. Deshalb stellt sich die Anbetung nicht neben die Kommunion: Die Kommunion erreicht ihre Tiefe nur, wenn sie durch die Anbetung erhöht ist."[14] Im Buch der Apokalypse, dem Buch der himmlischen Liturgie, kann die Geste des Niederkniens der 24 Ältesten vor dem Lamm das Vorbild und Kriterium[15] dafür sein, wie die Kirche auf Erden das Lamm Gottes behandeln soll, wenn sich die Gläubigen Ihm im Sakrament der Eucharistie nähern.

„Kostbarer als Gold und Edelsteine“

Die Kirchenväter zeigten eine große Sorge, dass auch nicht das kleinste Teilchen des eucharistischen Brotes verloren gehe, wie Cyrill von Jerusalem in so beeindruckender Weise darlegte: „Sei wachsam, dass du nichts vom Leib des Herrn verlierst. Würdest du etwas fallen lassen, musst du es so ansehen, wie wenn du dir eines deiner Glieder deines eigenen Leibes abgeschnitten hättest. Sag mir bitte, wenn dir jemand Goldkörnchen gäbe, würdest du sie dann nicht mit der größten Vorsicht und Sorgfalt behandeln in der Absicht, nichts zu verlieren? Müsstest du nicht mit noch größerer Umsicht handeln, damit nichts und auch nicht das kleinste Teilchen des Leibes des Herrn zur Erde falle, weil es bei weitem viel kostbarer als Gold und Edelsteine ist?"[16] Schon Tertullian bezeugte im 2./3. Jahrhundert die Besorgnis und den Schmerz der Kirche, auf dass kein Krümel verloren gehe: „Wir sind zutiefst besorgt, damit nichts vom Kelch oder vom Brot auf die Erde falle."[17] Der hl. Ephraem lehrte diesbezüglich im 4. Jh. folgendermaßen: „Jesus hat das Brot mit sich selbst und mit seinem Geist ausgefüllt und hat es als Seinen lebendigen Leib bezeichnet. Betrachtet das, was ich euch jetzt gegeben habe, nicht als Brot und tretet seine Teilchen nicht mit Füßen, sagte Jesus. Das kleinste Stückchen dieses Brotes kann Millionen von Menschen heiligen und es genügt, all denen, die es essen, das Leben zu geben."[18] In der liturgischen Tradition der koptischen Kirche findet sich die folg. Mahnung: „Es gibt überhaupt keinen Unterschied zwischen den größeren oder kleineren Teilchen des eucharistischen Brotes, sogar nicht einmal jene kleinen, die sich der Schärfe der Sicht entziehen; sie verdienen die gleiche Verehrung und besitzen die gleiche Würde wie das ganze Brot."[19] In einigen orientalischen Liturgien wird das konsekrierte Brot als „Perle“ bezeichnet. So wird in den Collectiones Canonum Copticae ausgeführt: „Gott bewahre! Auf dass ja nichts von den konsekrierten Teilchen an den Fingern hafte oder zur Erde falle!"[20] Die äußerste Sorgfalt und Vorsicht der Kirche der ersten Jahrhunderte, dass kein Teilchen der Eucharistie verloren gehe, war ein weltweit verbreitetes Phänomen.[21]

Zeichenhafte Sprache liturgischer Gesten

In der frühen Kirche mussten sich die Männer vor dem Kommunionempfang die Handflächen waschen.[22] Überdies verneigte sich der Gläubige beim Empfang des Leibes Christi tief, wenn er ihn von der Handfläche der rechten – und nicht von der linken –  Hand direkt in den Mund empfing.[23] Die Handfläche diente, um es so zu sagen, als Patene oder als Korporale (besonders für die Frauen). So liest man es in einer Predigt des hl. Cäsarius von Arles (470-542): „Alle, die zu kommunizieren wünschen, müssen sich die Hände waschen. Und alle Frauen müssen ein Tüchlein mitnehmen, auf welchem sie den Leib Christi empfangen.[24] Gewöhnlich wurde die Handfläche nach dem Kommunionempfang gereinigt oder gewaschen, so wie es heute die Norm ist beim Klerus des byzantinischen Ritus. In den alten Kanones der chaldäischen Kirche war es sogar dem zelebrierenden Priester verboten, das eucharistische Brot mit den eigenen Fingern in den Mund zu legen. Hingegen musste er den Leib des Herrn direkt von der Handfläche seiner Hand nehmen; als Begründung wurde angegeben, dass es sich nicht um eine normale, sondern um eine himmlische Speise handle. „Dem Priester wird vorgeschrieben, das konsekrierte Brotteilchen direkt von seiner Handfläche zu nehmen. Es sei ihm nicht erlaubt, es mit der Hand in den Mund zu nehmen, sondern mit dem Mund (von der Handfläche), da es sich um eine himmlische Speise handle."[25]

In der frühen syrischen Kirche wurde der Ritus der Kommunionspendung mit der Szene der Reinigung des Propheten Jesaja durch den Seraph verglichen. In einer seiner Predigten lässt der hl. Ephraem Christus mit diesen Ausdrücken reden: „Die glühende Kohle (die seinen Mund berührte) heiligte die Lippen von Jesaja. Ich bin es, der sie jetzt durch das Brot zu euch bringt und euch damit geheiligt hat. Die Zange, die der Prophet sah und mit welcher die glühende Kohle vom Altar genommen wurde, war mein Bild im großen Sakrament. Jesaja hat mich gesehen, so wie ihr mich jetzt seht, indem ich meine rechte Hand ausstrecke und zu eurem Mund das lebendige Brot bringe. Ich vertrete den Seraph. Die Kohle ist mein Leib. Ihr alle seid Jesaja."[26] In der Liturgie des hl. Jakobus verrichtet der Priester dieses Gebet: „Der Herr segne uns und mache uns würdig, mit unbefleckten Händen die glühende Kohle zu nehmen, um sie in den Mund der Gläubigen zu legen."[27]

„Wahrhaftig, Gott ist unter euch!

Wenn jede liturgische Feier eine heilige Handlung schlechthin ist (cf. Sacrosanctum Concilium, Nr. 7), dann muss es vor allem der Ritus der hl. Kommunion sein. Der große Papst Johannes Paul II. bestand auf der Tatsache, dass die Kirche von heute angesichts der antisakralen Kultur der modernen Zeit eine besondere Pflicht gegenüber der Heiligkeit der Eucharistie verspüren müsse: „Man muss stets daran erinnern und vielleicht besonders in unserer Zeit, in der wir eine Tendenz feststellen, die Unterscheidung zwischen ,Sakrum‘ und ,Profanum‘ aufzuheben; dies angesichts der diffusen Tendenz (wenigstens an einigen Orten) zur Entsakralisierung aller Dinge. In einer solchen Wirklichkeit hat die Kirche die Pflicht, das ,Sakrum‘ der Eucharistie zu sichern und zu bekräftigen. In unserer pluralistischen und oft auch absichtlich säkularisierten Gesellschaft garantiert der lebendige Glauben der christlichen Gemeinschaft dem ,Sakrum‘ das Bürgerrecht.[28] Aufgrund der in den ersten Jahrhunderten gemachten Erfahrung des organischen Wachstums des theologischen Verständnisses des eucharistischen Geheimnisses und der sich ergebenden rituellen Entwicklung wurde die Art der Kommunionspendung auf die Hand am Ende des patristischen Zeitalters auf eine bestimmte Gruppe begrenzt, nämlich auf den Klerus, so wie es bis heute in den orientalischen Riten der Fall ist. Den Laien begann man hingegen, das eucharistische Brot (bei den orientalischen Riten eingetaucht in den verwandelten Wein) direkt in den Mund zu geben. Auf die Hand wird in den orientalischen Riten nur das ungeweihte Brot, das sog. ,antidoron‘ ausgeteilt.[29] Dadurch zeigt sich auch auf offensichtliche Weise der Unterschied zwischen dem eucharistischen und einfach gesegnetem Brot. Die häufigste Anmahnung der Kirchenväter über die während der Kommunion einzunehmende Haltung lautete: „Cum amore ac timore!“ (Mit Liebe und Furcht!)[30] Der authentische Geist der eucharistischen Verehrung der Kirchenväter entwickelte sich am Ende des Altertums in der ganzen Kirche organisch (im Osten und Westen) in den entsprechenden Gesten, die hl. Kommunion direkt in den Mund zu empfangen mit vorhergehender tiefer Verbeugung (im Osten) und kniend (im Westen). Wäre es der tiefsten Realität und Wahrheit über das konsekrierte Brot nicht auch heute angemessener, wenn die Gläubigen sich zu seinem Empfang auf den Boden knien und ihren Mund öffnen würden – wie der Prophet, der das Wort Gottes empfangen hat – und Gott dadurch erlauben würden, sie wie ein Kind zu nähren, da ja die Kommunion einem geistigen Stillen entspricht?

Eine solche Geste wäre auch ein eindrucksvolles Zeichen des Glaubenszeugnisses über die Realpräsenz Gottes inmitten der Gläubigen. Käme ein Nicht-Gläubiger hinzu und würde einen solchen Akt der Anbetung beobachten, „dann würde vielleicht auch er sich niederwerfen, Gott anbeten und ausrufen: Wahrhaftig, Gott ist unter euch!“ (1 Kor 14,24-25).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
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[1] Cf. Vita s. Gregorii, PL 75, 103.
[2] In seinem Werk Dialoghi III (PL 77, 224) erzählt Papst Gregor der Große, wie Papst Agapito (535-536) die hl. Kommunion in den Mund spendete.
[3] Cf. J. A. Jungmann: Missarum sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, Wien 1948, II, p. 463, n. 52.
[4] Cf. Mansi X, 1199-1200.
[5] Cf. Regula coenobialis, 9.
[6] Cf. Jungmann, ibid., pp. 456-457; p. 458, n. 25.
[7] Clemens Alexandrinus, Paedagogus I, 42,3.
[8] In Ioan. hom. 82, 5.
[9] De oratione, 29.
[10] S. Augustinus: Enarr. in Ps 98, 9 (PL 37, 1264): „Nemo illam carnem manducat, nisi prius adoraverit... peccemus non adorando“.
[11] Collectiones Canonum Copticae: H. Denzinger: Ritus Orientalium, Würzburg 1863, vol. I, p. 405: „Omnes prosternent se adorantes usque ad terram, parvi et magni incipientque distribuere Comunionem“.
[12] Catech. Myst., 5, 22.
[13] In 1 Cor. hom. 24, 5.
[14] Introduzione allo spirito della liturgia, Cinisello Balsamo 2013, p. 86.
[15] Cf. J. Ratzinger: Introduzione, o.c., p. 182.
[16] S. Cyrillus Hier. Catech. Myst., 5,21 (PG 33, 1125).
[17] Tertullianus: De corona, 3: „Calicis aut panis aliquid decuti in terram anxie patimur“.
[18] Sermones in hebdomada sancta, 4, 4.
[19] „Nulla differentia est inter maiores aut minores Eucharistiae partes, etiam minutissimas, adeo ut oculorum acie animadverti non possint, quae eandem venerationem merentur eandemque proprsus dignitatem habent ac totum ipsum”: Denzinger, o.c., vol. I, p. 96 (osservazioni scritte da Ferge Allah Elchmini nell’anno 1239).
[20] „Deus prohibeat, ne quid ex margaritis seu ex particulis consecratis adhaereat, aut in terram decidat”: Denzinger, o.c., vol. I, p. 95.
[21] Rom (cf. s. Hippolytus: Traditio apostolica, 32), Nordafrika (cf. Tertullianus: De corona, 3,4), Gallia (s. Caesarius Arelatensis: sermo 78,2), Ägypten (cf. Origenes: In Exodum hom. 13,3), Antiochien und Konstantinopel (cf. s. Ioannes Chrysostomus: Ecloga quod non indige accedendum sit ad divina mysteria), Palestina (s. Hieronymus: In Ps. 147,14), Siria (s. Ephraem: In hebd. sanctam, s. 4,4).
[22] Cf. S. Athanasius: ep. heort. 5. Altri indicazioni cf. Jungmann, op. cit., p. 461, n. 43.
[23] Cf. S. Cyprianus: Ep., 58, 9; S. Cyrillus Hieros.: Cat. Myst. 5, 21; S. Ioannes Chrys: In 1 Cor. hom. 25, 5; Theodorus Mops. Catech. hom. 16, 27. Im Falle der Handkommunion, wie sie im röm. Ritus mehr oder weniger seit dem Jahr 1968 praktiziert wird, empfängt man das eucharistische Brot auf die linke anstatt auf die rechte Hand – wie es im Altertum üblich war. Zudem nimmt der Gläubige im heutigen Ritus den auf seine Hand gelegten Leib des Herrn mit den Fingern und führt ihn sodann selbst zu seinem Mund.
[24] Sermo 227, 5 (PL 39, 2168).
[25] Canone di Ioannes Bar-Abgari: „Sacerdoti praecipit, ut palmis manuum particulam sumat, neve corporis particulam manu ori inferat, sed ore capiat, quia caelestis est cibus“: Denzinger, o.c., vol. I, p. 81.
[26] Sermones in hebdomada sancta, 4, 5.
[27] Secondo l’edizione paleo-slava: Bozestwennaya Liturgia Swjatago Apostola Iakowa Brata Boziya i perwago ierarcha Ierusalima, Roma-Grottaferrata 1970, p. 91.
[28] Lettera Apostolica Dominicae cenae, n. 8.
[29] Cf. K. Ch. Felmy, Customs and Practices Surrounding Holy Communion in the Eastern Orthodox Churches in Ch. Caspers (ed.), Bread of Heaven. Customs and Practices Surrounding Holy Communion, Kampen 1995, pp. 41-59: cf. anche J.-M. Hanssens, Le cérémonial de la communion eucharistique dans les rites orientaux: Gregorianum 41 (1961) 30-62.
[30] Cf. S. Cyprianus, Ad Quirinum, III, 94; S. Basilius M., Regulae brevius tract., 172 (PG 31, 1196); S. Ioannes Chrys., Hom. Nativ., 7 (PG 49, 360).

Schule der Anbetung

Zum Buch von Weihbischof Athanasius Schneider aus Kasachstan über den Kommunionempfang hat kein Geringerer als der Sekretär der Kongregation für den göttlichen Kult und die Disziplin der Sakramente, Erzbischof Malcolm Ranjith, ein Vorwort geschrieben. Er spricht offen den weit verbreiteten Mangel an Ehrfurcht und den unangemessenen Umgang mit der hl. Eucharistie an. Was Not tut, ist eine geistliche und liturgische Neubesinnung, um das verloren gegangene Gespür für das höchste Gut unseres Glaubens wieder zurückzugewinnen.

Von Erzbischof Malcolm Ranjith, Rom

Das Knien in der Heiligen Schrift

Im Buch der Offenbarung erzählt der hl. Apostel Johannes, dass er sich in Anbetung zu Füßen des Engels Gottes niederwarf, nachdem er gesehen und gehört hatte, was ihm offenbart worden war (vgl. Offb 22,8). Sich niederwerfen oder niederknien vor der Majestät der Gegenwart Gottes in demütiger Anbetung, war eine Gewohnheit der Ehrfurcht, die Israel immer vor der Gegenwart des Herrn vollzog. So steht im Ersten Buch der Könige: „Als Salomon das Gebet und die Bitten vollendet hatte, die er an den Herrn gerichtet hatte, erhob er sich vor dem Altar des Herrn, wo er gekniet hatte mit zum Himmel erhobenen Handflächen, und segnete die ganze Versammlung Israels“ (1 Kön 8,54–55). Die Haltung während des Bittgebetes ist klar: er kniete vor dem Altar.

Die gleiche Tradition wird auch im Neuen Testament sichtbar, wo wir Petrus auf die Knie niederfallen sehen vor Jesus (vgl. Lk 5,8); ebenfalls Jairus, als er Jesus um die Heilung seiner Tochter bat (Lk 8,41); der Samariter, der zurückkehrte, um Ihm zu danken; und Maria, die Schwester von Lazarus, als sie um das Geschenk des Lebens für ihren Bruder bat (Joh 11,32). Der gleichen Haltung des sich Niederwerfens vor der erstaunenswürdigen Gegenwart und der göttlichen Offenbarung begegnet man vor allem im Buch der Offenbarung des Johannes (Offb 5,8.14 und 19,4).

Eng verbunden mit dieser Tradition war die Überzeugung, dass der Heilige Tempel in Jerusalem die Wohnstatt Gottes sei, und deswegen musste man im Tempel eine Körperhaltung einnehmen, welche ein tiefes Empfinden der Demut und der Ehrfurcht vor der Gegenwart Gottes ausdrückte.

Eucharistie – die „verborgene Gottheit“

Auch die tiefe Überzeugung in der Kirche, dass in den eucharistischen Gestalten der Herr wahrhaftig und wirklich gegenwärtig ist, und die zunehmende Praxis, die hl. Kommunion im Tabernakel aufzubewahren, trug zur Praxis bei, sich in einer Haltung der demütigen Anbetung des Herrn in der Eucharistie niederzuknien.

In der Tat verkündete das Konzil von Trient im Hinblick auf die reale Gegenwart Christi unter den eucharistischen Gestalten: „dass im hocherhabenen Sakrament der hl. Eucharistie nach der Wandlung des Brotes und des Weines unser Herr Jesus Christus als wahrer Gott und Mensch in der Tat wahrhaft wirklich und wesentlich unter der Gestalt jener mit den Sinnen erfassbaren Dinge enthalten ist“ (DS 1651).

Ferner hatte der hl. Thomas v. Aquin die hl. Eucharistie als latens Deitas (verborgene Gottheit) bezeichnet (Thomas v. Aquin: Hymnen). Der Glaube an die wirkliche Gegenwart Christi unter den eucharistischen Gestalten gehörte also schon damals zum Wesenskern des Glaubens der katholischen Kirche und war schon damals ein wesentlicher Bestandteil der katholischen Identität. Es war klar, dass man die Kirche nicht auferbauen konnte, wenn man nur im Geringsten an diesen Glauben rührte. Folglich musste die Eucharistie, das in den Leib Christi wesensverwandelte Brot und der in das Blut Christi verwandelte Wein, Gott in unserer Mitte, mit Staunen und mit der größtmöglichen Ehrfurcht in einer Haltung demütiger Anbetung empfangen werden. Papst Benedikt XVI. erinnert an die Worte des hl. Augustinus: „Niemand aber isst diesen Leib, wenn er Ihn nicht vorher angebetet hat; wir sündigen, wenn wir nicht anbeten“ (Erläuterungen zu den Psalmen 89,9; CCLXXXIX, 1385), und er unterstreicht, „die Eucharistie empfangen bedeutet: sich in eine Haltung der Anbetung begeben dem gegenüber, den wir empfangen. ... Nur in der Anbetung kann eine tiefe und wahre Empfangsbereitschaft reifen“ (Sacramentum Caritatis, 66).

Gemäß dieser Tradition ist es klar, dass es konsequent und unerlässlich geworden ist, Gesten und Haltungen des Leibes und des Geistes anzunehmen, die das Schweigen, die innere Sammlung, die demütige Annahme unserer Armseligkeit erleichtern vor der unendlichen Größe und Heiligkeit desjenigen, der uns in den eucharistischen Gestalten entgegen kommt.

Die beste Art, unseren Sinn für die Ehrfurcht dem eucharistischen Herrn gegenüber auszudrücken, besteht darin, dem Beispiel des Apostels Petrus zu folgen, der sich vor dem Herrn auf die Knie warf und ausrief: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein Sünder!“, wie uns das Evangelium berichtet (Lk 5,8).

Missbräuchliche und übereilte Verfügungen

Nun aber bemerkt man in einigen Kirchen, dass diese Praxis immer mehr verschwindet und die Verantwortlichen nicht nur die Gläubigen nötigen, die hl. Eucharistie stehend zu empfangen, sondern sie haben sogar alle Kniebänke entfernt und zwingen so ihre Gläubigen, zu sitzen oder zu stehen, sogar während der Erhebung der eucharistischen Gestalten, die zur Anbetung gezeigt werden. Es ist seltsam, dass eine solche Maßnahme in den Diözesen von den Verantwortlichen der Liturgie verfügt wurde oder in den Kirchen von den Pfarrern, ohne auch nur im Geringsten die Gläubigen zu befragen, wo man doch heute mehr denn je in gewissen Kreisen von Demokratie in der Kirche spricht. Gleichzeitig muss man zugeben, wenn man von der Handkommunion spricht, dass dies eine Praxis ist, die missbräuchlich und in aller Eile in einigen Gebieten der Kirche sofort nach dem Konzil eingeführt wurde; auf diese Weise veränderte man die vorausgegangene, jahrhundertealte Praxis und die neue Praxis wurde zur Regel für die ganze Kirche. Man rechtfertigte diesen Wechsel, indem man sagte, dies entspräche besser dem Evangelium und der alten Praxis der Kirche. Es ist wahr: Was man auf die Zunge empfängt, kann man auch auf die Hand empfangen, da dieser Körperteil von gleicher Würde ist. Um diese Praxis zu rechtfertigen, verweisen einige auf die Worte Jesu: „Nimm und iss“ (Mk 14,22 und Mt 26,26).

Was auch immer die Gründe sein mögen, diese Praxis zu rechtfertigen, wir können nicht die Augen verschließen vor dem, was auf Weltebene geschieht, wo diese Praxis durchgeführt wird. Diese Geste trägt bei zu einer schrittweisen und zunehmenden Schwächung der Haltung der Ehrfurcht den heiligen eucharistischen Gestalten gegenüber. Die vorausgehende Praxis bewahrte besser den Sinn für die Ehrfurcht. Dagegen haben sich ein alarmierender Mangel an Sammlung und ein Geist allgemeiner Unaufmerksamkeit eingeschlichen. Man sieht heute oft Kommunizierende, die an ihre Plätze zurückkehren, so als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen. Am meisten zerstreut sind die Kinder und Jugendlichen. In vielen Fällen kann man den Geist der Ernsthaftigkeit und des inneren Schweigens nicht erkennen, der die Gegenwart Gottes in der Seele anzeigen müsste.

Dann gibt es auch die Missbräuche von jenen, die die heiligen Gestalten als Andenken mitnehmen; die Missbräuche von jenen, die sie verkaufen, oder noch schlimmer, die sie in satanischen Riten entweihen. Solche Situationen wurden aufgedeckt. Selbst bei großen Konzelebrationen, auch in Rom, fand man verschiedene Male die heiligen Gestalten auf den Boden geworfen.

Diese Situation lässt uns nicht nur nachdenken über den schwerwiegenden Glaubensverlust, sondern auch über die Schändung und die Beleidigung des Herrn, der sich herabließ, uns zu begegnen, um uns Ihm gleichförmig zu machen, damit sich in uns die Heiligkeit Gottes widerspiegle.

Notwendigkeit einer pastoral-liturgischen Neubesinnung

Der Papst spricht von der Notwendigkeit, nicht nur die wahre und tiefe Bedeutung der Eucharistie zu verstehen, sondern sie auch würdig und ehrfürchtig zu feiern. Er sagt, dass man sich der Bedeutung der Gesten und der Körperhaltung bewusst sein soll, wie niederzuknien während der herausragenden Momente des eucharistischen Hochgebetes (Sacramentum Caritatis, 65). Ferner, wenn er vom Empfang der hl. Kommunion spricht, lädt er alle ein, „das Möglichste zu tun, dass die Geste in ihrer Schlichtheit dem Wert der persönlichen Begegnung mit dem Herrn Jesus Christus im Sakrament entspreche“ (Sacramentum Caritatis, 50).

In dieser Sichtweise ist das Büchlein zu würdigen, das S.E. Bischof Athanasius Schneider, Weihbischof von Karaganda in Kasachstan, geschrieben hat mit dem bezeichnenden Titel „Dominus Est“. Es will einen Beitrag leisten zur aktuellen Diskussion über die Eucharistie, die reale und wesentliche Gegenwart Christi unter den gewandelten Gestalten des Brotes und des Weines. Es ist bedeutungsvoll, dass Bischof Schneider seine Darlegung beginnt mit einem persönlichen Bericht, der an den tiefen eucharistischen Glauben seiner Mutter und zweier anderer Frauen erinnert, einen Glauben, der bewahrt wurde unter vielen Leiden und Opfern, die der kleinen Gemeinde der gläubigen Katholiken in jenem Land abverlangt wurde während der Jahre der sowjetischen Verfolgung. Ausgehend von dieser seiner Erfahrung, die in ihm einen großen Glauben, Staunen und Verehrung für den in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn weckte, legt er uns hier einen historisch-theologischen Exkurs vor, der klar aufzeigt, wie die Praxis die hl. Kommunion in den Mund und kniend zu empfangen über einen langen Zeitraum von der Kirche angenommen und praktiziert wurde.

Ich glaube, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, die oben erwähnte Praxis genau zu bewerten und, falls notwendig, diese Praxis aufzugeben, welche in der Tat weder vom Sacrosanctum Concilium selbst noch von den Konzilsvätern erwähnt, sondern nach einer missbräuchlichen Einführung in einigen Ländern angenommen wurde. Heute ist es mehr denn je notwendig, den Gläubigen zu helfen, einen lebendigen Glauben an die reale Gegenwart Christi unter den eucharistischen Gestalten zu erneuern mit dem Ziel, das Leben der Kirche selbst zu stärken und es zu verteidigen inmitten von gefährlichen Verdrehungen des Glaubens, die eine solche Situation zu verursachen fortfährt. Die Gründe für eine solche Initiative sollten nicht so sehr akademische sein, sondern vielmehr pastorale, geistliche wie auch liturgische – kurz: einfach das, was den Glauben besser auferbaut.

Bischof Schneider zeigt in diesem Sinne lobenswerten Mut, weil er verstanden hat, die wahre Bedeutung der Worte des hl. Paulus zu erfassen: „Alles geschehe so, dass es aufbaut (1 Kor 14,26).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Exhumierung des hl. Pater Pio

Ehrendomherr Edmund Dillinger, der zurzeit am deutschen Pilgerbüro in Rom tätig ist, hat die Exhumierung des hl. Pater Pio am 2. März 2008 persönlich miterlebt. In seinem Beitrag beleuchtet er die Bedeutung dieses Ereignisses für das Leben der Kirche. Zitate aus Ansprachen und offiziellen Dokumenten bringen zum Ausdruck, wie die zuständigen Verantwortlichen einen solchen Schritt einordnen und die Verehrung der sterblichen Überreste des beliebtesten Heiligen Italiens beurteilen.

Von Edmund Dillinger

Am 2. März 2008 hatte ich die große Gnade, bei der Exhumierung des hl. Pater Pio in San Giovanni Rotondo anwesend zu sein.

Um 20 Uhr bewegte sich eine große Lichterprozession vom Zentrum des Ortes San Giovanni Rotondo mit brennenden Kerzen die Anhöhe hinauf zum Kapuzinerkloster, wo Padre Pio bis 1968 gelebt und segensreich gewirkt hatte und wo er seither begraben liegt.. Im Gebet harrten mehrere hundert Gläubige vor der verschlossenen Kirche aus, um auf das Ergebnis der Untersuchungen zu warten, die für diesen Abend angekündigt worden waren. Die Öffnung des Sarkophages war schon am 28. Februar erfolgt und die Einsetzung eines Tribunals durch den Erzbischof von Manfredonia, Msgr. Domenico Umberto D’Ambrosio vorausgegangen, der gleichzeitig Apostolischer Delegat des Heiligen Stuhles für das Heiligtum von S. Giovanni Rotondo und das Werk von Pater Pio ist. Das Tribunal unter dem Vorsitz des Erzbischofs ist zusammengesetzt aus dem Kapuzinerpater Francesco Colacelli in der Rolle des Delegaten des Erzbischofs, dem Priester Michele Nasuti aus dem Diözesanklerus mit dem Auftrag des Promotor Iustitiae und Pater Francesco Dileo als Notar.

Der für S. Giovanni Rotondo zuständige Erzbischof von Manfredonia hatte allen Spekulationen und Gerüchten ein Ende gesetzt, indem er am Ende der hl. Messe zum Dreikönigsfest (6. Januar 2008) in der Kirche Santa Maria delle Grazie verkündete: „Aus Anlass des 40. Jahrestages seines Todes, nach Erhalt der vorgeschriebenen kirchlichen Vollmachten und der Zustimmung der höchsten Oberen des Ordens, versehen mit dem diesbezüglichen Dekret der Vatikanischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen wird der Leichnam des heiligen Pio von Pietrelcina zur kanonischen Rekognition exhumiert.“  Hierauf erfolgte in der vollbesetzten Kirche ein lang anhaltender stürmischer Beifall.

Der Erzbischof erklärte sodann den Gläubigen den Zweck dieser Entscheidung des Kapuzinerordens, der den Antrag an die römische Kongregation gestellt hatte. Es sollen die sterblichen Überreste des hl. Pater Pio auf ihren Zustand nach 40 Jahren untersucht werden. Es sollen alle geeigneten Verfahren durchgeführt werden, um eine bestmögliche Konservierung des Körpers des Heiligen zu gewährleisten. Wörtlich sagte der Erzbischof: „Es ist unsere Pflicht, auch den kommenden Generationen die Möglichkeit zu geben, die sterblichen Überreste des Heiligen Pio von Pietrelcina zu bewahren und zu verehren.“

Bei der Zeremonie am Abend des 28. Februar in der Krypta der Kirche Santa Maria delle Grazie wurde nach Verlesung der Dokumente – es waren eigens fünf Zeugen der Beisetzung vom 26. September 1968 dazu bestellt worden – der große Monolith aus grünem Marmor, der den Sarkophag bedeckte, gehoben. Die kurze Zeremonie endete mit dem Segen des Erzbischofs und dem Singen des „Salve Regina“.

Die Abendzeremonie des 2. März dauerte länger. Sie begann um 22 Uhr. Zuerst wurde unter Vorsitz des Erzbischofs das Beviergebet der Lesungen (Matutin) verrichtet, daraufhin wurden das Schreiben der Selig- und Heiligsprechungskongregation und das Dekret des Erzbischofs sowie die Autorisierung der Zivilbehörde verlesen. Dann sprach der Provinzial der Kapuziner, Pater Aldo Brocato. Er sagte: „In erster Linie drückt diese Exhumierung die Gefühle tiefster Menschlichkeit aus, die unsere Provinz schon immer gegenüber unserem berühmten Sohn gehegt hat, der seine Provinz so sehr geliebt und ihr so viel geschenkt und für sie gelitten hat. Dieses Ereignis zeigt immer mehr das Zeichen unseres Glaubens an die Gemeinschaft der Heiligen, an die Auferstehung des Fleisches und an das ewige Leben. Während wir von Nahem die sterblichen Überreste des hl. Pater Pio anschauen können, der uns lieb und teuer ist, muss sich unser Blick nach oben richten zum Licht des Lebens bei Gott, das sich in Christus in seinem Tod und in seiner Auferstehung gezeigt hat.“

Nach der Lesung eines Abschnitts aus dem 1. Petrusbrief  und zweier Briefe des Pater Pio wurden die vier Zementträger entfernt, die den Abschluss des Grabes bildeten, worauf das Datum des Begräbnisses 26/9/1968 eingraviert war. Um 23.19 Uhr haben acht Fratres den dreifachen Sarg aus Metall, Holz und Zink herausgehoben und haben ihn in den Ostteil der Krypta getragen. Es wurde dann die Unversehrtheit der sechs Siegel vom 26. Sept. 1968 vom Erzbischof, dem Notar und dem Promotor Iustitiae festgestellt, bevor sie aufgebrochen und entfernt wurden. Um 23.30 Uhr haben der Erzbischof, der Ordensgeneral und der Provinzial den Deckel des Sarges geöffnet und eine erste Feststellung über den Zustand des Körpers des Heiligen dokumentiert: Der Schädel und die oberen Teile sind teilweise skelettiert, die übrigen Teile können einer Behandlung der Konservierung unterworfen werden. Es wurde festgestellt, dass sich im Sarkophag eine große Feuchtigkeit angesammelt hatte.

Daran anschließend hat der Erzbischof den Leichnam beweihräuchert, während das „Te Deum“ gesungen wurde. Danach wurde die Allerheiligenlitanei gesungen. Nachts um 2 Uhr kam dann Erzbischof D’Ambrosio auf den Platz vor der Kirche und verkündete vor laufenden Fernsehkameras den noch zahlreich anwesenden Gläubigen und Journalisten die Öffnung des Sarkophages und erklärte den Zustand des Leichnams.

In den folgenden Wochen haben Experten den Leichnam konserviert. Er wurde dann in einem Glassarkophag beigesetzt und ist seit dem 24. April in der Krypta am gewohnten Platz, wo er 40 Jahre lang begraben war, zur Verehrung ausgestellt.

Es ist zu erwarten, dass eine enorm große Anzahl von Pilgern nach San Giovanni Rotondo kommen wird. Daher wird empfohlen, dass man unter der folg. Telefonnummer Tag und Uhrzeit der Ankunft in San Giovanni Rotondo angibt, um längere Wartezeiten zu vermeiden: Tel. 0039-0882-417500.

Es wird zwei verschiedene Zugänge zur Krypta geben: Angemeldete Gruppen können einen bevorzugten direkten Zugang zur Krypta (mit „Passierschein“) erhalten, während unangemeldete Gruppen und Einzelpilger bei großem Andrang eventuell stundenlang warten müssen. Es kann auch eine Anmeldung über das Redaktions-Büro der Zeitschrift „Die Stimme Padre Pios“ (Leiterin dort ist Frau Sybille Wagensommer) erfolgen. Rufen Sie an unter Tel. 0039-0882-418304.

Pater Pio ist auch für uns Deutsche ein Helfer in großen Notlagen, viele Pilger haben seine fürbittende Hilfe am Throne Gottes schon erfahren.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Das neue „Gotteslob“ mit neuem Namen

Pfarrer Dr. François Reckinger hat das neue Gotteslob unter die Lupe genommen und versucht, eine Bewertung der Probepublikation abzugeben. Er kommt sowohl inhaltlich als auch formal gesehen zu beachtenswerten Ergebnissen. Nachfolgend der erste Beitrag einer mehrteiligen Reihe.

Von François Reckinger

Das zur Zeit im Gebrauch befindliche „Gotteslob“ (GL) wurde 1975 veröffentlicht. Nach gut dreißig Jahren war es nicht zu früh, an eine Überarbeitung zu denken. Im Hinblick darauf haben die Bischofskonferenzen unseres Sprachgebietes 2001 eine „Unterkommission GGB“ eingesetzt – wobei die Abkürzung den Titel des künftigen Buches angibt: Gemeinsames Gebet- und Gesangbuch. Eine 398 Seiten umfassende Probepublikation dazu mit inzwischen fertig gestellten Teilen wurde 2007 veröffentlicht und wird vom 1. Adventssonntag desselben Jahres bis Pfingsten 2008 in ausgewählten Pfarreien aller beteiligten Diözesen ausprobiert.[1] In der Hoffnung, dass außer den aus diesen Gemeinden erwarteten Reaktionen auch Stimmen von Einzelpersonen noch eine Chance haben gehört zu werden, seien folgende Anmerkungen gewagt.

Positive Aspekte

Positiv ist der publizierte Teil des Projektes insgesamt zu bewerten, die Kritikpunkte sind zwar relativ zahlreich, zum Teil auch gewichtig, betreffen in der Regel jedoch nur einzelne Sätze oder Abschnitte.

Optisch besticht das Werk durch seinen zweifarbigen Druck, schwarz und rot, und erscheint damit, als Rollenbuch der Gottesdienstteilnehmer, dem Messbuch und dem Lektionar zu Recht angeglichen.

Ins Auge fällt die glückliche Erweiterung des bisherigen Teiles „Stundengebet“ mit dem neuen Namen „Tagzeitenliturgie“, der genauer der lateinischen Bezeichnung „Liturgia Horarum“ entspricht (265-344).[2] Vesper und Laudes werden zuerst jeweils in der geltenden Form angeboten, darauf folgt, unter der Bezeichnung „Morgenlob“ bzw. „Abendlob“, eine im Aufbau veränderte Form mit Texten, die durchweg eine glückliche Bereicherung darstellen.

Auf den Block „Tagzeitenliturgie“ folgt eine Handreichung für die „Wort-Gottes-Feier“, d.h. die eigenständigen Wortgottesdienste, die von Diakonen od. beauftragten Laien geleitet werden können (345-356).

Die völlig neugefassten Einleitungen zu den einzelnen Teilen erscheinen durchweg ansprechend und in der Regel gelungen. Dies gilt, außer für die Einführung zu den beiden genannten Abschnitten, insbesondere auch für „Umgang mit der Bibel“ (17-20), „Einführung ins Gebet“ (23f), „Der Rosenkranz“ (30f). Einen guten Eindruck machen der Abschnitt „Rosenkranzandacht“ (371-377) sowie manche Einzeltexte aus den übrigen Vorlagen für Andachten (359-370). Eine glückliche Hand bewies die Kommission, als sie für das Benedictus im Formular der Laudes die Antiphon „Licht aus der Höhe“ ausgewählt und unter den Gesängen für die Weihnachtszeit den Hymnus „Christus, Erlöser aller Welt“ aus der Vesper des Festes angeboten hat (277 bzw. 104).

Fragen zur Glaubenslehre

Unter den zu nennenden Kritikpunkten betrifft einer der gewichtigsten die Erklärung von Taufe und Eucharistie. Zur Taufe heißt es: „Der Katechumenat (mit nachfolgender Erwachsenentaufe) war in den ersten christlichen Jahrhunderten der eigentliche Weg des Christwerdens“ (204). Das stimmt nicht. Der genannte Weg war der mehrheitliche, nicht der „eigentliche“. Bei aller Wertschätzung und Sorgfalt, die wir innerhalb einer längst nicht mehr durchgehend christlich geprägten Gesellschaft dem Katechumenat und der öffentlich zu feiernden Erwachsenentaufe entgegenbringen sollten, ist dennoch klarzustellen, dass Erwachsenentaufe und Säuglingstaufe (von Kindern glaubensaktiver katholischer Eltern) zwei völlig gleichwertige und gleichberechtigte Wege des Christwerdens sind und auch in den ersten christlichen Jahrhunderten so gesehen wurden.

Falls die Kindertaufe nicht schon in der der Apostelzeit praktiziert wurde, dann datiert ihre Einführung doch spätestens aus der Zeit um 100 herum. Kronzeuge dafür ist Tertullian (ca. 160 – ca. 225). Er ist der einzige altchristliche Autor, der sich gegen die Kindertaufe geäußert hat. Hätte er darum gewusst, dass diese Praxis erst in der Generation seiner Eltern oder Großeltern eingeführt worden wäre, hätte er das sicher als Argument angeführt, um sie als traditionswidrige Neuerung zu erweisen. Aber davon fällt kein Wort. Tertullian bestreitet auch keineswegs die Gültigkeit oder die Wirkung der Kindertaufe, vielmehr lehnt er ihre Spendung gerade deswegen ab, weil er ihr dieselbe Gültigkeit und dieselben Konsequenzen zuschreibt, wie sie der Erwachsenentaufe eigen sind: weil den betreffenden Kindern, ohne dass sie gefragt werden können, die Pflicht aufgebürdet wird, später bei einer Verfolgung notfalls das Martyrium auf sich zu nehmen.[3] Tertullians Schüler Cyprian, Bischof von Karthago († 258), bezeugt für seine Kirchenprovinz eine sehr weite Verbreitung der Kindertaufpraxis. Es wird in seinem Umkreis offenbar nur noch um die zulässige Zahl der Tage zwischen Geburt und Taufe gestritten. Einige wollen, entsprechend dem jüdischen Vorbild hinsichtlich der Beschneidung, bis zum achten Tag warten. Cyprian lehnt das ab, denn das Kind könnte sterben, dann wären die Verantwortlichen seiner Meinung nach „schuld daran, dass ein Mensch verlorengeht“, d.h. nicht zur Anschauung Gottes gelangt.[4] So streng muss man sicher nicht sein, und nicht alle Bischöfe waren es damals. Die Päpste etwa haben in den nachfolgenden Jahrhunderten wiederholt verlangt, dass Kindertaufe ebenso wie Erwachsenentaufe ausschließlich in der Ostervigil und damit nur einmal jährlich gefeiert werden sollten.

Das Trienter Konzil (1545–63) hat – bei grundsätzlicher Bestätigung der überlieferten Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Taufe auch für Unmündige – dennoch die Möglichkeit offengelassen, dass nichtgetauft sterbende Kinder aufgrund des Verlangens und des Gebetes ihrer Eltern zur Anschauung Gottes gelangen können. Umso mehr darf man dann hoffen, dass das Gebet der Kirche und ihr Verlangen, nach Möglichkeit alle Menschen zu taufen, allen nichtgetauft sterbenden Unmündigen das Erreichen des genannten Ziels erwirkt. Aber die Kirche würde ihr Verlangen, alle Kleinkinder zu taufen, zunichte machen, wenn sie nicht all jene unter ihnen effektiv taufen würde, bei denen eine reale Aussicht besteht, dass sie auf dem Weg über ihre Erziehungsberechtigten in gelebtem Kontakt mit ihr, der Kirche, und ihrem Glauben heranwachsen werden.[5]

Eine bestürzende Einseitigkeit bedeutet es, wenn Kindertaufe und Erwachsenentaufe in der Probepublikation lediglich unter dem Aspekt „ein neues Mitglied in die Kirche aufzunehmen“ (210) gedeutet werden. Das erklärt nicht, wieso die Aufnahme durch eine Abwaschung, ein Vollbad oder gar ein Untertauchen geschieht. Dieser Ritus setzt die  überlieferte und verbindliche Lehre voraus, dass es in jedem Menschen innerlich etwas abzuwaschen gibt; dass – auch im Kind – der „alte Mensch“ mit Christus sterben und ein neu gewordener mit ihm auferstehen muss. M.a.W.: So schwer es auch derzeit ist, über die Ursünde zu sprechen und zu erklären, wann, wo und wie in etwa sie begangen worden ist, so müsste diese Sünde dennoch benannt werden – und ebenso ihre Folge, der Erbsündenzustand als Fehlen des Lebens Gottes im Menschen und als Beherrschtsein von der Macht des Bösen. Erst dann wird auch die Absage an die Sünde und an den Satan als ihren Urheber verständlich, wie sie S.215 zu Recht ausgedruckt ist; und ebenso die Aussage des Firmungsgebetes, S.126, über die Befreiung von „der Schuld Adams“ in der Taufe. Als Wirkung der Taufe wäre von der Einwohnung Gottes in uns zu sprechen: von der Aufnahme in die Gemeinschaft mit ihm und von daher auch in die Gemeinschaft der Kirche.

Bei der Erklärung der Eucharistiefeier ist außer dem Mahlcharakter die Opferdimension zwar vorhanden (bes. 229), sie erscheint jedoch etwas unterbelichtet, da sie im Aufbau des Hochgebetes unter der Bezeichnung „Darbringungsgebet“ zwar vorkommt, auf S. 250, wo die wichtigsten Elemente dieses Aufbaus gedeutet werden, jedoch fehlt: Dort folgen auf Epiklese, Einsetzungsworte und Gedächtnis sofort die Bitten. Das „memores offerimus“ (indem wir das Gedächtnis feiern, bringen wir das Opfer dar) wird übergangen. Zu der S. 235 im Text des Allgemeinen Schuldbekenntnisses zitierten Aussage, dass wir beim Geschehen der Eucharistie gemeinsam „das Opfer Christi feiern“, ringt sich der Kommentar nicht durch. Und doch sollte dies gesagt und u.a. mit einem Hinweis auf die Einsetzungsworte begründet werden: Jesus schenkt in der Eucharistie sein Blut formell als jenes Blut, durch das der neue und ewige Bund gestiftet wird. Der alte Bund aber, der damit erfüllt und abgelöst wird, war mit dem Blut von Opfertieren gestiftet worden. Zudem sagt Jesus, dass sein in der Eucharistie geschenktes Blut für uns und für die Vielen vergossen wird zur Vergebung der Sünden: auch von daher kann es sich nur um Opferblut handeln. Darüber hinaus könnte sinnvoll auf die Vorausbilder des Opfers Jesu hingewiesen werden, die im ersten Hochgebet benannt werden und die sich als Motiv auf vielen Altären oder in ihrer Nähe finden: das Opfer Abels, Abrahams und Melchisedeks.

Auch S.376, bei der Betrachtung zum fünften Gesätz des lichtreichen Rosenkranzes, wäre eine Erwähnung des Opfercharakters der Eucharistie angezeigt. Angesichts der Wichtigkeit dieses Gedankens und der Schwierigkeit, ihn herüberzubringen, sollte, um Verwirrung zu vermeiden, auf eine billigere Verwendung des Begriffes „Opfer“ in offiziellen Büchern besser verzichtet werden. Daher hieße es S.36 statt „Opferkerze“ besser einfach „Kerze“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2008
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[1] Vgl. Gottesdienst 41, Nr. 7/2007, 49-51.
[2] Zahlen ohne weitere Angaben verweisen hier und im Folg. auf Seiten der zu besprech. Schrift. Wo Nummern gemeint sind, wird dies immer vermerkt.
[3] De baptismo (Über die Taufe) 18 (PL 1, 1330f).
[4] Brief 64, 2-6 (PL 3, 1047-1056).
[5] Vgl. dazu F. Reckinger: Kinder taufen – mit Bedacht, Kall 1979, bes. 10-74; 321-357; ders.: Sakramentenpastoral geht auch anders, Aachen 2007, 53-64.

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