Der Friede hat einen Namen: Jesus Christus

Benedikt XVI. ist von seiner achttägigen Pilgerfahrt in den Nahen Osten mit dankbarer Freude zurückgekehrt. Die hohen Erwartungen, die an ihn gestellt worden sind, hat er demütig und selbstbewusst erfüllt. Mit einem furchtlosen Zeugnis appellierte er an die verschiedenen Seiten, umzukehren und den Wegen des Friedens Vertrauen zu schenken. Der breiten Öffentlichkeit wird in Erinnerung bleiben, wie er beim Treffen mit religiösen Führern aus Galiläa am Ende auf dem Podium gestanden ist: Der Papst in der Mitte, ein jüdischer Rabbi links und ein muslimischer Scheich rechts halten sich an den Händen und singen spontan miteinander ein Friedenslied: „Salam – Schalom, Herr, gib uns Frieden“. Doch die über 30 Ansprachen und Predigten des Papstes, die sich wie zu einem großen Mosaik zusammenfügen, bieten mehr. Pfarrer Erich Maria Fink und Direktor Thomas Maria Rimmel versuchen, die innere Logik aufzuzeigen, die darin aufleuchtet.

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

„Die authentische Stimme des Glaubens wird immer Redlichkeit, Gerechtigkeit, Mitgefühl und Frieden bringen!“ Mit diesen Worten ermutigte Papst Benedikt XVI. bereits am zweiten Tag seiner großen Reise vom 8. bis 15. Mai 2009 in den Nahen Osten „alle jungen jordanischen Christen“, zu ihrer Berufung zu stehen und öffentlich Zeugnis abzulegen. „Fürchtet euch nicht, euren eigenen weisen, wohl abgewogenen und respektvollen Beitrag zum öffentlichen Leben des Königreiches zu leisten“, so rief er ihnen zu. Diese Worte klingen wie ein Programm, das sich der Papst selbst aufgegeben und das er mit seinem Besuch geradezu auf vollkommene Weise verwirklicht hat: als Pilger des Friedens gab er ein durch und durch authentisches Zeugnis, alle spürten seine Redlichkeit in jedem seiner Worte, seinen Respekt gegenüber Andersgläubigen, sein Mitgefühl mit den unter Hass und Gewalt leidenden Menschen, seine unparteiische und uneigennützige Haltung gegenüber Juden wie Palästinensern, seine gerechten Ermahnungen und Wegweisungen. Gleichzeitig erinnerte sein Auftreten an den hl. Stephanus, von dem es in der Apostelgeschichte heißt: „Sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen!“ (Apg 6,10) Von einer solchen Weisheit war das Wort erfüllt, das Papst Benedikt XVI. im Heiligen Land an die verschiedensten Persönlichkeiten und Gruppen richtete. Dieses Zeugnis sollte Kirche und Welt noch lange beschäftigen und nicht Opfer unserer flüchtigen Mediengesellschaft werden, die sich immer nur für aktuellste Informationen interessiert. Der Papst hat uns einen prophetischen Schatz anvertraut, den es zu entdecken und für die Lösung unserer Probleme fruchtbar zu machen gilt. Ein kleiner Schlüssel zu dieser Kostbarkeit besteht darin, die innere Logik zu verstehen, von der die Gedanken Benedikts XVI. getragen sind. Diesem roten Faden in den über 30 Ansprachen des Papstes, die er im Heiligen Land gehalten hat, möchten wir ein wenig nachgehen.

Ich komme als Pilger des Friedens!

Schon vor seinem Abflug sagte der Papst, er fahre als „Pilger des Friedens“ ins Heilige Land. Und bei seiner Ankunft in Tel Aviv versicherte er, er wolle „an den heiligen Stätten … besonders für den Frieden beten – Frieden hier im Heiligen Land und Frieden in aller Welt“. Denn „über Jahrzehnte hinweg“ sei der Friede „den Einwohnern dieses heiligen Landes tragisch vorenthalten“ geblieben. „Die Augen der Welt ruhen auf den Völkern dieser Region, wie sie darum ringen, eine gerechte und dauerhafte Lösung von Konflikten zu erreichen, die so viel Leid verursacht haben“, so der Papst. Nach unzähligen Aufrufen während seiner ganzen Reise bekräftigte er schließlich bei seiner Verabschiedung noch einmal, er sei ein „Freund der Israelis“, genauso wie er „auch ein Freund des palästinensischen Volkes“ sei. Deswegen leide er unter der „weiter bestehenden Spannung zwischen beiden Völkern“. Und er fuhr fort: „Ein Freund kann nur weinen angesichts des Leids und des Verlusts von Menschenleben, die beide Völker in den vergangenen sechs Jahrzehnten erlitten haben. Erlauben Sie mir, diesen Appell an alle Menschen dieser Länder zu richten: Kein Blutvergießen mehr! Keine Kämpfe mehr! Kein Terrorismus mehr! Kein Krieg mehr! Lasst uns stattdessen den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen! Lasst bleibenden Frieden herrschen, der auf Gerechtigkeit gründet, lasst echte Versöhnung und Heilung walten. Es möge allgemein anerkannt werden, dass der Staat Israel das Recht hat, zu existieren und Frieden und Sicherheit innerhalb international vereinbarter Grenzen zu genießen. Ebenso möge anerkannt werden, dass das palästinensische Volk ein Recht auf eine souveräne, unabhängige Heimat, auf ein Leben in Würde und auf Reisefreiheit hat. Die Zwei-Staaten-Lösung möge Wirklichkeit werden und nicht ein Traum bleiben. Von diesen Ländern her soll sich der Frieden ausbreiten, sie sollen als ein ‚Licht für die Völker‘ (Jes 42,6) dienen und den vielen anderen Regionen, die unter Konflikten leiden, Hoffnung bringen.“ Mit diesen Worten fasste Benedikt XVI. seine ganze Vision des Friedens für das Heilige Land zusammen, ein Programm, dem er bei seiner Mission Priorität einräumte. Er wollte nicht Juden und Muslime zum Christentum bekehren. Doch mitten unter ihnen wusste er sich als Bote und Mittler des Friedens.

Die Verantwortung der Religionen

„Einer der traurigsten Anblicke während meines Besuchs hier war für mich die Mauer. Als ich an ihr vorbeikam, habe ich für eine Zukunft gebetet, in der die Völker des Heiligen Landes in Frieden und Eintracht zusammenleben können, ohne solche Instrumente der Sicherheit und der Trennung zu brauchen, sondern vielmehr in gegenseitiger Achtung und Vertrauen zueinander sowie unter Verzicht auf alle Formen der Gewalt und Aggression“, so fuhr der Papst fort. Man muss bedenken, dass dies vor einem kurzen Dank seine allerletzten Worte in Israel waren. Er fügte lediglich noch einmal den Gedanken hinzu: Er wisse, wie ungeheuer schwierig diese Aufgabe sei, doch würden seine Gebete und die Gebete der Katholiken in aller Welt die weiteren Bemühungen begleiten. In Bethlehem selbst sagte er: „Über uns … steht hoch aufragend ein krasses Mahnmal für die Pattsituation, in welche die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern geraten zu sein scheinen – die Mauer.“ Für den Papst ist diese „tragische“ Pattsituation gleichsam eine Offenbarung. So sehr die Beteiligten um diplomatische Lösungen ringen müssten, so wenig könne die Politik allein Frieden schaffen. Zwar sagt er: „Wie ernsthaft beten wir für ein Ende der Feindseligkeiten, welche den Bau dieser Mauer verursacht haben!“ Doch das Gebet allein wäre dem Papst als Ausweg viel zu wenig. Er wendet sich noch auf einer ganz anderen Ebene den Religionen zu. Sie müssten in dieser Situation ihrer Verantwortung nachkommen und den Friedensprozess grundlegend neu in Gang bringen, also anders als bisher auf die gegenseitigen Beziehungen Einfluss nehmen. Das religiöse Selbstverständnis sowohl der Juden als auch der Moslems betrachtet Papst Benedikt XVI. mit als Grund für die derzeitige Sackgasse. Deshalb appelliert er unermüdlich an eine Neubesinnung und aktive Teilnahme der Religionen am Friedensprozess.

Der Monotheismus und die Einheit aller Menschen

Nicht erst beim interreligiösen Treffen im Auditorium des „Notre Dame of Jerusalem Center“, sondern schon im Präsidentenpalast erklärte Benedikt XVI., dass der Monotheismus die entscheidende Grundlage dafür darstelle, die ganze Menschheit als Einheit zu verstehen und die Beziehungen untereinander entsprechend zu gestalten: „Tatsächlich hat die Einheit unter den Menschen ihren Urgrund in der vollkommenen Einzigkeit und Universalität Gottes, der Mann und Frau als sein Abbild und ihm ähnlich erschaffen hat, um uns in sein göttliches Leben hineinzuziehen, damit alle eins seien.“ Und er folgert daraus: „Darum müssen die religiösen Führer bedenken, dass jede Teilung oder Spannung, jede Tendenz zu Zurückgezogenheit oder Misstrauen unter den Gläubigen oder zwischen unseren Gemeinschaften leicht zu einem Gegensatz führen kann, der die Einzigkeit des Allmächtigen verdunkelt, unsere Einheit verrät und im Widerspruch steht zu dem Einen, der sich selbst als ‚reich an Huld und Treue‘ offenbart (Ex 34,6; vgl. Ps 136,2; Ps 85,11).“ „Juden, Christen und Muslimen“ sei es sowohl als „Pflicht“ auferlegt als auch als „Privileg“ geschenkt, „gemeinsam das von den Anbetern des einen Gottes lang ersehnte friedliche Zusammenleben zu bezeugen, den Plan des Allmächtigen für die Einheit der dem Abraham verheißenen Menschheitsfamilie zu offenbaren und die wahre Natur des Menschen als Gottsucher zu verkünden.“ Und mit Nachdruck trägt er Religionsführern auf: „Lassen Sie uns den Vorsatz fassen, dafür zu sorgen, dass wir unseren jeweiligen Gemeinschaften durch die Unterweisung und die Führung helfen, ihrem eigentlichen Wesen als Gläubige treu zu sein und stets die unendliche Güte Gottes, die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen und die Einheit der gesamten Menschheitsfamilie im Bewusstsein zu haben.“

Dialog und Zusammenleben in gegenseitiger Achtung

Immer wieder betonte Benedikt XVI., was die drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam verbindet: „Gemeinsam können wir verkünden, dass Gott existiert und dass man ihn erkennen kann, dass die Erde seine Schöpfung ist, dass wir seine Geschöpfe sind und dass er jeden Menschen aufruft, so zu leben, dass er seinen Plan für die Welt achtet.“ In der Moschee „Al-Hussein Bin-Talal“ in Amman drückte er die Gemeinsamkeit im Glauben mit den Worten aus: „Gerade wegen der Bürde ihrer gemeinsamen Geschichte, die so oft von Missverständnis gekennzeichnet war, müssen Muslime und Christen bestrebt sein, als Gläubige erkannt und anerkannt zu werden, die treu beten, die bemüht sind, die Gebote des Allmächtigen zu halten und ihnen gemäß zu leben, die barmherzig und mitfühlend sind, die konsequent alles Wahre und Gute bezeugen, die stets den gemeinsamen Ursprung und die Würde aller Menschen bedenken, die der Höhepunkt des göttlichen Schöpfungsplans für die Welt und die Geschichte bleiben.“

Gleichzeitig brachte Benedikt XVI. die Überzeugung zum Ausdruck, dass „eine Einheit möglich ist, die nicht von der Gleichförmigkeit abhängt.“ Und entscheidend ist für ihn: „Zwar können die Unterschiede, die Gegenstand des interreligiösen Dialogs sind, uns manchmal als Hindernisse erscheinen, sie brauchen aber nicht die gemeinsame Ehrfurcht und Achtung vor dem Universalen, dem Absoluten und der Wahrheit zu überschatten, durch die religiöse Menschen überhaupt dazu gebracht werden, das Gespräch miteinander zu suchen.“ Er geht soweit, dass er „ein Leben in Treue zur Religion“ grundsätzlich für „einen Widerhall von Gottes Gegenwart“ hält. Die Unterschiede zwischen den drei monotheistischen Religionen dürften in keiner Weise Anlass geben, die Achtung voreinander zu verlieren oder gar Gewalt und Terror gegeneinander anzuwenden.

Der Papst unterstrich energisch: „Einige wollen uns glauben machen, dass unsere Unterschiede zwangsläufig Anlass zur Uneinigkeit geben und sie daher höchstens toleriert werden können. Manche vertreten sogar die Ansicht, dass unsere Stimmen einfach zum Schweigen gebracht werden sollten. Wir aber wissen, dass unsere Verschiedenheiten niemals fälschlich als unvermeidlicher Grund für Reibereien oder Spannungen hingestellt werden dürfen, weder unter uns selbst noch in der Gesellschaft im Ganzen.“ Und er deutete das Miteinander unterschiedlicher Religionen fast im Sinn einer providentiellen Aufgabe: „Vielmehr geben sie Menschen unterschiedlicher Religion eine wunderbare Gelegenheit, in tiefer gegenseitiger Achtung, Wertschätzung und Anerkennung zusammenzuleben und einander auf Gottes Wegen zu ermutigen.“ Die Verantwortlichen forderte er auf, „all das zu achten, was uns unterscheidet, und all das zu fördern, was uns vereint als Geschöpfe, die den Wunsch haben, unseren Gemeinschaften und unserer Welt Hoffnung zu bringen“.

Unersetzbarer Beitrag der Christen

Ähnlich wie in seiner berühmten Regensburger Rede setzte sich Benedikt XVI. in Amman für die Anerkennung der Vernunft ein, zwar einer menschlichen Vernunft, die „demütig zulässt, dass sie selber vom Glauben geläutert wird“, jedoch einer Vernunft, die ihren göttlichen Ursprung anerkennt: „Gott hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet, an seiner Vernunft teilzuhaben und so gemäß dem Guten zu handeln. Die Muslime verehren Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Und als an den einen Gott Glaubende wissen wir, dass die menschliche Vernunft selbst Gabe Gottes ist und dass sie zu ihrem höchsten Niveau aufsteigt, wenn sie in das Licht der göttlichen Wahrheit getaucht ist.“ Eine solche Vernunft „schützt die Gesellschaft vor den Auswüchsen eines ungezügelten Ego, das danach strebt, das Endliche zu verabsolutieren und das Unendliche in den Schatten zu stellen; sie stellt sicher, dass Freiheit Hand in Hand mit der Wahrheit ausgeübt wird, und sie schmückt die Kultur mit Einblicken bezüglich allem, was wahr, gut und schön ist.“

So verteidigte der Papst im Namen der Vernunft immer wieder die Religionsfreiheit und zitierte aus seiner Ezyklika „die unlösliche Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe und den fundamentalen Widerspruch der Gewaltanwendung oder des Ausschlusses im Namen Gottes (vgl. Deus caritas est, 16)“. Auf der Grundlage der Religionsfreiheit wiederum stellte er die „entscheidende Bedeutung“ der Präsenz der Christen im Nahen Osten heraus. Denn niemand könne ihren Dienst an der Versöhnung ersetzen, welcher aus dem verzeihenden Handeln Gottes in Jesus Christus schöpft. „Die deutlichen Worte Jesu über das innige Band zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten, über Barmherzigkeit und Mitleid, über Sanftmut, Friede und Vergebung sind ein Sauerteig, der die Herzen verwandeln und das Handeln umgestalten kann.“ So bat er die Christen bei jeder Gelegenheit, auszuharren und das Heilige Land nicht zu verlassen. Denn, so legte der Papst beim Heiligen Grab in Jerusalem am letzten Tag seiner Reise ein unmissverständliches Bekenntnis ab, „als Christen wissen wir, dass der Friede, nach dem dieses von Streit zerrissene Land sich sehnt, einen Namen hat: Jesus Christus“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Kirche braucht ein neues Pfingsten

„Seht, ich mache alles neu!“ Unter diesem programmatischen Titel stand das diesjährige „Kirche heute“-Frühjahrsforum mit Pater Raniero Cantalamessa OFMCap, dem Päpstlichen Prediger, am 9. und 10. Mai in Wigratzbad. Eingeladen waren besonders die neuen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen, denen P. Cantalamessa durch seine persönlichen Erfahrungen mit der Charismatischen Erneuerung sehr nahe steht. Die Begegnungstage mit über tausend Teilnehmern waren ein wahrhaft pfingstliches Ereignis, erfüllt von übernatürlichem Licht und echter Freude. Zum Auftakt sprach der Prediger des Papstes über das Thema: „Die Kirche braucht ein neues Pfingsten“. Wir geben den Vortrag in einer sprachlichen Bearbeitung für „Kirche heute“ wieder.

Von Raniero Cantalamessa OFMCap, Vatikan

Aufruf Papst Pauls VI.

Die Kirche braucht ein neues Pfingsten“, dieser Titel geht auf ein Wort Papst Pauls VI. zurück. Er sagte: „Wir haben uns des Öfteren gefragt, was wir zuerst und zuletzt für diese unsere gesegnete und erwählte Kirche als das Notwendigste empfinden. Wir müssen es geradezu bangend und bittend sagen; denn es ist ihr Geheimnis und ihr Leben. Ihr wisst es: der Geist, der Heilige Geist, die anregende und heiligende Seele der Kirche, ihr göttlicher Atem, der Wind, ihr Segel, ihr einigendes Prinzip, ihre innere Quelle von Licht und von Kraft, ihre Unterstützung und ihr Trost, ihre Quelle von Charismen und Gesängen, ihr Friede und ihre Freude, ihr Unterpfand und Vorbote seligen und ewigen Lebens. Die Kirche braucht ihr immerwährendes Pfingsten. Sie braucht Feuer im Herzen, das Wort auf den Lippen, Prophetie im Blick. Die Kirche hat es nötig, die Sehnsucht nach ihrer Wahrheit, die Freude daran und die Sicherheit aus ihr wieder zu gewinnen.“

Jedes Jahr begehen wir das Pfingstfest. Aber wir geben uns nicht damit zufrieden, Pfingsten nur zu feiern. Wir wollen sehr viel mehr: wir wollen ein neues Pfingsten erleben! Die Kirche gleicht einem Abendmahlssaal, sie kann der Ort eines neuen Pfingsten sein. Diese Gewissheit basiert nicht auf unserem Eifer, noch viel weniger auf dem Talent des Predigers. Sie stützt sich auf die Verheißung Jesu, den Heiligen Geist all denen zu geben, die ihn darum bitten. Im Johannesevangelium lädt uns Jesus ein: „Wer Durst hat, komme zu mir und trinke!“ (vgl. Joh 7,37f). Und der Evangelist fügt erklärend hinzu, Jesus spreche hier vom Heiligen Geist. Was also Christus von uns erwartet, ist, Durst zu haben, ein lebendiges Sehnen danach, den Heiligen Geist zu empfangen. Niemand sollte in seinem Herzen einwenden: Wir haben den Heiligen Geist doch schon empfangen, in der Taufe und in der Firmung. Das ist wahr, wir haben den Heiligen Geist empfangen und darum sind wir hier. Aber der Heilige Geist ist das Leben. Und das Leben empfängt man nicht ein für allemal, sondern es muss sich jeden Tag erneuern. So ist es auch mit dem Leben des Geistes.

Pfingsten macht das Heil Christi universal

Wie können wir dieses Sehnen hervorbringen, wie können wir Pfingsten wirklich leben? Betrachten wir die Pfingsterzählung! Denn es geschieht dabei etwas Ähnliches wie in der Heiligen Messe. Im zentralen Augenblick, wenn der Priester den Bericht von der Einsetzung der heiligen Eucharistie wiederholt, wird die Geschichte in Wirklichkeit verwandelt. Das Brot wird Leib Christi. Was damals in jener Nacht geschah, geschieht jetzt. Etwas Ähnliches kann sich ereignen, wenn wir die Erzählung von Pfingsten hören, und zwar, wenn wir sie mit Glauben hören. Wir müssen einen mutigen Glauben haben. Dann kann erneut geschehen, was sich an jenem Pfingsttag zugetragen hat:

„Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt“ (Apg 2,1-4a).

Eine so einfache Geschichte. Und doch ist es eines der fünf wichtigsten Ereignisse der Heilsgeschichte. Diese sind: die Schöpfung der Welt, die Menschwerdung des Wortes Gottes, die Auferstehung Christi, Pfingsten und schließlich die Wiederkunft des Herrn. Pfingsten ist  nicht nur ein Anhängsel. Natürlich hat Jesus am Kreuz alles verwirklicht und den neuen Bund geschlossen. Aber dieser Akt der Erlösung war auf Zeit und Raum begrenzt. Es war ein geschichtliches Ereignis – in einen Raum und eine Zeit eingegraben. Doch das, was das Heil Christi universal macht, immer gegenwärtig, an jedem Ort und in jeder Zeit, das ist das Kommen des Heiligen Geistes. Darum sagt Jesus: „Es ist gut, dass ich gehe! Denn wenn ich nicht gehe, kann der Heilige Geist nicht zu euch kommen.“ Dieses „Dass ich gehe“ bedeutet natürlich „Dass ich sterbe und auferstehe“; denn dadurch ist das Kommen des Heiligen Geistes möglich geworden.

Israel feiert die Gabe des Gesetzes

„Als der Pfingsttag gekommen war“, diese Einleitung beinhaltet bereits eine wichtige Nachricht. Es will heißen: Pfingsten gab es schon vor Pfingsten. Im hebräischen Volk existierte bereits ein solches Fest und der Heilige Geist kam genau während dieses Festes. Auch das christliche Osterfest kann man nicht begreifen, wenn man es nicht als Erfüllung des antiken Paschafestes versteht. So müssen wir auch das Pfingstereignis als Verwirklichung dessen sehen, was im alten Pfingstfest vorgeformt war. Ursprünglich war das Pfingstfest der Hebräer ein Erntefest, gebunden an den Kreislauf der Natur. Doch mit den Geschehnissen am Berg Sinai erhielt es einen neuen Inhalt: Es wurde zum Fest, das an das Geschenk des Gesetzes und den Bundesschluss mit dem Volk Israel erinnerte, also an den konstitutiven Akt des auserwählten Volkes. Wie es ein bestimmtes Ereignis gibt, aus dem sich ein Staat konstituiert, so war es das Ereignis, aus dem das Volk Israel als Volk Gottes hervorgegangen ist. Auch heute feiern die Juden das Pfingstfest. Es heißt Schawuot und ein liturgischer Text nennt es das Fest, an dem Israel die Gabe der Tora feiert, das heißt die Gabe des Gesetzes.

Schon der hl. Augustinus fragte sich, warum der Heilige Geist ausgerechnet an dem Tag kam, an dem das Gesetz gefeiert wurde. Es gibt eine Analogie und einen Unterschied: 50 Tage nach der Opferung der Lämmer in Ägypten schrieb der Finger Gottes auf dem Berg Sinai das Gesetz auf steinerne Tafeln. 50 Tage nach der Opferung des wahren Lammes Gottes schreibt der Heilige Geist, der Finger Gottes, erneut das Gesetz Gottes, aber diesmal nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf die Tafeln der Herzen der Menschen. Das bedeutet: Der Heilige Geist ist das neue Gesetz, das innere Gesetz.

Der hl. Paulus spricht vom Heiligen Geist als dem neuen Gesetz. Im Römerbrief finden sich die wunderbaren Worte: „Jetzt gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Christus Jesus sind“ (Röm 8,1). Schon diesen Satz sollten wir tief in unser Herz aufnehmen. Es ist eine Art Generalabsolution. Jeder, der sich schuldig fühlt oder glaubt, von Gott verdammt zu sein, sollte aufmerksam auf diese Verheißung hören: „Es gibt keine Verurteilung mehr für diejenigen, die in Christus Jesus sind.“ Und dann fügt Paulus hinzu: „Denn das Gesetz des Geistes“, das will heißen, das Gesetz, das der Heilige Geist ist, „hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm 8,2). Der Heilige Geist also ist das neue Gesetz. Darin ist eine grundsätzliche Offenbarung über den Heiligen Geist enthalten. Von unserer Theologie her hat sich die Vorstellung entwickelt, dass der Heilige Geist eine helfende Kraft ist, um das Heil bis an die Grenzen der Erde zu tragen. Der Heilige Geist aber ist nicht nur eine Ergänzung, eine Hilfe, um das Heil in die Welt zu bringen – er ist selbst das Heil, er ist das Prinzip des neuen Bundes. Das christliche Leben ist Leben im Geist.

Das innere Gesetz des Geistes

Worin besteht nun der Unterschied zwischen dem Gesetz, das im Herzen wohnt, und dem, das von außen kommt? Es geht hier um einen ganz entscheidenden Schritt. Wer ihn nicht vollzieht, lebt geistlich gesehen eigentlich noch im Alten Testament und nicht in der Kirche. Beim äußeren Gesetz handelt es sich um das positive Gesetz. Dazu gehört vor allem jedes geschriebene Gesetz: die 10 Gebote, die Gebote des Evangeliums, die Vorschriften der Kirche oder das kanonische Recht. All diese Gesetze leiten den Menschen dazu an, etwas Bestimmtes zu tun. Sie verpflichten ihn in der Regel mit der Androhung einer Strafe. In ihrer endgültigen Form lautet sie: Wenn du das Gebot nicht erfüllst, kommst du in die Hölle! Auf diese Weise zwingt das positive Gesetz den Menschen, etwas zu tun. Der hl. Paulus nennt es das Gesetz der Angst. Denn es kann leicht geschehen, dass der Mensch in Anbetracht des Gesetzes aus einem sklavischen Geist heraus handelt.

Auch das innere Gesetz des Geistes drängt uns dazu, etwas Bestimmtes zu tun, aber nicht mit Gewalt, sondern, indem es uns anzieht. Wir tragen den Willen Gottes im Herzen. Darin besteht das Gesetz der Liebe: Wir möchten das tun, was Gott von uns will. Der christliche Glaube muss mit einer solchen Spontaneität gelebt werden. Das menschliche Phänomen, das dieser Handlungsweise am nächsten kommt, ist das Verliebtsein. Das Christentum ist gleichsam die Religion von Verliebten. Oft sind junge Leute faul und die Eltern schaffen es kaum, sie morgens aus dem Bett zu ziehen. Doch kaum sind sie verliebt, braucht man sie nicht mehr bedrohen oder aus dem Bett prügeln. Sie stehen von selbst auf, beeilen sich, das Studium abzuschließen, eine Arbeit zu finden und die Hochzeit vorzubereiten. Sie tun alles freiwillig, weil sie innerlich von etwas angezogen werden. In diesem Sinn müssen wir Christen unseren Glauben leben. Darin sieht der hl. Paulus den fundamentalen Unterschied zwischen einem Leben nach dem Gesetz und einem Leben nach dem Geist. Wenn wir den Heiligen Geist empfangen, wird es das innere Gesetz sein, das uns dazu drängt, die äußeren Gesetze zu beobachten. Wir verspüren selbst das Verlangen, nach dem Willen Gottes zu handeln. Schon der Prophet Ezechiel definiert das Gesetz des Geistes als die Fähigkeit, den Willen Gottes zu tun. Der Herr spricht: „Ich gebe euch ein neues Herz, ich lege einen neuen Geist in euch und ich sorge dafür, dass ihr meine Gesetze und Vorschriften erfüllt“ (vgl. Ez 11,19f).

Eintauchen in den Ozean der Liebe

Das Wesentliche des neuen Gesetzes ist die Liebe. Jesus nennt es das neue Gebot. Es liegt auf einer tieferen Ebene, als das, was wir gewöhnlich unter Liebe verstehen. Denn wenn wir von Liebe sprechen, denken wir fast immer an unsere Liebe zu Gott oder zu den Mitmenschen, also an etwas, was von uns ausgeht. In Wirklichkeit aber ist dies erst das zweite Element. Vor unserer Liebe zu Gott kommt Gottes Liebe zu uns. Genau das ist Pfingsten: der Einbruch der Liebe Gottes in die Menschheit.

Alle waren vom Heiligen Geist erfüllt. Was ist der Heilige Geist? Er ist Liebe, er ist die persönliche Liebe zwischen Gott Vater und Gott Sohn. Also waren alle erfüllt von der Liebe Gottes, der Liebe der Trinität. Sie ist wie ein Ozean, der die Dämme gebrochen und sich über die Apostel ausgegossen hat. Er hat sie regelrecht überschwemmt. Kurz zuvor hatte Jesus zu den Aposteln gesagt: In wenigen Tagen werdet ihr mit dem Heiligen Geist getauft werden. Im Sprachgebrauch der damaligen Zeit bedeutet Taufe nicht nur, ein paar Tröpfchen auf den Kopf zu erhalten, sondern völlig eingetaucht zu werden ins Wasser. Das Bild, das uns Jesus vorstellt, ist das völlige Eintauchen in den Heiligen Geist. Es ist das, was die Engländer „full immersion“ nennen.

Die Apostel machten eine unbeschreibliche Erfahrung: das volle und tiefe Bewusstsein, von Gott geliebt zu sein. Diese Erklärung von Pfingsten ist bei Paulus im 5. Kapitel des Römerbriefs ausgedrückt: „Die Liebe Gottes“, das soll heißen: die Liebe Gottes zu uns, „ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5b). Das ist eine Kurzbeschreibung von Pfingsten. Es ist etwas, das wir in unseren Tagen mit eigenen Augen sehen können: Millionen von Menschen in und außerhalb der katholischen Kirche haben diese Pfingsterfahrung persönlich gemacht. Wenn man sie fragt: Was habt ihr konkret erfahren, was ist geschehen?, so lautet die einstimmige Antwort: Wir haben zum ersten Mal begriffen, dass wir von Gott geliebt sind. Ich habe die Zärtlichkeit Gottes erfahren.

Ich erinnere mich an eine alte Dame von 80 Jahren, die nach einem Gebet um die Ausgießung des Heiligen Geistes angefangen hat, zu tanzen und den Menschen um sich herum die Hände zu schütteln. Sie rief: „Ich komme mir vor wie ein Kind, wie ein Mädchen. Ich habe begriffen, was es bedeutet, Tochter Gottes zu sein.“ Eine junge Frau sagte: „Ich habe die ganze Zeit mit dem schrecklichen Gefühl gelebt, von niemandem geliebt zu sein. In jenem Augenblick ist dieses Gefühl völlig verschwunden.“ Denn die Liebe Gottes, die unser Herz erfüllt, gleicht all den Mangel an Liebe aus, unter dem wir gelitten haben.

Die positive Erfahrung der Liebe, die wir in einem solchen Moment gemacht haben, kann sich nach und nach verstärken. Denn die Liebe Gottes ist nicht etwa ein Rivale, ein anderer Typus von Liebe. Um sie zu empfangen, ist es nicht notwendig, beispielsweise als Verlobte den Bräutigam oder in der Ehe den Ehepartner weniger zu lieben. All diese „Teillieben“ kommen aus dem einen Ozean der Liebe Gottes, welche die verschiedenen Formen der Liebe schützt und auch erhöht.

Pfingsten ist die Krönung der gesamten Heilsgeschichte. Gott hat die Welt erschaffen, um ihr sein göttliches Leben, seine Liebe mitzuteilen. Nachdem die Sünde diesen Plan behindert hatte, bereitete Gott die Menschheit auf die Ankunft seines Sohnes vor. Durch seinen Tod hat er die Sünde zerstört und durch seine Auferstehung das Leben erneuert. Jetzt endlich ist die Menschheit in der Lage, sich für die Teilhabe an der Gottesliebe zu öffnen. In diesem Sinn ist Pfingsten wirklich der Schlussakt der Heilsgeschichte.

Gott ist Liebe. Dieser Satz ist ein Abgrund. Wenn wir Christen diese Worte wiederholen, ist es, als ob wir einen Abgrund überschreiten, ohne uns dessen unbedingt klar zu werden.

Wenn durch irgendeine Naturkatastrophe oder durch einen Bildersturm alle Bibeln der Welt vernichtet würden, wenn in der ganzen Welt ein einziges Exemplar übrig bliebe, wenn auch dieses Stück so zerstört wäre, dass es nur noch eine einzige Seite gäbe, wenn auch diese so zermalmt wäre, dass man nur noch einen Satz erkennen könnte, und wenn es sich dabei um die Worte aus dem 1. Johannesbrief handelte, wo es heißt: „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,8b), so wäre die ganze Bibel gerettet. Denn darin ist alles enthalten.

Das Geheimnis des dreifaltigen Gottes

Warum glauben wir Christen an einen einzigen Gott, der dreifaltig ist. Ich komme gerade von einer Reise in die Arabischen Emirate im Golfgebiet zurück. In diesem islamischen Land gibt es viele, sehr lebendige christliche Gemeinden. Die dortigen Christen sind ständig der Frage ausgesetzt, warum sie an einen dreifaltigen Gott glauben. Fünfmal am Tag hört man von den Minaretten den Ruf: Gott ist Einer. Die Erklärung, warum wir Christen an die Dreifaltigkeit glauben, ist eigentlich ganz einfach: weil wir an einen Gott glauben, der Liebe ist. Und Liebe kann es nicht geben, wenn nicht wenigstens ein Ich und ein Du existieren. Wenn Gott nicht nur einzig wäre, sondern auch allein, dann könnte er nicht Liebe sein. Wen würde er lieben, sich selbst? Es wäre Egoismus und nicht Liebe. Wenn wir Gott als absolute Macht begreifen, wie der Islam, brauchen wir nicht die Vorstellung von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Denn Macht kann von einem Einzigen allein ausgeübt werden, aber nicht Liebe. Wir glauben an die Dreifaltigkeit, weil wir glauben, dass Gott Liebe ist.

Welches ist der größte und greifbarste Beweis dafür, dass Gott uns liebt? „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn dahingab“ (Joh 3,16a). Jesus selbst ist der Beweis für die Liebe Gottes zu uns Menschen. Wenn wir uns vorstellen könnten, wer Jesus für den Vater ist, was er für ihn bedeutet, dann würden wir etwas von dem Mysterium begreifen, das in diesem Satz steckt. Jesus sagt: „Der Vater und ich, wir sind eins“ (vgl. Joh 10,30). Das bedeutet: Indem Gott Vater seinen Sohn hingibt, schenkt er sich selbst. Und schließlich hat uns Jesus durch sein Leben den Beweis der Liebe Gottes gegeben. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“, so sagt Jesus selbst (Joh 15,13). Ich könnte hier einen Einwand vorbringen und Jesus erwidern: „Aber es gibt eine noch größere Liebe, als das Leben für die eigenen Freunde hinzugeben, nämlich deine Liebe. Denn du hast das Leben nicht für deine Freunde hingegeben, sondern für deine Feinde.“ Bei Paulus heißt es: Jesus hat sein Leben hingegeben, während wir noch Sünder, also Feinde waren. Natürlich hatte Jesus Recht; denn wenn er von Freunden spricht, gebraucht er diesen Ausdruck im passiven und nicht im aktiven Sinn. Das heißt, seine Freunde sind diejenigen, die von ihm geliebt werden. Es gibt also keine größere Liebe, als das Leben für die eigenen Feinde hinzugeben, indem man sie als seine Freunde betrachtet.

Erste Antwort: An die Liebe glauben

Was ist die erste Antwort auf diese Offenbarung der Liebe Gottes? Es ist nicht sofort die Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Zuerst müssen wir noch etwas anderes tun. Unmittelbar nach dem Wort „Gott ist die Liebe“ bekennt der hl. Johannes: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16a). Es geht also darum, zu glauben, dass Gott uns liebt. Zu glauben, dass man geliebt wird, ist etwas vom Schwierigsten im ganzen Leben. Und dass Gott, der Ewige, der Unendliche, der in sich selbst so glücklich ist, wie wir es uns gar nicht mehr vorstellen können, dass er mich persönlich liebt, jeden von uns, mit all der Liebe, die er in sich hat, ist ein reines Mysterium, zu groß für unser Begreifen.

Der sehr bekannte englische Schriftsteller Lewis, vielleicht der bedeutendste Apologet unserer Zeit, hat einen sehr eigenartigen Roman geschrieben. Im Deutschen heißt der Titel: „Dienstanweisung für einen Unterteufel“. Einmal lässt er seine Leser an einer Sitzung aller Teufel in der Hölle teilhaben. Unter sich sagen sie: „Die Menschen auf der Welt meinen, das größte Geheimnis sei die Dreifaltigkeit. Wie dumm sie doch sind! Das wirkliche Geheimnis, das wir einfach nicht verstehen konnten, besteht darin, dass Gott diese erbärmlichen Geschöpfe liebt. Das ist das größte Geheimnis!“ Wenn wir über dieses große Mysterium nachdenken, muss uns eigentlich ein Schwindelgefühl befallen oder wir müssen von unseren Sitzen aufspringen.

Wenn ein junger Mann merkt, dass er von dem Mädchen, das er verehrt, wirklich geliebt wird, dann – so sagt man – hält er es in seiner eigenen Haut nicht mehr aus. Das Gesicht verändert sich. Daran erkennen wir einen Verliebten: Sein Gesicht strahlt. Dasselbe müsste geschehen, wenn wir entdecken, dass wir von der Liebe in Person geliebt sind: ein Licht erscheint auf unserem Angesicht.

Zweite Antwort: Die Liebe verschenken

Daraus ergibt sich die zweite Antwort. Sie ist das Werk des Heiligen Geistes. Wenn er zu uns kommt, bringt er uns die Liebe, d. h. die Fähigkeit, geliebt zu werden und selbst zu lieben. Der hl. Johannes beschreibt es viele Male: „Wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben“ (1 Joh 4,11). Die Konsequenz der Liebe Gottes zu uns besteht darin, dass wir diese Liebe weitergeben müssen. Wenn wir sie nicht durch uns hindurchfließen lassen, kommt die Bewegung zum Stillstand. Ein See, der von einem Fluss gespeist wird, das Wasser aber nicht abgibt, wird ein Sumpf. Ein anderes Beispiel finden wir in Israel: Der Jordan formt zwei Seen, zwei Meere, zuerst den See von Tiberias, aus dem er weiter ins Jordantal und schließlich ins Tote Meer fließt. Der See Genezareth, das Galiläische Meer, ist voller Leben, es wimmelt von Fischen. Das Tote Meer hingegen hat kein Lebenszeichen, es gibt nur Salz. Und doch es ist dasselbe Jordan-Wasser. Der Grund besteht darin, dass das Galiläische Meer das Wasser des Flusses empfängt, es aber auch wieder weitergibt, das Tote Meer jedoch alles für sich behält und nichts abgibt.

Auch wir müssen die Liebe Gottes, die wir empfangen haben, weitergeben. Wir können ganz konkret diejenigen anfangen zu lieben, die uns am nächsten sind und uns umgeben. Es sind meist die, die im selben Haus wohnen. Der Heilige Geist erneuert alles, was er ergreift. Am allerliebsten erneuert er die Ehe. Denn sie ist am meisten der Gefahr ausgesetzt, trocken zu werden. Der Heilige Geist hat das Wunder der Erneuerung in unzähligen Ehen gewirkt. Und er möchte immer wieder die Liebe erneuern. Der Heilige Geist ist das Sich-Geben Gottes, wie die Ehe das Sakrament des Sich-Gebens ist. In jedem Herzen, in das der Heilige Geist „hineinfällt“, erneuert sich die Fähigkeit, sich zum Geschenk zu machen. Auf diese Weise erneuern sich die Ehen. Von der Erneuerung dieser kleinsten und ersten Gemeinschaft geht die Erneuerung der Kirche aus. Aus erneuerten Familien, die begeistert sind, bilden sich erneuerte christliche Gemeinschaften.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Europa braucht Heilige!

Am 15. August 2009 wird zum 28. Mal die „Fatima-Schiffsprozession für ein Vereintes Europa“ auf dem Bodensee durchgeführt. Seit 2001 liegt die Organisation in der Hand der diözesanen Gebetsstätte Wigratzbad. Direktor Thomas Maria Rimmel ist es gelungen, die Verantwortlichen der Kirche für die Bedeutung dieses Ereignisses zu sensibilisieren. So konnte er Stanislaw Kardinal Rylko aus dem Vatikan dafür gewinnen, dieses Jahr die Feier zu leiten.

Von Thomas Maria Rimmel

Welche Wertschätzung die alljährliche Schiffsprozession an Mariä Himmelfahrt auf dem Bodensee mittlerweile erfährt, macht die Neuerscheinung eines Buchs mit dem Titel „Maria als Patronin Europas“ deutlich. Als Fazit plädiert der Herausgeber „für eine Verbindung zwischen der Botschaft von Fatima und der Verehrung Mariens als Patronin Europas“. Dazu führt er aus: „Dass die Volksfrömmigkeit dafür offen ist, zeigt etwa die seit 1979 stattfindende Fatima-Schiffsprozession auf dem Bodensee im Dreiländereck. Deren Anliegen bildet seit dem Jahr 2001 die Einigung Europas im christlichen Geist. Dabei wird unter Beteiligung einer riesigen Menschenmenge, die praktisch die gesamte Flotte des östlichen Bodenseeraums beansprucht, unter anderem die Eurovisionsmelodie abgespielt, aber vor allem Europa feierlich dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht“ (S. 273f.). Allein schon der Titel „Fatima-Schiffsprozession für ein Vereintes Europa“ unterstreicht die Verbindung Fatima und Europa.

Wenn wir am 15. August 2009 zum 28. Mal singend und betend auf den Bodensee hinausfahren, legen wir wieder ein Bekenntnis zu Jesus Christus ab und vertrauen ihm die Geschicke Europas an. Als Höhepunkt wird in diesem Jahr der Präsident des Päpstlichen Rates für die Laien, Stanislaw Kardinal Rylko, vom Schiff aus den eucharistischen Segen über die Länder Europas erteilen. Zuvor erneuert er zusammen mit allen Teilnehmern die Weihe des europäischen Kontinents an das Unbefleckte Herz Mariens im Geist von Fatima. Dort hat uns die Gottesmutter einerseits die hoffnungsvolle Botschaft geschenkt: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren!“ Andererseits erweist sie sich in Fatima als Europäerin! Offensichtlich liegt ihr Europa ganz besonders am Herzen: Sie erscheint in Portugal, dem westlichsten Punkt Europas, und spricht vor allem über Russland, das östlichste europäische Land. Friede wird sein, wenn die Menschen Gott die ihm gebührende Ehre geben, aber auch wenn Europa zusammen mit Russland seine Bestimmung gefunden hat.

Leider kommt Gott im Verfassungsentwurf der Europäischen Union nicht vor, aber auch aus vielen Lebensbereichen wird er mehr und mehr ausgeklammert. Als mich Kardinal Rylko im Frühling zu einer Vorbesprechung empfing, meinte er, das große Problem Europas sei der Nihilismus. Diesen könne man aber nicht einfach „von oben“ her überwinden, sondern nur „von unten“, durch eine Änderung der Herzen. Schon Papst Johannes Paul II. habe diesbezüglich den Heiligtümern eine entscheidende Rolle beigemessen. Nicht zuletzt deshalb hat der Kardinal die Einladung nach Wigratzbad angenommen. Seine Aussagen bedeuten eine große Ermutigung für unsere Gebetsstätte und die zahlreichen Pilger, machen aber auch unsere gemeinsame Verantwortung deutlich. Öffnen wir unsere Herzen weit für Christus! Er ist die Hoffnung Europas, wie Papst Johannes Paul II. formuliert hat. Nur in und mit Christus können wir in Europa eine neue Zivilisation der Liebe, der Wahrheit und der Gerechtigkeit aufbauen. Europa braucht Heilige!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

700-Jahr-Feier in Gibraltar von weltkirchlicher Bedeutung

Im äußersten Südwesten des europäischen Kontinents fand am 5. Mai dieses Jahres ein überragender Festgottesdienst mit Tausenden von Gläubigen statt. Es war die 700-Jahr-Feier der Weihe des europäischen Kontinents an die Gottesmutter durch den spanischen König Ferdinand IV. im Jahr 1309. Damals hatte er Gibraltar von den Mauren zurückerobert und die erste Moschee, die im Jahr 711 auf europäischem Boden entstanden war, in eine Kirche umgewandelt. Sie wurde der Gottesmutter als „Unserer Lieben Frau von Europa“ gewidmet. Zum Jubiläum sandte Benedikt XVI. Kardinal José Saraiva Martins als päpstlichen Legaten, der die Weihe Europas an Maria erneuerte und dem Heiligtum die sog. „Goldene Rose“ des Papstes überbrachte.

Von Notker Hiegl OSB

Die Mauren auf Gibraltar

Das glanzvolle Fest, das vom 4. bis 6. Mai 2009 in Gibraltar mit etwa 4000 Gläubigen, über 100 Priestern sowie 17 Bischöfen und Kardinälen gefeiert wurde, war mehr als nur ein Jubiläum. Als europäisch-marianische Kundgebung stellte es den vertrauensvollen Ausdruck der katholischen Weltkirche dar, dass das Vereinte Europa unter dem Schutz der Gottesmutter Maria seine Identität als christlicher Kontinent wieder erlangen und trotz der fortschreitenden Islamisierung das Fundament für eine christliche Zukunft legen kann.

Die ersten maurischen Stämme waren schon im April 710 auf die Iberische Halbinsel gekommen, um das Land auszukundschaften. Mit ihrem militärischen Führer Tarik Ibn Zayib landeten sie am südlichsten Ausläufer Europas, dem Felsenmassiv von „Calpe“, das seither seinen Namen trägt: „Gibel Tarik“ („Berg des Tarik“) – „Gibraltar“. Ihr Ziel war es, vom Westen her Europa für den Islam zu gewinnen. Auf der südlichsten Spitze des Felsens bauten sie eine Moschee für Allah, um ihm Europa zu Füßen zu legen. Über diese Gibraltar-Brücke fluteten unzählige islamische Heere aus Afrika ins christliche Europa ein. Erst dem spanischen König Ferdinand IV. gelang es 1309, den Felsen im Zug der „Spanischen Reconquista“ erfolgreich zu erobern und die Mauren wieder auf das afrikanische Festland zurück zu treiben. Aus Dankbarkeit weihte er den europäischen Kontinent der Gottesmutter Maria. Gleichzeitig wandelte er die sechs Jahrhunderte alte Moschee in eine christliche Kirche um und verlieh ihr den Titel: „Unsere Liebe Frau von Europa“.

Wechselvolle Geschichte des Heiligtums

Im Jahr 1333 wurde Gibraltar noch einmal von den Muslimen eingenommen. Sofort machten sie die Umwandlung der Moschee in ein christliches Heiligtum rückgängig. Doch 1462 wurden sie von Ferdinands Enkel Heinrich IV. endgültig aus Europa verdrängt. Die Spanier bauten nun eine größere Kapelle im rechten Winkel zur ursprünglichen Moschee. Als Gnadenbild, das in diesem neuen Schrein inthronisiert wurde, wählten sie eine nur 60 cm hohe Statue der Jungfrau Maria, die auf einem einfachen Sessel sitzend den Jesusknaben auf ihrem Schoß trägt. Mutter und Kind sind gekrönt und Maria hält in ihrer Rechten ein Szepter mit drei Blumen, welche die Liebe, die Treue und die Gerechtigkeit versinnbilden. Im Spanischen Erbfolgekrieg wurde Gibraltar 1704 britisch. Nachdem die Soldaten monatelang keinen Sold mehr erhalten hatten, begannen sie rund um den Felsen zu rauben und zu plündern. Am 4. August 1704 zerstörten sie auch den Schrein. Die hölzerne Statue wurde brachial zerstückelt und ins Meer geworfen. Ein Fischer konnte die schwimmenden Einzelstücke bergen und einem Pater namens Juan Romero de Figueroa übergeben, der sie in die spanische Stadt Algeciras auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht brachte. Dort wurde das Gnadenbild restauriert und aufgestellt. Erst 1864 ließ es Bischof Johannes Scandella in das Heiligtum von Gibraltar zurückbringen. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche als Warenhaus für die Armee verwendet und erst 1961 wieder freigegeben. Die Restaurierung, die mit Unterstützung der Europäischen Union und der Regierung von Gibraltar durchgeführt wurde, dauerte bis 1994. Im Jahr 1997 wurde das Heiligtum wieder feierlich eingeweiht.

Verbindung Papst Johannes Pauls II. zum Heiligtum

Bereits im ersten Jahr seines Pontifikats schenkte Papst Johannes Paul II. dem Marienheiligtum von Gibraltar seine Aufmerksamkeit. Mit Datum vom 31. Mai 1979 bestätigte er offiziell die Muttergottes unter dem Titel „Unserer Lieben Frau von Europa“ als Hauptpatronin der Diözese Gibraltar.

Früher wurde das Patrozinium „Unserer Lieben Frau von Europa“ am 15. August gefeiert. Im 19. Jahrhundert aber verlegte es Bischof Scandella auf den 30. Mai. Bischof Edward Rapallo wandte sich mit der Bitte an Rom, das Fest auf den sog. „Europatag“ am 5. Mai legen zu dürfen. So wird es seit 1979 an diesem Tag als Hochfest begangen und durch ein feierliches Triduum vorbereitet.

Am 6. September 1995 brachte Papst Johannes Paul II. in einem Brief an Bischof Rapallo seine Freude über die Renovierung und Erweiterung des Heiligtums „Unserer Lieben Frau von Europa“ zum Ausdruck und nannte es ein „machtvolles Symbol“ für die Vereinigung des europäischen Kontinents, einen „Ort, wo unter der Schirmherrschaft Mariens die Menschheitsfamilie immer mehr zu einer brüderlichen Einheit und zu einer friedlichen Koexistenz zusammengeführt“ werde. Und in seiner Botschaft zur Wiedereinweihung 1997 schrieb Johannes Paul II.: „Das Christentum ist nicht nur Teil der europäischen Kultur, es ist die geistige Art der Europäer, sich den universalen Fragen zu stellen. … Dieses Heiligtum wird Europa helfen, das christliche Erbe in Erinnerung zu rufen und die Beter zu ermutigen, die Zukunft Europas auf dieses solide Fundament zu stellen.“

Einladung zur 700- Jahr-Feier nach Gibraltar

Nach der Fertigstellung des Heiligtums „Maria, Mutter Europas“ in Gnadenweiler bei Beuron auf der Schwäbischen Alb vor zwei Jahren stellte kein Geringerer als Otto von Habsburg (96) einen Kontakt zu Bischof Charles Caruana von Gibraltar sowie zu P. Charles Azzopardi, dem Rektor des dortigen Heiligtums, her. Resultat eines regen Briefwechsels war die Einladung durch Bischof Caruana zum 700-jährigen Jubiläum des Heiligtums „Unserer Lieben Frau von Europa“ in Gibraltar am 4.und 5. Mai 2009, das mit einer offiziellen Erneuerung der Weihe Europas an die Gottesmutter gefeiert werden sollte. Aus dem Freundeskreis der Gnadenweiler Kapelle meldete sich eine „Zwölferschar“, um an diesem herausragenden Ereignis teilzunehmen. Im Rahmen der Feierlichkeiten sollte auch die Gebetsverbrüderung von drei Heiligtümern mit dem Titel „Maria, Mutter Europas“ besiegelt werden: Gibraltar im äußersten Südwesten Europas, Gnadenweiler genau in der Mitte und Beresniki im äußersten Nordosten. Im Kloster Beuron wurden eigene „Pergament-Urkunden“ angefertigt, damit sie beim Festakt in Gibraltar unterschrieben und ausgehändigt werden können.

Neues Heiligtum der „Mutter Europas“ im Ural

Auf Anregung von P. Notker Hiegl OSB entsteht nun auch in der nordöstlichsten katholischen Pfarrei Europas ein Heiligtum, das der Gottesmutter Maria als „Mutter Europas“ geweiht sein wird. Bereits im November 2008 besuchte Pfarrer Erich Maria Fink aus Beresniki die Europa-Kapelle in Gnadenweiler und bestätigte durch einen Eintrag ins Fürbittenbuch den Eintritt seiner Pfarrei in die Gebetsverbrüderung, welche einen Bogen über ganz Europa spannen möchte. Die Kapelle im Ural wird mit zwei Frontfenstern geschmückt sein, welche die Apostelbrüder Petrus und Andreas als Vertreter der West- und der Ostkirche zeigen. Außerdem werden in die Kapelle die Patrone Europas aufgenommen: der hl. Benedikt (der Erstpatron Europas), Edith Stein (unsere jüdisch-christlichen Wurzeln), Cyrill und Methodius (die beiden Slawen-Apostel), Birgitta von Schweden (für den Norden Europas), Katharina von Siena (für den Süden), dazu die Heiligtümer von Gibraltar und Gnadenweiler. Auch sollen Papst Johannes Paul II. (der slawische Papst) und der hl. Seraphim von Sarow (als Zeichen des neu erstehenden christlichen Russlands in der orthodoxen Kirche hoch verehrt) einen Platz finden. Als Gnadenbild ist eine Fatima-Madonna geplant, die unter einem großen Kruzifix die Altarfront schmücken wird. Denn die Botschaft von Fatima ist zu einem großen Teil dem Schicksal Russlands gewidmet und spannt in ähnlicher Weise den Bogen über ganz Europa, vom äußersten Westen, wo sich der Erscheinungsort selbst befindet, bis zum fernsten Osten.

Festakt im „The Rock Hotel“ in Gibraltar

Der Chief Minister (Premierminister) von Gibraltar hatte am 5. Mai zum Lunch im „The Rock Hotel“ eingeladen. Eine illustre Gesellschaft von rund hundert Gästen aus ganz Europa war zum Festakt versammelt. Kardinal José Saraiva Martins aus Portugal, der als päpstlicher Legat zu dieser Jubiläumsfeier (1309-2009) nach Gibraltar gekommen war, richtete auf Englisch eine Grußadresse an die Gäste. Zu seiner Rechten befanden sich zwei weitere Kardinäle, Fray Carlos Amigo Vallejo von Sevilla und Ennio Antonelli aus Italien, zur Linken der Gastgeber der Diözese Gibraltar, Bischof Charles Caruana, des weiteren Erzbischof Francesco Monteriso. Aus der großen Zahl der Ehrengäste mit 17 Bischöfen, unter ihnen auch der für Fatima zuständige Diözesanbischof, sei noch Otto von Habsburg erwähnt, der von Contess Marie Louise von Schonburg und von zweien seiner Neffen begleitet wurde. Aus Bärenthal, in dessen Gemeindegebiet die Gnadenweiler Kapelle liegt, war Bürgermeister Roland Ströbele vertreten, der die gesamte Wallfahrt für die Gruppe aus Deutschland leitete.

Unterzeichnung der Pergament-Urkunden

Bruder Wolfgang Keller OSB aus dem Kloster Beuron hatte in dreifacher Ausführung die Pergament-Urkunde (aus Ziegenhaut) geschrieben bzw. gemalt, welche die Gebetsverbrüderung der drei Marien-Heiligtümer auf europäischen Hintergrund mit großer Initiale dokumentiert. Am Dienstag, den 5. Mai 2009, dem Europatag, der in Gibraltar als Nationalfeiertag begangen wird, wurden die Urkunden von Bischof Charles Caruana für Gibraltar, von P. Notger Hiegl OSB für Gnadenweiler und von Pfr. Erich Maria Fink für Beresniki unterzeichnet. Walter Kardinal Kasper hatte die Dokumente zur Bestätigung der Partnerschaft von höchster kirchlicher Stelle bereits am Osterfest 2009 wenige Wochen zuvor in Beuron unterschrieben. Nun fand der feierliche Akt im Heiligtum „Unserer Lieben Frau von Europa“ auf dem Altar zu Füßen ihres Gnadenbildes in Anwesenheit vieler Kardinäle und Bischöfe statt. Das Gebets-Verbrüderungs-Gelöbnis wurde beim anschließenden Festgottesdienst im Großzelt auf den Zelebrationsaltar gelegt.

Ein Marien-Fest von europäischer Dimension

Im selben Zelt hatte bereits am Vorabend, dem 4. Mai, ein festliches Konzert stattgefunden, an dem über tausend Südländer mit Begeisterung teilnahmen. Die jungen Künstler (Flügel – Fabrizio Cassi; Sopran – Andrea Simson; Tenor – Nathan Payas) boten eine musikalische Glanzleistung. Doch die Liturgie am 5. Mai bewegte sich noch einmal auf einer „ganz anderen Ebene“: ein prächtiger Festzug mit unzähligen Kardinälen, Bischöfen, Priestern und Ministranten sowie mit Polizei-Offizieren, die in Gala-Uniform das Gnadenbild trugen, ein jubelndes Volk und gewaltige Chöre mit Solo-Einlagen. Zu Beginn wurden die Vertreter der Bischofskonferenzen und Länder Europas begrüßt, unter ihnen P. Notker Hiegl OSB für Deutschland und Pfr. Erich Maria Fink für Russland. Der päpstliche Delegat hielt die Predigt, sprach am Ende des Gottesdienstes stellvertretend für ganz Europa das Weihegebet an die Gottesmutter und überreichte die „Goldene Rose“, die höchste Auszeichnung eines Marien-Heiligtums durch den Papst. Der Ortsbischof verlas das Grußwort Benedikts XVI. und unter dem Applaus der Gläubigen wurde das Gnadenbild „Unserer Lieben Frau von Europa“ durch die Menge getragen.

Gebetsaktion für ein christliches Europa

Als Gäste im bischöflichen Exerzitienhaus (Gibraltar) besichtigten wir auch den jüdischen Friedhofes, die Sankt Michaels-Grotte mit ihren imponierenden Tropfsteinen, die vielen Berber-Affen auf dem berühmten Felsen sowie den fein gepflegten Almada-Stadtpark, gleichzeitig bot sich uns ein wunderschöner Blick vom Felsengrat einerseits zum Mittelmeer, andererseits in den Atlantik, auf die ankernden Schiffe und im Hintergrund auf den Tangar-Felsen in Marokko auf dem gegenüberliegenden afrikanischen Kontinent.

Bei all diesen Eindrücken bewegte uns die entscheidende Frage: Wie wird es nach den Festtagen weitergehen? Wird ein christliches Europa für Jesus und Maria wachsen? So bereiteten wir „Europa-Rosenkränze“ vor: mit blauen Perlen, goldener Kordel und dem Benediktus-Kreuz. In diesen drei Tagen verschenkten wir etwa 400 solcher Rosenkränze, die mit großer Begeisterung aufgenommen wurden. Wir luden die Menschen ein, täglich wenigstens ein Gesätzchen für ein christliches Europa zu beten. Eine Frau aus Gibraltar, die im Zelt einen „Europa-Rosenkranz“ erhalten hatte, versicherte am nächsten Tag, sie können nun ihre lahmen Finger wieder bewegen. Wie dem auch sei, möge Maria dem europäischen Kontinent ihren mütterlichen Schutz vom Südwesten bis zum Nordosten gewähren, damit er zu Ehren ihres Sohnes Jesus christlich bleibt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Ein „Paulus“ des 20. Jahrhunderts

Am 29. Juni 2009 wird das Paulusjahr, das Papst Benedikt XVI. aus Anlass des 2000. Geburtstags des großen Völkerapostels ausgerufen hatte, feierlich beschlossen. Zum Ende dieses Jubiläumsjahrs wirft Pfarrer Erich Maria Fink einen Blick auf den Italiener Bruno Cornacchiola (1913-2001), der in mehrfacher Hinsicht ein „Paulus“ des 20. Jahrhunderts genannt werden kann. Bischof Arnoldo Onisto von Vicenza beispielsweise sieht erstaunliche Parallelen: Auch Cornacchiola erlebte durch einen übernatürlichen Eingriff des Himmels seine Bekehrung. Wie Paulus bekämpfte er zunächst die katholische Kirche, indem er sich auf die Schrift berief. Auch er wurde schließlich zu einem Zeugen dessen, was er zuvor als sektiererische Lehre betrachtet hatte. Außerdem fanden die entscheidenden Ereignisse um Cornacchiola genau an dem Ort in Rom statt, wo der hl. Paulus 2000 Jahre zuvor sein Lebenszeugnis mit dem Martyrium besiegelt hatte.

Von Erich Maria Fink

Unergründlicher Abgrund

Bruno Cornacchiola wurde am 9. Mai 1913 in Rom geboren. Mit seinen fünf Geschwistern wuchs er in desolaten Verhältnissen auf. Sein Vater Antonio war fast immer betrunken und kümmerte sich nicht im Geringsten um seine Familie. Die Mutter Giuseppa musste den Unterhalt besorgen und war von ihren Arbeiten außer Haus vollkommen in Anspruch genommen. Sie konnte ihren Kindern nicht die notwendige Aufmerksamkeit und Liebe schenken. Bruno, kräftig gebaut und mit wachem Verstand begabt, wurde von seinem Vater oft geschlagen. Eines Abends beschloss er, nicht mehr nach Hause zurückzukehren. Er schlief unter freiem Himmel und wurde mit 14 Jahren Straßenjunge. Als er einmal in der Nähe der Heiligen Stiege übernachtete, wurde er in aller Frühe von einer gläubigen Frau angesprochen und schließlich ohne Wissen der Eltern auf die erste hl. Kommunion vorbereitet. Ein Priester, der sich mit ehemaligen strafgefangenen Jugendlichen beschäftigte, nahm ihm die Beichte ab und schenkte ihm nach der Spendung der Kommunion und der Firmung das Büchlein „Die ewigen Weisheiten“ sowie einen Rosenkranz. Außerdem trug er ihm auf, seine Mutter um Verzeihung zu bitten für die vielen Male, da er sie beleidigt und geschlagen habe, auch für damals, als er ihr den Finger brach und sie ins Krankenhaus musste.

Tatsächlich kehrte er nach Hause zurück, erzählte von seiner Erstkommunion und sprach die Vergebungsbitte aus. Doch seine Mutter schrie ihn an und fragte: „An diese Dinge denkst Du noch?“ Nachdem sie ihm auch noch einen Tritt versetzt hatte, warf er das Büchlein und den Rosenkranz aus dem Fenster und rannte zum Bahnhof. Ohne Fahrschein setzte er sich in den Zug nach Riete und versteckte sich vor dem Schaffner unter den Sitzen. Diese Fahrt ist geradezu ein symbolischer Ausdruck für die Art, wie er die kommenden Jahre seines Lebens verbrachte.

Schicksalhafte Lebenswende

Erst der Militärdienst setzte seinem Vagabundendasein ein Ende. Als er einen unbefristeten Urlaub erhielt, kehrte er in Erwartung des Entlassungsscheins nach Hause zurück. Kurz darauf heiratete er Iolanda Lo Gatto, wehrte sich aber gegen das Sakrament der Ehe. Nur um seine Frau zufrieden zu stellen, willigte er schließlich ein, feierte die Trauung aber in der Sakristei. Zu diesem Zeitpunkt war er 23 Jahre alt.

1935 brach in Spanien der Bürgerkrieg aus. Bruno meldete sich als Freiwilliger, weil er sich einerseits von den kommunistischen Ideen angezogen fühlte, andererseits ein gutes Verdienst erhoffte. Während der drei Jahre, die er auf der Iberischen Halbinsel an der Seite der „Linken“ verbrachte, lernte er einen deutschen Soldaten kennen, der fast immer die Bibel mit sich herumtrug. Es war ein fanatischer Protestant mit lutherischem Bekenntnis. Schließlich gelang es ihm, Bruno davon zu überzeugen, dass der römische Papst für diesen Krieg zahle. Er sei ein Gegner der Armen, verkehre mit den Reichen und finanziere Revolutionen und Kriege, um die ganze Welt zu beherrschen. Der Papst, so behauptete der deutsche Protestant, sei der schlimmste Feind der Menschheit, das bevorzugte Instrument Satans, das schon in der Offenbarung des Johannes als „das große Tier“ mit den sieben Köpfen beschrieben werde.

Noch vor seiner Rückkehr nach Italien kaufte sich Bruno Cornacchiola bei einem Waffenhändler in Toledo einen Dolch und schrieb auf den beinernen Griff: „Tod dem Papst!“ Allen Ernstes fasste er den Plan: „Um die Menschheit zu retten, werde ich Priester umbringen, wo immer ich ihnen begegne. Ich will versuchen, der Kirche in jeder Weise zu schaden, und es wird meine Aufgabe sein, den Papst zu erstechen.“ In Italien fand er eine Anstellung als Straßenbahnschaffner und trat der Partito d’ Azione bei. Er schloss sich den Baptisten an und wechselte später zu den Adventisten. Gleichzeitig versuchte er alles, um auch seine Frau vom Katholizismus abzubringen. Er prügelte sie und verletzte sie mit einem Faustschlag an der Lippe, verbrannte alle Heiligenbilder und Gebetbücher, zerbrach das Kruzifix, das im Schlafzimmer hing, und warf die Stücke in den Abfalleimer. Als die Frau den brutalen Terror nicht mehr aushielt, erklärte sie sich bereit, der protestantischen Kirche beizutreten, jedoch unter einer Bedingung: wenn Bruno ihr verspricht, an neun Herz-Jesu-Freitagen hintereinander zu beichten und zu kommunizieren. Ihr Mann ging darauf ein. Tatsächlich erfüllte er sein Versprechen, doch die neun Monate gingen scheinbar ergebnislos vorüber. Iolanda trat aus der Kirche aus und folgte ihrem Mann. Dieser wurde ein glühender Propagandist gegen den Papst, die Gottesmutter, die Eucharistie und alle Sakramente.

Das Licht aus der Höhe

Am Samstag, den 12. April 1947, plante Bruno Cornacchiola, mit seinen drei Kindern Gianfranco (4 Jahre), Carlo (7 J.) und Isola (12 J.) an den Strand von Ostia zu fahren. Er verpasste den Zug und wollte nicht eine ganze Stunde auf den nächsten warten. So machte er sich auf den Weg in das Eukalyptus-Wäldchen beim Trappistenkloster „Tre Fontane“. Die Ortsbezeichnung, welche „Drei Quellen“ bedeutet, geht auf die Überlieferung zurück, dass an dieser Stelle der hl. Paulus enthauptet worden ist. Der abgeschlagene Kopf sei auf der Böschung der Straße nach Neapel dreimal aufgeschlagen und an jeder Stelle habe sich eine Quelle gebildet.

Während die Kinder mit ihrem Ball spielten, setzte sich Bruno Cornacchiola auf ein Mäuerchen und begann einen Artikel über Maria zu verfassen. Außer seiner Mappe hatte er eine Bibel bei sich. Er wollte auf kämpferische Weise aufzeigen, dass die Lehre der katholischen Kirche über Maria der Heiligen Schrift widerspricht. Schon hatte er sich die Stichpunkte „Jungfrau“, „Unbefleckte“ und „Aufnahme in den Himmel“ notiert, da wird er von den Kindern, die den Ball verloren haben, unterbrochen. Bei der Suche findet er die Kinder, wie sie der Reihe nach vor einer Grotte niederknien, ins Innere schauen und ständig die Worte „Schöne Frau!“ wiederholen. Nachdem sich die Kinder nicht ansprechen und aufgrund einer geheimnisvollen Schwere auch nicht aufheben lassen, will er dem Rätsel auf die Spur kommen. Er tritt in die Höhle ein, sieht aber nur den kahlen Fels und will die Grotte wieder verlassen. Verzweifelt erhebt er seine Hände und seine weinenden Augen zum Himmel und ruft: „Gott, rette uns!“ Plötzlich sieht er zwei strahlende Hände, die sich auf ihn zu bewegen und sein Gesicht berühren. Er hat das Gefühl, als ob ihm etwas von den Augen weggerissen würde. Im selben Augenblick empfindet er einen leichten Schmerz. Eine tiefe Finsternis umhüllt ihn, die sich langsam löst. Schließlich strahlt ein Licht auf und es zeigt sich auch ihm die Erscheinung. Cornacchiola ist überwältigt von der ungeheuren Schönheit und Milde der Frauengestalt. Sie trägt eine leuchtend weiße Tunika, ein rosafarbenes Band um die Hüften und einen grünen Schleier, der vom Kopf bis zum Boden reicht. Cornacchiola bezeugt später: „Wer das einzigartige Glück hatte, eine so himmlische Schönheit zu schauen, wünscht sich nichts anderes mehr als den Tod, um sich in alle Ewigkeit an einer solchen Glückseligkeit erquicken zu können.“

„Ich bin die Jungfrau der Offenbarung“

Die geheimnisvolle Frau beginnt zu sprechen, langsam und ohne Unterbrechung. „Von diesem außergewöhnlichen Gespräch habe ich nicht eine einzige Silbe vergessen. Und selbst, wenn ich mir nicht sogleich Notizen gemacht hätte, hätte sich alles in meinem Geist eingeprägt. Es war, als ob eine Schallplatte in mir alles wiederholte“, so Cornacchiola. Immerhin dauerte die Erscheinung von 15.20 Uhr bis 16.40 Uhr. Die ersten Worte lauteten: „Ich bin die, die ich bin in der göttlichen Dreifaltigkeit. Ich bin die Jungfrau der Offenbarung. Du verfolgst mich. Nun reicht es! Betritt den heiligen Schafstall, den himmlischen Hof auf Erden.

Das Versprechen Gottes ist und bleibt unabänderlich: die neun Freitage des Heiligen Herzens, die du gefeiert hast, liebevoll von deiner treuen Braut dazu gedrängt, bevor du dich auf den Weg des Irrtums begeben hast, haben dich gerettet.“

Es folgten Belehrungen über die „gelebte Glaubenslehre“ und die Wichtigkeit des Gebets für „die Bekehrung der Sünder und der Ungläubigen und die Einheit der Christen“, aber auch eine geheime Botschaft für den Papst. Unter anderem erklärte die Erscheinung: „Mein Leib konnte nicht verwesen und verweste nicht. Mein Sohn und die Engel sind im Augenblick meines Übergangs gekommen, mich in den Himmel zu führen.“

Cornacchiola verstand sofort, dass sich ihm die Gottesmutter Maria geoffenbart hatte. Schon bei ihrer Vorstellung bot sie ihm fast das Buch an, das sie in Händen hielt. „Ich bin die Jungfrau der Offenbarung“, diese Worte deutete er sowohl auf die Heilige Schrift im Allgemeinen als auch auf die Offenbarung des Johannes im Besonderen, so, als wolle Maria selbst sagen, dass die Lehre der Kirche über ihre Vorzüge mit der Bibel übereinstimmt und darin grundgelegt ist.

Begegnung mit Papst Pius XII.

Am 9. Dezember 1949 konnte Bruno Cornacchiola dem Papst persönlich den Dolch mit der Aufschrift „Tod dem Papst!“ und seine protestantische Bibel übergeben. Auf ihr standen die Worte: „Sie wird das Ende der katholischen Kirche herbeiführen und der Papst wird das erste Opfer sein.“ Mit Tränen in den Augen sagte er: „Heiligkeit, hier ist die protestantische Bibel, die ich falsch ausgelegt und mit der ich viele Seelen getötet habe.“ Und den Dolch überreichend fügte er hinzu: „Ich bitte Sie um Verzeihung, dass ich gewagt habe, so etwas Schreckliches auch nur zu denken. Ich hatte mir vorgenommen, Sie mit diesem Dolch zu ermorden!“ Der Papst nahm Bibel und Dolch, blickte ihn an und antwortete lächelnd: „Lieber Sohn, damit hättest du nur der Kirche einen neuen Märtyrer und Christus ein Liebesopfer geschenkt.“

Auf die Erscheinungen aber wurde der Papst schon viel früher aufmerksam gemacht. Bereits am 5. Oktober 1947 überraschte Pius XII. die Öffentlichkeit mit der Segnung der Statue der „Jungfrau der Offenbarung“. Nach der Feier des Festes „Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ sprach er von seinem Balkon aus das Segensgebet über die noch verhüllte Figur. Danach fielen die Schleier und vor den erstaunten Augen der Menge wurde die Jungfrau mit dem grünen Schleier sichtbar.

Bis heute hat sich die Kirche nicht endgültig zu den Erscheinungen von Tre Fontane geäußert. Doch nach eingehender Prüfung der Ereignisse erlaubte schon damals das Vikariat von Rom die Verehrung der „Jungfrau der Offenbarung“ an diesem Ort und vertraute die Pflege der Grotte den Franziskanern an. Einige Zeit später veröffentlichte der Osservatore Romano einen Artikel über die bekanntesten marianischen Wallfahrtsorte und bezeichnete sie als „Kathedralen des Gebets und als Domäne und Hauptstädte Mariens“. In einer Aufzählung dieser Orte findet sich neben La Salette, Lourdes und Fatima auch Tre Fontane.

Innige Beziehung zu Luigina Sinapi

Dass sich Pius XII. so schnell für die Erscheinung von Tre Fontane geöffnet und ihr Glauben geschenkt hat, ist kein Zufall. Er stand in enger Verbindung mit Luigina Sinapi (1916-1978), einer außergewöhnlichen Frau aus Rom. Seit ihrer Kindheit prägten übernatürliche Ereignisse ihr Leben. Bereits im Jahr 1937 begegnete ihr an der Grotte von Tre Fontane, an der auch Bruno Cornacchiola seine Erscheinung hatte, die Gottesmutter und kündigte an: „Ich werde hierher zurückkehren und mich eines Mannes bedienen, der heute die Kirche bekämpft und den Heiligen Vater umbringen will.“ Danach forderte die Mutter Gottes Luigina auf: „Geh jetzt in den Petersdom. Dort wirst du eine Frau finden, die … gekleidet ist. Sie wird dich zu ihrem Bruder, einem Kardinal, führen. Ihm sollst du meine Botschaft überbringen. Hier, an diesem Ort, werde ich in Rom den Thron meiner Herrlichkeit errichten. … Sage dem Kardinal, dass er bald der neue Papst sein werde.“ Luigina erfüllte den Auftrag und fand im Petersdom eine Frau, die genau so gekleidet war, wie sie Maria beschrieben hatte. Es war Marchesa Pacelli, die Schwester von Kardinal Eugenio Pacelli. Luigina wurde zu ihm geführt und teilte ihm alle Wünsche der Gottesmutter mit. Beim letzten Satz blickte er Luigina an und sagte, indem er jedes Wort betonte: „Wenn es Rosen sind, werden sie blühen.“ Am 2. März 1939 wurde er zum Papst gewählt und nannte sich Pius XII.

Während des Marianischen Jahres 1954 hielt er eine Ansprache an die Kranken in aller Welt. Dabei legte er ein öffentliches Zeugnis für Luigina Sinapi ab: „Nicht immer begegnen wir widerspenstigen Seelen, die unter der Last der Schmerzen schimpfen. … Es gibt, Gott sei Dank, auch Seelen, die sich dem Willen Gottes ganz hingeben, Seelen, die sogar nach dem Leiden verlangen. Eine solche lernten Wir eines Tages im strahlenden Heiligen Jahr kennen, als Unsere Kinder besonders zahlreich aus allen Teilen der Welt herbeieilten. Es handelte sich um eine zwanzigjährige Frau von einfacher Herkunft, die vom Herrn die Gabe einer außerordentlichen Frische und Reinheit erhalten hatte. Alle fühlten sich von ihr angezogen, denn sie verbreitete die Atmosphäre eines unbefleckten Lebens. … Eines Tages empfing sie den Leib Jesu und bat den Herrn in einem Ausbruch der Selbstlosigkeit, ihr alle Schönheit und sogar die Gesundheit zu nehmen. Gott erhörte ihre Bitte und nahm das Opfer zur Rettung der Seelen an. Wir wissen auch, dass sie noch lebt. … Ihr Antlitz lächelt stets, denn ihre Seele ist von Friede und Freude erfüllt.“ Es besteht kein Zweifel daran, dass Pius XII. hier von Luigina Sinapi sprach, die ihn bei dieser ersten Begegnung 1937 auf die Marienerscheinungen in Tre Fontane vorbereitet hatte. Schon zehn Jahre zuvor wusste der Papst über alles Bescheid.

Du musst ein Heiliger werden!

Welche Rolle die geheime Botschaft der Gottesmutter an Pius XII. letztendlich für sein Pontifikat (1939-1958) gespielt hat, wird immer ein Geheimnis bleiben. Doch stellte die Verkündigung des Glaubenssatzes von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel am 1. November 1950 den Höhepunkt seiner lehramtlichen Tätigkeit dar. Vor der Dogmatisierung wurde der ganze Weltepiskopat befragt. Und sicherlich leistete auch Bruno Cornacchiola seinen Beitrag zu diesem Schritt.

Der hl. Paulus hatte die Christen bis aufs Blut bekämpft. Er hielt sich streng an die Schrift und war überzeugt, dass diese neue Sekte eine Gefahr für das ganze Volk Israel darstellte. Doch auf dem Weg nach Damaskus wurde er vom Licht aus der Höhe getroffen und von Jesus Christus gefragt: „Warum verfolgst du mich?“ Der Herr selbst verwandelte ihn, führte ihn zur Taufe und machte ihn zum größten Völkerapostel der Kirche.

Bruno Cornacchiola war überzeugt, dass die katholische Kirche vom wahren Glauben abgefallen ist. Den Papst betrachtete er als den schlimmsten Feind der Menschheit. So wollte er den Papst und die katholischen Priester umbringen. In seinen Agitationen bekämpfte er vor allem die Mariendogmen. Als er mit Hilfe der Bibel eine besonders scharfe Publikation gegen die Gottesmutter vorbereiten wollte, wurde auch er von einem Licht aus der Höhe getroffen und Maria sagte zu ihm: „Du verfolgst mich. Nun reicht es! Betritt den Schafstall, den himmlischen Hof auf Erden.“ Sie bediente sich seiner ausgerechnet dafür, an der Vorbereitung eines neuen Mariendogmas mitzuwirken.

Dem bekannten Buch von Msgr. Dr. Fausto Rossi über die Marienerscheinungen in Tre Fontane erteilte Bischof Arnoldo Onisto von Vicenza (1971-1988) nicht nur das Nihil obstat, sondern drückte im Vorwort (15. August 1983) seinen „herzlichen und aufrichtigen Dank“ für dieses Werk aus und wünschte der „Arbeit eine große Verbreitung“. Über Bruno Cornacchiola schrieb er: „So ist im Herzen der Christenheit, nahe dem Ort, wo Paulus, der zum Apostel gewordene Verfolger, seinen Märtyrertod erlitt, ein anderer Feind der Kirche durch den Eingriff der Jungfrau Maria zum Verkünder des Wortes Gottes geworden.“

Zu Papst Pius XII. sagte Bruno Cornacchiola am Ende seiner Begegnung im Jahr 1949: „Heiligkeit, morgen will ich in die kommunistische Region Emilia Romagna fahren. Die dortigen Bischöfe haben mich eingeladen, eine Missionsreise zu machen. Ich soll von der göttlichen Barmherzigkeit sprechen, die mir durch die allerheiligste Jungfrau zuteil geworden ist.“ Der Papst antwortete: „Gut! Das freut mich. Mein Friede begleite dich in das kleine italienische Russland!“

1978 traf Bruno Cornacchiola mit Papst Johannes Paul II. zusammen. Dieser sagte zu ihm: „Du hast die Muttergottes gesehen, deshalb musst du ein Heiliger werden!“ Nach einem Leben voller Hingabe an seine missionarische Sendung starb Bruno Cornacchiola heiligmäßig vorbereitet am Freitag, den 22. Juni 2001.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Neuen Kommentar schreiben

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder! Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare gegebenenfalls nicht für die Veröffentlichung freizugeben oder in Abstimmung mit den jeweiligen Autoren zu kürzen.