Die Logik der göttlichen Vorsehung

Wie kommen wir als gläubige Christen mit der Erdbeben-Katastrophe in Haiti zurecht? Wie können wir den zunehmenden Hass auf die Kirche verstehen? Wie reagieren wir auf das böse Spiel der Politik in Europa und der ganzen Welt? Weihbischof Dr. Andreas Laun bringt in Erinnerung, dass Gott aus Bösem Gutes machen kann. Um seine Pläne zu verwirklichen, benützt er auch das Böse und stellt es sogar in den Dienst des Guten.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Gespür für die Vorsehung Gottes

Allen Religionslehrern, vor allem denjenigen, denen keine guten Bücher zur Verfügung stehen, rate ich, ja ich möchte sie dringend bitten: Sorgt dafür, dass die Kinder all die Geschichten der Bibel wirklich kennen lernen! Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich als Beispiele: die Erschaffung der Welt, vor allem die der Menschen und die traurige Geschichte vom Sündenfall, den Turmbau von Babel, die Sintflut, Kain und Abel, David und Goliath, Daniel in der Löwengrube… und viele andere Erzählungen, natürlich auch die Geschichten, die Jesus erzählte von den „zwei Söhnen“, von Lazarus und dem reichen Prasser! Zu beachten ist dabei: Nicht einmal die Geschichte von David und Goliath oder auch die von Judith wenden sich an Fantasie oder die Lust an Kampf und Sieg, immer geht es dabei um Gott, Gottes Gegenwart, Gottes Hilfe, Gottes Vorsehung!

Gott benützt das Böse für das Gute

Erwähnenswert ist auch: Alle diese Geschichten gehören zur europäischen Allgemeinbildung, viele sprichwörtliche Formulierungen versteht man überhaupt nur, wenn man die biblische Geschichte kennt: die Rede von einem „Samariter“ etwa oder vom „Werfen des ersten Steines“ sowie das Fremdwort von einem „Menetekel“!

Ausgelassen habe ich bei dieser Nennung einiger Beispiele die besonders dramatische, für Kinder und für Erwachsene jeden Alters wichtige Geschichte vom „ägyptischen Josef“! Sie hat vor allem in schwierigen Zeiten der Geschichte – wann gab es nicht schwierige Zeiten in der Kirchengeschichte? – eine besondere Bedeutung, weil sie wie kaum eine andere den Satz des Origines bezeugt: Gott benützt auch das Böse, um Seine Pläne zu vollenden, um Gutes zu bewirken!

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken!

Man kann dabei unterscheiden: Gott lässt manchmal Dinge zu, die den Atheisten scheinbar „unwiderlegbare“ Argumente in die Hände spielen wie: „Wie kann es einen guten Gott geben, wenn er ein Erdbeben wie in Haiti zulässt?“ Allerdings, wenn diese Logik schlagend wäre, müsste man folgern: Ist die Existenz Gottes vereinbar mit dem Tod, wie und wo er auch eintritt? Denn jeden Tag sterben viele Tausende – und sind „genauso tot“ wie jene, die innerhalb von Minuten gleichzeitig ums Leben kommen! Zudem könnte man mit solcher Logik auch beweisen, dass es keine „guten Menschen“ geben kann, weil sie doch die grauenhaften Weltkriege und Auschwitz und viele, viele andere Verbrechen „zugelassen“ haben – Menschenwerke mit jeweils mehr Toten als diejenigen in Folge von Erdbeben und Tsunamis! Solche Gedanken können den Argumenten der Atheisten vielleicht ihr Gift nehmen, nicht aber hindern sie Christen zuzugeben, dass auch sie angesichts solcher Ereignisse „Gott nicht verstehen können“! Das hat allerdings auch niemand behauptet, im Gegenteil, die Gläubigen sind überzeugt von dem, was in der Hl. Schrift steht, wo Gott klipp und klar sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken!“ (Jes 55,8). Warum sollten wir verwundert oder gar verunsichert sein, wenn die Erfahrung bestätigt, dass es wirklich so ist: „Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken!“, wir verstehen Ihn nicht?

Zunehmender Hass gegen die Kirche

Heute sind wir, wer könnte dies nicht sehen, Zeugen eines neuen, ungeheueren Angriffs auf die Kirche, einmal mehr die Folge eines tief sitzenden Gotteshasses, den man wirklich nur als „Teufelsbeweis“ verstehen kann! Denn dieser Hass gegen das Heilige, nein, gegen „den Heiligen Israels“, ist rational nicht verstehbar: Wieso hassen Menschen einen Gott der Liebe, an den sie behaupten nicht zu glauben und der für sie ein freundliches Märchen sein müsste? Wieso dehnen sie ihren Hass auf diejenigen aus, die an diesen Gott glauben? Und wieso hassen sie Ihn sosehr, dass sie ihrem Hass sogar ihr eigenes Wohlergehen opfern, ihre eigene Zukunft? Man denke an die im Kampf gegen das Christentum und im Ziel des Hasses vereinten Bewegungen: pro Abortion, pro Homosexualität, pro Gender-Mainstreaming, pro Euthanasie, pro Embryonenforschung – und folgerichtig gegen die Kirche, gegen Familie, gegen die Freiheit, gegen wirkliche Selbstbestimmung der Menschen, besonders gegen die der Frauen, während man ihnen gleichzeitig einredet, es ginge um ihr Wohl! In all diesen Strömungen steckt das Nein nicht nur zu Gott, sondern auch zum Menschen und seinem wahren Wohl!

Irrationale Begünstigung des Islam

Zur Irrationalität des Kampfes gehört auch: Während man die Kirche niederzumachen sucht, wo immer es geht, fördert man den Islam, eine Religion, die, so möchte man meinen, den Kirchenkritikern weit mehr Sorge bereiten müsste als jede andere Religion! Aber nein, man hat den Eindruck, es wiederholt sich ein altes böses Spiel, wie es in Europa auch früher gespielt wurde: Wie früher ein „christlicher“ König die Muslime unterstützte, um seinem ebenso christlichen und königlichen Bruder zu schaden, so ähnlich auch heute: Lieber den Koran, was immer er lehrt, als das verhasste Christentum, von dessen Werten und Kulturdenkmälern man lebt!

Nur Gottes Pläne haben Zukunft

Ein Tor, der angesichts solcher Entwicklungen nicht besorgt wäre. Man kann darüber auch lange diskutieren, aber es würde sich empfehlen, man liest zuerst die Josefsgeschichte und macht sich ihre Botschaft zueigen: Gott setzt Seinen Plan durch gegen mörderische Brüder, gegen brutale Sklavenhalter und gegen mächtige Pharaonen! Gott zeigt, wie Er aus Bösem Gutes machen kann, Er hat es auch später immer wieder „genauso“ gemacht, und wir haben allen Grund zu denken: Er wird es weiterhin so machen! Heute wirklich auch so? Ja, weil Gott Gott ist, heute wie damals, unabhängig davon, was neue und alte Atheisten darüber denken! Sie sollten sich beeilen mit dem Denken, denn für sie gilt der Psalm (37,35-39): „Ich sah einen Frevler, bereit zu Gewalttat; er reckte sich hoch wie eine grünende Zeder. Wieder ging ich vorüber, und er war nicht mehr da; ich suchte ihn, doch er war nicht zu finden! Achte auf den Frommen und schau auf den Redlichen! Denn Zukunft hat der Mann des Friedens. Die Sünder aber werden alle zusammen vernichtet; die Zukunft der Frevler ist Untergang.“ Auch dieses Schriftwort hat sich oft und oft erfüllt, an Großen und an Kleinen, es wird sich immer wieder erfüllen, auch an den Gottes- und Menschenfeinden unserer Tage! Einsehen werden es nur wenige, erleben werden es alle!

Die Kirche und die Kinder

Der bekannte Theologe und Psychotherapeut Manfred Lütz veröffentlichte am 11. Februar in der F.A.Z. einen äußerst aufschlussreichen Beitrag zu den Missbrauchsfällen in Deutschland. Seine Stellungnahme wurde auch vom L’Osservatore Romano und anderen Medien wiedergegeben. Lütz bringt Aspekte in die Diskussion ein, die einen sachlicheren Zugang zur Problematik erlauben, als es derzeit in den meisten Kommentaren der Fall ist. Er bringt zum einen das gesellschaftliche Umfeld zur Sprache, das sich bislang weigert, auch an die eigene Brust zu klopfen, zum anderen geht er dem ständig wiederkehrenden Hinweis auf den Zölibat nach. Die Art und Weise, wie nun „die katholische Kirche isoliert als Sündenbock“ gebrandmarkt werde, betrachtet er als „unverhohlenen Missbrauch des Missbrauchs“. Ein mutiges Plädoyer für die Kirche, ohne schönzureden.

Von Manfred Lütz

Sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch katholische Geistliche ist ein besonders abscheuliches Verbrechen. Denn ein Priester befindet sich dem Opfer gegenüber in einer Vaterrolle, so dass der Tat etwas Inzestuöses anhaftet.

Auf diese Weise kann das Grundvertrauen in die Verlässlichkeit menschlicher Beziehungen verlorengehen, und es darf gerade der Kirche nicht gleichgültig sein, wenn damit auch das Vertrauen in Gott zerstört oder schwer erschüttert wird.

Nun hat die Deutsche Bischofskonferenz im Jahre 2002 Leitlinien erlassen, nach denen alle Diözesen ein klares Prozedere eingeführt haben. Es wurden Ansprechpartner für Opfer ernannt, Expertengremien eingesetzt, die führenden deutschen Fachleute für Gutachten eingeschaltet. Die Religionszugehörigkeit der Experten spielte dabei keine Rolle. Vor zwei Jahren wandte sich das Erzbistum Köln von sich aus an die Öffentlichkeit, da Anschuldigungen gegen einen verstorbenen Pfarrer bekanntgeworden waren, und bat weitere Opfer, sich zu melden. Mit Erfolg. Auch die engagierte Offenheit der Presse gegenüber, die jetzt der Leiter des Berliner Canisiuskollegs an den Tag legte, entsprach dieser Linie.

Ein Ersatzobjekt des Protestierens

Reduziert man das derzeitige aufgeregte Rascheln im deutschen Blätterwald auf seinen Kern, so zeigen die jetzt bekanntgewordenen Altfälle aus den siebziger und achtziger Jahren nur erneut, wie wichtig die vor einigen Jahren getroffenen Maßnahmen sind. Wirkliche Neuigkeiten sind das nicht. Es hat sozialpsychologische Gründe, wenn dennoch die öffentliche Aufregung alle Grenzen sprengt. In unserer „vaterlosen Gesellschaft“, die Alexander Mitscherlich voraussah und in der jeder die normsetzende und in die Geschichte einführende Aufgabe, die Freud dem Vater zuschrieb, weit von sich weist, wächst der katholischen Kirche eine wenig attraktive Rolle zu. Im Vakuum, das die „innere und äußere Abwesenheit der Väter“ hinterlassen hat, laufen Pubertät und Protest ins Leere.

Die Achtundsechziger hatten im damaligen Bundeskanzler Kiesinger einen Ersatzvater aus dem Bilderbuch. Heute weichen Politiker demoskopiegestützt jedem Protest aus und wären nötigenfalls bereit, sich einer Protestdemonstration gegen sich selber anzuschließen. Auch den Vater Staat gibt es also nicht mehr. Vor allem die obrigkeitsfrommen Deutschen, denen ihre Kaiser und Führer ein für alle Mal abhandengekommen sind, umschleichen diese Leerstelle und haben in der katholischen Kirche ein Ersatzobjekt des Protestierens gefunden. Dass an der Spitze dieser Kirche auch noch Männer stehen und ganz an der Spitze ein Heiliger Vater, erleichtert die Projizierung aller nichtgelebten Vaterkisten, aller nachgeholten Pubertät, allen nicht addressierbaren Protestes auf eine Institution, die sich zu Normen bekennt und ihre historische Identität nicht leugnet.

Sex ist das Lieblingsthema der Pubertät, und pubertär wirken tatsächlich nicht selten die Debattenbeiträge von sonst ganz erwachsenen Zeitgenossen, wenn es gegen die Kirche geht. Da ist manch einem selbst die alte Machothese „Sex muss sein“ nicht zu schade, um den Zölibat anzugreifen. Vor allem aber eignet sich die katholische Kirche für uns Deutsche bestens dafür, uns von unserer historischen Verantwortung zu dispensieren. Als Papst Johannes Paul II. in Yad Vashem ergreifende Worte fand, die in Israel selbst und auch in Amerika tief beeindruckten, da waren es vor allem Deutsche, die ihm vorwarfen, er hätte sich für den Holocaust klarer entschuldigen müssen. Man stelle sich vor: Der polnische Papst, selbst Opfer deutscher Okkupation, wird von Deutschen aufgefordert, sich für deutsche Schuld heftiger zu entschuldigen! Difficile est satiram non scribere.

Unverhohlener Missbrauch mit dem Missbrauch

1970 erklärte der angesehene Sexualwissenschaftler Eberhard Schorsch unwidersprochen bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag: „Ein gesundes Kind in einer intakten Umgebung verarbeitet nichtgewalttätige sexuelle Erlebnisse ohne negative Dauerfolgen.“ Die linke Szene hätschelte die Pädophilen. Bevor sich Jan Carl Raspe in die RAF verabschiedete, pries er 1969 im „Kursbuch“ die Kommune 2, in der Erwachsene Kinder gegen deren Widerstand zu Koitierversuchen brachten. Bei den Grünen gab es 1985 einen Antrag auf Entkriminalisierung von Sex mit Kindern, und noch 1989 erschien im renommierten Deutschen Ärzteverlag ein Buch, das offen für die Erlaubnis von pädosexuellen Kontakten warb. In diesen Zeiten wurde insbesondere die katholische Sexualmoral als repressives Hemmnis für die „Emanzipation der kindlichen Sexualität“ bekämpft.

Erst Ende der achtziger Jahre haben dann vor allem feministische Beratungsstellen zu Recht klargemacht, dass es keine gewaltfreien sexuellen Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen gibt. Freilich war es dabei nicht immer einfach, zwischen Bagatellisierung und Skandalisierung einen angemessenen Weg zu finden. Dann ergriff die Welle auch die katholische Kirche, und manche ihrer Vertreter verstanden die Welt nicht mehr. Hatten die Pädophilieentkriminalisierer sie gerade noch ob ihrer rigiden unmodernen Moral lächerlich gemacht, sollten sie jetzt plötzlich wegen ihrer Laschheit die eigentlichen Übeltäter sein.

Auch in der derzeitigen Debatte wird gewöhnlich der gesellschaftliche Kontext ausgeblendet und die katholische Kirche isoliert als Sündenbock für all die abseitigen und skandalösen Träume vom Kindersex gebrandmarkt, die in alternativen Kreisen vor vierzig Jahren geträumt wurden. Kirchenkritiker und auch manche Kirchenvertreter ergreifen die willkommene Gelegenheit, ihre üblichen Platten aufzulegen: Die kirchlichen Strukturen, die Sexualmoral, der Zölibat seien schuld. Doch das ist nichts anderes als unverhohlener Missbrauch mit dem Missbrauch, vor allem aber gefährliche Desinformation, die Täter schützt.

Die Kombination von Sakralität, Sexualität und Kindergesichtern

Die Wahrheit ist, dass alle Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, Menschen anziehen, die missbräuchlichen Kontakt mit Minderjährigen suchen. Das gilt für Sportvereine, Einrichtungen der Jugendhilfe, und natürlich auch für die Kirchen. Einer der führenden Experten in Deutschland, Hans-Ludwig Kröber, sieht keinerlei Hinweis darauf, dass zölibatäre Lehrer häufiger pädophil seien als andere. Leider hat die Wissenschaft noch keine Screeningmethoden entwickeln können, mit denen man solche Menschen herausfinden kann. Es bleiben also nur die verantwortungsvolle Beobachtung und die schnelle Reaktion bei Auffälligkeiten. Da sind die Strukturen der Kirche sogar hilfreich. Sie kann vernetzter und professioneller reagieren als ein örtlicher Sportverein. Andererseits wird aber über den missbrauchenden Jugendwart in Niederbayern bloß im Lokalteil der örtlichen Zeitung berichtet, handelt es sich aber um den Pfarrer, gibt es bundesweite Schlagzeilen. Zu Recht, weil es ein schwereres Verbrechen ist. So entsteht freilich ein verzerrtes Bild über die Häufigkeit.

Außerdem sorgt die Kombination von Sakralität, Sexualität und Kindergesichtern naturgemäß immer für besondere Aufmerksamkeit. Was immer man schließlich von der katholischen Sexualmoral halten mag, sie war jedenfalls auch in Zeiten der Verharmlosung von Pädophilie für jeden, der sich daran hielt, ein Bollwerk gegen Kindesmissbrauch. Und den Zölibat in diesem Zusammenhang zu nennen, ist besonders verantwortungslos. Auf einer Tagung 2003 in Rom erklärten die international führenden Experten – alle nicht katholisch –, es gebe keinerlei Zusammenhang dieses Phänomens mit dem Zölibat.

Von allen guten Geistern verlassen

Freilich gehört der Hinweis auf den Zölibat nicht selten zu den verlogenen Entschuldigungsstrategien der Missbraucher. Das Geschäft der Täter betreibt man, natürlich unbeabsichtigt, auch, wenn man jetzt in „Selbstgeißelungs-Furor“ (Kröber) verfällt und die Karikatur des alten Jesuitenmythos – Geheimnistuerei, intensive „Einzelbearbeitung“ – wiederaufleben lässt und als mögliche Ursache nennt. Natürlich sind alle Eins-zu-eins-Kontakte immer durch Missbraucher instrumentalisierbar. Zehn Prozent der Psychotherapeuten überschreiten irgendwann einmal die Grenze zum Missbrauch. Aber so wenig die Psychotherapie selbst für den Missbrauch verantwortlich ist, so wenig ist es ignatianische Seelsorge – auch an Schülern.

Man muss ohne Scheuklappen die Erkenntnisse der Wissenschaft nutzen, sichernde und vorbeugende Maßnahmen ergreifen und für Transparenz sorgen. Jeder Bischof, der heute noch auf diesem Feld irgendetwas unter den Teppich kehren wollte, müsste von allen guten Geistern verlassen sein. Uns Deutschen aber ist zu wünschen, dass wir endlich den Mut besitzen, bei diesem ernsten Thema auf die üblichen Projektionen zu verzichten und die lange Zeit betriebene Verharmlosung von sexuellem Kindesmissbrauch in der gesamten Gesellschaft als einen Teil von unser aller Schuld anzunehmen. Ein Beispiel nehmen kann man sich da an Eberhard Schorsch, der sich 1989 von seiner leichtfertigen Aussage von 1970 öffentlich distanzierte.

Manfred Lütz ist Psychiater und Theologe. Seit 1997 leitet er das Alexianer-Krankenhaus in Köln. Zuletzt erschien von ihm „Irre! Wir behandeln die Falschen – Unser Problem sind die Normalen. Eine heitere Seelenkunde“ (2009).

© Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.2.2010.

Erkennung von Pädophilie und Hilfe

Der elsässische Allgemeinmediziner und Psychotherapeut (Kognitive Verhaltenstherapie) Dr. med. Wolfgang B. Lindemann ist durch seine klinische Tätigkeit mit dem Problem der „Pädophilie“, des sexuellen Missbrauchs von Kindern, vertraut. Er legt grundlegende Fakten dar und erläutert, wie ein Fall von Pädophilie mit einiger Sicherheit erkannt werden kann, und vor allem, wie man persönlich zu Gunsten des betroffenen Kindes einzugreifen vermag. Sein Anliegen ist es, Kinder vor weiteren Übergriffen zu schützen und ihnen zu ermöglichen, ihre Erlebnisse besser zu verarbeiten und möglichst folgenlos zu überwinden. Dabei bietet er den Lesern an, in persönlicher Beratung Auskunft und Hilfestellung zu geben. Eine Orientierung auch auf dem Hintergrund der Missbrauchsfälle im kirchlichen Raum.

Von Wolfgang B. Lindemann

Nach mehrjähriger Tätigkeit als Vertreter in der Allgemeinmedizin konnte ich in einer einjährigen Anstellung als Assistenzarzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Erfahrungen mit der traurigen Form von Kindesmisshandlung sammeln. Außerdem zitiere ich eine mir bekanntgewordene interne Studie an allen 65 im letzten Jahrzehnt wegen sexuellen Missbrauchs in einer anderen Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelten jungen Patienten (von insg. 321).

Ein kompetentes Handeln zugunsten eines sexuell missbrauchten Kindes verlangt mehr als die Lektüre eines Artikels. Bereits das Erkennen eines solchen Falls gehört im Grunde in die Hände des Fachmannes, das sei vorausschauend gesagt: In Frankreich verbrachte kürzlich ein unschuldiger Familienvater mehrere unangenehme Tage in Untersuchungshaft, weil aufgrund einiger fehl gedeuteter Fotos eines Familienfestes übereifrige Nachbarn und Polizeibeamte in ihm einen Kinderschänder sahen; glücklicherweise klärte sich alles auf. Dieser Artikel soll also nicht dazu dienen, Pädophilie da zu sehen, wo sie nicht ist. Im Zweifel sollte man lieber abwarten und weitere Informationen sammeln, ehe etwa juridische Schritte eingeleitet werden.

Fakten über Pädophilie

Eine umfassende Darstellung von Ursachen, Arten und Folgen von sexuellem Kindesmissbrauch würde nicht nur den Rahmen dieses Artikels sprengen, sondern auch die Grenzen des berechtigten Schamgefühls der Leserschaft. Die entsprechenden Handlungen muten teilweise so widerlich an und erregen solch ein Gefühl der Verzweiflung und des Mitleids gegenüber den Opfern, dass es besser ist, sie hier nicht im Detail zu schildern.

Andererseits kann nur der einen Fall von Pädophilie erkennen, der mehr als nur elementare Grundkenntnisse besitzt; daher werden die pädophilen Akte, Täter- und Opferprofile, so widerlich bzw. so bestürzend sie auch sind, andeutungsweise geschildert werden müssen.

Als sexuellen Missbrauch bezeichnet man die Einbeziehung von Minderjährigen in sexuelle Aktivitäten, deren Funktion und Tragweite sie nicht überschauen können. Der Begriff „Missbrauch“ ist aus medizinischer wie christlicher Sicht problematisch, weil er indirekt sagt, es gebe auch einen gerechtfertigten „Gebrauch“ eines Kindes. Ich vermeide ihn nicht völlig, weil er eingeführt ist und kein anderes deutsches Wort bereitsteht. Sexuelle Misshandlung liegt vor, wenn diese unter Gewaltanwendung gegen den Willen des Kindes geschieht.

Zunächst sieben weit verbreitete irrige Meinungen über Pädophilie:

1. Pädophilie ist selten

Falsch. Jedes dritte Mädchen und jeder fünfte Junge erleben vor dem
18. Lebensjahr eine pädophile Handlung irgendeiner Form, auch wenn schwere, d.h. mit deutlichen Folgen für das Kind einhergehende Handlungen glücklicherweise deutlich seltener sind – in den USA geben etwa 5-10 Prozent aller Frauen an, inzestuöse Erfahrungen zu haben, die durchschnittlich über 2 bis 3 Jahre andauerten.

2. Opfer sexueller Misshandlung sind Jugendliche

Falsch. Die Pädophilieopfer sind meist zwischen 4 und 11 Jahre alt, 1/5 ist jünger als 6 Jahre. – Die 65 Kinder in der Abteilung waren zum Zeitpunkt der Tat zwischen 2 und 14 Jahre alt, im Mittel 6 1/2 Jahre.

3. Der Täter ist ein Unbekannter

Falsch. In 85 Prozent der Fälle kennt das Kind den Täter: ein Verwandter, ein Freund der Familie, ein Nachbar. Bei 40 Prozent der Kinder ist der Täter der eigene Vater. Nur 3 Prozent der Täter sind Frauen. – Unter den 65 Kindern in der Abteilung war kein einziges von einer Frau sexuell missbraucht worden.

4. Der Täter ist brutal und verletzt das Kind physisch

Falsch. Üblicherweise wird keine physische Gewalt angewendet. Der Täter verwendet vielmehr Überredung, Drohung, Bestechung. Allerdings hinterlässt derartige psychische Gewaltanwendung oft nicht minder schwere Folgen als physische Gewalt.

5. Die sexuelle Misshandlung ist ein einmaliger Vorgang, der sich nicht wiederholt

Falsch. In fast 90 Prozent der Fälle wird das Kind mehrfach missbraucht. Dem Täter gelingt es lange, das Kind zum Schweigen zu verpflichten, oft bis in die Pubertät.

6. Die pädophilen Handlungen geschehen im Wald, im Park oder auf Spielplätzen

Falsch. Sie geschehen meist im normalen Wohnmilieu des Kindes oder bei einem Verwandten oder Freund.

7. Das Kind erfindet die sexuelle Misshandlung

Falsch. In den allermeisten Fällen lügt das Kind nur, um die Fakten zu verkleinern oder zu verbergen, Kinder im Vorschulalter erheben praktisch nie falsche derartige Anschuldigungen, da sie dazu intellektuell noch gar nicht in der Lage wären; zudem wird der Missbrauch zuerst aus oft sehr eindrucksvollen Verhaltensauffälligkeiten des Kindes vermutbar. Größere Vorsicht muss man erst bei Heranwachsenden ab etwa 12 Jahren walten lassen. – Von den 65 Kindern in der Studie hatten nur 4 eine falsche Anschuldigung erhoben, die meist für den Erfahrenen aus dem Fehlen typischer Symptome vermutbar war.

 

Die hl. Maria Goretti war ein leider recht typisches Opfer sexuellen Missbrauchs:[1] Der Täter Alexander Serenelli kam als Sohn des Wohnungsnachbarn, der dieselbe Küche benutzte, aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Er begnügte sich erst nur mit Drohung bzw. Überredungs-versuchen und unerwünschten, aber noch nicht direkt sexuellen Berührungen einen Monat vor der Bluttat. Dies fand im häuslichen Milieu von Maria statt, die noch keine 12 Jahre alt war, und es gelang ihm, sie zum Schweigen zu bringen, ehe er sie einen Monat später in der elterlichen Wohnung ermordete. Sie schwieg aus Angst, den häuslichen Frieden zu stören – die Situation ihrer verwitweten Mutter und sechs Geschwister war schwierig und als älteste Tochter fühlte sie eine besondere Verantwortung – viele Kinder schweigen aus solchen – falschen – Schuldgefühlen. Ihre Heiligkeit zeigte sich in ihrem Widerstand „lieber sterben als sündigen“, den sie seinem Ultimatum „entweder Intimkontakt oder Tod“ entgegensetzte, sowie in der Vergebung, die sie sterbend ihrem Mörder gewährte.

Alexander Serenelli wiederum wies einige häufige Tätercharakterzüge auf: er war zu gehemmt, um sich erwachsenen Frauen zu nähern, lebte sozial isoliert und seine schwer depressive Mutter starb früh, so dass er vernachlässigt aufwuchs.

Was für Menschen werden zu Tätern? Solche, die sich von Kindern sexuell angezogen fühlen und das selber auch spüren, wohl etwa 1 Prozent der Bevölkerung. Viele von ihnen wissen um die Gefährlichkeit dieser Neigung und ihre moralische Verwerflichkeit und werden daher niemals zum Täter werden. Bei anderen dagegen sind moralische Hemmungen schwächer oder die Neigung zu stark – es ist interessant zu wissen, dass es jetzt am Universitätskrankenhaus Charité in Berlin eine eigene vorbeugende Therapie für solche Männer gibt. Unter dem Titel „Lieben Sie Kinder mehr als es ihnen lieb ist?“ wird Männern mit pädophilen Neigungen –besonders solchen, die noch kein Täter geworden sind – eine recht wirksame Vorbeugetherapie vorgeschlagen. Jeder Leser, der solche Neigungen in sich verspürt, ist eingeladen, an dieser Therapie teilzunehmen: www.kein-taeter-werden.de. Eine Neigung als solche ist noch lange keine Sünde – dazu gehört immer die Handlung und die freie Einwilligung. Viele Menschen haben Neigungen, die moralisch inakzeptabel sind, ob es nun Jähzorn, Freude an Pornographie oder Homosexualität ist, geben ihnen aber nicht nach. Im Gegenteil: der Kampf gegen eine solche Neigung ist ein Tugendakt!!

Erkennen von Pädophilie

Grundsätzlich kann sexuelle Misshandlung eines Kindes durch die Aussage des Kindes bemerkt werden oder, was gerade bei jüngeren Kindern der häufigere Weg ist, durch meist massive und oft plötzlich auftretende Auffälligkeiten im Verhalten des Kindes. In einzelnen Fällen können auch einmal körperliche Symptome wegweisend sein, wie Verletzungen im Intimbereich oder eine Geschlechtskrankheit.

Bei Kindern jeden Alters (vor der Pubertät) entsteht der Verdacht auf Pädophilie, wenn sie Kenntnis und Umgang mit der Geschlechtlichkeit zeigen, die deutlich nicht ihrem Alter entspricht. Dazu zählt die detaillierte, mit Worten beschriebene Kenntnis von Intimverkehr, sexualisiertes Verhalten wie lange Küsse auf den Mund oder genitale Partien oder Verführungsversuche an anderen Kindern oder Erwachsenen, außerordentliche Neugier über geschlechtliche Themen oder, besonders bei Jungen, besondere Furcht davor, homosexuell zu werden.

Häufig weigern sich Kinder, sich zu entkleiden (beispielsweise beim Sport oder Schulschwimmen), wollen keine Duschkabinen oder Toiletten betreten (= die Orte, an denen sie misshandelt wurden). Sie können außergewöhnliche Angst vor Männern haben und schließlich sind allgemeine Symptome einer Depression des Kindes wie Schlafstörungen in Form von Einschlaf- und Durchschlafstörungen oder Albträumen, Ängste, oder Schulschwierigkeiten häufig.

Dazu treten allgemeine Symptome, die auf das Vorliegen einer tief greifenden Traumatisierung des Kindes hinweisen:

Bei kleinen Kindern (bis 7-8 Jahre) treten Einnässen und Einkoten auf, Daumenlutschen oder Bettnässen, Nahrungsverweigerung oder erhöhte Nahrungskonsumation.

Bei älteren Kindern (ab 7-8 Jahre) kommt es häufiger zum Weglaufen, Vernachlässigung der eigenen Hygiene oder im Gegenteil übertriebene Sauberkeit. Die Ängste und depressiven Symptome können zu Selbstmordversuchen oder zu Alkohol- und Drogenkonsumation führen.

Solche Auffälligkeiten werden eine Befragung des Kindes veranlassen, ob „irgendetwas“ vorgefallen sei. Auffälligkeiten sind nützliche Hinweise, aber letztlich muss das Kind berichten, was geschehen ist. Darum folgen nun einige Grundregeln für das Gespräch mit einem möglicherweise (!) sexuell misshandelten Kind.

Aus juristischer Sicht ist es wichtig, dass jede Form von Beeinflussung unterbleibt. Fragen der Form „war es so“, „hat der Mann das und das getan“, „warst du in deinem Zimmer“, die eine bestimmte Antwort indirekt nahe legen, haben zu unterbleiben (sog. Suggestivfragen). Stattdessen sind offene Fragen zu wählen: „wie war es“, „was ist geschehen“, „wer hat was getan“, „wo warst du“. Fragen, die zum „Erfinden“ von Fakten anregen („wie könnte es gewesen sein“) sind aus nahe liegenden Gründen ebenfalls zu unterlassen (sog. Konjunktivfragen).

Die Befragung über die Fakten sollte nur ein- oder zweimal stattfinden, grundsätzlich nach der so genannten „Trichter-Technik“: zunächst allgemeine Fragen, die zunehmend präzisiert werden. Sehr Acht zu geben – und nicht ganz einfach! – ist auf das Vermeiden von indirekter Beeinflussung des Kindes: die positive Reaktion (Gestik, Mimik, Tonfall), wenn das Kind antwortet, was der befragende Erwachsene erwartet und umgekehrt (sog. Konditionierung): Es ist darauf zu achten, dass der Frager immer gleichmäßig freundlich, zugewandt und interessiert bleibt, um nicht das Kind indirekt zu beeinflussen. Der Einsatz anatomischer geformter Puppen, an denen das Kind zeigt, was ihm geschehen ist, sollte eher bei der Erstbefragung unterbleiben; beim späteren therapeutischen Bemühen um das Kind – nachdem es seine Aussagen bei der Polizei zu Protokoll gegeben hat – steht dem nichts mehr entgegen.

Das Bemühen um das konkrete Kind hat natürlich zuerst zum Ziel, diesem zu helfen, statt lediglich den Täter vor Gericht zu bringen. Es ist darum wichtig, dass schon eine erste Befragung für das Kind ein positives Erlebnis ist. Dabei ist es wichtig, dass der Erwachsene dem Kind glaubt, dem Kind klar sagt, dass das Geschehen nicht seine Schuld ist und dass er es sehr bedauert, aber froh ist, dass es davon erzählt und er dem Kind helfen will. Das Kind kann noch nicht bereit sein, den Namen des Täters zu nennen, daher sollte nicht gezielt danach gefragt werden.

Es ist nicht einfach, einem Kind in einer so schwerwiegenden Sache sofort aufs Wort zu glauben, auch wenn man weiß, dass Kinder bei pädophilen Akten fast nie lügen. Grundsätzlich ist die Glaubwürdigkeit je höher, je jünger das Kind ist und je stärker die oben angeführten Verhaltensauffälligkeiten sind. Darüber hinaus kann die Glaubwürdigkeit des Berichtes des Kindes abgeschätzt werden: der Bericht ist um so glaubwürdiger, als er detailreich ist, für Pädophilie spezifische Details enthält (z.B. genaue Schilderung der pädophilen Akte im einzelnen), wenn das Kind angibt, der Täter habe ihm verboten, davon zu sprechen, und wenn das ganze Geschehen in der alltäglichen Lebenssituation des Kindes verankert wirkt.

Ein besonders trauriger Aspekt ist, dass Kinder, die wegen anderer Probleme bereits auffällig sind, häufiger als „normale“ Kinder zusätzlich Opfer von Pädophilie werden. Teilweise ist der gemeinsame Grund das Ursprungsmilieu: wenn Eltern etwa ihren erzieherischen Auffälligkeiten aufgrund eigener Defizite nicht nachkommen können, so wird das Kind auffällig werden ... und aufgrund ebendieser Defizite werden die Eltern häufiger ein ebenfalls „defizitäres“ Umfeld haben, z.B. Freunde mit zweifelhaftem Hintergrund, die dann zu Tätern werden. In der mir bekannt gewordenen Studie an 65 Kindern kam über die Hälfte aus zerbrochenen Familien und etwa zwei Drittel aus einem solchen eindeutig defizitären familiären Milieu (im Sinne einer deutlich reduzierten elterlichen Fähigkeit, Erziehungsaufgaben wahrzunehmen; bei knapp der Hälfte der Kinder entstammte wenigstens ein Elternteil ebenfalls einem solchen Milieu). Selten manipuliert ein Elternteil das Kind zu falschen Pädophilie-Anschuldigungen gegen den anderen.

13 der Kinder hatten Eltern, die selber sexuell missbraucht worden waren, bei 15 war wenigstens ein Elternteil alkoholabhängig. Schließlich kamen nur 22 der 65 Kinder wegen des sexuellen Missbrauchs in Behandlung – alle anderen waren schon in der Kinderpsychiatrie bekannt, als zusätzlich die Pädophilie bekannt wurde.

Nicht immer liegt die Verantwortung – nicht unbedingt im Sinne einer moralischen Schuld, sondern mehr begriffen als „Vermeidbarkeit“ – bei den Eltern, auch nicht wenn die Eltern selber „seltsam“ handeln und ihre Erziehungsaufgaben nicht wahrnehmen; ich denke da an meinen Patienten, den 5jährigen Charly, der aufgrund schwerer elterlicher Erziehungsfehler wegen kindlicher Überaktivität in Behandlung war (die Mutter war mit 15 schwanger geworden von einem 12 Jahre älteren Mann, der wiederholt zu Haftstrafen verurteilt worden war). Eine Zeitlang wurde Charly in einer Gastfamilie untergebracht ... und in eben dieser Gastfamilie wurde er von dem „Gastvater“ sexuell missbraucht. Dazu können die Eltern nun wirklich nichts, mögen auch ihre Lebensweise und ihr Erziehungsstil verbesserungsfähig sein.

Ein solcher Fall, dass der Aggressor nicht aus dem unmittelbaren Lebensmilieu der Eltern kommt, sondern z.B. aus der weiteren Nachbarschaft, ist nicht selten; man könnte als Erklärung annehmen, dass verhaltensauffällige Kinder von Pädophilen als besonders „leichte“ oder „gefahrlose“ Opfer wahrgenommen werden. Ein Unglück kommt leider selten allein.

Reagieren auf Pädophilie

Zunächst geht es natürlich um die Abwendung von weiterer Gefahr für das Kind bzw. für andere Kinder (durch Erkennen und, soweit möglich, Therapie des Täters) sowie um die Sühnung des Verbrechens. Daher stehen beim Bekanntwerden der pädophilen Akte zunächst die juristischen Maßnahmen im Vordergrund: eine Anzeige nimmt jede Polizeidienststelle entgegen. Weitere Ansprechpartner sind Jugendamt oder Staatsanwaltschaft sowie Kinderschutzorganisationen;[2] auch die frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater oder die Vorstellung in der Poliklinik/ Ambulanz einer entsprechenden Klinik ist zu empfehlen – niemand kann mit diesem massiven Problem alleine fertig werden. Die Terminvereinbarung geschieht per Telefon, die Adressen finden sich in den „Gelben Seiten“ bzw. bei der Telefonauskunft. Wenn Zweifel besteht, ob die gefundene Klinik die nächstgelegene und damit „zuständige“ ist, einfach anrufen und danach fragen.

Wichtiger noch als der akute Schutz des Kindes und die strafrechtliche Ahndung des Verbrechens ist die Hilfe für das Kind, die Erlebnisse zu verarbeiten. Diese Hilfe lässt sich unterteilen in einen allgemeinen pädagogischen Umgang mit dem Kind – der sich nicht grundsätzlich davon unterscheidet, wie mit einem auf andere Weise misshandelten Kind umzugehen ist – und spezifischen, auf das Geschehen „Pädophilie“ abgestimmten Reaktionen. Die nachfolgenden Ratschläge sind auch für den medizinischen Laien praktizierbar.

Einige Hinweise zum allgemeinen pädagogischen Umgang: In Familie, Kindergarten oder Schulklasse sollte der normale routinemäßige Tagesablauf aufrechterhalten werden – das gibt dem Kind Sicherheit. Das Kind sollte bei sich bietender Gelegenheit gelobt werden, seine positiven Leistungen anerkannt werden – das baut sein Selbstvertrauen wieder auf. Wenn die Gefahr weiterhin besteht – z.B. bei unbekanntem, noch von der Polizei gesuchten Täter – sollten die anderen Kinder vorsichtig gewarnt werden: Sie sollten so viele Informationen erhalten, dass sie einen Täter erkennen und ihn meiden können ... aber nun doch nicht mehr, als es ihrem Alter entspricht.

Spezifische Hilfen für ein missbrauchtes Kind sind z.B. die folgenden Hinweise: das Kind loben und ihm menschliche Wärme zukommen lassen, aber es niemals ohne seine Erlaubnis berühren. Bei entsprechenden Gelegenheiten – Umkleideraum, Dusche etc. – unterstreichen, dass das Kind sich alleine aus- und anzieht und niemand das Recht hat, es dazu zu zwingen. Wenn das Kind sich nicht entkleiden will, es möglichst, d.h. sofern es die Situation erlaubt, nicht dazu zwingen; und möglichst sollte das Kind sich ohne Zuschauer entkleiden dürfen und sollen. Damit das Kind sein Selbstvertrauen wieder findet – und schlimmstenfalls einem erneuten Misshandlungsversuch besser widerstehen kann – sollte es auch ermuntert werden, auszudrücken wenn es etwas angenehm oder unangenehm findet und man kann mit ihm einüben, klar „Ja“ oder „Nein“ zu sagen: „Nein“ verlangt eine gerade Haltung, ernsten Gesichtsausdruck, die Hände unbeweglich an den Körperseiten und wird mit tieferer, entschiedener und lauter Stimme gesprochen. Dementsprechend ein „Ja“ mit einem Lächeln, dem Gegenüber entgegen gestreckten offenen Händen mit sanfter und heller Stimme.

Die Aufarbeitung des Geschehens ist mehr, als nur das Kind das Erlebnis immer und immer wieder berichten zu lassen; eine bessere Methode ist das Geschehen nachzuspielen, zum Beispiel mit Puppen, wobei ein wenig gelenkt werden kann, dass der Kriminelle im Spiel ein schlechtes Ende nimmt.

Schlussfolgerungen

Im heidnischen Griechenland war Pädophilie gesellschaftlich toleriert und Teil des Alltags, oft verbunden mit Homosexualität.[3]

Wenn die öffentliche Tolerierung, ja Billigung mit der christkatholischen Prägung der abendländischen Völker ein Ende fand – und sich mit dem Rückfall ins Heidentum wieder einstellt –, so doch leider nicht das Problem selber. Das Herz des Menschen ist hart, stellt Jesus Christus fest und die Folgen der Erbsünde, die Neigung zum Bösen (Konkupiszenz), verbleiben auch den Getauften. Die Patienten der Abteilung kamen aus dem Südosten des Département Vendée in Westfrankreich; bis zum Konzil nicht zuletzt als Erbe der Volksmissionen des hl. Ludwig Maria von Montfort eine der katholischsten Gegenden Frankreichs, in den Dörfern praktizierten in der Größenordnung 80 Prozent der Katholiken, der Bischof von Luçon erteilte bis etwa 1972 zweimal jährlich je etwa 30 Neupriestern die heiligen Weihen (heute ist das leere Seminar teils ein Cybercentrum, teils eine Bauruine und die unter 40-Jährigen praktizieren vielleicht zu 2 Prozent, aller bunten Plakate zum Trotz, auf denen das bischöfliche Ordinariat von „neuen Aufbrüchen“ schwärmt). 13 Kinder in der genannten Studie im gleichen geographischen Raum hatten ein Elternteil, das ebenfalls als Kind missbraucht worden war, weitere 3 einen Großelter. Pädophilie existierte leider auch in der offiziös katholischen Vendée – unter der Oberfläche und oft kaum bemerkt. Ein Onkel nahm seine kleine Nichte auf den Schoß, deren Rock und die „geographische“ Nähe erlaubten „unauffällig“ entsprechende Handlungen, mochte auch der Dorfpfarrer – was bei der damals noch durchweg gutkatholischen Geistlichkeit ohne weiteres vorausgesetzt werden kann – von der Kanzel gegen die Sünden wider die Reinheit wettern.

Der Kampf gegen Pädophilie hat neben der direkten Erkennung und Hilfe für die Opfer noch eine zweite Achse: gesellschaftliches Lobbying, wie es z.B. die DVCK (Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur) mit ihrer Aktion „Kinder in Gefahr“ betreibt: Protestbriefkampagnen, Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Sensibilisierung von Politikern und was die christliche Phantasie noch ersinnt. Ich denke, jedem katholischen Laien und vor allem jedem in der Seelsorge tätigen Geistlichen sollte dies ein Anliegen sein, an dem er nach seinen Möglichkeiten teilnimmt; das muss nicht viel Arbeit verlangen (es gibt zu viele wichtige Dinge, für die sich der Katholik einsetzen kann, und nicht jeder wird alles tun!), aber sicher kann jeder Laie ein- oder zweimal jährlich an einer Protestbriefkampagne oder einer Unterschriftenaktion teilnehmen, und jeder Geistliche entsprechende Aktionen hin und wieder seinen Schäfchen empfehlen. Normalerweise sollte dies Teil des pastoraltheologischen Lehrstoffes sein, aber dazu braucht es katholischere theologische Fakultäten, als wir sie heute haben. Es ist leider illusorisch zu meinen, es würde je eine Gesellschaft ohne Pädophilie geben; wie es auch in dieser Welt nie eine Gesellschaft ohne Ehebruch, Raub oder Mord geben wird – der Mensch ist zu sehr zur Sünde geneigt, nur wenige Menschen nehmen die Gnadenmittel der Kirche als Hilfe in Anspruch und der Teufel tut das Übrige, uns fallen zu lassen. Wir können aber lindern, in der Erwartung der besseren Welt, die mit der Wiederkunft Jesu Christi anbrechen wird.


[1] Nach Artur Riedel SJ: Maria Goretti. Märtyrin der Reinheit, Johannes-Verlag Leutesdorf, 11. Aufl. 1982, 42 Seiten; Vinzenz Ruef: Die wahre Geschichte von der hl. Maria Goretti, Miriam-Verlag, 11. Aufl. Jestetten 1992.
[2] Zum Beispiel die Organisation Hänsel & Gretel: www.haensel-gretel.de.
[3] Vgl. z.B. Xenophon: Anabasis, VII, 4, 6-11.

Niklaus von der Flüe und seine Ehefrau Dorothea

Pater Notker Hiegl wünscht sich sehnlich die Selig- bzw. Heiligsprechung von Dorothea, der Ehefrau des hl. Bruder Klaus. In seinem Artikel arbeitet er heraus, wie der Schweizer Nationalpatron sein Charisma nur in Einheit mit seiner Frau verwirklichen konnte. Ihrem „geistigen Mitgehen“ verdankt er seine eigene Entscheidung und seine Treue auf dem Weg der radikalen Nachfolge. Der Schritt in die Klause war nicht ein Ausbrechen aus der Ehe, sondern vielmehr eine Frucht ihrer ehelichen Verbundenheit und gegenseitigen Unterstützung. Als Benediktinermönch fühlt sich P. Hiegl mit dem hl. Niklaus auch durch dessen Geburts- und Sterbedatum verbunden; denn der 21. März ist der traditionelle Festtag des hl. Benedikt. Aus diesem Grund legte Papst Pius XII. bei der Heiligsprechung am 15. Mai 1947 auch den 25. September als offiziellen Gedenktag des hl. Bruder Klaus fest.

Von Notker Hiegl OSB

Unlängst besuchte ich Flüeli in der Schweiz. Untergebracht war ich im Dominikanerinnen-Kloster Bethanien in St. Niklausen auf der Nordseite des Ranft, zwei bis drei Kilometer Wanderweg von den Gnadenstätten des hl. Bruder Klaus entfernt. Der dort ansässige dominikanische Zweig wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für sog. „Magdalenen“ gegründet, das heißt für Frauen, welche sich der erbarmenden Liebe Jesu öffnen wollten. Im Gastflügel des Klosters war reges Leben von Tagungsgruppen, Teilnehmern an Schweige-Exerzitien und einer Industrie-Manager-Fortbildung. Neben Jakobusweg-Pilgern waren Weihbischof Heiner Koch aus Köln, sich erholende Ordensschwestern aus anderen Klöstern, Patres in Zivil und in Ordenstracht, Diözesangeistliche aus der Schweiz, aus Süddeutschland und aus Bayern, ein pensionierter Bundeswehr-Geistlicher, eine norddeutsche evangelische Pfarrerin mit ihrer Frauengruppe sowie Schweizer Katechetinnen und Pastoralreferenten anzutreffen, ein tägliches Kommen und Gehen. Und alle konnten am Chorgebet und an der Heiligen Messe des Dominikanerinnen-Konvents teilnehmen. Besonders beeindruckend ist die „Ewige Anbetung“ in der modernen Unterkirche. Den Mittelpunkt bildet die übergroße, weiß-leuchtende Hostie in einem gewichtigen Glas-Rad, ähnlich der Meditations-Mitte des bekannten Visionsbildes des hl. Bruder Klaus im Ranft.

Verehrung von Niklaus und Dorothea in Beuron

Schon 1955 wurde in Beuron von meinem Vorgänger, P. Philipp Diemer OSB, eine 35 cm kleine Statue des hl. Bruder Klaus in einer Nische hinter der Herz-Jesu-Grotte aufgestellt. Anfang der 80er Jahre wurde die Statue einfach gestohlen, vielleicht auch von einem Liebhaber mitgenommen. Seither stand die Nische leer. Neun Jahre danach (1989) fand ich einen „würdigen“ Ersatz. Der Steinmetz-Meister am Münster von Konstanz, Frieder Neitsch, fertigte eine neue Statue des Heiligen an, etwa eineinhalb Meter hoch. Das Besondere an diesem Kunstwerk aber besteht darin, dass die Frau des Heiligen, seine Dorothea, ebenfalls mit dargestellt ist. Ein Autokran hievte die acht Zentner schwere Doppelstatue in ein 40 m hohes Felsenriff des Donautals hinein. Die „Freiwillige Feuerwehr“ aus Beuron hatte den Platz schon vorher mit Treppen und Geländer sauber gestaltet. So steht nun Bruder Klaus (152 cm) im langen Büßergewand da, den Stab in der Rechten und links den Rosenkranz haltend. Dorothea (147 cm) befindet sich dicht hinter ihrem Mann. Beide bilden zusammen eine Einheit. Über dem langen Kleid trägt sie einen Schulterumhang, der auf der Brust durch eine Brosche zusammengehalten wird. Das Haupt zeigt eine aufrechte Haltung, nach durchgestandenem Kampf, die Hände in schlichter Hingabe gefaltet. Zwei eigenständige religiöse Persönlichkeiten, im „gemeinsamen Ja“ zum Willen Gottes. Und immer wieder brennen Kerzen davor und liegen Blumen zu ihren Füßen.

Papst Johannes Paul II. 1984 in Flüeli

Anlässlich einer Pastoralreise besuchte Papst Johannes Paul II. am 14. Juni 1984 die Wallfahrtsstätten des Schweizer Landespatrons Niklaus von der Flüe. Eine große, runde Gedenkplatte mit dem Bildnis der beiden Eheleute Klaus und Dorothea erinnert in der Kirche in Sachseln direkt neben dem Schrein, in welchem der Rock des hl. Bruder Klaus ausgestellt ist, an das Ereignis. Bei diesem Kunstwerk aber ist ein gewisser Spalt zwischen die beiden „hineingekeilt“, was mich etwas irritiert. Als kleiner, meditativ angehauchter, hie und da auch malender Benediktinermönch hätte ich lieber ein „trotz allem und im Tiefsten stimmendes“ verbindendes Glied hinein disponiert. Denn auch der Papst erwähnte in seiner Festpredigt auf dem Flüeli das Verbindende zwischen der Ehefrau des Eremiten vom Ranft und ihrem großen, bekannten Gemahl mit den Worten: „Seht, das ist Niklaus von Flüe, euer Landsmann! Vor 517 Jahren hat er um seiner Berufung willen seine Frau, seine Kinder, sein Haus, seine Äcker verlassen: Er hat die Worte des Evangeliums wörtlich genommen! In den Schweizer Kantonen hat sich sein Name eingeprägt: Er ist ein echter Zeuge Christi! Ein Mensch, der das Evangelium bis zum letzten Wort verwirklicht hat. Ehren wir auch seine Frau Dorothea: In einem durchlittenen Entschluss hat sie den Gatten freigegeben. Zu Recht trägt sie in den Augen vieler das heroische Lebenszeugnis des Bruder Klaus mit.“ Ohne eine so große Dorothea gäbe es keinen so großen Bruder Klaus!

Gemeinsames „Ja“ zum Willen Gottes

Niklaus von der Flüe hatte immer deutlicher erkannt, dass ihn Gott über seine öffentliche und private Tätigkeit hinaus für die Stille und noch viel mehr für das Gebet und die Buße haben wollte. Darum besprach er sich immer wieder mit seiner Frau Dorothea und mit seinen großen Kindern. Nachts stand er vom Ehebett auf, ging in die daneben liegende Wohnstube und rang kniend mit dem Willen Gottes. Er war Vater von zehn Kindern, fünf Buben und fünf Mädchen. Seine Sehnsucht, sich in die Einsamkeit zur Gottessuche und Gotteshingabe zurückzuziehen, wirbelte in der ansonsten sehr frommen katholischen Familie zunächst manchen Staub auf. „Bleib doch da, wir sind doch glücklich verheiratet, wir haben doch zehn liebe Kinder, wir haben uns doch unendlich lieb“, so mag Dorothea zunächst verständlicher Weise gefleht haben. Dennoch: In einem ebenso großen inneren Kampf und seelischen Einklang sagte sie schließlich ihr „Ja“ zum Willen Gottes. Als sie diesen für sich selbst ebenso wie für ihren Mann erkannt hatte, wob sie ihrem Klaus als Zeichen „ihres treuen geistigen Mitgehens“ auf diesem außergewöhnlichen Weg das Gewand der „büßenden Gottesfreunde“. Ohne Dorotheas „Ja“ wäre Niklaus nicht aufgebrochen. Mit ihrem „Ja“ verbrachte er nun die letzten zwanzig Lebensjahre unten im Ranft, vom kleinen Flüeliflecken nur zehn Gehminuten entfernt, in einer tiefen Schlucht nahe dem Familienhaus, welches er zur Hochzeit seiner lieben Dorothea erbaut hatte.

Leben aus der eucharistischen Fülle

Am Benediktustag, dem 21. März, wurde Niklaus im Jahr 1417 auf altererbtem Familiengut in Flüe geboren und im Nachbarort Kerns getauft (der Taufstein ist noch fragmentarisch erhalten). Wie seine Ahnen arbeitete er zuallererst als Bauer, der seinen Hofbesitz gut zu arrondieren wusste. Er machte sogar zahlreiche Entdeckungen und Segen bringende Umstellungen für die Bergbauernwirtschaft der Innerschweiz, einfach ein tüchtiger Mann in seinem Beruf. Täglich ging er den Weg zur Hl. Messe hinunter in die Pfarrkirche nach Sachseln, wo nun auch seine Reliquien in einem Silberschrein unter dem Hauptaltar ruhen. Als Opfer Christi galt ihm die Messfeier alles. Entsprechend groß war seine Ehrfurcht gegenüber jedem Priester, dem er begegnete. So sagte er, „es dünke ihm, als begegne er einem Engel“, weil durch den Priester dasselbe geschehe wie damals in Nazareth: Gott steigt auf die Erde in die Mitte der Menschen herab, um den Menschen die Fülle des Göttlichen zu bringen und sie so über alle Begriffe glücklich zu machen. Ganz im eucharistischen Christus lebend schaute er in tiefsinnigen Visionen wundersame Dinge. Biblisch-kirchlichen Charakter besitzt sein Meditationsbild mit den drei Strahlen von Gott her und auf Gott zu sowie mit den entsprechenden Erklärungsbildern. Einmal sah er ein großes Feld, auf dem die Menschen schwer arbeiteten. Manche fielen erschöpft auf die Erde. Inmitten des Feldes stand aber ein Brunnen mit drei goldenen Röhren: aus einer floss Wein, aus der zweiten Öl und aus der dritten Honig. Da hörte er die Stimme: „Klaus, sag den Leuten, sie sollen aus der eucharistischen Quelle trinken, dann werden sie satt sein!“ Als Einsiedler lebte er bis zu seinem Lebensende rund 20 Jahre nur mehr aus der Kraft dieser Quelle.

Literarische Quellen über Dorothea

Unter den Autoren der ältesten Quellen über Dorothea ragen zwei besonders hervor, der Chorherr Heinrich von Gundelfingen, der im Winter 1480/81, also sieben Jahre vor dem Tod des Einsiedlers, selber im Ranft gewesen war und die Gattin von Bruder Klaus als „gottesfürchtige, sehr fromme Frau“ bezeichnet hat, sowie der Jesuit Petrus Hugo, der 1636 das Leben von Bruder Klaus speziell auch unter dem Aspekt des „Heiligen Ehepaares“ dargestellt und Klaus und Dorothea mit „Heinrich und Kunigunde“ verglichen hat. Sehr einfühlsam zeichnen in heutiger Zeit Maria Dutli-Rutishauser und Ida Lüthold-Minder das Leben dieser beispielhaften Frau vom Flüeli romanhaft nach, vor allem aber auch der protestantische Hagiograph Walter Nigg. Erwähnt sei hier schließlich das verehrungsvolle Wort von Papst Pius XII. anlässlich der Heiligsprechung von Bruder Klaus: „Heute, in dieser feierlichen Stunde, verdient auch der Name seiner Gattin in Ehren genannt zu werden. Sie hat durch den freiwilligen Verzicht auf den Gemahl, einen Verzicht, der ihr nicht leicht wurde, und durch ihre feinfühlige, echt christliche Haltung in den Jahren der Trennung mitgewirkt, um euch den Retter des Vaterlandes und den Heiligen zu schenken.“ Ebenso machte sich Pfarrer Bruno Bernhard Zieger aus Heiligkreuzthal in den 70er bis 90er Jahren um die Verehrung des hl. Bruder Klaus und seiner Ehefrau Dorothea durch seine Vorträge und Exerzitien in Süddeutschland und in der Schweiz hoch verdient.

Die ganze Familie in Gott geborgen

Bruder Klaus wusste – auch durch das häufige Gespräch mit seinem Seelenführer –, dass er zu seinem Schritt ins „Elend“ – ins Ausland, das heißt, um für immer aus der Familie wegziehen zu können, die ausdrückliche Zustimmung seiner Frau benötigte. Ferner wussten beide Ehegatten, dass sie trotz äußerlicher Trennung dem Eheband treu bleiben würden. Als junger Mann war Klaus des Öfteren als Hauptmann mit dem Militär fürs Vaterland ausgerückt und der Ausgang der Feldzüge war auch immer mit Ungewissheit gezeichnet. Nun aber zog er aus, von Gott gerufen, gleichsam als Soldat Christi, ausgerüstet mit einer einzigen Waffe, dem Gebet. Auch hatte er für die Familie in materieller Hinsicht gut vorgesorgt, die Familie war wohlhabend. Die Butzenscheiben der Fenster im Geburts- wie Familienhaus sprechen beredt davon. Der jüngste Sohn, ebenfalls ein Nikolaus, beim „Fortgang“ des Vaters noch ein Baby, konnte später studieren und Priester werden, während die beiden ältesten Söhne, Hans und Walther, mehrmals – wie ihr Vater – das Amt des Landammanns und Richterposten bekleideten. Alle zehn Kinder erhielten von ihrer frommen Mutter Unterweisung in der christlichen Grundhaltung. Dieses Glaubensfundament übertrug sich auch auf die Enkel-Generation, aus der ein Sohn der Tochter Dorothee (gleichnamig wie die Mutter) nach ausgefülltem bürgerlichen Leben ebenso das Einsiedler-Dasein wählte, zunächst im Ranft, dann in der Bettelrüti ob Wolfenschiessen in Nidwalden. Gott die Mitte von allem.

Die bleibenden Nähe – Geschenk der Vorsehung

Die Familienmitglieder konnten jederzeit in den Ranft hinuntergehen, um beim Vater Rat und Ermutigung zu holen. Auf dem Kirchgang nach Sachseln führte ihn der Weg an seinem Familienhaus vorbei, wo er am Stubenfenster ohne weiteres ein Gespräch mit Dorothea führen und die herumspringenden Kinder liebkosen konnte. Das Haus betrat er aber nie mehr. Dies und seine ganze Habe, bis hin zu seinem Lieblingspferd, hatte er dem Herrn geschenkt. Einmal sah er in einer Vision, wie das Pferd eine Lilie fressen wollte. Und ihm war klar, dass die Reinheit seiner Berufung für ihn in der Hingabe aller weltlichen Güter bestand. Dorotheas Angst um das Wohlergehen des Mannes in der ungeschützten Fremde nahm Gott von ihr und beließ ihren Geliebten in ihrer Nähe, unten im Ranft. Beide, Bruder Klaus und Dorothea, haben in diesen zwanzig Jahren für den Kanton, für die ganze Schweiz ein prophetisches Zeugnis gegeben, während des Restes ihres Lebens das Versprochene heroisch durchgehalten, Hergeschenktes nicht wieder zurück genommen. Ohne dieses Opfer hätte es keinen Bruder Klaus, keinen Ranft und kurz vor einem Bürgerkrieg auch keine Versöhnung der Stände in Stans gegeben. Zwischen den beiden Eheleuten gab es kein Wort und keine Tat des Missverständnisses, nur geistliche Zusammenschau auf Gott hin und natürlich viele Tränen von Frau und Kindern, wie die Bilder im Wohnhaus der Familie künden, als er am Gallustag 1467, fünfzigjährig, seinen vermeintlich endgültigen Abschied nahm. Alles gab er auf, um Gott allein zu dienen. Und Dorothea gab nicht weniger auf und erhielt von Gott überraschenderweise die bleibende Nähe ihres Gemahls im Ranft zurück.

Übergang vom Wohnhaus zur Klause

Hans von Waldheim beschreibt 1474, also sieben Jahre nach dem Beginn des Eremitentums von Bruder Klaus, dessen Frau Dorothea Wyss als „suberliche junge frawe“, was zum einen ihre äußere Erscheinung betrifft, was sie zum anderen aber auch als tugendsam auszeichnet. Ferner stellte er fest, sie sei seinerzeit beim Abschied von der Familie mit Bruder Klaus voll und ganz einverstanden gewesen, dass er nun ein Einsiedlerleben beginne, das Leben eines „Gottesfreundes“. Auf dem Weg nach Basel in Richtung Elsass zu den „Gottesfreunden“ erhielt er eine göttliche Mahnung, wieder umzukehren. Abends kam er zurück zu seinem Anwesen und blieb in einem Kuhstall neben seinem Wohnhaus. Am Morgen stand er früh auf und ging ein Stück weit in den nahen Wald. Er trug Holz zusammen und deckte Kleinholz und Laub darüber und machte sich so eine Klause. „Als die Schweizer vernahmen, dass Bruder Klaus gewillt war, da sein Leben zu führen, fällten sie im Wald große Bäume und bauten dort eine Kapelle mit drei Altären und daran eine Klaus, wo er jetzt wohnt und ein heilig Leben führt“, so Hans von Waldheim. Bruder Klaus hatte seit dem Tag, da er von seiner Frau Abschied genommen, weder gegessen noch getrunken. Die Nahrungslosigkeit wurde von eidgenössischer wie von bischöflicher Seite aus überprüft. Weihbischof Thomas Wäldner von Konstanz ist Garant dafür. Die Hinwendung zu Menschen aller Gesellschaftsschichten, in allen Fragen der Ethik und der Politik, gesprochen durch das kleine Guckfenster seiner Zelle, wurde nun seine Mission.

Dorothea Wyss von Stalden

Von der Flüeli-Alm aus konnte der junge Bauer Niklaus über den Sarner See hinüber schauen und auf der Gegenseite die Höfe von Stalden erblicken. Als seine Eltern und Freunde ihn drängten, sich zu verehelichen, heiratete er eine brave wohlerzogene Jungfrau (so Georg Sigrist 1843). Dorothea Wißling (andere Schreibweisen sind Wyssin und Wyss) wurde seine Ehegattin. Sie war die Tochter eines alten angesehenen Geschlechts von Sachseln. Niklaus nahm sie aus Gottes Hand zur Gefährtin seines Lebens und führte mit ihr eine heilige und zufriedene Ehe. Niklaus hatte Grund, in seiner Frau ihre Demut, ihre fromme Einfalt, ihr ernstliches Streben nach Besserwerden und ihren gottergebenen hausmütterlichen Sinn zu lieben. Zehn Kinder waren der Segen dieser glücklichen Ehe. Zwei davon mögen früh gestorben sein, denn wir wissen von ihnen bloß, dass sie getauft wurden. Der waltende Segen Gottes ruhte auf Mann und Frau. Wenn wir heute nach Stalden kommen und die dortige moderne Dorfkirche besuchen, welche gekonnt an den älteren Kirchenbau hinzugebaut wurde, sehen wir auf dem Kirchenplatz den Dorfbrunnen, gekrönt mit einer gefühlvollen Bronzedarstellung von Klaus und Dorothea. In der Kirche selbst ist wiederum dieses „Heilige Paar“ dargestellt. Es handelt sich um eine überaus innige „Bruder Klaus und Dorothea Gruppe“, er bärtig, struppig mit sehendem Gesicht, sie an ihn eng angeschmiegt, demütig angetan mit einer Rautenschürze.

Vereint über den Tod hinaus

Krank wälzte sich Bruder Klaus sieben Tage lang auf dem Boden seiner Zelle. Er starb 70jährig, genau am 21. März, seinem vormaligen Geburtstag, am Tag des hl. Benedikts. Seine Ehefrau Dorothea überlebte ihn. Als sie an seinem Grab weinte, so erzählt Wölfin 14 Jahre nach Klausens Tod in der um 1500 verfassten Biographie, da sei ein Bote zu ihr getreten mit der Meldung, Klaus sei ihm auf dem Flüeli erschienen. Eine andere Überlieferung berichtet, Klaus sei unmittelbar nach seinem Tod da, wo jetzt auf dem Flüeli die Kapelle so erhaben erbaut ist, zuerst seiner Dorothea und sogleich noch dreien seiner Ortsnachbarn erschienen. Sein Grab befand sich zunächst in der Turmkapelle zu Sachseln, heute ist dort noch die doppelte Grabplatte zu sehen. 1669 fand die Seligsprechung und am 15. Mai 1947 die Heiligsprechung statt. Seither ruht er in einem Silberschein unter dem Hochaltar. An Dorothea erinnert heute eine äußerst schöne Bronzefigur beim Kirchturm: Dorothea und ihr Kläusli auf dem Arm, zwei weitere Kinder angeschmiegt rechts und links an ihrer Seite, gestiftet vom Schweizerischen Verband Katholischer Bäuerinnen, gefertigt 1991 von Rolf Brem. Zeichenhaft für die Verbundenheit des Ehepaars ist die Antwort, die der hl. Bruder Klaus einmal seiner Frau gab, als sie ihm vom Geschwätz Unbedachter berichtete: „Seit wann richtest du dich nach dem Gerede anderer?“ Sie dankbar erleichtert darauf: „Es ist Gottes Güte, dass du hier in meiner Nähe leben darfst.“ Ja, nur eines ist wichtig, dass das Herz in Gott ruht. Hl. Bruder Klaus, bitte für uns! Und hoffentlich auch in Bälde: Hl. Dorothea, bitte für uns!


„Schule der Liebe“ – Modell für Ehe- und Familienpastoral

„Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über!“ Das gilt für die neun Ehepaare, die an der „Salzburger Akademie für Ehe und Familie“ einen Kurs mit dem bezeichnenden Namen „Schule der Liebe“ abgeschlossen haben. Es handelt sich um eine zweijährige Ausbildung für Ehepaare zu sog. „Familienassistenten“. Die Teilnehmer vertiefen ihr Wissen über die christliche Ehe und Familie und versuchen, die erworbenen Erfahrungen in die Tat umzusetzen. Sie werden befähigt, Hilfestellung in Ehe- und Erziehungsfragen zu bieten und so ihren Schatz weiterzuvermitteln. Es ist zu wünschen, dass diese nachahmenswerte Initiative Verbreitung findet.

Von Franz und Monika Schöffmann

„Liebe ist uns als Potenzial gegeben. Damit sie sich entfaltet und wächst, dafür können wir etwas tun“, ist Kurt Reinbacher überzeugt. Der Mitarbeiter des Referates Ehe und Familie der Erzdiözese Salzburg hat auch aus diesem Grund die „Schule der Liebe“ gegründet und aufgebaut, eine zweijährige Ausbildung an der Salzburger Akadamie für Ehe und Familie. Vier Lehrgänge hat er schon geleitet, der vierte wurde kürzlich mit der Sendungsfeier von neun Ehepaaren zu „Familienassistenten“ abgeschlossen. „Ehe und Familie sind die Zukunft, sagt Johannes Paul II., in diese Zukunft wollen wir gehen“, gab ein erfreuter Weihbischof Andreas Laun aus.

Diese zwei Jahre sind eine „Schule der Liebe“ in all ihren Dimensionen. Das Themenangebot reichte an zwölf Fortbildungs-Wochenenden und in zwei Schulungswochen von praktischen Familienthemen (zum Beispiel Erziehung, Gespräch, Liebe und Fruchtbarkeit) über theologische Fragen (etwa die Sakramentalität der Ehe) bis zur methodisch-didaktischen Schulung (Erwachsenenbildung, Videotrainings). Ein Markenzeichen der Akademie sind die hervorragenden Referenten wie zum Beispiel Birgit und Corbin Gams über die „Theologie des Leibes“, Bärbel und Dennis Clackworthy über die Temperamentanalyse, Johanna Martin über Freiheit und Grenzen in der Erziehung, Familienbischof Klaus Küng über die Hauskirche, Christoph und Alexa Gaspari über „Vater- und Muttersein“, Daniel Kulovits über Versöhnung und Vergebung, Inge und Horst Obereder über Krisen in der Ehe. Der gesamte vierte Kurs wurde von einem Priester begleitet.

„In den beiden Kursjahren haben die Teilnehmer nicht nur viel für ihr eigenes Familienleben gelernt. Sie gewannen auch zunehmend Freude daran, anderen darüber zu erzählen, wie Ehe und Familie gelingen“, freut sich Akademieleiter Kurt Reinbacher. Papst Johannes Paul II. sei mit dessen Apostolischen Schreiben Familiaris consortio auf diesem Weg der wichtige Lehrmeister gewesen. Dessen Aussage, dass die Familie Herz und Zentrum einer Zivilisation der Liebe sei, hätten in diesen beiden Jahren alle erfahren dürfen. „Nicht zuletzt die Freude, mit der auch die Kinder teilnahmen, sind dafür der lebendige Beweis“. Die Kinder waren über die gesamte Kursdauer von einem Team liebevoll betreut worden.

Abschlussprüfung war für die Kursteilnehmer ein „Familiengespräch“ zu einem frei gewählten Thema, das sie auch bei der Sendungsfeier kurz vorstellten. Der Bogen reichte dabei von „Den Glauben im Alltag leben – zwischen Computer und Kochtopf“ über „Das Gespräch – der Weg ins Herz meines Ehepartners“ oder „Die moderne Beziehung – was unterscheidet Mann und Frau heute noch“, „Wellness einmal anders – Gebet und Sakramente als Kraftquellen für die ganze Familie“ bis zu „Vergebung – ein Pilgerweg des Herzens“.

„Es gehört zu den wichtigsten Anliegen unserer Zeit und wohl auch der Zukunft, die jungen Familien zu begleiten und ihnen beizustehen, damit sie ihre unersetzbare Aufgabe als wichtigste Schule des Lebens, der Liebe und des Glaubens erfüllen und als christliche Familie in den modernen Lebensverhältnissen bestehen können“, betonte Familienbischof Klaus Küng. Es sei ein Gebot der Stunde, denn „unsere Pfarren und Dekanate benötigen dringend Menschen, die gut im christlichen Glauben verwurzelt und mit den nötigen pädagogischen Kenntnissen ausgestattet zu dieser wichtigen Aufgabe befähigt sind.“ Weihbischof Andreas Laun sieht in der Akademie einen „missionarischen Gedanken“ erfüllt: „Teilen des Guten mit anderen, mit Freunden, mit denen, die Freunde im Glauben sind oder werden wollen.“

Die Absolventen stehen nun als Referenten, Verantwortliche für Familienfragen in der Pfarre, Ansprechpartner für Braut- und Ehepaare oder Leiter von Hauskreisen und Familienrunden zur Verfügung. Ende März beginnt die Salzburger Familienakademie mit dem zweijährigen Kurs erstmals in einem anderen Bundesland, in Niederösterreich. 2011 startet die Akademie erneut in Salzburg.

Information und Anmeldung bei Mag. Kurt Reinbacher, Tel: 0662-879613-11 oder 0676-3134767; E-mail: reinbacher@christlichefamilie.at

„Sonntags gehören Mami und Papi uns“

Europäische Online-Kampagne will freien Sonntag retten – MdEP Kastler startet Kampagne für erstes europäisches Bürgerbegehren

Der CSU-Europaabgeordnete Martin Kastler will mit dem ersten europäischen Bürgerbegehren den Sonntag europaweit als Ruhetag schützen. Dazu hat er am 10. Februar im Straßburger Europaparlament das Online-Kampagnenportal „Sonntags gehören Mami und Papi uns!“ vorgestellt.

Die EU-Kommission hat vor kurzem die Konsultation zur Ausgestaltung der europäischen Bürgerinitiative beendet. Kastler betont: „Dies ist unser Zeitfenster, um öffentlich zu zeigen, dass wir Bürger uns öfter einbringen wollen als nur zur Europawahl.“ Er fordert die Kommission deshalb auf, die Verordnung zur Bürgerinitiative schnell voranzubringen.

Mehr Demokratie wagen

 „Diese Aktion wird die direkte Demokratie in der EU stärken“, ist Kastler überzeugt. Er stellt fest: „Der Lissabon-Vertrag gibt uns durch die Einführung der Europäischen Bürgerinitiative erstmals die Möglichkeit, als europäische Bürger für ein Anliegen einzutreten. Diese Chance werden wir für den freien Sonntag nutzen!“

Unterstützer können sich ab sofort unter www.freiersonntag.eu registrieren. Kastler lädt ein: „Jeder, dem ein freier Sonntag und mehr direkte Demokratie wichtig sind, sollte sich schon jetzt eintragen.“ Es gehe darum, die Bürger besser einzubinden und mehr Demokratie zu wagen. Kastler hofft: „Bis zum offiziellen Startschuss soll die Kampagne so viel öffentlichen Druck aufbauen, dass uns keiner mehr ignorieren kann.“

Sonntag ist Familientag

 Für den 35jährigen Europaabgeordneten gehört der Sonntag zu Europa: „Der arbeitsfreie Sonntag ist ein Teil unserer europäischen Kultur. Er gibt uns Zeit für Familie, Ruhe, Begegnungen, Ehrenamt und Religion. Wie viel ärmer wäre ein Leben, das nur noch aus Werktagen bestünde!“

Der zweifache Familienvater verweist auf die Wichtigkeit des freien Sonntags für Kinder: „Am Sonntag sind Eltern für Kinder und Kinder für Eltern da.“ In Anlehnung an ein altes deutsches Gewerkschaftsmotto hat Kastler deshalb den Kampagnen-Slogan „Sonntags gehören Mami und Papi uns“ gewählt. Er fordert eine EU-Kinderstrategie: „Auch als Reaktion auf die alternde Gesellschaft müssen wir Europa zum kinderfreundlichsten Kontinent der Welt machen.“

Vor einem Jahr hatte Kastler mit vier weiteren Europaabgeordneten aus unterschiedlichen Ländern und Fraktionen bereits eine schriftliche Erklärung zum Schutz des arbeitsfreien Sonntags in Europa (Nr. 009/2009) ins Europaparlament eingebracht. Auch wenn damals die erforderliche Unterstützerquote von mehr als der Hälfte aller Abgeordneten verfehlt wurde, unterzeichneten die Erklärung damals doch 261 Abgeordnete.

Gute Erfolgs-Chancen

 Für seine neue Initiative sieht Kastler große Erfolgschancen: „Hinter dem Sonntagsschutz können sich Menschen aus den unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Lagern versammeln. Deshalb ist jeder Einzelne und jede Organisation in ganz Europa herzlich eingeladen, das erste europäische Bürgerbegehren zu unterstützen“, unterstreicht er.

Für weitere Informationen: Büro Straßburg, Tel. 0033-388177538

Kirche zur künstlichen Befruchtung

Wie beurteilt die katholische Kirche die künstliche Befruchtung beim Menschen? Dieser Frage geht Dr. François Reckinger nach. Immer mehr Ehepaare leiden unter Kinderlosigkeit. Oft stellt sie eine enorme psychische und existentielle Herausforderung dar, welcher auch gläubige Paare auf Dauer nicht gewachsen sind. Die Versuchung ist groß, auf medizinische Techniken zurückzugreifen, um sich das ersehnte Lebensglück zu verschaffen. Zur Orientierung legt Reckinger die Argumente vor, nach denen die Kirche in ihrer offiziellen Lehrverkündigung die künstliche Befruchtung beurteilt und moralisch bewertet.

Von François Reckinger

Nachdem in den achtziger Jahren die Möglichkeit und die Praxis der künstlichen Befruchtung allgemein bekannt geworden war, nahmen katholische Theologen sehr bald dazu Stellung. Von Anfang an wurde dabei von allen ein erheblicher Unterschied zwischen heterologer und homologer Besamung gemacht (d. h. zwischen der Befruchtung mit dem Samen eines fremden Mannes bzw. mit dem des eigenen Ehepartners). Alle waren der Überzeugung, dass die heterologe Befruchtung abzulehnen sei, einige meinten dagegen, die homologe Befruchtung als u. U. erlaubt ansehen zu können.

Das päpstliche Lehramt hat zu der Frage ausführlich Stellung bezogen, vor allem durch zwei Instruktionen der Kongregation für die Glaubenslehre (Glaubenskongregation): Donum vitae („Das Geschenk des Lebens“), von 1987,[1] sowie Dignitas personae („Die Würde einer Person“), von 2008.[2] Für die Eckdaten ihrer Darlegungen berufen sich die beiden Stellungnahmen auf Äußerungen nahezu aller Päpste von Pius XII. bis zu Benedikt XVI. – Auch hier wird ein deutlicher Unterschied zwischen homologer und heterologer Befruchtung gemacht: Letztere ist im Vergleich zur Erstgenannten entschiedener abzulehnen, denn sie „widerspricht … der Einheit der Ehe“, der „eigentlichen Berufung der Eltern und ebenso dem Recht des Kindes, dem es zukommt, in der Ehe und durch die Ehe empfangen und geboren zu werden“ (Donum vitae, II, 2).

Die homologe Befruchtung ist frei vom Eindringen eines fremden Mannes in die Ehe und von der bewusst in Kauf genommenen Trennung zwischen leiblicher und sozialer Vaterschaft – so dem Sinn nach die Wiedergabe einer Argumentation von evangelischen und katholischen Moraltheologen durch Johannes Reiter.[3]

Die Glaubenskongregation greift diese Argumentation nur kurz auf mit dem bereits zitierten Hinweis darauf, dass die heterologe Befruchtung u. a. auch gegen die Einheit der Ehe verstößt – was bei der homologen Befruchtung nicht der Fall ist. Aber auch diese, so heißt es, kann nicht als zulässig angesehen werden.

Das Hauptargument, das gegen beide Formen angeführt wird, bezieht sich auf die traditionelle kirchliche Lehre von den „Gütern der Ehe“, wie sie von Paul VI. in der Enzyklika Humanae vitae (1968) neu formuliert wurde. Gemäß dieser Lehre ist es „ethisch unannehmbar, die Fortpflanzung vom ganz personalen Kontext des ehelichen Aktes zu trennen: Die menschliche Fortpflanzung ist ein personaler Akt von Mann und Frau, der in keiner Weise delegiert oder ersetzt werden kann“.[4]

Zusätzlich dazu wird ein Nebeneffekt des Vorgangs angeführt, dessen In-Kauf-Nahme ein schwereres Vergehen darstellt als das beabsichtigte Vorhaben selbst: die Tatsache, dass für das Gelingen einer Befruchtung sehr viele Embryonen produziert werden müssen, von denen dann die „nicht gebrauchten“ dem Tod überliefert werden. Demgegenüber erklärt die Kongregation mit einem Zitat von Benedikt XVI.: „Die Liebe Gottes macht keinen Unterschied zwischen dem neu empfangenen Kind … und dem Kleinkind oder … dem Erwachsenen… Sie macht keinen Unterschied, weil sie in jedem von ihnen die Spur seines Bildes … sieht… Deshalb hat das Lehramt der Kirche ständig den heiligen und unantastbaren Charakter jedes Menschenlebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende verkündet“.[5]

Gewiss, es gibt keine absolute Sicherheit dafür, dass im Embryo ab der Empfängnis die von Gott geschaffene Geistseele, die ein Wesen zu einem Menschen macht, schon vorhanden ist. Aber es gibt gute Gründe, dies anzunehmen. Als spätere „Fixpunkte“, die dafür in Frage kommen, sind von Fachleuten vorgeschlagen worden: „die Einnistung der Frucht“ in der Gebärmutter; „der Ausschluss der Zwillingsbildung, die Bildung des Großhirns u.a.“.[6] Jedoch: Gewissheit ist hier für das moralische Urteil gar nicht erforderlich. Ein Lebewesen (außerhalb der gerechten Notwehr) wissentlich und willentlich töten darf man nur, wenn man sicher weiß, dass es kein Mensch ist. Und dieses Wissen ist im vorliegenden Fall mit Sicherheit nicht gegeben.

Wenn ich dennoch das zuerst besprochene Argument als das Hauptargument bezeichnet habe, dann deshalb, weil es sich bei der unzulässigen Produktion und Zerstörung überzähliger Embryonen, wie gesagt, um einen Nebeneffekt handelt, wie er dem heutigen Stand der Technik entspricht. Würde dieser Effekt infolge weiteren technischen Fortschritts eines Tages entfallen, so wäre das Verfahren aufgrund des Hauptargumentes nach der dargestellten kirchlichen Lehre dennoch als moralisch unzulässig zu bewerten.

Bejaht und anerkannt werden dagegen „Techniken, die sich als Hilfe für den ehelichen Akt und für dessen Fruchtbarkeit erweisen… Der medizinische Eingriff achtet die Würde der Personen dann, wenn er darauf abzielt, den ehelichen Akt zu unterstützen, indem er seinen Vollzug erleichtert oder ihm sein Ziel zu erreichen hilft, sobald er in normaler Weise vollzogen worden ist“.[7]

Mit Nachdruck hatte die Kongregation in Donum vitae (II, 8) klargestellt, dass es im wahren und eigentlichen Sinn des Wortes kein Recht auf ein Kind geben kann, denn: „Ein Kind ist in keiner Weise etwas, was geschuldet wird, und es kann nicht als Gegenstand von Eigentum betrachtet werden. Es ist vielmehr ein Geschenk“, und zwar das vorzüglichste Geschenk der Ehe und „ein lebendiges Zeugnis der wechselseitigen Hingabe seiner Eltern“. Aus diesem Grund hat das Kind das Recht, „als Frucht, die aus dem … Akt ehelicher Liebe seiner Eltern hervorgeht, zu existieren“. Kein Wunder, denn wir alle haben unser Leben geschenkweise von unserem liebenden Gott empfangen und können deswegen über menschliches Leben nicht verfügen.

Ehepaare, deren Sterilität sich mit moralisch einwandfreien Mitteln nicht beheben lässt, sind von Gott berufen, ihre mütterliche und väterliche Liebeskraft adoptierten Kindern oder Pflegekindern zuzuwenden oder sie, beruflich oder ehrenamtlich, in andere soziale Dienste hinein zu investieren.


[1] Deutsch: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles (VAS) 74, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1987. Das Schreiben hat nichts zu tun mit dem nichtkirchlichen Verein in Deutschland, der sich später diese Bezeichnung missbräuchlich beigelegt hat.
[2] Dt.: VAS 183, ebd. 2008.
[3] In: Lexikon für Katholische Theologie II, Freiburg i. Br. 1994, 138.
[4] Dignitas personae, 16; vgl. Donum vitae II, B, 45.
[5] Dignitas personae, 16; Hervorhebung von mir.
[6] Reiter (wie Anm. 3), 137.
[7] Dignitas personae, 12; Donum vitae II, A, 1.

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