Im Gefangenenlager die Berufung gefunden

Es überfloss mich ein unbeschreiblicher Glanz!

Es gibt die „Liebe auf den ersten Blick!“ Aber es gibt auch Freundschaft auf den ersten Blick, weil man im anderen in den ersten Minuten einen Gleichgesinnten erkennt und dann mit ihm den „Rest des Lebens“ befreundet bleibt, auch wenn die Kontakte spärlich bleiben. Manchmal verhindert nicht einmal die unterschiedliche Sprache solche Verbindungen, wie es mir in Kasachstan mit Bischof Jan Pawel von Karaganda erging, mit dem ich damals nur mit Übersetzer sprechen konnte.

Ein anderer solcher Freund, Gott sei Dank deutschsprachig, ist mein älterer Freund Pfarrer Hermann Kiefer, den ich bei einem Treffen mit Frau Meves erstmals kennen lernen durfte. Dieser Freund Hermann sandte mir vor kurzem den folgenden Bericht über seine Berufung und über die grauenhafte Situation, in der er sie empfing. Zudem schickte er mir einen bemerkenswerten Brief, den er als Antwort auf seine Erzählung erhalten hatte. Zunächst aber der Bericht von Pfarrer Kiefer. Am Ende des 2. Weltkrieges geriet er als deutscher Soldat in amerikanische Gefangenschaft. Wie es ihm dabei erging, ist ihm unvergesslich, und die Erinnerungen kommen hoch vor allem bei einem Besuch des Lagers.  (Weihbischof Andreas Laun)

Von Hermann Kiefer

Zum ersten Mal nach 66 Jahren war ich am 16. November 2011 wieder auf dem Feld bei Böhl-Iggelheim, auf dem ich 1945 von neun Monaten amerikanischer Gefangenschaft neun Wochen unter freiem Himmel verbringen musste.

Das Feld, auf dem sich bis zu 70.000 deutsche Gefangene befanden, sieht jetzt ganz friedlich aus, hat mich aber sehr erschüttert. Die ganzen Tage gehen mir die Erlebnisse nicht aus dem Kopf.

Wir kamen in der Nacht vom 19. auf 20. April um 01:30 Uhr an. Es war nur 12 Kilometer von meiner Heimat Speyer entfernt. Nach einer Stunde Stehen in der Kälte sagten wir: „Wollen die uns noch die ganze Nacht im Freien stehen lassen?“ Wir Naivlinge, wir ahnten nicht, dass wir neun Wochen so stehen würden, jede Minute im Freien, auch bei tagelangem Regen mit Schnee. Es erschien mir härter als der Frankreich-Feldzug, drei Winter in Russland und Verwundung in Lothringen mit über 40 Splittern durch eine amerikanische Granate. Am schlimmsten war der permanente Hunger, an den man sich nie gewöhnte, der aber von Tag zu Tag stärker wurde und immer neue Dimensionen erreichte. Im ‚akademischen‘ Offizierslager erwachte der ‚Geist‘. Bevorzugt war die Beschäftigung mit Kochrezepten. Aus Klopapier, das zum eigentlichen Zweck nur selten gebraucht wurde, fertigten einige Hefte an, in denen sie Rezepte niederschrieben, die sie bei Vorträgen über das beliebteste Thema ‚Essen‘ vernahmen. In Anbetracht der substanzlosen Brühe, war das Spülwasser von zu Hause immer wieder ein Gesprächsthema. Wir träumten förmlich davon. Und für diese Brühe, die man im Kochgeschirrdeckel empfing, stand man trotzdem in endloser Schlange an. Dieses Warten fand seine Entsprechung im Warten auf Verdauung. Da die Substanz dafür minimal war, saß man oft stundenlang erfolglos auf dem sog. Donnerbalken. Die Tage des Misserfolgs wurden gezählt. Ein interessanter Gesprächskamerad berichtete mir am 23. Tag von seinem ‚Erfolg‘. Auf diese Freilufttoilette wollten sich die Gesichter der Toten, die vor uns liegen, nicht abwenden. Und sie schienen zu fragen, in wie viel Tagen gehörst du zu uns? Eine andere Dimension des Daseins scheint sich zu öffnen. Und das unerträgliche Stehen im Regen, der leere Magen und die Angst vor dem Umfallen lässt den flehentlichen Schrei nach oben nicht verstummen.

Und nun durfte ich bei all diesem Elend etwas erleben, was mir noch heute wie ein Wunder erscheint. Um von dem Hunger und dem unerträglichen Stehen im Regen abzulenken, dachte ich an die Geschichte eines Heiligen, von dem ich als Junge gelesen hatte: Wenn er irgendwo warten musste oder Langweile hatte, pflegte er zu beten. Nach seinem Vorbild probierte ich es ebenso. Das beständige Gebet schien eine Verwandlung zu bewirken. Sie bestand darin, dass ich die nassen Füße, die Rinnsale, die den Rücken hinunter liefen und die Nässe am ganzen Körper vergaß. Es überfloss mich ein unbeschreiblicher Glanz, er breitete sich in meinem ganzen Wesen aus. Mein unwiderstehlicher Wunsch: „Könnte ich davon Zeugnis geben.“ Ich möchte es jedem sagen, dass ich ohne Zögern in lebenslange Verbannung gehen würde.

Ich frage mich, wie kommt es, dass ich in einem Zustand, der mir wie die Hölle vorkommt, etwas wie aus dem Himmel erlebe. Mir fällt ein Vergleich ein: Die Nuss ist von einer Schale umgeben, sie kennt nur Dunkelheit. Wenn die Schale bricht, erlebt sie das erste Licht. In der Situation dieses Lagers wurde die Schale gebrochen, von der man normalerweise umgeben ist. Und die Erfahrung ungewohnten Lichts ist überwältigend.

Das Wunder sehe ich bis heute darin, dass die inneren Bilder und Empfindungen bis heute nicht verblasst sind. Andernfalls würde ich es gar nicht wagen, dies niederzuschreiben. So wurde das Lager für mich die segensreichste Zeit. Als Bischof Wendel ins Lager kam, sagte ich ihm, dass ich Pries­terkandidat seiner Diözese werden möchte. Es war am 13. Mai, ein Datum, das ich mir zufällig gemerkt hatte und dessen Bedeutung ich erst Jahre später erkannte. War es doch die erste Erscheinung in Fatima, die von der himmlischen Jungfrau, der Gottesmutter Maria, kam.

Das umseitige Foto zeigt das damals durchlöcherte Feld. Die Löcher wurden von uns mühselig mit Konservendosen gegraben. Aber als der Oberhirte von Speyer, Bischof Wendel seinen Besuch ansagte, kam der Befehl, dass die Löcher innerhalb von drei Stunden zu sein müssen, doch niemand regte sich – vor Erschöpfung! Der nächste Befehl: „Wenn die Löcher in drei Stunden nicht zu sind, gibt es drei Tage Essensentzug!“ Das wirkte.

Zum ersten Mal, jetzt nach 66 Jahren, stand ich bewegt wieder dort, wo ich die unvergesslichsten Wochen meines Lebens verbrachte. Das Foto stammt aus der einzigen Dokumentation dieses Lagers; sie wurde von dem Oberamtsrat Eugen Nonnenmacher des Ortes Böhl-Iggelheim verfasst, der jahrelang die Anfragen von ehemaligen Gefangenen beantworten musste. Die Schätzungen der Anzahl der Toten im amerikanischen Lager in Böhl gehen bis zu 10 000.

 

Soweit der Bericht von Pfarrer Kiefer. Er schrieb mir auch, dass er einige Studienzeit zusammen mit J. Ratzinger verbrachte, den Papst also persönlich kannte und aus diesem Grund seinen Bericht auch an den Sekretär des Papstes geschickt hatte. Nach einiger Zeit kam ein Brief zurück, aber nicht, wie er meinte, vom Sekretär, sondern vom Papst selbst. Wie sehr ihn dieses päpstliche Schreiben berührte, ahnt auch der außenstehende Leser.

Der Papst ist tief berührt

Mir schien, man sollte dieses Schreiben veröffentlichen und so fragte ich beim Sekretär Prälat Gänswein an und erhielt umgehend die Erlaubnis.
Das also ist der Text des Antwortschreibens von Papst Benedikt XVI.:

Lieber Herr Pfarrer Kiefer!

Ihr Brief vom 18. November hat mich innerlich tief berührt; was Sie sagen, geht mir nach. Herzlichen Dank! Ich sehe noch Ihre aufrechte Gestalt vor mir. Dass Sie Schweres erlebt hatten, war Ihnen anzusehen, aber wie Furchtbares Sie mitgemacht hatten, konnte ich mir natürlich nicht vorstellen. Es war gewiss eine besondere Gnade, dass Sie in dem Grauen der Gefangenschaft begonnen ha­ben, ein Ave Maria nach dem anderen zu beten. So haben Sie schließlich einen „unbeschreiblichen Glanz“ empfangen dürfen, der sich in Ihrem ganzen Wesen ausbreitete, und so sind Sie zum Priestertum gekommen und haben in einem langen Leben Zeugnis gegeben von dem, was Ihnen geschenkt worden war. Sie sind zum Zeugen geworden – zum Zeugen des Auferstandenen über die Mutter, die Ihnen sein Licht geschenkt hat. Für das im Leiden gereifte Zeugnis eines Lebens möchte ich Ihnen in dieser Stunde danken; vor allem dem Herrn und seiner Mutter gilt der Dank, die Sie aus dem Abgrund gerettet und Ihnen den Weg geöffnet haben.

Nun sind wir beide auf der letzten Wegstrecke unseres Lebens angelangt und bitten den Herrn, dass er uns gut nach Hau­se führen möge. In innerer Verbundenheit grüße ich Sie herzlich und wünsche Ihnen für die Heilige Nacht und für die kommende Zeit den „unbeschreiblichen Glanz“ von neuem, von dem Sie selbst damals berührt worden sind.

Im Herrn Ihr Benedikt XVI.

 

Pfarrer Kiefer hatte den Brief auch an Klaus Berger, den bekannten Exegeten, geschickt und erhielt von diesem die folgende Antwort: 

Sehr verehrter, lieber Herr Kiefer,

vielen Dank für den Papst-Text. Er ist der herzlichste und frömmste, den ich kenne. Das ist ein wahres Meisterwerk an mitbrüderlicher Seelsorge. Wirklich toll! Und wenn jemand sagt, der Papst stünde der Realität fern und schwebe nur im platonischen Ideenhimmel, soll er den herrlichen Brief zweimal lesen. Vor allem ist der Brief wirklich glaubwürdig und nichts kommt dem Leser fremd oder aufgesetzt vor. Ein christlicher Klassiker, vor dem alle sonstigen Lehrschreiben verblassen. Nein, so ist der Papst wirklich! Ein herzlicher, demütiger und bescheidener Mensch. Dem Himmel sei dank, dass es ihn gibt. Der Brief vermittelt wirklich Geborgensein in Gottes Hand. Wie schön, dass sie ihn in der Krönung Ihrer Laufbahn erhalten haben. Ein direkter Vorgeschmack des Himmels.

Voraussetzungen für einen Fortschritt in der Ökumene

Das ökumenische Lehramt Benedikts XVI.

Zum 85. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. am 16. April 2012 brachte der Media Maria Verlag ein Buch mit dem Titel „Benedikt XVI. – Prominente über den Papst“ heraus.[1] Darin ist auch ein Beitrag von Kurt Kardinal Koch aufgenommen, in dem er das außerordentliche Bemühen des Papstes um die Ökumene herausarbeitet. Zugleich bringt er mit seinen Ausführungen zum Ausdruck, welchem Programm er sich als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen verpflichtet fühlt.

Beim Internationalen Ökumenischen Forum, das Anfang Februar anlässlich der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier stattfand, ging der Kardinal auf die derzeitige ökumenische Situation ein und brachte ein interessantes Detail zur Sprache. Er sagte: „Die ökumenische Klärung des Kirchen- und Einheitsverständnisses steht heute ganz oben auf der Tagesordnung.“ Eine solche Klärung könne dann in eine „Gemeinsame Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt“ münden, „die analog zu derjenigen über die Rechtfertigungslehre im Jahre 1999 ein weiterer wichtiger Meilenstein auf dem ökumenischen Weg in die Zukunft darstellen würde“.

Von Kurt Kardinal Koch, Rom

Ökumene als Teilhabe am Hohepriesterlichen Gebet Jesu

Mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi arbeiten“: dies ist die „vorrangige Verpflichtung“ des Nachfolgers des Petrus. Diese programmatischen Worte hat Papst Benedikt XVI. bereits in seiner ersten Botschaft nach seiner Wahl auf den Stuhl Petri ausgesprochen. Und verstärkend hat er hinzugefügt, er sei „bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das grundlegende Anliegen der Ökumene zu fördern“.[2] Im Rückblick auf die mehr als sechs Jahre seines petrinischen Dienstes darf man dankbar feststellen, dass sich das ökumenische Anliegen gleichsam wie ein roter Faden durch sein Pontifikat zieht. Er erinnert in seinen vielen Homilien und Ansprachen nicht nur an die notwendige „Reinigung des Gedächtnisses“ und erblickt in der „inneren Umkehr“ die unabdingbare Voraussetzung für das Fortschreiten auf dem ökumenischen Weg. In seinen vielen Begegnungen mit Repräsentanten anderer christlicher Kirchen und Gemeinschaften übt er vielmehr bereits jetzt einen ökumenischen Primat aus und legt damit das Fundament für eine weitere ökumenische Verständigung über diese wichtige Frage, um zur vollen Einheit unter den Christen zu kommen.

Dieser klare ökumenische Akzent im päpstlichen Wirken kann nicht erstaunen, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass sich Papst Benedikt XVI. bereits als Theologe wie als Kardinal um den Fortgang des ökumenischen Dialogs sehr bemüht und ihn mit hilfreichen theologischen Reflexionen bereichert hat. Es ist freilich im bescheidenen Rahmen dieses Beitrages nicht möglich, die vielfältigen Beiträge von Papst Benedikt zum ökumenischen Gespräch eingehend zu würdigen.[3] Ich konzentriere mich deshalb auf den innersten Kern seines ökumenischen Wirkens, den ich nirgendwo so tief und so klar ausgedrückt finde, wie in seiner Auslegung des Hohepriesterlichen Gebetes Jesu, dass alle eins seien,[4] im zweiten Teil seines Buches über Jesus von Nazareth.[5] Da in diesem Gebet die Bitte Jesu um die Einheit seiner Jünger einen besonderen Stellenwert einnimmt, kann christliche Ökumene in den Augen des Papstes letztlich nichts anderes sein als das Einstimmen der Kirche in das Hohepriesterliche Gebet Jesu und Einswerden mit ihm.

Papst Benedikt XVI. hebt dabei ausdrücklich hervor, dass in diesem Gebet der Blick Jesu über die damalige Jüngergemeinschaft hinausging und sich auf alle richtete, die durch das Wort der Jünger glauben werden: „Der weite Horizont der kommenden Gemeinschaft der Glaubenden öffnet sich über die Generationen hin, die künftige Kirche ist in Jesu Gebet hineingenommen. Er bittet für die künftigen Jünger um Einheit.“[6] Und der Heilige Vater lässt seine theologische Meditation ausklingen in dem Spitzensatz, dass aus dem Gebet Jesu die Kirche entsprungen ist als die „Gemeinschaft derer, die auf das Wort der Apostel hin an Christus glauben“.[7] In diesem innersten Kern des Christusglaubens ist die ökumenische Vision von Papst Benedikt XVI. enthalten, die es jetzt in kurzen Zügen zu entfalten gilt.

Keine weltliche, aber auch keine unsichtbare Einheit

An erster Stelle ist die Tatsache zu bedenken, dass Jesus selbst den Jüngern die Einheit nicht befiehlt und sie auch nicht von ihnen einfordert, sondern um sie betet. Aus dieser schlichten, aber grundlegenden Feststellung ergibt sich von selbst die Zentralität des Gebetes um die Einheit in allen ökumenischen Bemühungen von selbst. Mit dem Gebet um die Einheit bringen wir Christen unsere Glaubensüberzeugung zum Ausdruck, dass wir die Einheit nicht selbst machen und auch nicht selbst über ihre Gestalt und ihren Zeitpunkt befinden, sondern dass wir sie uns nur schenken lassen können, wie Papst Benedikt XVI. immer wieder in Erinnerung ruft: „Der beharrliche Aufruf zum Gebet für die volle Gemeinschaft unter den Jüngern des Herrn bringt die wahre und tiefste Ausrichtung der gesamten ökumenischen Suche zum Ausdruck, weil die Einheit vor allem Geschenk Gottes ist.“[8]

Aus der Betonung des Gebets um die Einheit als Grundlage oder, wie das Zweite Vatikanische Konzil es genannt hat, als „Seele der ganzen ökumenischen Bewegung“[9] könnte man den falschen Schluss ziehen, die Einheit der Kirche sei letztlich eine rein innere und unsichtbare Wirklichkeit. Demgegenüber betont Papst Benedikt, dass die Einheit der Kirche zwar nicht aus der Welt kommen kann und insofern kein weltliches Phänomen ist, dass sie aber in dieser Welt sichtbar sein muss.

Die Einheit muss von der Art sein, dass die Welt sie erkennen und dadurch zum Glauben kommen kann: „Das nicht von der Welt Kommende kann und muss durchaus etwas in der Welt und für die Welt Wirksames und auch für sie Wahrnehmbares sein. Die Zielsetzung der Einheitsbitte Jesu ist gerade, dass durch die Einheit der Jünger für die Menschen die Wahrheit seiner Sendung sichtbar wird.“[10] Papst Benedikt betont sogar, dass durch die Einheit der Jünger hindurch, die zwar nicht von der Welt kommen und auch menschlich nicht erklärt werden kann, die aber in der Welt sichtbar sein muss, „Jesus selbst legitimiert“ werde: „Es wird sichtbar, dass er wirklich der ‚Sohn‘ ist.“[11] 

Mit der starken Betonung der Sichtbarkeit der Einheit der Kirche, und zwar konkret im gemeinsamen Glauben, in den Sakramenten und in den kirchlichen Diensten, kommt auch die grundlegende ökumenische Verantwortung aller Christen an den Tag. Sie besteht darin, in der heutigen Welt den lebendigen Gott zu bezeugen und das menschliche Antlitz Gottes, das er in Jesus Christus uns zu erkennen gegeben hat, sichtbar zu machen, wie es der eigentlichen Sinnrichtung des Hohepriesterlichen Gebetes Jesu um die Einheit der Jünger entspricht: „(…) damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,23). Mit diesem Finalsatz kommt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Einheit unter den Jüngern Jesu kein Selbstzweck in sich ist, sondern der Glaubwürdigkeit der Sendung Jesu und seiner Kirche in der Welt dient.

Die vom Heiligen Vater in besonderer Weise geförderte neue Evangelisierung muss deshalb eine ökumenische Dimension haben, auf die Papst Benedikt bereits bei der Ankündigung der Gründung des neuen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung in der ersten Vesper des Hochfestes der Apostel Petrus und Paulus im Jahre 2010 bewusst hingewiesen hat: „Die Herausforderung der Neuevangelisierung ruft die universale Kirche auf den Plan und macht es auch erforderlich, dass wir mit aller Kraft fortfahren, nach der vollen Einheit unter den Christen zu suchen.“[12] Insofern die neue Evangelisierung darin besteht, Menschen zum Gottesgeheimnis hinzuführen und sie in eine persönliche Gottesbeziehung einzuführen, muss im Mittelpunkt aller Neuevangelisierung die Gottesfrage stehen, die wir ökumenisch zu verantworten haben, und zwar in der Überzeugung, dass sie nicht ein „menschliches Expansionsvorhaben“ ist, sondern dem Wunsch entspricht, „das unschätzbare Geschenk zu teilen, das Gott uns machen wollte, indem er uns an seinem eigenen Leben teilhaben ließ“.[13]

Unterwegs zu Christus auf dem Weg zur Einheit

Von daher wird vollends deutlich, dass für Papst Benedikt die Einheit der Jünger und damit auch die Einheit der Kirche zutiefst im Glauben an Gott und an seinen Sohn, den er gesandt hat, begründet ist. Ein solcher Glaube ist dabei freilich mehr als ein Wort oder nur eine Idee; er ist vielmehr existenzielles Eintreten in die Gemeinschaft mit Jesus Christus und durch ihn mit dem Vater: „Er ist der eigentliche Grund der Jüngergemeinschaft, die Grundlage für die Einheit der Kirche.“[14] Dieser Glaube an Gott ist zwar gewiss unsichtbar; er wird aber, weil sich die einzelnen Glaubenden an den einen Christus binden, Fleisch und fügt die einzelnen Glaubenden zu einem wirklichen Leib zusammen.

Wie sehr der Glaube an Christus der alles tragende Grund der ökumenischen Einheit ist, hat Papst Benedikt in einer früheren Publikation in einer schönen Weise mit Solowjews „Kurze Erzählung vom Antichrist“ verdeutlicht. In dieser wird zum Ausdruck gebracht, dass auf der einen Seite im Augenblick der letzten Entscheidung vor Gott sichtbar werden wird, dass in allen drei Gemeinschaften, nämlich bei Petrus, Paulus und Johannes, Parteigänger des Antichristen leben, die mit ihm gemeinsame Sache machen, dass es aber auch wahre Christen gibt, die dem Herrn bis in die Stunde seines Kommens hinein die Treue halten, dass sich aber auf der anderen Seite vor dem Angesicht des wiedergekommenen Christus die Getrennten um Petrus, Paulus und Johannes als Brüder erkennen werden. Mit dieser Erzählung will Solowjew gemäß der Interpretation des Papstes in keiner Weise die Einheit der Jünger ans Ende der Tage verschieben oder gar ins Eschatologische vertagen. Für Papst Benedikt ist das Eschatologische ohnehin nichts weniger als das „eigentlich Wirkliche“, das einmal offenbar machen wird, was immer schon unser Leben prägt: „Was im Licht des wiederkommenden Christus sichtbar wird, enthüllt die Wahrheit unserer Zeit, einer jeden Zeit.“

Die endgültige Scheidung zwischen den Parteigängern des Antichristen und den treuen Gefährten Christi wird zwar gewiss erst am Tage der Ernte geschehen. Da aber das ewige Leben das eigentliche Leben ist, sollten Christen einander bereits jetzt „mit dem eschatologischen Blick“ begegnen, in dem Petrus, Paulus und Johannes unlösbar zusammengehören. Christliche Ökumene bedeutet von daher in den Augen des Papstes nichts anderes, „als schon jetzt im eschatologischen Licht leben, im Licht des wiederkehrenden Christus“.[15]

Als Getrennte bereits heute eins sein

Indem der Heilige Vater die Ökumene im Licht ihrer Vollendung wahrnimmt, mutet er uns die Einsicht zu, dass wir die Vorläufigkeit unseres eigenen Tuns erkennen und nicht der Versuchung verfallen, selbst machen zu wollen, was nur der wiederkehrende Christus bewirken kann. In diesem Licht betrachtet heißt Ökumene schlicht, aber elementar: Wenn wir gemeinsam unterwegs zum wiederkehrenden Christus sind, dann sind wir auch unterwegs zur Einheit untereinander. In diesem eschatologischen Blick legt Papst Benedikt XVI. sogar den großen Mut an den Tag, in den historischen Kirchenspaltungen nicht nur menschliche Sünde am Werk zu sehen, sondern im Sinne des gewiss geheimnisvollen Wortes des Apostels Paulus, dass Spaltungen „sein müssen“ (1 Kor 11,19), auch eine Dimension wahrzunehmen, „die einem göttlichen Verfügen entspricht“.

In dieser Sicht des Glaubens setzt sich der Papst immer wieder dafür ein, Einheit zunächst „durch Verschiedenheit“ zu finden. Dies bedeutet genauerhin, die Spaltungen zu entgiften, in ihnen auch das Fruchtbare wahrzunehmen und gerade von der Verschiedenheit Positives zu empfangen, allerdings in der „Hoffnung, dass am Ende die Spaltung überhaupt aufhört, Spaltung zu sein und nur noch ‚Polarität‘ ohne Widerspruch ist“.[16] Denn die wahre Liebe „löscht legitime Unterschiede nicht aus, sondern bringt sie miteinander in Einklang in einer höheren Einheit, die nicht von außen auferlegt wird, sondern die von innen heraus dem Ganzen sozusagen Form verleiht“.[17]

Von daher lässt sich auch erahnen, in welcher Sinnrichtung Papst Benedikt die wiederzugewinnende sichtbare ökumenische Einheit der Kirche denkt, nämlich im Sinne einer Einheit von Kirchen, die zwar Kirchen bleiben und doch eine Kirche werden: Das eigentliche Ziel aller ökumenischen Bemühungen wird darin bestehen müssen, „den Plural der voneinander getrennten Konfessionskirchen in den Plural von Ortskirchen umzuwandeln, die in ihrer Vielgestalt real eine Kirche sind“.[18]

Solange uns aber diese sichtbare Einheit der Kirche noch nicht geschenkt ist, ist es dem Heiligen Vater ein wichtiges Anliegen, dass wir auch als Getrennte bereits eins sein können, nämlich im gemeinsamen Glauben an Christus. Denn die Ökumene kann nur in die Breite wachsen, wenn wir uns gemeinsam in dem Christusglauben verwurzeln, damit sich die Ökumene in der Tiefe des Glaubens verwurzeln kann.

Christologischer Grund der ökumenischen Einheit

In dieser Tiefe des Glaubens befindet man sich bereits im Lebensraum der Ökumene. Hier scheint denn auch der tiefste Grund auf, dass Papst Benedikt die Ökumene nicht zwischenmenschlich oder philantropisch, sondern entschieden christologisch begründet und deshalb im Hohepriesterlichen Gebet Jesu die Stiftung der Kirche und ihrer Einheit wahrnimmt. Denn, so fragt er, „was ist Kirche anderes als die Gemeinschaft der Jünger, die durch den Glauben an Jesus Christus als den Gesandten des Vaters ihre Einheit empfängt und hineingehalten ist in die Sendung Jesu, die Welt zur Erkenntnis Gottes zu führen und sie so zu retten?“[19]

Da zum Christ-Sein das Wir-Sein in der Gemeinschaft der Jünger Jesu konstitutiv gehört, stellt sich uns die Frage der Ökumene als Ernstfall des Christusglaubens von selbst. Wie das Hohepriesterliche Gebet Jesu „nicht nur Wort“, sondern „Akt“ ist, in dem er sich für das Leben der Welt „opfert“, und wie im Gebet Jesu das grausame Geschehen des Kreuzes zu „Wort“, zum „Versöhnungsfest zwischen Gott und Welt“ wird,[20] so hat auch heute Ökumene ihren Preis und ist ohne „Opfer“ nicht glaubwürdig. Ökumenische Einheit und Opfer gehören deshalb in dem Sinn zusammen, dass das Opfer der Versöhnung und der Wiederherstellung der zerbrochenen Einheit dient.

Damit öffnet sich zugleich der weiteste Horizont der ökumenischen Verpflichtung, weil die Universalität der Sendung Jesu an die Welt als ganze, an den Kosmos adressiert ist und weil die ökumenische Suche nach der Einheit der Jünger im Dienst der Einheit der Menschheit und ihrer Einheit mit Gott steht. Zu diesem universalen Horizont leitet die ökumenische Vision von Papst Benedikt XVI. gerade deshalb an, weil sie ganz und gar christologisch fundiert ist. Insofern bietet Papst Benedikt den schönen Tatbeweis, dass nicht nur derjenige ökumenisch handelt, der dieses Wort ständig im Mund führt, sondern in erster Linie derjenige, der sich, auch ohne das Wort zu verwenden, in die Tiefe des Christusglaubens begibt und in ihm die gemeinsame Quelle für die Einheit der Kirche findet. Indem Benedikt den ökumenischen Auftrag des Ringens um die sichtbare Einheit der Jünger im Christusbekenntnis verwurzelt, ist er von einer christologischen Vision der Ökumene getragen und ist christliche Ökumene wirklich Teilhabe am Hohepriesterlichen Gebet Jesu.

Von daher liest sich Benedikts meisterhafte Interpretation dieses Gebetes Jesu wie eine konzise Zusammenfassung seines ökumenischen Wirkens, das gerade darin wahrhaft ökumenisch ist, dass es christozentrisch orientiert ist. Und indem Papst Benedikt in seiner ganzen Verkündigung Christus in den Mittelpunkt stellt, erweist er sich als der große Ökumeniker in der heutigen Zeit.

In diesem Geist hat er auch der aufreibenden Arbeit seines Papstamtes die Zeit abgerungen, um sein Buch über Jesus von Nazareth zu schreiben, das man als Christusbekenntnis des Nachfolgers des Petrus verstehen darf und mit dem er nicht nur unserer Kirche, sondern auch der ganzen Ökumene ein großes Geschenk gemacht hat, wie Pfarrer Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, mit Recht hervorgehoben hat: „Benedikt XVI. legt ein Buch vor, welches das Potential in sich trägt, die Ökumene zu mehr Einheit zu bringen, indem es in Erinnerung ruft, in wessen Nachfolge alle stehen, die sich Christen nennen.“[21]

Ökumene als heilige Pflicht des Papstes

Mit seinem ökumenischen Engagement lebt Papst Benedikt XVI. in exemplarischer Weise vor, worin die ökumenische Verantwortung jedes Bischofs in der kath. Kirche besteht, die der Codex Iuris Canonici mit den folgenden Worten umschreibt: „Gegenüber den Brüdern, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, hat er Freundlichkeit und Liebe walten zu lassen und den Ökumenismus zu fördern, wie er von der Kirche verstanden wird.“[22] 

Damit kommt erstens zum Ausdruck, dass die Förderung des ökumenischen Anliegens im Hirtendienst des Bischofs selbst impliziert ist, der wesentlich Dienst an der Einheit ist, die aber weiter zu verstehen ist als die Einheit der eigenen Diözesangemeinschaft, die vielmehr auch und gerade die getauften Nichtkatholiken umfasst. Indem die ökumenische Verantwortung des Bischofs mit den Worten ausgedrückt wird, er habe gegenüber den „Brüdern, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen“, „Freundlichkeit und Liebe walten zu lassen“, wird zweitens ein eindeutiges Schwergewicht auf den „Dialog der Liebe“ gelegt. Da dieser den „Dialog der Wahrheit“ nicht ersetzen kann, wohl aber die unabdingbare Voraussetzung für ihn bildet, ist der Bischof drittens verpflichtet, den Ökumenismus so zu fördern, „wie er von der Kirche verstanden wird“.

Mit diesen drei Wegweisungen kommt zum Ausdruck, dass der Hirtendienst des Bischofs an der Einheit der eigenen Kirche und sein ökumenischer Hirtendienst an der Wiedergewinnung der Einheit der Kirche unlösbar zusammengehören und dass beide Dimensionen Dienst am Glauben an Jesus Christus sind. Dass Papst Benedikt XVI. als Bischof von Rom diese ökumenische Verpflichtung in so exemplarischer und glaubwürdiger Weise wahrnimmt, dafür dürfen und müssen wir dankbar sein. Und in seinem Namen und Auftrag im Dienst an der Ökumene stehen zu dürfen, ist für mich Freude und Ehre, aber auch Herausforderung und Verpflichtung.


[1] Persönlichkeiten aus Kirche, Politik, Sport und Wirtschaft erzählen von ihren beeindruckenden Begegnungen mit Papst Benedikt XVI.: Franz Beckenbauer, Prälat Georg Gänswein, Claus Hipp, Maria Höfl-Riesch, Kurt Kardinal Koch, Reinhard Kardinal S., Format 17x24 cm, Fadenheftung, ISBN 978-3-9814444-6-9, 19,95 Euro.
[2] Benedetto XVI, Messaggio alla Chiesa Universale al termine della Santa Messa con i Cardinali Elletori nella Cappella Sistina, in: Insegnamenti di Benedetto XVI., I, 2005 (Città del Vaticano 2006), 1-7.
[3] Vgl. die vielfältigen Stimmen zum theologischen Denken Papst Benedikts XVI. aus der Welt der Ökumene: K. Nikolakopoulos (Hrsg.), Benedikt XVI. und die Orthodoxe Kirche. Bestandsaufnahmen, Erwartungen, Perspektiven, St. Ottilien 2008; W. G. Rusch (Hrsg.), The Pontificate of Benedict XVI. Its Premises and Promises, Michigan 2009; W. Thiede (Hrsg.), Der Papst aus Bayern. Protestantische Wahrnehmungen, Leipzig 2010. Vgl. ferner Th. Maassen, Das Ökumeneverständnis Joseph Ratzingers, Göttingen 2011.
[4] Vgl. K. Koch, Christliche Ökumene im Licht des Betens Jesu. Jesus von Nazareth und die ökumenische Sendung, in: J.-H. Tück (Hrsg.), Passion aus Liebe. Das Jesus-Buch des Papstes in der Diskussion, Mainz 2011, 19-36.
[5] J. Ratzinger – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg i. Br. 2011, 100-119.
[6] Ebd., 111.
[7] Ebd., 119.
[8] Benedetto XVI, Progressi e difficoltà nel cammino ecumenico. La catechesi dell’udienza generale il 20 gennaio 2010, in: Insegnamenti di Benedetto XVI., VI, 1, 2010, Città del Vaticano 2011, 95-100.
[9] Unitatis redintegratio, Nr. 8.
[10] Ebd. (Anm. 4), 113-114.
[11] Ebd., 114.
[12] Benedetto XVI, La Chiesa è un’immensa forza rinnovatricce. La celebrazione dei primi vespri della solennità dei Santi Pietro e Paulo il 28 guigno 2010, in: Insegnamenti di Benedetto XVI, VI, 1, 2010, Città del Vaticano 2011, 984-987, zit. 987.
[13] Benedikt XVI., Motu proprio Ubicumque et semper.
[14] Ebd. (Anm. 4), 115.
[15] J. Kardinal Ratzinger, Zur Lage der Ökumene, in: Ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio, Augsburg 2002, 220-234, zit. 233-234.
[16] J. Kardinal Ratzinger, Zum Fortgang der Ökumene, in: Ders., Kirche. Ökumene und Politik. Neue Versuche zur Ekklesiologie, Einsiedeln 1987, 128-134., zit. 131.
[17]Benedetto XVI, L’omelia durante i secondi vespri della festa della conversione di San Paolo Apostolo il 25 gennaio 2006, in: Insegnament i di Benedetto XVI., II, 1, 2006, Città del Vaticano 2007, 106-110, zit. 107.
[18] J. Kardinal Ratzinger, Luther und die Einheit der Kirchen, in: Ders., Kirche, Ökumene und Politik. Neue Versuche zur Ekklesiologie (Einsiedeln 1987), 97-127, zit. 114.
[19] Ebd. (Anm. 4), 119.
[20] Ebd.
[21] G. W. Locher, So ändern sich die Zeiten. Das Jesus-Buch in reformierter Lesart, in: Th. Söding (Hrsg.), Ein Weg zu Jesus. Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches, Freiburg i. Br. 2007, 53-67, zit. 53.
[22] Can. 383 § 3 CIC.

„Pfarrer-Initiative“ – ein Signal

Seit etwa einem Jahr macht eine Bewegung von sich hören, die unter der Bezeichnung „Pfarrer-Initiative“ auftritt. Sie fühlt sich geistig mit der Plattform „Wir sind Kirche“ verbunden und hat wie diese ebenfalls in Österreich ihren Anfang genommen. Nach außen hin knüpft sie an die pastorale Not an, welche durch den akuten Priestermangel hervorgerufen wird. Sie setzt sich entschieden gegen die Zusammenlegung oder Auflösung von Pfarreien ein und möchte „lebendige Gemeinden“ aufbauen. Gleichzeitig fordert sie tiefgreifende Veränderungen kirchlicher Strukturen und ein Umdenken in der sittlichen wie theologischen Bewertung verschiedenster Bereiche des religiösen Lebens.

Viele Themen werden schon seit Jahrzehnten diskutiert und sind vom Lehramt der Kirche eindeutig beantwortet worden. Deshalb wird die Pfarrer-Initiative häufig als indiskutabel und überholt abgetan. Pfarrer Erich Maria Fink aber ist überzeugt, dass die Kirche auf die Initiative reagieren und auf ihren Protest sowohl inhaltlich als auch pastoral eingehen muss. Denn er sieht die Gefahr, dass beim stillschweigenden Gewährenlassen durch die Hirten immer mehr Gläubige in einen Strudel der Verunsicherung und des Aufbegehrens hineingezogen werden, welcher der Kirche ungeheuren Schaden zufügen kann.

Von Erich Maria Fink

Die „Pfarrer-Initiative“ ist eine Vereinigung von Seelsorgern, die sich seit Juni letzten Jahres öffentlich zu Wort meldet und Veränderungen in der katholischen Kirche anmahnt. Als Sprecher des Vorstands tritt Pfarrer Helmut Schüller, ehemaliger Generalvikar der Erzdiözese Wien und Präsident der österreichischen Caritas, in Erscheinung. Als Mitbegründer und Schriftführer des Vereins präsentiert sich Gerald Gump, Pfarrer in Schwechat, der die Anliegen der Initiative in der Öffentlichkeit vertritt und sich eines guten Verhältnisses zu Christoph Kardinal Schönborn rühmt. Die Zahl der Mitglieder und Unterstützer ist nicht übermäßig groß. Es werden bislang ca. 300 Priester genannt. Doch erfreut sich die Protestbewegung erwartungsgemäß der vollen Unterstützung der Medien. Aus diesem Grund kann sie eine Dynamik mit bislang unabsehbaren Folgen entfalten. Die Kirche muss sich der Herausforderung stellen und sich ehrlich mit dem Vorstoß auseinandersetzen. Nur ein klares öffentliches Zeugnis über die Fundamente des Glaubens und die Positionen der Kirche kann die Gläubigen vor weiteren Verwirrungen bewahren und den drohenden Schaden bis hin zu einer offenen Spaltung abhalten bzw. begrenzen.

Anliegen der Initiative

Die Bewegung gibt ihre Identität mit vier Sätzen an:

„Wir sind eine Bewegung für lebendige Gemeinden und gegen das Zusperren der Pfarren.

Wir wollen den Pfarren Mut machen und zeigen, dass ihre Pfarrer nicht nach der Devise ‚Hinter mir die Sintflut!‘ leben.

Wir wollen neue Wege suchen – auch, um Altbewährtes zu erhalten.

Wir Pfarrer beobachten mit drängender Sorge und wachsender Unzufriedenheit, wie die Leitungsverantwortlichen in den Ortskirchen und in der Weltkirche derzeit mit den großen offenen Fragen und Problemen in unserer Kirche umgehen!“

Die genannten „großen offenen Fragen und Probleme“ sieht die Initiative in erster Linie im Zusammenhang mit dem Priestermangel, der die Bischöfe dazu veranlasst, die Seelsorgeeinheiten neu zu ordnen. Die Kirche muss zugeben, dass mit dieser Aufgabe tatsächlich offene Fragen verbunden sind.

Selbstverständlich will die Kirche ihren Prinzipien treu bleiben. Dazu gehört zunächst, dass sie die Teilnahme an der Hl. Messe als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens (vgl. Lumen gentium, Nr. 11) betrachtet. Deshalb hat sie den Messbesuch immer als Bedingung für die Erfüllung der Sonntagspflicht verstanden. Außerdem betont sie, dass die Gemeindeleitung, also die letzte pastorale Verantwortung für die Pfarreien, an das Priestertum gebunden ist. Dazu kommt, dass die Priesterweihe nach der endgültigen Lehrentscheidung der Kirche Männern vorbehalten ist und die katholische Kirche im lateinischen Ritus an der Zölibatsverpflichtung für Priester festhält.    

Mit zunehmendem Priestermangel werden die Seelsorgeeinheiten und damit die Zahl der Pfarreien, für die ein Priester verantwortlich ist, immer größer. Einerseits führt dies zu einer wachsenden Überforderung der Priester, andererseits zu einem seelsorglichen Notstand, insofern nicht mehr in allen Pfarreien regelmäßig am Sonntag eine Hl. Messe gefeiert werden kann. Außerdem leidet die pastorale Arbeit darunter, dass die Priester den einzelnen Pfarreien immer weniger die gewünschte Aufmerksamkeit schenken können.

Allerdings geht mit dem Priestermangel auch ein Gläubigenmangel einher. Der Gottesdienstbesuch ist in den vergangenen Jahrzehnten massiv eingebrochen und die Kirchenaustritte steigen dramatisch an. Oft sind Gemeinden so ausgeblutet, dass sie ihr Gotteshaus und andere pfarrliche Einrichtungen schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr halten können.

Die Kirche steht nun vor der Herausforderung, Konzepte zu entwickeln, die dem Verkündigungsauftrag Christi gerecht werden, also einerseits den pastoralen Erfordernissen Genüge tun, andererseits die Grundlagen des katholischen Glaubens nicht preisgeben.

Priesterlose Gottesdienste am Sonntag

Die Situation ist in den einzelnen Ländern und Diözesen durchaus unterschiedlich. So haben die Bischöfe bislang auch verschiedene Lösungswege eingeschlagen. Ihre Entscheidungen hängen zum einen mit der Zahl der Berufungen in ihren Bistümern, zum anderen mit der Struktur der Pastoralräume zusammen, die entweder mehr ländlich oder mehr städtisch geprägt sind. Im Einzelfall kommt es auf die Größe der Pfarreien und die Entfernung der Kirchen untereinander an.

Als Ausweg wurden im deutschen Sprachraum priesterlose Gottesdienste eingeführt. Wo am Sonntag bzw. Samstagvorabend kein Priester zur Verfügung steht, werden von Laien solche Gottesdienste als Ersatz für die Sonntagsmesse abgehalten. Dabei handelt es sich in der Regel um Wortgottes-Feiern mit oder ohne Kommunionausteilung.

Seit Jahren verschärfen sich die Auseinandersetzungen um die Frage, ob die Teilnahme an einem priesterlosen Gottesdienst die Sonntagspflicht erfüllt, oder ob die Gläubigen – soweit sie die Möglichkeit dazu haben – nicht doch eine andere Kirche besuchen müssen, in der eine Hl. Messe gefeiert wird. Die Bischöfe haben eine solche Mobilität bislang nicht zur Pflicht gemacht. Dennoch blieb die Frage im Raum stehen, wie wichtig es ist, dass die Gläubigen durch die Teilnahme am priesterlosen Gottesdienst vor Ort die Einheit mit ihrer Heimatgemeinde zum Ausdruck bringen. Mehr und mehr haben sich die Bischöfe in den letzten Jahren dazu durchgerungen, einer einseitigen „Gemeinde-Theologie“ eine Absage zu erteilen. Sie betonen, dass aus objektiver theologischer Sicht der Besuch einer Hl. Messe wertvoller ist und in seiner Bedeutung für den Aufbau der Kirche als des geheimnisvollen Leibes Christi durch nichts ersetzt werden kann.

Verständnis für den Wert der Hl. Messe

Die priesterlosen Wortgottesdienste mit Kommunionausteilung haben einerseits die pastorale Situation entspannt und in den Gemeinden eine Atmosphäre der Zufriedenheit und Kontinuität geschaffen. Andererseits aber haben sie das Verständnis für die Bedeutung der Hl. Messe nachweislich verdunkelt. Vielfach erkennen die Gläubigen keinen Unterschied mehr zwischen der Eucharistiefeier und einem Gottesdienst mit Kommunionausteilung. Was auf dem Spiel steht, ist das Wertvollste, das Christus seiner Kirche anvertraut hat. Und darin bestehen gerade die „Perspektiven des II. Vatikanischen Konzils“, die von der Pfarrer-Initiative so nachdrücklich beschworen werden (vgl. Rundbrief vom 13.01.2012). In der „Dogmatischen Konstitution über die Kirche“ mit dem Titel „Lumen gentium“ – „Licht der Völker“ erklärt das Konzil, dass die Kirche ihrer tiefsten Berufung nach „Sakrament“ für die Welt ist. Das bedeutet, sie stellt in der Hand Gottes ein Werkzeug dar, durch das die Menschen mit Gott und untereinander versöhnt werden. Wörtlich heißt es: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Nr. 1). Wie aber kann die Kirche diesen ihren hohen Auftrag im Dienst an der Menschheitsfamilie erfüllen, wenn sie nicht mehr das Opfer Christi stellvertretend für alle feiert und es fürbittend dem himmlischen Vater darbringt?

Diese zentrale Bedeutung des eucharistischen Opfers ist zunächst durch eine einseitige Theologie, dann durch eine tendenziös gestaltete Liturgie und schließlich durch die Praxis der priesterlosen Gottesdienste mit Kommunionausteilung aus dem Blickfeld geraten. Es ist weitgehend kein Bewusstsein mehr dafür vorhanden, dass sich in der Feier der Eucharistie das Geheimnis der unblutigen Erneuerung und Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi vollzieht. Es wird allenfalls davon gesprochen, dass wir in der Eucharistie auf sakramentale Weise dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn begegnen. Aber dies geschieht tatsächlich auch in einer Feier mit Kommunionausteilung. Worauf es ankommt, ist die Art und Weise, wie Tod und Auferstehung Christi wirksam werden. Gewiss ist die Vereinigung mit dem Erlöser durch den Empfang der Hl. Kommunion eine Gnadenquelle, die uns an den Früchten des Opfers Christi und seines Sieges über den Tod Anteil gewährt. Aber die Hl. Messe entfaltet ihre verwandelnde Kraft dadurch, dass wir selbst real in den Tod und die Auferstehung Christi eintreten und Teil der vollkommenen Hingabe des Sohnes an den Vater werden. In uns und durch uns wird damit die Kirche als geheimnisvoller Leib des Herrn auferbaut und das Erlösungswerk Christi für die Rettung der ganzen Menschheit, ja der ganzen Schöpfung fruchtbar.

Zeugnis des Augsburger Bischofs

Mit dem Verständnis ist auch die Wertschätzung der Hl. Messe geschwunden. Angesichts dieses schwerwiegenden Verlustes muss alles getan werden, um den Glauben an das Geheimnis der Eucharistie zu erneuern und die bewusste sowie aktive Teilnahme der Gläubigen am Opfer der Kirche wieder zu beleben.   

Dr. Konrad Zdarsa beispielsweise ist überzeugt, dass sich dafür jeder Aufwand lohnt. Als neuer Bischof von Augsburg hatte er bereits sein erstes Hirtenwort diesem Anliegen gewidmet. Anfang dieses Jahres entschloss er sich, gleichsam die Notbremse zu ziehen. Er ordnete an, einen Plan zu erstellen, nach dem aus den etwa 1000 Pfarrgemeinden der Diözese bis zum Jahr 2025 rund 200 Seelsorgeeinheiten geschaffen werden sollen. Gleichzeitig aber traf er die Entscheidung, dass in Zukunft am Sonntag keine priesterlosen Gottesdienste mehr abgehalten werden dürfen. Er möchte damit das Gemeindeleben vor Ort nicht zum Erliegen bringen, sondern die Gläubigen wachrütteln und wieder zur wichtigsten Gnadenquelle der Erlösung hinführen. Er lädt die Gläubigen ein, ihrer Wertschätzung für das Opfer der Hl. Messe spürbaren Ausdruck zu verleihen. Für diesen unersetzbaren Schatz göttlicher Liebe und Hingabe sollten sie bewusst etwas investieren, nämlich sich miteinander auf den Weg zur nächsten Kirche machen, in der eine Hl. Messe gefeiert wird. Nach dem Ermessen des Bischofs sind die Entfernungen, die dafür in den neuen Seelsorgeeinheiten des Bistums Augsburg zurückgelegt werden müssen, den Gläubigen zumutbar.

Das Anliegen des Bischofs ist es also nicht, das Feuer des Glaubens auszulöschen, sondern im Gegenteil neu zu entfachen. Damit eine solche Maßnahme aber tatsächlich Frucht bringen kann, müssen die Gläubigen durch eine intensive Katechese über den Wert der Hl. Messe geformt und auf die neuen Umstände vorbereitet werden. Die Sorge vieler Pfarrer, zahlreiche Gottesdienstbesucher würden einfach nicht in die Nachbarkirche fahren und sich vollends vom Gemeindeleben abwenden, ist durchaus berechtigt. Jahrzehnte hindurch wurden sie in Predigten und auch durch Hirtenbriefe aufgefordert, die priesterlosen Gottesdienste anzunehmen. Was so lange Zeit in eine andere Richtung gelenkt worden ist, lässt sich nicht durch einen oberhirtlichen Erlass allein auffangen. Es bedarf nun eines pastoral klug und einfühlsam begleiteten Übergangs. Gefordert aber ist vor allem der entschlossene missionarische Einsatz aller, die in der Seelsorge tätig sind. Dabei müssen Priester und Laien mit ihrem Bischof an einem Strick ziehen. 

 Besonders für die Mitarbeiter, die sich zum Teil seit über 20 Jahren auf ihren Dienst als Leiter von priesterlosen Gottesdiensten vorbereitet und entsprechend eingerichtet haben, ist dieser einschneidende Beschluss vielleicht unverständlich und hart. Aber auch sie können zum Nachdenken kommen und neu ernst nehmen: Die priesterlosen Gottesdienste stellen immer nur eine Kompromisslösung dar und können nie die Hl. Messe wirklich ersetzen. Im Übrigen spricht nichts dagegen, dass sie solche Gottesdienste je nach Bedarf an Werktagen weiterhin leiten.

Die Protestbewegung 

Gegen solche Maßnahmen läuft die Pfarrer-Initiative Sturm. Und die jüngste Entscheidung des Augsburger Bischofs, die im ganzen deutschen Sprachraum wie ein Paukenschlag aufhorchen ließ, gießt zusätzlich Öl ins Feuer.

Erstmals trat die Initiative am Dreifaltigkeitssonntag, den 19. Juni 2011, mit einem sog. „Aufruf zum Ungehorsam“ an die Öffentlichkeit. In sieben Punkten (I,1-7) kündigen die Mitglieder an, wie sie sich in Zukunft über bestimmte Vorgaben der Kirche hinwegsetzen werden und bewusst eigene Wege gehen möchten.

Im Januar 2012 folgte eine zweite Erklärung, in der sie ihren Forderungen Nachdruck verleihen und ihre Haltung durch ein fünffaches „Nein“ (II,1-5) bekräftigen.

Inhaltlich lässt sich folgende Linie nachzeichnen:

Die Mitglieder der Initiative sind nicht mehr bereit, „zusätzlich immer weitere Pfarren zu übernehmen“ und „zu reisenden Zelebranten und Sakramentenspendern“ zu werden, „denen die eigentliche Seelsorge entgleitet“. (II,1). Sie wenden sich gegen eine „Überforderung der Pfarrer, die man in einen mehrfachen Pflichterfüllungsstress drängt, deren Zeit und Kraft für ein geistliches Leben wegadministriert wird und deren Dienste weit über das Pensionsalter hinaus beansprucht werden“ (II,4).

Sie möchten „vermeiden, an Sonn- und Feiertagen mehrfach zu zelebrieren“ (I,3). Sie wehren sich gegen „immer mehr Eucharistiefeiern am Wochenende, weil so die vielen Dienste und Predigten zu oberflächlichem Ritual und allzu routinierter Rede werden, während Begegnung, Gespräch und Seelsorge verkümmern“ (II,2).

Sie lehnen die „Zusammenlegung oder Auflösung der Pfarren, wenn sich keine Pfarrer mehr finden“, strikt ab (II,3).

Sie sind nicht bereit, „durchreisende und ortsfremde Priester einzusetzen“. Dies bezeichnen sie als „liturgische Gastspielreisen“ (I,3).

Sie fordern die Anerkennung „eines Wortgottesdienstes mit Kommunionspendung als ‚priesterlose Eucharistiefeier‘“, mit deren Besuch die Gläubigen ihre „Sonntagspflicht“ erfüllen (I,4).

Bis hierher sind die Forderungen der Pfarrer-Initiative nachvollziehbar.

Die Bischöfe sind tatsächlich verpflichtet, sich intensiv um ihre Pfarrer zu kümmern, vor allem wenn diese unter zunehmender Belastung leiden. Sicherlich können sie als Oberhirten an die Opferbereitschaft in der Nachfolge Christi appellieren. Aber es ist kein Ausweg, wenn die Priester an Überforderung zugrunde gehen. So gesehen ist die Initiative auch ein Sprachrohr für Pfarrer, die der Hilfe bedürfen. Dabei muss jeder Fall einzeln geprüft und mit Rücksicht auf die Belastbarkeit der Person entschieden werden. Auch unter neuen Verhältnissen muss es gelingen, die Zuständigkeiten so zu ordnen, dass alle eingesetzten Priester ihren Dienst mit Freude ausüben können.

Ebenso darf die Auflösung von Pfarreien nicht einfach aus dem Priestermangel folgen. Manchmal kann sie angemessen sein, in anderen Fällen wäre sie Ausdruck einer kalten administrativen Maßnahme ohne Weitsicht und pastorale Rücksicht auf die Gläubigen.

Auch die Frage nach der Feier priesterloser Wortgottesdienste am Sonntag ist nur mit einem ehrlichen Blick auf die pastorale Situation in der jeweiligen Diözese sachgerecht zu beantworten. Die weltweite Mission der katholischen Kirche lebt selbstverständlich von solchen Gottesdiensten. Die Frage nach der Sonntagspflicht bewegt sich dabei nicht auf einer theologischen Ebene, sondern auf einer pastoralen. Denn Gott verlangt von niemandem etwas Unmögliches, weder von den Priestern, noch von den Gläubigen.

Das Traurige an der Pfarrer-Initiative aber ist, dass es ihr gar nicht um eine ausgewogene, verantwortliche Lösung dieser Probleme geht. Sobald die Bischöfe einen Dialog anbieten, lehnen die Sprecher der Initiative die Auseinandersetzung mit einzelnen Punkten ihres Forderungen-Katalogs kategorisch ab. Kompromissvorschläge kommen für sie nicht in Frage. Vielmehr beharren sie auf der Erfüllung des gesamten Reform-Pakets, wie sie es nennen.

In einem Beitrag des Wochenmagazins „Profil“ vom 27. August 2011 formulierte Pfarrer Schüller die Haltung der Initiative mit den Worten: „Wir gehen nicht mit Einzelforderungen in einen Bazar, und wir vertrauen auch irgendwelchen Gesprächszusagen nicht mehr. Das hatten wir jahrzehntelang. Wir haben gar nicht das Recht, das Paket aufzuschnüren, denn es sind Anliegen des Kirchenvolks. Und nicht mit uns muss geredet werden, sondern mit dem Kirchenvolk.“

Einerseits versteckt sich hier Pfarrer Schüller hinter dem Kirchenvolk, andererseits versteckt er seine eigentlichen Ziele hinter Forderungen, die vordergründig jedem aufgeschlossenen Gläubigen plausibel erscheinen.

Kirchentrennende Bestrebungen

Was verbirgt sich tatsächlich hinter der Pfarrer-Initiative? Geht man dem Reform-Paket der Initiative nach, so entdeckt man ein Kirchenbild, das mit der katholischen Tradition bricht. Sie versucht mit Gewalt ein Glaubensverständnis in die Kirche hineinzutragen, das weder biblisch noch historisch begründet ist.

Die beiden letzten Forderungen im Aufruf der Pfarrer-Initiative zum Ungehorsam lauten:

„WIR WERDEN uns dafür einsetzen, dass jede Pfarre einen eigenen Vorsteher hat: Mann oder Frau, verheiratet oder unverheiratet, hauptamtlich oder nebenamtlich. Das aber nicht durch Pfarrzusammenlegungen, sondern durch ein neues Priesterbild.

WIR WERDEN deshalb jede Gelegenheit nützen, uns öffentlich für die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt auszusprechen. Wir sehen in ihnen willkommene Kolleginnen und Kollegen im Amt der Seelsorge.“ (I,6.7)

Was durchgesetzt werden soll, ist also ein „neues Priesterbild“. Es geht aber nicht nur um die Zulassung von Frauen zum Priestertum oder die Aufhebung des Zölibats. Vielmehr möchte sich die Pfarrer-Initiative von jeder Vorstellung einer Weihvollmacht des Priesters, welche die Taufgnade übersteigt, verabschieden. Ebenfalls soll der Glaube an die Realpräsenz Christi unter den Gestalten von Brot und Wein sowie das Verständnis der Hl. Messe als Opfer und der Hl. Kommunion als „Kultmahl“ überwunden werden.

Auf diesem Hintergrund werden auch die anfangs harmlos klingenden Forderungen als Methode zur Umsetzung der eigentlichen Ziele der Pfarrer-Initiative verständlich. Denn es muss stutzig machen, dass die Mitglieder der Initiative nur noch einmal am Sonntag bzw. am Wochenende zelebrieren möchten (I,3; II,2) und sich gegen „ortsfremde“, „durchreisende“ (I,3) oder „ausländische Priester“ verwehren, die ihrer Ansicht nach „keine Inkulturation in Österreich mitgemacht haben (daraus folgend z. B. einen unzulänglichen Umgang mit Laien etc.)“, „nur, damit ‚irgendwie‘ noch eine Messe gefeiert“ werde. So heißt es in den offiziellen „Anmerkungen“ im Anschluss an den „Aufruf zum Ungehorsam“.  

Ebenfalls in diesen Anmerkungen erklärt die Initiative: „Wir wollen aber mit dem provokanten Begriff ‚priesterlose Eucharistiefeier‘ auch daran erinnern, dass die Eucharistiefeier von der ganzen Gemeinde gefeiert wird und der Priester ihr dabei vorsteht.“

Auf ihrer Web-Seite führt die Initiative als Gewährsmann Dr. Peter Trummer an, einen emeritierten Universitätsprofessor für Bibelwissenschaft der katholisch-theologischen Fakultät der Karl Franzensuniversität Graz. Verwiesen wird auf einen Beitrag mit 25 Punkten, den Prof. Trummer als Denkanstöße für einen Studientag am 5. November 2011 in Linz formuliert hat.

Zusammenfassend heißt es im letzten Punkt: „In Summe: Eucharistie heißt segnend und dankend Essen und Trinken im Namen Jesu miteinander teilen“  (Nr. 25).

Man fragt sich zunächst, ob diese Aussage tatsächlich ernst gemeint sein kann. Will er das Verständnis der Eucharistie auf diese triviale Ebene herunterzuziehen? Doch der Beitrag lässt daran keinen Zweifel. Die ganze Linie, die vom ersten bis zum letzten Punkt gezeichnet wird, ist eindeutig. Sie beginnt mit der Feststellung hinsichtlich der Eucharistie: „Gotteserfahrung wird vor allem über eine verständliche, heilsame und heilende Sprachgemeinschaft vermittelt, nicht durch ein vermeintliches Kultmahl oder heilige Substanzen“ (Nr. 1). „Christus“ werde „im Mahl nicht gegessen, sondern er ist der Gastgeber, der dankbares Brotbrechen und Miteinander-Teilen über alle Grenzen hinweg ermöglicht“ (Nr. 5). „Grundprinzip der Eucharistie“, so Prof. Trummer, „ist nicht die (allein durch das römisch-katholische Amtsprinzip zu garantierende) ‚Realpräsenz‘, sondern das gemeinsame Tun (so die Wortbedeutung von Liturgie) aller Gläubigen: Ihr besinnender, singender, hörender, dankbarer und vor allem rücksichtsvoller Umgang miteinander und vor Gott im Namen Jesu intensiviert sich unüberbietbar im Miteinander-Essen“ (Nr. 4). Und weiter meint Trummer: „Die gesamte Feier der ganzen Gemeinde stiftet (oder verunmöglicht) bzw. verdichtet die geistige und geistliche Gegenwart Christi“ (Nr. 12). Außerdem habe die Eucharistie ihren Bezugspunkt nicht im „Abendmahl“, das nur einmal im Jahr als Pascha gefeiert worden sei, sondern im davon zu unterscheidenden sonntäglichen „Brotbrechen“ (vgl. Nr. 9ff.).

Somit ist klar, für Trummer bedarf es zum Vollzug der Eucharistiefeier keines geweihten Priesters, sondern nur mehr eines Vorstehers, der von der Gemeinde aus ihrer Mitte bestimmt werden kann. Trummer begründet dies mit der Behauptung: „Das: Tut dies zu meinem Gedächtnis (1 Kor 11,24f) ist ursprünglich an die ganze (!) Gemeinde gerichtet, nicht an die Apostel im Abendmahlsaal“ (Nr. 10). Abgelehnt wird die „priesterliche Funktion (‚in persona Christi‘)“ (Nr. 12), „die ausschließlich priesterliche Vereinnahmung des Geistes bzw. Segensvermittlung oder ‚Absolution‘ durch die Amtsträger“ (Nr. 7) sowie jede „Mittlerschaft“ von Gnade durch den Priester. Das katholische Priesterbild gehe auf das „beamtenmäßige Priestertum“ zurück, das sich „im kirchlichen Altertum und Mittelalter … gegen die Bibel, die nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen kennt (1 Tim 2,5), … etabliert“ habe (Nr. 6).

Erregt fragt sich Trummer: „Und wieso meinen Priester selbst heute noch, ihre priesterliche Vollmacht durch gemeinsames Handausstrecken ‚konzelebrieren‘ zu sollen bzw. sich nur selbst vom Tisch des Herrn bedienen zu können, während die Gläubigen von ihnen oder ihren Helfer/inne/n  ‚abgespeist‘ werden (z.T. in absurdesten Demutsgebärden wie im Knien oder mit weit aufgerissenem Mund)?“ (Nr. 6).

Was Trummer allerdings einräumen muss, ist die Tatsache, dass sich der biblische Befund mit seiner Ansicht nicht deckt. Er sagt: „Erst Paulus hat jedes Herrenmahl auf den Tod Jesu verpflichtet, um die Rücksichtnahme auf die Schwachen einzufordern (1 Kor 8,11; 11,26). Allerdings hat er damit auch höchst depressive Elemente ins Amts- und Sakramentenverständnis eingebracht, was durch die Reformation keineswegs zu überwinden war“ (Nr. 9). Trummer gesteht also zu, dass bereits Paulus das Eucharistieverständnis der katholischen Kirche bezeugt. Doch gleichzeitig behauptet er, Paulus habe diese Sicht selbst entwickelt und in das frühkirchliche Leben hineingetragen. Nun möchte Trummer die katholische Kirche von der Theologie des hl. Paulus reinigen. Schließlich besagt sein Hinweis auf die Reformation: Es würde ihm nicht genügen, die katholische Kirche protestantisch zu machen, vielmehr gehen die von ihm geforderten Reformen nach seinen eigenen Aussagen über die Reformation hinaus.

Das eigentliche Zugeständnis aber steht bereits am Anfang der Ausführungen Trummers. Und es trifft letztlich genau die Stoßrichtung der Pfarrer-Initiative und das, was eigentlich hinter dem Aufbegehren ihrer Mitglieder steckt: „Die Krise der Eucharistie ist nicht so sehr durch den Priestermangel verursacht als durch ein prekäres Gottesbild, welches das Kreuz Jesu als Opfertod und die Eucharistie als Messopfer deuten möchte“ (Nr. 1). Mit diesen Worten hat sich die Initiative vollends entlarvt. Ausdrücklich dient ihr der Priestermangel nur als Vorwand, um die zutiefst biblisch verankerte Theologie vom Opfertod Christi aus den Angeln zu heben. 

Signal für die ganze Kirche

Damit aber ist klar, es geht nicht um das ganze Bündel an Fragen wie Zölibat, Frauenpriestertum oder Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen. Aufgrund des Abfalls vom Glauben an die Erlösung durch den Opfertod Christi am Kreuz gibt es für die katholische Haltung in all diesen Fragen keine gemeinsame Grundlage mehr. Wenn die Pfarrer-Initiative in ihrer Argumentation beispielsweise von einer „Sonntagspflicht“ spricht, so ist dies angesichts ihrer wirklichen Absicht reine Augenwischerei oder gar Heuchelei. Ebenso blauäugig ist es, den Vertretern der Pfarrer-Initiative zu versichern, die Bischöfe würden ebenfalls unter dem offensichtlichen „Reform-Stau“ leiden.

Für denjenigen, der ehrlich in Blick nimmt, was an den Universitäten in den vergangenen Jahrzehnten gelehrt wurde, ist der Aufstand von Priestern, die mit ihrer Belastung und auch mit ihrer zölibatären Lebensform nicht mehr zurechtkommen, kaum verwunderlich. Der ausgestreute Same geht auf. Aber so gesehen ist die Pfarrer-Initiative ein Signal für die ganze Kirche.

Jetzt müssen die Bischöfe Stellung beziehen, öffentlich und unüberhörbar. Was die Gläubigen und auch die Priester, die sich der Initiative gutmeinend angeschlossen haben, brauchen, ist eine klare Distanzierung der Kirche von der Initiative insgesamt. Dies allein kann auch verhindern, dass die Bewegung noch mehr auf andere Länder überschwappt.

Bereits Anfang Juni 2011 erklärte der Grazer Diözesanbischof und Stellvertretende Vorsitzende der österreichischen Bischofskonferenz, Egon Kapellari: „Dem Aufruf einer Pfarrer-Initiative vom Dreifaltigkeitssonntag zum Ungehorsam in der katholischen Kirche stelle ich mich als Bischof klar und entschieden entgegen.“ Und er hob besonders hervor: „Der Berufung der ,Pfarrer-Initiative‘ auf das Gewissen halte ich entgegen, dass das Gewissen ein von der Kirche so hoch geachteter Wert ist, dass es nicht als Mittel oder als Argument dafür dienen kann, einer weltweiten Gemeinschaft, zu der sich jeder frei bekennen kann, seine eigenen Vorstellungen verordnen zu wollen. Wer zurecht verlangt, dass seine persönliche Gewissensentscheidung respektiert wird, von dem darf andererseits zurecht erwartet werden, dass Entscheidungen, die der Papst und Bischöfe im Bewusstsein ihrer Verantwortung und nach bestem Wissen und Gewissen treffen, ebenfalls respektiert werden, auch wenn sie nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen.“

Aber die Ablehnung muss inhaltlich begründet werden, und zwar so direkt und überzeugend, dass die Mitläufer geradezu erschrecken und eingestehen, einen solchen Bruch mit der katholischen Kirche eigentlich nicht zu beabsichtigen. An erster Stelle ist der unbedarften Öffentlichkeit gegenüber klarzustellen: Entgegen der ständigen Beteuerungen der Pfarrer-Initiative entsprechen deren Forderungen weder dem „biblischen Sinn“, noch dem „Geist Jesu“, noch den „Perspektiven des II. Vatikanischen Konzils“. 

Bevor man zu disziplinaren Maßnahmen schreitet und gar damit beginnt, Anhänger zu exkommunizieren, wie es von verschiedener Seite bereits öffentlich gefordert wird, muss nun das mutige Bekenntnis zur Lehre der katholischen Kirche erfolgen. Unermüdlich müssen alle angesprochenen Themen klargestellt werden, insbesondere mit bibeltheologischer Grundlegung: für das Priestertum (angefangen beim Vorbild des Levitendienstes und der Berufung der Propheten, über die Erwählung und Bevollmächtigung der Apostel, die Einsetzung der Bischöfe und Presbyter durch Handauflegung in den paulinischen Gemeinden bis hin zur Theologie des Priestertums im Hebräerbrief, um nur ein Beispiel zu nennen), für die Eucharistie, für den Zölibat, für die Unauflöslichkeit der Ehe, für die sexuelle Enthaltsamkeit Homosexueller, für die Ablehnung des Frauenpriestertums. Damit verbindet sich das nicht lang zurückliegende „Jahr des Priesters“ mit dem im Herbst beginnenden „Jahr des Glaubens“, beides Initiativen des Papstes, die sich geradezu als prophetisch erweisen.

Abschließend möchte ich einen entscheidenden Gesichtspunkt zu bedenken geben. Ich sehe den Augenblick für gekommen, in die Diskussion auch den tiefsten Grund für den Priestermangel einzubringen. Es ist der Ungehorsam gegenüber der Enzyklika „Humanae Vitae“. Die Verhütungsmentalität muss überwunden werden, so dass an die Stelle des Egoismus der freudige und opferbereite Dienst am Leben tritt. Wo kinderreiche Familien wachsen, erleben wir das Geschenk von Berufungen zum Priestertum und gottgeweihten Leben. Eine Haltung der Buße und Umkehr gegenüber dem „Evangelium des Lebens“ ist ein Schlüssel zur Überwindung der Kirchenkrise und kann den Grundstein für die Neuevangelisierung legen.

Herzensanliegen des Papstes: die göttliche Liturgie

Die Wiederkunft des Herrn in der Eucharistiefeier

Die Liturgie in ihrer sakramentalen Bedeutung als göttliche Wirklichkeit neu zu entdecken, ist ein Herzensanliegen unseres Papstes. Prof. Dr. Anton Štrukelj möchte dazu einen Beitrag leisten, indem er aus den Schriften Benedikts XVI. schöpft, insbesondere aus seiner frühen Abhandlung über die Eschatologie, aber auch aus dem neueren Werk „Jesus von Nazareth“. Štrukelj zeigt auf, dass Papst Benedikt das eucharistische Opfer als reale Wiederkunft des Herrn noch vor seiner endgültigen Wiederkunft am Ende der Zeiten versteht.

Von Anton Štrukelj

Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Mit dieser Akklamation antwortet die versammelte Gemeinde auf den Ruf des Priesters: „Geheimnis des Glaubens“. Das eucharistische Opfer Jesu Christi ist dieses Geheimnis des Glaubens, Mysterium fidei. Die Akklamation des Volkes ist ein treffendes Bekenntnis der eschatologischen Perspektive, welche die Eucharistie auszeichnet (vgl. 1 Kor 11, 26): „… bis du kommst in Herrlichkeit.“ 

Die Eucharistie bedeutet die Spannung auf das Ziel hin, Vorgeschmack der vollkommenen Freude. In gewisser Weise ist sie Vorwegnahme der ewigen Seligkeit, „Unterpfand der künftigen Herrlichkeit“ („futurae gloriae pignus“).[1] In der Eucharistie „erwarten wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus“ („expectantes beatam spem et adventum Salvatoris nostri Jesu Christi“).[2] In der Eucharistie empfangen wir tatsächlich auch die Garantie der leiblichen Auferstehung am Ende der Welt (vgl. Joh 6,54). Mit der himmlischen Speise nehmen wir sozusagen das „Geheimnis“ der Auferstehung in uns auf. Deshalb bezeichnete der hl. Ignatius von Antiochien das eucharistische Brot zu Recht als „Medizin der Unsterblichkeit, Gegengift gegen den Tod“.[3]

Die eschatologische Spannung, die durch die Eucharistie wachgerufen wird, drückt die Gemeinschaft mit der himmlischen Kirche aus und stärkt sie. Während wir das Opfer des Lammes feiern, vereinen wir uns mit der himmlischen Liturgie. Eucharistie ist wirklich ein Aufbrechen des Himmels, der sich über der Erde eröffnet. Sie ist ein Strahl der Herrlichkeit des himmlischen Jerusalem, der die Wolken unserer Geschichte durchdringt und sein Licht auf unseren Weg wirft.[4]

Epiklese und Parusie

Die Kirche erbittet in der eucharistischen Epiklese die göttliche Gabe des Heiligen Geistes. Alexander Schmemann nennt die Eucharistie „das Sakrament des Heiligen Geistes“.[5] Was ist die Epiklese?[6] Die Epiklese bedeutet Herabrufung. Sie ist die Bitte an den Vater, er möge den Heiligen Geist senden, damit die Opfergaben zu Leib und Blut Christi werden. Jean Corbon beschreibt die „Epiklesis als den bittenden Anruf an den Vater, Er möge über das, was wir ihm darbieten, den Heiligen Geist herabsenden, damit dieser es in die Wirklichkeit des Leibes Christi verwandle. Das Wort drückt den Hohlraum des Dargebotenen aus, nicht aussagen kann es die Fülle, mit der wir beschenkt werden. Es sagt den rufenden Seufzer, nicht die im Schweigen antwortende Liebe.“[7]

Zusammen mit der Anamnese bildet die Epiklese das Herzstück jeder sakramentalen Feier, insbesondere der Eucharistie. Die verwandelnde Kraft des Heiligen Geistes in der Liturgie wirkt auf das Kommen des Reiches Gottes und die Vollendung des Heilsmysteriums hin. In der Epiklese wird auch darum gebetet, dass die Gläubigen beim Empfang der eucharistischen Gaben selbst zu einer lebendigen Opfergabe für Gott werden.

Im Kern der Liturgie, in der Epiklese, entfaltet sich die Gnade der ersten „Ankunft“ des Herrn. Dazu kommt die Erwartung der Wiederkunft Christi, der Parusie. In seiner Eschatologie schreibt Josoph Ratzinger: „Die Parusie ist die höchste Steigerung und Erfüllung der Liturgie; die Liturgie ist die Parusie, parusiales Geschehen mitten unter uns. … Jede Eucharistie ist Parusie, Kommen des Herrn, und jede Eucharistie ist doch erst recht Spannung der Sehnsucht, dass er seinen verborgenen Glanz offenbare.“[8]

Die johanneische Vertiefung des Parusie-Gedankens verweist auf das „Gehen“ (Kreuz) und „Kommen“ (Auferstehung) Jesu: „Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,3). Jesus ist als der Gekreuzigte auch weiterhin der Weggehende und ist zugleich als der Durchbohrte mit den ausgebreiteten Händen der immerfort Kommende. In der Liebe, die seine Gebote hält, trägt sich sein Kommen als ein „eschatologisches Geschehen“ inmitten der Welt zu (vgl. Joh 14,15-31). Die Parusie-Thematik wird nach Ratzinger „zu einer Deutung der Liturgie und des christlichen Lebens in ihrem inneren Zusammenhang und in ihrer steten Selbstüberschreitung. Sie wird zur Verpflichtung, die Liturgie als Fest der Hoffnung und der Gegenwart auf den Kosmokrator Christus hin zu leben; sie muss zum Ausgangs- und Sammelpunkt jener Liebe werden, in der der Herr Wohnung nehmen kann. In seinem Kreuz ist der Herr vorerst gegangen, uns einen Platz im Haus des Vaters zu bereiten (Joh 14,2f); in der Liturgie soll die Kirche gleichsam im Gehen-mit-ihm ihm Wohnungen bereiten in der Welt.“[9]

Die Kirche feiert die Liturgie als geheimnisvolles und wirkliches Geschehen, in dem Jesus Christus immer wieder kommt. Als Papst schreibt Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. im Zweiten Teil seines Werkes Jesus von Nazareth: „Die Kirche begrüßt den Herrn in der heiligen Eucharistie als den, der jetzt kommt, der in ihre Mitte getreten ist. Und sie begrüßt ihn zugleich als den, der immerfort der Kommende bleibt und uns auf sein Kommen zuführt. Als Pilger gehen wir auf ihn zu; als Pilger kommt er uns entgegen und nimmt uns mit in seinen ,Aufstieg‘ zu Kreuz und Auferstehung, auf das endgültige Jerusalem zu, das in der Gemeinschaft mit seinem Leib schon mitten in dieser Welt wächst.“[10]

Der Geist und die Braut

Die letzte Vision der Apokalypse gewinnt ihren ganzen Sinn in den folgenden Worten des hl. Johannes: „Der Engel zeigte mir den Strom des Lebens, klar wie Kristall, der aus dem Thron Gottes und des Lammes hervorquoll. In der Mitte des Platzes, auf beiden Seiten des Flusses stehen Bäume des Lebens, die zwölfmal Frucht tragen, jeden Monat einmal, und ihre Blätter können die Heiden heilen“ (Offb 22,1f.). Zum Abschluss kommt die bewegende Bitte, die der Heilige Geist und die Kirche gemeinsam aussprechen: „Der Geist und die Braut aber sagen: Komm! Wer hört, der rufe: Komm! Wer durstig ist, der komme. Wer will, empfange umsonst das Wasser des Lebens“ (Offb 22,17).[11]

„Diese Vision versetzt uns nicht in die Zeit nach der Parusie, wie man gelegentlich meint, sie betrifft das Jerusalem der messianischen Zeiten vor der endgültigen Wiederkehr des Herrn. Wir stehen also inmitten der Endzeit. Die Vision ist auch nicht ,utopisch‘, ihr Ort wird genau angegeben. In der ganzen Perikope (21,9-22,2) handelt es sich um die Kirche, hier und jetzt, da die Macht des Bösen noch existiert und die Heiden geheilt werden können. Die letzten Zeiten werden in ihrer Neuheit und Paradoxie beschrieben: schon waltet die Fülle Gottes in unserer Welt, aber noch ist nicht alles vollendet… Anderseits sind im Hervorbrechen des Lebensstromes alle von der Liturgie, dem Drama zwischen Gott und Mensch, erfassten Mitspieler miteinbezogen. Der Vater und das Lamm, die ja die Quelle sind, die Lebensbäume, deren Zwölfzahl die apostolische Kirche sinnbildet, alle Menschen schließlich, die Heiden, die durch die Kirche geheilt werden ,können‘, vorausgesetzt, dass sie das Geschenk des Lebens annehmen. Aber die Haupt-Energie, am Anfang des Satzes erwähnt, ist die des hervorbrechenden Stromes.“[12]

Der Strom des Lebens hat alles überflutet. Was ist denn diese Energie, was ist dieses kristallklare Wasser? Es ist die einzigartige Gegenwart, für die kein anderer Name bereitsteht und in der die Braut ganz durchsichtig wird: der Geist.

„,Marana tha! Herr, komm!‘ (1 Kor 16, 22), dieser Ausruf der christlichen Versammlung, in dem das Seufzen von Geist und Braut sich ausdrückt (Offb 22,17), richtet sich nicht wie eine Beschwörung an unser höllisches Universum, sondern erhebt sich aus dessen Tiefen wie ein Riss in ihm und wie eine Hoffnung. Unsere Endzeit schwillt von der ungeduldigen, liebenden Erwartung des Herrn Jesus, weil mit der Liturgie die Zeit der Schmerzen und des Gebärens begonnen hat… Denn die Flut des göttlichen Mitleidens kann unsern Tod nur fassen, uns seine Liebe mitteilen, indem er Leib wird in uns. Immer ,kommt‘ das Wort in seinem Leib, um Menschen zu retten. Nicht nur bei seiner ersten Ankunft im Fleisch und bei seiner zweiten Ankunft in Glorie, sondern auch in der Zeit der Kenose, in der wir leben. Die ewige Liturgie, die Jesus mit seiner Himmelfahrt feiert und die sich auch in seiner Kirche verkörpert, durchdringt unsere Todeswelt, um ihr das Leben mitzuteilen; aber die Stelle dieser Begegnung und die Achse ihres Lichtes ist immer der Leib Christi.“[13]

Herr, komm! – Der Herr ist gekommen

Aber wie verhält es sich nun mit der Erwartung des wiederkommenden Herrn in der christlichen Existenz? Erwarten wir ihn, oder erwarten wir ihn lieber nicht?

Die Apokalypse schließt mit der Zusage der Wiederkunft des Herrn und mit der Bitte um sie: „Er, der dies bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. Amen. Komm, Herr Jesus!“ (22,20). Es ist die Bitte des Liebenden, der in der belagerten Stadt von allen Bedrohungen und Schrecknissen der Zerstörung bedrängt ist und nur warten kann, dass der Geliebte kommt, der die Macht hat, die Belagerung aufzubrechen und Heil zu bringen. Er ist der hoffende Schrei nach der Nähe Jesu in einer Not, in der nur noch er helfen kann.

Paulus stellt an den Schluss des Ersten Korinther-Briefs dasselbe Gebet in aramäischer Fassung, das freilich unterschiedlich getrennt und daher auch unterschiedlich verstanden werden kann: Marana tha („Herr, komm!“) oder Maran atha („Der Herr ist gekommen!“). In dieser Zweiheit der Lesarten ist das Besondere der christlichen Erwartung des Kommens Jesu deutlich sichtbar. Sie ist der Ruf „Komm!“ und zugleich die dankbare Gewissheit: „Er ist gekommen.“

Aus der Zwölf-Apostel-Lehre (um 100) wissen wir, dass dieser Ruf zu den liturgischen Gebeten der Abendmahlsfeier der frühesten Christenheit gehörte, und hier ist auch die Einheit der beiden Lesarten konkret gegeben. Die Christen rufen nach dem endgültigen Kommen Jesu und sie erleben zugleich mit Freude und Dank, dass er dieses sein Kommen jetzt schon vorwegnimmt und schon jetzt in unsere Mitte hereintritt.

In der christlichen Wiederkunftsbitte ist immer auch Gegenwartserfahrung mitenthalten. Sie ist nie bloß futurisch. Es gilt eben, was der Auferstandene sagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Er ist jetzt bei uns, besonders dicht in der eucharistischen Gegenwart. Aber umgekehrt trägt auch die christliche Gegenwartserfahrung die Spannung auf die Zukunft, auf die endgültig erfüllte Gegenwart in sich: Die Gegenwart ist nicht vollständig. Sie drängt über sich hinaus. Sie setzt uns in Bewegung zum Endgültigen.[14]

Adventus medius – die mittlere Ankunft

Papst Benedikt XVI. sagt in seinem Buch Licht der Welt, dass es ein „mittleres Kommen“ Christi gibt: „Der heilige Bernhard von Clairvaux hat, während man bis dahin von einem zweimaligen Kommen Christi sprach – einmal in Bethlehem, das zweite Mal am Ende der Zeit – von einem ‚adventus medius‘ gesprochen, von einem mittleren Kommen, durch das Er periodisch immer wieder in die Geschichte hereintritt.“[15]

Der Heilige Vater verdeutlicht die innere Spannung der christlichen Wiederkunftserwartung, die das christliche Leben und Beten prägen muss, an zwei unterschiedlichen Ausdrucksformen der Theologie. Zum einen zitiert er eine Katechese des hl. Cyrill von Jerusalem (Kat. XV,1–3: PG 33,870–874), die mit den Worten beginnt: „Christi Ankunft verkündigen wir, nicht eine nur, sondern noch eine weitere … Wie zumeist, so ist beim Herrn Jesus Christus alles zweifach: zweifach die Geburt, die eine aus Gott vor aller Zeit, die andere aus der Jungfrau in der Fülle der Zeit; zweifach die Herabkunft – die eine verborgen, die andere, noch zukünftige, sichtbar.“ Diese Rede von der zweifachen Ankunft Christi hat die Christenheit geprägt und gehört zum Kern der adventlichen Verkündigung. Sie ist richtig, aber ungenügend.

Zum anderen zitiert der Heilige Vater eine Auslegung aus den Adventspredigten des heiligen Bernhard von Clairvaux, in der eine ergänzende Sicht zu Worte kommt. Da heißt es: „Eine dreifache Ankunft des Herrn kennen wir … Die dritte ist in der Mitte zwischen den anderen (adventus medius) … In der ersten Ankunft kam er im Fleisch und in der Schwachheit. In dieser mittleren kommt er in Geist und Kraft, in der letzten in Herrlichkeit und Majestät“ (In Adventu Domini, serm. III,4. V,1: PL 183, 45A. 50C-D). Bernhard bezieht sich für diese seine These auf Joh 14,23: „Wenn jemand mich liebt und mein Wort hält, dann wird mein Vater ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“

Ausdrücklich ist von einem „Kommen“ von Vater und Sohn die Rede: Es ist die präsentische Eschatologie, die Johannes entwickelt hat. Sie gibt die Erwartung der endgültigen weltwendenden Ankunft nicht auf, zeigt aber, dass die Zwischenzeit nicht leer ist, dass es in ihr eben den Adventus medius gibt, die mittlere Ankunft, von der Bernhard spricht. Diese antizipative Gegenwart gehört durchaus zur christlichen Eschatologie, zur christlichen Existenz.[16]

Können wir also um das Kommen Jesu beten? Können wir aufrichtig sagen: „Marana tha! Komm, Herr Jesus!“? Ja, wir können es. Nicht nur das: Wir müssen es! Wir bitten um Antizipationen seiner welt-erneuernden Gegenwart. Wir bitten ihn in Augenblicken persönlicher Bedrängnis: Komm, Herr Jesus, und nimm mein Leben hinein in die Gegenwart deiner gütigen Macht. Wir bitten ihn, dass er Menschen, die wir lieben oder um die wir Sorge tragen, nahe werde. Wir bitten ihn, dass er in seiner Kirche wirksam gegenwärtig werde.

Warum sollten wir ihn nicht bitten, dass er uns auch heute wieder neue Zeugen seiner Gegenwart schenke, in denen er selber kommt? Und diese Bitte, die nicht unmittelbar auf das Weltende zielt, aber doch wahre Bitte um sein Kommen ist, trägt in sich die ganze Weite der Bitte, die er selbst uns gelehrt hat: „Dein Reich komme!“ Komm, Herr Jesus![17]

Unterpfand des Ziels

Die Eucharistie ist der Schatz der Kirche, das Herz der Welt, das Unterpfand des Ziels, nach dem sich jeder Mensch, und sei es auch unbewusst, sehnt. Maria, die eucharistische Frau, die mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen ist, lässt uns ein Stück des „neuen Himmels“ und der „neuen Erde“ sehen, die sich bei der zweiten Ankunft Christi vor unseren Augen öffnen werden. Die Eucharistie ist hier auf Erden ihr Unterpfand und in gewisser Weise ihre Vorwegnahme: „Veni, Domine, Jesu!“ (Offb 22,20).[18]


[1] Breviarium Romanum, Antiphon zum Magnificat der 2. Vesper vom Hochfest des Leibes und Blutes Christi: „O sacrcum convivium, in quo Christus sumitur, recolitur memoria passionis ejus, mens repletur gratia et futurae gloriae nobis pignus datur.“
[2] Missale Romanum, Embolismus nach dem Vater unser.
[3] Hl. Ignatius von Antiochien, Epistula ad Ephesios, 20: PG 5,661.
[4] Siehe Papst Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (17. April 2003), Art. 18 und 19. Vgl. auch das Zweite Vatikanische Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 48-54, wo vom eschatologischen Charakter der pilgernden Kirche und ihrer Vereinigung mit der himmlischen Kirche die Rede ist.
[5] Alexander Schmemann, Eucharistie. Sakrament des Gottesreiches, Johannes Verlag Einsiedeln, Freiburg 2005, S. 278-295. (Original amerikanisch: The Eucharist. Sacrament of the Kingdom, New York 42003).
[6] „Über die Frage der Epiklese liegt eine überreiche Bibliographie vor“, schreibt Yves Congar, Der Heilige Geist, Herder, Freiburg 1982, S. 464. (Original französisch: Je crois en l'Esprit Saint, Ed. du Cerf, Paris 1979 und 1980).
[7] Jean Corbon, Liturgie aus dem Urquell, Johannes Verlag Einsiedeln 1982, 85. (Original französisch: Liturgie de source, Ed. du Cerf, Paris 1980).
[8] Joseph Ratzinger, Eschatologie. Tod und ewiges Leben. Neuausgabe mit einem Vorwort von Papst Benedikt XVI., Pustet, Regensburg 2007, S. 163.
[9] Joseph Ratzinger, Eschatologie. Tod und ewiges Leben, S. 163f.
[10] Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Herder, Freiburg 2011, S. 25.
[11] Siehe dazu: Adrienne von Speyr, Apokalypse. Betrachtungen über die Geheime Offenbarung, Johannes Verlag Einsiedeln 21950, S. 819-825.
[12] Jean Corbon, Liturgie aus dem Urquell, Johannes Verlag Einsiedeln 1981, S. 65f.
[13] Jean Corbon, 69.
[14] Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Herder, Freiburg 2011, S. 313-315.
[15] Benedikt XVI., Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Herder, Freiburg 2010, S. 212.
[16] Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Herder, Freiburg 2011, S. 315-316.
[17] Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil, S. 317.
[18] Siehe Papst Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (17. April 2003), Art. 59 und 62.

Der christliche Glaube vermittelt ein klares Bild

Der Tod im Licht der Offenbarung

Aufmerksam verfolgt Anton Graf von Wengersky seit einigen Jahren die Auseinandersetzungen um die Organtransplantation. Beiträge über die Hirntod-Definition, die zunächst in Amerika veröffentlicht wurden, machten ihn hellhörig. Intensiv befasste er sich mit der sittlichen Bewertung derzeitiger Praktiken. Er gelangte zu der Überzeugung, dass wir als Christen nur dann zu einer verantwortlichen Haltung gegenüber der Thematik gelangen können, wenn wir uns ehrlich und umfassend über den Tod und seine Bedeutung Gedanken machen.

Er arbeitete zunächst heraus, was wir aus der Erfahrung und der Medizin über den Tod erkennen können. Das Ergebnis fasste er in zwölf Merksätzen zusammen. Abschließend unterzieht er nun das Bild, das sich ohne religiöse Vorentscheidungen ergeben hatte, gleichsam einer „Ergebniskontrolle aus dem Glauben der Christen“. Sein Resultat lautet: Das Bild stimmt mit der christlichen Offenbarung, die uns eine klare Vorstellung vom Tod des Menschen vermittelt, vollkommen überein.

Von Anton Graf von Wengersky

In meinen bisherigen Ausführungen (vgl. die Abschnitte 1-3, die in den vorausgehenden Nummern von „Kirche heute“ veröffentlicht worden sind) habe ich ein Bild vom Tod des Menschen gezeichnet, das auf dem Erfahrungswissen der Menschheit über Sterben und Tod des Menschen, sowie auf den uns hierzu aktuell von Ärzten und Wissenschaftlern an die Hand gegebenen Todeserklärungen, Todesdefinitionen und Todesfiktionen basiert. Ich habe mich dabei bemüht, die uns bekannten Fakten als solche darzustellen und zu bewerten, als das also, was ist.

Für mich als Christ (ich bin römisch-katholisch) ist der in den bisherigen Überlegungen beiseite gelassene religiöse Aspekt der Sache von Gewicht: Die am Ende des Abschnitts 3 herausgestellten Merksätze und die Folgerungen daraus würden, ich bitte um Verständnis, für mich grundsätzlich in Frage gestellt, wenn und soweit sie mit meinem Glauben als Christ und der Lehre meiner Kirche in Widerspruch stehen. Dies der Grund, dass ich hier zum Schluss die in „Kirche heute“ Nr. 3/2012 zu unserem Wissen über den Tod des Menschen herausgestellten Merksätze unter diesem Gesichtspunkt überprüfen möchte.

Für diese Ergebniskontrolle aus dem Glauben des Christen stehen mir drei gute Instrumente zur Verfügung: die Bibel, unser Glaubensbekenntnis (das Credo), und der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK).

Die Bibel ist allen Christen gemeinsam. Sie ist das „Wort Gottes“. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in seiner Dogmatischen Konstitution Dei Verbum über die göttliche Offenbarung festgestellt, dass „die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes … Gott zum Urheber haben“ (DV 11): Die Aussagen der Bibel gehen auf unseren Herrgott selbst zurück. Stimmen die Aussagen der Bibel mit den am Ende des Abschnitts 3 ausformulierten Ergebnissen überein?

Wie die Bibel, ist auch das Credo allen Christen unabhängig von ihrer Konfession gemeinsam. Das Glaubensbekenntnis ist eine Art Kurzfassung des christlichen Glaubens, in dem die Hauptwahrheiten des Glaubens zusammengefasst sind. Stimmen die von uns im Credo betend bekräftigten Wahrheiten mit den am Ende des Abschnitts 3 ausformulierten Merksätzen überein?

Der Katechismus der Katholischen Kirche wurde 1992 von Papst Johannes Paul II. den Gläubigen meiner katholischen Kirche an die Hand gegeben „als sichere Norm für die Lehre des Glaubens“ und „somit als gültiges und legitimes Werkzeug“. Der KKK „ist eine Darlegung des Glaubens der Kirche und der katholischen Lehre, wie sie von der Heiligen Schrift, der apostolischen Überlieferung und vom Lehramt der Kirche bezeugt“ wird (aus der Apostolischen Konstitution Fidei Depositum von Johannes Paul II. zur Veröffentlichung des KKK). Stimmen die Lehraussagen der Kirche im KKK mit den Ergebnissen im Abschnitt 3 überein?

Eine Antwort auf diese Fragen werde ich im Folgenden versuchen. Ich bitte bei der Lektüre zu beachten, dass in der Sprache der Bibel und der Kirche das, was ich im bisherigen Text meist als „Ich-Subjekt“ bezeichnet habe, also das erlebende „Ich“ der Person, als „Seele“ bezeichnet wird.

4.1  Ergebniskontrolle aus der Bibel

Der Tod des Menschen ist in der Bibel omnipräsent. Aus den Berichten vom Tod Jesu habe ich oben zitiert: „Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf“ (Joh 19,30). Bei Lk 23,44 findet sich sogar eine Zeitangabe zum Tod Jesu (vgl. oben 1. das zeitlich fixierte Todesereignis). Auch die Bibel kennt also den Tod als zeitlich punktuelles Ereignis, das mit dem Ende aller Lebenszeichen des Körpers zusammenfällt.

Ebenso eindeutig sind die Aussagen der Bibel dazu, was im Tod des Menschen stirbt: allein der „sterbliche Leib“ (Röm 8,12; Kol 1,22). Paulus schreibt über den Tod des Leibes (2 Kor 5,8): „Wir ziehen es vor, aus dem Leib auszuwandern.“ Das „Wir“ bei Paulus ist das „Ich“ jedes Menschen, das seinen sterblichen Leib verlässt und vom Leib getrennt weiterlebt. Diese Aussage wird noch unterstrichen durch die Aussage Jesu (Mt 10,28): „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.“ Etwas, was man nicht töten kann, ist nicht sterblich, sondern unsterblich. Hier wird klar ausgesagt, was an uns allein sterblich ist, nämlich der Leib, und was über den Tod des sterblichen Leibes hinaus von diesem getrennt weiterlebt, nämlich die Seele, das „Ich-Subjekt“.

Auch nach der Bibel ist der Tod des Menschen das Erlöschen der Lebenszeichen des Leibes. Gleichzeitig trennt sich („Auswandern“) das „Ich-Subjekt“ von seinem Leib.

Die Bedeutung der inkorporierten Seele für die Lebendigkeit des Leibes unterstreicht auch eine weitere Stelle der Bibel deutlich: In der Apostelgeschichte (Apg 20,10) spricht Paulus bei der Erweckung des während seiner Predigt eingeschlafenen und aus dem Fenster gestürzten jungen Mannes: „Beunruhigt euch nicht: Er lebt!“ So die deutsche Einheitsübersetzung. Im griechischen Original lauten die Worte „Er lebt!“ jedoch ganz anders: „He gar psyche autou en auto estin“. Der Satz des Apostels heißt also eigentlich: „Beunruhigt euch nicht: denn seine Seele ist in ihm.“ Luther übersetzt diese Stelle genau mit diesen, vorstehend kursiv geschriebenen Worten. Auch nach Paulus (und Luther) ist also das Einwohnen der Seele im Leib konstitutiv für das noch vorhandene Leben, zeige es sich nun in Atmung, Herzschlag oder Kreislauf. Umgekehrt ist erst die „Auswanderung“ der immateriellen Seele aus unserem Materieleib der Tod.

Auch wenn die Bibel den Begriff des „klinischen Todes“ zeitbedingt nicht kennt, stimmen doch ihre Aussagen nicht nur völlig mit dem Erfahrungswissen der Menschen überein, sondern auch mit den Merksätzen am Ende des vorstehenden Abschnitts 3.

Für den Gläubigen gibt es im Kontext des Todes noch ein zusätzliches, hier freilich nur am Rande interessierendes Element: die Auferstehung. Auferstehung ist das Gegenteil des Todes, seine Überwindung. Schon rein logisch liegt auf der Hand: Auferstehen kann nur, was sterblich ist. Wie nach der Bibel allein der Leib sterblich ist, so betrifft nach der Bibel die Auferstehung allein den Leib des Menschen: „Die Leiber vieler Heiliger, die entschlafen waren, wurden auferweckt“(Mt 27,52). Jesu Leib hat selbst „die Verwesung nicht gesehen“ (Apg 13,37). Sein Leib verblieb nicht im Grab. Denn in der Auferweckung Jesu am dritten Tag wurde seine menschliche Seele wieder mit seinem zur Unvergänglichkeit verwandelten irdischen Leib vereint (vgl. 1 Kor 15,44). Im Gegensatz zu Jesus wird unser Leib im Grab verwesen. Aber auch für unsere Auferstehung gilt, „dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen“ (Röm 8,11).

4.2  Ergebniskontrolle aus dem christlichen Glaubensbekenntnis

Die Christen bekennen ihren Glauben gemeinsam im sog. „Apostolischen Glaubensbekenntnis“, das „als treue Zusammenfassung des Glaubens der Apostel gilt“ (KKK 194). Das Glaubensbekenntnis beginnt mit dem lateinischen Wort „Credo“ = „Ich glaube“ und wird daher oft auch einfach als „Credo“ bezeichnet.

Das Apostolische Glaubensbekenntnis endet mit den Worten „Credo in vitam aeternam“. Deutsch heißt das: „Ich glaube an das ewige Leben“. Wer diese Worte als Christ gläubig betet, bestätigt damit seinen Glauben an das Fortleben der individuellen menschlichen Existenz über den Tod hinaus. Wenn, wie wir Christen es im Credo bekennen, das „Ich-Subjekt“ des Menschen den Tod überdauert, dann ist Träger des ewigen Lebens das fortlebende „Ich-Subjekt“, unsere unsterbliche Seele.

Aus dem im Credo bekannten Glauben an das ewige Leben wächst uns also als Glaubenswissen wiederum die Erkenntnis zu: Im Tod stirbt allein unser Leib. Bedeutet also „Tod“ allein Tod des Leibes, kann dann ein untoter Leib mit pulsierendem Kreislauf der Leib eines Toten, eine Leiche sein? Die einzig mögliche Antwort ist „Nein“.

Diese Erkenntnis gilt dann auch für den untoten Leib des fälschlich sog. „Hirntoten“. Denn ein Hirntoter atmet, sein Herz schlägt und sein Kreislauf ist in Funktion. Unabhängig vom Hirntod lernen wir aus dem, was wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen, dass wir beim Ausblick nach dem Tod des Menschen nicht auf Todeszeichen, sondern im Gegenteil auf die Lebenszeichen achten müssen: Da im Tod allein der Leib des Menschen stirbt, fällt der natürliche Tod des Menschen mit dem Ende aller Lebenszeichen seines Körpers (Atmung, Herzschlag, Kreislauf) zusammen. So ergibt es sich aus dem von uns im Credo bekannten Glauben an unser ewiges Leben.

Und die Auferstehung? Der im Credo ausformulierte Glaubenssatz zur Auferstehung lautet auf Deutsch: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten.“ Das ist eine der vielen ungenauen Übersetzungen der deutschen liturgischen Texte aus dem Lateinischen. Denn in Latein lautet die Aussage des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zur Auferstehung deutlich anders: „Credo carnis resurrectionem“. Korrekt übersetzt sollten wir also im Credo beten: „Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches“, Auferstehung des Leibes also und damit dessen, was an uns allein sterblich ist.

Wir sehen: Auch der von den Christen im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekannte Glaube stimmt nicht nur völlig mit dem Erfahrungswissen der Menschheit zum Tod des Menschen überein, sondern auch mit den Merksätzen am Ende des vorstehenden Abschnitts 3, insbesondere den dortigen Merksätzen 5, 6 und 7.

4.3  Ergebniskontrolle aus der Lehre der Kirche (KKK)

Im Katechismus der Katholischen Kirche finden wir unser Glaubenswissen: „Beim Tod wird die Seele vom Leib getrennt“ (KKK 1005) und zwar in einem zeitlich punktuellen Ereignis, dem „Moment des Todes“ (KKK 1022). Bis zu diesem Todesmoment, in dem unser Leib wieder zu bloßer Materie wird, bewirkt unsere im Leib inkorporierte Seele dessen Lebendigkeit (KKK 365). Es ist also nach der Lehre der Kirche das Einwohnen der Seele im Körper konstitutiv für dessen Lebendigkeit. Erst im Moment des Absterbens des Körpers, in seiner Reduktion von der Lebendigkeit auf bloße, in seiner Materie weiterlaufende chemische Vorgänge, die schließlich in der Verwesung der Leiche münden, erst im Tod gibt der jetzt leblose, tote Leib die Seele frei.

Einem Menschen, und sei er „hirntot“, der noch Zeichen des Lebens zeigt (Atmung, Herzschlag, Kreislauf) steht also die Trennung der Seele vom Leib und damit nach der Lehre der Kirche der Tod erst noch bevor. Das „Ich-Subjekt“ des Menschen, in der Sprache der Kirche also seine „Seele“, ist unsterblich und „geht nicht zugrunde, wenn sie sich im Tod vom Leibe trennt“ (KKK 366). „Der Christ … versteht den Tod … als Eintritt in das ewige Leben“ (KKK 1020). Nach allem stimmen die Merksätze am Ende des Abschnitts 3 auch mit der im KKK niedergelegten Glaubenslehre der Katholischen Kirche und ihrem, die Fakten zutreffend ausdeutenden Verständnis vom Tod des Menschen voll überein.

Die im vorsteh. Absatz zitierten KKK-Aussagen zum Tod des Menschen müssen auch ins rechte Verständnis der Organspende eingebracht werden. Nach KKK 2296 ist „die Organspende nach dem Tode“ zulässig. Für das richtige Verständnis dieser Aussage dürfen wir allerdings zum Tod des Menschen nicht auf ärztliche Todesdefinitionen und Todesfiktionen zurückgreifen. Die Worte „nach dem Tode“ in KKK 2296 versteht vielmehr nur richtig, wer auch die übrigen Aussagen des KKK zu Tod und Leben (s. oben) als Lehre der Kirche zur Kenntnis nimmt.

Fasse ich für mich die Lehren der Bibel, unseres Glaubens und der Kirche mit unserem Sachwissen zu einer vom Zeitgeist unabhängigen persönlichen Entscheidung zusammen, so ist das Ergebnis eindeutig: In Respekt vor Gottes Gebot „Du sollst nicht töten!“, im Bemühen um die Vaterunserbitte „Dein Wille geschehe“, in Befolgung der Lehre meiner Kirche (KKK) und in praktischer Anwendung dessen, was wir Menschen über den Tod des Menschen wissen,  kann ich bei der heutigen Hirntod-Organspende weder Organspender noch gar Organempfänger sein. – Und die Lehre der Katholischen Kirche zur Auferstehung? Die Konzilskonstitution Gaudium et spes spricht (Ziff. 18) vom „leiblichen Tod“ und bezeichnet den Tod des Menschen damit als das, was er allein ist, ein Tod des Leibes. Entsprechend lehrt die Kirche (KKK 992) die Auferstehung als „die leibliche Auferstehung der Toten“. Und ebenso singen die Christen es auch im Gottesdienst (Gotteslob Lied 467): „Wir glauben … an des Leibes Auferstehn und ewges Leben in den Höhn. Amen.“

Bischof Algermissen zur Hirntod-Organspende

Eine aufsehenerregende Stellungnahme von Bischof Heinz Josef Algermissen, Fulda

Das Gesundheitsministerium, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Krankenkassen, Ärztekammer und die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) werben dafür, sich für eine Organspende nach dem Tod zu entscheiden.

Gleichzeitig wird aber immer wieder die Frage gestellt: Wie kann es möglich sein, einem toten Körper lebende Organe zu entnehmen, um diese zu transplantieren? Ist das nicht in sich absurd?

Neben vielen noch ungelösten Aspekten der Transplantationsmedizin, so zum Beispiel Abstoßung, lebenslange Medikamenteneinnahme, die dadurch bedingten Folgen, mitunter auch deutliche Persönlichkeitsveränderungen, ist das ethische Hauptproblem die Spende der entnommenen Organe. Nur wenn man weiß, was sich hinter dem Begriff „postmortale Organspende“ verbirgt, kann man sich frei entscheiden, zumal künftig jeder Bürger mehrmals im Leben mit der Frage konfrontiert werden soll, ob er zu solcher Organspende bereit ist.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Hirntod“? Es geht um Menschen, bei denen das gesamte Gehirn (Groß-, Klein- und Stammhirn) seine Funktion unwiederbringlich verloren hat. Es sind bewusstlose, beatmete Menschen, deren gehirngebundene Reflexe erloschen sind.

Die Körpertemperatur ist allerdings erhalten, das Herz schlägt spontan, der Blutdruck ist messbar, Stoffwechsel, Ausscheidungen, Hormonsystem funktionieren noch. Vegetative Reaktionen wie unter anderem Hautrötung und Schwitzen sind zu beobachten. Diese Phänomene beschreibt die Biologie korrekt als zum Leben gehörig.

Die Behandlung von schwangeren „Hirntod“-Patientinnen, deren Kinder normal entwickelt geboren werden, beweist geradezu, dass solche Menschen zwar schwer krank, aber lebende Menschen sind. In einer Toten kann sich kein Embryo entwickeln.

Bei der Organentnahme unter Narkose, so bestätigen Transplantationsmediziner, steigt der Blutdruck enorm, der Herzschlag beschleunigt sich stark. Diese Reaktionen zeigen, dass der Spender unbewusst etwas spüren muss. Es sind Lebenserscheinungen, die auch jeder andere Patient bei einer Operation zeigt.

Angesichts dessen ist es aufrichtig festzustellen: Einen Sterbenden im Hirnversagen für tot zu erklären, um bei einer Organentnahme eine Tötung zu umgehen, stellt eine willkürliche Setzung dar, die mit Redlichkeit als Voraussetzung für jede ethische Betrachtung nicht zu vereinbaren ist.

Mit anderen Worten: Der Begriff „Hirntod“ suggeriert einen Zustand, der nicht den Tatsachen entspricht. Auch hier können wir wieder feststellen, dass Sprache zur Vernebelung herhalten muss.

Von der „postmortalen Organspende“ zu sprechen, geht von falschen Tatsachen aus, entspricht dem Tatbestand der bewussten Täuschung. Deshalb ist das so genannte „Hirntodkonzept“ mit den moralischen und ethischen Ansprüchen des Evangeliums nicht zu vereinbaren.

Da Spender im Hirnversagen zwar Sterbende, aber doch noch lebende Menschen sind, ergibt sich für eine ehrliche Information als Grundlage einer schwierigen Entscheidung die notwendige medizinische Aufklärung über den Zustand des Hirnversagens. Erst dann kann jeder für sich im Sinne einer engen Zustimmung entscheiden, ob er im Zustand des Sterbens bereit ist, ein Organ zu spenden.

Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es unter Nr. 2296 erhellend:

Die Organverpflanzung … ist sittlich unannehmbar, wenn der Spender oder die für ihn Verantwortlichen nicht ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben. Zudem ist es sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde.

Hinsichtlich der drängenden Fragen um die Probleme „Organspende“ und „Hirntod“ ist da noch viel Aufklärung zu leisten, um eine Gewissensentscheidung vor Gott vertreten zu können. Grundsätzlich anzuerkennen ist die Absicht, durch Organspende und Organverpflanzung leidenden oder gar lebensbedrohten Menschen zu helfen. Eine christliche Sicht der menschlichen Person führt nicht zur grundsätzlichen Ablehnung solcher Spende, wohl aber zu deutlich einschränkenden Anfragen.“

Fuldaer Zeitung, 6. März 2012

Anna Schäffer – Prüfstein der Liebe

Deutschland bekommt eine neue Heilige. Mit besonderer Freude wird Benedikt XVI. im Oktober dieses Jahres die bayerische Anna Schäffer der ganzen Weltkirche als Leitbild christlichen Lebens vor Augen stellen. P. Notker Hiegl OSB führt uns in das Geheimnis ihres Lebens ein. Er bekennt, dass sie so gar nicht in unsere Zeit zu passen scheint. Aber gerade dadurch wird sie zu einem notwendigen Korrektiv für einen Geist, der sich bis in die Kirche hinein breitmacht. Was wollen wir, Wellness oder Nachfolge? Das ist heute zu einer entscheidenden Frage geworden. Das Leben Anna Schäffers stellt das Kreuz wieder in den Mittelpunkt – als letzten Orientierungspunkt. Ihre Botschaft klingt wie ein gewaltiger Paukenschlag, der unsere Herzen für eine authentische Teilnahme am Werk der Erlösung öffnen möchte.

Von Notker Hiegl OSB

Die Regensburger Dienstmagd Anna Schäffer (1882-1925) wird am 21. Oktober 2012 heiliggesprochen. Dies teilte das Bistum Regensburg am 11. Februar mit. Papst Benedikt XVI. habe im Rahmen des Konsistoriums anlässlich der Kreierung der 22 neuen Kardinäle in Rom den Termin der Heiligsprechung bekannt gegeben. Anna Schäffer aus dem oberbayerischen Mindelstetten bei Ingolstadt (Landkreis Eichstätt) war im März 1999 von Papst Johannes Paul II. im Petersdom seliggesprochen worden. Am 19. Dezember 2011 hatte der Vatikan den Weg für die Heiligsprechung freigemacht, indem Papst Benedikt XVI. ein neues Wunder auf die Fürsprache der sel. Anna Schäffer anerkannte.

Charisma der leidenden Liebe

Anna Schäffer verbrühte sich bei der Arbeit in einem großen Waschkessel beide Beine mit kochendem Laugen-Wasser; sie war damals gerade einmal 18 Jahre alt und wurde durch diesen Arbeitsunfall Vollinvalide. Sie konnte das Bett nie mehr verlassen. In diesem Siechtum und in ihrer Armut habe „die junge Frau Gottes Willen gesehen, Jesus in der Schule des Leidens zu folgen“, so in einer Mitteilung der Diözese. Die deutschsprachige Ausgabe des L´Osservatore Romano, Die Tagespost (Würzburg), der FELS, aber auch Tagesblätter wie die Augsburger Allgemeine (Augsburg), die Schwäbische Zeitung (Sigmaringen) oder der Gränzbote (Tuttlingen) brachten die Ankündigung der Heiligsprechung sofort auf würdigende Weise in einer ihrer nächsten Nummern. – Dieses bevorstehende Ereignis zeigt wieder einmal mehr, dass vor Gott andere Dinge zählen als bei den Menschen. Anna Schäffer glänzte nicht durch – nach menschlichem Ermessen – große Leistungen. Sie bewegte die Welt nicht durch politische Reden, sie strahlte nicht im Blitzlichtgewitter wie manche Operndiva, wie mancher Filmstar oder Bundesliga-Fußballspieler. Aber sie war eine großartige Frau, die die Menschen nicht vergessen sollten. Denn sie legte Zeugnis dafür ab, wie ein Leben voller Leiden in großer Liebe gelingen kann – und zwar durch die Hinwendung zum liebenden Herrn und Heiland Jesus Christus, der für uns die Via dolorosa hinaufgegangen ist, um uns durch sein Kreuz, durch sein Leiden und Sterben am Kreuzesbalken aus unserer je eigenen Not in die ewige Freude hinein zu erlösen.

Einbruch des Kreuzes in das junge Leben

Es war am Abend des 4. Februar 1901. Die Dienstmagd Anna Schäffer wollte zusammen mit ihrer Mitwäscherin – sie hieß ebenfalls Anna – im Forsthaus Stammham noch die Wäsche ihrer Herrschaft fertig machen. Da löste sich das Ofenrohr von der Wand. Anna Schäffer stieg auf den Mauervorsprung neben dem Waschkessel, um das Rohr wieder möglichst gut einzurichten. Da geschah das wirklich Unglaubliche. In dem Augenblick, als sie oben stand, gab ihr die andere Wäscherin im Scherz und Übermut einen Stoß. Dadurch rutschte Anna mit beiden Füßen in den großen Waschkessel und stand bis weit über die Knien in der kochenden Lauge. Statt die vor Schmerz Brüllende sofort herauszureißen, rannte die nunmehr tieferschrockene Mitwäscherin ins Nachbarhaus und schrie um Hilfe. Die Nachbarin Therese eilte sofort herbei und zog die im siedend heißen Wasser buchstäblich Kochende und vom Dampf Verbrühte heraus. Um das Unglück voll zu machen, schüttete man ihr einen Eimer kalten Wassers auf die verbrannten Körperteile. Dann legte man ihr in Salatöl getauchte Leinwandstreifen auf die Brandwunden und brachte sie mit einem Pferdefuhrwerk in das nächste, rund sieben Kilometer entfernte Krankenhaus nach Kösching. Ihre Füße waren bis zu den Knien hinauf völlig verbrüht, der Leib und die Arme über und über mit Brandblasen bedeckt. Ein Bild des Jammers. Sie schrie vor Schmerzen. Um 23 Uhr kam Anna in Kösching an. Als man sie ins Krankenhaus hineintrug, schleiften – wie Augenzeugen berichten – verbrannte Fleischfetzen am Boden hinterher. Bis 1 Uhr früh arbeitete der Arzt mit dem Messer an ihr herum. Er schnitt alle Brandblasen auf. Heute hat die moderne Medizin für solche Verbrennungen neue, wirksamere Mittel. Vielleicht könnte man solch einen Unfall sogar in Griff bekommen, damals leider nicht. Es ist fast schon ein Wunder, dass Anna Schäffer an ihren Brandverletzungen nicht gestorben ist. Es folgten furchtbare Leidenswochen. Am 19. März, dem Fest des hl. Josef, schnitt der Arzt wieder alles brandige Fleisch weg. Dieses war schon ganz schwarz und begann zu faulen. Chloroform kam nicht zur Anwendung. Es wurde ihr nur Morphium gegeben. Infolge der großen Menge aber bekam sie schon nach kurzer Zeit ein Magengeschwür – mit beinahe tödlichem Ausgang. Der Körper der Kranken wurde ganz steif und unbeweglich. Arzt und Seelsorger standen am Bett und erwarteten jede Minute ihren letzten Atemzug. Wie in einem Krampf zog sich plötzlich ihr ganzer Körper zusammen. Die Krankenschwester hob in ihrem Mitleid Annas Kopf. In diesem Moment platzte das Geschwür und der ganze Eiter ergoss sich aus ihrem Mund. Sie war gerettet, gerettet für neues Leiden.

Ein endloses Martyrium an Schmerzen

Ein Vierteljahr lag Anna im Köschinger Krankenhaus. Dann stellte die Versicherungskasse die Zahlungen ein. Weil ihre arme Mutter die Kosten nicht aufzubringen vermochte, holte sie ihr Kind nach Hause. Damit begann ein 25 Jahre währender Leidensweg voll unsagbarer Schmerzen und bitterster Armut. Dr. Wäldin aus dem nahegelegenen Pförring übernahm die ärztliche Betreuung. Er wandte zunächst trockene Wundbehandlung an, er wollte allein mit Luft heilen. Wenn die Sonne zum Fenster hereinschien, unterblieben die Verbände. Ansonsten wurde ein erhöhtes Gitter über die Füße gelegt, damit die Bett-Decke die Füße nicht berührte. Aber es zeigte sich keine Besserung. Die Kranke schrie oft und oft in ihren Schmerzen. Der Eiter rann weiter aus ihren Wunden. Nun begann der Arzt von neuem mit Verbänden, die er jeweils am nächsten Tag wieder abriss, natürlich mit allen Blutkrusten, die daran klebten. Die Anwendung von essigsaurer Tonerde, von Salben, alles fruchtete nichts. Nach einem Vierteljahr nahm sich die Invalidenanstalt ihrer neuerdings an. Anna kam in die Universitätsklinik nach Erlangen. Dort wurden in der Zeit von Mitte 1901 bis Sommer 1902 schmerzvolle Heilversuche angestellt. Nach bezeugtem Bericht wurden ihr unter anderem die Füße, Vorfuß und Zehen mehrfach gebrochen, wer weiß aus welchem medizinischen Grund (vgl. Alfons M. Weigl, „Geschichte einer Liebe“, S. 19). Ein andermal legte man ihr einen Gipsverband an. Da man nicht rechtzeitig nachsah, fingen die Füße unter dem Verband wieder zu faulen an. Einer der Assistenzärzte musste den Gipsverband abnehmen, doch sägte er zu tief, nämlich bis in den Fuß hinein. Zuletzt versuchte man es mit Salbe und einem Zinkleimverband. Schließlich kam sie wieder nach Hause, weil niemand für die weiteren Verpflegungskosten dieser armen jungen Frau aufkommen wollte.

Ende und Vollendung eines Jugendtraums

Ihr Kindheits- und Jugendtraum war es gewesen, sich als Missionsschwester mit aller Kraft für Christi Reich einzusetzen und aufzuopfern. Sie hatte noch nicht das Alter und besaß auch keine Aussteuer zum Eintritt in ein Kloster, als ihr Vater erst vierzigjährig starb. Dennoch wollte sie von zu Hause fort, da durch den Tod des Vaters eine noch größere Not in die Familie eingekehrt war. Das Geld, das der Vater neben der kleinen Schreinerei als Musikant im Wirtshaus noch dazuverdient hatte, blieb leider auch großenteils dort hängen. Die Familie mit sechs lebenden Kindern konnte nur notdürftig ernährt werden. Gerade in jener Zeit kam ihr späterer Seelenführer, Pfarrer Rieger, als Seelsorger nach Mindelstetten. Er vermittelte der noch nicht Vierzehnjährigen zuerst in Regensburg und dann bei einem Gerichtsrat in Landshut einen Dienstplatz. Dort hatte sie bereits erste visionäre Erlebnisse.

Das Unglück der Verbrühung 1901 in Stammham brachte die entscheidende Wende. Ihr Lebensplan war zerschlagen. Ein Vierteljahrhundert liegt sie nun auf der Folterbank schwerer körperlicher und seelischer Leiden. Warum musste alles so kommen? Gottes Vorsehung führte die Achtzehnjährige nicht in die stille Klostereinsamkeit, sondern in die Abgeschiedenheit eines Schmerzenskämmerleins. „Das Leben ertragen können“, ist nach Papst Pius XII. die „erste Voraussetzung und das erste Mittel zur Heiligkeit und Heiligung“. Erst recht aber ein Leben der Krankheit und der Schmerzen, ein Leben der Armut und der Verkennung. Was gab der jungen Anna die Kraft, ihr Leben anzunehmen und nicht selbst Schluss zu machen? Was gab ihr die Kraft zum heroischen Durchhalten? Darauf gibt es nur eine befriedigende Antwort: ihre Liebe zu Jesus, eine Liebe, die im Lauf der langen Jahre stetig wuchs – bis zur Vollendung. Diese Liebe war genährt durch ein tiefinnerliches Beten, durch die tägliche hl. Kommunion, durch den Gedanken der Sühne und des Seelen rettenden Apostolats. Heute heißt es: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Annas Leidensbeispiel spricht eine andere Sprache.

In der Nachfolge des Herrn

Gegenüber einem Gesundheitswahn, der nur nach körperlicher Kraft und Schönheit strebt und allein erfolgreichem Tatendrang einen Wert beimisst, zeigt das Leben und Leiden Anna Schäffers, dass gerade der, der mit dem Leiden in rechter Weise umgeht, ein erfülltes wie wertvolles Leben führen kann. Bis in die kleinsten Dörfer sehe ich überall Fitness-Studios entstehen, welche nicht nur von den Städtern der nahen Umgebung, sondern auch von den Dorfbewohnern mehr besucht werden als die Sonntagsmessen. Vor einigen Wochen besuchte ich im Dominikanerinnenkloster in Ilanz eine Ausstellung und einen Film über den Psychologen und Begründer der Logotherapie Viktor Frankl. Dieser wurde nicht müde zu betonen, dass derjenige, der sein Leben und sein Leiden annimmt, zum inneren Wachstum gelangt. Ein solcher Mensch kann durch sein Beispiel auch seinen Mitmenschen die Angst davor nehmen, krank und gebrechlich zu werden. Und er kann anderen Leidenden eine Stütze sein, sodass sie mit ihrem persönlichen Lebensschicksal nicht hadern, sondern es annehmen.

Natürlich kam für Anna Schäffer eine weitere, noch viel tiefere und schönere Dimension hinzu, nämlich das eigene Leiden in der Leidensnachfolge Jesu Christi zu sehen, das heißt, das Leid im Licht des Glaubens an Gott zu verstehen, gerade auch, weil uns immer wieder die Frage umtreibt, warum Gott das Leiden nicht abschafft, sondern zulässt. Durch die allmähliche Annahme ihrer Krankheit – zunächst haderte auch Anna Schäffer mit ihrem Leiden und musste erst in diese Haltung hineinwachsen – verweist sie auf einen Gott, der Leiden zulässt und doch ganz und gar Liebe ist. Ihre Krankheit verschlimmerte sich von Jahr zu Jahr. Als 16-jähriges Mädchen hatte sie eine Vision in der Gestalt des Guten Hirten, der ihr versicherte, dass er sie auch bei kommendem Leid behüten werde. Sie wollte dieses Leid umgehen und beendete das Arbeitsverhältnis. Sie verließ Landshut in der Hoffnung, dass ihr das prophezeite Unheil dadurch erspart bliebe. Doch der Gedanke, dass Jesus sie berufen hat, ihm, der selbst am Kreuz schwer gelitten hat, durch ihr Leiden nachzufolgen, ließ sie ihr Schicksal im Krankenbett allmählich bejahen.

Aufstieg zum Gipfel ihres persönlichen Golgatha

Dr. Wäldin, der Annas Behandlung zuhause übernommen hatte, schnitt alles verfaulte Fleisch bis zu den Knochen weg, nahm von ihrem Oberarm Hautstücke ab und verpflanzte sie auf die kranken Beine. Am darauffolgenden Tag zeigte sich, dass das „wilde Fleisch“ schon wieder zu wuchern begann. Der Arzt ließ einige Tage vergehen, dann schnitt er wieder alles Eitrige und Faule bis auf die Knochen weg. Dieser operative Eingriff wiederholte sich nicht weniger als 30 Mal und dauerte jeweils etwa zwei Stunden. Manchmal brannte der Arzt das Fleisch mit Höllstein weg. Die Schmerzen waren so stark, dass sie während der ganzen Operation schrie und von drei Personen festgehalten werden musste. Zweimal wurde bei ihrer Schwester Kathi und einmal bei ihrem Bruder Michael Haut von deren Armen abgenommen und auf Annas Bein übertragen. Fast zwei Jahre zog sich diese Behandlung hin. Waren die Wucherungen wieder weit genug, streute der Arzt auch Alaun auf, um das „wilde Fleisch“ wegzubrennen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Pfarrer Rieger in seinen Aufzeichnungen bemerkt: „Dr. Wäldin hat die Kranke mit Liebe und Sorgfalt behandelt.“

Bis zu ihrem Tod blieb es die vielen Jahre hindurch bei der Behandlung mit Xeroform-Gaze, nur dass Anna die aus vielen Wunden eiternden Füße allmählich selbst verband – unter größter Mühe, weil die Mutter „vor Elend sich nicht daranwagte“. Die letzten Lebensjahre, als Anna immer schwächer wurde, verbanden sie schließlich treue Freundinnen mit großer Gewissenhaftigkeit. Schmerzen bei Tag und bei Nacht.

In den letzten Lebensjahren verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch. Die Beine konnte sie nun gar nicht mehr bewegen, aufgrund einer Rückenmark-Erkrankung kamen schmerzhafte Krämpfe hinzu, schließlich wurde bei ihr Darmkrebs festgestellt. Im Spätsommer 1925 stürzte sie unglücklich aus dem Bett und verletzte sich dabei so schwer am Kopf, dass sie kaum noch sprechen konnte. Welchen äußeren, aber vor allem inneren Weg legte sie in diesen 25 Jahren, in diesen 43 Jahren zurück! Sie begleitete den Herrn auf Golgothas Höhen hinauf, kein Viertelstündchen ohne Leiden.

Mystische Vereinigung mit Christus

Seit der Seelenführung durch Pfarrer Rieger lebte Anna Schäfer in der Gewissheit, dass das Sakrament der Eucharistie für sie zum zentralen Liebesbund mit Jesus für Zeit und Ewigkeit geworden war, eingebrannt in ihr Leben, in ihr ganzes Sein. Sie verstand sich als Leidensbraut, die von der hl. Eucharistie lebte. Täglich war die hl. Kommunion ihre Kraftquelle. Pfarrer Karl Rieger brachte ihr den Heiland ans Krankenbett. Wie wichtig ihr das Sakrament des Altares war, zeigt sich darin, dass sie oftmals das Herz Jesu nicht nur – wie üblich – mit Flammen, sondern auch mit Kornähren zeichnete. Damit wollte sie zeigen, dass die unermessliche Liebe des Gottessohnes, auf die das Herz Jesu verweist, engstens mit dem Altarsakrament verbunden ist. Anna Schäffer wurde selbst ein Weizenkorn. Durch ihr Leiden brachte sie reiche Frucht – auch in dem Sinn, dass ihr weitgespanntes Briefapostolat sie zur begehrten Seelenfreundin und Wegweiserin auf Christus hin machte.

Der leidenden Anna Schäffer tat sich eine mystische Welt auf: Maria verehrte sie als ihre himmlische Mutter besonders durch ihr Lieblingsgebet, den Rosenkranz; sie schaute ihren treuesten Freund, den Schutzengel an ihrer Seite; in ihrer geistlichen Verlobung und Vermählung mit Jesus Christus empfing sie seine Wundmale – also auch diese schmerzliche Bevorzugung wurde Anna Schäffer zuteil. Sie berichtet über den Empfang der hl. Kommunion am 4. Oktober 1910: „Beim dritten Domine non sum dignus sah ich von der heiligen Hostie fünf Feuerstrahlen ausgehen, die wie ein Blitz in meine Hände, Füße und das Herz fuhren. Es fing sogleich ein unendlicher Schmerz in diesen Körperteilen an. Als ich die heilige Kommunion empfangen hatte, spürte ich im Inneren eine solche Feuersglut, dass ich glaubte, ich müsste verbrennen. Dieses Leiden durfte ich seit 4. Oktober 1910 mitleiden ohne Unterbrechung. An manchen Tagen ist es oft sehr vermehrt, besonders an Donnerstagen und Freitagen und an Sonn- und Festtagen. Mein Gott, ich liebe Dich!“ (Aufzeichnung vom 12. März 1920).

Am 5. Oktober 1925 wurde Anna Schäffer im Alter von 43 Jahren von ihren Leiden erlöst – mit den Worten auf den Lippen: „Jesus, dir leb ich.“

Mit Anna Schäffer wird nun eine Frau zur Ehre der Altäre erhoben, die durch ihr beispielhaftes Leben deutlich machte, dass ein kranker Mensch nie wertlos ist und in seinem Leiden ein tiefer Sinn liegt. Gott steht keinem Leiden gleichgültig gegenüber, sondern er ist uns gerade in dieser Situation nahe, auch wenn wir ihn nicht sehen, nicht einmal spüren – weil er uns ganz sanft auf seinen Schultern trägt.

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