11. Februar 2013: Weltkrankentag in Altötting

Mit Christus sein Leiden annehmen und darin reifen

Der jährliche „Welttag der Kranken“ wurde vom sel. Papst Johannes Paul II. im Jahr 1993 eingeführt und zeichenhaft auf den 11. Februar, den Festtag der Muttergottes von Lourdes, festgelegt. Millionen von Menschen pilgern jedes Jahr zu diesem Wallfahrtsort in Südfrankreich, wo sie oft auch Heilung oder neue Kraft in ihren Leiden suchen. So ist der Ort zu einem Symbol für den christlichen Umgang mit Krankheit und Leid geworden. Als gläubige Menschen dürfen wir um Heilung bitten, gleichzeitig aber sind wir uns bewusst, dass uns Christus den erlösenden Wert des Leidens geoffenbart und zur Nachfolge auf dem Weg des Kreuzes eingeladen hat. Der Weltkrankentag möchte den Blick der ganzen Kirche auf die von Krankheiten heimgesuchten und gezeichneten Menschen lenken.

Dazu findet jedes Jahr ein Krankengottesdienst im Petersdom und in regelmäßigen Abständen eine zentrale Veranstaltung in einem anderen Land statt. Für die zentrale Feier wurde dieses Jahr der Marienwallfahrtsort Altötting in Deutschland ausgewählt. Eine große Freude und Ehre ist dies besonders für Bischof Wilhelm Schraml von Passau. Papst Benedikt XVI. hatte sein aus Altersgründen 2010 vorgebrachtes Rücktrittsgesuch zwar am 1. Oktober 2012 angenommen, ihn aber gleichzeitig bis zur Amtseinführung eines Nachfolgers zum Apostolischen Administrator der Diözese ernannt. Damit ist er der hauptverantwortliche Gastgeber der bevorstehenden Feier.

Interview mit Bischof Wilhelm Schraml, Passau 

Kirche heute: Hochwürdigster Herr Bischof, bereits am 13. Dezember 2001 sind Sie zum obersten Hirten der Diözese Passau ernannt worden. Von Anfang an zeigten Sie eine besondere Liebe zu Altötting. Können Sie etwas genauer auf Ihre persönliche Verbindung zu diesem Wallfahrtsort eingehen?

Bischof Schraml: Der Wallfahrtsort Altötting ist mir schon seit meinen Kindheitstagen bekannt und vertraut. Immer wieder habe ich dorthin Wallfahrten unternommen. Einen Tag nach meiner Amtseinführung als Bischof von Passau bin ich zum Gnadenbild Unserer Lieben Frau von Altötting gepilgert, um das Bistum Passau und mein bischöfliches Wirken der Gottesmutter anzuempfehlen. Von daher kommt es auch, dass ich die Darstellung des Gnadenbildes von Altötting in mein Wappen aufgenommen habe. Denn Maria, die Mutter der Kirche, geht uns voran als Wegführerin zu Jesus Christus. 

Kirche heute: Kann der Wallfahrtsort Altötting als Heimat und Zufluchtsort für kranke und notleidende Menschen bezeichnet werden?

Bischof Schraml: Es ist immer wieder beeindruckend, wenn man in der Gnadenkapelle betet und all die vielen Votivtafeln betrachtet und bedenkt, dass seit gut 500 Jahren hindurch Menschen in Altötting immer wieder Hilfe, Rat und Ermutigung bei der Gottesmutter gesucht haben – und gestärkt nach Hause zurückkehrten, auch wenn nicht alle Leiden und Sorgen beseitigt werden konnten.

Kirche heute: Die zentrale Feier des diesjährigen Welttags der Kranken wird am 11. Februar 2013 in Altötting stattfinden. Was hat zu dieser Entscheidung geführt, die ja bereits vor über einem Jahr bekannt gegeben wurde?

Bischof Schraml: Der Heilige Vater kennt Altötting seit seiner Kindheit. Er war oft hier mit seinen Eltern, mit seinen Geschwistern. Auch bei seinem Pastoralbesuch im Jahre 2006 in seiner bayerischen Heimat war der Wallfahrtsort Altötting eine Station. Er hat persönlich entschieden, dass die zentrale Feier zum XXI. Weltkrankentag in Altötting stattfinden wird. So kommt seine Entscheidung aus seiner persönlich sehr engen Beziehung zum Gnadenort Altötting.

Kirche heute: Was bedeutet für Sie persönlich die Wahl Altöttings?

Bischof Schraml: Wir dürfen es als eine große Auszeichnung verstehen, dass der Heilige Vater persönlich das „Herz Bayerns“, ausgewählt hat. Das bestätigt, wie verbunden der Papst mit der Gnadenmutter von Altötting ist. Ich freue mich über diese Entscheidung. Gleichzeitig sehe ich es als Ermutigung, die leidenden, alten oder behinderten Menschen in den Vollzügen der Wallfahrt noch bewusster in den Blick zu nehmen.

Kirche heute: Von wem wird die bevorstehende Feier in Altötting organisiert? Inwieweit hängt die Gestaltung von der Diözese Passau bzw. von der Wallfahrtsleitung in Altötting ab?

Bischof Schraml: Dieser Tag wird vom Päpstlichen Rat für die Pastoral im Krankendienst organisiert. Federführend ist der Präsident, Erzbischof Zygmunt Zimowski. Mit ihm und seinen Mitarbeitern habe ich mich mit meinem Mitarbeiterstab mehrfach vor Ort getroffen. Wir haben die Einzelheiten besprochen, die festlichen Gottesdienste geklärt, das Programm erstellt. Das waren im Miteinander sehr effektive Gespräche, in die wir natürlich diözesane und Altöttinger Aspekte eingebracht haben.

Kirche heute: Was ist Ihnen dabei wichtig?

Bischof Schraml: Ich möchte die Bedeutung der Familie im Gesamtbereich von Gesundheit, Fürsorge und Pflege unterstreichen. Wer leidet oder krank ist, muss aus dem Umfeld von Familie und Angehörigen Anteilnahme erfahren. Und bei all der nötigen medizinisch-fachlichen Kompetenz brauchen diese Menschen geistlich-religiöse Begleitung. Dabei dürfen wir den Blick auf die Gottesmutter Maria werfen. Wir dürfen uns ihr mit all den Beschwerden anvertrauen. Wir dürfen Kraft aus dem Gebet erfahren. Wir dürfen aus dem Glauben, aus der Feier der Eucharistie gestärkt in den Alltag zurückgehen, Kranke ganz besonders, wenn sie das Sakrament der Krankensalbung erhalten.

Kirche heute: Gibt es bereits ein detailliertes Programm? Wie wird die Feier aussehen?

Bischof Schraml: Die zentrale und liturgische Hauptfeier ist am Montag, 11. Februar, dem katholischen Gedenktag „Unserer Lieben Frau in Lourdes“. In der Stiftskirche feiern wir das Pontifikalamt mit dem Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst, Erzbischof Zygmunt Zimowski, dem Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Jean-Claude Périsset, dem Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, sowie mit etwa 20 Bischöfen aus Europa, die in den nationalen Bischofskonferenzen für die Krankenseelsorge verantwortlich sind. Die Feier beginnt um 10.00 Uhr. Dabei wird der Nuntius das Grußwort von Papst Benedikt verlesen. Beim Gottesdienst spenden wir auch das Sakrament der Krankensalbung.

Kirche heute: Welche weiteren Veranstaltungen stehen auf dem Programm?

Bischof Schraml: Bereits am Sonntagabend, also am 10. Februar, feiern wir in der Stiftskirche um 18.00 Uhr eine „Marianische Vesper“, zu der wir besonders die älteren Ordensleute eingeladen haben. Mit Kerzen ziehen wir nach der Vesper zur Gnadenkapelle und zur Anbetungskapelle.

Am Nachmittag des Krankentages besuchen Erzbischof Zimowski und ich die Kreisklinik Altötting. Wir möchten mit den Kranken reden, ihnen auch den Segen spenden. Dazu kommen natürlich Begegnungen mit den Verantwortlichen der Klinik, mit Ärzten und mit dem Pflegepersonal. Zur gleichen Zeit besichtigt die vatikanische Delegation das Papst-Geburtshaus in Marktl.

Der Feier in Altötting geht eine wissenschaftliche Konferenz an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt voraus. Diese dauert von Donnerstag, 7. Februar, bis Freitag, 8. Februar. Am Samstag, 9. Februar, findet in der St. Michael Kirche in München, um 10.00 Uhr, ein Krankengottesdienst mit Erzbischof Zygmunt Zimowski und Reinhard Kardinal Marx statt.

Kirche heute: Werden noch weitere besondere Gäste zu dieser zentralen Feier des Weltkrankentags in Altötting erwartet?

Bischof Schraml: Wie gesagt: der Präsident des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst, Erzbischof Zimowski, der Apostolische Nuntius Erzbischof Périsset, Kardinal Marx, die Bischöfe aus Europa. Das sind für uns bedeutende Gäste, auf die wir uns sehr freuen. Erzbischof Zimowski hatte zunächst mit dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Fouad Twal, gerechnet, weil ja 2016 der Krankentag in Nazareth und Jerusalem stattfinden wird. Aber der Patriarch kann aus Termingründen leider nicht kommen.

Kirche heute: Wie wird das Thema „Geh und handle genauso!“ (Lk 10,37), das Papst Benedikt XVI. für diesen 21. Weltkrankentag gewählt und in seiner Botschaft entfaltet hat, zum Tragen kommen?

Bischof Schraml: Wir werden in vielfacher Form dieses Leitwort des Heiligen Vaters aufgreifen. Wir werden es meditieren und bedenken, dazu predigen. Wir werden es aber über die anwesenden Krankenhausseelsorgerinnen und Krankenhausseelsorger auch zu den Menschen tragen; zu den Kranken selbst und zu jenen, die sich Tag für Tag um die Kranken sorgen. Und jeder, der zum Gottesdienst kommt, diese Botschaft hört, darf sich eingeladen wissen, das im eigenen Leben umzusetzen. Ich bin überzeugt, dass dann daraus ein starker Impuls entstehen kann.

Kirche heute: Soll die Feier in Altötting ein Wallfahrtstag für das katholische Deutschland in großem Stil werden? Sind Wallfahrten von Pfarreien und Verbänden wünschenswert?

Bischof Schraml: Leider haben wir nicht soviel Platz. Das Problem ist, dass es nicht um Tausende gehen kann, weil die Basilika wegen der großen Sanierung nicht zur Verfügung steht und wir in der kleineren Stiftskirche feiern. Im Vordergrund stehen die Kranken und Behinderten, dann die Menschen, die für diese Personen da sind in der Pflege.

Kirche heute: Gibt es eine Anlaufstelle oder einen Ansprechpartner für geplante Fahrten zum Weltkrankentag in Altötting?

Bischof Schraml: Die Bischöfliche Administration ist wie bei allen Fragen rund um die Altöttinger Wallfahrt erster Ansprechpartner vor Ort (Tel. 08671-92420-14; E-Mail: info.administration@bistum-passau.de). Dort kann man nachfragen und klären, wie etwa behinderte Menschen Plätze bekommen. Aber, ich muss das leider noch einmal sagen, wir haben nicht die große St. Anna-Basilika.

Kirche heute: Was möchten Sie gerne den kranken Menschen und allen, die sich um sie kümmern, mit auf den Weg geben?

Bischof Schraml: Wer glaubt, ist nie allein. Du bist nicht allein, als Mensch, der in der Krankheit oder Schwachheit ringt. Du bist aber auch nicht allein, wenn Du für diesen Menschen deine Kraft als Arzt, Schwester, Pfleger, Betreuer oder Angehöriger gibst. Gott ist bei Dir. Dabei sehe ich es als Grundaufgabe der Kirche, sich den Menschen zuzuwenden, die in Not sind. Das ist der Kranke, der am Rand der Gesellschaft steht, der sich allein nicht mehr helfen kann, der der Hilfe anderer bedarf. Es geht letzten Endes um die Würde des Menschen, egal ob jetzt sein Gesicht verzerrt ist oder ob es von Jugendlichkeit strahlt. Der Mensch ist einmalig und in seiner Beschaffenheit mit einer unendlichen Würde das Ebenbild Gottes. 

Kirche heute: Können Sie ein Grußwort an alle Pilger und Teilnehmer richten, die zum 21. Weltkrankentag nach Altötting kommen werden?

Bischof Schraml: Ich darf mit Blick auf die Worte des Heiligen Vaters in der Enzyklika Spe salvi alle grüßen, die Schweres in ihrem Leben zu tragen haben, sichtbar oder unsichtbar. Ich möchte ihnen die Erfahrung wünschen, dass Gott sie trägt in schwerer Zeit. Ob sie nun in Altötting mit uns feiern, ob sie sich mit uns verbunden wissen im Gebet, es mag für alle gelten: vertrauen wir uns dem mächtigen Schutz der Gottesmutter an, lassen wir uns von ihr zu Christus führen. Wir können Leid nicht vermindern, nicht immer heilen. Davor zu fliehen ist keine Lösung. Was hilft, ist der Blick auf Jesus Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat. Daraus erwächst die Kraft und die Fähigkeit, das persönliche Leiden anzunehmen und in ihm zu reifen.

Kirche heute: Hochwürdigster Herr Bischof, wir danken Ihnen von ganzem Herzen für dieses wertvolle Gespräch!

Krankendienst: eine menschliche und geistliche Mission

Das Krankenhaus als Ort der Evangelisierung

In einer kurzen Ansprache an die Teilnehmer der 27. Internationalen Tagung des Päpstlichen Rates für die Pastoral im Krankendienst am 17. November 2012 fasste Papst Benedikt XVI. die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils über das Geheimnis des menschlichen Leidens prägnant zusammen. Er rief die „christliche Wissenschaft des Leidens“ in Erinnerung und zeigte den Dienst an den Kranken als herausragende Chance für die Neuevangelisierung auf. Im Jahr des Glaubens gehe es darum, den Kranken die Augen dafür zu öffnen, dass sie in Vereinigung mit dem Kreuz Christi zu seinem Heilswerk beitragen können. Und den Kranken selbst rief er mit den Worten des Konzils zu: Ihr seid „Brüder des leidenden Christus; und mit ihm werdet ihr, so ihr wollt, die Welt erretten!“ Nachfolgend die Ansprache ohne den Begrüßungsteil.

Von Papst Benedikt XVI.

Die Kirche richtet sich stets im selben Geist brüderlichen Mitgefühls an diejenigen, die die Erfahrung des Schmerzes durchmachen, beseelt vom Geist dessen, der dem Mysterium des Leidens durch die Kraft der Liebe Sinn und Würde zurückgegeben hat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesen Menschen gesagt: Ihr seid „weder verlassen noch nutzlos“, da ihr, in Vereinigung mit dem Kreuz Christi, zu seinem Heilswerk beitragt.[1] 

Und mit derselben Betonung der Hoffnung spricht die Kirche auch die beruflich oder freiwillig im Krankendienst Tätigen an. Ihr folgt einer einzigartigen Berufung, die Studium, Feingefühl und Erfahrung verlangt. Gleichwohl wird von denen, die sich dafür entscheiden, im Universum des Leidens zu arbeiten und ihre Tätigkeit als eine „menschliche und geistliche Mission“ zu leben, noch eine weitere Befähigung verlangt, die weit über die akademischen Titel hinausgeht.

Die einzige Antwort auf das Mysterium des Leidens

Es handelt sich um die „christliche Wissenschaft des Leidens“, die das Konzil explizit als die „einzige Wahrheit“ definiert hat, „die dazu imstande ist, auf das Mysterium des Leidens zu antworten“ und die den Kranken „Linderung ohne Illusionen“ zu verschaffen versteht: „Es steht nicht in unserer Macht“, so das Konzil, „euch die Gesundung des Körpers zu verschaffen, noch eure physischen Schmerzen zu mindern… Aber wir haben etwas Kostbareres, etwas Tieferes, das wir euch schenken können… Christus hat das Leiden nicht aus der Welt geschafft; er hat uns nicht einmal in vollem Umfang dessen Mysterium enthüllt: er hat es auf sich genommen, und das ist ausreichend, um es in all seinem Wert zu verstehen“.[2] Ihr seid die qualifizierten Fachleute dieser „christlichen Wissenschaft des Leidens“! Dass ihr furchtlos Katholiken seid, verleiht euch eine größere Verantwortung im Bereich der Gesellschaft und in der Kirche: es handelt sich um eine echte Berufung, wie es vor nicht allzu langer Zeit von vorbildlichen Menschen wie dem hl. Giuseppe Moscati, dem hl. Riccardo Pampuri, der hl. Gianna Beretta Molla, der hl. Anna Schäffer und dem Diener Gottes Jérôme Lejeune bezeugt worden ist.

Gesundheit darf nicht zu einer simplen „Handelsware“ werden

Das ist eine Aufgabe der Neuevangelisierung auch in Zeiten einer Wirtschaftskrise, die dazu führt, dass im Gesundheitswesen Geldmittel gestrichen werden. Gerade in diesem Kontext müssen Krankenhäuser und Fürsorgeeinrichtungen ihre Rolle neu überdenken, um zu verhindern, dass die Gesundheit aus einem universalen Gut, das es zu sichern und zu verteidigen gilt, zu einer simplen „Handelsware“ wird, die den Gesetzen des Marktes unterworfen ist, und folglich ein nur einer Minderheit vorbehaltenes Gut. Die besondere Aufmerksamkeit, die man der Würde des leidenden Menschen schuldig ist, darf nie vergessen werden, und auch auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik muss immer das Prinzip der Subsidiarität und der Solidarität gewahrt werden.[3] Wenn heutzutage einerseits, aufgrund des Fortschritts auf technisch-wissenschaftlichem Gebiet, die Möglichkeiten, einen Kranken körperlich zu heilen, zunehmen, so scheint anderseits die Fähigkeit abzunehmen, sich um einen leidenden Menschen ganzheitlich und in seiner Einzigartigkeit „zu kümmern“.

Die Sprache des Barmherzigen Samariters kultivieren

Die ethischen Horizonte der medizinischen Wissenschaft scheinen sich also zu verdunkeln, da diese Gefahr läuft, zu vergessen, dass ihre Berufung darin besteht, jedem Menschen und dem ganzen Menschen zu dienen, in allen Phasen seines Daseins. Es wäre wünschenswert, dass die Sprache der „christlichen Wissenschaft des Leidens“ – zu der Mitleid, Solidarität, Mitgefühl, Opferbereitschaft, Unentgeltlichkeit und Selbsthingabe gehören – zum universalen Wortschatz derer wird, die im Bereich des Krankendienstes arbeiten. Es ist die Sprache des Barmherzigen Samariters aus dem Gleichnis im Evangelium, die dem seligen Papst Johannes Paul II. zufolge als „ein wesentlicher Bestandteil sittlicher Kultur und menschlicher Zivilisation schlechthin“ betrachtet werden kann.[4]

Das Antlitz des leidenden Menschen ist das Antlitz Christi selbst

Aus dieser Perspektive sind die Krankenhäuser als ein privilegierter Ort für die Evangelisierung anzusehen, denn da, wo sich die Kirche zum „Werkzeug der Gegenwart Gottes“ macht, wird sie zugleich zum „Werkzeug einer wahren Humanisierung des Menschen und der Welt“.[5] Erst wenn man sich ganz klar bewusst ist, dass im Zentrum des Arztberufes und des Krankendienstes das Wohl des Menschen in seiner zerbrechlichsten und hilflosesten Gestalt steht, des Menschen auf der Sinnsuche angesichts des unergründlichen Mysteriums des Leidens, erst dann kann man das Krankenhaus als den „Ort [verstehen], an dem die Pflegebeziehung nicht Beruf ist, sondern Berufung und Sendung; wo die Liebe des Barmherzigen Samariters der erste Lernort und das Antlitz des leidenden Menschen das Antlitz Christi selbst ist“.[6]

Seid bereit zum heilenden und evangelisierenden Dienst

Liebe Freunde, dieser heilende und evangelisierende Dienst ist die Aufgabe, die immer auf euch wartet. Unsere Gesellschaft bedarf heute mehr denn je „Barmherziger Samariter“ mit großzügigen Herzen und für alle weit geöffneten Armen, im Bewusstsein dessen, dass sich „das Maß der Humanität ganz wesentlich im Verhältnis zum Leid und zum Leidenden bestimmt“.[7] Über den klinischen Ansatz „hinauszugehen“, öffnet euch für die transzendente Dimension, auf die ganz entscheidend gerade die Krankenhausseelsorger und die Mitarbeiter in der Krankenhauspastoral hinarbeiten. Ihre Aufgabe besteht in erster Linie darin, im vielfältigen Panorama des Krankendienstes auch das Mysterium des Leidens aufscheinen zu lassen, die Herrlichkeit des auferstandenen Gekreuzigten.

Keine Träne ist vor Gott vergebens

Ein letztes Wort sei an euch gerichtet, liebe Kranke. Euer schweigendes Zeugnis ist für die Menschen, die euch pflegen, ebenso wie für eure Familien, ein wirksames Zeichen und Werkzeug der Evangelisierung, in der Gewissheit, dass „keine Träne – weder die des Leidenden noch dessen, der ihm nahe steht – vor Gott vergebens ist“.[8] Ihr seid „Brüder des leidenden Christus; und mit ihm werdet ihr, so ihr wollt, die Welt erretten!“[9] Indem ich euch alle der Jungfrau Maria, dem Heil der Kranken, anvertraue, damit sie eure Schritte leite und euch zu stets eifrigen und unermüdlichen Zeugen der christlichen Wissenschaft des Leidens mache, erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen.


[1] Vgl. die Botschaft zum Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils an die Armen, Kranken und Leidenden, 8. Dezember 1965.
[2] Ebd.
[3] Vgl. Enzyklika Caritas in veritate, 58.
[4] Apostolisches Schreiben Salvifici doloris, 29.
[5] Kongregation für die Glaubenslehre, Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung, 9.
[6] Ansprache beim Besuch der Katholischen Universität „Sacro Cuore“, Rom, 3. Mai 2012; in O.R. dt., Nr. 19, 11.5.2012, S. 7.
[7] Enzyklika Spe salvi, 38.
[8] Angelus, 1. Februar 2009.
[9] Zweites Vatikanisches Konzil, Botschaft.

Botschaft des Papstes zum Weltkrankentag 2013

„Flieht nicht vor dem Leid!“

Mit diesem Appell des Papstes lässt sich die diesjährige Botschaft zum Welttag der Kranken zusammenfassen. Benedikt XVI. ruft seine eigene Enzyklika Spe salvi über die christliche Hoffnung in Erinnerung, in der es heißt: „Nicht die Vermeidung des Leidens, nicht die Flucht vor dem Leiden heilt den Menschen, sondern die Fähigkeit, das Leiden anzunehmen und in ihm zu reifen, in ihm Sinn zu finden durch die Vereinigung mit Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat“ (Nr. 37). Für Benedikt XVI. besteht die Linderung des Leidens einerseits in der Sinngebung, die es durch die Enthüllung seines erlösenden Wertes empfängt. Dazu zitiert er in diesem „Jahr des Glaubens“ ein Wort aus der Botschaft, welche die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils an die Armen, Kranken und Leidenden gerichtet haben: „Ihr seid von Christus berufen, ihr seid das Bild, das seine Gestalt durchscheinen lässt.“ Andererseits aber verweist der Papst auf das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter aus dem Lukasevangelium. Diese biblische Gestalt ist der Inbegriff des christlichen Dienstes an den Kranken zur Linderung ihrer Schmerzen. Die Aufforderung „Geh und handle genauso!“ (Lk 10,37) hat der Papst deshalb als Thema für die „geistige Pilgerreise“ gewählt, die uns in diesem Jahr „von Lourdes, dem Ort und Symbol der Hoffnung und der Gnade, zum Heiligtum von Altötting führt“.

Von Papst Benedikt XVI.

Von Lourdes nach Altötting

Am 11. Februar 2013, dem liturgischen Gedenktag Unserer Lieben Frau von Lourdes, wird im Marienwallfahrtsort Altötting der 21. Welttag der Kranken feierlich begangen. Dieser Tag ist für die Kranken, für die im Krankendienst Tätigen, für die Christgläubigen und für alle Menschen guten Willens „ein bedeutender Moment des Gebetes, des Miteinander, der Aufopferung des Leidens für das Wohl der Kirche und des Aufrufs an alle, im Angesicht des kranken Mitmenschen das heilige Antlitz Christi zu erkennen, der durch sein Leiden und Sterben und durch seine Auferstehung das Heil der Menschheit erwirkt hat“.[1] Bei dieser Gelegenheit fühle ich mich einem jeden von euch besonders nahe, liebe Kranke, die ihr in Betreuungseinrichtungen und Pflegeheimen oder auch zu Hause aufgrund eurer Krankheit und eures Leidens eine schwierige Zeit der Prüfung erlebt. Mögen die Vertrauen erweckenden Worte der Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils euch alle erreichen: „Ihr seid weder verlassen, noch nutzlos: Ihr seid von Christus berufen, ihr seid das Bild, das seine Gestalt durchscheinen lässt.“[2]

Samariterdienst schöpft aus der Liebe Gottes

Um euch auf eurer geistigen Pilgerreise zu begleiten, die uns von Lourdes, dem Ort und Symbol der Hoffnung und der Gnade, zum Heiligtum von Altötting führt, möchte ich mit euch über die emblematische Gestalt des Barmherzigen Samariters nachdenken (vgl. Lk 10,25-37). Das Gleichnis aus dem Lukasevangelium fügt sich in eine Reihe von Bildern und Erzählungen aus dem Alltagsleben ein, mit denen Jesus die tiefe Liebe verständlich machen will, die Gott für jeden Menschen hegt, besonders wenn dieser krank ist und Schmerzen leidet. Doch mit den abschließenden Worten des Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter: „Geh und handle genauso“ (Lk 10,37), zeigt der Herr zugleich, welche Haltung jeder seiner Jünger gegenüber den anderen einnehmen muss, besonders wenn sie der Pflege bedürfen. Es geht also darum, durch eine intensive Beziehung zu Gott im Gebet aus seiner unendlichen Liebe die Kraft zu schöpfen, wie der Barmherzige Samariter dem, der körperlich und seelisch verletzt ist oder um Hilfe bittet, sei er auch unbekannt und mittellos, täglich mit konkreter Aufmerksamkeit zu begegnen. Das gilt nicht nur für die in der Seelsorge und im Krankendienst Tätigen, sondern für alle, auch für den Kranken selbst, der seine Lage in einer Perspektive des Glaubens leben kann: „Nicht die Vermeidung des Leidens, nicht die Flucht vor dem Leiden heilt den Menschen, sondern die Fähigkeit, das Leiden anzunehmen und in ihm zu reifen, in ihm Sinn zu finden durch die Vereinigung mit Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat.“[3]

Jesus selbst ist der Barmherzige Samariter

Verschiedene Kirchenväter haben in der Gestalt des Barmherzigen Samariters Jesus selbst gesehen und den Mann, der den Räubern in die Hände gefallen war, mit Adam identifiziert, mit der durch die eigene Sünde verlorenen und verletzten Menschheit.[4] Jesus ist der Sohn Gottes, er ist derjenige, der die Liebe des Vaters, die treue, ewige, schranken- und grenzenlose Liebe gegenwärtig werden lässt. Aber Jesus ist auch derjenige, der sich seines „göttlichen Gewandes“ „entäußert“, der sich von seinem „Gottsein“ aus erniedrigt, um das Leben eines Menschen anzunehmen (vgl. Phil 2,6-8) und um dem Menschen in seinem Leid so nahezukommen, dass er in das Reich des Todes hinabsteigt – wie wir im Credo bekennen – und Hoffnung und Licht bringt. Er hält nicht daran fest, Gott gleich zu sein, wie Gott zu sein (vgl. Phil 2,6), sondern beugt sich voll Erbarmen über den Abgrund menschlichen Leidens, um das Öl des Trostes und den Wein der Hoffnung darüber auszugießen.

Leuchtende Vorbilder im Umgang mit Leid

Das Jahr des Glaubens, das wir gerade begehen, ist eine günstige Gelegenheit, den Dienst der Nächstenliebe in unseren kirchlichen Gemeinden und Gemeinschaften zu intensivieren, damit jeder dem anderen an seiner Seite ein barmherziger Samariter sei. In diesem Zusammenhang möchte ich an einige der vielen Gestalten in der Geschichte der Kirche erinnern, die den Kranken geholfen haben, das Leiden auf menschlicher und geistlicher Ebene fruchtbar werden zu lassen; sie sollen so als Beispiel und Ansporn dienen:

Die hl. Theresia vom Kinde Jesu und vom heiligen Antlitz, eine „Expertin der scientia amoris“,[5] verstand es, die Krankheit, die sie „durch große Leiden zum Tod“ führte, „in tiefer Vereinigung mit dem Leiden Jesu“ zu leben.[6] Der ehrwürdige Diener Gottes Luigi Novarese, den viele noch heute in lebendiger Erinnerung haben, spürte in der Ausübung seines Dienstes in besonderer Weise die Bedeutung des Gebetes für und mit den Kranken und Leidenden, die er oft zu den Marienwallfahrtsorten – besonders zur Grotte von Lourdes – begleitete. Von der Liebe zum Nächsten getrieben, hat Raoul Follereau bis in ganz entlegene Regionen der Erde sein Leben der Pflege von Menschen gewidmet, die an Morbus Hansen litten, und hat unter anderem den Welt-Lepra-Tag gefördert. Die sel. Teresa von Kalkutta begann ihren Tag immer damit, dass sie Jesus in der Eucharistie begegnete, um dann mit dem Rosenkranz in der Hand auf die Straßen hinauszugehen und dem in den Leidenden gegenwärtigen Herrn zu begegnen und ihm zu dienen, besonders in denen, die „nicht gewollt, nicht geliebt, nicht beachtet“ sind. Auch die hl. Anna Schäffer von Mindelstetten wusste in beispielhafter Weise ihre Leiden mit den Leiden Christi zu vereinen: Ihr wurde „das Krankenlager zur Klosterzelle und das Leiden zum Missionsdienst … Gestärkt durch die tägliche Kommunion wurde sie zu einer unermüdlichen Fürsprecherin im Gebet und zu einem Spiegel der Liebe Gottes für viele Ratsuchende“.[7]

Im Evangelium ragt die Gestalt der Seligen Jungfrau Maria heraus, die ihrem leidenden Sohn bis zum äußersten Opfer auf Golgotha folgt. Sie verliert niemals die Hoffnung auf den Sieg Gottes über das Böse, über das Leid und den Tod; sie weiß den in der Grotte von Bethlehem geborenen und den am Kreuz gestorbenen Sohn Gottes mit derselben Umarmung des Glaubens und der Liebe aufzunehmen. Ihr festes Vertrauen auf die göttliche Macht wird erhellt durch die Auferstehung Christi, die dem Leidenden Hoffnung schenkt und die Gewissheit der Nähe und des Trostes des Herrn erneuert.

Maria begleite das Apostolat der Barmherzigkeit

Zum Schluss möchte ich ein Wort herzlichen Dankes und der Ermutigung an die katholischen Krankeneinrichtungen und an die Zivilgesellschaft selbst, an die Diözesen, die christlichen Gemeinschaften, die in der Krankenseelsorge tätigen Ordensfamilien sowie an die Verbände der Sanitäter und der freiwilligen Helfer richten. Allen möge immer bewusster werden, dass „in der liebevollen und hochherzigen Annahme jedes menschlichen Lebens, vor allem des schwachen oder kranken … die Kirche heute ein besonders entscheidendes Moment ihrer Sendung“ erlebt.[8] 

Ich vertraue diesen 21. Welttag der Kranken der Fürsprache Unserer Lieben Frau von Altötting an, dass sie die leidende Menschheit auf ihrer Suche nach Trost und fester Hoffnung stets begleite und allen helfe, die am Apostolat der Barmherzigkeit beteiligt sind, ihren von Krankheit und Leiden geprüften Brüdern und Schwestern barmherzige Samariter zu werden. Dazu erteile ich gerne den Apostolischen Segen.


[1] Johannes Paul II., Brief zur Einführung des Weltkrankentags, 13. Mai 1992, 3.
[2] Botschaft an die Armen, Kranken und Leidenden.
[3] Enzyklika Spe salvi, 37.
[4] Vgl. Origenes, Homilie XXXIV über das Lukasevangelium, 1-9; Ambrosius, Kommentar zum Lukasevangelium, 71-84; Augustinus, Sermo 171.
[5] Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo Millennio ineunte, 42.
[6] Generalaudienz, 6. April 2011.
[7] Predigt zur Heiligsprechung, 21. Oktober 2012.
[8] Johannes Paul II., Nachsynodales Schreiben Christifideles laici, 38.

Wenn die Begriffe „Vater“ und „Mutter“ gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen

Die totalitäre Gender-Bewegung

Was Gabriele Kuby in ihrem Buch „Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit“ dargestellt und mit vielen Details belegt hat, fasst Weihbischof Dr. Andreas Laun in einem aufrüttelnden Mahnruf zusammen. Er bringt die drohende Gefahr auf den Punkt und stellt sie in die weltweite geschichtliche Erfahrung der Neuzeit hinein. Dadurch wird deutlich, dass es sich nicht um eine populistische Angstmacherei handelt, sondern um eine ernstzunehmende Sorge. Dass die Gender-Bewegung bis hinauf zu höchsten Entscheidungsebenen der UN und EU bereits totalitäre Züge angenommen hat, kann nicht mehr bestritten werden. Die katholische Kirche, die an der Gottebenbildlichkeit des Menschen festhält, wird immer rücksichtsloser an den Pranger gestellt. Denn sie steht mit ihrer kompromisslosen Lehre der großen Umerziehung zum sexualisierten Gender-Menschen im Weg. Dabei geht es nicht um einzelne traditionelle Werte, sondern um den Menschen selbst.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Das Wort „Gender“ ist nicht in aller, aber in vieler Munde! Was gemeint ist, wissen nur wenige! Wüssten es wenigstens viele, müsste es einen Aufschrei geben. Denn hinter dem harmlos klingenden Fremdwort verbirgt sich eine totalitäre Ideologie und totalitär heißt: sie greift nach der Macht über „alles“! Die Welt hat gerade erst zwei totalitäre Ideologien erlebt und daher sollte bekannt sein, was das bedeuten kann: Totalitär waren sowohl der Kommunismus mit seinem Archipel Gulag, totalitär anders, und doch sehr ähnlich, der Nationalsozialismus mit seinen Konzentrationslagern. Beide haben die Menschen kontrolliert, bevormundet, unterdrückt und umgebracht. Beide Systeme haben den gemeinsamen Nenner: Ihre Vertreter wollten nicht nur das Geld und die Arbeitskraft der Menschen, sie wollten den Menschen selbst beherrschen und ihn bis zu einem gewissen Grad „neu erfinden“, sein Verhalten und sein Denken.

Die Gender-Ideologen haben bisher keine Straflager hervorgebracht, aber sie haben gemein mit den beiden genannten Systemen die Überzeugung, sie wüssten, was der Mensch ist, und vor allem, was der Mensch sein sollte und mit ihrer „Zwangshilfe“ werden könnte. Und: Sie, die ideologisierten Machtverwalter, hätten das Recht dazu, die Menschen an ihre Ideen anzupassen, sie in ihr Denken hineinzuzwingen, mit der Seele und vor allem mit dem sexuellen Verhalten des Leibes! Das ist neu und historisch einzigartig: Ihre Häresie bestreitet nicht irgendeine christliche Lehre, ihre Häresie richtet sich gegen den Glauben und gegen die Vernunft in einer Weise, die man sich bisher nur als makabres Kabarett hätte vorstellen können: „Gott schuf den Menschen als Mann und Frau…“

Nein, schreien diese Ideologen und behaupten: Der Mensch könne und solle sein Geschlecht selbst bestimmen und selbst gestalten! Aber das schreien und lehren sie nicht nur, sie wollen es mit „pädagogischen und gruppendynamischen Mitteln“ erzwingen. Die entsprechenden Programme werden von schuldhaft blinden Politikern mit Millionen Euro gefördert – es erinnert an die deutsche Großindustrie, die Hitlers Aufstieg finanzierte!

Fantasie? Nein, es würde genügen, wenn sich die Eltern anschauten, was in den Schulen im Sexualunterricht vorgesehen ist! Natürlich gibt es auch vernünftige Lehrkräfte, die sich den Vorgaben nicht unterwerfen, aber Widerstand gegen einen verordneten Zeitgeist ist schwierig und darum begrenzt. Wahr ist: Dieser „Unterricht“ besteht in der radikalen Umsetzung der sexuellen Revolution, die nur drei Einschränkungen sexueller Triebhaftigkeit kannte: Hüte dich vor Infektionen, hüte dich vor nicht gewollter Schwangerschaft, weil abtreiben unangenehmer ist als Verhütung – und sieh zu, dass du dich nicht strafbar machst – aber alles andere erklären und empfehlen wir dir! Nicht gelehrt oder als veraltet diskriminiert werden: Keuschheit, das Glück, Mutter und Vater zu werden, Treue, wahre Liebe, vielleicht nötiges Verzeihen und andere „altmodische“ Dinge, die dem „heutigen Menschen“ nicht entsprechen und seine „Selbstverwirklichung und das daraus folgende Glück nur hindern! Wie das Fabelwesen „heutiger Mensch“ ausschaut, erklären wir dir, und deine Pflicht ist es, daran zu glauben und ein solches selbst zu werden!

Alles Übertreibung? Nein, man lese „Die sexuelle Revolution“, das Buch von Gabriele Kuby, in dem diese große Frau das, was geschieht, darlegt und sorgfältig belegt: wie schon die Kinder früh-sexualisiert und umgepolt werden sollen! Zwei Beispiele müssen hier genügen: Man versucht, die Worte „Vater“ und „Mutter“ auszurotten und zu verbieten, weil doch alle Menschen „gleich“ sein müssen! Und es gibt Kindergärten, wo die Jungen Mädchenkleider tragen müssen, Fingernägel lackieren und mit Puppen spielen sollen! Wer es nicht glauben will, hat eben nicht gelesen und gleicht jenen Urlaubern zur Zeit des großen Tsunami, die am Strand standen, neugierig die Schaumkronen der herannahenden Flutwelle beschauten und fotografierten – bis es für sie und tausende andere Menschen zu spät war!

Zur Häresie der totalitären Gender-Bewegung gehört auch noch dies: Für sie gibt es keine Rechte der Eltern und überhaupt der Menschen, die nicht denken, wie sie es verlangt. Dort, wo sie politisch schon mächtig ist, will sie nicht die Welt so ordnen, dass sich die Menschen in ihr wohlfühlen und gut leben können, nein, sie will die Menschen umbauen, damit sie in ihre Gender-Welt passen! Insofern sie wirklich den ganzen Menschen einschließlich seiner Identität als Mann und Frau unterwerfen wollen, sind diese Ideologen schlimmer als das, was man schon hatte! Papst Benedikt XVI. schrieb kürzlich zu dieser Ideologie: „Wo die Freiheit des Machens zur Freiheit des Sich-selbst-Machens wird, wird notwendigerweise der Schöpfer selbst geleugnet und damit am Ende auch der Mensch als göttliche Schöpfung, als Ebenbild Gottes im Eigentlichen seines Seins entwürdigt. Im Kampf um die Familie geht es um den Menschen selbst. Und es wird sichtbar, dass dort, wo Gott geleugnet wird, auch die Würde des Menschen sich auflöst. Wer Gott verteidigt, verteidigt den Menschen.“

Mit anderen Worten: Wir stehen, wieder einmal, im Kampf um Gott und um den Menschen! Der Feind leugnet Gott und greift nicht nach irgendeinem Stück Eigentum der Menschen, sondern nach dem ganzen Menschen, buchstäblich „nach Leib und Seele“ des Menschen! Anschaulich gesprochen: er will den Menschen zwangsweise einer Art Operation unterziehen, aus der ein „neues Lebewesen“ hervorgehen soll, nicht nach Gottes Ebenbild, sondern nach den Plänen des „Vaters der Lüge“ und des „Mörders von Anbeginn“![1] Ausgestattet und gesteuert von neuen Genen, von einem anderen Denken, programmiert auf anderes Verhalten, vor allem gottlos und, man könnte auch sagen, „menschenlos“. Denn angesichts all dieser geplanten Veränderungen wäre der Mensch kein Mensch mehr im Sinn dessen, was wir bisher bei Freund und Feind so genannt haben, vom Neandertaler bis zum Menschen, wie er heute immer noch lebt. Ja, natürlich gibt es das „Ebenbild Gottes“, geschaffen als „Erfindung Gottes und geplant von Seiner Liebe“ immer noch, und es wird nie aussterben, zumal das Gender-Wesen ohnehin steril ist! Das wird auch so bleiben, weil die Macht des Teufels groß, aber nicht allmächtig ist! Das beruhigt, entbindet aber nicht von der Notwendigkeit zu kämpfen, letztlich siegessicher vom „Felsen Petri“ aus, aber dennoch mit aller Kraft mit den Waffen, die Gott uns gibt![2] Es darf keine Beruhigung geben wie die jenes Mannes, der das Krokodil füttert in der Hoffnung, dass es ihn als letzten erst fressen will (H. Broder)! Noch ist Zeit zum Widerstand, aber man möge nicht vergessen: Die Freiheit geht verloren in dem Maße, in dem man sie für selbstverständlich hält.

 

Gabriele Kuby: Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit. Mit einem Geleitwort von Dr. Robert Spaemann, fe-Medien, Kisslegg 2012, 456 S., 19,95 Euro, ISBN 978-3-86357-032-3, www.gabriele-kuby.de/buecher/die-globale-sexuelle-revolution/

Die globale sexuelle Revolution in all ihren Varianten hat sich zunächst hinter dem Rücken der Öffentlichkeit in Politik, Institutionen und Ausbildungseinrichtungen eingeschlichen. Inzwischen ist daraus längst ein gewaltiges gesellschaftliches Umerziehungsprogramm geworden, das das Wertefundament unserer Gesellschaft zerstört und immer totalitärer wird. Gabriele Kuby hat den Mut, die Bedrohung unserer Freiheit durch eine antihumanistische Ideologie beim Namen zu nennen. Ihr faktenreiches Buch ist ein erschütterndes Zeugnis nicht nur für den lebensgefährlichen Kulturzerfall, sondern auch für die systematische Zerstörung unserer Freiheit im Namen der Freiheit. Nie zuvor hat ein Autor dem Leser die Diktatur des Relativismus, die Gender-Ideologie und die Sackgassen der modernen Gesellschaft schonungsloser vor Augen gestellt. Dieses Buch schockiert und zeigt auf, was auf uns zukommt, wenn wir uns nicht wehren.


[1] Joh 8,44.
[2] Eph 6,17ff.

Das Jahr des Glaubens ist eine persönliche Chance

Nur wer brennt, kann andere entzünden!

Prof. P. Dr. Karl Wallner OCist, Rektor der Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz, betrachtet das Jahr des Glaubens als wunderbare Herausforderung, der er sich mit Wort und Tat stellen möchte. Auf dem Hintergrund seiner positiven Erfahrungen mit der Glaubensvermittlung an junge Menschen in Heiligenkreuz möchte er alle Gläubigen zu einem frohmachenden Zeugnis ermutigen. Nach einem liebenden Gott sehnt sich im Grunde jeder Mensch. Doch der Glaube an einen solchen Gott braucht eine Basis. Ohne Glaubenswissen kann die Offenbarung Gottes von seiner grenzenlosen Barmherzigkeit nicht wahrgenommen und auch nicht verstanden werden. Wenn aber die Botschaft überzeugt, lässt sich der Mensch „heimholen in den Glauben“.

Von P. Karl Wallner OCist

Papst Benedikt XVI. hat uns Gläubige eingeladen, von 2011 auf 2012 ein „Jahr des Glaubens“ zu feiern. Denn vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1962, eröffnete der selige Papst Johannes XXIII. das 2. Vatikanische Konzil; und vor genau 20 Jahren, am 11. Oktober 1992, veröffentlichte der selige Papst Johannes Paul II. den Katechismus der Katholischen Kirche.

Bei diesem „Jahr des Glaubens“ geht es aber natürlich nicht um ein Abfeiern kirchengeschichtlicher Jubiläen. Die Einberufung des 21. Ökumenischen Konzils, das von 1962 bis 1965 tagte, war von einer Stimmung des Aufbruchs geprägt. Auch wenn die 16 Dokumente des Konzils oft im Konkreten zu wenig bekannt sind, so ist doch allen das Grundanliegen des damaligen Papstes und der Konzilsväter bewusst: Die Kirche solle furchtlos auf die Welt von heute zugehen, ihre „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“[1] teilen, um den Glauben neu zu verkündigen. Seither ist nun ein halbes Jahrhundert vergangen.

Das westliche Christentum ist müde geworden

Seither hat sich vieles in der Kirche geändert, nicht nur wegen des Konzils, sondern weil sich in der Gesellschaft noch mehr geändert hat. Es kam zu vielen Neuaufbrüchen, es kam aber auch zu kulturellen, moralischen und religiösen Umbrüchen und Abbrüchen. Heute, zum „goldenen Konzilsjubiläum“ müssen wir eingestehen: Unsere westliche Welt ist im Glauben müde geworden. Der christliche Glaube ist auch in unserem Land nicht mehr – wie Papst Benedikt XVI. feststellt – jenes „einheitliche kulturelle Gewebe“, in dem die Inhalte des Glaubens bekannt waren und gleichsam ein Bezugssystem für das Denken und die Werthaltungen der Menschen dargestellt haben.[2] Es ist keine Selbstverständlichkeit mehr, ein Christ zu sein, oder genauer gesagt: ein gläubiger und aus dem Glauben lebender Christ. Man könnte die Situation so beschreiben, dass das Christentum zwar da ist und auch für viele Menschen einen kulturellen, ja religiösen Wert darstellt. Aber die wirkliche Glaubensüberzeugung der Kirche kennen und teilen immer weniger Menschen in unserem Land.

Die Kirche wächst und verändert sich

Das „Jahr des Glaubens“ steht in enger Verbindung mit dem Thema der „Neuevangelisierung“, das im Oktober des vergangenen Jahres auf der Weltbischofssynode in Rom behandelt wurde. Denn während der christliche Glaube in der 2. und 3. Welt blüht und die Kirche vielerorts wächst und wächst, ist in unseren Ländern, die jahrhundertelang christlich geprägt waren, das Gegenteil der Fall. Die Glaubenskrise ist eigentlich ein rein europäisches bzw. westliches Problem. Wer sich ein bisschen aus dem Frust befreien will, der bei uns herrscht, dem empfehle ich das Buch von John L. Allen, Das neue Gesicht der Kirche.[3] Was wir erleben, ist ein dramatischer Wandel einer expandierenden Weltkirche, den wir oft wegen unserer Fixierung auf unsere Strukturproblemchen überhaupt nicht wahrnehmen. So gab es Anfang des 20. Jahrhunderts – also zur Zeit von Papst Benedikt XV. während des 1. Weltkrieges – rund 266,5 Millionen Katholiken auf der Welt, von denen über 200 Millionen in Europa und Nordamerika lebten und nur 66 Millionen – knapp ein Viertel – über den restlichen Planeten verstreut. Papst Benedikt XVI. hat aber 2005 eine Kirche mit 1,2 Milliarden Mitgliedern übernommen, von denen freilich nur mehr 350 Millionen in Europa und Nordamerika leben. In der 2000-jährigen Geschichte hat die Kirche noch nie ein derartiges Wachstum und noch nie eine derartige demografische Veränderung erlebt. Wir sehen das etwa an unserem Zisterzienserorden: In Asien und vor allem in Vietnam boomen unsere Klöster. Wir kommen gar nicht nach, junge vietnamesische Zisterzienser an unsere Hochschule zu holen, um ihnen – auf dringende Bitten von deren Äbten – eine gediegene spirituelle und theologische Ausbildung an unserer Hochschule zu geben. Die Hälfte aller Zisterzienser weltweit sind mittlerweile Vietnamesen…

Unser lahmer Glauben braucht ein neues „Aggiornamento“

Aber natürlich müssen wir uns unseren europäischen Kirchenproblemen zuwenden, die aus der Glaubenskrise kommen: Wir leiden an der Ausdünnung vieler Pfarrgemeinden, am Rückgang der Gottesdienstbesucher, an der viel zu hohen Zahl der Kirchenaustritte, am Schwund von Kindern und Jugendlichen bei der Sonntagsmesse oder in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit… Das Bedrückende und Schmerzhafte in den Kirchenstatistiken der letzten Jahre fordert uns alle zur Gewissenserforschung auf: Hat diese quantitative Schrumpfung vielleicht auch etwas mit der Qualität unseres Glaubens, besser noch: meines ganz persönlichen Glaubens zu tun? Beim Propheten Jesaja steht ja das dramatisch ernste Wort: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“ (Jes 7,9)

Jedenfalls scheint mir die Medizin, die wir gegen diesen Substanzschwund brauchen, eindeutig festzustehen. Der Papst tut alles, damit wir dieses Medikament auch annehmen und schlucken: Wir brauchen eine Stärkung, eine Vertiefung, eine Verlebendigung unseres Glaubens. Freilich muss man aufpassen, dass man sich nicht mit utopischen Erwartungen selbst frustriert. Wir müssen die Situation ganz realistisch sehen: Der Wasserpegel des Glaubens ist so tief abgesunken, dass richtige Wüsten entstanden sind. Um all das wieder fruchtbar zu machen, braucht es zunächst Wasserstellen, Bohrlöcher, Oasen. Ältere Gläubige hängen ja oft noch wohligen Erinnerungen an „die guten alten Zeiten“ nach: wie es früher einmal war, als die Kirchen und die Priesterseminare voll waren… Doch seien wir nüchtern und ehrlich und akzeptieren wir es doch: So wie „früher“ wird es in absehbarer Zeit nicht werden, ja wahrscheinlich nie wieder! Und doch ist der katholische Glaube nicht am Ende, sondern er erneuert sich. Das „Aggiornamento“, das die Kirche heute braucht, ist ein anderes als jenes vor 50 Jahren. Und wenn wir die Zeichen der Zeit richtig lesen – ich denke hier an die großartigen Aufbrüche in der Jugend, von den Weltjugendtreffen bis zu den Loretto-Gebetstreffen usw. –, dann ist der Heilige Geist doch schon kraftvoll am Werk und holt Menschen mit ihren heutigen Lebensformen und kulturellen Praktiken heim in den Schoß der Kirche. Darum muss die erste Sorge von uns allen nicht die Erhaltung von liebgewordenen Strukturen sein, sondern die Erneuerung im Wesentlichen, und das ist der persönliche Glauben eines jeden Getauften.

Die selige Mutter Teresa wurde einmal gefragt, was sich nach ihrer Meinung zuerst in der Kirche ändern müsse. Mutter Teresa blickte den Fragesteller an und sagte schlicht: „Sie und ich!“ Wenn wir das Gefühl haben, dass es der Kirche nicht gut geht, oder anders gesagt: Wenn viele Gläubige das Gefühl haben, dass es der Kirche besser gehen könnte, dann tun wir doch etwas Substantielles für unsere Kirche, indem wir persönlich uns tiefer für den Glauben interessieren, in intensiver und authentischer leben. Wir sind davon überzeugt, dass eine Vertiefung des Glaubens eine doppelte Wirkung haben wird: Zum einen werden wir selbst persönlich davon profitieren; zum anderen wird die Kirche insgesamt davon neue Strahlkraft gewinnen. Ich erlaube mir an dieser Stelle auch auf das Wunder hinzuweisen, das wir im Stift Heiligenkreuz und an unserer Hochschule seit einem Jahrzehnt erleben: Gegen den Trend hat sich unser Konvent auf über 80 verdoppelt, die Zahl der Studierenden an der Hochschule sogar auf 220 vervierfacht, die meisten sind Priesterstudenten und Ordensleute. Die Probleme, die wir haben, sind ganz gegenteiliger Art: nicht Leere und der Schwund, sondern Platzmangel und Überfüllung. Und die jungen Leute, die an unsere Hochschule kommen, geben als Grund an: „Weil man in Heiligenkreuz treu den Glauben der Kirche vertritt und man spürt, dass dieser Glaube Freude und Kraft schenkt“.

Christlicher Glaube ist keine Last, sondern eine Lust

Kardinal Franz König hat einmal gesagt: „In gewisser Weise bestätigen die Kritiker der Kirche ihre göttliche Herkunft. Denn wenn die Kirche wirklich so schlecht ist, wie sie sagen, dann kann es nur Gottes Werk sein, dass es sie nach 2000 Jahren immer noch gibt.“ Ja, es gibt die Kirche nicht nur „noch“, sondern sie wächst auch und gerade heute – aber nur dort, wo der Glaube stark ist. Unsere Vorfahren waren ja nicht deshalb Christen, weil sie sich masochistisch an eine religiöse Ideologie geklammert haben, die ihnen das irdische Leben mit trüben Gottes- und Moralvorstellungen zur Hölle gemacht hat! Christlicher Glaube ist keine Last, sondern, richtig verstanden und gelebt, eine Lust: er erfüllt die Sehnsüchte unseres Herzens, lädt uns zur Freude ein, tröstet uns im Leid, stärkt uns in der Hoffnung, motiviert uns zum Guten … Haben nicht ganze Generationen unserer Vorfahren, unserer Großeltern und Eltern, aus diesem Glauben Kraft und Zuversicht geschöpft?! Für uns Menschen des beginnenden 21. Jahrhunderts ist der Glaube, den die Kirche seit Jahrhunderten von Generation zu Generation überliefert hat, ebenso wertvoll, weil er uns tiefgründige Antworten auf die entscheidendsten Fragen unseres Lebens gibt: „Woher komme ich? Wohin gehe ich? Gibt es Gott, und wenn ja: wie ist er? Was ist der Sinn meines Lebens? Was kommt nach meinem Tod? Kann ich Gott erfahren? Hört mich Gott in meiner Not? Warum gibt es Leiden? Gibt es eine Quelle der Liebe? Gibt es eine letzte Gerechtigkeit? Hilft mir Gott, wenn ich ihn darum bitte? Woher bekomme ich Kraft, mich und mein Lebensschicksal anzunehmen?“

Wir glauben an eine von Gott geschenkte Wahrheit

Der „Glaube“, den wir Christen meinen, bezeichnet aber nicht eine x-beliebige Gläubigkeit im Sinn von „An irgendetwas muss der Mensch ja glauben“. Auch manche Sportler „glauben“ an sich selbst. Hier wird Glaube als Synonym für Selbstvertrauen verwendet. Christlicher Glaube ist immer gebunden an einen Inhalt, der aus dem Raum der Ewigkeit, also von Gott in unsere Welt herüberweht. Wir glauben, weil Gott sich uns geoffenbart hat, und wir glauben an das, was Gott geoffenbart hat. Der christliche Glaube ist kein Aberglaube, keine Autosuggestion, keine bloße Vermutung und schon gar keine fromme Fantasie. Gott hat sich uns in Raum und Zeit geoffenbart in Jesus Christus, der die „Fülle der ganzen Offenbarung“[4] ist. Daher bezieht sich unser Glauben auf eine Wahrheit, über die wir nicht selbst verfügen, weil sie uns von Gott geschenkt ist.

Das, was am christlichen Glauben „selig“ bzw. „glücklich“ macht, ist auch unlösbar an den Inhalt der Offenbarung gebunden. Christen glauben nicht an irgendetwas, sondern sie glauben an Gott, der ihnen aus unendlicher Liebe sein Innerstes geöffnet hat. Christentum ist Selbstoffenbarung Gottes. Jeden Sonntag bekennen wir im Credo miteinander diese Selbstoffenbarung des dreifaltigen Gottes. Damit weder fromme Fantasie noch rationale Skepsis die Inhalte der Offenbarung verformen, hat Christus vermittels der Apostel das kirchliche Lehramt eingesetzt. Dem Papst und den Bischöfen kommt die Aufgabe zu, die unverfügliche Wahrheit der Offenbarung zu schützen und zu verteidigen.[5]

Glaube vermittelt Sinn

Nicht nur, weil Papst Benedikt XVI. Theologieprofessor war, möchte er, dass wir wieder die Inhalte des Glaubens besser kennenlernen. Vielmehr müssen wir aus eigenem Interesse besser zu begreifen versuchen, was wir eigentlich glauben. Denn in diesen Inhalten steckt ein Kontrastprogramm zu der tödlichen Sinnlehre, die sich um uns ausbreitet. Während rund um uns viele Menschen in eine Lebenshaltung abdämmern, wo es keinen Gott, kein Leben nach dem Tod, keinen anderen Sinn als „Geiz ist geil“ gibt, verkündet uns der christliche Glaube einen letzen Sinn. Wir leben nicht sinnlos, sondern weil Gott uns liebt: weil er als Gott-Vater aus Liebe zu uns alles erschaffen hat, dass er als Gott-Sohn einer von uns geworden ist und für uns einen qualvollen Tod auf sich genommen hat; dass er als Gott-Heiliger-Geist in uns lebt und wirkt und betet; dass er durch die Sakramente der Kirche heilvoll in unser Leben hineinwirken möchte, usw.

Erneuerung und Vertiefung unseres Glaubenswissens

Zur Stärkung unseres Glaubens brauchen wir eine Erneuerung und Vertiefung unseres Glaubenswissens. Nochmals bitte ich, dass wir uns wieder mehr mit den substantiellen Themen des Glaubens beschäftigen. In der Stunde unseres Todes werden uns Fragen der Kirchenreform garantiert egal sein. Um als Christen zukunftsfähig zu sein, müssen wir ja schon deshalb besser unsere Glaubensinhalte kennen, weil wir in einer globalisierten Welt leben. Ob wir wollen oder nicht, sind wir mittlerweile umgeben und konfrontiert mit einer Fülle von anderen Glaubensvorstellungen. Angehörige von Religionen, die unsere Vorfahren nur aus den Schulbüchern kannten, wohnen mittlerweile Tür an Tür mit uns. Wir müssen daher besser wissen, woran wir glauben und warum wir glauben: Was meinen wir, wenn wir Gott Schöpfer nennen? Was meinen wir, wenn wir den einen und einzigen Gott zugleich als Vater, Sohn und Geist verkünden? Warum sind wir durch den Kreuzestod Christi erlöst? Dürfen wir Heilige verehren? Was bedeutet es, dass uns die Sünden vergeben werden? Warum gibt es sieben Sakramente und was bringen sie uns? Was erwartet uns nach dem Tod?

Nur wer brennt, kann andere entzünden

In gewisser Weise soll dieses „Jahr des Glaubens“ ein „Jahr des Katechismus“ werden. Der große Erfolg des von Jugendlichen selbst erarbeiteten Jugendkatechismus „YOUCAT“[6] zeigt, dass bei vielen aus der jungen Generation wieder Interesse besteht, den Glauben besser kennenzulernen. Die Vertiefung des Glaubenswissens ist keine Ablenkung vom oft so laut vorgetragenen Ruf nach „Kirchenreformen“, sondern deren eigentliche Inangriffnahme. Große Aufbrüche und missionarische Impulse sind in der Kirche immer dann geschehen, wenn einzelne sich ganz und gar in den Glauben haben heimholen lassen: Thomas nach der Auferstehung, Petrus am Seeufer von Galiläa, Paulus vor Damaskus, aber auch Konstantin vor genau 1700 Jahren durch die Kreuzesvision, Augustinus im Garten von Mailand usw. – Lassen wir uns in diesem Jahr durch die Vertiefung unseres Glaubens in eine innigere Freundschaft mit Jesus hineinführen. Paulus schreibt im Galaterbrief, wo er sich heftig mit vielfältigen Spannungen und Verwerfungen in den jungen Gemeinden auseinandersetzt, den so entspannten und liebevollen Satz: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Wenn wir im Glauben brennen, dann wird es nicht nur heller werden in unserer Kirche, sondern wir werden auch andere entzünden können.


[1] So lautet der Beginn der Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils Gaudium et Spes über „Die Kirche in der Welt von heute“.
[2] Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben Porta Fidei, Nr. 2, vom 11. Oktober 2011.
[3] John L. Allen, Das neue Gesicht der Kirche. Die Zukunft des Katholizismus, Gütersloh-München 2010.
[4] 2. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Offenbarung Dei Verbum Nr. 2.
[5] Vgl. 2. Vatikanisches Konzil: Wenn die Kirche durch ihr oberstes Lehramt etwas „als von Gott geoffenbart“ und als Lehre Christi „zu glauben vorlegt“ (Dei Verbum 10), müssen die Gläubigen „solchen Definitionen mit Glaubensgehorsam anhangen“ (Lumen Gentium 25).
[6] YOUCAT deutsch. Jugendkatechismus der katholischen Kirche. Mit einem Vorwort von Papst Benedikt XVI., München 2011.

Wappenspruch des neuen Bischofs von Regensburg

Wort der Hoffnung

Am 9. Januar 2013 verabschiedete sich der zum Bischof der Diözese Regensburg ernannte Prof. Dr. Rudolf Voderholzer von der Theologischen Fakultät Trier, wo er seit 2005 als ordentlicher Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte gewirkt hatte. Zu Beginn wurde in der Jesuitenkirche des Priesterseminars die hl. Messe gefeiert. In seiner Predigt nannte Voderholzer seinen künftigen Wappenspruch und deutete ihn auf dem Hintergrund des Tagesevangeliums. Nachfolgend ein leicht bearbeiteter Auszug aus der Ansprache.

Von Rudolf Voderholzer, designierter Bischof von Regensburg

Das Jünger-kritische Markusevangelium

Die Jünger fahren ohne Jesus im Boot über den See (vgl. Mk 6,45-52); sie haben mit Gegenwind zu tun, rackern sich ab. Als Jesus kommt und an ihnen vorübergehen will, erkennen sie ihn nicht als ihren Herrn, sondern halten ihn für ein Gespenst, und zu ihrer Erschöpfung kommt auch noch die Angst, so dass sie laut schreien. Jesus steigt zu ihnen ins Boot – aber selbst auf seine Worte hin: „Fürchtet euch nicht!“, ja nicht einmal auf das Nachlassen des Gegenwindes hin erkennen sie ihn…

Diese Perikope ist in einem unerhörten Maße Jünger-kritisch! Sie fügt sich ein in weitere besonders für den Markusevangelisten typische Beobachtungen. Oft geradezu schonungslos wird gezeigt, wie die Jünger, denen der Herr die höchste Berufung zuteil werden lässt, oft geradezu kläglich versagen. Denken wir nur an die jeweils völlig unangemessenen Verhaltensweisen der Jünger im Anschluss an die Leidensankündigungen des Herrn. Was für ein Realismus, was für ein nüchterner Blick auf die Kirche! Und welch ein weiter Weg für die Jünger aller Zeiten, sich zu lösen von der Fixierung auf die eigenen Wünsche und Vorstellungen, vom Vertrauen auf die eigenen Kräfte und Ideen und Vorstellungen hin zum Vertrauen auf IHN und seine Gegenwart.

Der Markusevangelist hält der Kirche aller Zeiten den Spiegel vor und wir dürfen uns fragen: Gleichen wir nicht auch hin und wieder dem Schifflein Petri, dem der Gegenwind entgegenbläst; und wir rackern uns ab; und den Herrn, der uns zu Hilfe kommen würde, halten wir gar für ein Gespenst.

Wort der Ermutigung und des Trostes

Gerade als Antwort darauf, als Wort der Ermutigung und des Trostes hinein in diese Situation kann das Wort des Apostels Paulus genommen werden, das ich schon als meinen Primizspruch gewählt hatte: „Christus ist unter euch. Er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit!“

Bei den vielen Vorbereitungen, die ich jetzt in diesen Tagen auf mein neues Amt hin zu treffen habe, nahm die Auswahl eines bischöflichen Wappenspruches die geringste Zeit und Mühe in Anspruch. Ich musste mich nur noch einmal in der Vulgata vergewissern, dass die lateinische Version des Primizspruches, die ich schon im Ohr hatte, auch stimmt: Christus in vobis spes gloria! So wird man es bald auf meinem neuen Wappen lesen können.

Ich stieß auf dieses Wort nicht bei der Überfahrt über den See Genesareth, sondern auf einer Reise mit Rucksack und Bibel auf den Spuren des Apostels Paulus im August 1984. Ungefähr an der Stelle, wo man das antike Kolossä vermutet, las ich im Autobus so gut es ging den Kolosserbrief und kam zu der Stelle, die mich wie ein Blitz traf. Ich sagte mir damals: Wenn ich je zum Priester geweiht werde, dann soll das mein Spruch werden. Und jetzt soll er mich auch als Bischof begleiten.

Christus ist unter euch, ER ist die Hoffnung auf Herrlichkeit

Es ist fast wie eine Kurzformel der Verkündigung. Es ist, wie wenn man den hl. Paulus gefragt hätte: Sag es uns doch in einem Satz, was Du zu bringen hast! Was ist das Entscheidende, für wen, für was nimmst Du solche Strapazen auf Dich?

Und Paulus kann es sagen in einem Satz: Christus ist unter euch…

Der erste Satz der christlichen Verkündigung ist ein Satz der Hoffnung, der Ermutigung, ein Satz des Trostes, und erst einmal nicht ein Satz der Moral.

Der Satz hat eine Parallele in 1 Kor 1,23: „Wir verkünden Christus, den Gekreuzigten.“ Ganz ins Österliche gewendet heißt er: Christus ist unter euch – die Hoffnung auf Herrlichkeit.

Paulus identifiziert Christus mit der Hoffnung. Der Offenbarer ist die Offenbarung selbst.

Christus bringt nicht nur Hoffnung, er verkündet nicht nur Hoffnung, er stärkt nicht nur die Hoffnung, er ist sie, das heißt sie ist an seine Person, an die Beziehung zu ihm, an die Freundschaft mit ihm gebunden, so wie er nicht nur die Wahrheit lehrt, sondern die Wahrheit ist, nicht nur den Weg zeigt, sondern der Weg ist, nicht nur das Leben bringt, sondern das Leben ist (vgl. Joh 14,6).

Sakramentale Deutung des Wappenspruchs

Eine Frage ist die Übersetzung: Soll man sagen: Christus ist in Euch – oder besser: „unter“ Euch. Das eine ist die spirituelle, das andere die sakramentale Deutung. Die Mehrheit der Ausleger plädiert, wenn ich richtig sehe, für die sakramentale Deutung: Le Christ parmi vous.

Christus ist unter uns in vielfacher Weise, wie die Liturgiekonstitution uns lehrt: im Wort der Schrift, im Brot des Lebens, im Dienst und Wirken des Priesters, nicht zuletzt auch in jedem Armen und Hilfsbedürftigen: Was ihr dem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.

Christus in vobis spes gloriae. Von dieser Christozentrik wollte ich mein priesterliches Wirken wie auch meine Lehrtätigkeit geprägt sein lassen. Die Christologie war mir der wichtigste Traktat zusammen mit der Trinitarischen Gotteslehre. Dass auch und gerade das Zweite Vatikanische Konzil von dieser Christozentrik geprägt ist, wollte ich in der Vorlesung zur Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils zeigen, die zu vollenden mir nicht mehr gegönnt war. Nun kann ich als eine Art Vermächtnis hinterlassen: Christus ist unter euch, die Hoffnung auf Herrlichkeit.

Würdigung der wissenschaftlichen Arbeit von Prof. Voderholzer

Ausgewiesener Theologe und tiefgründiger Priester

Bei der Verabschiedung von Prof. Dr. Rudolf Voderholzer an der Theologischen Fakultät Trier hielt Prof. Dr. Christoph Ohly einen Vortrag, der ein eindrückliches Bild des designierten Bischofs von Regensburg vermittelt. In sehr persönlicher und zugleich sachlich tiefgehender Form würdigte er das wissenschaftliche Wirken Voderholzers. Seine Ausführungen schloss er mit einem Segenswunsch – „in der Hoffnung, dass Dein wissenschaftliches Arbeiten nicht allein Vorbereitung auf den Dienst als Bischof gewesen ist, sondern Dir nun dafür Orientierung und Motivation bleiben wird“. Nachfolgend ein Auszug aus dem Vortrag von Prof. Ohly (geb. 1966), dem derzeitigen Dekan der Theologischen Fakultät Trier, an der er seit April 2010 als Ordinarius für Kirchenrecht tätig ist.

Von Christoph Ohly

Ein bedeutsames Element, das auf Deine Befähigung und die künftigen Schwerpunkte Deines bischöflichen Wirkens hindeuten lässt, ist Dein langjähriges wissenschaftliches Arbeiten als Mitarbeiter am Lehrstuhl für Dogmatik der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie als Professor in Fribourg und hier an unserer Theologischen Fakultät Trier. Ich meine, im Versuch eines „Über-Blicks“ auf Dein wissenschaftliches Wirken drei Schwerpunkte ausmachen zu können, die sowohl für die theologische Forschung als auch nun für Deinen Dienst als Bischof entscheidend sind.

Diese drei Kerngedanken an dieser Stelle kurz herauszustellen, soll ein Zeichen der Wertschätzung und des Dankes, aber ebenso auch der herzlichen Mitfreude sein, dass die Kirche in Dir einen ausgewiesenen Theologen und tiefgründigen Priester als Bischof geschenkt bekommt.

Erster Schwerpunkt: Offenbarung und Heilige Schrift

Dein erstes großes wissenschaftliches Werk (Promotionsschrift) widmete sich der Gestalt und Theologie Henri de Lubacs. Unter dem Titel „Die Einheit der Schrift und ihr geistiger Sinn. Der Beitrag Henri de Lubacs zur Erforschung von Geschichte und Systematik christlicher Bibelhermeneutik“ hast Du Dich ausgehend von den Anregungen der Offenbarungstheologie Joseph Ratzingers, der schon seit frühen Jahren Dein theologischer und geistlicher Gesprächspartner war, mit den bibeltheologischen und -hermeneutischen Erkenntnissen dieses großen französischen Theologen und späteren Kardinals der Kirche auseinandergesetzt. Daraus sind in der Folge weitere wichtige wissenschaftliche Beiträge, drei bedeutsame Übersetzungen aus dem Werk von Henri de Lubac, eine kleine Biographie, aber auch – und das ist entscheidend – der Grundgedanke zu Deiner Habilitationsschrift hervorgegangen, die Du unter dem Titel „Offenbarung und Exegese. Studien zur Vorgeschichte und zur Rezeption der dogmatischen Konstitution über die Göttliche Offenbarung Dei Verbum des Zweiten Vatikanischen Konzils“ verfasst und mit der Du vor zehn Jahren die Lehrbefugnis für das Fach Dogmatik und Dogmengeschichte erlangt hast.

Offenbarung ist für Dich mit den Worten von Joseph Ratzinger „im strengsten Sinne jene Selbsterschließung Gottes an den Menschen, welcher aufseiten des Menschen der Glaube antworten muss, um dann eben diesen Menschen in dieser Selbsterschließung Gottes jener Einwohnung Christi teilhaft zu machen, die da ‚Gnade‘ heißt“. Was die Heilige Schrift als geschriebenes Wort Gottes ist und wie sie zu verstehen ist, beantwortet sich demnach nicht aus ihr allein, sondern aus und in der Tradition der Kirche als bezeugtem und geglaubtem Wort Gottes. So folgerst Du: „Nur die im Licht des kirchlichen Glaubens vollzogene Schriftauslegung ist offenbarungsgemäß, und nur die offenbarungsgemäße Schriftauslegung lässt Gottes Selbstmitteilung wirklich Offenbarung für den Empfänger werden.“ Und weiter: Die Offenbarung Gottes in Schrift und Tradition ist damit hineingestellt in die Kirche, „in deren Glauben eingeborgen auch dem Einzelnen der Zugang zur Begegnung mit dem sich erschließenden Gott und somit Offenbarung möglich ist“. Sie ereignet sich erst im Licht des kirchlichen Glaubens, in die der Einzelne durch seine persönliche Antwort im Glauben eingefügt wird, ohne ihn neu erfinden zu müssen.

Hier legt sich ein Gedanke nahe: Gerade dieser erste Schwerpunkt Deines wissenschaftlichen Arbeitens wird einen immensen und letztlich unausschöpflichen Horizont Deines bischöflichen Wirkens, insbesondere im Bereich der Verkündigung des Wortes Gottes und damit der dynamischen Verlebendigung der göttlichen Offenbarung, eröffnen, von dem wir hoffen dürfen, dass er reiche Frucht für die Dir anvertrauten Menschen und für die ganze Kirche tragen wird.

Zweiter Schwerpunkt: Dogmatik im Geiste des Konzils

In Deiner Trierer Antrittsvorlesung unter dem Titel „Dogmatik im Geiste des Konzils. Die Dynamisierung der Lehre von den Loci theologici durch die Offenbarungskonstitution ,Dei Verbum‘“ hältst Du mit Blick auf die heilsgeschichtliche Ausrichtung der Dogmatik gemäß den konziliaren Aussagen fest: „Eine dem Geist des Konzils entsprechende Dogmatik wird also Christologie und Trinitätslehre nicht nur als isoliert für sich betrachtete Traktate präsentieren, sondern sie als Dimensionen aller dogmatischen Themen ernst nehmen und die einzelnen dogmatischen Themenbereiche … unter dieses christologische und trinitätstheologische Vorzeichen stellen“.

Du siehst diese Dogmatik unter anderem dem Grundsatz „Lex orandi lex credendi“ verpflichtet. Das Dogma des Glaubens muss durchbetet, ja, es muss gefeiert werden in jenen Geheimnissen des Heils, die in der Mitte jeder kirchlichen Liturgie stehen. Das Studium der Dogmatik sowie die Durchdringung und Erforschung dogmatischer Sachverhalte führen aus dem Gebet und dem Gottesdienst zugleich in sie hinein. Das Dogma ist ohne das Gebet und ohne die Liturgie nicht zu denken. Sein Grund und seine Überzeugung werden insbesondere im Sakrament vernehmbar und empfänglich, in dem der Mensch in das Geheimnis des Heils eintritt, kirchliche Gemeinschaft sich konstitutiert und die Gnade Gottes vermittelt wird. Daher ist es Dir seit jeher ein Anliegen, dass die Feier der Liturgie (und hier besonders der Sakramente) im großen Raum und im hellen Licht des Glaubens gefeiert werden und zu einem vertieften Glauben hinführt.

Auch hier legt sich ein Gedanke nahe: Dieser zweite Schwerpunkt Deines wissenschaftlichen Arbeitens im Sinne einer notwendigen Verbindung von Dogmatik und Feier des Glaubens wird zu einem Erkennungsmerkmal Deines bischöflichen Dienstes werden. Mögest Du so wirklich der Bischof werden und sein, von dem Du selbst bei Deiner Willkommensfeier in Regensburg gesagt hast: „Der Bischof muss zunächst und vor allem ein betender Mensch sein“ – ein Mensch, ein Bischof, der aus der Feier des Glaubens lebt und wirkt.

Dritter Schwerpunkt: Sinn für die konkrete Geschichtlichkeit des Glaubens

Dein Schriftenverzeichnis weist einen dritten Schwerpunkt auf, den ich abschließend erwähnen möchte: Deine Liebe und Dein wissenschaftliches Interesse gegenüber Heiligengestalten und herausragenden Zeugen des Glaubens in der Geschichte der Kirche. Ich erinnere hier lediglich an Deine Schriften zu P. Rupert Mayer, John Henry Newman, Kardinal Faulhaber, Fritz Gerlich, P. Victricius Berndt oder Wilhelm Freiherr von Pechmann.

Aber auch Dein Beitrag zur Geschichte der „Trierer Theologischen Zeitschrift“ unter dem gleichnamigen Titel möchte ich bewusst an dieser Stelle erwähnen. Darin zeigt sich ein ausgeprägter Sinn für die Geschichtlichkeit des Glaubens, der dieses Arbeiten durchdringt und sich im Blick auf Gestalten des Glaubens konkretisiert. Dahinter steht Deine Überzeugung, dass Glaube in der Liebe tätig werden muss, die jedoch nicht bloße und damit vergängliche Sentimentalität eines Augenblicks bedeutet, sondern Wahrheit fordert: die Wahrheit einer Hingabe, die bereit ist, jedes nur mögliche Hindernis zu überwinden, um mehr und mehr in die Nachfolge dessen einzutreten, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,16).

So legt sich auch hier noch einmal ein Gedanke als Wunsch nahe: Möge Deine Beschäftigung mit den Heiligen und Glaubenszeugen der Kirche dazu führen, dass Dein bischöflicher Dienst selbst ein strahlendes Zeugnis für die Heiligkeit Gottes in Dir und in einem jeden von uns wird.

Die drei konstitutiven Bauelemente der Kirche

Fassen wir diese drei Schwerpunkte zusammen, meine ich, in ihnen die drei konstitutiven Bauelemente der Kirche erkennen zu können, die zugleich die drei Markensteine Deines wissenschaftlichen, aber nun auch bischöflichen Wirkens sein werden: die Heilige Schrift und die damit verbundene Verkündigung des WORTES GOTTES, der Glaube an die Heilsgeheimnisse Gottes, der in den SAKRAMENTEN der Kirche gegenwärtig und gefeiert wird, und die sich verschenkende LIEBE Gottes, die in der Geschichte der Kirche Gestalt gewinnt und in der Heiligkeit ihrer Glieder Frucht wird. WORT – SAKRAMENT – CARITAS. Sie mögen Dir immer wieder Quelle, Richtschnur und Ziel Deines bischöflichen Dienstes sein.

Leuchtturm christlicher Nächstenliebe:

Die hl. Elisabeth von Hessen-Darmstadt

Elisabeth von Hessen-Darmstadt (1864–1918) ist eine deutsche Prinzessin, die durch ihre Heirat mit Großfürst Sergej Alexandrowitsch Mitglied der kaiserlichen Familie der Romanows in Russland wurde. Dort ist sie als Großfürstin Jelisaweta Fjodorowna Romanowa bekannt. Aus Anlass des 21. Welttags der Kranken am 11. Februar 2013 stellt Pfarrer Erich Maria Fink diese außergewöhnliche Frau vor, die sich im Dienst an ihren Mitmenschen aufgeopfert hat. Für ihn ist sie ohne Zweifel ein leuchtendes Beispiel christlicher Heiligkeit. Im Sinn des seligen Johannes Pauls II. plädiert er dafür, das Wirken des Heiligen Geistes und damit verbunden die Möglichkeit wahrer Heiligkeit auch in anderen Konfessionen anzuerkennen. Jelisaweta Fjodorowna ist eine Heilige der Russisch-Orthodoxen Kirche, welche durch die Gründung eines karitativ geprägten Ordens in der Ostkirche ganz neues Terrain betreten und schließlich ihren Weg als Märtyrerin vollendet hat.

Von Erich Maria Fink

Während meiner Tätigkeit in Russland ist mir die hl. Jelisaweta Fjodorowna sehr ans Herz gewachsen. Mehr und mehr entdeckte ich in ihr eine geradezu ideale Patronin für unser Apostolat. Sie wurde für mich eine geistliche Begleiterin und ein echtes Vorbild der Heiligkeit. Es sind unterschiedliche Momente, die mich mit ihr verbinden und an die ich anknüpfen kann. Einmal ist es ihr Weg, der sie als Deutsche nach Russland geführt hat. Sie musste die Sprache lernen und begann das russische Volk mit aufrichtiger Ergebenheit zu lieben. Bis zum Ende ihres Lebens blieb sie ihrem edlen Patriotismus treu, den sie für ihr neues Vaterland hegte. Immer tiefer wuchs sie in ihre Berufung hinein, den Armen und Notleidenden die Liebe des himmlischen Vaters zu bezeugen. Ihre Werke der Barmherzigkeit waren von einem helfenden und heilenden Geist getragen, wie ihn nur ein Mensch ausstrahlen kann, der in ständiger Verbindung mit dem sich opfernden Christus lebt. Der vollkommene Einsatz erfüllte sie mit heiliger Freude und ließ sie zu einem Hort christlicher Spiritualität mit unwiderstehlicher Anziehungskraft werden. Nach dem frühen Tod ihres Gatten tat sich für sie die Möglichkeit auf, einen eigenen Orden zu gründen. In allem ging sie ihren Mitschwestern demütig und kraftvoll voran. Die Krönung ihrer Hingabe fand sie im Martyrium, das sie in den Ost-Ural führte, wo sie ein letztes Zeugnis ihrer verzeihenden Liebe geben konnte.

Die hl. Elisabeth von Thüringen

Obwohl Elisabeth am 1. November 1864 in eine protestantische Familie hineingeboren und evangelisch getauft wurde, galt die hl. Elisabeth von Thüringen als ihre Namenspatronin. Denn das Geschlecht ihres Vaters, des Großherzogs Ludwig IV. von Hessen-Darmstadt, führte seine Abstammung auf diese vorreformatorische Heilige (1207-1231) zurück. Von Kindheit an richtete Elisabeth den Blick auf ihre Patronin, die – wie sie selbst bezeugte – einen gewaltigen Einfluss auf die Formung ihrer Seele ausübte. Hinzukam die Erziehung zu Einfachheit, Arbeit und Mitgefühl mit den Bedürftigen. Ihre Mutter Alice, Prinzessin von Großbritannien und Irland, die Tochter der britischen Königin Victoria, nahm sie schon als kleines Mädchen zu Krankenbesuchen in Spitäler mit und brachte ihr bei, den leidenden Menschen Blumen oder gute Worte zu schenken. So erwachte in der jungen Elisabeth der Wunsch, ihrer Namenspatronin in der Wohltätigkeit nachzueifern. Als sie 14 Jahre alt war, starb ihre Mutter an Diphterie. Zusammen mit ihrer älteren Schwester Viktoria musste sie sich nun um die vier noch lebenden jüngeren Geschwister kümmern.

Vermählung mit Großfürst Sergej

Dass Elisabeth einen starken Willen hatte und immer zielstrebig voranging, bewies sie auch bei der Partnerwahl. Die Vermählung mit dem russischen Großfürsten Sergej Alexandrowitsch Romanow, einem Sohn von Zar Alexander II. und Bruder von dessen Nachfolger Zar Alexander III., war eine echte Liebesheirat. Sie hatte sich auf einem Familientreffen in ihn verliebt und ließ sich auch durch massive Widerstände aus der Verwandtschaft nicht von ihrem Entschluss abbringen. Vor allem ihre Großmutter, die britische Königin Victoria, äußerte politische Vorbehalte gegenüber Russland. Außerdem hatte sie für Elisabeth bereits den Erbprinzen Friedrich von Baden ausgesucht. Auch ein Angebot des späteren deutschen Kaisers Wilhelm II. schlug Elisabeth aus. Die Hochzeit am 3. Juni 1884 in der Kapelle des Winterpalastes in Sankt Petersburg, zu der ihre ganze Familie aus Deutschland angereist war, wurde für die 19-jährige Braut zu einem Schlüsselerlebnis. Ihre neue Heimat bereitete ihr einen überaus freudigen Empfang, wie sie ihn nicht erwartet hatte. Die Flitterwochen verbrachte sie mit ihrem Mann auf einem ländlichen Anwesen. Dort lernte sie unter der Bevölkerung eine unvorstellbare Armut kennen. Das karge Leben in den einfachen Häusern, die unqualifizierte medizinische Betreuung, all das berührte sie so sehr, dass sie ihre hochzeitlichen Gefühle zurückstellte und sofort über mögliche Hilfen nachdachte. Als sie beispielsweise erfuhr, dass Kinder bei der Geburt starben, leitete sie zusammen mit ihrem Mann die Einstellung einer Hebamme und die Einrichtung einer Geburtsklinik in die Wege. Sie blieb mit diesem Projekt so eng verbunden, dass sie später für manche Kinder, die darin zur Welt kamen, sogar das Patenamt übernahm. 

Entdeckung der Sakramente

Auf der Hochzeitsfeier hatte ihre um sechs Jahre jüngere Schwester Viktoria Alix den späteren Zaren Nikolaus II. kennengelernt. Mit der Heirat am 26. November 1894 musste die neue Zarin, nun Alexandra Fjodorowna, sofort das russisch-orthodoxe Bekenntnis annehmen. Anders war es bei Elisabeth. In ihrer Stellung wurde ein solcher Schritt nicht verlangt. Doch begann sie mit ihrem Mann zu beten und regelmäßig den orthodoxen Gottesdienst zu besuchen. Sie war von der Heiligen Liturgie überwältigt und spürte ein zunehmendes Verlangen, die hl. Kommunion zu empfangen. Da begann sie sich intensiv mit den Fragen des Glaubens zu befassen. Zusammen mit ihrem Mann studierte sie religiöse Bücher und unterhielt sich mit orthodoxen Priestern über dogmatische Fragen. Ausschlaggebend wurde schließlich eine Reise nach Jerusalem. Im Jahr 1888 wurde die russisch-orthodoxe Maria-Magdalena-Kirche am Ölberg eingeweiht, die Zar Alexander III. zu Ehren seiner 1880 verstorbenen Mutter, der Zarin Maria Alexandrowna, in Auftrag gegeben hatte. Weil er selbst nicht abkömmlich war, schickte er seinen Bruder Sergej als Vertreter der Zarenfamilie zu den Feierlichkeiten ins Heilige Land. Ergriffen von der dortigen Atmosphäre rief Elisabeth aus: „Wie sehr wollte ich hier begraben sein!“ – ein heiliger Wunsch, der sich als prophetisches Wort erweisen sollte. Nachhause zurückgekehrt teilte sie ihrer Familie in Deutschland den festen Entschluss zur Konversion mit. Der Vater reagierte geradezu erbost. In aller Geduld schrieb sie ihm ausführliche Briefe, übersandte ihm sogar eine theologische Darlegung des Protopresbyters Joann Janischev über die lehrmäßigen Unterschiede zwischen orthodoxem und protestantischem Glaubensverständnis, in das sie persönliche Anmerkungen über die einzigartige Stellung der Gottesmutter Maria eingefügt hatte. Aber alle Erklärungen konnten den Vater nicht beruhigen, was die feinfühlige Elisabeth sehr schmerzte. Immer wieder betonte sie, dass sie von ihrem Mann in keiner Weise beeinflusst werde, sondern aus Gewissenspflicht handle. In einem Brief an den Vater heißt es: „Ich wechsle die Religion aus reiner Überzeugung, ich fühle, dass es die höchste Religion ist, und ich mache es mit tiefer Überzeugung und Sicherheit, dass sie von Gott gesegnet ist.“ Ihrem Bruder Ernst Ludwig schrieb sie: „Ich tue es mit so brennendem Glauben, da ich fühle, dass ich eine bessere Christin werden kann und einen Schritt auf Gott hin tue.“ Am Lazarus-Samstag, d. h. dem Samstag vor Palmsonntag, den 25. April 1891, vollzog sie schließlich den Übertritt vom evangelisch-lutherischen zum russisch-orthodoxen Bekenntnis, hielt aber bewusst an der katholischen Elisabeth von Thüringen als ihrer Namenspatronin fest.

Generalgouverneur von Moskau

 Noch im selben Jahr 1891 erhob Zar Alexander III. seinen Bruder Sergej zum Generalgouverneur von Moskau. Bislang hatte Elisabeth mit ihrem Mann in St. Petersburg ein relativ ruhiges Leben geführt. Der Umzug nach Moskau stellte die beiden in eine große öffentliche Verantwortung hinein. Mit ihrer ganzen Kraft versuchte Elisabeth ihrem Mann zur Seite zu stehen. Immer war sie präsent. Sie liebte es, sich für die Auftritte schön zu kleiden, und tanzte ungezwungen auf Bällen und Empfängen. Gleichzeitig aber widmete sie sich unermüdlich den Werken der Barmherzigkeit. Von Anfang an besuchte sie Krankenhäuser, Altenheime, Waisenhäuser und Gefängnisse. Überall versuchte sie, Not zu lindern und die Lebensverhältnisse zu verbessern. Als 1904 der Krieg mit Japan ausbrach, tat sie alles, um das Schicksal der Soldaten zu mildern. Sie leitete die Hilfe für den Kriegseinsatz und schickte ganze Lazarettzüge mit Medikamenten, Verbandszeug, Lebensmitteln und Geschenken an die Front. Ihr Vorbild löste in der Bevölkerung eine regelrechte Bewegung aus. Alle Säle des Kremls wurden in Werkstätten umgewandelt. Mitten unter Gemälden und Goldornamenten standen Nähmaschinen, an denen Frauen von morgens bis abends arbeiteten. Nur ein Thronsaal blieb unberührt. Dazwischen bewegte sich Elisabeth und schenkte den fleißigen Helfern ihr zärtliches Lächeln. Sie trug ein einfaches graues Kleid und einen kleinen Hut. Die Welle der Solidarität, die in Moskau begann, ergriff nach und nach auch die Provinzen. Unter den Gehilfen befand sich ein junges Mädchen, die Valentina Zwetkova hieß. Als Elisabeth ihr begegnete, sagte sie zu ihr: „Valentina wird meine sein.“ Zum 16. Geburtstag erhielt sie von Elisabeth einen Glückwunsch, in dem ihr die Großfürstin persönlich geschrieben hatte, man könne Glück auf Erden nur durch die evangeliumsgemäße Liebe zu Gott und den Menschen sowie in Werken der Barmherzigkeit erlangen. Valentina wurde später mit dem Ordensnamen Warwara, d. h. Barbara, die vertrauteste Mitschwester von Elisabeth und folgte ihr bis in den Tod, ja sogar bis zur letzten Ruhestätte in Jerusalem.

Das Attentat und die großmütigen Gesten der Vergebung

Am 18. Februar 1905 wurde Elisabeths Mann ermordet. Der Attentäter Ivan Kaljaev entstammte einer terroristischen Vereinigung, die 1901 mit dem Ziel gegründet worden war, durch Mordanschläge eine Revolution auszulösen. Er warf Sergej, als sich dieser auf dem Weg zur Arbeit in seinem Wagen befand, eine Bombe direkt auf die Brust. Als Elisabeth die Explosion unweit ihrer Wohnung hörte, ahnte sie sofort, was passiert war. Schon seit längerem hatte sich die Verschwörung gegen ihren Mann angebahnt. Sie eilte auf die Straße und blieb gefasst, obwohl sich ihr ein entsetzliches Bild bot. Der ganze Körper ihres Mannes war zerfetzt, nur das Gesicht war erhalten geblieben. Sie beugte sich nieder und begann ohne Schreie und Tränen die Leichenteile zu sammeln und zusammenzulegen. Betend begleitete sie die Bahre in die Kirche zu einem ersten Gottesdienst. Noch Tage lang brachten Leute weitere Teile des Körpers herbei. Das Herz soll sich auf dem Dach eines benachbarten Hauses befunden haben. Drei Tage nach dem Attentat besuchte Elisabeth den Mörder im Gefängnis. Sie überbrachte ihm in ihrem eigenen Namen und im Namen ihres Mannes die Vergebung, außerdem eine kleine Marienikone und das Neue Testament. Er wies sie jedoch ab und lehnte ebenso ihr Bemühen um Begnadigung ab. Auch den Kutscher besuchte sie noch vor der Beerdigung ihres Mannes im Krankenhaus. Schließlich errichtete sie an der Stelle, an der Sergej sein Leben lassen musste, ein Kreuz mit der Aufschrift: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Als Lenin bei seiner Ankunft in Moskau dieses Kreuz erblickte, geriet er in Rage. Er ließ sich ein Seil geben, legte eine Schlinge um das Kreuz, und riss es zusammen mit seinen Helfern eigenhändig nieder.

Gründung des Martha-und-Maria-Klosters

Die Ehe Elisabeths war kinderlos geblieben. Nach ihrem Zeugnis aber war es keine fiktive Ehe, wie es manchmal behauptet wird. Sie wünschte allen Ehepaaren eine so gelungene Liebesbeziehung, wie sie es mit Sergej erleben durfte. Über einige Jahre hatten sie verwaiste Kinder aus der Verwandtschaft in ihre Obhut genommen und sich als wunderbare Eltern erwiesen. Nun aber war Elisabeth frei und konnte all das verwirklichen, wovon ihre Seele erfüllt war. Nach langem Ringen akzeptierte die Russisch-Orthodoxe Kirche ihre Statuten für eine neue Form des Ordenslebens mit karitativem Schwerpunkt. Als die ersten 17 Schwestern zusammen mit ihr am 22. April 1910 geweiht wurden, sagte sie: „Ich verlasse diese glänzende Welt, wo ich eine glänzende Stellung einnahm, aber zusammen mit euch allen steige ich in eine erhabenere Welt hinauf, in die Welt der Armen und Leidenden.“ Die Klosteranlage mit Kirche, Priesterwohnung, Armenküche, Krankenhaus, Operations- und Verbandszimmern, Apotheke, Bibliothek und Mädchenklassen waren bereits eingerichtet. Der Orden blühte auf und entfaltete vor allem während des Ersten Weltkriegs eine unglaubliche Tätigkeit. Doch die Bolschewiken setzten diesem Wirken ein jähes Ende. Im April 1918 wurde zunächst Elisabeth als Mitglied der Zarenfamilie verhaftet, 1926 wurden die letzten Schwestern nach Zentralasien deportiert. Das Kloster wurde endgültig geschlossen.

Heiliges Sterben im Geist unbesiegbarer Liebe

Elisabeth kam mit Warwara über Perm und Jekaterinburg nach Alapajewsk, wo sie am 18. Juli 1918 zusammen mit sechs weiteren Verwandten in einen 64 m tiefen stillgelegten Bergwerksschacht gestoßen wurde. Auch hier waren ihre letzten Worte: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ In 15 Meter Tiefe blieb sie auf einem hölzernen Vorsprung schwer verwundet liegen. Bei sich fand sie den 32-jährigen Fürst Johannes, dem sie aus Teilen ihres Ordensgewands einen Kopfverband anlegte. Die Mörder schütteten zusätzlich ungelöschten Kalk in die Grube und zündeten Handgranaten. Zwei davon blieben direkt neben Elisabeth liegen, ohne zu explodieren. Noch tagelang waren Gebete und Cherubinische Gesänge aus dem Schacht zu hören. Drei Monate später wurden die Leichen geborgen und über Tschita in Sibirien nach Peking gebracht, wo sie im April 1920 ankamen. Auf der Brust von Elisabeth hatte man unter dem Gewand verborgen die Christus-Ikone gefunden, mit der sie Zar Alexander III. bei ihrer Konversion gesegnet hatte. Noch in China waren die Leichname von Elisabeth und Warwara völlig unverwest. Auf Initiative der deutschen Angehörigen Elisabeths wurden die beiden Leichname über Ägypten nach Jerusalem gebracht, wo sie 1921 in der Maria-Magdalena-Kirche beigesetzt wurden.   

Ausblick

Elisabeth wurde 1981 von der Russisch-Orthodoxen Auslandskirche zur Heiligen erklärt, 1992 schloss sich das Moskauer Patriarchat der Entscheidung an. Das Kloster in Moskau wurde 1994 wiederbelebt. Weltweit beginnen verschiedenartige Aufbrüche im Geist der hl. Elisabeth zu wachsen. Sie ist meines Erachtens eine Gestalt, die konfessionsübergreifend Anerkennung findet und in vielfacher Hinsicht Impulse zur Einheit vermitteln kann. Es steht auch Katholiken nichts im Weg, die hl. Elisabeth von Russland in ihr privates Glaubensleben einzubeziehen und als Fürsprecherin anzurufen.

 

Literaturhinweis: Lubov Millar, Großfürstin Elisabeth von Rußland: heilige Neumärtyrerin unter dem kommunistischen Joch. München: Kloster des Heiligen Hiob, 2004 (ISBN 3-935217-15-3).

Gebete – als Worte aus einem „überfließenden Herzen“

Dyckhoffs Gebetbuch ist die Frucht jahrzehntelanger Beschäftigung mit den Quellen christlicher Spiritualität: von Basilius, Augustinus, Franziskus, Dominikus über die spanische Mystik von Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz bis zu Thomas von Kempen. Alle Gebete sind 112 Stichworten zugeordnet, die unterschiedliche Anliegen und Lebenssituationen aufgreifen. Die alphabetische Anordnung dieser Stichworte macht den Gebrauch des Gebetbuchs sehr einfach. Dr. Peter Dyckhoff, 1937 in Rheine geboren, studierte Psychologie und war viele Jahre als Geschäftsführer eines Industriebetriebs tätig. Mit 40 Jahren wagte er den Neuanfang und studierte Theologie. 1981 zum Priester geweiht, war er als Gemeinde-, Wallfahrts- und Krankenhausseelsorger tätig. Er ist anerkannter Experte für das christliche Ruhegebet und wurde 2006 über dieses Thema zum Doktor der Theologie promoviert (www.PeterDyckhoff.de).

Interview mit Peter Dyckhoff

Kirche heute: Herr Dr. Dyckhoff, Sie haben zahlreiche Abhandlungen über die christliche Gebets- und Meditationspraxis veröffentlicht. Nun ist von Ihnen unter dem Titel „In der Stille vor dir“ ein Buch mit selbstverfassten Gebeten erschienen. In welchem Zeitraum sind diese Gebete entstanden?

Dyckhoff: Gebete entstehen aus einer bestimmten seelischen Verfassung, die wiederum durch Freude, Dankbarkeit oder auch Schicksalsschläge bestimmt ist. Gebete entstehen spontan aus einem Herzen, das zu Gott „aufschaut“. Dies kann geschehen aus tiefer Not, aus Krankheit, aus Einsamkeit, aber auch aus Freude und überwältigendem Staunen, dass es einen liebenden Gott gibt und er zu allen Zeiten Wunder vollbringt. So sind diese Gebete in einem jahrzehntelangen Glaubensprozess entstanden und gereift, bis ich sie in dieser Form auch anderen Menschen zugänglich machen konnte.

Kirche heute: Könnte man diese Sammlung von Gebeten als reife Frucht Ihrer Studien und Betrachtungen bezeichnen?

Dyckhoff: Die Gebete sind nicht durch Studien entstanden, sondern – wie ich es schon sagte – durch Lebens- und Glaubenserfahrung, wozu nicht immer nur reine Freude und Dankbarkeit gehörte, sondern manches Mal auch Zweifel, Unverständnis und seelische Not.

Kirche heute: Wie würden Sie Ihre Gebetstexte selbst charakterisieren?

Dyckhoff: Es sind für mich individuelle Worte – gesprochen aus einer bestimmten Lebenssituation. Die meisten von ihnen sind an Jesus Christus, den Mensch gewordenen Gottessohn, gerichtet. Es sind Worte aus einem überfließenden Herzen, die nicht intellektuell gesteuert sind. Daher möchte ich die Gebete als lebenswahrhaftig bezeichnen.

Kirche heute: Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Gebete zusammengestellt? Wie ist das „Gebetbuch“ aufgebaut?

Dyckhoff: Um es dem Menschen, das heißt dem Betenden, einfacher zu machen, habe ich jedes dieser Gebete einem bestimmten Anliegen zugeordnet. Im Inhaltsverzeichnis kann man unter alphabetisch geordneten Stichworten das eventuell für die jeweilige Lebenssituation passende Gebet finden. Einige Beispiele: Habe ich mich fehlverhalten, finde ich unter dem Stichwort „Barmherzigkeit“ Gebete; stehe ich vor einer schweren Entscheidung, könnten mir Gebete helfen, die ich unter dem Stichwort „Zuversicht“ finde; fühle ich mich alleingelassen, suche ich unter „Freundschaft“, „Gemeinschaft“ oder gar „Liebe“…

Kirche heute: Wozu können die Gebete dienen? Wohin möchten Sie die Menschen mit Ihren Gebeten führen?

Dyckhoff: Eine spezifische Absicht habe ich mit diesen Gebeten nicht. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass jemand in einer bestimmten – sowohl freudigen als auch leidvollen – Lebenssituation um einen sprachlichen Ausdruck, und damit um Befreiung, ringt. Vielleicht trifft das eine oder andere Gebet dann genau seine Lebenssituation und wirkt wie ein Ventil, das in der Lage ist, die Verbindung vom Betenden zum Schöpfer wieder herzustellen oder gar zu vertiefen.

Kirche heute: Wem würden Sie die Gebetssammlung empfehlen?

Dyckhoff: Es fällt mir nicht leicht, ein eigenes Buch anderen zu empfehlen. Mir gefällt es besser, wenn es von anderen „entdeckt“ wird und ich im Hintergrund bleiben darf. Werde ich jedoch direkt um Gebetshilfe gebeten, kann ich „In der Stille vor dir“ eigentlich jedem empfehlen, der sich auf einem christlichen Weg befindet und im Glauben an den Dreieinigen Gott wachsen möchte.

Kirche heute: Gibt es besondere Vorbilder, die Sie beim Verfassen dieser Gebete inspiriert haben?

Dyckhoff: Bestimmte Vorbilder habe ich nicht. Entscheidend ist für mich allerdings, dass der Mensch beim Beten dieser wie auch anderer Texte oder gar mit selbst formulierten Gebeten ehrlich und lebenswahrhaftig vor Gott tritt.

Kirche heute: Wodurch zeichnet sich Ihres Erachtens eine authentische Spiritualität des christlichen Betens aus?

Dyckhoff: So wie es Millionen verschiedene Menschen gibt, so gibt es auch die verschiedensten Wege, Gott anzurufen und ihm zu begegnen. Der für mich wahrste und vornehmste Weg beginnt im Schweigen, im Stillwerden vor Gott, um seine leise Sprache wahrzunehmen. Von hier aus kann es zu einem noch tieferen gotterfüllten Schweigen kommen, zu einem Gespräch mit ihm – oder gar zu einer Aufgabe, die es im aktiven Leben zu erfüllen gilt.

Kirche heute: Verwenden Sie die Gebetstexte auch manchmal selbst, die Sie nun in Form einer Veröffentlichung Ihren Mitmenschen zum Geschenk machen?

Dyckhoff: Ja, sehr oft bete ich den einen oder anderen Text, denn ich bedarf – wie wir alle – der Erinnerung, die darin besteht, dass es zwar den Tod gibt, aber mit ihm gleichzeitig die Auferstehung, in die wir alle mit hinein genommen sind. So geben mir diese Gebete, die ich bei Bedarf nicht als die meinigen empfinde, Hoffnung auf ein Ziel, das ich oftmals aus den Augen und dem Herzen verliere.

Kirche heute: Was ist für Sie persönlich das Entscheidende in Ihrem Gebetsleben?

Dyckhoff: Das Entscheidende in meinem Gebetsleben ist, die lauten Stimmen um mich herum und auch in mir zur Ruhe kommen zu lassen, das heißt, auch die vielen Gedanken, Vorstellungen und Bilder, um in der Anrufung Gottes still und zu einem Empfangenden zu werden.  

Kirche heute: Herr Dr. Dyckhoff, wir bedanken uns aufrichtig für das Gespräch und wünschen Ihnen von Herzen für Ihre weitere Tätigkeit Gottes reichsten Segen.

 

Peter Dyckhoff: In der Stille vor dir – Gebete. Flexcover, 256 Seiten. ISBN 978-3-9815698-0-3. Direkt bestellen unter Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5, E-Mail: buch@media-maria.de – Internet: www.media-maria.de

Der Gewissenskonflikt Papst Pius‘ XII.:

Protest hätte das Blutbad verschlimmert

In einem sechsten und abschließenden Beitrag über „Die Kirche und die Juden“ geht der Neuphilologe und Theologe Dr. Kurt Weiß auf die Situation der Juden in Polen, Frankreich, Holland und Belgien ein. Auch hier kann er konkrete Zahlen der Geretteten angeben. Gleichzeitig belegt seine Studie, dass eine öffentliche Verurteilung der Nazis das Blutbad verschlimmert hätte. Pius XII. war sich klar bewusst, dass ihm ein feierlicher Protest das Lob der zivilisierten Welt eintragen würde. Aus Liebe zu den Juden aber verzichtete er lieber auf seine persönliche Ehre.

Von Kurt Weiß

In Polen wurden 15.000 bis 50.000 Juden durch Priester, Ordensleute, Bauern und Arbeiter in Privatwohnungen oder kirchlichen Häusern versteckt, verköstigt, bekleidet und auf diese Weise gerettet. In Frankreich überstanden über 200.000 Juden die deutsche Besatzungszeit. In Holland, wo die katholischen Bischöfe am heftigsten gegen die Verfolgung der Juden protestierten, gingen die Nazis schlimmer vor als in anderen Ländern. 79% der Juden, ungefähr 110.000, wurden in die Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet. Nur circa 25.000 wurden in Holland gerettet. In Belgien dagegen blieben von 90.000 jüdischen Menschen 65.000 am Leben. Das sind 72 %.

Eine aufsehenerregende öffentliche Verurteilung Hitlers und der Nazis durch den Papst hätte also zu noch schrecklicheren Taten Hitlers geführt. Der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, Dr. Aryeh Kubovy, fragte einmal Don Luigi Sturzo, einen Freund von Pius XII., ob Hitler exkommuniziert werden könnte. Don Sturzo antwortete, dass einst Napoleon nach seiner Exkommunikation seine Politik überhaupt nicht geändert habe. „Ich fürchte, dass Hitler als Reaktion auf die Androhung einer Exkommunizierung die größtmögliche Zahl von Juden töten wird. Und niemand wird ihn davon abhalten können. Ich bin überzeugt, dass Pius XII. sowohl auf diplomatischen als auch auf persönlichen Wegen jede mögliche Anstrengung unternommen hat, Einfluss auf Hitler und seine Mitarbeiter auszuüben.“[1]

Pius XII. sagte einmal zu dem italienischen Priester Don Scavizzi: „Ich habe wiederholt erwogen, den Nationalsozialismus zu exkommunizieren, um die Bestialität des Judenmords vor der zivilisierten Welt anzuprangern. Doch nach vielen Tränen und Gebeten bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ein Protest nicht nur den Verfolgten keine Hilfe bringen, sondern sehr wohl das Los der Juden verschlimmern könnte. … Vielleicht hätte mir ein feierlicher Protest das Lob der zivilisierten Welt eingetragen, aber er hätte den armen Juden eine noch unerbittlichere Verfolgung gebracht als die, die sie jetzt zu leiden haben.“[2]

Guenter Lewy berichtet,[3] dass Radio Vatikan und der Osservatore Romano die Welt darüber informierten, dass die Deutschen im September 1939 214 polnische Priester hinrichteten, weitere 1000 festnahmen und Kardinal Hlond und mehrere Bischöfe verbannten. Auf Grund dieser Veröffentlichung verschlimmerte sich die Lage. Daraufhin bat Kardinal Sapieha von Krakau „den Papst wiederholt, keine weiteren Proteste zu erheben, weil sie die Lage verschlechterten“.

In Holland zeigten sich die Folgen eines Protestes erschreckend deutlich: Die katholischen Bischöfe von Holland protestierten zusammen mit der Reformierten Kirche im Juli 1942 „in einem Telegramm an den deutschen Reichskommissar gegen die Deportation holländischer Juden und drohten, ihren Protest an die Öffentlichkeit zu bringen, wenn den Deportationen nicht Einhalt geboten werde. Die Deutschen antworteten mit dem Angebot, Nichtarier, die vor 1941 zum Christentum übergetreten waren, von der Deportation auszunehmen, wenn die Kirche schweigen würde. Die Reformierte Kirche ließ sich auf den Handel ein, aber der katholische Bischof von Utrecht lehnte ab und gab einen Hirtenbrief heraus, in dem er das den Juden zugefügte Unrecht verurteilte. Die Deutschen rächten sich, indem sie alle auffindbaren Nichtarier verhafteten und deportierten, darunter auch Edith Stein. Wenn man also die Ansicht teilt, dass der Papst nicht in der Lage war, die Masse der Gläubigen zu einem entscheidenden Kampf gegen die Nationalsozialisten aufzurütteln, dann kann man die Behauptung nicht ohne weiteres von der Hand weisen, dass ein öffentlicher Protest vielleicht einiges verbessert, aber auch manches verschlechtert hätte.“[4]

Albrecht von Kessel, zweiter Mann in der deutschen Botschaft in Rom, sagte: „Ein flammender Protest Pius´ XII. gegen die Judenverfolgungen hätte … keinem einzigen Juden das Leben gerettet. Hitler, das umstellte Raubtier, würde umso grausamer reagieren, je mehr er Widerstand verspürte.“[5]

Dass der Papst sich trotzdem einige Male unmissverständlich äußerte, schildert Pinchas Lapide auf den Seiten 223 bis 235 seines Buches Rom und die Juden. So äußerte Pius XII. am Weihnachtstag 1940 öffentlich seine Freude darüber, dass „er einer großen Zahl von Flüchtlingen, besonders Nichtariern, habe helfen können.“

Insgesamt habe die katholische Kirche in Europa unter Papst Pius XII., so weist Pinchas Lapide nach, mindestens 700.000 Juden vor der Ermordung durch die Nazis bewahrt. Er schreibt: „Die Gesamtzahl der Juden, die Hitler mindestens dank christlicher Hilfe in dem von Nationalsozialisten besetzten Europa – ausschließlich Russlands – überlebten, beträgt ungefähr 945.000. Ihnen muss man die reichlich 85.000 zuzählen, denen es Christen ermöglichten, während des Krieges in die Türkei, nach Spanien, Portugal, Andorra und Lateinamerika zu entkommen. Von dieser Gesamtzahl, über einer Million überlebender Juden, habe ich alle glaubhaften Rettungsansprüche abgezogen, die von den protestantischen Kirchen (hauptsächlich in Frankreich, Italien, Ungarn, Finnland, Dänemark und Norwegen), den orthodoxen Kirchen (vor allem in Rumänien, Bulgarien und Griechenland) erhoben wurden, sowie jene, die von Kommunisten, Menschen, die sich als Agnostiker bezeichnen, und anderen nichtchristlichen Gentilen gerettet wurden. Die verbleibende Zahl von Juden, zu deren Rettung die katholische Kirche beigetragen hat, ergibt also mindestens 700.000 Seelen, wahrscheinlich liegt sie jedoch näher dem Maximum von 860.000.“[6]


[1] A.L.Kubovy, To the Silence of Pius XII, Yad Vashem Studies VI, Jerusalem 1966, 215-232.
[2] La Parrocchia, Rom, April 1964.
[3] Guenter Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich, München 1964, 250.
[4] Guenter Lewy, a.a.O., 333.
[5] Albrecht von Kessel, Der Papst und die Juden, in: DIE WELT vom 6.4.1963.
[6] Pinchas Lapide, Rom und die Juden, Freiburg 1967, 359.

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