Impulse für ein ökumenisches Reformationsgedenken 2017

Können wir das Lutherjubiläum gemeinsam feiern?

Mit großen Schritten gehen wir auf das Lutherjubiläum im Jahr 2017 zu. Die christlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, erwarten von der katholischen Kirche, dass sie sich diesen Anlass zueigen macht und an den Feierlichkeiten teilnimmt. Kurt Kardinal Koch, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, hat zu diesen Erwartungen Stellung genommen und die Haltung der katholischen Kirche zum Reformationsgedenken dargelegt. Dieses Gedenken könne für Katholiken keine Jubelfeier sein, sondern fordere zum Schuldbekenntnis und zur Umkehr heraus. In einem Grundsatzreferat über den „ökumenischen Auftrag“ des Konzils am 26. Oktober 2013 in der St. Michaels-Kirche in Ottmaring bei Augsburg nannte er drei Bedingungen für ein gemeinsames Reformationsgedenken. Dabei stützte er sich auf das Dokument „From Conflict to Communion“ – „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“, das von der Lutherisch/Römisch-Katholischen Kommission im Blick auf das Jubiläumsjahr 2017 ausgearbeitet worden ist. Koch gliederte seine Impulse in den Dreiklang „Buße, Dankbarkeit und Hoffnung“.

Von Kurt Kardinal Koch

Die Reformation brachte keine Reform, sondern Kirchenspaltung

Führen wir uns den zweifellos radikalsten Reformer der Kirche vor Augen, nämlich den hl. Franz von Assisi. Die Erinnerung an ihn bringt es an den Tag, dass es nicht der mächtige Papst Innozenz III. gewesen ist, der die Kirche vor dem Einsturz bewahrt und erneuert hat, sondern der kleine und unbedeutende Ordensmann, dass aber auf der anderen Seite Franz von Assisi die Kirche keineswegs ohne oder gegen den Papst reformiert hat, sondern nur in Gemeinschaft mit ihm. Während Franz das gelungene Beispiel einer radikalen Kirchenreform in Einheit mit der kirchlichen Hierarchie ist, haben die Kirchenreformen der Reformatoren allesamt zur Kirchenspaltung geführt. Hier liegt der tiefste Grund, dass die Mitfreude über die notwendige Kirchenreform auf katholischer Seite auch mit Schmerz verbunden ist, weil sie schließlich zur Spaltung der Kirche und vielen negativen Auswirkungen geführt hat, und dass in der Folge das Reformationsgedenken für uns Katholiken keine Jubelfeier sein kann, sondern auch ein Anlass zu Besinnung, Schuldbekenntnis und Umkehr sein muss.

Wiedergewinnung der Einheit würde die Reformation vollenden

Diese Einstellung entspricht dabei durchaus dem eigentlichen Anliegen der Reformation, vor allem von Martin Luther. Ihm ist es um eine durchgreifende Reform der ganzen Kirche und gerade nicht um eine Reformation im Sinne der mit ihr schließlich zerbrochenen Einheit der Kirche und des Entstehens von neuen reformatorischen Kirchen gegangen. Nimmt man diese Intention ernst, dann muss man in der historischen Tatsache, dass sie in der damaligen Zeit nicht zur Erfüllung gelangen konnte, nicht nur das Versagen der damaligen römischen Kirche erblicken, sondern auch das Nicht-Gelingen der Reformation selbst, wie beispielsweise der evangelische Ökumeniker Wolfhart Pannenberg mit Recht immer wieder in Erinnerung gerufen hat. In seiner Sicht lag den Reformatoren nichts ferner als die „Abtrennung evangelischer Sonderkirchen von der einen katholischen Kirche. Das Entstehen eines besonderen evangelischen Kirchentums war eine Notlösung: denn das ursprüngliche Ziel der Reformation war die Reform der ganzen Kirche.“[1] Diese historische Einsicht kann umgekehrt nur bedeuten, dass es erst beim ökumenischen Bemühen um die Wiedergewinnung der Einheit der Kirche auch um die Vollendung der Reformation selbst geht, dass im Blick auf die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit Lutheraner und Katholiken gemeinsam bekennen können: „Nostra res agitur“ – und  dass man folglich vom gemeinsamen Reformationsgedenken auch einen neuen und mutigen Impuls für den Prozess der ökumenischen Annäherung erwarten darf.

Bruch mit der Tradition führte zur „Wesensveränderung“

Die historische Tatsache, dass die Reformation im 16. Jahrhundert zur Kirchenspaltung und zum Entstehen von neuen kirchlichen Gemeinschaften geführt hat, veranlasst dazu, einen grundlegenden Unterschied zwischen Reform und Reformation zu benennen. Es gehört zum Wesen einer Reform, dass sie nie zum Ergebnis haben kann, dass das Reformierte nicht mehr mit dem vorherigen zu Reformierenden identisch ist. Denn eine Reform betrifft die konkrete Erscheinungsform und Verwirklichung, nicht hingegen das Wesen des zu Reformierenden. Andernfalls würde es sich um eine Wesensveränderung handeln, die das zu Reformierende zu etwas Anderem machen würde, als es vorher war. Von daher stellt sich in ökumenischer Sicht die Frage, ob sich die Reformation des 16. Jahrhunderts in diesem Sinn als Reform der Kirche verstanden oder ob sie nicht doch in einem viel radikaleren Sinn zu einer Wesensveränderung geführt hat.

Reformatoren gaben die frühkirchliche Kirchenstruktur auf

Diese Frage stellt sich vor allem deshalb, weil es durchaus verständlich ist, dass die Reformatoren große Probleme mit dem mittelalterlichen Paradigma der Papstkirche gehabt haben, dass sie aber keineswegs zum frühkirchlichen Paradigma zurückgekehrt sind, sondern sich immer mehr von jenem ekklesiologischen Grundgefüge verabschiedet haben, das sich seit dem zweiten Jahrhundert herausgebildet hat und das die katholische Kirche mit allen orthodoxen und orientalisch orthodoxen Kirchen teilt, nämlich die sakramental-eucharistische und die episkopale Grundstruktur der Kirche.[2] Da nach diesem altkirchlichen Verständnis Kirche dort ist, wo das Bischofsamt in der sakramentalen Nachfolge der Apostel und damit auch die Eucharistie als Sakrament, dem der Priester und der Bischof vorstehen, gegeben sind, kommt man nicht um das Urteil herum, dass mit der Reformation ein anderer Typus von Kirche oder, da sich diese kirchlichen Gemeinschaften selbst bald weiter auseinanderdividiert haben, andere Typen entstanden sind und die aus der Reformation hervorgegangenen Gemeinschaften auch bewusst auf andere Weise Kirche sein wollen.

Wollen die ökumenischen Partner an radikaler Abgrenzung festhalten?

Von daher stellt sich die noch grundlegendere ökumenische Frage nach dem Verhältnis zwischen Reformation und Tradition, genauerhin die Frage, wie sich die Reformation zur gesamten Tradition der Kirche verhält, von der uns immerhin 1500 Jahre gemeinsam sind. Und in diesem weiteren Horizont wäre die Frage zu beantworten, wie wir heute, und zwar die ökumenischen Partner für sich und gemeinsam, die Reformation betrachten: nach wie vor, wie in der Vergangenheit üblich, als Bruch mit der bisherigen Tradition der Christenheit, mit dem etwas Neues begonnen hat, oder in einer bleibenden Kontinuität mit der gesamten Tradition der universalen Kirche. Es handelt sich dabei um jene Frage, die bereits vor Jahren mein Vorgänger als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Walter Kardinal Kasper, im Blick auf das Reformationsgedenken an die aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften gestellt hat, ob sie die Reformation als „ein neues Paradigma“ wahrnehmen, „das sich durch eine bleibende Grunddifferenz ,protestantisch‘ vom Katholischen abgrenzt“, oder ob sie diese im ökumenischen Sinn als „Reform und Erneuerung der einen universalen Kirche“ verstehen.[3] Von der Beantwortung dieser Frage hängt nicht nur die Art und Weise ab, in der wir Katholiken uns am Reformationsgedenken beteiligen können, sondern auch und vor allem, wie der ökumenische Dialog der katholischen Kirche mit den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften weitergehen soll.

Drei Impulse für ein gemeinsames Reformationsgedenken

Damit sind die drei entscheidenden Fragen benannt, die sich in ökumenischer Sicht bei einem gemeinsamen Reformationsgedenken stellen und die ich in der Überzeugung bewusst pointiert formuliert habe, dass wir das Reformationsgedenken als willkommene Gelegenheit verstehen sollten, unsere heutige ökumenische Situation zu überdenken und mutige Schritte in die Zukunft zu wagen. Von diesem Anliegen ist das von der Lutherisch/Römisch-Katholischen Kommission für die Einheit im Blick auf das Reformationsgedenken erarbeitete Dokument „From Conflict to Communion“ getragen. Wenn wir jene drei Schwerpunkte realisieren, die im Mittelpunkt dieses Dokumentes stehen, dann wird das Reformationsgedenken zu einer ökumenischen Chance werden können.

1. In einem öffentlichen Bußakt die große Bürde der Reformationszeit benennen

Der Titel „From Conflict to Communion“ verpflichtet erstens dazu, nicht zu schnell zur „Gemeinschaft“ zu kommen, sondern auch den „Konflikt“ auszuhalten. Dazu haben wir allen Grund, wenn wir bedenken, dass es nach der Reformation zur Kirchenspaltung und im 16. und 17. Jahrhundert zu blutigen Konfessionskriegen gekommen ist, die die neuzeitliche Säkularisierung und Privatisierung des Christentums weitgehend zumindest mit verursacht haben. Weil in der Folge dieser Konfessionskriege das Christentum historisch nur noch greifbar gewesen ist in der Gestalt der verschiedenen Konfessionen, die einander bis aufs Blut bekämpft haben, musste diese historische Konstellation zur unvermeidlichen Konsequenz haben, dass der konfessionelle Friede um den teuren Preis erkauft wurde, dass von den konfessionellen Differenzen und, in Fernwirkung, vom Christentum überhaupt abgesehen wurde, um dem gesellschaftlichen Frieden eine neue Basis geben zu können. Die Emanzipation der neuzeitlichen Kulturwelt zunächst von den Gegensätzen der unter sich zerstrittenen Konfessionskirchen und letztlich vom Christentum überhaupt muss insofern als Ergebnis und Erschöpfungsende der Kirchenspaltung und der anschließenden Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts, besonders des Dreißigjährigen Krieges, beurteilt werden, der das damalige Europa in ein rotes Meer verwandelt hat. Als weitere Fernwirkung dieses schwerwiegenden Konflikts muss auch die Ausbildung von Nationalstaaten mit starken konfessionellen Abgrenzungen als eine große Bürde wahrgenommen werden, die aus der Reformationszeit geblieben ist. Wenn wir ferner bedenken, dass sich die Reformation Martin Luthers zwar von der in die politischen Wirren verwickelten Herrschaft des Papsttums befreit hat, aber alsbald in eine ähnliche Abhängigkeit von den Fürsten geraten ist und unter anderem die Verfolgung der Täufer durch lutherische Obrigkeiten theologisch gerechtfertigt hat, und dass die Reformation auch in anderen Gegenden nicht ohne Gewaltanwendung eingeführt worden ist, dann haben wir auf beiden Seiten allen Grund, Klage zu erheben und Buße für die Missverständnisse, Böswilligkeiten und Verletzungen zu tun, die wir uns in den vergangenen 500 Jahren angetan haben. Ein solcher öffentlicher Bußakt müsste jedenfalls der erste Schritt bei einem gemeinsamen Reformationsgedenken sein.

2. Die schmerzvolle Trennungsgeschichte angemessener schreiben

Ein wesentlicher Weg zur Überwindung einer derart schmerzvollen Trennungsgeschichte besteht darin, dass sie gemeinsam geschrieben wird. Dies ist im Dokument „From Conflict to Communion“ geschehen und darf als Ergebnis des auf katholischer Seite erfolgten Ringens um ein historisch adäquateres und theologisch angemesseneres Bild der Reformatoren und des auf protestantischer Seite intensivierten Bemühens um ein gerechteres Bild des Mittelalters und der katholischen Kirche in dieser Zeit betrachtet werden. Diese historischen Erkundungen haben gezeigt, dass auf der einen Seite das Mittelalter keineswegs so dunkel gewesen ist, wie es zu lange und zu gerne gezeichnet worden ist, und dass auf der anderen Seite Martin Luther viel mehr im mittelalterlichen Denken beheimatet gewesen ist, als man zugestanden hat, was sich vor allem in seiner weitgehenden apokalyptischen Gestimmtheit anzeigt, in der er in den meisten seiner Gegner den Teufel am Werk gesehen hat. Diese differenzierte geschichtliche Sicht muss man ihrerseits als reife Frucht der ökumenischen Dialoge in den vergangenen Jahrzehnten würdigen. Von daher gehören zu einem gemeinsamen Reformationsgedenken zweitens Dankbarkeit und Freude über die gegenseitige Annäherung im Glauben und im Leben, die in den vergangenen fünfzig Jahren auch im Rückblick auf die lange und gemeinsame Geschichte vor Reformation und Kirchenspaltung geschehen ist.

3. Die sichtbare Einheit der Kirche zum Ziel der Ökumene erklären

Aus Buße angesichts des geschichtlichen Leidens und aus Freude über die bisher erreichte ökumenische Gemeinschaft folgt drittens die Hoffnung, dass das gemeinsame Reformationsgedenken uns die Möglichkeit schenkt, weitere Schritte auf die ersehnte und erhoffte Einheit zu tun und nicht bloß beim Erreichten stehen zu bleiben. Dafür erbringt das ökumenische Dokument „From Conflict to Communion“ einen wichtigen Beitrag, indem es die sichtbare Einheit der Kirche als Ziel unserer ökumenischen Bemühungen in Erinnerung ruft. 2017 wird deshalb dann eine Chance sein, wenn dieses Jahr nicht der Abschluss, sondern ein Neubeginn des ökumenischen Ringens um die volle Gemeinschaft zwischen den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften und der katholischen Kirche sein wird, und zwar mit dem Dreiklang von Buße, Dankbarkeit und Hoffnung, von dem keiner ausfallen darf, wenn er als symphonischer Dreiklang vernehmbar sein soll.

Der Weg der Ökumene ist für die katholische Kirche irreversibel

Um diese Erwartung mit den Worten auszudrücken, die Papst Benedikt XVI. in seiner Ansprache an den Präsidenten des Lutherischen Weltbundes am 16. Dezember 2010 ausgesprochen hat: „In diesen Jahren, die zum 500. Jahrestag der Ereignisse von 1517 hinführen, sind Katholiken und Lutheraner dazu aufgerufen, erneut darüber nachzudenken, wohin uns unser Weg zur Einheit geführt hat, und den Herrn inständig um seine Leitung und Hilfe für die Zukunft zu bitten.“[4] Mit dieser Hoffnung entsprechen wir auch dem bevorstehenden 50. Jahr-Gedenken der Promulgation des Dekretes des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Ökumenismus und der in ihm enthaltenen Überzeugung, dass die Wiederherstellung der Einheit der Christen der Wille des Herrn ist, dass der Weg der Ökumene für die katholische Kirche irreversibel und deshalb auch in Zukunft weiterhin zu begehen ist.


[1]W. Pannenberg, Reformation und Einheit der Kirche, in: Ders., Ethik und Ekklesiologie. Gesammelte Aufsätze (Göttingen 1977) 254-267, zit. 255.
[2] Vgl. K. Koch, Die apostolische Dimension der Kirche im ökumenischen Gespräch, in: Communio. Internationale katholische Zeitschrift 40 (2011) 234-252.
[3] Kardinal W. Kasper, Ökumenisch von Gott sprechen?, in: I. U. Dalferth/J. Fischer/H.-P. Grosshans (Hrsg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre, Festschrift für Eberhard Jüngel zum 70. Geburtstag (Tübingen 2004) 291-302, zit. 302.
[4] Benedikt XVI., Ansprache an Bischof Munib A. Jounan, Präsident des Lutherischen Weltbundes am 16. Dezember 2010.

„Wir müssen gemeinsam zum Schutz der Christen aufstehen!“

Große Fortschritte seit Benedikt XVI.

Der Besuch von Präsident Putin bei Papst Franziskus am 25. November 2013 hat in Russland ein ausgesprochen positives Echo hervorgerufen. Die Bilder von der Übergabe einer Kopie der Ikone der Gottesmutter von Wladimir haben die Bevölkerung zutiefst gerührt. Fast jeder konnte beschreiben, wie sich Putin bekreuzigt und die Ikone geküsst und wie es ihm der Papst nachgemacht habe. Jedenfalls hat die Begegnung große Sympathien für die katholische Kirche geweckt, was auch für die Katholiken in Russland ein wichtiges Signal bedeutet. Vor allem wachsen die Erwartungen einer gegenseitigen Annäherung und die Sehnsucht nach der Wiederherstellung der Einheit, mehr als es der orthodoxen Kirche gelegen erscheint. Am 10. Dezember 2013 veröffentlichte die russische Tageszeitung Kommersant ein umfangreiches Interview mit Metropolit Hilarion (geb. 1966), dem Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Pawel Korobov ging in seinen Fragen auch auf die Möglichkeit eines Treffens des Papstes mit dem Patriarchen ein. Nachfolgend ein Auszug.

Interview mit Metropolit Hilarion

Kommersant: Wird auf das Treffen von Papst Franziskus mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Begegnung zwischen Papst und Patriarch Kyrill I. folgen?

Hilarion: Das ist durchaus möglich, aber diese beiden Treffen hängen nicht miteinander zusammen. Über eine Begegnung des Patriarchen mit dem Papst sprechen wir schon seit vielen Jahren. Doch wir sagen, dass ein solches Treffen gut vorbereitet sein muss. Und wir sind dabei, es vorzubereiten. Wir treffen uns immer wieder mit der Leitung der römisch-katholischen Kirche. Ich bin zum Beispiel mit Papst Johannes Paul II. und mit Papst Benedikt XVI. zusammengetroffen und dieses Jahr schon zweimal mit Papst Franziskus. Für uns hat ein Treffen des Papstes mit dem Patriarchen keinen Selbstzweck. Für uns wäre es eine Stufe zur Entwicklung von zweiseitigen Beziehungen. Wir sind bereit, ein solches Treffen zu organisieren, wenn wir spüren, dass die Voraussetzungen dafür reif sind. Das heißt, dass die Haupthindernisse in den Beziehungen der Kirchen aus dem Weg geräumt sind. Der Präsident der Russischen Föderation hat sich mit dem Papst als Oberhaupt eines Staates mit einem anderen Staatsoberhaupt getroffen. Der Präsident hatte keine besondere Botschaft des Patriarchen an den Papst zu richten. Das Ziel bestand nicht in der Vorbereitung oder Beschleunigung einer solchen Begegnung. Ein Treffen zwischen dem Patriarchen und dem Papst, so denke ich, wird es geben, aber wir werden es ausschließlich in der Form von bilateralen Beziehungen mit der römisch-katholischen Kirche vorbereiten.

Kommersant: Erst kürzlich haben Sie französischen Medien gegenüber verlauten lassen, dass Sie bereits Vorbereitungen für eine Begegnung zwischen Patriarch und Papst treffen?

Hilarion: Ich erkläre dies auch Ihnen – und zwar, dass wir sie schon seit Jahren vorbereiten.

Kommersant: Und wie bereiten Sie sie vor?

Hilarion: Wir bereiten sie auf dem Weg von Verhandlungen mit der römisch-katholischen Kirche über die Fragen vor, die, wie wir meinen, auf der Tagesordnung einer solchen Begegnung stehen müssen. Aber ich wiederhole noch einmal, dass für uns das Treffen keinen Selbstzweck darstellt. Für uns sind die Fragen selbst wichtig.

Zum Beispiel habe ich Papst Franziskus beim letzten Treffen gesagt, dass die Lage der Christen im Nahen Osten ein Thema ist, das ganz besondere und außerordentliche Bemühungen vonseiten unserer Kirchen erfordert. Wir müssen zum Schutz der Christen aufstehen. Man muss sagen, dass die römisch-katholische und die russisch orthodoxe Kirche viel für den Schutz der Christen tun. Aber wir können unsere Bemühungen vereinen, den Einsatz verdoppeln und bessere Ergebnisse erzielen.

Kommersant: Hat der Papst Ihnen zugestimmt?

Hilarion: Ja.

Kommersant: Haben sich die Beziehungen zwischen russisch-orthodoxer Kirche und Rom nach der Thronbesteigung von Papst Franziskus verändert?

Hilarion: Sie haben sich sehr zum Besseren verändert nach der Thronbesteigung von Papst Benedikt XVI. Er war in der Lage, die Spannung, die unter dem vorausgehenden Pontifikat bestand, aufzuheben. Mit großem Einfühlungsvermögen ging er auf die Problematik der orthodox-katholischen Beziehungen ein. Unter ihm haben unsere Beziehungen einen positiven und fortschreitenden Charakter angenommen. Und ich denke, wenn er nicht in den Ruhestand gegangen wäre, so wäre wahrscheinlich ein Treffen des Patriarchen mit ihm zustande gekommen. Aber jetzt sprechen wir natürlich schon nicht mehr über verpasste Chancen, sondern über die Möglichkeit einer Begegnung des Patriarchen mit Papst Franziskus. Wir sehen, dass sich Papst Franziskus sehr wohlwollend zur orthodoxen Kirche verhält. Diese Beziehung zeigte sich schon zu der Zeit, als er Kardinal war.

Kommersant: Welche Probleme stehen einem Treffen von Papst und Patriarch im Weg?

Hilarion: Das Hauptproblem, das in unseren bilateralen Beziehungen besteht, ist die Situation in der West-Ukraine, die gegenseitigen Beziehungen zwischen Orthodoxen und Griechisch-Katholischen. Diese Beziehungen sind in den späten 1980er Jahren schwierig geworden, als die Griechisch-Katholischen orthodoxe Kirchen beschlagnahmt haben. Ich möchte jetzt nicht auf die Geschichte eingehen: Die Ansichten über die Geschichte sind bei den Konfliktparteien immer unterschiedlich. Aber der Konflikt ist nicht überholt. In der West-Ukraine gibt es viele Orte, wo die Orthodoxen nach wie vor unter dem Verlust ihrer Kirchen leiden, woran wir unsere Partner in der römisch-katholischen Kirche regelmäßig erinnern. Es ist wahr, dass uns in der letzten Zeit gute Nachrichten aus der West-Ukraine erreichten. Es gibt die Hoffnung, dass die Lemberger Diözese der ukrainischen Kirche des Moskauer Patriarchats ein Grundstück und ein Gebäude für die Errichtung eines geistlichen Zentrums bekommt. Es ist das, was wir im Verlauf von vielen Jahren nicht erreichen konnten. Wenn es dazu kommt, wird es ohne Zweifel einen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Vorbereitung eines Treffens haben.

Kommersant: Wann kann nach Ihrer Ansicht ein Treffen des Patriarchen mit dem Papst stattfinden?

Hilarion: Das kann ich nicht sagen, weder wann noch wo ein Treffen stattfinden wird; denn bislang haben wir diese Frage nicht besprochen. Ich kann nur sagen, dass es dann stattfinden wird, wenn beide Seiten dazu bereit sind.

Die Gefahren des „Transhumanismus“

Erinnert Euch Eurer Menschlichkeit!

Im Rahmen des so genannten „Vorhofs der Völker“ hielt Kardinal Gianfranco Ravasi am 27. November 2013 in der Charité Berlin einen aufrüttelnden Vortrag. Ravasi ist ein Bibelexeget von Weltrang und nun als Präsident des „Päpstlichen Rats für Kultur“ verantwortlich für den Dialog zwischen katholischer Kirche und Nichtglaubenden. Seine Ausführungen über die Entwicklung der Menschheit angesichts moderner Wissenschaften und Technologien ließ er in den Aufruf Albert Einsteins einmünden: „Wir Naturwissenschaftler appellieren als Menschen an die Menschen: Erinnert Euch Eurer Menschlichkeit und vergesst ruhig den Rest!“

Von Gianfranco Kardinal Ravasi

Staunen vor dem Geheimnis der menschlichen Existenz

Der Psalmendichter Israels verharrte erstaunt vor dem Geheimnis der menschlichen Existenz und rief aus: „Du hast den Menschen wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt“ (Psalm 8,6). Weniger lyrisch und religiös, jedoch mit der gleichen Bewunderung, prägte einer der sieben Weisen im alten Griechenland, Demokrit von Abdera, ein Zeitgenosse Sokrates‘, folgenden Ausspruch: „ánthropos mikròs kósmos“ – „der Mensch ist ein kleines Universum“ (Fragment 34). Dieser „Mikrokosmos“ trägt mit seinem Denken und seinem Geist die Unendlichkeit in sich, ist jedoch gleichzeitig von einer zerbrechlichen und sterblichen Kreatürlichkeit. Während Hölderlin in einem seiner „Hymnischen Entwürfe“ auf die Bibel verwies und sich fragte: Was ist der Menschen Leben? Ein Bild der Gottheit, legte Goethe im Faust Mephistopheles diese ungeschönte Umschreibung des Menschen in den Mund: „Der Mensch, die kleine Narrenwelt“.

Der Mensch macht sich zum Schöpfer seiner selbst

Die moderne Kultur hat die Größe des Menschen entmythologisiert, bleibt jedoch von ihr fasziniert, und zwar seit Descartes, der mit dem Ausspruch „Cogito ergo sum“ die transzendierende Identität der Person in das Denken verlegte. Die Wissenschaft hingegen stellte die materielle und vergängliche Körperlichkeit dieses Wesens vielgerühmter Spiritualität in den Mittelpunkt. In der zeitgenössischen Kultur hat sich diese Haltung weiter verändert. Der Mensch gibt sich nicht mehr damit zufrieden, ein passiver Beobachter seiner eigenen strukturellen Identität zu sein, sondern schwingt sich zum Schöpfer seiner selbst auf, indem er seine eigene Natur verändert, sowohl in den Tiefen des menschlichen Organismus mithilfe von Gentechnik als auch im Äußeren, indem er sein Erscheinungsbild mithilfe der ästhetischen Chirurgie verändert.

Von der Eugenik zur Biotechnologie

Dieser neue Weg wurde von der Wissenschaft in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit den gewagten bis gefährlichen Abenteuern der Eugenik begeistert beschritten, die zudem von einer Zweckmäßigkeit ausging und soziale Aspekte einbezog. So wurde Raum geschaffen für die aktuelle Genetik, die methodisch noch stringenter vorgeht und deren Ergebnisse im Hinblick auf die Therapie und die Vorbeugung von Krankheiten sicher bedeutsam sind. Die Molekulardiagnostik, das Screening und die Kartierung des menschlichen Genoms, therapeutische Proteine, prädiktiv-diagnostische und regenerative Medizin, die Biotechnologien im Allgemeinen sind einige der wichtigsten Bestandteile dieses neuen und komplexen Ansatzes.

Identität und Autonomie des Menschen in Gefahr

Ein Ansatz, der jedoch Fragen ethischer Natur aufwirft, welche gewiss die Grundlage der Debatte, die nun gleich an dieser hochbedeutenden Stätte geführt wird, bilden werden. Die Gene eines Menschen zu untersuchen mit dem Ziel, ihre innere „Sprache“ zu entdecken und freizulegen, ist an sich positiv, jedoch auch heikel, weil die Grenzen dieses Eingriffs fließend sind und der Ausgang ungewiss ist. Grenzen können überschritten werden und zur Entstehung ethischer und sozialer Probleme führen, da die Möglichkeit der Manipulation und des Missbrauchs von nichts Geringerem als der Identität und Autonomie des Menschen besteht.

„Transhumanismus“ nach Huxley und Verlust des Menschlichen

Hier ist der von Julian Huxley im sozialen Kontext vertretene Transhumanismus einzuordnen. Dieser wurde in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in ein wissenschaftliches Umfeld übertragen und führte dort zu oftmals schwindelerregenden Ausblicken: Denken wir an die neuen Verfahren der Gentechnik, an die Nanotechnologie, an künstliche Intelligenz, an die Neuropharmakologie, an die Kryonik, an Schnittstellen zwischen Geist und Maschine, kurzum an all das, was unter der englischen Abkürzung GRIN (Genetics, Robotics, Information Technology, Nanotechnology) zusammengefasst wird. Robin Hanson drückte es folgendermaßen aus: „Transhumanismus ist die Idee, nach der die neuen Technologien wahrscheinlich die Welt im nächsten und darauf folgenden Jahrhundert soweit verändern werden, dass unsere Nachkommen in vielerlei Hinsicht nicht mehr menschlich sein werden.“ Sie werden vielmehr „transhuman“ und sogar „posthuman“ sein, in jedem Fall „post-darwinsch“.

Apokalyptische Transformation des Phänotyps Mensch

Es ist offenkundig, wie brennend die ethischen Fragen bei einer solchen Aussicht sind, wie real die Risiken einer Degeneration bis zu dem Punkt sind, an dem einer der größten Kritiker des Transhumanismus, Bill Joy, der Gründer von Sun Microsystems, eine apokalyptische Selbstauslöschung der Gattung Mensch heraufbeschwört. Wie drängend das Verlangen weiter voranzuschreiten auf kultureller Ebene und am einzelnen Beispiel ist, kann in einem weniger problematischen, jedoch bedeutsamen Bereich nachvollzogen werden: der ästhetischen Medizin. In den USA ist die Anzahl der Botulin-Injektionen in den letzten 15 Jahren um 4000% gestiegen und allein im Jahr 2011 haben die Ausgaben für derartige Eingriffe, ebenfalls in den USA, bereits die Marke von zehn Milliarden Dollar erreicht. Es ist offenkundig, dass es sich hier um eine unaufhaltsame „Tendenz“ und um eine fortwährende Umgestaltung des Lebensstils sowie eine zumindest äußerliche Transformation des Phänotyps Mensch handelt.

Verhängnisvolle Eingriffe der Neurowissenschaften

In ethischer Hinsicht weitaus heikler sind dagegen tiefgreifende, radikale Analysen und Eingriffe am Menschen. An dieser Stelle sei das komplexe Thema der kognitiven Neurowissenschaften zu nennen, die neue Theorien über den menschlichen Geist hervorgebracht haben. Die hundert Milliarden Neuronen, aus denen unser Gehirn besteht, vergleichbar den Sternen in der Milchstraße, machen die menschliche Existenz zu einem anderen Mikrokosmos, in dem nicht nur ein Diskurs im Hinblick auf physiologische und biologische Aspekte geführt wird, sondern auch zahlreiche philosophische und theologische Fragestellungen auftauchen. Denken wir nur an die Kategorie „Seele“, an die Frage des Gewissens und der moralischen Verantwortung, an die Religiosität, an das Verhältnis von Geist und Körper, natürlich in Verbindung mit anderen Disziplinen wie der Anthropologie, der Psychologie, der Ethik, dem Recht.

Menschliches Gehirn und geistige Akte

Die Neurowissenschaften sind erst am Beginn eines schwierigen Weges. Die enorme Menge an wissenschaftlichen Daten ist oftmals verschiedenen oder sogar widersprüchlichen Auslegungen unterworfen, es entstehen Spannungen aufgrund eines abweichenden Sprachgebrauchs oder Blickwinkels. Das Verhältnis von Theologie und Wissenschaft verlangt in diesem Bereich eine starke methodologische Stringenz und eine klare Unterscheidung, da die untersuchte Realität, also das menschliche Gehirn und der menschliche Geist, bei beiden die gleiche ist. So schrieb Gustave Martelet vom theologischen Standpunkt aus sinngemäß in seinem Aufsatz „Evolution und Schöpfung“: Obwohl das Gehirn einen Höhepunkt in der Feinheit und der Komplexität der Strukturen und seiner neurophysiologischen Funktionen erreicht, obwohl es mit seiner überragenden materiellen Erhabenheit die geistigen Akte ermöglicht, bleiben diese Akte einer anderen Ordnung zugehörig, ohne dass jedoch der Geist sich von dem freimachen könnte, was er nicht ist (das heißt dem Körper).

Die „metaphysischen“ Dimensionen des menschlichen Seins

Abschließend ist zu sagen, dass der wahre Wissenschaftler nicht der ist, der alle Antworten zu geben weiß, sondern der, der die richtigen Fragen zu stellen vermag, in dem Bewusstsein, dass seine Aufgabe, die „Bühne“ der Realität bzw. die Erscheinungen zu untersuchen und auszukundschaften, nicht alle Dimensionen des Seins umfasst, angefangen mit seiner „Grundlage“, die „metaphysisch“ ist. Eben aus diesem Grund muss in ihm, so wie im Theologen, im Philosophen und im Künstler, jeder auf seinem Gebiet, das Bemühen vorhanden sein, „keusch seine Grenze zu bewahren“, wie Schelling es für die Philosophie und die Geschichte anmahnte. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass das menschliche Bewusstsein nicht mit einer Stimme spricht, sondern vielstimmig und vielgestaltig ist, denn es umfasst nicht nur den wissenschaftlichen und technologischen Weg, sondern auch den ästhetischen und moralischen, philosophischen, spirituellen und religiösen Weg.

Einstein: „Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft blind“

Nicht ohne Grund zeigte sich Max Planck überzeugt, dass Wissenschaft und Religion nicht in einem Gegensatz stünden, sondern einander wechselseitig im Denken eines Menschen bedürften, der ernsthaft nachdenke. Es handelt sich hierbei um einen epistemologisch von Respekt geprägten, ja sogar notwendigen Dialog. In diesem Zusammenhang prägte Einstein in seiner Autobiografie „Out of My Later Years“ sinngemäß einen berühmten Satz: Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft blind. Am Ende seines Lebens, im Jahre 1955, hinterließ er in einer Art Testament einen Aufruf, an den auch wir uns, so meine ich, bei unserer Zusammenkunft halten können. Es heißt in ihm sinngemäß: Wir Naturwissenschaftler appellieren als Menschen an die Menschen: Erinnert Euch Eurer Menschlichkeit und vergesst ruhig den Rest.

Anregungen für eine Reform der Klöster

Damit der Feigenbaum neue Früchte bringt

Immer mehr Klöster sterben aus. Jahrhundertealte Kulturlandschaften gehen unter. Doch es gibt auch Gemeinschaften mit Nachwuchs, blühende Oasen. Was können unsere Orden von ihnen lernen?

Von Weihbischof Andreas Laun

Die Erfahrung haben schon viele gemacht: Ein schönes altes Kloster, man fühlt sich wohl, die Mönche sind sehr gastfreundlich, brüderlich, zuvorkommend! Aber spätestens beim Frühstück kommt der Schock: Da sitzen nur noch eine Handvoll alter Männer und diese sind so ziemlich alle, die das fast leere Kloster noch bewohnen, es aber schon lange nicht mehr „füllen“ können! Zu dem großen Haus, das der Glaube seinerzeit mit Leben erfüllte und erbauen konnte, gehören zwar noch andere Mitbrüder, die Aufgaben außerhalb des Hauses wahrnehmen, aber auch sie sind in die Jahre gekommen, sie kommen nur noch ab und zu auf Besuch, wahrscheinlich werden sie nie mehr ganz ins Kloster zurückkehren!

Wenn der Nachwuchs fehlt

Man fragt sich beklommen: Welcher von diesen liebenswerten, verdienstvollen, aber doch alten Männern, die sich in ihrer Jugend einem hohen Ideal verpflichtet hatten und im Laufe ihres Lebens viele Opfer brachten, wird der letzte sein, der dann nur noch „das Licht abdreht“? Und was wird dann aus dem herrlichen, aber dann wirklich ganz leeren Haus werden? Darf man hoffen, dass es ein Haus im Dienst Gottes bleiben oder entsprechend neu besiedelt wird von einer neuen, jungen Gemeinschaft?

Eine ähnlich bedrückende Erfahrung gibt es genauso bei „modernen“ Kongregationen, die zum Beispiel vor rund 100 Jahren mit viel Begeisterung und Anziehungskraft gegründet worden sind! Damals blickten die Novizen voll Zuversicht in die Zukunft, und die Geschichte zeigt: Sie haben tatsächlich viel, sehr viel geleistet für die Kirche, für die Menschen in verschiedenen Kontinenten und durch verschiedene Dienste! Aber, heute sind sie in die Jahre gekommen, und auch ihre Gemeinschaft kämpft mit Überalterung, und fehlendem Nachwuchs. Wenn es diesen überhaupt gibt, „tröpfelt“ er nur noch! Den meisten Priesterseminaren in Europa geht es nicht besser!

Man versteht gut:  Ein junger Mensch, der den Ruf des Herrn zur engeren Nachfolge vernommen hat, will in eine solche Gemeinschaft nicht eintreten, sich nicht in ein religiöses Altenheim hinein binden, in dem er weitgehend ohne Gleichaltrige lebt, buchstäblich „auf weiter Flur allein“, in endlosen, hallenden Gängen oder auch in lieblosen und geschmacklosen Bauten der 70er Jahre! Das ist tatsächlich in vielen Häusern so! Und das alles, obwohl die Ursprungsidee dieser Gemeinschaften großartig, anziehend, biblisch war und ist. Ihre Regel würde auch heute noch die Nachfolge Christi strukturieren und helfen, sie zu leben in unserer Zeit! Das heißt, die Verfassung der Gemeinschaft bietet immer noch, was der junge Mensch ersehnt, wenn er den Ruf vernommen hat. Aber ihn annehmen kann und will er nicht unter diesen heutigen Umständen, weil er fürchtet, ein solches Leben nicht auszuhalten, fürchtet, sein Herz könnte einfrieren und seine Gottes-Sehnsucht nicht nur nicht erfüllt werden, sondern verloren gehen!

Nur gelebtes Charisma wirkt

Tatsache ist: Zu einer religiösen Gemeinschaft gehören nicht nur das ursprüngliche Charisma, ihre Spiritualität und die entsprechenden Satzungen, es gehören zu ihr das gelebte Charisma, die gelebte Spiritualität, Regeln, bei denen man merkt, dass sich die Mönche bemühen, sie einzuhalten, im Geist der Freiheit, aber eben doch „wirklich“! Es braucht, einfach gesagt, die Gleichgesinnten, bei deren Anblick ein junger Mensch denkt: „Ich möchte einer von ihnen werden, mit ihnen meinen Weg zu Gott gehen!“

Aber eben diese „Gleichgesinnten“ können viele Gemeinschaften nicht mehr bieten! Ein Grund für diesen Mangel sind die spirituellen Vergiftungen, die viele Mitglieder in den 68er Jahren erlitten haben, teilweise ohne es zu merken! Aber sie leiden immer noch an ihnen! Was war geschehen? Auf der einen Seite gab es damals das Konzil, das der Kirche soviel geschenkt hat und bis heute gute Früchte bringt. Aber auf der anderen Seite gab es das große Missverstehen eben dieses Konzils! Man war begeistert, aber in dieser Stimmungslage hielten nicht wenige die eigenen Ideen für das, was das Konzil „eigentlich“ sagen wollte, auch wenn es „so wörtlich“ in den Texten nicht zu finden war! Und so machte man sich an Reformen und öffnete sich „modernen Gedanken“, deren Bezeichnung als „kritisch“ man für ein Qualitätssiegel hielt! „Kritisch“ und „modern“ wollten viele sein, überhaupt junge Menschen, und wer verstünde dies nicht!

Ordensleben verlangt feste Werte

Kein Wunder, dass das Verständnis für bestimmte Elemente der Ordensregel „ein Stück weit“ verloren gingen, ebenso manche Lehren der Kirche, bei denen, so hieß es, man „weiter“ denken müsse! Verunstaltungen der Liturgie rechtfertigte man im Namen von „pastoraler Verständlichkeit“ und „Kreativität“, ohne zu bemerken, dass man selbst die Zeichensprache der Liturgie eben nie gelernt hatte! Inzwischen kennt man das Resultat: Viele Katholiken, auch Kleriker, wissen nicht mehr genau, was sie eigentlich glauben und ob es jemanden gibt, dem man wirklich gehorchen sollte sowohl im Tun als auch im Glauben, den man oft abschätzig als unreifes „Für-wahr-halten abtut! Gehorsam wird verwechselt mit Unmündigkeit, als Tugend gilt die Toleranz, auf Grund derer man meint, jede „Meinung“ zulassen zu sollen, sogar in theologischen Werken, im Religionsunterricht, in der Predigt und in Kirchenzeitungen. Glaube und Überzeugungen, für die man leben und sogar sterben könnte, wie jene, um derentwillen man ins Kloster oder Priesterseminar gegangen war, gelten in einflussreichen Kreisen als altmodisch und „extrem konservativ“. Wahrheit der Lehre oder gar Dogma ist bei vielen ein Unwort geworden, während man gleichzeitig heutige Häresien leidenschaftlich, wirklich „dogmatisch“ verteidigt und deren Kritiker ausgrenzt! Das gilt mittlerweise auch für kirchliche Lehren, die man bis vor kurzem noch für absolut unumstößlich gehalten hätte, wie das absolute Nein gegen Abtreibung und das ebenso undiskutierbare Leitbild der Ehe gemäß der Schöpfungsordnung.

Verbunden mit diesen Entwicklungen ist eine eigenartige Blindheit: Man behauptet, Heilige zu verehren, die für jene Überzeugungen lebten und sogar starben, die heute als „extrem“ gelten. Eigenartig ist auch der innere Widerspruch: Man zitiert die Lehre der Kirche von der überragenden Bedeutung der hl. Messe und will damit nebenbei auch ein Argument gefunden haben, warum die Kirche den Zölibat abschaffen müsse, handelt aber gleichzeitig ganz anders: „Lieber keine Messe als eine mit ausländischem Akzent oder gar in Latein!“

Zurück zur „ersten Liebe“

Alle die angesprochenen Elemente der Vergiftung haben zum Erkalten der „ersten Liebe“ geführt und damit zum Verlust jener „anziehenden Glut“ der jeweiligen Gemeinschaft, die sie fruchtbar machte!

Es ist höchste Zeit, ein Missverständnis abzuwehren: Es ist nicht die Absicht dieser Überlegungen, zu behaupten, alles und jedes, was in diesen Jahren seit 1968 getan, reformiert, gedacht und geschrieben wurde, sei schlecht gewesen! Wahr ist vielmehr: So Manches bedurfte der Korrektur und Reform. Einer primitiven, unvernünftigen Buchstabentreue gegenüber alten „Regeln“ nur weil sie alt sind, rede ich nicht das Wort. Natürlich geht es nicht um das Bewahren der Asche, sondern immer nur um das Hüten der Glut und darum, sie wieder zum Feuer werden zu lassen! Nur so kann es, mit der Gnade Gottes und mit Hilfe von gelebter Neuevangelisierung, zur wirklichen Erneuerung kommen! Es gibt eine unverzichtbare Notwendigkeit für die Kirche, mit der Zeit „zu gehen“ und in der heutigen Zeit das Evangelium zu verkünden. Wenn hier von den „Wunden der Kirche“ gesprochen wird, so nur um die Therapie zu finden, die zur Heilung führen könnte.

Voneinander Innovationen lernen

Was kann, was soll man tun, um die Lage zu ändern? Mit einigen frommen Gedanken wird sich die Situation nicht ändern. Aber zu überlegen wäre, ob man nicht von den „Kindern dieser Welt“ lernen könnte: Wenn der Absatz eines – sagen wir – Auto-Herstellers stockt, werden die Manager zum Konkurrenten schauen: Was macht der Andere anders, wie schauen seine Autos aus, könnten wir nicht auch…? Und dann wird man den Betrieb vermutlich „umbauen“, nicht um die eigene „Marke“ aufzugeben, sondern sie mit einem neuen Marketing neu aufzustellen! So könnte es auch in der Kirche sein: Es gibt heute viele „Aufbrüche“ und es gibt auch Klöster, die blühen, nur einige Kilometer entfernt von solchen, die in Gefahr sind zu sterben. Daher die Frage: Warum schaut man nicht auch in der Kirche auf den jeweils Anderen, der zudem nicht Konkurrent, sondern Bruder oder Schwester ist? Eine Geschichte kann das Gemeinte verdeutlichen:

Vor einigen Jahren wurde der damalige Abt des Stiftes Heiligenkreuz gefragt, warum das Stift Nachwuchs hat und lebt, während andere in Gefahr sind auszusterben. Seine Antwort war denkbar knapp: „Weil wir unser Stundengebet beten, weil wir dem Papst gehorchen und weil wir unser Ordensgewand tragen!“ Als ich diese kleine Geschichte einem „P. Provinzial“ einer jüngeren Gemeinschaft, gefährdet im genannten Sinn, erzählte, wehrte dieser ab: „So einfach ist das nicht!“ Ich antwortete: „Vielleicht ist es so einfach, man könnte es doch wenigstens versuchen?“ Vertreter anderer Gemeinschaften könnten kommen und sich anschauen, welche „Angebote“ in Heiligenkreuz gemacht werden, von Einkehrtagen bis zu Sportwochen – jugendgerecht, aber immer eindeutig als Gemeinschaft, die „Gottes-Programme“ anbietet, nicht Seminare für Kirchenkritik, nicht für Leute, die alles besser wissen wollen, nicht Wellness oder Abenteuer-Events fromm überzuckert!

Modernen Individualismus überwinden

Natürlich hatte mein Gesprächspartner, der zitierte Provinzial, auch recht: „So einfach ist es nicht!“ Nein, tatsächlich, es ist nicht so einfach, überhaupt nicht einfach, weil dieses skizzierte Programm nicht machbar ist ohne eine Kehrtwende der Betroffenen! Das weiß aus der Erfahrung mit sich selbst ohnehin jeder Mensch, der sich auf den Weg zu Gott gemacht hat! Natürlich, wenn man eine Neubelebung der Klöster und Gemeinschaften wirklich will, muss man umdenken!

Das ist nicht sehr modern: eigene Ideenwelten dem „Gehorsam des Glaubens“ unterzuordnen, zumal diese ohnehin sehr oft nur ein ideologisches Gemisch aus dem gerade modischen Zeitgeist sind und keine wirklich „eigenen“ Ideen! Wie immer man es dreht und wendet, „wohl erworbene Rechte“ wird man in Frage stellen und vielleicht auch aufgeben müssen, wenn sie mit dem „Willen Gottes“ nicht wirklich vereinbar sind! Denn junge, anspruchsvolle, sich nach Gott sehnende Menschen werden sich nicht einer Gemeinschaft anschließen wollen, die ihnen als „Haufen religiöser Individualisten“ gegenübertritt, in der jeder „seine eigene Meinung“ vertritt, „sein Leben selbst gestaltet“ und bei jeder Gelegenheit betont, der Papst sei ja „auch nur ein Mensch“! Was mit solchen Sprüchen zur Verteidigung der eigenen Unveränderlichkeit gemeint ist, zeigt das kleine ironische Lächeln, das solche Sprechblasen zu begleiten pflegt! Beginnen könnte man auch damit, nachzudenken über den Gehorsam gegenüber der Kirche, gegenüber ihrer Lehre, gegenüber den liturgischen Vorgaben bis hin zur Überlegung, ob das Ordensgewand oder die priesterliche Kleidung nicht doch der Sache Gottes dient! „Vorkonziliare Enge“? Abgesehen von der Frage: Wo und wann hätte das Konzil diese „Dinge“ relativiert? Gilt nicht auch für die Kirche der Satz: Bevor man eine Mauer abreißt, sollte man nachdenken, warum man sie gebaut hat!

Mut zur Reform der Reform

Mit diesen Gedanken lege ich kein fertiges Konzept vor. Sie möchten nur anstoßen, nachzudenken! Vor kurzem erzählte mir eine Frau von einem österreichischen Kloster, das mit solchen Reformen bescheiden angefangen hat – und jetzt wieder mehrere Novizen hat! Ich bleibe dabei: Wenn man will, dass das eigene Kloster, die eigene Gemeinschaft, das diözesane Priesterseminar wieder aufblühen, müsste man in dieser Richtung denken und dann die entsprechenden Maßnahmen setzen.

Noch einmal: Ja, der genannte Provinzial hat recht, ein solches Programm ist keineswegs „einfach“! Nein, im Gegenteil, dieser Weg führt durch eine „enge Pforte“! Aber was im Evangelium ist schon „einfach“, „locker“, zeitgemäß“ und „politisch korrekt“? Ja tatsächlich, es wäre ein anspruchsvolles Vorhaben, wenn sich eine Klostergemeinschaft, die an der beschriebenen Krankheit, die zum Tod durch Aussterben führen könnte, leidet, aufmachen würde und die dazu notwendigen Schritte setzte! Der Einwand wird sicher kommen: Führen die Vorschläge nicht „hinter das Konzil“ zurück? Was heißt in solchem Zusammenhang die Richtungsbezeichnung „zurück“? Abgesehen von der Hermeneutik der Kontinuität (Papst Benedikt XVI.) und auch abgesehen davon, dass es keine „Kirche des Konzils“ gibt, sondern nur eine einzige Kirche, die schon rund 2000 Jahre durch die Geschichte wandert, sich wandelnd und doch immer als dasselbe Volk Gottes von Heiligen und Sündern: „Wenn man am Rand eines Abgrunds steht, ist der Schritt zurück ein Fortschritt!“ (Erzbischof Johannes Dyba). War nicht auch die von Johannes dem Täufer und mit noch größerer Vollmacht von Jesus gepredigte „Umkehr“ ein Aufruf, endlich bestimmte „Schritte zurück“ zu machen? Es ist schon so: Mancher Fortschritt beginnt mit einem „Rückschritt“, der in eine neue Zukunft „nach vorne“ führt! Auch das „Zurück zur „ersten Liebe“ ist kein negativ zu wertendes „Zurück“, sondern ein wunderbarer Fortschritt – in der Ehe, aber auch im religiösen Leben!

Man könnte auch bedenken: Techniker machen sogar Fortschritte, indem sie uralte Strukturen und Verhaltensweisen von Tieren erforschen, die sich über Jahrtausende bewährt haben! Und: Ordnungen und Strukturen, die manche Gemeinschaften durch Jahrhunderte getragen haben, Heilige „hervorbrachten“ und sogar Zeiten wie die des Nazi- oder Stalin-Terrors überleben ließen, können doch nicht so schlecht sein, dass man sie pauschal als „veraltet“ diskriminieren dürfte, statt sie zu bedenken und von ihnen zu lernen! Eine „Reform der Reform“ hat z.B. der Gemeinschaft von Mutter Angelica, Gründerin des größten katholischen Fernsehprogramms der Welt (EWTN), nicht nur nicht geschadet, sondern die Gemeinschaft neu aufblühen lassen. 

Wenn man sich zu der skizzierten Erneuerung entschlösse, könnte man übrigens auch Mitbrüder aus anderen Gemeinschaften einladen und bitten, als „Trainer“ behilflich zu sein und dazu vielleicht sogar eine gewisse Zeit lang in das „kranke“ Kloster zu übersiedeln!

Den Feigenbaum aufgraben und düngen

Einen Versuch wäre es doch wert, statt zuzuschauen, wie die Gemeinschaft, an die man als junger Mensch geglaubt und der man sich mit Opfern verbunden anvertraut hat, stirbt? Im Evangelium erzählt Jesus das passende Gleichnis (Lk 13,6 ff): „Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.“ Wir selbst sind „Feigenbaum“ und „Gärtner“ in einem, die dann folgende Erholung des Baumes ist ein Versprechen Gottes!

Also, das wäre es: Wir Ordensleute (und entsprechend auch die anderen Einrichtungen der Kirche für Priesterausbildung, natürlich auch die Frauen-Gemeinschaften) sollten unseren „Feigenbaum“ neu „aufgraben und düngen“!

Ich füge hinzu: In der Zeit meines Ordenslebens war ich kein großes Vorbild, meine Mitbrüder wissen es! Und auch mir würde, zurück in der Gemeinschaft, ein solches Reformprogramm ziemlich schwer fallen – aber ich würde es, zusammen mit anderen Mitbrüdern, versuchen, statt zu warten, ob vielleicht ich jener „Letzte“ sein werde, „der das Licht abdreht“! Der Eintritt ins Noviziat ist mir sehr schwer gefallen, aber zu meiner Überraschung war ich in dieser Zeit der ersten Liebe besonders glücklich! Aber am Tag der Priesterweihe, an dem alle von mir große Freude erwarteten, hatte ich Angst angesichts dessen, was da buchstäblich „über mich“ gekommen war durch das, was der Bischof mit mir machte! Und ich wundere mich im Rückblick über so Manches, was ich in den ersten Priesterjahren nicht sah, und natürlich hatte ich auch meine Krisen. Ich wundere mich, dass ich diese mehr oder weniger gut überstanden habe. Gerade weil ich mir bewusst bin, wie leicht es hätte anders „ausgehen“ können, verstehe ich jene Mitbrüder, die andere Wege gegangen sind, und urteile nicht über sie. Dass ich Priester geblieben und heute sogar Bischof bin, schreibe ich weder meinem Verstand zu noch meiner Kraft, sondern wirklich einzig und allein der Gnade Gottes. Man könnte auch sagen: Ohne diese bliebe es unerklärbar!

Gebetsinitiative für die Neuevangelisierung

Öffnet die Herzen dem Heiligen Geist

Im Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ fordert Papst Franziskus einen weltweiten missionarischen Aufbruch der katholischen Kirche. Gott selbst wolle „in den Gläubigen eine Dynamik des Aufbruchs auslösen“ und jeder Christ sei zu diesem „neuen Aufbruch“ berufen. „Alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen“, so der Papst. Pfarrer Leo Tanner hat sich dieser Aufgabe schon lange verschrieben. Sein Einsatz für die geistliche Erneuerung ist weit bekannt. Nachfolgend ein Einblick in die Gebetsinitiative für die Neuevangelisierung, die er vor einem Jahr angestoßen hat.

Interview mit Leo Tanner

Kirche heute: Herr Pfarrer Tanner, Sie haben im vergangenen Frühling ein Gebetsengagement für die Neuevangelisierung ins Leben gerufen. Was hat Sie zu dieser Initiative veranlasst?

Pfr. Tanner: Ich erhielt bei der Hauptversammlung der Bibelgruppen Immanuel am 17. März 2012 völlig überraschend den Impuls, dass der Herr es wünsche, dass die Bibelgruppen zu ihrem 25-Jahr-Jubiläum und zum „Jahr des Glaubens“ in den Gruppen mit weiteren Interessierten einen Glaubenskurs mit DVD durchführen.]1]

Das Leitungsteam kam zur Überzeugung, dass dieser Impuls vom Heiligen Geist komme und folglich Er dafür verantwortlich sei, die Menschen für dieses ungewohnte und zeitlich intensive Projekt zu motivieren und zu begeistern. So begann es, bis zum 8. September für die Leiter/innen zu beten. Dann ab dem 8. September wurde eine Gebetskette bis Pfingsten 2013 ins Leben gerufen, an der über 200 Personen teilnahmen.

Am 17. Februar 2013 zum Startgottesdienst der Glaubenskurse brannten über 30 Kerzen vor dem Altar. 32 Laienteams führten in der Fasten- und Osterzeit 2013 den neunteiligen Glaubenskurs „Komm und sieh! Den christlichen Glauben neu entdecken“]2] mit über 500 Personen durch. Die Wirkung des Gebetes war spürbar.

Gegen Pfingsten war immer deutlicher die Anregung in mir da, dass dieses Gebetsengagement jetzt nicht einfach zu Ende sein könne, sondern dass der Heilige Geist es wünsche, dass es weiter gehe und Kreise im deutschen Sprachraum ziehe. So sprach ich diesen Impuls einfach mal am Pfingstmontag im Gottesdienst aus und lade ich seither Menschen ein, sich an diesem Gebetsengagement zu beteiligen.]3]

Kirche heute: Worin besteht das Gebetsengagement für die Neuevangelisierung?

Pfr. Tanner: 30 Minuten pro Woche an einem Tag, der selbst bestimmt wird, bis Pfingsten 2014 in den Anliegen des Evangelisationsgebetes für die Neuevangelisierung zu beten. Dies soll eine zusätzliche Gebetszeit sein und nicht ein anderes Gebet ersetzen. Die Gestaltung des Gebetes ist frei. Es kann auch gemeinsam gebetet werden.

Wenn am vorgesehenen Tag das Evangelisationsgebet nicht vollzogen werden kann, kann es  an einem anderen Tag nachgeholt werden. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, die Entscheidung durch eine entsprechende Meldung wieder rückgängig zu machen.

Das Gebetsengagement selbst kann jeweils durch einen neuen Entscheid um ein Jahr bis Pfingsten verlängert werden.

Kirche heute: Können Sie das Ziel der Gebetsinitiative näher beschreiben?

Pfr. Tanner: Beim Schlussgottesdienst des Weltjugendtages in Rio de Janeiro sagte Papst Franziskus: „Der Glaube ist eine Flamme, die immer lebendiger wird, je mehr man sie mit anderen teilt und sie weitergibt, damit alle Jesus Christus kennen lernen, lieben und bekennen können – ihn, den Herrn des Lebens und der Geschichte… Die Glaubenserfahrung zu teilen, den Glauben zu bezeugen, das Evangelium zu verkünden ist ein Auftrag, den der Herr der gesamten Kirche überträgt, auch dir…“

Wenn wir das Evangelium weitergeben, schenken wir den Menschen das Kostbarste, einen Schatz für Zeit und Ewigkeit. Es gibt nichts Beglückenderes, als mithelfen zu dürfen, dass Menschen in diesem Leben Freude, Heil und Erlösung erfahren und den Weg entdecken, der in die ewige Herrlichkeit führt. Sie werden uns ewig dafür dankbar sein. Eine Form des konkreten Mithelfens ist das Gebet.

Ich bin der Meinung, dass der Heilige Geist nicht glücklich über die momentane Situation der Kirche bei uns ist, und dass Er Neues, auch neue Begeisterung und Freude für die Weitergabe des Evangeliums in unserer Kirche bewirken möchte. Dazu braucht Er Menschen, die für neue Schritte und eine vertiefte Hingabe an Ihn bereit sind. Er braucht Menschen, die sagen: Ja – es ist für mich eine Ehre, ein Geschenk, hier meinen Beitrag leisten zu dürfen, auch wenn es mich  etwas kostet. Die Gebetsinitiative will einerseits mithelfen, dass vor Ort Gläubige „Feuer“ für die Weitergabe des Glauben fangen und der Heilige Geist Ihnen Seine Wege dazu zeige, und anderseits, dass Menschen neu offen für das Evangelium werden.

Kirche heute: Wie sieht das Gebet konkret aus?

Pfr. Tanner: „Höchster, Allmächtiger, ewig liebender Gott und Vater. Wir beten Dich an, loben und preisen Dich. Wir danken Dir für Dein Wirken in … (Kirche, Pfarrgemeinde, Gruppe etc. erwähnen). Wir bitten Dich: Öffne unsere Herzen für die Anregungen des Heiligen Geistes. Erneuere in uns die Gnade unserer Berufung, das Evangelium weiterzugeben. Schenke uns Entschiedenheit, Freude, Mut und Ausdauer dazu. Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie im Anfang so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit, Amen. Halleluja!

Wenn man dieses Gebet wie üblich betet, braucht man weniger als eine Minute. Der Sinn ist jedoch, dieses Gebet betrachtend, engagiert und geführt vom Heiligen Geist zu beten. Deshalb habe ich auf einer CD Gebetsimpulse aufgesprochen, die helfen, dieses Gebet mit Kraft und Freude zu beten.

Kirche heute: Können Sie uns den einen oder anderen Impuls mitteilen?

Pfr. Tanner: Höchster, Allmächtiger, ewig liebender Gott und Vater. – Wort für Wort versuche ich zu verinnerlichen. Ich schaue auf zu Gott, der alles in Seiner Hand hat, auf Den es allein ankommt und der mich und uns alle seit Ewigkeit liebt. Diese Liebe will ich bewusst annehmen und verkosten.

Als himmlischer Vater schaut Er mich an und ich Ihn. Ich bin Sein Kind, ja Sein Sohn, dem Er vertraut. Er zählt auf mich. Er überfordert mich nie. Dann spüre ich oft, wie der Wunsch in mir aufsteigt: Diesen Vater will ich nicht enttäuschen. Ich will Ihm Freude machen! Das sage ich Ihm dann auch.

Wir beten Dich an, loben und preisen Dich. Ich kann dies mit eigenen Worten tun und auch ein Lob- und Anbetungslied singen.

Immer wieder bewegt mich: Wir bitten Dich: Öffne unsere Herzen für die Anregungen des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist will uns oft ganz sanft eine Anregung geben, immer wieder, doch unsere Herzen – und mein Herz – können durch vieles verschlossen sein. Darum die Bitte, ja der Ruf: Öffne Du mein Herz, öffne Du das Herz von…!

Da erinnere ich mich an die Gottesmutter Maria, die immer ganz offen war für die Impulse des Heiligen Geistes: „… Vom Heiligen Geist geführt, eilte Maria, die Deinen Sohn im Schoß trug, zu ihrer Verwandten Elisabeth. Hilf auch uns, den Eingebungen deines Geistes zu folgen…“ (aus dem Tagesgebet der Kirche beim Fest Maria Heimsuchung). Da bete ich jeweils ein Ave Maria oder ein Gesätz des Rosenkranzes und bitte Maria, mitzuhelfen, damit ich und wir alle ganz neu offen werden für die Anregungen des Heiligen Geistes.

Wenn ich so Wort für Wort des Gebetes auf meine Situation und die Pfarrgemeinde (Gruppe) beziehe, dann wird dieses Gebet jedes Mal zu einer neuen Erfahrung.

Kirche heute: Sie wünschen, dass die Entscheidung zum regelmäßigen Gebet für die Evangelisation in eine Liste eingetragen wird. Warum?

Pfr. Tanner: Ich trage mich selbst auch nicht gern in eine Liste ein. Was mich dennoch dazu veranlasst hat, ist folgendes:

1. Die Ehre des Heiligen Geistes: Dass Menschen zusätzlich zu all ihren Aufgaben und Verpflichtungen 30 Minuten pro Woche beten, kann nur der Heilige Geist bewirken. Wenn sich immer mehr Menschen eintragen, freut dies den Heiligen Geist, weil so Sein Wirken offenbar wird.

2. Gegenseitige Stärkung: Es stärkt alle Mitbetenden, wenn wir sehen, dass eine wachsende Gemeinschaft das Anliegen der Neuevangelisierung mitträgt. Das motiviert, neue Schritte zu wagen.

3. Regelmäßige Erneuerung der Entscheidung: Wenn eine Entscheidung immer wieder neu getroffen werden muss, schützt dies vor einer Verflachung. So werden alle, die sich eingetragen haben, jeweils ca. einen Monat vor Pfingsten ein Mail mit Informationen, neuen Impulsen und der Einladung, das Gebetsengagement zu erneuern, erhalten. 

Kirche heute:  Warum jeweils bis Pfingsten? Hat dies einen besonderen Grund?

Pfr. Tanner: Einerseits ist das geschichtlich so gewachsen, weil die Bibelgruppen jeweils am Pfingstmontag zusammenkommen, um für eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes zu beten. 

Dann hat es noch einen tieferen Grund: Pfingsten ist das Hochfest des Heiligen Geistes. Es wäre schön, wenn an Pfingsten bei uns nicht der Urlaub im Zentrum stehen würde, sondern die Ehre des Heiligen Geistes und das Gebet um eine neue Ausgießung Seiner Liebe.

So lade ich alle, die sich diesem Gebetsengagement anschließen, ein, nach Möglichkeit an Pfingsten zusammenzukommen, um für eine neue Herabkunft des Heiligen Geistes zu beten. Mit dem erwähnten Mail mit der Einladung zur Erneuerung des Gebetsengagements werde ich allen auch Impulse zur Gestaltung der Pfingstnovene zukommen lassen. Dabei werden sie auch darüber informiert, wo im deutschen Sprachraum solche Gottesdienste (Gebetstreffen) stattfinden, damit sich diejenigen Gläubigen, die sich für die Neuevangelisierung engagieren, regional vernetzen und einander stärken können.

Kirche heute: Wie kann man sich dieser Gebetsinitiative anschließen?

Pfr. Tanner: Im Internet auf meiner Webseite befinden sind alle notwendigen Informationen, auch die Zahl derjenigen, die bereits dieses Engagement eingegangen sind.]4] Dort kann man sich auch ein- oder austragen. Dort können Sie auch die genannte  CD mit den Gebetsimpulsen, das Gebet auf einem Kärtchen und weitere Informationen bestellen, die sie gratis erhalten.

Kirche heute: Wie hat sich die Gebetsinitiative bisher entwickelt?

Pfr. Tanner: Ganz klein hat sie an Pfingsten 2013 angefangen. Seitdem wächst sie beständig. Bis jetzt wissen auch erst wenige davon. Es liegt in Gottes Hand, was Er dadurch bewirken will. Ich will einfach den mir anvertrauten Beitrag zur Neuevangelisierung leisten.

Ich bin gewiss: Wenn jetzt viele Menschen anfangen, sei es nach dem Impuls, wie er mir gegeben wurde, oder nach anderen Gebetsinitiativen, für eine neue Evangelisierung zu beten, dann wird Gott eingreifen und handeln. Ich vertraue, dass wir 2020 etwas davon auch in der Kirche im deutschen Sprachraum spüren werden.

Kirche heute: Wie sieht Neuevangelisierung in Ihren Gemeinden aus?

Pfr. Tanner: Auch wenn ich nur zu 30% in der Pfarrgemeinde tätig bin, so bieten wir doch jährlich einen Glaubenskurs für Suchende oder zur Vertiefung an: 2012 war es „Neu anfangen – Impulse für ein befreites Christsein“, 2013 im „Jahr des Glaubens“ waren „die sieben Sakramente“ das Thema, 2014 dann: „Credo – den Glauben kennen und bekennen“. Mir ist wichtig, dass, vom Gebet unterstützt, der Same der Botschaft Jesu immer wieder neu ausgesät wird. 

Kirche heute: Wir danken Ihnen von ganzem Herzen für das erfrischende Gespräch und wünschen Ihnen für die Zukunft Gottes Segen.

 

Evangelisationsgebet

Höchster, Allmächtiger,
ewig liebender Gott und Vater.
Wir beten Dich an, loben und preisen Dich.
Wir danken Dir für Dein Wirken in … (Kirche, Pfarrgemeinde, Gruppe erwähnen).
Wir bitten Dich: Öffne unsere Herzen für die Anregungen des Heiligen Geistes.
Erneuere in uns die Gnade unserer Berufung, das Evangelium weiterzugeben.
Schenke uns Entschiedenheit, Freude,
Mut und Ausdauer dazu.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn
und dem Heiligen Geist,
wie im Anfang so auch jetzt
und alle Zeit und in Ewigkeit, Amen.
Halleluja!


[1] Die Bibelgruppen Immanuel sind 1987 nach dem ersten Glaubenskurs von Pfarrer Leo Tanner entstanden. Vgl. auf www.immanuel-online.ch
[2] Dieser Glaubenskurs besteht aus neun Treffen, die in der Regel wöchentlich stattfinden. Höhepunkt sind die beiden Gebetsfeiern: Versöhnung und Tauf- und Firmerneuerung. Zur persönlichen Vertiefung erhalten alle ein Teilnehmerheft. Mehr zum Kurs vgl. auf www.weg-verlag.ch
[3] Predigt, Zeugnisse und Gebet um den Heiligen Geist vgl. www.leotanner.ch/Vorträge/Videos zu einzelnen Themen.
[4] www.leotanner.ch/Evangelisationsgebet

Der Fall König Lothars II. unter Papst Nikolaus I.

Ringen um das Ideal der Ehe

Mit Papst Franziskus verbinden viele Menschen die Hoffnung, dass die katholische Kirche wiederverheirateten Geschiedenen den Empfang der Sakramente ermöglichen könnte. In dieser Erwartungshaltung unternahm das Seelsorgeamt des Erzbistums Freiburg mit einer pastoralen „Handreichung“ einen Vorstoß, dem der Präfekt der Glaubenskongregation eine klare Absage erteilte. In einer ausführlichen Stellungnahme erinnerte Erzbischof Gerhard Ludwig Müller an den Kampf um das Ideal der christlichen Ehe, der die ganze Kirchengeschichte durchziehe. Allein die Cathedra Petri, also das päpstliche Lehramt, habe den verschiedenen „Liberalisierungstendenzen“ standgehalten. Pfarrer Erich Maria Fink beschreibt das Beispiel des fränkischen Königs Lothars II. im neunten Jahrhundert, welches das Ringen um die Unauflöslichkeit der Ehe bis hinauf in die höchsten Ebenen der kirchlichen Hierarchie deutlich werden lässt.

Von Erich Maria Fink

Das Seelsorgeamt der Erzdiözese Freiburg hat im September 2013 eine 13seitige „Handreichung“ zur „Begleitung von Menschen in Trennung, Scheidung und nach ziviler Wiederverheiratung“ herausgegeben. Darin heißt es: „Die Treue und Barmherzigkeit Gottes gilt auch für diejenigen, deren Lebensentwurf gescheitert ist. Darauf wies Papst Franziskus in seinem Interview auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Brasilien hin, wenn er auf die Frage nach dem Zugang wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten antwortete: ‚Ich glaube, dass das die Zeit der Barmherzigkeit ist! […] Die Kirche ist Mutter: Sie muss herausgehen und die Verletzten mit Barmherzigkeit heilen.“ Daraus wird die Möglichkeit abgeleitet, dass „in der Folge einer verantwortlich getroffenen Gewissensentscheidung“ im Einzelfall auch wiederverheiratete Geschiedene die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie empfangen können, „insofern die erforderliche konkrete Glaubensdisposition vorhanden“ sei. Pfarrer und Gemeinde hätten „diese vor Gott, im Glauben an IHN und im gemeinsamen Gespräch entwickelte geistliche Überzeugung“ zu „respektieren“. Abgerundet wird die Handreichung durch ein genau beschriebenes „gemeinsames Gebet“ mit der „Segnung eines Zeichens“, einer Feier für Paare, die nach einer zivilrechtlichen Scheidung ohne kirchliche Annullierung der ersten Ehe standesamtlich geheiratet haben.

Die Handreichung ist zurückzunehmen

Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, wandte sich in einem persönlichen Schreiben an Erzbischof Robert Zollitsch, den derzeitigen Apostolischen Administrator von Freiburg, und stellte fest: „Eine aufmerksame Lektüre des Entwurfs zeigt, dass dieser zwar richtige und wichtige pastorale Hinweise enthält, aber in der Terminologie unklar ist und in zwei Punkten nicht mit der kirchlichen Lehre übereinstimmt.“ Zum einen ist für Müller der Sakramentenempfang unter den genannten Bedingungen ausgeschlossen. Seine Erklärung steht unter der Überschrift: „Wiederverheiratete Geschiedene stehen selbst ihrer Zulassung zur Eucharistie im Weg“. Zum anderen hält er die vorgeschlagene Segensfeier für unzulässig. Beide Punkte begründete Müller sowohl theologisch als auch pastoral. Und so gab er seinem Mitbruder die Anweisung: „Aufgrund der genannten Divergenzen ist der Entwurf der Handreichung zurückzunehmen und zu überarbeiten, damit nicht pastorale Wege offiziell gutgeheißen werden, die der kirchlichen Lehre entgegenstehen.“

Zugleich kündigte Erzbischof Müller in seinem Brief an: „Nach Rücksprache mit dem Heiligen Vater wird nun im L’Osservatore Romano vom 23. Oktober 2013 ein Artikel von mir erscheinen, der die verbindliche Lehre der Kirche in dieser Frage zusammenfasst.“ Der Artikel ist nicht nur eine eindeutige Klarstellung, sondern bemüht sich auch, das Ringen um das Ideal der Ehe sowie den daraus resultierenden kirchlichen Standpunkt verständlich zu machen. Letztlich gehe es um den „Gehorsam gegenüber dem Wort Jesu“, um „die Lehre von der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe“. Müller unterstreicht dies mit einem kurzen Rückblick in die Geschichte: „Die katholische Kirche hat die absolute Unauflöslichkeit der Ehe selbst um den Preis großer Opfer und Leiden verteidigt.“ Als Beispiel nennt er die Auseinandersetzung mit dem englischen König Heinrich VIII., die sogar zum Schisma geführt habe. Auch die ostkirchliche Praxis, welche eine Zweit- und Drittehe mit Bußcharakter vorsehe, habe sich erst nach dem Bruch zwischen Ost- und Westkirche, also nach der Trennung der orthodoxen Kirche vom Petrusnachfolger, herausgebildet. Doch, so Müller, „mit dem Willen Gottes, wie er in den Worten Jesu über die Unauflöslichkeit der Ehe eindeutig zum Ausdruck kommt, ist diese Praxis nicht zu vereinbaren.“ Und so stelle sie auch „ein nicht zu unterschätzendes ökumenisches Problem dar“. Auch im Westen habe es immer wieder „Liberalisierungstendenzen“ gegeben, doch die Cathedra Petri habe standgehalten.

Reaktionen aus Deutschland

Über den Paukenschlag aus Rom war man in Deutschland nicht wenig überrascht. Nach anfänglichem Zögern nahm Erzbischof Zollitsch schließlich bei der Herbstvollversammlung des Diözesanrats des Erzbistums Freiburg am 15./16. November öffentlich dazu Stellung. In Sachen Handreichung gebe es nichts zurückzunehmen, so erklärte er selbstbewusst. Denn es gehe in keiner Weise darum, „die Unauflöslichkeit der Ehe zu relativieren oder infrage zu stellen“. Vielmehr verstehe sich das Papier als Diskussionsbeitrag, als konstruktiven Impuls im Blick auf die zu diesem Thema eingerichtete Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und die für den Herbst 2014 geplante Bischofssynode in Rom. Ziel sei es, zum Wohl der betroffenen Menschen „theologisch und pastoral verantwortbare Wege zu entwickeln“. Mit seiner Haltung konnte er sich ausdrücklich auf den Münchner Kardinal Reinhard Marx berufen, der am 7. November zum Abschluss der Freisinger Bischofskonferenz geäußert hatte, die Debatte über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen sei noch völlig offen und der Präfekt der Glaubenskongregation könne die Diskussion nicht beenden. In dasselbe Horn blies auch der Trierer Bischof Stefan Ackermann eine Woche nach Zollitsch. Dabei erkannte er den autoritativen Charakter des Schreibens aus Rom durchaus an, wenn er meinte: „Der Präfekt der Glaubenskongregation kann die Diskussion nicht einfach mit einer autoritativen Stellungnahme beenden.“

Ich frage mich, ob wir uns im Augenblick einen derartigen Dammbruch leisten können. Sind sich unsere Oberhirten so sicher, dass sich Papst Franziskus über die bisherige Lehre der Kirche hinwegsetzen kann? Oder glauben sie, er wird die Beantwortung einer solchen Frage im Sinn einer gesunden Dezentralisierung zukünftig den Bischofskonferenzen überlassen? Hat sich Papst Johannes Paul II. geirrt, wenn er absolut davon überzeugt war, dass die Frage des Sakramentenempfangs eben unmittelbar mit der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe zusammenhängt? Aber wenn sich Bischöfe und Kardinäle der römischen Glaubenskongregation derart ungeniert verweigern, welchen Gehorsam können sie in Zukunft von ihren Gläubigen und Priestern erwarten?

Ein Blick in die Geschichte

Mich erinnert die Situation an das neunte Jahrhundert. Auf Papst Nikolaus I. (858-867) bin ich in diesen Tagen erneut aufmerksam geworden, weil er im Direktorium für Russland am 13. November als Heiliger aufgeführt ist. Dies hängt wohl damit zusammen, dass unter seinem Pontifikat die Evangelisierung der slawischen Völker durch die heiligen Brüder Kyrill und Method ihren Anfang genommen hat und Kontakte zum eben getauften Bulgaren-Fürsten Boris I. geknüpft worden sind. Papst Nikolaus hatte an vielen Fronten zu kämpfen. Unter anderem war es die politische Abhängigkeit von den fränkischen Kaisern und Königen, die faktisch seine Schutzmacht darstellten. Doch als sich die Ehe-Angelegenheit des fränkischen Königs Lothars II. (855-869) zuspitzte, entwickelte er einen Starkmut, der keine Rücksichten auf politische Konstellationen nahm. Selbst als die Karolinger Rom belagern ließen, beugte er sich nicht ihrem Druck, sondern hielt seine Entscheidung aufrecht. Was war geschehen? Nach dem Tod Lothars I. wurde das Frankenreich auf seine drei Söhne aufgeteilt. Lothar II. erhielt das Mittelreich, das spätere Lothringen, mit der Residenz in Aachen. Doch seine Ehe mit Theutberga blieb kinderlos, was zum Streit und 860 schließlich zur Trennung führte. Um seine Dynastie zu erhalten, heiratete er 862 seine Mätresse Waldrada, mit der er bereits einen Sohn hatte. Zwei Aachener Synoden in den Jahren 860 und 862 segneten das Vorgehen des Königs ab. Nachdem sich Erzbischof Hinkmar von Reims in einer Denkschrift dagegen ausgesprochen hatte, schaltete sich Papst Nikolaus I. ein. In Anwesenheit eines päpstlichen Legaten wurde die Angelegenheit im März 863 auf einer Synode in Metz behandelt. Wieder zeigten sich insbesondere die Erzbischöfe Gunthar von Köln und Theutgaut von Trier dem Anliegen des Königs willfährig. Erzbischof Ado von Vienne legte beim Papst Beschwerde ein, der die Akten der Metzer Synode anforderte. Als sich die beiden Erzbischöfe in Rom beim Papst für die Synode einsetzen wollten, erklärte dieser die Beschlüsse für ungültig. Außerdem wurden die beiden auf einer Lateransynode am 30. Oktober 863 abgesetzt und exkommuniziert. Mit der Furchtlosigkeit eines alttestamentlichen Propheten habe Nikolaus I. die Unauflöslichkeit der Ehe als zentrales Prinzip des kirchlichen Ehegesetzes verteidigt (vgl. Franzen/Bäumer). Sein Nachfolger, Papst Hadrian II., hob den Bann gegen Theutgaut und Gunthar auf, setzte sie aber nicht mehr in kirchliche Ämter ein. König Lothar hatte mit Waldrada, von der er sich zunächst zurückzuziehen versuchte, drei Kinder. Auch er wurde kurz vor seinem Tod von der Exkommunikation befreit, nachdem er in Rom dem Papst versichert hatte, auf ehelichen Kontakt (unerlaubten Umgang) zu verzichten.

Ich hoffe, dass die Kirche das Ringen um das Ideal der christlichen Ehe in unseren Tagen ohne solche Brüche übersteht. Hans Küng nannte in einem Beitrag der „Passauer Neuen Presse“ Anfang Dezember 2013 Erzbischof Müller einen „klerikalen Hardliner“, der mit oben genanntem Artikel seine „erzkonservative Haltung“ manifestiert habe. „Der Papst möchte vorangehen – der ‚Glaubenspräfekt‘ bremst“, so meinte Küng. Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner entspricht mit seiner Stellungnahme hinsichtlich der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion wohl eher der Realität: „Ich halte das für ein Wunschdenken. Ich denke, das ist Lehre der Kirche. Daran wird der Papst nichts ändern können. Das ist meine Überzeugung.“

Kongress über die Barmherzigkeit-Gottes-Frömmigkeit in Paderborn

Offenbarungen der hl. Sr. Faustina sind Teil der Heilsgeschichte

Ende November 2013 fand in der Busdorfkirche, die im 11. Jahrhundert nach dem Vorbild der Grabeskirche von Jerusalem für ein Kollegiatsstift entstanden ist und sich heute im östlichen Bereich der Paderborner Altstadt befindet, ein Kongress über die Botschaft der Göttlichen Barmherzigkeit nach der hl. Schwester Faustina Kowalska statt. Dabei trug Professor Jan Machniak (geb. 1957) ein Grundsatzreferat über die theologische Einordnung ihrer Offenbarungen vor (Bild links). Machniak ist ein enger Mitarbeiter von Stanisław Kardinal Dziwisz und am Lehrstuhl für Spiritualität an der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau tätig. Auch hat er am Seligsprechungsprozess für Johannes Paul II. mitgewirkt. Wir veröffentlichen Auszüge aus dem wertvollen Vortrag in mehreren Folgen. Die Übersetzung stammt von Dr. Manfred Deselaers.

Von Jan Machniak

Im entlegensten Winkel der Erde bekannt

Seit über 70 Jahren entwickelt sich in der Kirche die Barmherzigkeit-Gottes-Frömmigkeit in der Weise, wie sie die hl. Faustina Kowalska (1905-1938) in ihrem „Tagebuch“ überliefert hat. Diese polnische Ordensfrau hatte in privaten Offenbarungen von ihrem Herrn Jesus die Anweisung erhalten, der ganzen Welt zu sagen, dass Gott Barmherzigkeit ist. Ihre Frömmigkeit ist heute in den entlegensten Winkeln der Erde bekannt: von Europa über Amerika, Asien bis nach Australien und Neuseeland. Zur Krakauer Basilika der Barmherzigkeit Gottes kommen Pilger aus der ganzen Welt. Die sie verbindenden Zeichen sind das Bild des Barmherzigen Jesus, das Barmherzigkeits-Gottes-Gebet und das Fest der Barmherzigkeit Gottes.

Antwort auf das Scheitern des Menschlichen

Die Wahrheit von der Barmherzigkeit Gottes steht zwar im Zentrum der göttlichen Offenbarung des Alten und des Neuen Testamentes, wurde aber der Welt in einem besonderen geschichtlichen Moment in Erinnerung gerufen: zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, der die schreckliche Not des Menschen entblößte. Symbol für das Scheitern des Menschlichen wurden die nazistischen Konzentrationslager und die sowjetischen Lager. Die totalitären Systeme, die die politische Szene zu Beginn des 20. Jahrhunderts dominierten, hatten den großen Zusammenbruch des Menschen zur Folge, der seine Zukunft ohne Gott bauen wollte. In einer Situation der philosophischen und theologischen Krise, in der man nach Auschwitz vom Tod Gottes zu reden begann, griff Papst Johannes Paul II. mit großem Mut das Thema der Barmherzigkeit Gottes in der Enzyklika „Dives in misericordia“ (1980) auf, führte das Fest von der Barmherzigkeit Gottes am zweiten Ostersonntag ein (2000) und weihte die Welt der Göttlichen Barmherzigkeit (2002). Sein Nachfolger auf dem Apostolischen Stuhl Papst Benedikt XVI. nahm diese Herausforderung im Jahr 2007 an und sagte am zweiten Ostersonntag, dem Barmherzigkeitssonntag, dass das Geheimnis von der Göttlichen Barmherzigkeit ein Zeichen der Hoffnung für die Kirche und für die Welt ist.

Theologische Bedeutung von Privatoffenbarungen

Die Visionen des Barmherzigen Jesus, die die hl. Faustina Kowalska, eine Schwester der Gemeinschaft der Mutter der Göttlichen Barmherzigkeit, hatte, reihen sich ein in die Heilsgeschichte, in der sich Gott dem Menschen offenbart. Die Fülle der Offenbarung ist Jesus Christus, der Sohn Gottes. Öffentliche Offenbarungen endeten mit dem Tod des letzten Apostels. Private Visionen und Offenbarungen sind, so schreibt Karl Rahner in seinem Buch „Visionen und Prophezeiungen“, Teil der persönlichen Gotteserfahrung und sind als Erlebnisse zu verstehen, in denen die übernatürliche Wirklichkeit gegenwärtig wird in natürlicher Weise durch Sinneskräfte (Gehör und Sicht) oder psychische Kräfte (Vorstellungskraft). Sie haben den Charakter übernatürlicher Ereignisse, in denen Gott – die Naturgesetze übersteigend – gegenwärtig wird und vor dem Menschen seine Geheimnisse enthüllt. Private Offenbarungen wiederholen Wahrheiten, die in der öffentlichen Offenbarung enthalten sind und immer mit ihr übereinstimmen müssen. Christen sind nicht verpflichtet, ihre theologische Wahrheit anzunehmen. Wenn sie durch die Kirche bestätigt werden, können sie eine Hilfe sein, um die göttlichen Geheimnisse tiefer zu verstehen. Private Offenbarungen beziehen sich nicht nur auf konkrete Personen, sondern auf die ganze Kirche oder sogar auf die ganze Menschheit. Sie rufen zu Buße und Umkehr auf und empfehlen konkrete Frömmigkeitsformen. Privatoffenbarungen, die durch die Kirche bestätigt worden sind, sollten im Geist des Glaubens an Gott (fides divina) angenommen werden, weil wir glauben, dass in ihnen Gott sich ausspricht. Nach Karl Rahner erfüllen Privatoffenbarungen eine Hilfsfunktion zum Erkennen des in der Welt gegenwärtigen Geheimnisses Gottes. Sie bringen keine neue Wahrheit, aber helfen, das Leben und die Aufgaben des Christen neu zu umschreiben.

Leuchtende Beispiele in der Kirchengeschichte

In der Kirchengeschichte können wir auf viele Beispiele privater Offenbarungen und Visionen hinweisen, die in ihrer jeweiligen Zeit eine große Hilfe für die Christen waren, den göttlichen Heilsplan zu verstehen. Es lohnt sich hier hinzuweisen auf die großen Mystikerinnen und Seherinnen des Christentums Hildegard v. Bingen (1098-1179), Elisabeth v. Schönau (1129-1164), Gertrud v. Helfta (1256-1302), Mechtild v. Hackeborn (1241-1299), Mechthild v. Magdeburg (1207-1282), hl. Katharina v. Siena (1347-1380) und ihre Vision in dem Buch „Dialog von der göttlichen Vorsehung“, überarbeitet vom sel. Raimund von Capua, hl. Margarete Maria Alacoque (1647-1690) und ihre Vision des Herzens Jesu, die Bezugspunkt für die Herz-Jesu-Frömmigkeit wurden, Katharina Emmerich (1774-1824), Therese Neumann (1898-1962) oder die Marienoffenbarungen in Lourdes und Fatima. Die Visionen vom Barmherzigen Jesus reihen sich ein in eine lange Tradition von Privatoffenbarungen, durch die sich Gott dem Menschen zu erkennen gibt und an Glaubenswahrheiten erinnert. Alle Visionen ergeben die Botschaft von der Barmherzigkeit, die sehr einfach ist, weil sie eine Wahrheit umfasst, die im Alten Testament offenbart wurde in der Epiphanie auf dem Sinai (Ex 34,16) und sich in ihrer Fülle in der Verkündigung und im Heilshandeln Christi zeigte.

Zentrale Botschaft der hl. Schwester Faustina

Der zentrale Punkt der Botschaft des Barmherzigen Jesus, die Schwester Faustina übermittelt worden war, ist das Geheimnis der Göttlichen Barmherzigkeit, offenbart in der Person und in den Taten Christi, auf die man mit völligen Gottvertrauen antworten soll. Die Wahrheit über „die größte Eigenschaft Gottes“ wird den Menschen zugänglich vor allem in den Sakramenten der Buße und der Eucharistie, die jedem die Quelle der Barmherzigkeit öffnen. Die Botschaft von der Göttlichen Barmherzigkeit enthält also an erster Stelle einen Aufruf, sich den Sakramenten der Buße und der Heiligen Kommunion zu öffnen, die Bedingung sind, besondere Gnaden zu erhalten, verbunden mit der Verehrung des Bildes vom Barmherzigen Jesus, dem Begehen des Festes der Barmherzigkeit und Gebeten zur Göttlichen Barmherzigkeit, besonders der Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes, die der Herr Jesus der Schwester Faustina diktierte. Die Visionen des Barmherzigen Jesus haben ihren deutlichen Platz in der Heilsgeschichte: in der Offenbarung der Göttlichen Barmherzigkeit auf dem Berge Sinai sowie im Geheimnis der Barmherzigkeit, wie es in Lehre und Leben Christi offenbart wurde.

Pater Werenfried van Straaten und die Kirche hinter dem Eisernen Vorhang

Auf den „Tag X“ hinarbeiten

Antonia Willemsen ist eine Verwandte des berühmten „Speckpaters“ Werenfried van Straaten und war mehr als 30 Jahre Generalsekretärin seines Hilfswerks „Kirche in Not“. Seit 2006 ist sie Vorstandsvorsitzende von „Kirche in Not“ Deutschland. Im Interview mit Volker Niggewöhner spricht sie über die Gründungsjahre des Hilfswerks und über die ersten Hilfsaktionen für die verfolgte Kirche hinter dem Eisernen Vorhang.

Interview mit Antonia Willemsen

Kirche in Not: Frau Willemsen, „Kirche in Not“ war ursprünglich gar nicht als Hilfswerk geplant, sondern als Hilfsaktion für die vertriebenen Deutschen. Wie kam es dazu, dass die Hilfe hinter den Eisernen Vorhang ausgedehnt wurde?

Willemsen: Pater Werenfried hat immer gesagt, das Werk ist ihm 1947 einfach „passiert“. Im Gespräch mit Heimatvertriebenen hat Pater Werenfried viel über die Länder erfahren, aus denen sie kamen. Darum entschied er zusammen mit Prälat Kindermann, einen Kongress „Kirche in Not“ zu organisieren. Der erste dieser Kongresse hat 1951 in Hilversum in Holland stattgefunden. Er gab sozusagen die „Initialzündung“ für die Gründung unseres Werkes.

Kirche in Not: War das Thema „Christenverfolgung“ damals in Deutschland noch unbekannt?

Willemsen: Es war zumindest noch nicht allzu sehr im Gespräch, aber Pater Werenfried hatte die besten Voraussetzungen, das zu ändern. Denn er kannte natürlich die Priester, die sich um die Heimatvertriebenen kümmerten und jene, die selbst geflohen waren. Dadurch erfuhr er von allen Vorkommnissen in den Ländern unter dem Kommunismus und war sich bewusst, dass er diese Zustände bekannt machen musste. Dazu hat er diese Kongresse benutzt: um der westlichen Welt klarzumachen, was im Osten passiert, was unter dem Kommunismus stattfindet.

Kirche in Not: Die Situation der Länder hinter dem Eisernen Vorhang war unterschiedlich. Da gab es Polen, wo das Christentum gleichzusetzen war mit der Nation, und es gab Länder wie die Sowjetunion, die schon seit 1917 von den Kommunisten regiert wurde. Was wussten Sie damals von den Zuständen in der UdSSR?

Willemsen: Das meiste darüber haben wir erst nach der Wende erfahren, denn die Sowjetunion war ein geschlossenes Gebiet. Es war recht unbekannt, was dort wirklich geschehen ist. Mit den anderen Ländern des Ostblocks war es leichter, in Verbindung zu bleiben.

Kirche in Not: Man hat in den Nachkriegsjahren vielfach nicht mehr damit gerechnet, dass der Kommunismus untergehen könnte. Darum gab es viele, die sich mit der Situation arrangieren wollten. Das traf aber nicht auf Pater Werenfried zu. Hat er eigentlich immer daran geglaubt, dass der Kommunismus überwunden werden kann?

Willemsen: Ja, weil er den Kommunismus als „das Böse“ gesehen hat und das Böse konnte nicht auf ewig Bestand haben. Gerade in Intellektuellen-Kreisen hat man aber in den 1950er-Jahren eher von einer „friedlichen Koexistenz“ mit den kommunistischen Systemen gesprochen. Mit diesem Begriff konnte Pater Werenfried überhaupt nichts anfangen.

Kirche in Not: Einen Impuls, der ihn in dieser Haltung bestärkte, bekam Werenfried von Papst Pius XII. Was hat ihm der Hl. Vater gesagt?

Willemsen: Der Papst sagte: „Alle reden jetzt über den Krieg. Aber wir müssen uns auf den Frieden vorbereiten.“ Das hat Pater Werenfried aufgegriffen und immer auf diesen „Tag X“, wie er es nannte, also auf den Fall des Kommunismus, hingearbeitet. Das tat er, indem er an der Westseite des „Eisernen Vorhangs“ so genannte „Festungen für Gott“ errichten ließ. Das waren Klöster, Gebetsbollwerke, die den Kommunismus schwächen, aber auch die Seelsorge in Deutschland unterstützen sollten.

Kirche in Not: Das geschah in Deutschland, aber bereits 1952 wurde auch hinter dem Eisernen Vorhang geholfen. Was konnte man in dieser frühen Phase für die dort lebenden Christen tun?

Willemsen: Für die Sowjetunion gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder über das Radio oder über Schmuggelwege. Für die anderen Länder war es unterschiedlich: In Polen und Jugoslawien konnte man mehr tun als in der Tschechoslowakei oder Rumänien. Da mussten wir uns schon einiges einfallen lassen, um mit den Bischöfen und Priestern – soweit es sie gab – Verbindung aufzunehmen und herauszufinden, wie man helfen konnte.

Kirche in Not: Sie erwähnten den Schmuggel – was wurde denn geschmuggelt?

Willemsen: Alles Mögliche, vor allem Bücher natürlich. Der Schmuggel lief über Seeleute in Antwerpen oder über die Botschaften. Eine besondere Geschichte möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Wir hatten eine Anfrage aus Prag, ob wir nicht einen Fotokopierer über die Grenze in die Tschechoslowakei bringen könnten. So etwas war natürlich absolut verboten, denn dieses Gerät war vielfältig einsetzbar. Damals hatten wir viele Freiwillige aus ganz Europa, die sich freiwillig zum Schmuggeln gemeldet hatten. In diesem speziellen Fall war es eine Engländerin, die wir schickten. In dem kleinen Auto der Frau wurde hinten ein Fotokopierer versteckt, darüber waren Bibeln gestapelt und darüber lag eine Decke. Als sie schließlich an die Grenze kam, sah sie von weitem, dass jedes Auto streng kontrolliert wurde und dass jeder auch den Kofferraum öffnen musste. Sie bekam Angst und begann den Rosenkranz zu beten. Immer näher kam sie an den Zollbeamten heran und als sie an der Reihe war, fragte er: „Haben Sie etwas zu verzollen?“ Sie verneinte das. Daraufhin sagte der Zollbeamte: „Gut, dann werde ich jetzt Ihren Kofferraum öffnen.“ Er bückte sich und in diesem Moment platzte seine Hose. Daraufhin haben seine Kollegen angefangen zu lachen, er war furchtbar beschämt und lief mit der Hand über dem Riss davon, nicht ohne vorher unsere Mitarbeiterin durchzuwinken. Und so ist sie mit ihrem Fotokopierer in die Tschechoslowakei gekommen.

Kirche in Not: Da hat offensichtlich die Vorsehung eingegriffen. Hat „Kirche in Not“ eigentlich nur den Katholiken im Ostblock geholfen?

Willemsen: Nein, was Russland und die Sowjetunion betrifft, galt unsere Hilfe von Anfang an auch der orthodoxen Kirche. Natürlich ist die Mehrzahl der Gläubigen in Russland orthodox, die Katholiken sind eine Minderheit.

Kirche in Not: Heutzutage ist es ganz normal, dass sich „Kirche in Not“ vor Ort ein Bild von der Lage in den Projektländern macht. Das war zu Zeiten des Ostblocks natürlich noch nicht möglich. Eine Ausnahme gab es 1956, als Pater Werenfried eine wagemutige Reise mitten in den ungarischen Volksaufstand unternahm. Wie lief das ab?

Willemsen: Als der Aufstand ausbrach, war Pater Werenfried gerade in Belgien. Sie müssen sich vorstellen, dass die Ereignisse in Ungarn erst drei Tage später bei uns im Westen bekannt geworden waren – das können wir uns heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Sobald Werenfried also vom Volksaufstand erfahren hatte, ist er mit einigen Mitarbeitern vor die Botschaften Ungarns und der Sowjetunion in Brüssel gezogen und hat dort den Rosenkranz gebetet. Dann hat er sich auf den Weg nach Wien gemacht und ist anschließend von Wien mit dem Auto nach Budapest gefahren. Das ging ohne Probleme, denn in Ungarn herrschte der Volksaufstand und ein derartiges Chaos, dass nicht einmal mehr die Grenzkontrollen aufrechterhalten wurden – die Grenze war also offen! Werenfried konnte darum durchkommen und Kardinal Mindszenty besuchen.

Kirche in Not: Hat Werenfried dem Kardinal helfen können?

Willemsen: Ja, er hat versprochen, dass er möglichst viel für Ungarn tun würde. Es sind sofort Hilfsaktionen in die Wege geleitet worden, zum Beispiel Essenspakete für Familien oder Bücherhilfen. Dann hatten wir eine Apotheke in der Schweiz, von der aus wir sehr viele Medikamente nach Ungarn schicken konnten. Doch der größte Wunsch des Kardinals damals war, dass Pater Werenfried die Katholiken im Westen auf die Not ihrer Glaubensgenossen im Osten aufmerksam machen und zum Gebet anhalten sollte. Das hat Pater Werenfried ihm versprochen. Und wer ihn in dieser Zeit während seiner Predigtreisen in Deutschland gehört hat, weiß, dass er sein Versprechen gehalten hat.

Kirche in Not: In den 50er-Jahren gab es noch ein für die Ostpriesterhilfe wichtiges Treffen in Rom mit dem Primas von Polen, Kardinal Wyszyński. Worum ging es bei diesem Treffen?

Willemsen: Wyszyński hat unser Werk gekannt und wollte darum Pater Werenfried einmal persönlich kennenlernen. Zunächst hat der Kardinal ihm gedankt für die beiden polnischen Priesterseminare in Paris und Rom. Doch dann hat er gesagt: „Das reicht mir noch nicht – ich möchte auch in Polen eine eigene Ausbildung anbieten für die vielen Seminaristen, die wir haben könnten.“ Das hat Pater Werenfried zugesagt, und seitdem hat „Kirche in Not“ auch direkt und ständig Priesterseminaristen in Polen hinter dem Eisernen Vorhang unterstützt. Wir wussten schließlich, dass Polen das größte katholische Land in Zentraleuropa ist und dass diese Kirche gestärkt werden musste.

Das komplette Interview mit Antonia Willemsen unter dem Titel „Pater Werenfried van Straaten und die Kirche hinter dem Eisernen Vorhang“ können Sie sich unentgeltlich auf CD und DVD bestellen bei: Kirche in Not, Lorenzonistr. 62, 81545 München, Tel. 089-64248880, Fax: 089-642488850, E-Mail: kontakt@kirche-in-not.de

Adolph Kolping – 200. Geburtstag

Der große Sozialreformer

Das Jahr 2013 stand unter dem besonderen Zeichen des sel. Adolph Kolping. Vor kurzem wurde sein 200. Geburtstag gefeiert. Geboren am 8. Dezember 1813 erlebte er selbst als Handwerksgeselle die Not der arbeitenden Bevölkerung. Im Alter von 23 Jahren wagte er den ungewöhnlichen Schritt, als Spätberufener noch das Gymnasium zu besuchen und das Theologiestudium zu beginnen. Am 13. April 1845 wurde er in der Kölner Minoritenkirche zum Priester geweiht. Danach war er Kaplan in Elberfeld, wo er Johann Gregor Breuer kennenlernte. Durch ihn kam er mit der Idee der Gesellenvereine in Berührung, eine Begegnung, die ihn zum christlichen Sozialreformer des 19. Jahrhunderts werden ließ.

Von P. Notker Hiegl OSB

Adolf Kolping wurde am 8. Dezember 1813, am Fest der Unbefleckten Empfängnis, in Kerpen, einem kleinen Ort zwischen Köln und Aachen, geboren. Also ein Marienkind von Geburt an. In bescheidenen Verhältnissen wächst er auf. Sein Vater, ein Schäfer und Kleinbauer, lässt seinen Sohn das Schuhmacher-Handwerk erlernen. Mit 16 Jahren ist Adolph Kolping Schustergeselle und geht auf die Walz, nochmals fast acht Jahre lang. In Herders Neuem Volkslexikon ist zu seinem Namen kurz und bündig zu lesen: 1813-1865 (also nur 52 Jahre alt geworden). 1849 Domvikar zu Köln (36-jährig); organisierte einen katholischen Gesellenverein, warb für religiöse Erneuerung. Er gründete die Kolping-Familie als Sammelbewegung für die sich vermehrenden Gesellenvereine mit der deutschen Zentrale in Köln. – So im Lexikon.

Der scheinbare Sieg seines Gegenspielers Karl Marx

Nicht persönlich, aber in der Sache hatte Adolph Kolping einen Gegenspieler, dessen „Sieg“ unsägliches Unheil über Deutschland, über Europa, über die ganze Welt brachte, nämlich den „kommunistischen“ Urvater und Revolutionär Karl Marx. Erst im Jahr 1989 begann sein Stern mit dem Untergang des sowjetischen Großreiches, mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der Wiedervereinigung Deutschlands zu sinken. Immer noch ist China von der Lehre des Kölner Chefredakteurs Karl Marx geprägt, immer noch gibt es Nord-Korea und Kuba mit einer marxistischen Staatsideologie, immer noch gibt es marxistisch-leninistische Parteien, welche die Weltdiktatur des Proletariats hoch leben lassen – bis hin zu den „Linken“ in Deutschland. Aber es ist eher das Nachzucken eines bereits besiegten Drachens. Marx und Kolping wirkten mit ihren Bewegungen in derselben Epoche in Köln. Doch beide hatten ein völlig unterschiedliches Menschenbild. Daher auch die Kontroverse. Marx, der deutsche Sozialökonom und Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, wurde 1818, fünf Jahre nach Kolping, in Trier als Sohn eines jüdischen Notars geboren. Sechsjährig trat er mit der elterlichen Familie zum Protestantismus über. Er studierte Rechtswissenschaft und Philosophie, wurde 1842 Redakteur der liberalen „Rheinischen Zeitung“, emigrierte nach Paris, siedelte von dort nach Brüssel über, arbeitete seitdem mit Friedrich Engels zusammen und verfasste mit diesem 1848, erst 30jährig, das „Kommunistische Manifest“. Zur gleichen Zeit führte Kolping auf christlich-sozialer Basis überall seine Gesellenvereine ein. Als Koping 1849 Domvikar in Köln wurde, arbeitete Marx in London an seinem Hauptwerk „Das Kapital“. Darin begründete er ausgehend von Feuerbach und Hegel den historischen Materialismus mit der Hochpreisung einer künftigen Ideal-Gesellschaft, der Aber- und Abermillionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Christlich-Soziale Lehre und Marxistisch-Sozialistische Lehre – ein Kampf seit jenen Tagen. Wahrscheinlich sind sich Kolping und Marx nie begegnet. Nur einmal erwähnte Kolping später indirekt diesen „Arbeiterführer“, der im Londoner Exil das „den Verführten abgelogene Geld verprasst und auf Teufelspläne sinnt“!

Das erfolgreiche Wirken als katholischer Sozialreformer

Marx und Kolping hatten die Situation des arbeitenden Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ähnlich analysiert. Doch die Folgerungen, die sie daraus zogen, waren entgegengesetzter Natur. Marx stellte die paradiesische Zukunft der Gesellschaft bewusst auf Kosten des Einzelmenschen in den Mittelpunkt. Kolping dagegen setzte beim Einzelmenschen an und sah die Lösung darin, dass sich der Einzelne an Jesus Christus orientiert und dadurch aus den Niederungen der damaligen Gesellschaft erhebt. Gleichzeitig forderte er eine soziale Formung der Gesellschaft nach christlichen Maßstäben. Angesichts der Orientierungslosigkeit und geistigen wie materiellen Not der arbeitenden Masse rief er: „Das Christentum muss aufs Neue die Welt erobern!“ Die Enzyklika „Rerum novarum“, die Papst Leo XIII. 1891 zur Arbeiterfrage und christlichen Sozialreform veröffentlichte, kam gut 40 Jahre zu spät. Die Arbeitermassen waren fast als Ganzes schon längst dem Sozialismus verfallen. „Quadragesimo anno“ von 1931 und „Mater et magistra“ von 1961 haben im Sinn Kolpings wieder viel Boden gut gemacht. Er selbst hatte um seine begrenzten Möglichkeiten gewusst, wollte die ihm zur Verfügung stehenden Charismen aber wenigstens als „Gesellenvater“ einbringen. So wurde er 1847 Präses der zahlreichen neu entstehenden Vereine und sah in ihnen ein geeignetes Mittel, um wenigstens die Not ihrer Mitglieder zu bewältigen. Er ließ sich als Vikar nach Köln versetzen, wo er am 6. Mai 1849 den Kölner Gesellenverein einführte und ihn 1850 zum überregionalen Verband erweiterte. In den Gesellenvereinen sollten junge Handwerker und Arbeiter eine Gemeinschaft erleben, die sie zum praktischen Christentum ermutigt. Sozialer Wandel durch Veränderung des Menschen auf Christus hin, das war Adolph Kolpings Devise.

Wenige bringen einen Stein ins Rollen

Aus einer kleinen Wurzel ist ein großer Baum geworden: Seine Gedanken zur Überwindung der Not der arbeitenden Massen trug Kolping bei der Gründung des Gesellenvereins in einer Schule bei Köln vor einer Zuhörerschaft von sieben Handwerksburschen vor. Welch kleines Samenkorn! „Die Gesellschaft ist so schlecht daran, weil es so wenig richtige Christen gibt“, so sagte er in seiner Gründungsansprache. Doch er unterstrich: „Wer Mut zeigt, macht Mut!“ Mit seinen diversen Zeitschriften wurde er zu einem der erfolgreichsten katholischen Publizisten und volksnahen Seelsorger des 19. Jahrhunderts. Seine Impulse kamen aus einem ganzheitlichen Ansatz: systematische Erwachsenenbildung, Laienapostolat, Gründung von Sparvereinen (Vorläufer der Krankenkasse), gelebte Solidarität und Nutzung der Massenmedien. Heute gehören dem Kolpingwerk allein in Deutschland mehr als eine Viertelmillion Mitglieder an, gegliedert in 2.600 Kolping-Familien. Mit einer Auflage von 170.000 Exemplaren erscheint neunmal im Jahr die Verbandszeitschrift „Kolping-Magazin“. 44 Mitglieder des Deutschen Bundestages kommen aus der Kolping-Familie.

Kein Wunder, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2013 Adolph Kolpings 200. Geburtstag gedachte und sagte: „Am Anfang sind es oft nur wenige (es waren ja nur 7), die voraus gehen, einen Stein ins Rollen bringen und Veränderungen möglich machen.“ Und auch der ebenfalls evangelische Bundespräsident Joachim Gauck bemerkte am 2. Februar 2013 bei den Kölner Gesprächen: Adolph Kolping war „ein besonderer Mann, ein überzeugter Christ und ein großer Deutscher.“ In einem Brief an seinen Künstlerfreund Karl Statz schrieb Kolping am 1. November 1839: „Nur die Religion ist der Anker, an dem alle Systeme, alle Meinungen und Sätze hängen bleiben, nur sie ist die Quelle, aus der allein fruchtbare Wahrheit strömt, die uns geleitet zu unserer ewigen Bestimmung.“ Auch zur „Schwarzen Mutter Gottes“ in der Kölner Kupfergasse führten stets seine Schritte hin. Schon während seiner Gesellenzeit als Schuhmacher hatte er sich diesen Brauch angewöhnt, um sich hier Kraft und Hilfe zu erflehen. Unzählige Male kniete er vor dem Gnadenbild, um der Himmelskönigin sein Verlangen nach dem Priestertum vorzutragen. Kolping war ein stiller Marienverehrer, der seine innige Beziehung zur Muttergottes nicht der Öffentlichkeit preisgab. Als anlässlich der Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis durch Papst Pius IX. beim Erzbischöflichen Palais in der Gereonstraße eine Mariensäule errichtet wurde, brachte er sich allerdings mit ganzer Energie und all seinen bereits vorhandenen Beziehungen ein. 1854 schrieb er: „Gott hat es gefügt, dass der neuen Eva, der wahren Mutter des Geschlechts der Kinder Gottes, geheimnisvolle Ehre offenbar und gewiss gemacht werde vor der Welt. Wir haben eine Unbefleckte Mutter aus der Hand Gottes, deren Fürbitte mächtig ist in allen Nöten der Christenheit.“

Seligsprechung am 27. Oktober 1991

Bruder Otmar aus unserem Kloster Beuron nahm an der Seligsprechung Kolpings am 27. Oktober 1991 auf dem Petersplatz teil. Sein Spruch war: „Einmal Kolping-Bruder, immer Kolping-Bruder“. Als Gesellenbruder aus seiner vorklösterlichen Zeit war er bei der Feier in Rom „Platzwart“. Und wie jubelte er, als das Bild seines verehrten und geliebten „Gesellenvaters“ von der Loggia des Petersdoms herab enthüllt wurde. Dabei schwenkte er eine der unzähligen Kolping-Fahnen, welche den ganzen Platz dominierten, das große schwarze „K“ auf gelbem Grund. Zurückgekehrt ins Kloster trug unser Mitbruder immer noch die Kolping-Kappe, die er als „Päpstlicher Aufsichtsbeamter“ auf dem Petersplatz erhalten hatte. Seliger Adolph Kolping, bitte für unser Kloster und die inzwischen 450.000 Kolping-Mitglieder in 61 Ländern auf der ganzen Welt!

Stellung der Kirche Frankreichs zur Schoa

Die nationalsozialistische Ideologie von Blut und Rasse hat etwa sechs Millionen Juden das Leben gekostet hat. Im Gegensatz zu manchen vorgefassten Meinungen haben die Katholiken zur Judenverfolgung nicht einfach geschwiegen. Unzählig sind die wunderbaren Beispiele, wie Katholiken die Gewissen aufgerüttelt und die Juden inmitten von Schande und Leiden unterstützt haben. Dies zeigt ein neues Buch von Dr. Sylvie Bernay am Beispiel Frankreichs. Sie hatte die Aktivitäten von Katholiken den durch die Nazis verfolgten Juden gegenüber in der eigenen Familie hautnah erlebt. Später setzte sie sich wissenschaftlich damit auseinander und promovierte zu diesem Thema. Sie ist Dozentin für Geschichte und Geografie. Nachfolgend Auszüge aus der Einführung zu ihrem Buch, in dem sie zum freundschaftlichen und gemeinsamen jüdisch-christlichen Gebet einlädt.

Von Sylvie Bernay

Das Buch ist die Frucht einer fünfjährigen Forschungsarbeit über die Stellung der Kirche Frankreichs zur Shoa. Während des Zeitraums, der sich von der Machtergreifung Hitlers bis zum Höhepunkt der Deportationen der europäischen Juden erstreckt, ist die Kirche Frankreichs dem Unglück der israelitischen Mitbürger gegenüber nicht gleichgültig geblieben. Viele Katholiken sind zu Freunden ihrer jüdischen Mitbrüder geworden und haben sie auf ihrem Leidensweg begleitet. Sie versuchten, ihre Brüder zu lieben und die Barbarei des Hasses, die sie zu trennen schien, zurückdrängen. Wer waren die Freunde der Juden? Die meisten von ihnen waren Geistliche, die darunter litten, dass die Menschheit durch die Lepra des Rassismus und des Krieges zerstört wurde. Ihre Reden und Predigten, die Auszüge aus Enzykliken und Radiosendungen stellen Dokumente dar, die wenig bekannt und zum Teil noch unveröffentlicht geblieben sind.

Der Einsatz der französischen Bischöfe für die Juden begann bereits im Jahr 1933, als einige von ihnen zum Gebet für die Juden aufriefen – entsprechend der alten Tradition des Karfreitags. Die Bischöfe erinnerten an das Naturrecht, das in das Herz eines jeden Menschen geschrieben sei und sich in den Zehn Geboten darstelle. Stellvertretend für das frühe Engagement der französischen Bischöfe gegen den Rassismus steht der Fall des Bischofs Jean Verdier (1864-1940), des Erzbischofs von Paris seit 1929, der sich zum Vorkämpfer für die Rechte der Juden machte. Im Jahr 1939 sagte er ihnen: „Die Katholiken bleiben eure Freunde bis zum Ende, durch alle Prüfungen hindurch, die nicht ewig währen werden“ (BCQI). Die Beerdigung des Bischofs wurde zum wahren nationalen Trauertag.

Die Bischöfe schlugen Hilfe in Form von karitativen Werken vor und waren bereit, eine Mittlerrolle zwischen der Vichy-Regierung und den jüdischen Mitbürgern zu übernehmen, um deren Los zu lindern. Unter den Bischöfen der freien Zone trat Msgr. Jules-Géraud  (1870-1956) hervor, der eine ungewöhnliche Energie bei der Verteidigung der elementaren Menschenrechte entfaltete. Im Jahr 1942 war er der erste der fünf Bischöfe in der freien Zone Frankreichs, der von der Kanzel seiner Kathedrale einen flammenden Protest gegen die Deportation der Juden formulierte.

Andere Priester beklagten in ihren Erklärungen den Völkermord nach dem Beispiel des Papstes Pius XII. eher in Form von verhüllten Anspielungen. Angesichts der Vergeltungsmaßnahmen der Nazis oder der Faschisten blieb ihnen kaum eine andere Wahl. Kardinal Emmanuel Suhard (1874-1949), Erzbischof der gedemütigten Stadt Paris, versuchte die Härten der deutschen Besatzung zu mildern. Er zog es ebenfalls vor, im Verborgenen zugunsten der Opfer zu handeln. Die Sozialdienste des Erzbistums leisteten ihren Beitrag zu den Hilfsmaßnahmen, indem sie im Anschluss an die Razzia von Ver’d’hiv’ jüdische Kinder in christlichen französischen Familien verbargen. Die Sipo-SD (Sicherheitspolizei) bereitete jedoch dieser Hilfsmaßnahme ein jähes Ende, indem sie im Jahr 1943 die jüdischen Helfer des Wohltätigkeitskomitees nach Auschwitz abtransportierte. Angesichts der Greuel von Drancy, die er aus nächster Nähe miterlebte, machte sich Kardinal Suhard zum Tröster der Juden, die ihn um Hilfe baten.

Auf einer anderen Ebene waren die Freunde der Juden jene französischen Philosophen und Theologen, die das Judentum aus dem Blickwinkel des göttlichen Mysteriums verstanden, das heißt im Licht der göttlichen Wahl, denn „Gnade und Berufung, die Gott gewährt, sind unwiderruflich“ (Röm 11,29). Jacques Maritain, der Ehemann der Raissa, einer jüdisch-russischen Konvertitin zum Katholizismus, war der Wortführer dieser judenfreundlichen Generation. Mehrere dieser Philosophen und Theologen bildeten gemeinsam eine prosemitische Front, die sich in dem Bulletin catholique de la question d’Israel („Katholisches Nachrichtenblatt zur Frage Israels“) der Pères de Sion zu Wort meldeten.

In der besetzten Zone führte die Verurteilung des Nazi-Rassismus zur Verhaftung und Hinrichtung des Père Joseph-Marc Guihaire (1891-1942), eines Dominikaners aus dem Kloster St. Jacques, der auch der Beichtvater der Mitglieder des Kreises La Vérité francaise („Die französische Wahrheit“) war.

Doch wurde das Engagement der Kirche Frankreichs zur Rettung der Juden fortgeführt. Es ist unter anderem eine Erklärung dafür, dass in unserem seit dem Beginn des Krieges besetzten und von einer antisemitischen Regierung geführten Land der Anteil an der Gesamtzahl der Opfer der Rassenpolitik relativ gering ist. 75% der Juden in Frankreich haben bis zur Befreiung des Landes überlebt.

 

Sylvie Bernay: Wir beten 15 Tage mit den Freunden der Juden. Broschur, 11,8 x 19 cm, 174 S. mit 15 s/w-Abb., ISBN 978-3-9815943-3-1.
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