Die gesellschaftspolitische Sendung des Katholikentags

Regensburg – symbolträchtiger Ort für einen Brückenschlag

Vom 28. Mai bis 1. Juni 2014 findet in Regensburg der 99. Deutsche Katholikentag statt. Bischof Dr. Rudolf Voderholzer misst der Veranstaltung gerade in unseren Tagen eine enorme Bedeutung bei. Er wünscht sich ein deutliches Zeugnis für das biblisch-christliche Menschenbild, um das ein globaler Kampf entbrannt ist. Das Thema „Mit Christus Brücken bauen“ versteht er zuallererst als Brückenschlag der Kirche hinein in das öffentliche Leben. Christen müssen mit ihren Werten in Staat und Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Regensburg will dabei 25 Jahre nach dem Mauerfall einen besonderen Anstoß für „das geistliche und politische Wirken der Christen bei der Neuordnung Europas“ geben.

Interview mit Bischof Rudolf Voderholzer, Regensburg

Kirche heute: Hochwürdigster Herr Bischof, der 99. Deutsche Katholikentag steht vor der Tür. Er wird vom 28. Mai bis 1. Juni in Ihrer Diözese stattfinden. – Wer hat Regensburg als Austragungsort vorgeschlagen bzw. ausgewählt? 

Bischof Voderholzer: Der heutige Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat im Juli 2011 das ZdK eingeladen, den 99. Katholikentag in Regensburg zu veranstalten. Im November 2011 hat die Vollversammlung des ZdK diese Einladung angenommen. Somit findet nach 110 Jahren wieder ein Katholikentag in Regensburg statt.

Kirche heute: Worin sehen Sie die Bedeutung dieser Großveranstaltung in der heutigen Zeit?

Bischof Voderholzer: Ursprünglich und von seinem Wesen her ist der Katholikentag ein Treffen der katholischen Verbände sowie der Gremien und darüber hinaus aller an ihrem Glauben interessierten katholischen Männer und Frauen. Über die Diözesan- und oft auch Ländergrenzen hinweg kommen sie zusammen, um sich gemeinsam im Glauben zu stärken, Gottesdienst zu feiern und sich davon ausgehend der politischen Relevanz ihres Glaubens zu vergewissern.

Der Katholikentag möchte Impulse geben und Orientierung vermitteln in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft mit ihren wirtschaftlichen, sozialethischen und kulturellen Fragestellungen. Darüber hinaus bieten kirchliche Großveranstaltungen in der heutigen Zeit für viele Menschen eine Chance der Kontaktaufnahme mit kirchlichen Gruppen, denen sie in ihrem Alltag und ihren Pfarreien nicht begegnen.

Kirche heute: Birgt das Programm gegenüber den vorhergehenden Katholikentagen etwas Neues?

Bischof Voderholzer: Das Bistum Regensburg hat sich mit großem Aufwand an der Vorbereitung des Katholikentages beteiligt. Uns war es immer wichtig, dass Regensburg als Veranstaltungsort auch das Programm des Katholikentages bereichert.

In diesem Jahr wird es deshalb zum Beispiel zum ersten Mal eine grenzüberschreitende Wallfahrt als Programmpunkt des Katholikentages geben. Deutsche und böhmische Katholiken werden am Samstag nach Neukirchen beim Hl. Blut pilgern und in einem feierlichen Pontifikalamt mit dem Pilsener Bischof František Radkovský und mir an den Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren erinnern.

In der Hauptstadt der Kirchenmusik werden auch musikalische Neuheiten das Programm bereichern. So wird es am Samstagabend ein Glockenkonzert geben, an dem alle Kirchenglocken der Regensburger Altstadt beteiligt sein werden.

Was mich besonders freut, ist die Tatsache, dass die Kölner Gemeinschaften von Jerusalem während des Katholikentages zur Mitfeier der Tagzeitenliturgie einladen.

Kirche heute: Welche Akzente möchten Sie persönlich im Rahmen des bevorstehenden Katholikentreffens setzen?

Bischof Voderholzer: Ich wünsche mir, dass der Katholikentag mit seinen vielen Veranstaltungen gewinnend und überzeugend deutlich macht: das biblisch-christliche Menschenbild ist die ideale Voraussetzung für den Aufbau und den Erhalt einer humanen und lebenswerten Gesellschaft.

Als Ebenbild Gottes ist jedem Menschen eine unzerstörbare Würde geschenkt, die es zu achten gilt von der Zeugung bis zum Tod. Angesichts aktueller Tendenzen, die Gesetzgebung hinsichtlich der Beihilfe zur Selbsttötung aufzuweichen, müssen wir als Christen die wahre und einzig menschliche Alternative aufzeigen: also alten oder kranken Menschen nicht zu helfen, Hand an sich zu legen, sondern vielmehr ihre Hand zu halten und ihnen in ihren Ängsten vor Schmerz und Einsamkeit beizustehen.

Allen Frauen und Männern, die durch eine Schwangerschaft in Bedrängnis geraten sind, soll erneut, immer wieder und unmissverständlich zugesichert werden: die Kirche stellt jede nur erdenkliche seelische, materielle und ideelle Hilfe zur Verfügung. Ein Blick in das Internet genügt, um die nächste Caritas-Beratungsstelle zu finden. Die Kirche bedeutet Sicherheit für Mutter, Vater und Kind – für alle Beteiligten. Ich wiederhole: Sicherheit auch für das ungeborene Kind. Denn ihm das Leben zu nehmen, ist keine Lösung, sondern ein Unrecht, das zum Himmel schreit.

Der Katholikentag ist eine gute Gelegenheit, mit neuer Deutlichkeit zu zeigen: Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen, und diese Geschlechterpolarität wird ausdrücklich gutgeheißen. In der gegenseitigen Anziehung der Geschlechter und in der Fruchtbarkeit ihrer Liebe hat der Schöpfergott die Zukunft der Menschheit begründet. Vater-sein-können und Mutter-sein-können sind nicht anerzogene kulturelle Rollenmuster, sondern schöpfungsmäßige Bestimmungen des Menschseins von Mann und Frau.

Und so haben auch Kinder das Recht, im Erleben von Vater und Mutter ihr eigenes Geschlecht anzunehmen und ihr Leben als Geschenk Gottes zu verwirklichen. Wenn die staatliche Gesetzgebung Ehe und Familie privilegiert, dann nicht aufgrund der Bevorzugung einer sexuellen Neigung, sondern im Interesse am Fortbestand der Gesellschaft und eines gerechten Miteinanders der Generationen. Ich erwarte mir, dass der Katholikentag in diesem Sinne deutlich seine Stimme erhebt.

Kirche heute: Das Thema „Mit Christus Brücken bauen“ ist eine Einladung, sowohl innerkirchlich als auch nach außen hin unnötige Grenzen zu überwinden. Wo sehen Sie eine besondere Dringlichkeit für einen  Brückenschlag?

Bischof Voderholzer: Der Katholikentag mit seiner ausdrücklich gesellschaftlichen Zielrichtung soll, so erhoffe ich es, bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, besonders aber bei den jungen Menschen, die auf der Suche nach ihrem Platz in Staat und Gesellschaft sind, auch die Frage wecken: Bin vielleicht ich dazu berufen, mich in einer der demokratischen Parteien unseres Landes zu engagieren und aus christlichem Geist heraus politische Verantwortung zu übernehmen? Dies entspräche dem Auftrag der getauften und gefirmten Weltchristen (so genannter Laien) gemäß der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, wonach Laienapostolat bedeutet: Durch und mit ihrer beruflichen Kompetenz sollen die getauften und gefirmten Christen in ihren Berufen für das Reich Gottes arbeiten und dadurch zu Brückenbauern zwischen der Botschaft des Evangeliums und den gesellschaftlichen Herausforderungen werden.

Noch viele weitere Brückenschläge sind heute von Bedeutung und werden beim Katholikentag gewagt: zwischen Glaube und Naturwissenschaft, zwischen Ökologie im Sinne der Bewahrung der Schöpfung und Ökonomie, zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst, und vieles andere mehr.

Kirche heute: Wird der Brückenschlag in die Gesellschaft hinein gelingen? Was ist dazu erforderlich?

Bischof Voderholzer: Der Brückenschlag in die Gesellschaft kann gelingen. Dies zeigt ein historisches Datum, dessen wir besonders gedenken werden: die deutsch-böhmische Nachbarschaft im Kontext der Überwindung des Eisernen Vorhangs 1989.

Am Weißen Sonntag wird in Rom die Heiligsprechung der beiden Päpste Johannes’ XXIII. und Johannes Pauls II. gefeiert. Johannes XXIII. hat mit der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils den Prozess der Reform der Kirche aus ihrem Ursprung heraus und der Verheutigung des Glaubens angestoßen. Von Johannes Paul II., dem ersten Papst aus Polen, wurde angesichts der friedlichen Revolution 1989 in Europa gesagt: „Das Schiff des Kommunismus ist vor allem an dem Felsen gestrandet, auf den Christus, der Herr, seine Kirche gebaut hat“. Damit kommt exemplarisch die Bedeutung des geistlichen und politischen Wirkens der Christen bei der Neuordnung Europas zum Ausdruck.

Bei der Wallfahrt in Neukirchen beim Heiligen Blut am Samstag, 31. Mai, die ich zusammen mit Bischof František von Pilsen anführen werde, greifen wir nicht nur die zahlreichen Initiativen der Völkerverständigung auf, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs entstanden sind. Wir wollen auch um Kraft und Phantasie beten, aus dem Glauben heraus am Weiterbau eines christlichen Europas mitwirken zu können.

Marsch für das Leben 2014 in Prag

Es gibt Hoffnung!

Wieder hat in Prag ein sog. „Marsch für das Leben“ stattgefunden. Diese Art von Demonstrationen haben einerseits mit unserer christlichen Verantwortung für das gesellschaftspolitische Leben zu tun. Wir haben die Pflicht, uns zu Wort zu melden, wenn die Menschenwürde in immer erschreckenderer Weise verletzt wird. Durch das mutige Auftreten auch von Bischöfen muss der Druck erhöht werden, so Weihbischof Laun, damit die Verantwortlichen unser Anliegen ernst nehmen. Doch sind solche Märsche eben nicht nur ein politisches Mittel wie andere friedliche Demonstrationen. Sie haben vielmehr den Charakter des christlichen Zeugnisses. Das Wort Gottes, das Wort vom Leben wirkt aus sich heraus.

Von Weihbischof Andreas Laun

Für den 29. März 2014 hatten die Lebensschützer von Tschechien zur 14. großen Kundgebung „pro zivot“ („für das Leben“) eingeladen – in Form eines Gehens von einigen tausend Menschen durch die Innenstadt von Prag. Ich war dort, mit den Veranstaltern vereint im Glauben und darum auch vereint „pro zivot“! So sind sie auch längst meine Freunde geworden. Es ist so: Ob Tschechen oder Österreicher, alle Menschen, die von der Teufels-Ideologie und Praxis der Abtreibung erschüttert sind, gehören zusammen, sind global vernetzt durch ihre Liebe zum Leben. Und das ist auch das Motiv dafür, dass sich solchen Veranstaltungen nicht nur in Prag, sondern auch in anderen Städten Menschen aus den Nachbarländern anschließen, um die Freunde zu stärken und zu bezeugen: Der Schutz des Lebensrechts auch der ungeborenen Kinder ist nicht eine Frage eines bestimmten Landes, einer politischen Mehrheit, auch nicht Frage einer bestimmten religiösen Überzeugung. Dass das Leben eines unschuldigen Menschen in einem Rechtsstaat unantastbar sein muss, steht im Herzen eines jeden Menschen geschrieben! Auch Analphabeten können diese „Schrift“ sehr wohl lesen, zumal sie ihr Gewissen ohnehin wie ein „Hörbuch“ unablässig vorliest – für manche Menschen „lästig“, aber zu ihrem Heil wie ein blinkendes Rotlicht, das vor einem Abgrund warnt.

Unterstützt wurde der „Marsch für das Leben“ 2014 von rund 30 bekannten Persönlichkeiten des politischen, religiösen und öffentlichen Lebens, mitgetragen auch von ausländischen Pro-life-Organisationen.

Dem Marsch voraus gingen drei hl. Messen: gefeiert von Kardinal Duka, zusammen mit mehr als 20 Priestern, in der Kirche der Dominikaner, vom Apostolischen Exarchen Ladislav Huéko der griechisch-katholischen Kirche in deren Kathedrale St. Clemens und von mir, also Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg, in der Kirche Maria vom Sieg (mit dem Prager Jesuskind).

Das war aber nur der Anfang, denn immer blieb klar: Es handelt sich nicht um eine exklusiv religiöse Veranstaltung! Christen sind dabei, weil Menschenrechte, wie der Name sagt, alle Menschen betreffen und daher Anliegen aller sein müssen, von Gläubigen und sogar von Atheisten! Folgerichtig begann das Programm am Marienplatz mit kleinen Vorträgen zum Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Bemerkenswert ist: Auch Politiker meldeten sich freimütig zu Wort, was in manch anderen Teilen Europas fast unmöglich zu erwarten wäre, weil „politisch inkorrekt“. Es sprachen Philosophen, Ärzte, Ordensleute. Zu Wort kamen auch Vertreter von „Human life international“, nämlich Wolfgang Häring aus Deutschland, Martina Uchenegg aus Österreich.

Ein besonderer Höhepunkt war, als Radim Ucháè die Erklärung der Lebensbewegung verlas, die zwei Tage danach den Repräsentanten der Regierung vorgelegt wurde. Zentrale Forderung: das Recht auf Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod muss im Gesetz verankert werden!

Zu nennen ist auch Alena Povolna. Sie übersetzte für mich bereits 2010 beim Lebensmarsch in Prag, an dem ich damals teilnehmen konnte, und dieses Jahr wieder. Inzwischen übersetzte sie das so wichtige Buch von Gabriele Kuby „Die globale sexuelle Revolution“ [1] und begleitete sie nach dem Lebensmarsch auf einer Reise durch Tschechien. Jeder Kundige weiß, dass die Themen Familie, Sexualität, Abtreibung und heute vor allem „Gender“ untrennbar zusammenhängen.

Der „Zug des Lebens“ ging vom Marienplatz durch die herrliche Altstadt und endete zu Füßen der Statue des hl. Wenzel am Wenzelsplatz. Dort sprach der Abt der Prämonstratenserabtei von Zeliv und ich durfte ebenfalls eine kleine Rede halten. Ich warnte dabei vor allem vor den drei Argumenten, mit denen die Abtreibungsideologie sogar nicht wenige Katholiken in die Irre führt: Abtreibung nein, aber doch im Fall einer Vergewaltigung, ebenso bei einer pränatal festgestellten Behinderung und auf keinen Fall Strafe, zumindest nicht für die Frau! Kurze Antwort: Bei Vergewaltigung wird dann von den „drei beteiligten Personen diejenige getötet, die absurderweise sicher unschuldig ist; Behinderte zu töten war ein Nazi-Programm und was die Strafe betrifft: Werden nicht auch Diebinnen bestraft, warum nicht Frauen, die ihr Kind töten lassen? Dass es Milderungsgründe gibt und geben kann, gilt für jedes Strafurteil, natürlich auch in diesem Fall, zumal die Frau immer auch selbst ein Opfer ist.

Zum Abschluss der Versammlung durfte ich zusammen mit dem griechisch-katholischen Bischof die Menge segnen. Wir, die beiden Bischöfe, und die Veranstalter und eigentlich alle Teilnehmer wünschen sich, es wären das nächste Mal mehr Bischöfe dabei. Es gibt Anzeichen, dass mehr und mehr Bischöfe ebenfalls so denken, und sie werden es vor allem dann tun, wenn sie einmal erlebt haben werden, wie dankbar die Menschen sind, wenn Bischöfe – vor allem ihr Bischof – deutlich erkennbar unter ihnen sind.

Ich habe es erlebt und auch gesehen: in Olmütz, wo der Erzbischof bei einer wenn auch kleineren Veranstaltung dieser Art „dabei“ war, und auch in Budapest, wo ich zusammen mit meinem Freund Weihbischof Lászlo Biró mitgegangen bin – an einem 28. Dezember, dem Tag der Unschuldigen Kinder.

Der Widerstand muss wachsen, dann wird auch dieser Horror ein Ende finden. Wenn nicht, werden unsere Nachfahren fragen: Wo wart ihr damals, was habt ihr getan und was habt ihr nicht getan, was notwendig gewesen wäre? Gebe Gott, dass das Wort eines jungen Mannes wahr wird, der mir sagte: „In 20 Jahren wird die Seuche der legitimierten Abtreibung zu Ende gehen.“ Hoffen wir und kämpfen wir dafür!


[1] Gabriele Kuby: Die globale sexuelle Revolution – Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit. Hardcover mit Schutzumschlag, 456 Seiten, ISBN 978-3-86357-032-3. Homepage der Autorin: www.gabriele-kuby.de

Wallfahrt der bayerischen Diözesen nach Retzbach im Bistum Würzburg

„Maria im Grünen Tal“

Das Fest der „Patrona Bavariae“ – „Schutzpatronin Bayerns“ wurde am 14. Mai 1917 zum ersten Mal in allen bayerischen Diözesen begangen. Die Hundertjahr-Feier wird von den bayerischen Bischöfen auf einzigartige Weise vorbereitet. Sieben Jahre hindurch pilgern sie jeden Mai gemeinsam in eine andere der sieben bayerischen Diözesen und weihen das jeweilige Bistum der Gottesmutter. Für die Diözese Passau wurde 2011 Altötting ausgewählt, für Bamberg 2012 Vierzehnheiligen, für Regensburg 2013 der Bogenberg und nun für das Bistum Würzburg am 17. Mai 2014 die Wallfahrtskirche „Maria im Grünen Tal“ bei Retzbach. Ein Gespräch mit dem zuständigen Wallfahrtspriester.

Interview mit Msgr. Gerold Postler

Kirche heute: Verehrter Herr Monsignore Postler, seit wann betreuen Sie die Retzbacher Wallfahrtskirche? Was bedeutet für Sie persönlich diese Pilgerstätte?

Msgr. Postler: Ich bin Pfarrer für die Pfarrei Retzbach und Wallfahrtsseelsorger für „Maria im Grünen Tal“ seit dem Jahr 1974, und Wallfahrt – und Wallfahrer – sind mir in dieser Zeit sehr ans Herz gewachsen, auch deswegen, weil sich die Pfarrgemeinde für die Betreuung der Wallfahrer sehr engagiert.

Kirche heute: Können Sie ein wenig über die Ursprünge der Wallfahrt sagen? Gibt es historisch zuverlässige Informationen?

Msgr. Postler: Die Ursprünge der Wallfahrt gehen bis auf die Zeit um 1300 zurück. Auch das Gnadenbild stammt aus dieser Zeit. Somit ist Retzbach wohl die älteste noch bestehende Wallfahrt in Franken. Die Anfänge der Wallfahrt werden durch verschiedene Legenden belegt. Sicher ist, dass die Wallfahrt zu dieser Zeit bereits bestand. Ablässe aus den Jahren 1270 und 1285 belegen, dass die Wallfahrt zu dieser Zeit schon in Blüte stand.

Kirche heute: Äußerlich erinnert der hoch aufragende gotische Chor an diese geschichtlichen Wurzeln. Doch sowohl das Äußere des Kirchenschiffs als auch das Innere machen einen relativ modernen Eindruck. Aus welcher Zeit stammen diese neueren Elemente?

Msgr. Postler: Ursprünglich stellte der gotische Chor aus dem 14. Jahrhundert – Ausgrabungen belegen einen romanischen Vorgängerbau – die ganze Wallfahrtskirche dar. Deshalb heißt die Kirche heute noch im Volksmund „die Kapelle“. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde die Rückwand entfernt und ein Kirchenschiff angebaut. Das ursprüngliche gotische Portal der Kapelle wurde wieder als Hauptportal verwendet. 1771 wurde der Innenraum barock ausgestaltet und die Westfassade durch zwei Türmchen ergänzt. 1968 wurde das Dach zur Renovierung abgedeckt, bei einem Gewitter sog sich die Lehmdecke der Kirche voll und stürzte herab. Dombaumeister Hans Schädel schuf die Pläne für die Erneuerung der Kirche. Dem Stil dieser Zeit entsprechend, bildeten Beton und Glas die Hauptelemente der Architektur. Die Inneneinrichtung wurde herausgenommen, das Gnadenbild als einziger Schmuck der Kirche in einer neuen Bronzestele in die Mitte des Chores gestellt.

Bei der Renovierung im Jahr 1987 wurden die Barockaltäre wieder aufgestellt, im Chorbogen ein Triumphkreuz angebracht, das dem Prozessionskreuz der Bad Orber Wallfahrt in Südtirol nachgeschnitzt wurde, der vorhandene Kreuzweg von 1814 wieder angebracht, und eine neue Tabernakelstele aufgestellt. 1982 erhielt das Tympanon über dem Hauptportal eine Kreuzigungsgruppe des Bildhauers Heinrich Bücker. Bei der letzten Renovierung im Jahr 2008 wurde durch Nuancen in der Farbgebung eine stärkere Verbindung des Neubaus mit dem gotischen Chor erreicht.

Kirche heute: Was hat es mit dem Gnadenbild der lächelnden Muttergottes auf sich? 

Msgr. Postler: Das Gnadenbild, eine Figur aus Buntsandstein aus der Zeit um 1300 von einem unbekannten Künstler, zeigt die Mutter mit einem gütigen Lächeln. Eine Schramme im Gesicht führte zu der Legende, das Bild sei vergraben gewesen und beim Ausgraben verletzt worden. Die Weintraube in der Hand des Kindes lässt auf schon bestehenden Weinbau in der Gemeinde schließen. In den Rücken der Madonna wurden Reliquien aus dem Orient eingelassen. Das spricht für die Bedeutung des Gnadenbildes schon im Mittelalter.

Kirche heute: Woher kommt die Bezeichnung „Maria im Grünen Tal“?

Msgr. Postler: Die Bezeichnung gibt die Lage der Kirche wieder, die in einem engen Tal von Wald und grünen Wiesen umgeben ist.

Kirche heute: Was hat sich seit Ihrer Amtszeit als Pfarrer von Retzbach an der Wallfahrtsstätte verändert?

Msgr. Postler: Wie bereits erwähnt, wurde in dieser Zeit die Wallfahrtskirche zweimal gründlich renoviert, ein Wallfahrtsplatz mit Freialtar für die großen Gottesdienstfeiern geschaffen, ein Wallfahrtsheim gebaut, und neue Wallfahrtsgruppen eingeladen, Es gibt Wallfahrtstage für Kranke, eine ökumenische Kinderwallfahrt, eine Wallfahrt für Busfahrer. Jedes Wallfahrtsjahr erhielt ein bestimmtes Thema, aufgegliedert in Einzelthemen für die jeweiligen Wallfahrtstage.

Kirche heute: In der Diözese Würzburg gibt es zahlreiche Marienwallfahrtsorte. Für den Pilgerweg durch die bayerischen Bistümer wurde nun Retzbach ausgewählt. Hat Sie diese Entscheidung überrascht? Wann haben Sie davon erfahren?

Msgr. Postler: Ich habe sofort nach der Festlegung durch die Bayer. Bischofskonferenz vor etwa zwei Jahren davon erfahren.

Kirche heute: Wissen Sie, was für die Wahl von Retzbach ausschlaggebend war?

Msgr. Postler: Ausschlaggebend war wohl, dass Retzbach seit 1969 als Gebetsort für die Einheit der Christen als marianischer Wallfahrtort einmalig ist, und zudem logistische Voraussetzungen bietet, die sich schon beim Weltjugendtag 2005 bewährt haben.

Kirche heute: Wie sieht das Pilgerleben rund um die Wallfahrtskirche „Maria im Grünen Tal“ heute aus? Was sind die Höhepunkte im Lauf des Jahres?

Msgr. Postler: Die Wallfahrtszeit beginnt im Monat Mai, Hauptwallfahrtstage sind die Marienfeste im Monat September – Maria Geburt, Maria Namen und Maria Schmerz als gelobte Tage aus den Pestzeiten. Etwa 120 Pilgergruppen kommen das Jahr über, mit 1000 Teilnehmern die größte Gruppe aus dem Eichsfeld, Baunatal und Fulda.

Kirche heute: Können Sie noch ein wenig genauer auf den Besinnungsweg Retztal eingehen? Wird er im Rahmen der Wallfahrt der bayerischen Bischöfe eine Rolle spielen?

Msgr. Postler: Der Besinnungsweg Retztal ist seit über zehn Jahren ein beliebter Meditationsweg zwischen den Orten Retzbach und Retzstadt. In einer Gesamtlänge von 13 km führt er das Retztal entlang und über den Höhenzug durch eine abwechslungsreiche Landschaft, geprägt von Kontrasten zwischen Tal und Hügeln, zwischen Wald, Feldern und Weinbergen mit herrlichen Ausblicken. Einen Teil dieses Weges werden auch die Pilger benutzen, die von Retzstadt aus zur Wallfahrtskirche kommen.

Kirche heute: Welche besondere Bedeutung hat der Wallfahrtsort in der heutigen Zeit für die Diözese Würzburg?

Msgr. Postler: Bischof em. Dr. Paul-Werner Scheele nennt den Wallfahrtsort Retzbach ein geistliches Zentrum innerhalb der Diözese Würzburg, gerade auch als Gebetsort für die Einheit der Christen.

Kirche heute: Die bevorstehende Wallfahrt steht unter dem Leitwort „Mit Maria unterwegs – einmütig im Gebet“. Hat dieses Motto einen besonderen Bezug zur Retzbacher Wallfahrtskirche?

Msgr. Postler: Die Wallfahrtskirche wurde wohl unter anderem deswegen als Ziel gewählt, um den ökumenischen Gedanken dieser Wallfahrt auszudrücken.

Kirche heute: Wie bereiten Sie und Ihre Pfarreiengemeinschaft sich auf das Großereignis vor?

Msgr. Postler: Es gibt vieles zu organisieren, in Zusammenarbeit mit dem Diözesanbüro und dem Vorbereitungsteam der Diözese: die Verkehrssituation, Gestaltung des Wallfahrtsplatzes, Verköstigung der Wallfahrer, bis zur liturgischen Gestaltung des Tages.

Kirche heute: Wissen Sie, warum der 17. Mai gewählt wurde?

Msgr. Postler: Im Hinblick auf das Jahr 2017 wollte man vom 1. Mai wegkommen, da dieser Termin von vielen anderen Veranstaltungen bayernweit belegt ist. So kam es zu einem Termin Mitte Mai.

Kirche heute: Wie wird dieser Tag aussehen? Was sind die wichtigsten Programmpunkte?

Msgr. Postler: Die Pilger werden von verschiedenen Ausgangspunkten nach Retzbach wallfahren: von Würzburg aus, von Maria Buchen, von Retzstadt und Thüngersheim. Schiffswallfahrten gibt es von Karlstadt und Würzburg aus. Um 15 Uhr beginnt auf dem Wallfahrtsplatz ein Vorprogramm mit Musik und Texten, moderiert von Rundfunkmoderator Schellenberger vom BR, um 16 Uhr beginnt die Eucharistiefeier mit den bayerischen Bischöfen auf dem Wallfahrtsplatz, die auch in die Kirche übertragen wird. Den Abschluss bildet die Marienweihe in der Wallfahrtskirche. Für leibliche Stärkung mit Kaffee und Kuchen und Bratwürsten ist vorher und nachher gesorgt.

Kirche heute: Bedeutet die Wallfahrt einen gewissen Höhepunkt in Ihrem priesterlichen Wirken an der Retzbacher Wallfahrtskirche?

Msgr. Postler: Diese Wallfahrt ist sicher ein Höhepunkt in meinem Wirken als Wallfahrtsseelsorger, sie ist aber auch mit viel Stress und Arbeit verbunden. Aber mit Gottes Hilfe und der Hilfe vieler Helferinnen und Helfer, werden wir es schaffen.

Kirche heute: Herr Monsignore, wir danken Ihnen von ganzem Herzen für dieses aufschlussreiche Interview und wünschen Ihnen Gottes reichen Segen für ein fruchtbares Gelingen der Wallfahrt wie für Ihre persönliche Zukunft!

Impulse zum Marienmonat Mai

Einmaleins der Marienverehrung

Zum Marienmonat Mai, insbesondere zum bevorstehenden Fest „Maria – Schutzfrau Bayerns“ bietet uns Erzbischof Karl Braun Impulse für eine Vertiefung der Marienverehrung an. Seine konkreten Anregungen können eine wunderbare Hilfe für die Seelsorge, aber auch für die persönliche Beziehung zur Gottesmutter oder das Glaubensleben in der Familie sein.

Von Erzbischof em. Karl Braun, Bamberg

Die Geschichte und das Gesicht unseres Landes sind stark von der Verehrung der Gottesmutter geprägt. Doch wird unsere Heimat diese marianische Prägung auch für die Zukunft bewahren? Es ist Zeit, dass wir uns auf unsere marianische Tradition besinnen, auf jenes Erbe, das uns von unseren Vorfahren als Gut und Auftrag übergeben ist.

Maria ist eine lebendige Person, darum erwartet sie von uns eine lebendige, eine persönliche Antwort – eine Antwort aus dem Kopf und aus dem Herzen. Wie aber können wir diese Antwort heute echt und glaubwürdig geben?

Grundformen der Marienverehrung: das Bild, das Stoßgebet, die Wallfahrt

Die Marienverehrung hat im Laufe der Zeit viele Formen entwickelt. Die Formen haben sich geändert. Auch im Umgang der Kinder mit den Müttern hat sich einiges geändert! Die Kinder heute sind anders, freier, selbstständiger. Aber was bleibt, das ist die Liebe – die Liebe des Kindes zur Mutter, die Liebe auch des Christen zur Mutter des Herrn!

Früher war es vielfach so, dass Litaneien, Novenen, Andachten und alle möglichen Mariengebete verrichtet wurden. Das schafft man heute oft einfach nicht mehr. Darum gilt: Wenn man das große Einmaleins nicht mehr kann, muss man halt wieder beim kleinen Einmaleins anfangen. Zu den Grundformen der Marienverehrung, die man auch heute noch – auch in der Familie – üben kann, gehören zum Beispiel das Bild, das Stoßgebet, die Wallfahrt.

Wenn in unseren Wohnungen ein gutes Marienbild hängt, das uns etwas bedeutet, dann ist schon „Maria bei uns zu Hause“, dann erinnert uns ein Blick bereits an sie, dann ist ein bewusstes Aufblicken zu ihr schon ein wortloses Gebet. Und die Kinder werden, auch wenn sie noch ganz klein sind, wissen, wo das Bild der Gottesmutter ist.

Ein Weiteres: Zu den elementarsten Formen des Gebetes gehört das „Stoßgebet“. Wir können zu Maria rufen: „Heilige Maria, bitte für uns“ oder in einer bestimmten Situation: „Maria, du Heil der Kranken“ oder „Du Mutter des guten Rates, bitte für uns“. Solche Stoßgebete sind wie Funkzeichen, die uns sofort in Kontakt mit der Jungfrau und Gottesmutter Maria bringen. Und wem von uns täte nicht immer wieder dieser Kontakt mit der Mutter des Herrn und unser aller Mutter gut?

Auch Wallfahrten sind heute für viele durchaus wieder anziehend. Gerade zu Marienkirchen können wir sie neu beleben. Sicher: In der uns fremd gewordenen gelegentlichen Überschwänglichkeit ihrer alten Form sprechen sie viele, vor allem junge Menschen, oft nicht mehr an. Aber wenn wir uns als Volk Gottes auf Pilgerschaft durch die Welt wissen, dann werden wir dankbar sein für die Marienwallfahrtsorte in unserem Land, dann werden uns in der Hektik des modernen Lebens diese marianischen Gnadenstätten Oasen sein, Rastplätze auf unserer Lebenswanderschaft, Rastplätze, wo das Ausruhen bei der Mutter Christi erquickt, Rastplätze, wo der Herr auf Fürbitte seiner Mutter Mut schenkt, weiterzugehen und die Tretmühle des Alltags durchzustehen, weil wir um seine – des Herrn – und ihre – der Mutter – Nähe wissen.

Das Rosenkranzgebet – eine eminent moderne Meditationsweise

Sollten wir heute, wo alle Welt aus echtem Bedürfnis und innerster Not nach Meditation schreit, heute, wo Yoga-, Zen- und Transzendentale Meditationsschulen wie Pilze aus dem Boden schießen, sollten wir uns da nicht daran erinnern, dass das leider oft stiefmütterlich behandelte Rosenkranzgebet neben all seinen anderen segensreichen Wirkungen, dass also der Rosenkranz mit seinem rhythmischen Beten eine eminent moderne Meditationsweise sein kann? Unser kleines, oft so begrenztes und unter den verschiedensten Zwängen stehendes Leben kann durch die Bildmeditation des Rosenkranzes beruhigender, reicher und froher werden. Und wir werden dann in der Begleitung Marias auch Christus leichter finden. Denn das ist ja der Sinn echter Marienverehrung: durch Maria zu Jesus. Wahre Marienverehrung wächst über sich selbst hinaus zu Christus hin. Maria führt zu ihrem göttlichen Sohn, sie verweist auf Christus, den Herrn – so wie sie den Dienern auf der Hochzeit zu Kana sagte: „Tut, was er – was Jesus – euch sagen wird!“

Neuevangelisierung verlangt Aufmerksamkeit für die Welt

Ein zweites Wort Marias im Evangelium kann uns den vollen Gehalt unserer Marienverehrung aufzeigen, das schlichte Wort der Mutter des Herrn: „Sie haben keinen Wein mehr“. Ein ganz kurzer Satz. So ist Maria. Schlicht, bescheiden, sie bleibt im Hintergrund. Aber was sie sagt, kommt aus einer großen Tiefe. „Sie haben keinen Wein“ – vielleicht war sie die Einzige, die es bemerkt hat.

Es gibt eine Art von Frömmigkeit, die einem die Augen für das Leben, für die anderen verschließt. Maria hat diese Frömmigkeit nicht. Ihre innige Beziehung zu Gott gibt ihr gerade auch ein Auge für die Welt. Man könnte denken, dass es doch eigentlich um andere Dinge geht als um den Wein bei einer Hochzeit, dass Jesus für etwas anderes in die Welt gekommen ist und dass seiner Mutter andere Dinge am Herzen liegen sollten. Aber das ist uns zum Beispiel gegeben. Wie oft will ein junger Mensch die gesamte Gesellschaft erneuern, doch dass seine Eltern traurig sind, weil er so selten bei ihnen ist, das merkt er nicht. Oder dass er sich selbst die Schuhe putzen und das Bett machen könnte, das kommt ihm nicht in den Sinn.

 „Sie haben keinen Wein mehr!“ Im Blick auf dieses Wort, auf diesen Hinweis der Gottesmutter kann auch jede und jeder von uns sich ein Beispiel nehmen: kann er ein Mensch sein, der sieht, so einer ihn braucht, wo Hilfe nottut. Dazu muss ich nicht krampfhaft suchen. Es genügt, wie Maria zu sein: ein Herz zu haben für das, was arm, was klein ist, was leidet, und dann wird es mir schon von selbst in die Augen fallen, was ich tun kann. Unsere Zeit braucht Christen, die von dieser Gesinnung Marias erfüllt sind, von der Haltung des Daseins für die anderen. Marienverehrung ohne eine solche Nachahmung der Gottesmutter verdient diesen Namen nicht.

Als Nachahmerinnen und Nachahmer Marias unterscheiden wir uns zunächst von den anderen Menschen nicht dadurch, dass wir etwas anderes tun, sondern dadurch, dass wir alles, was wir tun, anders tun, nämlich in der Haltung des Bereitseins für den anderen, in der Gesinnung der Liebe. „Du bist gehalten, das Evangelium über die Dächer zu schreien, nicht jedoch mit deinem Wort, sondern mit dem Leben“, sagt Charles de Foucauld, der Gründer der „Kleinen Brüder Jesu“. Der moderne Mensch hat ein feines Gespür für dieses Zeugnis des Lebens. Eine schlichte Tat des Helfens und Verstehens kann der entscheidende Anstoß dafür werden, einem Zweifelnden zum Glauben, zum Christsein zu verhelfen. Ehrliches Interesse an den Sorgen der Arbeitskollegen, Vertretung anderer in ihren gerechten Ansprüchen, Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt ein Schuss Optimismus und Humor sind Formen des Daseins für andere, die selten ihre Wirkung verfehlen. Das hat auch bereits etwas zu tun mit der dringend gebotenen „Neuevangelisierung“, d.h. mit der Weitergabe des Glaubens, mit missionarischem Christsein.

Die Fürsprache Mariens: Wir können es Gott sagen!

Einige Dinge, die wir sehen, können wir selbst ändern. Die meisten nicht. Wir erfahren das immer wieder: Es gibt große und schwere Probleme, vor denen wir einfach hilflos dastehen, z.B. Eltern, die meinten, ihre Kinder recht erzogen zu haben, und nun geraten diese unter einen anderen Einfluss, gehen andere Wege – was sollen Eltern da tun? Sie vermögen oft wohl nicht mehr viel zu tun. Doch an Maria sehen wir, was sie noch tun können: Gott darauf aufmerksam machen. Für ihn gibt es keine ausweglosen Situationen. Wie oft sind wir versucht zu sagen: „Da kann man nichts machen!“ Doch wir können etwas tun: es Gott sagen. Er kann helfen, wenn unser Vertrauen nicht kurzatmig ist. Er wird auf die Fürbitte Marias hin helfen – selbst wenn es so ist, wie Abbé Pierre schreibt: „Gott hilft immer – nur oft mit einer Viertelstunde Verspätung, damit wir zeigen können, wie weit unser Glaube reicht.“ Sollten wir da nicht etwas „abschauen“ vom tapferen Glauben Marias – vom „langen Atem“ ihres Glaubens?

Mit Maria Freude, Hoffnung und Mut wecken

Es ist schön, dass Maria um Wein bittet, dass Jesus bei seinem ersten Wunder gerade Wein schenkt. Es geht hier eigentlich nicht um eine Not. Was Maria erbittet, ist im Grunde nicht notwendig. Aber es ist etwas Schönes. Der Wein gehört zum Fest. Es geht um die Freude. Vielleicht mag uns damit gesagt sein, dass wir entdecken sollen, wo Freude fehlt, und dass wir Freude schenken. Wir alle wissen doch, wie viel Freudlosigkeit, Enttäuschung und Resignation es in unserer Umgebung gibt – oft unter der Maske der Überlegenheit und der Kaltschnäuzigkeit. „Sie haben keinen Wein mehr“ – das bedeutet für uns: Schau wie Maria, wo Freude fehlt, und bringe sie! Ich meine, es dürfe wohl nun niemand sagen: Ja, bei Maria, da war das eben alles anders – die Umwelt, ihre einmalige Begnadung usw. Nein: Maria lebte unter den Menschen und teilte das Leben des einfachen Volkes. Sie war Mutter und Hausfrau wie alle anderen Mütter und Hausfrauen. Sie verbrachte ihr Leben – wie das Konzil sagt – „wie jede andere … voll von Sorge um die Familie und voll von Arbeit“ (Ap. actuos., 4).

Aber Maria war Christusbringerin, Freudenbringerin, nicht nur damals im Stall zu Bethlehem, sondern alle Tage ihres Lebens. Wie Elisabeth beim Besuch Marias frohlocken durfte: „Heute ist mir Heil widerfahren!“, so müssten es auch die Menschen spüren, wenn sie uns begegnen, wenigstens dann und wann. „Heute ist mir Heil widerfahren. Heute ist mir ein Christ begegnet, der mir Freude, Hoffnung und Mut weckte, mitten in dieser Welt“ – in dieser unserer Welt, in der uns Maria Wegbegleiterin ist, Wegbegleiterin hin zu ihrem göttlichen Sohn Jesus Christus, Wegbegleiterin hin zur Vollendung unseres Lebens.

Schlüssel zum inneren Glück

Maria bereitet uns den Weg

Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff ist bekannt durch seine zahlreichen Schriften über das sog. „Ruhegebet“, das Gebet der Hingabe. Nun hat er ein Buch veröffentlicht, in dem er die Welt, die sich dem Menschen durch das Ruhegebet erschließt, im Licht des Geheimnisses Mariens beleuchtet. Es trägt den Titel: „Maria bereitet uns den Weg“. In diesen „Biblischen Meditationen über die Mutter Gottes“ werden wir eingeladen, „uns nicht nur im Glauben an Maria zu orientieren, sondern uns auch von ihr auf unserem Lebensweg anleiten und führen zu lassen. Sie bereitet uns den Weg durch dieses Leben zu unserer endgültigen Bestimmung, dem ewigen Leben.“

Von Peter Dyckhoff

Tod und Leben symbolisiert der Apfel: Reif, heil und rund gilt er als Symbol der Unsterblichkeit; der angebissene Apfel dagegen steht als Symbol der Sünde und des Todes. Der angebissene Apfel ist Attribut Evas und der Schlange. Dagegen ist der Apfel in der Hand Marias oder des Jesuskindes das Symbol der durch Christus besiegten Erbsünde. So kennzeichnet der Apfel Maria als neue Eva und das Kind als zukünftigen Erlöser von Sünde und Tod. Durch das Ja Marias wurde die göttliche Ordnung wiederhergestellt und die Menschwerdung Gottes eingeleitet. Im neuen und ewigen Bund hat Gott sich für immer mit uns durch seinen Sohn versöhnt.

Gipfel paradiesischer Erfahrung

Doch wie war es vorher? Der Mensch lebte als Ebenbild Gottes in der Wahrheit seines Geschöpfseins wie ein Kind in der Sphäre der Liebe – verankert im Urgrund Liebe. Ohne das Wissen um etwas Böses und eingetaucht in den Glanz des Du, atmete der Mensch die Gegenwart Gottes, geschaffen, um geliebt zu werden und wiederzulieben. Für den Menschen bedeutete die Gottesbegegnung das Aufleuchten des göttlichen Antlitzes, den Gipfel paradiesischer Erfahrung. Der Baum der Erkenntnis und seine Früchte sind Symbol für den Verzicht auf den Zugriff des Menschen. Der göttliche Vorbehalt sagt, dass die Freiheit nur auf einer letzten Gebundenheit gelebt werden kann. Gott prüft das Urvertrauen des Menschen, dass er auch da Gott vertraut, wo der Mensch in die Vorsehung Gottes kein Einsehen hat.

Eva und die Schlange

Die versucherische Situation trat in dem Augenblick an den Menschen heran, als er allein war. Von der Faszination des Angebotes geblendet, wie Gott sein zu können, erlag der Mensch der Versuchung. Anstatt die einzige Begrenzung, die Gott zwischen sich und dem Geschöpf errichtet hatte, in Geduld und Demut anzunehmen, gingen dem Menschen durch seinen Ungehorsam im Äußeren zwar die Augen auf, im Inneren jedoch erblindete er. Um der widergöttlichen Kraft nicht zu erliegen, hätte der Mensch zu seinem Mitmenschen gehen sollen, denn der Mensch ist dem Menschen zur Hilfe gegeben. Einer sah im anderen den Glanz seines Ursprungs und schaute somit Gott im menschlichen Gegenüber. Der Versucher wäre mit seinem Vorhaben gescheitert, wenn der zweite Mensch als von Gott erfüllt und Gott ausstrahlend hinzugekommen wäre. Doch er bleibt allein und greift aus Egoismus zu, anstatt abzuwarten, um beschenkt zu werden. Er lässt die fremde Stimme in sich ein, und nach dem Zugriff isst er für sich allein, ohne einen liebenden Bezug zum Du des Nächsten aufzunehmen. Indem die Rollen von Du und Ich vertauscht werden, hat bereits die Ich- und Diesseitswelt begonnen. Wenn einer aus dem Paradies tritt, ist das Paradies auch für den anderen dahin, weil die zu Gott ziehende Hilfe des Ebenbildes fehlt. Im Glanz der Selbstherrlichkeit wird der Sog von unten immer stärker, von dorther also, woher die widergöttliche Weisung kommt.

Seither bleibt dem Menschen nur eine bestimmte Lebensfrist, die vom Tod beendet wird. Doch der Mensch steht weiter unter dem rettenden Anruf Gottes und hat zu jeder Zeit die Chance der Umkehr. Nach dem Sündenfall strömt die Liebe, die jemand schenkt, nicht einzig und allein mehr aus dem Heiligen Geist, sondern durch verborgene Ich-Liebe mischt sich die Erwartung ein, für alles Dank und Gegenleistung zu bekommen. Oft dominieren sogar die Ego-Mächte, die in Besitz nehmen wollen und den anderen zwingen, unten zu sein. Infolge der Machtausübung und der Verklammerung an das Unten kann sich keine selbstlose Liebe mehr schenken, und wahre Hingabe an den anderen ist nicht mehr möglich, denn der Mensch findet nur im Strahlenbereich des Du sein eigenes Ich.

Maria am Beginn des Christusereignisses

Jesus Christus kommt durch das Ja eines Menschen in die Welt – uns in allem gleich, außer der Sünde (Hebräer 4,15). Er siegt über den Sog von unten und damit auch über den Tod. Durch Christus können wir uns wieder in liebendem Vertrauen auf Gott ausrichten und durch den neuen und ewigen Bund Gottes Entgegenkommen und seine Gegenwart empfangen.

Am Beginn des Christusereignisses steht Maria (vgl. Lukas 1,26-38). Der Engel Gabriel verkündet Maria die Geburt Jesu. Gott wendet sich dem Menschen zu und fragt, ob er durch ihn Mensch werden kann. Dieser Bericht aus dem Neuen Testament ist der schönste und dichteste Dialog des sich offenbarenden Gottes mit einem gläubigen Menschen. Bei Maria gibt es kein Ringen eines verdunkelten Herzens mit dem göttlichen Licht der Gnade, kein Zweifeln, kein Erschrecken, keine Trauer und kein Missverstehen.

Als der Engel jedoch dem Zacharias erscheint, um ihm die Geburt des Täufers zu verkünden, überfällt diesen große Furcht. Als Zacharias ihn sah, erschrak er und es befiel ihn Furcht. Der Engel aber sagte zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias! (Lukas 1,12-13). Wenn plötzlich und unerwartet in einem Engel das Licht Gottes erscheint, werden die meisten Menschen vor Erschrecken und Furcht fassungslos zurückweichen. …

Bei Maria ist es nicht so. Bei ihr geht dem Gespräch mit dem Erzengel Gabriel kein Ringen des göttlichen Lichtes mit der Verdunkelung eines Herzens voraus. Der Dialog bewegt sich auf der Ebene reiner Gnade. Der Engel spricht Maria an mit den Worten: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir (Lukas 1,28).

In dem Gespräch mit dem Engel und damit mit Gott, findet das göttliche Wort und das göttliche Handeln nicht den geringsten Widerstand. Alles geschieht von Gott her auf der Ebene des Heiligen Geistes und vom Menschen her auf der reinen Ebene des Glaubens. Maria lebt im Aufschauen auf Gott aus einer einzigartigen Glaubenstiefe und Reinheit, so dass keine Furcht bei ihr aufkommt. Sie ist sensibel und offen für das Wort Gottes und seine göttliche Eingebung, für Offenbarung in Wort und Geschehen. In der Antwort Marias: Mir geschehe, wie du es gesagt hast (Lukas 1,38), wird deutlich, wie der vollkommene Gleichklang zwischen Gott und dem Menschen gelingt.

Gott spricht jeden Menschen an

Gott möchte jeden Menschen in der Tiefe seiner Seele ansprechen und durch ihn neu in die Welt hineinkommen. Nach dem Gruß sagt der Engel: Der Herr ist mit dir (Lukas 1,28). Darf nicht jeder von uns dieses Wort auf sich selbst beziehen? Gott ist im Menschen anwesend, aber gleichzeitig auch in dem Wort, das er zu uns spricht. Um Glaubenstiefe zu erreichen und die Gegenwart Gottes in uns leibhaftig zu spüren, ist eines notwendig: Wir müssen den Weg frei machen, damit die Ebene meiner Seele, auf der Gott in mir ist, mit dem Wort, das Gott zu mir spricht, in Beziehung treten kann. Es geht einzig und allein darum, dass wir der Bewegung der Gnade, durch die „Gott ist in mir“ und „Gott ist im Wort“ eins werden kann, keine Hindernisse in den Weg stellen.

Im ersten Augenblick, als der Engel sie anspricht, findet Maria keine Worte, sondern sinnt nach, was das Wort bedeutet. Im Nachsinnen jedoch bleibt sie offen für den Fortgang des Dialogs. Doch dann nimmt sie das Wort schweigend auf und lässt sich hingebend darauf ein. Indem sie sich dem Wort Gottes ganz und gar ausliefert, kann das Wort sein Ziel erreichen.

Durch den Engel spricht Gott Maria mit ihrem Namen an. Er möchte eine freie persönliche Antwort von ihr und lässt ihr Zeit, indem er weiter spricht: Du hast bei Gott Gnade gefunden (Lukas 1,30). Durch den Engel kündigt sich Gott selbst als Mensch an. Die damit verbundene Frage geht nicht nur an Maria, sondern an jeden Menschen, mit dem Gott ins Gespräch tritt. Die Zuwendung Gottes geschieht meist in Situationen, in denen wir einen Anspruch Gottes nicht für möglich halten. So ereignet sich das Unglaubliche im Unscheinbaren, in der Routine und in der Grauzone unseres Alltags. Gott teilt sich uns dann mit, wenn wir am wenigsten damit rechnen und uns nicht auf ihn eingestellt haben. In seinem Anspruch an uns weist Gott uns auf etwas hin, das wir nicht für möglich halten. …

Damit Gott durch den Menschen Mensch werden kann, muss der Mensch sich mit all seinen Möglichkeiten Gott ganz zur Verfügung stellen. Das göttliche Wort, das immer neu an uns ergeht, bleibt so lange Verheißung, bis es vom Menschen angenommen und bejaht wird, durch sein gesamtes menschliches Wesen hindurchgeht und leibhaftig wird. Erst jetzt sind Wort und göttliche Wirklichkeit in uns zu einer umfassenden Einheit geworden, die uns trägt, uns vor allem Bösen schützt, die Reinheit unserer Seele bewahrt und uns zum ewigen Leben führt. Wenn das göttliche Wort, das immer wieder neu an jeden ergeht, angenommen und zugelassen wird, gibt es für uns Aufbrüche in nie geahnte Dimensionen der Freude, des inneren Glücks und der Seligkeit. …

Gott räumt Maria und damit auch uns das letzte Wort ein. So tief neigt sich der Schöpfer vor seinem Geschöpf, so viel Ehrfurcht hat er vor dem Menschen, dass Gott uns nicht bevormundet, sondern auf unser letztes Wort wartet. Hat sich der Mensch für Gott entschieden, so wachsen das Wort Gottes und die Antwort des Menschen immer mehr zusammen, bis der Wille Gottes in unserem Leben transparent wird. Zur gleichen Zeit geben wir dem Wort Gottes in uns Raum, so dass Gott durch den Menschen Mensch werden kann.

Wie wunderbar ist es zu entdecken, dass sich die Wirklichkeit Gottes beim Menschen kundtut, Gott uns anspricht und für jeden von uns ein Wort hat. Diese Wirklichkeit bietet sich uns im Vorübergehen; im Banalen und Zufälligen werden wir von Gott angesprochen. In allem, was uns begegnet, sind Lebenszeichen Gottes verborgen, die es heißt zu erkennen und in uns aufzunehmen. Durch das Gebet der Hingabe oder auch Ruhegebet genannt, wird es uns möglich, uns auf das Wort Gottes hin loszulassen und uns vertrauend in ihn hineinfallen zu lassen. Er wird das von uns nehmen, was nicht zu uns gehört, und uns eine Gabe schenken, die uns in dieser Welt und Zeit zu der Aufgabe wird, zu der wir von Gott berufen sind.

Aktueller Beitrag zur Heiligsprechung

Die Theologie des Leibes von JPII

Theologie des Leibes von Papst Johannes Paul II.

Rechtzeitig zur Heiligsprechung konnte Pfarrer Thomas Maria Rimmel seine Doktorarbeit über die „Theologie des Leibes“ von Papst Johannes Paul II. veröffentlichen. Er hat eine umfangreiche Studie über das Denken Karol Wojtylas von seinen Anfängen bis zu dessen Lehrverkündigung als Papst vorgelegt. Sie stellt einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung des Erbes Johannes Pauls II. dar.

Von Erich Maria Fink

Aktuelle Auseinandersetzungen um die Sexualmoral

Nicht nur von außen wird die katholische Kirche wegen ihrer Sexualmoral bedrängt. Auch innerkirchlich wird ihre eindeutige Lehre heftig kritisiert und als längst überholt abgetan. Das Lehramt der katholischen Kirche müsse endlich seine Haltung gegenüber der menschlichen Sexualität ändern, so heißt es, wenn es in unserer Zeit die Menschen überhaupt noch erreichen wolle. Vor allem wird verlangt, dass die Kirche von ihrer „undifferenzierten“ Forderung nach vorehelicher Enthaltsamkeit abrückt, ebenso von ihrem unnachgiebigen Festhalten an der Unauflöslichkeit der Ehe und von ihrer uneingeschränkten Ablehnung der künstlichen Empfängnisverhütung sowie der Abtreibung auch in besonderen Notsituationen. Gleichzeitig wird die Zölibatsverpflichtung für Priester im lateinischen Ritus in Frage gestellt. Sogar Bischöfe versuchten in jüngster Zeit, solchen Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Johannes Paul II. hat die Lehre der Kirche in all diesen Fragen bis zuletzt kompromisslos verteidigt. Seine klare Überzeugung schöpfte er aus dem christlichen Menschenbild, dem er sein ganzes Leben lang nachgegangen war und dem er seine Schaffenskraft bis zu seinem Tod gewidmet hatte. Besonders in der Auseinandersetzung mit der marxistisch-kommunistischen Auffassung vom Menschen schärfte er sein Verständnis für Freiheit und Selbstbestimmung, für personale Selbstverwirklichung durch selbstlose Liebe und Hingabe, für wahre innere Erfüllung, die jede oberflächliche und flüchtige Befriedigung übersteigt. In seiner Doktorarbeit entfaltet Thomas Maria Rimmel die philosophischen und moraltheologischen Grundlagen der Anthropologie, die Karol Wojtyla schon vor seiner Wahl zum Papst entwickelt hat. Wie Rimmel zeigt, basiert auch die gesamte Lehrverkündigung Johannes Pauls II. auf diesem Fundament. Seine „Theologie des Leibes“ bildet in diesem Sinn eine einzigartige Einordnung der menschlichen Sexualität in die christliche Anthropologie.

Würde des ehelichen Aktes

Mit seinem Ansatz gelingt es Johannes Paul II., die Leiblichkeit des Menschen als Mann und Frau in einem grundsätzlich positiven, ja göttlichen Licht darzustellen. Einerseits sieht er in der ehelichen Vereinigung, insofern sie als Ausdruck gegenseitiger personaler Hingabe vollzogen wird, ein Abbild Gottes und seines innertrinitarischen Lebens. Anderseits misst er der Zeichenhaftigkeit des ehelichen Akts eine sakramentale Bedeutung bei. Durch die erbsündliche Neigung des Menschen zur Begierde und egoistischen Befriedigung ist die gnadenvermittelnde Funktion der geschlechtlichen Vereinigung zwar entscheidend eingeschränkt, jedoch hat sie ihre sakramentale Wirkung nie ganz verloren. Besonders im Ehesakrament wird sie wieder zu einem Weg des Heils erhoben, der die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen bzw. zwischen Christus und seiner Kirche offenbart und erlösende Gnade in die Welt bringt. Es ist ein bleibendes Verdienst Johannes Pauls II., dass er auf diese Weise dem ehelichen Akt eine grundsätzliche Würde zuerkennt und ihn sogar in göttlichem Licht erscheinen lässt.

Umgekehrt aber zeigt Johannes Paul II. damit auch die Notwendigkeit auf, jede Art von ungeordneter Begehrlichkeit im geschlechtlichen Leben zu überwinden. Er betont, dass die Forderung nach Selbstbeherrschung und die Bejahung der Geschlechtlichkeit einander nicht widersprechen. Vielmehr bedingen sich beide Haltungen gegenseitig; denn nur wer seinen Geschlechtstrieb und sein Verlangen nach Lust der selbstlosen Liebe unterordnen kann, vermag beim ehelichen Akt das Wohl seines Gegenübers zu suchen und sich in wahrer Weise hinzugeben. Thomas Maria Rimmel arbeitet heraus, dass in diesem Sinn die „Theologie des Leibes“ bei Johannes Paul II. auf die sog. „Erlösung des Leibes“ als deren Herzmitte hinzielt. Der Leib wird auf dem Weg der Reinigung von egoistischer Begehrlichkeit „erlöst“. Die Erlösungsgnade, die uns Christus anbietet, muss als Frucht insbesondere die Befähigung zur wahren Hingabe hervorbringen. Die christliche Botschaft mit ihren Idealen und Verheißungen bildet nach Johannes Paul II. im Licht der so verstandenen „Erlösung des Leibes“ letztlich ein harmonisches Ganzes.

Universaler Anspruch der Menschenrechte

Die heutige Moraltheologie leidet vor allem darunter, dass die Möglichkeit einer Begründung objektiver Normen von Grund auf in Frage gestellt wird. Solange man die Gebote nur als Willensäußerung Gottes betrachtet, ist deren Begründung vom Glauben abhängig. Aber schon im Alten Testament wird der Blick auf die Natur des Menschen gelenkt. Gott selbst spricht in seiner Offenbarung davon, dass seine Gebote nicht nur von außen auf den Menschen zukommen, sondern dass sie jeder in seinem Herzen finden kann (vgl. Dtn 30,11-14). Von daher betont die kirchliche Lehre, dass es ein menschliches Wesen gibt, das allen gemeinsam ist, also eine menschliche Natur, wie vor allem Papst Benedikt XVI. betont hat, aus der sich die Verhaltensnormen ableiten lassen. Und damit gibt es moralische Gesetze, die für alle Menschen unabhängig von Kultur oder Glaube verpflichtend sind.

Papst Johannes Paul II. hat als entscheidenden Wert, der alle Menschen in Pflicht nimmt, die unveräußerliche Würde der menschlichen Person und die damit verbundenen Rechte herausgestellt. Dafür hat er bis ins Tiefste analysiert, was den Menschen als Person ausmacht und wie er sich als menschliche Person verwirklicht. Immer ging er von der Erfahrung aus, die jeder Mensch mit sich selber machen kann. Als moralisch gut definiert er dabei, was der Mensch als wahre Bereicherung seines Herzens, seines inneren Wesenskerns erfährt, als moralisch schlecht dagegen, was zu einem Verlust an Erfüllung führt. Johannes Paul II. nennt diesen Ansatz „autoteleologisch“, d. h. der Mensch ist sich dabei „selbst das Ziel“. Wenn er Böses tut, wird er ärmer, wenn er Gutes tut, nimmt seine personale Erfüllung zu. Rimmel zeichnet in seiner Arbeit den Weg nach, auf dem Papst Johannes Paul II. auch die objektive Gültigkeit der Sexuallehre der Kirche nachzuweisen versucht. Im Ergebnis stellt Johannes Paul II. sogar fest, dass jeder Mensch, wenn er ehrlich zu sich selber ist, mit seiner eigenen Erfahrung nachvollziehen und verifizieren kann, warum die Aussagen der viel umstrittenen Enzyklika „Humanae vitae“ über die menschliche Liebe den wahren Weg aufzeigen und objektive Gültigkeit besitzen.

Biografischer Hintergrund des Denkens Johannes Pauls II.

Verschiedene biografische Hintergründe eröffneten Karol Wojtyla den Zugang zur „Theologie des Leibes“. Einmal sind es die Leiden unter dem nationalsozialistischen und später kommunistischen System in Polen, die in ihm einen besonderen Sinn für Freiheit und Menschwürde wachgerufen haben, zum anderen sind es sein Engagement im Theater und die Auseinandersetzung mit Dichtung und Kunst. Was dadurch in seinem Herzen noch vor seiner Berufung zum Priestertum aufgebrochen war, fand eine providentielle Vertiefung durch die pastorale Begleitung Jugendlicher sowie junger Ehepaare und Familien. Seine Überlegungen fasste er in dem Buch „Liebe und Verantwortung“ zusammen. Von da aus suchte er nach einer philosophischen Grundlegung seiner Entdeckungen. Auf der Ebene der Erfahrung entwickelte er so eine christliche Anthropologie, die als „Personalismus“ bezeichnet wird. Denn nicht mehr die Unterscheidung von Seele und Körper war der Ausgangspunkt seiner Überlegungen, sondern das Herausschälen dessen, was den Menschen in seiner leiblich-seelischen Einheit als Person ausmacht. Das Ergebnis stellte er in seinem Hauptwerk „Person und Tat“ vor. Viele Begriffe hatte er neu definiert oder eingeführt, um Zusammenhänge auszudrücken, wie z.B. den für ihn zentralen Begriff der „Subjektivität“ der Person. Damit erfasste er eben den Wesenskern, das Herz, den inneren Reichtum der Person, den jeder selbst in sich wahrnehmen kann. Diese philosophische Anthropologie bot ihm schließlich die Möglichkeit, theologische Inhalte neu zu formulieren und in einem völlig neuen Licht aufleuchten zu lassen. Dies geschah in einem Katechese-Zyklus über Mann und Frau, den er bereits in Polen vorbereitet hatte und nach seiner Wahl zum Papst in den ersten Jahren seines Pontifikats Woche für Woche vortrug.

Die Bedeutung des Leibes für die Erlösung der Welt

So gliedert Rimmel seine Arbeit in drei Teile. Der erste ist vornehmlich der philosophischen Anthropologie gewidmet, wie sie in „Person und Tat“ enthalten ist. Der zweite beschäftigt sich mit den Katechesen und arbeitet das theologische Verständnis der menschlichen Liebe im Licht der biblischen Offenbarung heraus, das von Johannes Paul II. selbst als „Theologie des Leibes“ bezeichnet worden ist. Diese theologische Betrachtung mündet in eine Abhandlung über den Plan der Erlösung ein, wie wir ihn im Licht des Glaubens erkennen können. So geht es im dritten Teil der Arbeit Rimmels darum, wie Gott den geoffenbarten Erlösungsplan für die gesamte Menschheit auf sakramentale, d.h. leiblich-geistige Weise verwirklicht. Höhepunkt der „Theologie des Leibes“ bei Johannes Paul II. ist eben die Erkenntnis, dass die leibliche Vereinigung von Mann und Frau als tiefster sinnlich wahrnehmbarer Ausdruck des dreifaltigen Wesens Gottes und im weiteren Sinn als Ursakrament der Schöpfung und auch der Erlösung gesehen werden kann. Rimmel weist nach, dass die „Theologie des Leibes“ mehr eine kosmische Soteriologie, also eine Lehre von der Erlösung der Menschheit, als eine Sexualmoral darstellt. Zum Thema „Theologie des Leibes“ gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, deren Autoren die Morallehre der Kirche ernst nehmen und bei Johannes Paul II. konkrete Anleitungen für ein sittlich verantwortbares Sexualleben suchen. Rimmel, der die eigentliche Absicht der Betrachtungen Johannes Pauls II. herausarbeitet, zeigt damit auch die Grenzen solcher Versuche auf. Seine Dissertation kann eine Hilfe sein, die Aussagen Johannes Pauls II. richtig einzuordnen und keine Überinterpretation hinsichtlich konkreter Handlungsanweisungen auf dem Gebiet der Geschlechtlichkeit vorzunehmen.

Im Gleichklang mit Johannes Paul II.

Benedikt XVI. über Gottes Barmherzigkeit

Wie Professor Dr. Jan Machniak zeigt, hat sich Papst Benedikt XVI. in seiner Lehrverkündung über die Barmherzigkeit Gottes sehr eng an seinen Vorgänger angelehnt. In völligem Gleichklang mit Johannes Paul II. sah Benedikt in der Verehrung des göttlichen Erbarmens nicht etwa eine zweitrangige Frömmigkeitspraxis, sondern eine wesentliche Dimension des christlichen Glaubens. Immer wieder zitierte er Aussagen seines Vorgängers, wenn er über die Göttliche Barmherzigkeit sprach. Ohne Scheu bestätigte er, dass der Papst aus Polen die Verheißungen des Barmherzigen Jesus an die hl. Schwester Faustyna Kowalska als Schlüssel für das Verständnis der heutigen Zeit betrachtete und aus ihnen seine Vision der Hoffnung ableitete. Nachfolgend der Schlussteil eines Vortrags, den Professor Machniak am 30. November 2013 bei einem Kongress über die Göttliche Barmherzigkeit in Paderborn gehalten hat.

Von Jan Machniak

Verehrung des göttlichen Erbarmens – Zusammenfassung des Lehramts Johannes Pauls II.

Der emeritierte Heilige Vater Benedikt XVI. ist in seinen Aussagen zum Thema Göttliche Barmherzigkeit seinem Vorgänger treu und betont, dass Barmherzigkeit der Schlüssel zum Verständnis des Geheimnisses Gottes ist, der in der Welt gegenwärtig ist. Man könne das Pontifikat von Johannes Paul II. nicht verstehen ohne Bezug zu dessen persönlichen Barmherzigkeitserfahrungen. Beim Angelusgebet am 23. April 2006 sagte Benedikt XVI.: „Wir erinnern uns insbesondere an die Enzyklika Dives in misericordia aus dem Jahre 1980 und an die Weihe des neuen Heiligtums der Göttlichen Barmherzigkeit in Krakau im Jahre 2002. Die Worte, die er bei dieser Gelegenheit sprach, waren gleichsam eine Zusammenfassung seines Lehramtes: Er hob hervor, dass die Verehrung des göttlichen Erbarmens keine zweitrangige Frömmigkeitspraxis, sondern eine wesentliche Dimension des Glaubens und des Gebets des Christen ist.“

Visionen Sr. Faustynas – vergleichbar mit den Erscheinungen des Auferstandenen im Abendmahlsaal

Benedikt XVI. sprach davon, dass die Erscheinungen Christi, wie er sich seinen Jüngern im Abendmahlsaal am Tag der Auferstehung und acht Tage danach zeigte, mit der Vision, die Sr. Faustyna hatte, vergleichbar sind. Der barmherzige Jesus hatte in ihren Visionen Wunden an Händen, Füßen und der Seite wie Christus am Tag der Auferstehung (vgl. Joh 20,20.27). Aus seiner Seite gehen Strahlen hervor, die die Sakramente symbolisieren, die aus der Seite des Erlösers hervorgehen. An den Diener Gottes Johannes Paul II. erinnernd, sagte Papst Benedikt XVI., dass sein Vorgänger wünschte, dass die Frömmigkeit zur Göttlichen Barmherzigkeit keine zweitrangige Praktik sei, sondern eine wesentliche Dimension des Glaubens der Christen (Regina coeli, 23.04.2006).

Botschaft der Göttlichen Barmherzigkeit – Antwort Gottes auf alle Tragödien der Menschheit im 20. Jahrhundert

 In der Predigt zum 2. Ostersonntag, am 15. April 2007, berief sich Papst Benedikt XVI. auf seinen Vorgänger Johannes Paul II., der im Wort Barmherzigkeit die Zusammenfassung des ganzen Geheimnisses der Erlösung sah. Für Johannes Paul II. wurde die Barmherzigkeit Gottes die Antwort Gottes auf alle Tragödien, die die Menschheit im 20. Jahrhundert trafen, und gleichzeitig ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft: „In dem Wort Barmherzigkeit fand er das ganze Erlösungsgeheimnis zusammengefasst und für unsere Zeit neu ausgelegt. Er hat in zwei Diktaturen, in der Begegnung mit Armut, Not und Gewalt die Macht der Finsternis tief erfahren, von der die Welt gerade auch in dieser Stunde bedrängt ist. Aber er hat nicht weniger tief erfahren, dass Gott mit seiner ganz anderen, göttlichen Macht all diesen Gewalten entgegentritt: mit der Macht seines Erbarmens. Sie ist es, die dem Bösen eine Schranke setzt. In ihr drückt sich das ganz eigene Wesen Gottes aus – seine Heiligkeit, die Macht der Wahrheit und der Liebe“ (Predigt, 15.04.2007). Benedikt ermutigt die Gläubigen, wie der Diener Gottes der Göttlichen Barmherzigkeit zu vertrauen und sie als Kleid aus Licht anzunehmen, wie die Christen es in der Taufe erhalten. Dieses Licht erlischt nie und ist Zeichen der Hoffnung für die ganze Welt.

Einzige Quelle der Hoffnung – Sieg der allmächtigen Liebe Gottes über die Vorherrschaft des Bösen

Aus Anlass des Weltkongresses über die Göttliche Barmherzigkeit erinnerte Papst Benedikt XVI. am 2. April 2008 noch einmal daran, dass die Botschaft von der Göttlichen Barmherzigkeit das ganze Pontifikat von Johannes Paul II. gekennzeichnet hatte. Die Barmherzigkeit ist die Antwort Gottes auf die Tragödien, die die ganze Menschheit in der letzten Zeit getroffen hatten, besonders auf das Böse, das sich im 20. Jahrhundert zeigte: „Die Antwort konnte nur in der Liebe Gottes gefunden werden. Allein die Göttliche Barmherzigkeit ist nämlich imstande, dem Bösen eine Grenze zu setzen; allein die allmächtige Liebe Gottes kann die Präpotenz der Bösen und die zerstörerische Macht des Egoismus und des Hasses besiegen. Daher sagte er während seines letzten Besuchs in Polen, als er in sein Geburtsland zurückkehrte: ,Für den Menschen [kann es] keine andere Quelle der Hoffnung als das Erbarmen Gottes geben‘ (ebd.)“ (Predigt 02.04.2008). Indem Benedikt XVI. die Mission seines Vorgängers Johannes Pauls II. fortsetzt, zeigt er die Göttliche Barmherzigkeit, die die Welt von der hl. Sr. Faustyna Kowalska gezeigt worden war, als Zeichen der Hoffnung für die Welt.

Barmherzigkeitsfest am 2. Ostersonntag – verwurzelt in der Offenbarung des Alten und Neuen Testaments

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Frömmigkeit zur Göttlichen Barmherzigkeit, wie sie von der hl. Schwester Faustyna gezeigt und von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aufgegriffen wurde, eine Erinnerung an die im Alten und Neuen Testament bekannte Wahrheit von der Göttlichen Barmherzigkeit ist, offenbart in der Heilsgeschichte, definitiv in ganzer Fülle entschleiert in Jesus Christus. Bei dieser Frömmigkeit wird davon ausgegangen, dass der Mensch sich Gott öffnet in völligem Vertrauen zum Schöpfer und ihm sein Schicksal anvertraut. Das ist eng verbunden mit den Sakramenten der Buße und der Hl. Eucharistie, in denen Christus die Größe des an Barmherzigkeit reichen Gottes zeigt. Sie umfasst spezifische Frömmigkeitsformen wie den Rosenkranz zur Göttlichen Barmherzigkeit, die Verehrung des Bildes vom Barmherzigen Jesus und die Feier des Barmherzigkeitsfestes am 2. Ostersonntag, dem so genannten „Weißen Sonntag“.

 

Die zärtlichste Seite der Liebe

Die göttliche Barmherzigkeit erreicht die Menschen durch das Herz des gekreuzigten Christus: „Sage, Meine Tochter, dass Ich ganz Liebe und Barmherzigkeit bin“, so wird Jesus Schwester Faustyna bitten (Tagebuch der Schwester Maria Faustyna Kowalska, Hauteville/Schweiz, 1990, S. 337). Diese Barmherzigkeit gießt Christus über die Menschheit durch die Sendung des Heiligen Geistes aus, der in der Dreifaltigkeit die „Person der Liebe“ darstellt. Und ist denn nicht die Barmherzigkeit ein „anderer Name“ für die Liebe (Enzyklika Dives in misericordia, Nr. 7), verstanden im Hinblick auf ihre tiefste und zärtlichste Seite, auf ihre Eigenschaft, sich um jedwede Not zu sorgen, und insbesondere in ihrer grenzenlosen Fähigkeit zur Vergebung?
Papst Johannes Paul II. am 30. April 2000

Wird die Menschheit Frieden finden?

Bei der Heiligsprechung von Sr. Maria Faustyna Kowalska am 30. April 2000 hob Papst Johannes Paul II. die historische Bedeutung der Botschaft der Göttlichen Barmherzigkeit für die ganze Menschheit hervor. Dieses Geschenk Gottes an die Welt weiterzugeben, fühlte er sich als Papst aus Polen berufen. Er betrachtete diese Sendung als Herzmitte seines Pontifikats am Beginn des dritten Jahrtausends. Ein kurzer Auszug aus seiner Predigt.

Von Papst Johannes Paul II.

Meine Freude ist fürwahr groß, der ganzen Kirche heute das Lebenszeugnis von Schwester Faustyna Kowalska gewissermaßen als Geschenk Gottes an unsere Zeit vorzustellen. Die göttliche Vorsehung hat das Leben dieser demütigen Tochter Polens ganz und gar mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden, das wir gerade hinter uns gelassen haben. So hat ihr Christus zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg seine Botschaft der Barmherzigkeit anvertraut. Diejenigen, die sich daran erinnern, weil sie Zeugen der Ereignisse jener Jahre waren und das schreckliche Leid von Millionen von Menschen miterlebten, wissen nur zu gut, wie notwendig die Botschaft von der Barmherzigkeit war.

Jesus sagte zu Schwester Faustyna: „Die Menschheit wird keinen Frieden finden, solange sie sich nicht mit Vertrauen an Meine Barmherzigkeit wendet“ (Tagebuch der Schwester Maria Faustyna Kowalska, Hauteville/Schweiz, 1990, S. 119). Durch das Werk der polnischen Ordensfrau verband sich diese Botschaft für immer mit dem 20. Jahrhundert, dem letzten des zweiten Jahrtausends und der Brücke hin zum dritten Jahrtausend. Diese Botschaft ist nicht neu, obgleich sie als ein Geschenk besonderer Erleuchtung angesehen werden kann, die uns hilft, die österliche Frohbotschaft erneut intensiv zu erleben, um sie den Männern und Frauen unserer Zeit wie einen Lichtstrahl anzubieten.

Was werden die vor uns liegenden Jahre mit sich bringen? Wie wird die Zukunft des Menschen hier auf Erden aussehen? Dies zu wissen ist uns nicht gegeben. Dennoch ist gewiss, dass neben neuen Fortschritten auch schmerzliche Erfahrungen nicht ausbleiben werden. Doch das Licht der göttlichen Barmherzigkeit, das der Herr durch das Charisma von Schwester Faustyna der Welt gleichsam zurückgeben wollte, wird den Weg der Menschen des dritten Jahrtausends erhellen.

Es ist notwendig, dass – so wie seinerzeit die Apostel – auch die Menschheit von heute im Abendmahlssaal der Geschichte den auferstandenen Christus aufnimmt, der die Wundmale seiner Kreuzigung zeigt und wiederholt: Friede sei mit euch! Die Menschheit muss sich vom Geist, den der auferstandene Christus ihr schenkt, erreichen und durchdringen lassen. Es ist der Geist, der die Wunden des Herzens heilt, der die Schranken niederreißt, die uns von Gott entfernen und die uns untereinander trennen, und der die Freude über die Liebe des Vaters und über die brüderliche Einheit zurückschenkt.

Die Heiligsprechung von Schwester Faustyna ist außerordentlich bedeutsam: durch diese Geste möchte ich heute dem neuen Jahrtausend diese Botschaft übermitteln. Ich übergebe sie allen, damit sie lernen, immer besser das wahre Antlitz Gottes und das wahre Antlitz der Brüder zu erkennen.

Es ist nämlich nicht leicht, mit einer tiefen Liebe zu lieben, die in der wahrhaftigen Gabe der eigenen Person besteht. Diese Liebe erlernt man allein in der Schule Gottes, durch die Wärme seiner Liebe. Indem wir unseren Blick zu ihm hinwenden und uns auf sein Vaterherz hin ausrichten, werden wir befähigt, mit anderen Augen auf die Brüder zu schauen, in einer Haltung der Selbstlosigkeit und der Anteilnahme, der Großherzigkeit und Vergebung. All dies ist Barmherzigkeit!

Aktuelle Fragen zum Wesen des Menschen

Wer zertrümmert das Goldene Kalb?

Das Goldene Kalb am Fuß des Berges Sinai war ein Zeichen des Abfalls von Gott, der seinem Volk einen unvergleichlichen Bund angeboten hatte: „Ich nehme euch als mein Volk an und werde euer Gott sein“ (Ex 6,7). Schon in Ägypten verband er mit dieser Auserwählung große Verheißungen. Gerade noch haben die Israeliten seine befreiende Hand erlebt, da schlagen sie seine Gaben in den Wind. An die Stelle des Weges mit Gott tritt ein irdischer Ersatz, der zwar glänzt, doch täuscht und am Ende nur enttäuschen kann. Mose hatte sofort eingegriffen, um den Bund zu retten. Mit dem Goldenen Kalb vergleicht Dr. Daniel Langhans die Erwerbstätigkeit der Frau, insofern sie auf Kosten der Familie geht, der Ehe wie der Kindererziehung. Die Verleugnung der Wesensaufgabe der Frau, wie wir sie heute erleben, ist letztlich ein Abfall von Gott. Und wir verlieren das wahre Leben.

von Daniel Langhans

Ein Smalltalk im Taxi – Seichtes, Unverfängliches. Die Worte des Fahrers beginnen sich zu verselbständigen. Da bricht es aus ihm heraus: „Meine Frau ist ausgezogen“, sagt er; „nach 27 Jahren Ehe. Sie will sich selbst verwirklichen: Nachholen, was ihr in all den Jahren gefehlt hat.“

Die Aufkündigung der Ehe geht heute überwiegend von der erwerbstätigen, „finanziell unabhängigen“ Frau aus. Allzu lange – so heißt es – seien Frauen durch ihre Männer „unterdrückt“ worden. Schon Joseph Goebbels wusste, dass sich irgendwann in den Hirnen festsetzt, was über längere Zeit durch die Schrotflinte vieler Medien verbreitet wird: Eine nicht-erwerbstätige Frau sei von ihrem Mann „finanziell abhängig“. Rein rechtlich betrachtet ist das Unsinn; denn bei steuerlicher Zusammenveranlagung gehört der Frau ja von all dem, was durch die gemeinsame Arbeit – er im Broterwerb, sie im Hintergrund – erwirtschaftet wurde, exakt die Hälfte. Besonders tückisch ist es deshalb, mit der Scheidung zu warten, bis – vom Gehalt des Mannes natürlich – das Haus abbezahlt ist…

Während in einem Bummelzug diese Zeilen entstehen, steigt eine Gruppe junger Frauen zu, auf dem Weg zur (Erwerbs-)Arbeit. Unser Heiland möge sie segnen. Was erwartet sie in ihrem Leben? Rein statistisch betrachtet, wird mehr als die Hälfte von ihnen das – es gibt kein passenderes Wort dafür: – brutale Schicksal einer Scheidung erleben. Dann begegnet mir eine Gruppe von Schulkindern: Wie viele von diesen – ja: – Wehrlosen werden bald schon von einem ihrer beiden Elternteile abgetrennt aufwachsen? In der Regel ist es dann der Vater, den sie kaum sehen dürfen.

Wer spricht einmal klar und deutlich aus, dass unser seltsames Denk- und „Werte“-System überwiegend Scheidungswaisen produziert? Mit ernsten Folgen für die psychische Belastbarkeit; eine Belastbarkeit, die – welcher Irrwitz – vom Menschen, wenn er erst mal in der Erwerbsarbeit angekommen ist, massiv eingefordert wird.

Diskutiert wird über die „in die Krise geratene Ehe und Familie“. Doch es geht um den Menschen selbst. Wie ist zu verstehen, dass Kinder in die Welt gesetzt werden, deren (Fremd!-)Betreuung dann jedoch anderen Personen überlassen wird? Dass alte Menschen in Heime abgeschoben werden, weil ja niemand die Zeit hat, sich um sie zu kümmern? „Dass ich mich später mal um Deine Mutter kümmere, kannst du dir abschminken“, ist zu hören…

Die Zeit, in der wir leben, hat sich der Vergötzung der Erwerbsarbeit verschrieben. Die Israeliten tanzten um das „goldene Kalb“, bevor es von Moses endlich zertrümmert wurde. Machen wir doch einmal die Probe: Stellen wir an heutige „Mütter“ die hypothetische Frage, ob sie – sofern es finanziell möglich sei – bereit wäre, auf eigene Erwerbstätigkeit zu verzichten, um sich bräutlich ihrem Mann zuzuwenden, ihre Kinder liebend zu umsorgen, die nächsten Verwandten zu pflegen und nicht zuletzt einer ehrenamtlichen Arbeit nachzugehen. Wie viel Prozent würden mit einem klaren „Ja“ antworten?

Der eigentliche Grund für jenes Hinausgetriebensein der Mutter aus dem „häuslichen Kreise“ (Friedrich Schiller, Die Glocke) besteht, wie Eva Herman oder Birgit Kelle ihre eigene Erfahrung beschrieben haben, im gesellschaftlichen Erwartungs-Druck, der heute auf Frauen ausgeübt wird: „Wie? Deine Kinder sind jetzt in der Schule? Was machst Du denn den ganzen Tag…?“ – Geht es also in dem, was heute als „traditionelle Frauenrolle“ verunglimpft wird, möglicherweise doch um mehr, ja, um Entscheidendes? Könnte es sein, dass nicht nur die Sicht von der Komplementarität des Menschen und seiner Aufgaben auf dem Spiel steht, sondern der Mensch selbst?

Ist es wirklich so, dass die Kirche ihre Seelsorge und damit auch Zeugniskraft den „veränderten Lebensumständen“ anpassen muss? Wer „macht“ diese Umstände? Wollen wir sie als gegeben hinnehmen? Wie sind seinerzeit die frühen Christen mit den „Umständen“ ihrer Zeit umgegangen? Fakt ist, dass der heilige Paulus und die anderen Apostel den Traditionen und religiösen Mächten – man denke an die Tempelhierarchie – einer eineinhalbtausend Jahre alten Kultur frontal widersprochen haben. Welches Maß an Zeitkritik (vgl. Röm 12,2) steckt in ihrer Lebensleistung?

Wollen wir Christen uns als Achsel zuckende Ja-Sager geben? Angesichts einer gesellschaftlichen Massenhysterie, die alles – den Heranwachsenden wie den Alten – der Erwerbstätigkeit der „Mutter“ unterordnet? Mit ernsten Folgen für die Psyche: Ja, fühlen wir überhaupt noch den Schmerz, der sich allein bei dem Gedanken einstellt, dass ein Schulkind heute daheim seine Mutter nicht mehr vorfindet? Und dass es mit all den Gefahren der Welt, die über den Computer ins Heim eindringen, allein gelassen wird?

Wo sind die kirchlichen Verantwortungsträger, welche begreifen, dass die Aufgabe – gerade heute – nicht darin bestehen darf, sich „Umständen“ anzupassen, welche bei näherem Hinsehen nicht anders als skandalös zu nennen sind? Wie sollen sich die gesellschaftlichen „Umstände“ ändern, wenn es kaum noch Menschen (und auch Hirten) gibt, die den Wert-Reichtum des bipolaren Menschenbildes offen bezeugen?

Hat unsere Welt nicht einen Anspruch auf die spezifischen, von Christen gelebten Werte? Erst recht in einer Zeit, da das schöpfungs-orientierte Menschenbild – in der gleißenden Sonne der „Selbstbestimmung“ – wie Wasser verdunstet ist? Spüren wir nicht, dass es bei dieser Weltsicht, die das Geschaffensein des Menschen als So-und-nicht-anders-Gewolltsein begreift, um ein kostbares Kapital geht?

In einem bisher nicht vorstellbaren Tempo sind unserer Zeit die Erkenntnisquellen für richtig und falsch, Gut und Böse abhandengekommen. Dass die Heiligen Schriften der Offenbarungs-Religionen als Erkenntnisquelle nicht allgemein akzeptiert werden, ist aus christlicher Sicht schade, aber in einem weltanschaulich neutralen Staat durchaus nachvollziehbar; was hingegen heute geschieht, ist ein Zerstörungsakt, den bisher nur wenige überhaupt begriffen haben: Ein Zeitbeobachter hat in der F.A.Z. von der „Entnaturalisierung“ gesprochen , deren Ursprung ein „Anti-Essentialismus“ ist. Es geht um das – aus missverstandener Kantischer Philosophie abgeleitete – Dogma, so etwas wie das Wesen einer Sache oder eines Sinnverhalts gebe es überhaupt nicht, sondern alle Erkenntnis sei nur menschliche Konstruktion. Ein furchtbarer Irrtum.

Denn de facto gibt es neben den Heiligen Schriften eine wichtige zweite Erkenntnisquelle dessen, was man „Wahrheit“ nennt. Das ist das Wesen des Menschen: Von „Naturrecht“ sprach man, bevor dieses – ausgerechnet von Theologen – zertrümmert wurde. Aufgrund von staatlichen Gesetzen und überstaatlichen Vorgaben (s. Europäische Kommission, man lese dazu die Analysen von Gabriele Kuby) ist uns dieses „Menschen“-Bild aufoktroyiert worden: Was der Mensch ist, bestimme ausschließlich er selbst. Es gebe keine Vorgegebenheit, an die er sich zu halten hätte. Insbesondere sei es ein Irrtum, dass der Mensch seine eigene Geschlechtlichkeit „empfängt“; vielmehr sei alles von seiner Selbst-Definition abhängig; das ist im Kern der Inhalt des Genderismus.

Das Grundaxiom der Existenzphilosophie „Die Existenz geht der Essenz voraus“ (Sartre) ist in der Politik und in den Medien angekommen. Allmählich lüften sich die Schleier: Was hat die Wandlung des äußeren Habitus (eine weitere unbequeme Frage: welches Geschlecht hat sich heute hinsichtlich der Kleidung an den anderen angepasst?) mit der „Genderisierung“ der Sprache gemäß feministischer Sprachkritik (über die „Innen“-Zusätze das Weibliche der Verborgenheit zu entreißen) zu tun? Wie hängt das wiederum zusammen mit der aktuellen Gesetzgebung hinsichtlich der Selbstdefinition menschlicher Sexualität?

Das ist der Hintergrund, vor dem die Bischöfe derzeit ihre – übrigens fragwürdige, weil mit Vorwürfen wie mangelnde „Vergebung“ und „Barmherzigkeit“ garnierte – Auseinandersetzung um die Änderung der Seelsorge betreiben; es geht dabei um jene Menschen, deren Ehe – „nach menschlichen Maßstäben“, ist zu ergänzen – „gescheitert“ ist. Die Ergänzung erscheint wesentlich, denn nach göttlichen Maßstäben gibt es ein solches „Scheitern“ nicht. Was soll dieses Wort überhaupt bedeuten? Denn die Ehegatten – immer noch: nach göttlichen Maßstäben – gehören zusammen, bis sie vom Tod getrennt werden. Sollte einmal die Liebe hinsichtlich ihrer leiblichen Anziehungskraft eingerostet sein, heißt es, menschenwürdig miteinander umzugehen. Warum sollte für Eheleute nicht gelten, was für alle anderen Beziehungen gilt?

Bevor Walter Kardinal Kasper vor den Kardinälen seine vielbeachtete Ansprache gehalten hat, in der er Vorschläge für eine Modifikation der geltenden Praxis unterbreitete, war er von Papst Franziskus gebeten worden, „mehr Fragen als Antworten“ vorzulegen. Möglicherweise erkennt jemand den Horizont, vor dem diese Fragen zu diskutieren sind: Wer zertrümmert das Goldene Kalb?

Schwester Maria Fidelis Weiß vom Kloster Reutberg

„Alles für Jesus und die Seelen!“

Die Franziskanerschwester Maria Fidelis Weiß wurde am 12. Juni 1882 geboren und starb am 11. Februar 1923, dem Fest „Unserer Lieben Frau von Lourdes“, das heute zugleich als Weltkrankentag begangen wird. Ihr Leben war sühnende Hingabe zur Bekehrung und Rettung der Sünder. Getragen war sie dabei von einer mystischen Erleuchtung und Vereinigung mit dem Herrn am Kreuz. Papst Benedikt XVI., der den verborgenen Opferseelen besondere Aufmerksamkeit schenkte, erkannte ihr am 1. Juni 2007 den heroischen Tugendgrad zu.

Von Marie-Luise und Ferdinand Obermüller

Das idyllisch gelegene Kloster Reutberg befindet sich etwa 45 km südlich von München im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen auf einem Hügel bei Sachsenkam. Im 17. Jahrhundert wurde dort an eine Loretokapelle ein erstes Kloster angebaut und 1651 dem Franziskanerorden eingegliedert. Das heutige Gebäude ist ein Neubau aus dem 18. Jahrhundert. Die Klosterkirche birgt neben dem bekannten Reutberger Jesuskind einen besonderen Schatz, nämlich das Grab von Schwester Maria Fidelis Weiß, einer im Ruf der Heiligkeit verstorbenen Franziskanerin. Am 15. Oktober 1982 wurde der Apostolische Prozess für ihre Seligsprechung in Rom eröffnet. Ihr mystisches Leben, das von einer glühenden Liebe zu Gott und unsäglichen Leiden für die Rettung der Seelen gekennzeichnet war, führte sie ganz demütig im Verborgenen. Nur ihren Spiritual Johann Mühlbauer hatte sie im Gehorsam eingeweiht.

Eleonore Weiß wurde am 12. Juni 1882 in Kempten geboren und hatte bereits sehr früh eine große Vorliebe für das Gebet. Sie ging regelmäßig mit ihrer Familie zur Kirche und erfuhr schon bald fühlbar die reale Gegenwart Gottes. Sehr intensiv bereitete sie sich auf die erste heilige Kommunion vor und spürte beim Empfang der Eucharistie, wie Jesus sich aufs Innigste mit ihr vereinte. In diesem Augenblick sah und hörte sie nichts mehr von dem, was um sie herum vorging.

Mit 16 Jahren erfuhr sie den Ruf, Braut Christi zu werden und ein Leben im Kloster zu führen. Auf den Rat ihres Pfarrers wandte sie sich an das Kloster Reutberg. Wegen ihres jugendlichen Alters legte ihr aber die dortige Oberin nahe, sich zuerst Kenntnisse in Handarbeit und im Orgelspiel anzueignen. Somit begann sie eine Ausbildung am Institut der Armen Schulschwestern in Lenzfried bei Kempten. Dort ließ sie sich in den Dritten Orden des hl. Franziskus (heute: Franziskanische Gemeinschaft) aufnehmen und erhielt den Namen Seraphika.

Im Alter von 20 Jahren trat sie schließlich am 16. Oktober 1902 in das Kloster Reutberg ein; ab jetzt wurde sie Schwester Maria Fidelis genannt. Die Einkleidung erfolgte am 4. Juni 1903, die Gelübde legte sie am 21. Juni 1904 ab. Sie berichtete: „Im Augenblick der Gelübdeablegung ergoss sich bis auf den Grund meiner Seele ein so tiefer, seliger Friede, dass es dafür kein Wort gibt.“ 20 Jahre lang versah sie im Kloster die Aufgabe als Organistin und als Handarbeitslehrerin in der damals bestehenden Mädchenschule.

In ihrer glühenden Liebe und großen Sehnsucht nach Jesus fastete sie sehr viel und nahm zahlreiche Bußübungen auf sich. Dadurch erlangte sie eine tiefe Beziehung zu ihrem Herrn. Sie spürte fortwährend die Gegenwart Gottes, durchlebte jedoch 1908 bis 1911 die so genannte „Dunkle Nacht“ und fühlte sich ganz allein; für sie war Jesus verschwunden. Ein Pater klärte sie darüber auf, dass dies nur eine Prüfung sei, ähnlich wie etwa beim hl. Johannes vom Kreuz.

Lange Zeit verharrte sie im inneren Gebet. Sie konnte mit Jesus sprechen, ohne ein Gebetbuch zu verwenden, war sich aber nicht bewusst, dass es sich um ein mystisches Gebet handelte. Häufig hatte sie Eingebungen, Visionen und Verzückungen. Über ihre Geistesflüge hin zu Gott schrieb sie: „Ich bin die Nadel, die sich nicht von selbst zu einem anderen Gegenstand hindrängen kann. Aber der Magnet – das ist mein Jesus – zog mich an, ohne dass ich, armselige Nadel, mich widersetzen konnte.“ Sie bot sich Jesus zur Rettung der Sünder an. Deshalb wurden ihr von Gott immer wieder große seelische Leiden auferlegt, die sich darin zeigten, dass sie Glaubenszweifel bekam und die Gottesferne von Sündern erlebte. Diese Leiden dauerten an, bis diese Sünder in Frieden sterben konnten. Ihr ganzes Beten, Fasten und Opfern galt der Rettung von Seelen. Jahrelang durchlitt sie jede Woche am Donnerstag und Freitag die Schmerzen Christi sowie am Samstag auch die Leiden der Mutter Gottes; dies alles ertrug sie mit großer Geduld. Ihr Motto lautete: „Alles für Jesus und die Seelen!“

Am 2. August 1918 schaute sie in einer Ekstase die schwere Sünde in ihrer ganzen Bosheit: eine Seele im Laster der Unkeuschheit und eine Seele im Unglauben und in der Gotteslästerung. Um diese Seelen zu retten, erlitt sie gewaltige Marter.

In ihrem Gebetsleben übte sie eine große Liebe und Verehrung zur Mutter Gottes. Auf die Bitte von Sr. Fidelis hin führte der Spiritual in der Klostergemeinschaft das tägliche Beten der „Lauretanischen Litanei“ ein, was bis heute gepflegt wird. Eine große Verehrung hegte sie auch für den hl. Josef, den hl. Franziskus und weitere Heilige, die sie um Fürsprache anrief.

Am Samstag vor Pfingsten 1912 schaute sie den Heiligen Geist. Dabei ergoss sich ein siebenfacher Strahl in ihre Seele, von welchem sie erkannte und verspürte, dass es die sieben Gaben des Heiligen Geistes waren. „Am hochheiligen Pfingstfeste hatte ich ein so großes Gefühl und eine so klare Erkenntnis meiner Sündhaftigkeit wie noch nie; dem entgegen aber schaute ich und erkannte klarer als je die dritte göttliche Person. Ich empfand dabei in mir eine so große Kraft und Stärke, dass es mir schien, ich möchte und könnte jetzt alles, selbst die größten Schwierigkeiten, überwinden. Auch fühlte ich die Gnade des Heiligen Geistes in mir sich ausbreiten und anwachsen, als ob sie mich überfluten wolle, und die Liebe wurde in mir vermehrt.“

Über eine mystische Vermählung mit Jesus am Kreuz berichtete sie: „Ich kam noch tiefer ins Gebet, wobei ich in das Schauen der drei göttlichen Personen der allerheiligsten Dreifaltigkeit hineinversetzt wurde. Es vollzog sich dann etwas so Erhabenes, dass ich es selbst nicht verstehe. Ich wurde im Beisein des himmlischen Vaters als Zeuge vom Heiligen Geiste selbst mit dem Sohn Gottes, mit meinem Jesus am Kreuz, wie er sich seinem himmlischen Vater zur Erlösung der Menschheit in seinem Kreuzestod als Opfer darbrachte, zu einem Opfer mit ihm für immer verbunden, damit von nun an mein Jesus sein Werk der Erlösung in mir auf geheimnisvolle Weise zur Ehre Gottes und für die Seelen fortsetzen kann.“

Auch hatte Sr. Fidelis viele Angriffe des Satans durchzustehen, sowohl innerlich als auch äußerlich. Einmal schleuderte er sie an einen Pfeiler, so dass sie tagelang Kopfschmerzen hatte. Beim Aufhängen der Wäsche riss er sie immer wieder von der Leine und warf sie in den Schmutz. Eine andere Schwester, die dies beobachtete, wunderte sich sehr. Des Öfteren hielt er die Tür des Beichtzimmers zu. Sie konnte erst öffnen, als der Priester einen Segen sprach und ihr befahl, einzutreten.

Ebenfalls im Jahr 1912 teilte sie dem Seelenführer mit, Jesus wünsche, dass im Juni in der Klosterkirche jeden Tag eine Herz-Jesu-Andacht gehalten werde. Nach einigem Zögern ging der Spiritual darauf ein. Niemand im Kloster wusste jedoch, dass dies auf Anregung von Sr. Fidelis geschah. 

Im Jahr 1921 berichtete sie von der Vorbereitung auf das Herz-Jesu-Fest: „In dieser Woche ist das heiligste Herz Jesu so da; es ist ein geistiges Schauen… Ich bin ganz drin in einem solchen Schauen und in einer solchen Glut, dass ich meine, ich muss sterben.“ An diesem Fest schaute sie während der Non (Stundengebet um 15 Uhr), wie die Fülle der Gottheit im Herzen Jesu wohnt.

Am 11. Februar 1923 wurde sie nach monatelangem Leiden erlöst und zu ihrem geliebten Bräutigam Jesus Christus heimgeholt. Ihre Mystik wurde erst am Tag ihrer Beerdigung durch die Predigt ihres Seelenführers Johann Mühlbauer bekannt. Selbst ihre Mitschwestern, die mit ihr täglich zusammen waren, wussten nichts davon; denn Sr. Fidelis wollte nicht als etwas Besonderes gelten und ja nicht stolz werden. Als ihre Mitschwestern begannen, ihr Gebetsanliegen vorzutragen, wurden zahlreiche Gebetserhörungen gemeldet. So wandten sich immer mehr Gläubige mit ihren Bitten an Sr. Fidelis und fanden Erhörung.

Mit einem Dekret vom 14. Dezember 1936 ordnete der Münchener Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber die Einleitung des Seligsprechungsprozesses an. Am 22. Mai 1938 wurden die sterblichen Überreste der Schwester aus der Gruft des Klosters gehoben und in der Klosterkirche beigesetzt. 1939 wurde der Informativprozess auf Diözesanebene in München abgeschlossen und die Aktensammlung nach Rom gebracht. Erst 1982 stellte die Selig- und Heiligsprechungskongregation das Dekret zur Eröffnung des Apostolischen Prozesses in Rom aus. 

Damit Gott einem Volk einen neuen Heiligen schenken kann, muss es sich diese Gnade gewissermaßen verdienen, nämlich durch Verehrung und vertrauensvolle Anrufung. Ohne anerkanntes Wunder kann keine Seligsprechung erfolgen. Im Kloster Reutberg liegt zwar eine Heilung vor, die als Wunder bestätigt worden ist. Doch kann sie nicht Sr. Fidelis zugesprochen werden, da die betreffende Person gleichzeitig noch einen anderen Heiligen angerufen hatte. Viele Gläubige wissen leider nicht, dass die Anrufung eindeutig und ausschließlich an eine bestimmte Person erfolgen muss.  Mögen sich viele mit ihren Anliegen an Sr. Fidelis Weiß wenden, damit sie bald zur Ehre der Altäre erhoben werden kann!

Gebet um die Seligsprechung

O Gott, gib uns den Geist deiner Liebe, mit dem du deine treue Dienerin Maria Fidelis so überreich begnadigt hast! Vermehre unser Vertrauen und erhöre unser Gebet, auf dass ihr bald zu deiner größeren Ehre und zum Segen unseres Volkes die öffentliche Verehrung zuteil werde! Amen. 

Verschiedene Materialien wie das Buch „Virgo Fidelis“ von Sr. M. Angela Mayer oder das Heft „Gebetsnovene Sr. Fidelis“ von Pfarrer Edmund Dillinger sind erhältlich bei: Franziskanerinnen-Kloster, Fidelis-Archiv, Reutberg 1, 83679 Sachsenkam (auch per Tel. 08021-8382 oder Fax 08021-5079180).

Weitere Infos finden Sie auch im Internet: www.freunde-des-kloster-reutberg.de

Neuen Kommentar schreiben

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder! Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare gegebenenfalls nicht für die Veröffentlichung freizugeben oder in Abstimmung mit den jeweiligen Autoren zu kürzen.