Artikelreihe zum Reformationsgedenken 2017 – Teil 1

Martin Luther – Was war er für ein Mensch?

Im Jahr 1517 löste Martin Luther mit der Veröffentlichung seiner berühmten 95 Thesen eine Reformbewegung aus, welche zu einer der verhängnisvollsten Spaltungen in der Geschichte der Kirche führte. Diese sog. Reformation teilte die Westkirche von nun an in katholisches und evangelisches Christentum auf. Die neu entstandene Glaubensrichtung verstand sich in Absetzung zur „Papstkirche“ auch als Protestantismus. Mit großen Schritten gehen wir auf das bevorstehende Gedenken an die Reformation vor 500 Jahren zu. Als Vorbereitung und Einstimmung wollen wir uns in einer umfangreichen Artikelserie mit Luther und seiner Lehre sachlich auseinandersetzen. Alle wichtigen Glaubensfragen sollen zur Sprache kommen und sowohl aus evangelischer als auch aus katholischer Sicht beleuchtet werden. Andreas Theurer, bis 2012 lutherischer Pfarrer in Württemberg, geht in seinem ersten Beitrag auf das Leben und die Person Luthers ein.

Von Andreas Theurer

Differenzierte Sicht auf 500 Jahre Reformation

Fast 500 Jahre ist es nun her, dass der Mönch und Theologieprofessor Dr. Martin Luther mit seinem so genannten „Thesenanschlag“ eines der bedeutsamsten und folgenschwersten Ereignisse der Welt und Kirchengeschichte ausgelöst hat, die Reformation. Für die einen wurde er dadurch zum Helden, für die anderen zum Sendboten des Teufels. Auch wenn er heute von Vertretern aller Lager im Allgemeinen differenzierter wahrgenommen wird, so bleibt dennoch auch unter Katholiken ein erheblicher Dissens in der Beurteilung der Persönlichkeit und der Lebensleistung des Reformators bestehen. Während die einen ihn am liebsten zum Kirchenlehrer erheben würden, sind andere überzeugt, dass er das Vermächtnis Jesu Christi verfälscht hat. Eine objektive  Sicht „sine ira et studio“ ist nun sicher nicht leicht. Vielleicht kann derjenige, dem die Frage nach Gott und der Kirche nicht viel bedeutet, sie eher neutral und leidenschaftslos betrachten. Er wird dafür aber kaum erfassen können, welche Tragweite die Reformation und ihre Anliegen für Christus liebende Menschen haben. Leidenschaftslose Neutralität kann auch ich nicht für mich beanspruchen. Trotzdem will ich versuchen, Martin Luther und seine Anliegen wohlwollend und gerecht zu betrachten, und dennoch aufzeigen, warum aus katholischer Sicht der Weg der Reformation kein guter ist.

Wer war Martin Luther?

Geboren wurde Martin Luther am 10. November 1483 in Eisleben, wo er am folgenden Tag auf den Namen des Tagesheiligen getauft wurde. Seine Eltern stammten aus dem aufstrebenden Bürgertum des Bergbaumilieus im Mansfelder Land. Über seinen Vater berichtete er selbst, dass dieser bisweilen ziemlich brutal war und dem kleinen Martin solche Angst einflößte, dass er sich nur langsam wieder an ihn gewöhnen konnte. Ob hier die für Luther so drängende Frage nach Gott als dem barmherzigen Vater neben der unbestreitbar wichtigen theologischen auch noch eine persönlich-psychologische Komponente bekam?

Im Jahr 1505 trat er in Erfurt in den Orden der Augustiner-Eremiten (OESA – heute OSA) ein. Die Gründe dafür sind unklar. Die lutherische Legende nennt als Auslöser ein Gewitter, in dem der junge Jura-Student aus Angst den Ordenseintritt gelobte. Andere Zeugnisse von Luther und seinen Zeitgenossen nähren den Verdacht, dass er sich durch seinen Ordenseintritt der Strafverfolgung nach einem Totschlag im Duell entziehen wollte. Gewissheit wird über diese Frage kaum zu erreichen sein. Er wurde jedenfalls Priester, stieg im Orden rasch auf und wirkte als Vizeprovinzial und an der neu gegründeten Universität in Wittenberg als Theologieprofessor. Die quälende Gewissensnot, die ihm seine gefühlte Sündhaftigkeit bereitete, wurde für ihn in dieser Zeit immer drängender und kristallisierte sich schließlich in der Frage nach dem barmherzigen Gott.

Wie finde ich einen gnädigen Gott?

Wie kann ich erreichen, dass Gott mir gnädig ist? In unserer heutigen Zeit scheint das nur noch wenigen Menschen eine wichtige Frage zu sein. Zu selbstverständlich sind wir von der Rede vom „lieben Gott“ geprägt, der uns doch niemals ernsthaft zürnen könne, der uns nach unseren kleineren oder größeren Fehltritten doch immer wieder annimmt, „wie wir sind“. Dass genau dies aber keineswegs selbstverständlich ist, sondern – im Gegenteil – das Resultat eines Dramas von geradezu kosmischen Dimensionen, das war damals den meisten Menschen wohl bewusst.

Wie geht der zugleich gerechte und uns liebende Gott mit unserer Sünde um? Was tut er und was muss ich tun, damit er sie mir vergibt? Fasten, Wallfahrten, möglichst viel beten, fromme Stiftungen, ins Kloster gehen, Ablässe erwerben? Welche Rolle spielen dabei die Heiligen, Maria, ja Jesus selbst? Auf diese Fragen gaben viele Priester, Bischöfe und sogar Päpste damals Antworten, die heute zurecht Anstoß erregen. „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt“ – das war ja leider nicht nur eine Karikatur, sondern die vielfache Realität des leichtfertigen kirchlichen Umgangs mit dieser extrem wichtigen Frage.

Hier hat Luthers populäres „Turmerlebnis“ seinen Platz. Nach eigener Darstellung kam ihm im Turm (also auf der Toilette) des Klosters der befreiende Gedanke, dass Gott uns seine Barmherzigkeit „allein aus Gnade“ und nicht als Belohnung für unsere Frömmigkeit zuwendet. Diese – schon lange auch von der katholischen Theologie als richtig anerkannte – Erkenntnis wurde nun in den folgenden Jahren zum Schlüssel und zur Triebfeder für die Ereignisse, die man dann als „Reformation“ bezeichnete.

95 Thesen gegen den Ablasshandel

Im Herbst 1517 veröffentlichte er – ursprünglich als Beitrag zu einer akademischen Diskussion – „95 Thesen gegen den Ablasshandel“, die sich bald in ganz Deutschland verbreiteten. Seine in der Folgezeit immer massiver vorgetragene Kritik an Papsttum und scholastischer Theologie vereinigte sich mit einer damals in weiten Kreisen latenten Abneigung gegen den weltlichen Einfluss der Kirche und ihre verweltlichten Amtsträger. Mächtige Fürsten standen ihm bei und schützten ihn, als er von Papst und Kaiser mit Ketzerprozess und Reichsacht verfolgt wurde. Während er auf der Wartburg versteckt wurde, übersetzte er erstmals aus den Ursprachen (nicht wie bisher üblich aus dem Lateinischen) die Bibel ins Deutsche und setzte damit Maßstäbe, die bis heute wirksam sind.

In anderen Gebieten Mitteleuropas traten weitere große Reformatoren mit durchaus eigenständigem theologischen Profil auf und nutzten die allgemeine Krise zur Etablierung neuer Kirchentümer (Zwingli in Zürich, Calvin in Genf, König Heinrich VIII. in England). Innerhalb weniger Jahre vollzog sich so in Deutschland und vielen weiteren Ländern Europas eine bis heute wirksame Spaltung zwischen Altgläubigen („Katholiken“) und Neugläubigen, die sich seit 1529 im Anschluss an den Protest von sechs Fürsten und den Vertretern von 14 Reichsstädten gegen die kaiserliche Religionspolitik „Protestanten“ nannten.

Polemische Schriften gegen Andersdenkende

Luther wurde nun immer mehr zur Symbolfigur des Widerstandes gegen die Papstkirche und zum Neuorganisator („Reformator“) des kirchlichen Lebens. Gleichwohl trat er in heftigsten Gegensatz zu den konkurrierenden Reformatoren, die sich mit ihm gerne zusammengetan hätten, weil sie ihr Anliegen als gemeinsames ansahen, während Luther sich von Zwinglianern, Calvinisten und Wiedertäufern wegen ihrer symbolischen Sakramentendeutung aufs Heftigste distanzierte. Dabei gewöhnte er sich im Lauf der Jahre auch einen immer gröberen und ausfälligeren Ton gegenüber all denen an, die ihm und seiner Theologie widersprachen. Wer ihm und seinen Lehren nicht folgen wollte, wurde von ihm in hässlichster Weise in polemischen Schriften angegriffen, wie z. B. außer dem „vom Teufel gestifteten“ Papsttum auch die aufständischen Bauern 1525 oder die Juden 1543.

1525 heiratete er die geflohene Nonne Katharina v. Bora, mit der er in 20 Jahren Ehe sechs Kinder zeugte und die ihm, der stets eine große Tafel mit vielen Gästen pflegte, „den Rücken freihielt“. Bis in die Gegenwart wird die Ehe Luthers als Maßstab und Folie für die kulturprägende Institution des evangelischen Pfarrhauses hochgehalten.

Grenzen protestantischer Glorifizierung

Seine Maßlosigkeit im „Fressen“ und beim Alkoholkonsum (die er selbst beschrieb!), belastete seine Gesundheit schwer und am 14. Februar 1546 starb er während eines Besuchs in seiner Heimatstadt Eisleben im Alter von 62 Jahren. Während seine katholischen Gegner seinen Tod als Selbstmord und seine Beerdigung als Höllenfahrt beschrieben, stilisierte die protestantische Propaganda ihn zum glaubensstarken Kämpfer für Gewissensfreiheit oder gar zum deutschen Nationalhelden.

Unbestreitbar sind tatsächlich seine Verdienste um die Vereinheitlichung der deutschen Schriftsprache, wie er sie durch seine Bibelübersetzung prägte und etablierte, oder für das deutsche Kirchenlied. Unbestreitbar ist auch seine tiefe Sehnsucht nach dem barmherzigen Gott, der den Menschen „ohn all Verdienst und Würdigkeit“ zur himmlischen Seligkeit beruft. Bei seinem Besuch in Erfurt würdigte Papst Benedikt XVI. genau dies an Luther, dass er ein „Gottsucher“ gewesen sei.

Äußerst fragwürdig bleibt jedoch sein mit den Jahren immer mehr pathologische Züge annehmender Hass auf die katholische Kirche und alle seine Gegner.

Luthers Nachwirkung

Das Luthertum, wie es sich in den Jahrzehnten nach Luthers Tod etablierte, entwickelte eine staunenswerte Dogmatik und Systematik, in der alle theologischen Themen bis in die subtilsten Einzelheiten definiert und erklärt wurden. Die „lutherische Orthodoxie“ wurde (zumindest in der Sicht ihrer innerprotestantischen Gegner) geradezu zum Sinnbild theologischer Spitzfindigkeit und Buchstabengläubigkeit.

Fatal wurde die völlige Abhängigkeit von den weltlichen Fürsten, die nicht nur, in Ermangelung protestantisch gewordener Bischöfe, an deren Stelle traten und die Positionen der Kirchenleiter übernahmen. Es ist nicht verwunderlich, dass seither der „Mainstream“ der protestantischen Theologie immer auf Seiten der jeweils mächtigen Strömungen in Geistesleben und Politik stand.

Nach der Aufklärung, in der die (zwangsweise) Vereinigung der Lutheraner mit den Reformierten (Calvinisten und Zwinglianer) in vielen deutschen Gebieten durchgesetzt wurde, entstand mit dem „Neuluthertum“ vor allem im 19. Jahrhundert eine Renaissance der lutherischen Lehre in erneuter Abgrenzung von reformierter und katholischer Theologie. Besonders seit der Mitte des 20. Jahrhunderts jedoch, unter dem Einfluss von „historisch-kritischer Exegese“, „Feminismus“ und „sexueller Revolution“ zerfällt die einst auf der unbedingten Geltung von Heiliger Schrift und lutherischem Bekenntnis gegründete geistliche Kraft des Luthertums zu nahezu grenzenloser Beliebigkeit. Die Wurzel für diese beklagenswerte Entwicklung liegt freilich nicht in diesen äußeren Faktoren, sondern in der lutherischen Theologie und ihrer Zentrierung auf die persönliche Bibelauslegung selbst.

Unterschied zwischen Luther und heutigem Protestantismus

Bei aller Zustimmung oder Kritik zu Luther muss freilich stets bedacht werden: Wo heute „Protestantismus“ oder „Evangelische Kirche“ draufsteht, ist meist nur noch wenig „Luther“ drin. Deutlich weiter verbreitet ist dort heute in den einstmals unterscheidenden Fragen die „reformierte“, also eben nicht (mehr) die lutherische Theologie! Auch die von pietistischer Frömmigkeit bestimmten Erweckungsbewegungen, von denen heute ein Großteil der an der Basis aktiven evangelischen Christen geprägt ist, orientieren sich weniger an Luther, als an ihrer eigenen – oftmals stark von ihm abweichenden – Bibelauslegung. Im weltweiten Protestantismus außerhalb Deutschlands und Skandinaviens spielt Luther nur noch eine untergeordnete Rolle. Man ehrt ihn zwar als Auslöser der Reformation und Vorkämpfer der freien Bibelauslegung, richtet sich aber eher selten konkret nach seinen Lehren.

Wenn wir uns mit dem Phänomen Luther beschäftigen, muss uns also klar sein – und das fällt besonders Katholiken oft schwer – dass er im Protestantismus bei weitem nicht die Stellung hat, wie der Papst für die Katholiken. Ein Protestant kann Luther kritisieren, oder sich sogar scharf von ihm distanzieren – ohne sich auch nur ansatzweise vom Protestantismus abzuwenden. Daher ist es für die Auseinandersetzung mit Luther unerlässlich, auch immer zugleich das Ganze des Protestantismus in den Blick zu nehmen. In diesem Sinne sollen in den weiteren Folgen dieser Serie Einzelfragen der evangelischen Theologie beleuchtet und jeweils an der katholischen Position gemessen werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Historische „Erfurter Rede“ Papst Benedikts XVI.

„Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“

Auf seiner Deutschlandreise im September 2011 besuchte Papst Benedikt XVI. auch das für Luther so bedeutsame Augustinerkloster in Erfurt. Im dortigen Kapitelsaal hielt er vor den Vertretern der EKD eine Ansprache, die als „Erfurter Rede“ in die Geschichte eingegangen ist. Nach bewegenden Grußworten bestätigte er zunächst seinen evangelischen Gastgebern, sie hätten „den wirklich gemeinsamen Glauben“ sowie „die Sehnsucht nach Einheit offen ausgedrückt“. Und er bezeichnete die „Begegnungen“ als „Fest der Gemeinsamkeit des Glaubens“. Die anschließende Ansprache hält der ehemals evangelische Pfarrer Andreas Theurer für „genial“ und eine ideale Hinführung zur Beschäftigung mit Luther und seiner Lehre.

Von Papst Benedikt XVI. 

Luthers Ringen um Gott und mit Gott

Für mich als Bischof von Rom ist es ein tief bewegender Augenblick, hier im alten Augustinerkloster zu Erfurt mit Ihnen zusammenzutreffen. Wir haben es eben gehört: Hier hat Luther Theologie studiert. Hier hat er seine erste heilige Messe gefeiert. Gegen den Wunsch seines Vaters ist er nicht beim Studium der Rechte geblieben, sondern hat Theologie studiert und sich auf den Weg zum Priestertum in der Ordensgemeinschaft des heiligen Augustinus gemacht. Und auf diesem Weg ging es ihm ja nicht um dieses oder jenes. Was ihn umtrieb, war die Frage nach Gott, die die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines ganzen Weges gewesen ist. „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“: Diese Frage hat ihn ins Herz getroffen und stand hinter all seinem theologischen Suchen und Ringen. Theologie war für Luther keine akademische Angelegenheit, sondern das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott.

Muss Gott wirklich über unsere Fehler hinwegschauen?

„Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Dass diese Frage die bewegende Kraft seines ganzen Weges war, trifft mich immer wieder ins Herz. Denn wen kümmert das eigentlich heute noch – auch unter Christenmenschen? Was bedeutet die Frage nach Gott in unserem Leben? In unserer Verkündigung? Die meisten Menschen, auch Christen, setzen doch heute voraus, dass Gott sich für unsere Sünden und Tugenden letztlich nicht interessiert. Er weiß ja, dass wir alle nur Fleisch sind. Und sofern man überhaupt an ein Jenseits und ein Gericht Gottes glaubt, setzen wir doch praktisch fast alle voraus, dass Gott großzügig sein muss und schließlich mit seiner Barmherzigkeit schon über unsere kleinen Fehler hinwegschauen wird. Die Frage bedrängt uns nicht mehr. Aber sind sie eigentlich so klein, unsere Fehler? Wird nicht die Welt verwüstet durch die Korruption der Großen, aber auch der Kleinen, die nur an ihren eigenen Vorteil denken? Wird sie nicht verwüstet durch die Macht der Drogen, die von der Gier nach Leben und nach Geld einerseits, von der Genusssucht andererseits der ihr hingegebenen Menschen lebt? Wird sie nicht bedroht durch die wachsende Bereitschaft zur Gewalt, die sich nicht selten religiös verkleidet? Könnten Hunger und Armut Teile der Welt so verwüsten, wenn in uns die Liebe zu Gott und von ihm her die Liebe zum Nächsten, zu seinen Geschöpfen, den Menschen, lebendiger wäre? Und so könnte man fortfahren.

Nein, das Böse ist keine Kleinigkeit. Es könnte nicht so mächtig sein, wenn wir Gott wirklich in die Mitte unseres Lebens stellen würden. Die Frage: Wie steht Gott zu mir, wie stehe ich vor Gott – diese brennende Frage Luthers muss wieder neu und gewiss in neuer Form auch unsere Frage werden, nicht akademisch sondern real. Ich denke, dass dies der erste Anruf ist, den wir bei der Begegnung mit Martin Luther hören sollten.

Christus als Gott und Mensch ist unser gemeinsames Zentrum

Und dann ist wichtig: Gott, der eine Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, ist etwas anderes als eine philosophische Hypothese über den Ursprung des Kosmos. Dieser Gott hat ein Gesicht, und er hat uns angeredet. Er ist im Menschen Jesus Christus einer von uns geworden – wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. Luthers Denken, seine ganze Spiritualität war durchaus christozentrisch: „Was Christum treibet“, war für Luther der entscheidende hermeneutische Maßstab für die Auslegung der Heiligen Schrift. Dies aber setzt voraus, dass Christus die Mitte unserer Spiritualität und dass die Liebe zu ihm, das Mitleben mit ihm unser Leben bestimmt.

Nun könnte man vielleicht sagen: Schön und gut, aber was hat dies alles mit unserer ökumenischen Situation zu tun? Ist dies alles vielleicht nur ein Versuch, sich an den drängenden Problemen vorbeizureden, in denen wir auf praktische Fortschritte, auf konkrete Ergebnisse warten? Ich antworte darauf: Das Notwendigste für die Ökumene ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind. Es war der Fehler des konfessionellen Zeitalters, dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existentiell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist. Es ist für mich der große ökumenische Fortschritt der letzten Jahrzehnte, dass uns diese Gemeinsamkeit bewusst geworden ist, dass wir sie im gemeinsamen Beten und Singen, im gemeinsamen Eintreten für das christliche Ethos der Welt gegenüber, im gemeinsamen Zeugnis für den Gott Jesu Christi in dieser Welt als unsere gemeinsame, unverlierbare Grundlage erkennen.

Herausforderung der evangelischen Freikirchen

Freilich, die Gefahr, dass wir sie verlieren, ist nicht irreal. Ich möchte zwei Gesichtspunkte kurz notieren. Die Geographie des Christentums hat sich in jüngster Zeit tiefgehend verändert und ist dabei, sich weiter zu verändern. Vor einer neuen Form von Christentum, die mit einer ungeheuren und in ihren Formen manchmal beängstigenden missionarischen Dynamik sich ausbreitet, stehen die klassischen Konfessionskirchen oft ratlos da. Es ist ein Christentum mit geringer institutioneller Dichte, mit wenig rationalem und mit noch weniger dogmatischem Gepäck, auch mit geringer Stabilität. Dieses weltweite Phänomen – von dem ich von Bischöfen aus aller Welt immer wieder höre – stellt uns alle vor die Frage: Was hat diese neue Form von Christentum uns zu sagen, positiv und negativ? Auf jeden Fall stellt es uns neu vor die Frage, was das bleibend Gültige ist und was anders werden kann oder muss – vor die Frage unserer gläubigen Grundentscheidung.

Den Glauben in unserer säkularisierten Welt vertieft leben

Tiefgehender und in unserem Land brennender ist die zweite Herausforderung an die ganze Christenheit, von der ich sprechen möchte: der Kontext der säkularisierten Welt, in dem wir heute als Christen unseren Glauben leben und bezeugen müssen. Die Abwesenheit Gottes in unserer Gesellschaft wird drückender, die Geschichte seiner Offenbarung, von der uns die Schrift erzählt, scheint in einer immer weiter sich entfernenden Vergangenheit angesiedelt. Muss man dem Säkularisierungsdruck nachgeben, modern werden durch Verdünnung des Glaubens? Natürlich muss der Glaube heute neu gedacht und vor allem neu gelebt werden, damit er Gegenwart wird. Aber nicht Verdünnung des Glaubens hilft, sondern nur: ihn ganz zu leben in unserem Heute. Dies ist eine zentrale ökumenische Aufgabe, in der wir uns gegenseitig helfen müssen: tiefer und lebendiger zu glauben. Nicht Taktiken retten uns, retten das Christentum, sondern neu gedachter und neu gelebter Glaube, durch den Christus und mit ihm der lebendige Gott in diese unsere Welt hereintritt. Wie uns die Märtyrer der Nazizeit zueinander geführt und die große erste ökumenische Öffnung bewirkt haben, so ist auch heute der in einer säkularisierten Welt von innen gelebte Glaube die stärkste ökumenische Kraft, die uns zueinander führt, der Einheit in dem einen Herrn entgegen. Und darum bitten wir Ihn, dass wir neu den Glauben zu leben lernen und dass wir so dann eins werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Ökumenische Kundgebung am 2. Juli in München

Miteinander für Europa

„500 Jahre Trennung sind genug – Einheit ist möglich!“ Mit diesem Slogan lädt das ökumenische Netzwerk „Miteinander für Europa“ zur nächsten internationalen Begegnung Anfang Juli in die bayerische Landeshauptstadt ein. Mitgestaltet werden der Kongress vom 30. Juni bis 1. Juli und die Kundgebung am 2. Juli 2016 von hochkarätigen Vertretern aus Politik und Kirche, darunter Kardinal Kurt Koch aus Rom. Das Netzwerk, das 1999 ins Leben gerufen wurde, besteht inzwischen aus mehr als 300 christlichen Bewegungen und Gemeinschaften. 70 von ihnen bilden den Trägerkreis, allen voran die Schönstatt-Bewegung und die Fokolar-Bewegung. Maria Fischer von der Schönstatt-Bewegung arbeitet im Miteinander-Presse-Team. Ihren Beitrag hat sie für uns auf einer Reise in Paraguay geschrieben.

Von Maria Fischer

Weltweiter ökumenischer Aufbruch

Ein Besuch bei Freunden in Paraguay, einem kleinen Land im Herzen Südamerikas, in dem die Jesuiten bis zu ihrer Vertreibung 1767 ein alternatives Modell des Umgangs mit der indigenen Bevölkerung geschaffen hatten: in den sog. Reduktionen, deren Ruinen noch heute beeindrucken, hatten sie ein christliches Sozialsystem eingeführt. Dort konnten die Guarani unabhängig von den spanischen und portugiesischen Kolonialherren und in Sicherheit vor ihnen leben und den Gott der Christen auf ihre eigene Art und Weise kennen lernen. Inkulturation des Evangeliums, sichtbar etwa darin, dass die von den Indigenen geschaffenen Figuren Christus und  Maria mit Gesichtszügen ihres eigenen Volkes zeigen. Ein Land, in dem der katholische Glaube fest in der Seele des Volkes verwurzelt ist und selbst die Tankstellen den Namen von Heiligen tragen. Der sechsjährige Sohn meiner Freunde geht ins erste Schuljahr, zwei Tage in der Woche bleibt er bis zum Nachmittag in der Schule, die Eltern können mit ihm in der Schulkantine zu Mittag essen. Meine Freunde laden mich ein. Ein in hellen Farben gestrichenes, blitzsauberes Schulgebäude, Bilder und Motivationssätze in den Fluren, leckeres Schulessen und Lehrerinnen, die am Ende der Mittagspause die Kinder ihrer Klassen liebevoll sammeln und in die Klassenräume bringen. „Wir haben diese Schule ausgesucht, weil sie einfach guten Unterricht machen und alles hier so freundlich ist“, sagen meine Freunde, „und weit und breit gibt es keine Schule, von der man so gut reden hört.“ Und dann, fast entschuldigend: „Das ist keine katholische Schule. Die kommt von einer Freikirche. Die machen keine Abwerbung, die machen es einfach als Dienst an den Kindern.“

Christliches Netzwerk seit 1999

„Miteinander, wie sonst“, antworte ich, und meine Gastgeber schauen mich staunend an und wiederholen: Miteinander, wie sonst… Eine Vorstellung, die hier ganz neu, fremd und faszinierend und in Europa eine Realität ist, nicht zuletzt dank eines im Jahr 1999 entstandenen Netzwerkes von mehr als 300 christlichen Bewegungen und Gemeinschaften aus ganz Europa. Es verbindet evangelische, katholische, anglikanische und orthodoxe Christen ebenso wie Mitglieder von Freikirchen und neuen Gemeinden. Dieses Miteinander ist Frucht starker gemeinsamer Erfahrungen. Die Gemeinschaften und Bewegungen – unterschiedlich wie die Kulturen, Sprachen und Regionen Europas – schaffen untereinander, stets im Respekt vor der Verschiedenheit, gemeinschaftliche Beziehungen. Miteinander für Europa. Das ist Name und Programm dieses Netzwerkes und Thema seiner ökumenischen Kundgebung am 2. Juli in München.

Ziele der Initiative „Miteinander für Europa“

Miteinander für Europa möchte einer notwendigen „Kultur der Gegenseitigkeit“ entsprechen. Sie beinhaltet, dass Einzelne und Völker sich gegenseitig willkommen heißen, sich kennen lernen, sich versöhnen, lernen sich zu schätzen und einander zu unterstützen.

Im Miteinander für Europa lebt bereits etwas von dem, was Europa vereint und zukunftsfähig macht. Auch wenn sich die Aktivitäten noch vorwiegend auf die lokale Ebene beschränken, handelt es aus einer umfassenden Vision für die heutige globalisierte Welt heraus.

Miteinander für Europa will die wichtigen Herausforderungen des europäischen Kontinents aufgreifen, um die Charismen der Bewegungen und Gemeinschaften fruchtbar werden zu lassen für das Wohl der Menschheit. Es umfasst vielfältige Aktivitäten im Hinblick auf Versöhnung und Frieden, auf den Schutz des Lebens und der Schöpfung, auf eine gerechte Wirtschaft, auf Solidarität mit Armen und Außenseitern, auf die Familie, das Wohl der Stadt und der Geschwisterlichkeit in Europa.

„500 Jahre Trennung sind genug – Einheit ist möglich!“

Im Laufe der letzten Wochen kam sowohl aus dem Vatikan als auch aus dem Phanar in Istanbul die offizielle Zusage, dass Papst Franziskus und der Ökumenische Patriarch Bartholomäus I. eine persönliche Videobotschaft schicken werden zur großen ökumenischen Kundgebung des Netzwerkes „Miteinander für Europa“ am 2. Juli in München. Auch der Generalsekretär des Europarates Thorbjørn Jagland und der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker unterstützen die Veranstaltung und haben ihre Schirmherrschaft zugesagt.

Fast 1000 Jahre Trennung sind genug – so die Botschaft des Treffens von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. in Havanna, Kuba, Anfang dieses Jahres. „500 Jahre Trennung sind genug – Einheit ist möglich!“ Mit diesem Slogan lädt das ökumenische Netzwerk „Miteinander für Europa“ in die bayerische Landeshauptstadt ein – zunächst zu einem Kongress für Mitglieder des Netzwerkes, dann am Samstag, 2. Juli zur bereits erwähnten Kundgebung auf dem Stachus in München.

Mitgestaltet werden Kongress und Kundgebung von Vertretern der Politik und zahlreichen Kirchenoberhäuptern, unter ihnen Kardinal Kurt Koch aus Rom, Bischof Otfried July vom Lutherischen Weltbund, der rumänisch-orthodoxe Metropolit Serafim Joanta, der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen Olav Fykse Tveit, Kardinal Reinhard Marx und Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Zentrales Anliegen der Veranstaltung ist, in Zeiten der Krise und inneren Zerrissenheit des europäischen Kontinents ein klares öffentliches Zeichen für Versöhnung und Einheit unter den Christen zu setzen. Das Bühnenprogramm bei der Kundgebung am Stachus wird gestaltet mit Beiträgen von Leitern christlicher Gemeinschaften aus verschiedenen Ländern Europas, von Bischöfen, Jugendlichen und Musikbands. „Da wären wir gerne dabei“, sagen meine Gastgeber aus Paraguay.

Weitere Infos zur Veranstaltung und zum Netzwerk unter www.together4europe.org und www.miteinander-wie-sonst.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Schlüsselrolle der Beichte

Wie kann Neuevangelisierung gelingen?

Am 5. Mai 2016 hielt Mauro Kardinal Piacenza (Bild) bei einem Begegnungstag von KIRCHE IN NOT in Altötting einen bewegenden Vortrag. Das Thema lautete: „Warum die Beichte das wichtigste Sakrament für die Neuevangelisierung ist“. Doch auf dem Hintergrund dieser einfachen These entwickelte der Kardinal mit leidenschaftlicher Dynamik die entscheidenden Eckpunkte einer Neuevangelisierung in unserer Zeit. Er ist Großpönitentiar an der Apostolischen Pönitentiarie und zugleich Präsident der päpstlichen Stiftung KIRCHE IN NOT.

Von Mauro Kardinal Piacenza

Die Mission gehört zur innersten Natur der Kirche. Die Päpste Johannes Paul II., Benedikt XVI. und jetzt Franziskus haben die Mission auch für die westliche Welt dringend gefordert – und in diesem Zusammenhang von der „Neuevangelisierung“ gesprochen. Ich möchte in einem ersten Schritt auf die äußeren Umstände eingehen, mit denen eine Neuevangelisierung heute konfrontiert ist, dann auf die Antwort, welche die Kirche darauf geben kann und muss, und schließlich auf die Bedeutung der Beichte für die Neuevangelisierung, über die unabdingbare Rolle des Sakramentes der Versöhnung.

1. Die gegenwärtigen Umstände

Unser Abendland hat das Evangelium von den Aposteln erhalten und angenommen. Die Kirche hat über Jahrhunderte hinweg die Kultur im Abendland geprägt und die Zivilisation aufgebaut, durch die Wahrheit der kirchlichen Lehre, durch die Kraft der Sakramente und durch das Beispiel der vielen Heiligen.

Heute aber hat unsere westliche Welt die Orientierung verloren. Sie hat die Wahrheit verloren. Stattdessen haben sich überall Lügen eingeschlichen. Die westliche Welt ist von Lügen vergiftet. Doch noch immer verfügt sie über den reichen Schatz der Kirche, über all das, was für das Heil der Menschen notwendig ist: die Verkündigung der Frohen Botschaft, die Sakramente der Kirche, den Beistand von Gottes Heiligem Geist, die Hingabe der vielen Heiligen, die Lehre der Kirche, die vielfältigen Lebensformen innerhalb der Kirche, vom Mönchtum bis zu den heutigen neuen geistlichen Gemeinschaften, die kraftvoll und kompromisslos Jesus Christus verkündigen: Jesus Christus, der auch heute noch unter uns gegenwärtig ist, lebendig, mit all seiner Wahrheit; Jesus Christus, der der einzige Erlöser der Menschheit ist, der Mittelpunkt des Kosmos und der Geschichte.

Ich könnte lange reden über den Niedergang der westlichen Welt, der mit der Trennung der menschlichen Vernunft vom christlichen Glauben eingesetzt hat – und mit der Trennung von der göttlichen Schöpfungsordnung, von der Natur. Der moderne Mensch trennt sich von dieser Natur, nur noch sein eigener Geist und sein eigener Wille sollen sein Leben bestimmen – wie es Papst Benedikt XVI. in seiner Ansprache vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011 beschrieben hat.

Es gibt die Kirche noch im Abendland. Das Abendland lebt noch mit der Kirche zusammen. Aber das Abendland fühlt sich nicht mehr gebunden an die Kirche, nicht mehr gebunden an Jesus Christus. Jesus und seine Kirche werden nicht mehr als notwendig erachtet. Das ist die große Lüge! Jesus Christus und seine Wahrheit verschwinden aus dem Bewusstsein der Menschen. Wir können von einer fortschreitenden Verdunkelung der Gegenwart Jesu sprechen. Damit wird auch die göttliche Wahrheit verdunkelt.

Mit dem Aufkommen der Naturwissenschaften und des Empirismus – nur noch die Sinne zählen! – und dann mit der Aufklärung wurde der Begriff der Wahrheit immer weiter von der christlichen Offenbarung losgelöst. Dann hat man versucht, den Begriff der Wahrheit sogar von Gott loszulösen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Positivismus, von Nihilismus und Relativismus. Und heute trennt man den Begriff der Wahrheit sogar vom Begriff der Natur. Damit entfällt aber die Grundlage der Unterscheidung von Gut und Böse!

2. Die mögliche Antwort

Unsere westliche Welt befindet sich gleichsam in einem Wettlauf der Selbstzerstörung! Wie aber kann man sie noch retten? Wie kann man sie vor ihrer Selbstzerstörung noch bewahren? Wie kann man sie noch aufrütteln? – Vielleicht nur noch durch das Martyrium!

Das Einzige, was die Welt noch immer aufgerüttelt hat, ist das Martyrium! Die Welt, die Christus feindlich gegenüber steht – wie es schon der Evangelist Johannes beschrieben hat. Die Welt, die das Lamm Gottes leugnen will. Die Welt, die die Gläubigen der Kirche kreuzigen will. Die Ihn, Jesus Christus, in das Schweigen des Karsamstags verbannen will. Diese Welt kann nur aufgerüttelt werden durch das Martyrium! Durch das frei angenommene – nicht gesuchte! – Martyrium, den Tod des Christen als Zeugnis für die Wahrheit. Das erste Zeugnis dieser Art war das siegreiche Martyrium Jesu Christi. Ihm sind die Märtyrer gefolgt, die besonderen Freunde Jesu. „Wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen“, so lesen wir im Johannes-Evangelium (vgl. Joh 12,32).

Das christliche Martyrium ist Verkündigung, ist Proklamation der Wahrheit, die nicht durch Worte erfolgt, auch nicht durch Werke, sondern durch den Einsatz des eigenen Lebens. Natürlich sind die Worte und die Werke wichtig. Sie sind eine wichtige Voraussetzung, damit es zur Bereitschaft zum Martyrium kommen kann. Aber das Martyrium ist mehr! Es ist eine Verkündigung der Wahrheit Jesu Christi mit dem Blut, mit dem Opfer des eigenen Lebens. Es ist ein Zeugnis, das mit dem Tod besiegelt wird. Und aus dem Tod des Märtyrers erhebt sich eine mächtige, unverwechselbare und fruchtbare Stimme. Eine solche Stimme kann von der Welt nicht mehr zum Schweigen gebracht werden. Es ist eine Stimme, die von der Wahrheit kündet, die so groß ist, dass sie nicht nur das irdische Leben, sondern sogar die Ewigkeit erfüllen kann.

Das nächstgrößere Zeugnis, das ein Christ neben dem Martyrium ablegen kann, ist das Zeugnis der Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen. Auch dadurch wird Jesus Christus verkündigt, der als Auferstandener unter uns gegenwärtig ist. Auch dadurch werden Christen in ihrem Glauben gestützt und gestärkt.

Uns aber, die wir noch nicht bis zum Blut im Kampf gegen die Sünde Widerstand geleistet haben, wie es der Hebräerbrief formuliert (vgl. Hebr 12,4), uns kommt die schwerwiegende und dringende Aufgabe zu, jede Menschenfurcht zu überwinden. Das heißt: Wir haben die Aufgabe, das Evangelium vollständig zu verkünden, ohne Abstriche, ohne Verkürzungen, ohne angebliche „Aktualisierungen“, die dazu gedacht sind, das Evangelium zu zähmen, es annehmbar zu machen. Die Botschaft unserer Verkündigung aber ist die Menschwerdung Gottes: Gott ist in Jesus von Nazareth Mensch geworden. Er, Jesus, ist Christus und Herr! Er lebt und wirkt in seiner Kirche. Und es gibt außer ihm keinen anderen Namen, durch den man gerettet werden kann.

Und dann haben wir die schwerwiegende und dringende Aufgabe, den Begriff der Wahrheit zu befreien aus den Ketten des Positivismus unserer technisch-wissenschaftlichen Welt. Wir müssen den Begriff der Wahrheit wieder befreien aus den Wirren des Relativismus und des Nihilismus. Wir Christen sind doch erleuchtet durch die Wahrheit Jesu Christi! Er ist der einzige König, dem wir gehorchen!

Auf dieser Grundlage kommt uns dann schließlich die schwerwiegende und dringende Aufgabe zu, den Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen zu verkünden. Wir müssen den Menschen ihre überaus hohe Berufung wieder deutlich vor Augen führen: ihre Berufung zur Liebe, der Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Wir müssen uns all der Menschen annehmen, die mit uns Pilger auf dieser Erde sind und die sich von uns begleiten lassen.

Nur die ganze Wahrheit, die Wahrheit Jesu Christi, die Wahrheit, die Christus selber ist: Nur diese Wahrheit ist stark genug, dass sie die Herzen der Menschen anrühren kann; Nur diese Wahrheit kann die Bereitschaft zum Martyrium wecken, also die Bereitschaft zum Sterben gegenüber dieser Welt mit all ihren Verlockungen – um Jesu Christi willen. Und wenn nötig, sogar bis zum blutigen Martyrium.

Doch schon vorher sind wir Christen – egal ob Priester, Ordensleute oder Laien – einem unblutigen, aber trotzdem schmerzhaften Martyrium unterworfen: nämlich durch die Ausgrenzungen und die Diskriminierungen, die wir vielfach erfahren, indem wir als Christen verhöhnt und verstoßen werden. Beispiele dafür gibt es im Übermaß.

Nur so kann Neuevangelisierung gehen. Eine andere gibt es nicht. Ein „anderes Evangelium“ gibt es nicht. Kein „neues“ Evangelium, das sich zu den Menschen auf die Straße setzt, anstatt die Menschen aus dem Staub herauszuziehen und sie zu erheben und zum wahren Ziel zu führen. Der Mensch von heute wird nur das „wahre Evangelium“ als neu, als unumstößlich neu wahrnehmen, das Evangelium, das seit zweitausend Jahren gelebt und verkündet wird, das einzig die Tiefen des Herzens erleuchten und den Menschen retten kann. Es ist das Evangelium, das bis zum Martyrium bezeugt wurde.

3. Die Zentralität der Beichte

Hier nun wird die entscheidende Rolle der Beichte deutlich. Die Beichte, das Sakrament der Versöhnung, ist das wichtigste Sakrament der Neuevangelisierung. In ihr kommt der ganze Anspruch der Wahrheit Jesu Christi zur Geltung. In ihr ist Jesus Christus gegenwärtig. In diesem Sakrament zeigt sich, dass die Kirche der lebendige Leib Christi ist.

Das muss in der Katechese zur Beichte deutlich gemacht werden! Die Kirche ist der Leib Christi, der Leib des Sohnes Gottes! Allein in diesem Leib, allein in der Kirche ist es möglich, IHM, Jesus Christus, zu begegnen, IHN kennenzulernen, IHM zu folgen.

Die Kirche ist der Leib Christi! Dieser Glaubenswahrheit müssen wir treu bleiben! Nur dann können wir den „moralischen Wettkampf“ mit der Welt bestehen. In diesem Wettkampf versucht die Welt, die Sünden der Kirchenglieder schonungslos offenzulegen, die eigenen Sünden aber penibel zu verschweigen.

Diese Einheit von Christus und Kirche geht so tief, dass sie durch nichts unterbrochen werden kann – auch durch keine Sünde! Das letzte Wort über die Sünde des Menschen steht nämlich immer und alleine unserem Herrn Jesus Christus zu. Auch dafür steht das Sakrament der Beichte.

Das bezeugt auch der Priester mit jeder Minute, die er im Beichtstuhl verbringt, wenn er auf die Rückkehr des „verlorenen Sohnes“ wartet. Das bezeugt ebenfalls jeder Gläubige, der sich einen Ruck gibt, zur Beichte geht und so seine Knie beugt vor dem Priester, der durch Gnade das Blut Christi verwaltet, welches zur Vergebung der Sünden vergossen wurde.

Die Versöhnung im Sakrament der Beichte ist gleichsam eine gottmenschliche Handlung Jesu Christi. In jeder Beichte erneuert Christus seine Treue zum Menschen und identifiziert sich mit der konkreten geschichtlichen Gestalt der Kirche. So „zwingt“ er uns fast dazu, dass wir uns mit der Inkarnation, mit der Menschwerdung Gottes, auseinandersetzen. In der Beichte erneuert Christus seinen Anspruch, der einzige Weg zum Heil zu sein.

Durch die Beichte wird aber auch der Anspruch deutlich, den die Wahrheit Jesu Christi erhebt, nämlich dass sie die gesamte menschliche Existenz erleuchten und leiten will: unsere Gedanken, unsere Entscheidungen, unsere Handlungen. Die Wahrheit Jesu Christi hat eine „kosmische Dimension“: Sie erreicht jeden Winkel des Universums. Es gibt keinen Ort, keine Person auf dieser Welt, keinen Lebensbereich, keine noch so versteckte menschliche Handlung, es gibt nichts, was nicht in Beziehung zu Jesus Christus stehen würde. „Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“, so heißt es im Kolosserbrief (Kol 1,16).

Jesus Christus ist unser Schöpfer und Erlöser und die letzte Bestimmung eines jeden Menschen. Das ist der wahre Grund für die Würde des Menschen. Der Mensch ist nämlich – und dies gilt für alle Menschen – für Christus gemacht und geschaffen! Für nichts Geringeres als für Christus! Deshalb gibt es in jedem Menschen die tiefsitzende Sehnsucht, in dieses Licht, in diese Liebe Jesu Christi einzutauchen. Nichts kann diese Sehnsucht zerstören: keine persönliche Situation, keine kulturelle Strömung, kein sozialer Zustand, keine menschliche Abscheulichkeit, noch irgendeine Schwierigkeit.

Im Sakrament der Beichte begegnen wir der ewigen Wahrheit des Evangeliums. Dabei geht es nicht um ein Ziel, das wir mit eigenen Kräften erreichen müssten. Nicht um eine abstrakte Wahrheit, die wir in unserem Leben verwirklichen sollen. Auch nicht um eine „soziale Wahrheit“, die wir auf dieser Erde errichten müssten. Auch nicht um ein hohes Ideal für einige Auserwählte, dem sich Einzelne, Ehepaare, Familien, Freundschaften oder die Gesellschaft anzugleichen hätten.

Nein, die Wahrheit des Evangeliums ist eine Person: Jesus Christus, Gottes Sohn, der von sich gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit“ (Joh 14,6). Durch den Dienst der Kirche wird diese göttliche Wahrheit jedem Menschen zugänglich gemacht. Diese Wahrheit vermag den Menschen innerlich zu verwandeln. So erhält der Mensch Anteil am göttlichen Leben Jesu Christi. Diese Kraft der Verwandlung, die von der Wahrheit Jesu Christi ausgeht, wird vor allem in der Taufe freigesetzt. In diesem Sakrament werden wir gleichsam eingetaucht in den Tod und in die Auferstehung Jesu und so von der Erbsünde befreit. Dadurch erhalten wir die Gabe, in Jesus Christus Söhne Gottes und Tempel des Heiligen Geistes zu sein.

Im Sakrament der Taufe wird der Christ gleichsam geboren. Was in der Taufe geschieht, erneuert sich im Sakrament der Beichte. In jeder Beichte wäscht Christus mit seinem Blut die Sünden des Menschen ab, die dieser nach seiner Taufe begangen hat. Christus verwandelt das reumütige Herz des Sünders durch die Gnade des Heiligen Geistes und führt ihn so zurück zu den Quellen des Lebens.

Ausblick

Ich glaube, dass es keine Neuevangelisierung geben kann ohne eine offene, reine und vollständige Verkündigung der Wahrheit Jesu Christi, von der jede Wahrheit nur Zeichen und Widerschein ist. Die Verkündigung der Wahrheit Jesu Christi wird nur dann wirksam sein, wenn diese Wahrheit durch das Sakrament der Beichte auch das Herz des Menschen erreicht und innerlich verwandelt.

Es kann auch kein Glaubensleben geben und keine Bereitschaft zum Martyrium, wenn dieses nicht immer wieder neu geboren wird aus der lebendigen Begegnung mit der göttlichen Barmherzigkeit im Sakrament der Beichte. Dort wo die Kirche leidet, weil sie einen Mangel an all diesen Dingen hat, müssen wir uns persönlich angesprochen fühlen.

Die selige Jungfrau Maria, unsere Mutter, möge uns an die Hand nehmen und uns zum Herzen ihres Sohnes führen. Durch die zuvorkommende Barmherzigkeit Gottes ist sie die „tota pulchra“, die ganz Schöne, die Unbefleckte, die in sich die Wahrheit, Güte und Schönheit aufs höchste vereinigt. Sie möge uns helfen, die erhabene Tiefe des Herzens Jesu zu erkennen und zu lieben, immer und immer wieder. Sie möge uns helfen, IHN zu bezeugen, IHN treu zu verkünden und IHM zu dienen in jeglichen Belangen seiner Kirche. Neuevangelisierung wird dann nicht mehr nur ein „Slogan“ sein, sondern wird bedeuten, die Wahrheit kraftvoll zu verkünden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Maria, Mutter der Kirche

Die Gebetsstätte Marienfried

Professor Dr. Gerda Riedl (geb. 1961) ist Dozentin für Dogmatik an der Universität Augsburg. Gleichzeitig leitet sie eine Hauptabteilung im Ordinariat des Bistums Augsburg, die sich mit den Grundsatzfragen der Glaubenslehre und der Liturgie befasst. In dieser Verantwortung ist sie auch offiziell für die Wallfahrtsorte und Gebetsstätten der Diözese zuständig. Anlässlich des 70jährigen Jubiläums der Ereignisse, welche zur Entstehung der Gebetsstätte Marienfried im Landkreis Neu-Ulm geführt haben, geht sie mit kritischem Blick auf die geschichtlichen Hintergründe ein und stellt die heutige Bedeutung des Gnadenorts für das Leben der Kirche heraus. Sie zeigt auf, wie sich die Diözese Augsburg immer bemüht hat, das Wallfahrtsgeschehen an der Gebetsstätte seelsorglich zu begleiten und in das kirchliche Leben des Bistums zu integrieren. Auf diese Weise konnten die geistlichen Wurzeln für die Pastoral fruchtbar gemacht werden.

Von Gerda Riedl

In idyllischer Lage, am Waldrand unweit des Marktes Pfaffenhofen/Roth liegt die Gebetsstätte Marienfried mit dem 2011 umfassend erneuerten Gotteshaus „Maria, Mutter der Kirche“. Ihre Entstehung reicht in das Jahr 1944 zurück – gleichsam ein chronologisches Vorzeichen für Kommendes, Herausforderndes und Rettendes.

Entstehungsgeschichte

Auf Anregung des damaligen Ortspfarrers Martin Humpf (1907-1996) legte die Pfarrgemeinde nämlich am 7. Mai 1944 das Gelübde ab, der Gottesmutter Maria den Bau einer Dankkapelle zu versprechen, verbunden mit der Bitte um den besonderen Schutz der Gottesmutter für alle zur Pfarrei gehörigen Orte in den zunehmend bedrängenden Kriegsgefahren.[1] Da die Ortschaften trotz des Abwurfs einiger leichterer Bomben und des Absturzes eines US-amerikanischen Kampfjets in der Nähe vor Kriegsschäden verschont blieben,[2] wurde bald nach Kriegsende der Bau der versprochenen Dankkapelle in Angriff genommen.

Die Schwester des Ortspfarrers, Anna Humpf, schlug ihrem Bruder vor, die geplante Kapelle der Dreimal wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt zu widmen. Freilich zeigte sich Pfarrer Martin Humpf aus ästhetischen Gründen, womöglich aber auch aufgrund des damals ungeklärten kirchenrechtlichen Status der Schönstattbewegung, eher zurückhaltend. Anna Humpf hingegen war Mitglied der Schönstattfamilie und leitete in Pfaffenhofen eine Gruppe junger Frauen aus diesem Geiste. Unter dem Einfluss von Anna Humpf entscheidet sich auch die in ihrer Frömmigkeit sehr marianisch geprägte Bärbl Rueß (1924-1996), welche im Sommer 1944 lebensgefährlich an Hirnhautentzündung erkrankt gewesen war, Exerzitien der Schönstatt-Bewegung zu machen (Dezember 1945); trotz anfänglicher Bedenken schließt sie sich der Bewegung an. Schon seit 1939 erlebte Bärbl Rueß ihr selbst bisweilen unverständliche Visionen, welche sie nun auch Anna Humpf anvertraut.

Ungeachtet der ablehnenden Haltung ihres Bruders nagelt Anna Humpf am Josefstag des Jahres 1946 ein Marienbild der Dreimal wunderbaren Mutter (Mater ter admirabilis), wie es in der Schönstattbewegung verehrt wird, an einen Baum im Wald nahe Pfaffenhofens und betete auch dort mit ihrer Schönstattgruppe darum, „Maria möge herabsteigen und Wohnung nehmen von diesem Orte [sic!] und ihre besonderen Gnaden wie in Schönstatt austeilen“.[3]

Am 25. April 1946 suchen Pfarrer Humpf, seine Schwester Anna Humpf und Bärbl Rueß zwei für die geplante Marienkapelle geeignete Orte im Wald auf, und sprechen zwischen dem Rosenkranzgebet darüber, wie schön es wäre, wenn die Gottesmutter einen Hinweis auf den Platz ihrer Wahl geben würde. Schließlich beginnt man an dem von Anna Humpf schon am Josefstag ausgewählten Platz mit Rodungsarbeiten. Währenddessen erlebt Bärbl Rueß eine Vision, die Pfarrer Humpf als das erbetene Zeichen für die Wahl des Ortes begreift. Der Bau der Kapelle wird vorangetrieben.

Die kirchliche Erlaubnis zur Benediktion der Kapelle erfolgt im Februar bzw. Mai 1947 durch das Bischöfliche Ordinariat Augsburg, – schon damals allerdings verbunden mit der strikten Auflage, die Visionen der Bärbl Rueß gänzlich außen vor zu lassen. Zugleich wird der Spiritual des Priesterseminars in Dillingen, P. Heinrich Bleienstein SJ, mit der Untersuchung der Ereignisse beauftragt. Pater Bleienstein bezieht Mediziner, Psychologen und Theologen mit ein und kommt schließlich im Oktober 1950 zu dem Ergebnis, dass die Visionen der Bärbl Rueß keinen Anspruch auf Echtheit – im Sinne eines übernatürlichen Ursprungs – haben. Bärbl Rueß selbst heiratete übrigens im Jahr 1952 in Schönstatt Anton Rehm. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor.

In Marienfried entwickelte sich mittlerweile vor allem auf Initiative Anna Humpfs und ihres Bruders, Pfarrer Martin Humpf, ein überregionaler Wallfahrtsbetrieb. Zu diesem freilich ging Bärbl Rueß zunehmend auf Distanz.[4]  Bemerkenswert waren von Anfang an die ausgeprägte Zurückhaltung in der Interpretation ihrer Erlebnisse, und ihre Kritik an denjenigen, die sich nicht dem kirchlichen Urteil unterwerfen. Sie brachte es Heinrich Eizereif gegenüber angeblich auf folgenden Nenner: Ihr käme es vor, als ob man mit dem Marienfried-Banner gegen die „Mutter der Kirche“ antrete. So sprach sie sich auch nachdrücklich dagegen aus, den Besuchern einen Rosenkranzweg und den Ort der vermeintlichen Marienerscheinung zu zeigen, obwohl sie selbst angesichts der topographischen Veränderungen im Wald jene Stelle nicht mehr zu benennen wusste.

1973 brannte die im vorhergehenden Jahr neu errichtete Kapelle in Marienfried ab, so dass 1974 die an derselben Stelle neuerbaute sog. Marienfriedhalle von Bischof Dr. Stimpfle geweiht wurde. Im Vorfeld dieser Kirchenweihe sieht sich der Bischof von Augsburg, Dr. Josef Stimpfle, freilich veranlasst, zur Klarstellung folgende amtliche Verlautbarung zu veröffentlichen: „Das seit 1950 vorliegende Ergebnis und späterhin gesammelte Beobachtungen erlauben es nicht den ,Erscheinungen‘ oder der ,Botschaft‘ einen übernatürlichen Charakter zuzuerkennen. Noch weniger gestatten sie, für die darauf hinzielenden Andachtsformen eine kirchenamtliche Gutheißung auszusprechen."[5] In der Konsequenz wurde jeder Bezug in der kirchlichen Verkündigung auf die kirchlich nicht anerkannten, vermeintlichen Erscheinungen und die damit verbundene Botschaft untersagt: „In der kirchlichen Verkündigung (darf) weder formell noch materiell von ,Erscheinungen‘ bzw. von einer ,Botschaft‘ der Gottesmutter in Marienfried gesprochen oder geschrieben werden."[6]

Nach verschiedenen Interventionen erfolgte unter Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz eine nochmalige, eingehende Untersuchung der Ereignisse, die von 1993 bis 1998 andauerte. Alle Protagonisten der Ereignisse des Jahres 1946 konnten von der Untersuchungskommission persönlich befragt werden. Sämtliche Unterlagen wurden der Glaubenskongregation zur Prüfung vorgelegt. Am 20. März 2000 erlässt Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz ein Dekret bezüglich der Ereignisse in Marienfried 1946: „Nach gründlichem Studium des Abschlussberichtes erkläre ich in Übereinstimmung mit den Urteilen meiner Vorgänger und gestützt auf die einstimmig beschlossene Empfehlung der Untersuchungskommission: Es steht nicht fest, dass den Ereignissen von Marienfried aus dem Jahre 1946 ein übernatürlicher Charakter zukommt. Es bleiben ernste Zweifel bestehen, die es nicht erlauben, sie als echtes, übernatürliches Geschehen anzuerkennen. Daher bestätige ich die Entscheidung meines Vorgängers, Bischof Dr. Josef Stimpfle, vom 8. Juli 1974, insbesondere die Verfügung, dass ,in der kirchlichen Verkündigung weder formell noch materiell von Erscheinungen bzw. von einer Botschaft der Gottesmutter in Marienfried gesprochen oder geschrieben werden‘ darf (Amtsblatt für die Diözese Augsburg 84, 1974, vom 12.07. 1974, S. 189-191). Publikationen jedweder Art, die im Widerspruch zu diesem Dekret stehen, dürfen in kirchlichen Räumen weder verkauft noch verteilt werden."[7] 

In der anschließenden Erklärung zu Marienfried bringt Bischof Dr. Dammertz freilich auch seine Zuversicht zum Ausdruck: Marienfried „ist und bleibt ein Ort des Gebetes, der Verehrung der seligsten Gottesmutter und einer intensiven Seelsorge, in deren Mittelpunkt die Verkündigung des Gotteswortes und die Spendung der Sakramente stehen. Getreu dem Anfangsgelübde der Pfarrgemeinde Pfaffenhofen bleibt Marienfried ein Schönstatt-Heiligtum. Zugleich steht Marienfried aber auch offen für alle, die ,im Rahmen der gesunden und rechtgläubigen Lehre‘ (Lumen gentium, 66) Maria verehren und sich in kindlicher Liebe ihrem mütterlichen Schutz anvertrauen."[8]

Bedeutung Marienfrieds

Bis heute fehlt es nicht an vereinzelten Bemühungen, ungeachtet der vorangegangenen intensiven kirchlichen Prüfungen doch noch eine kirchliche Anerkennung der Ereignisse des Jahres 1946 zu erringen.

Dessen ungeachtet ist erfreulicherweise festzustellen, dass Marienfried unabhängig von der Beurteilung dieser Ereignisse zu einer ganz eigenen Rolle gefunden hat und von daher der Weihetitel Maria, Mutter der Kirche der im Jahr 2011 neu geweihten, von Grund auf erneuerten Kirche in Marienfried mit Leben erfüllt wird: Eingebunden in das spirituelle Leben der katholischen Kirche ist Marienfried eine Gebetsstätte, die überregionale Ausstrahlung besitzt. Ein reiches Angebot lockt die Beter von nah und fern: Feiern der hl. Messe, sonntags auch in der außerordentlichen Form des Römischen Ritus, Eucharistische Anbetung, Andachten, Rosenkranzgebet, Sühnenächte, Gebetsabende, Lobpreisabende und vielfältige Beichtgelegenheiten.

Daneben wird die Möglichkeit eröffnet, an Krankengottesdiensten teilzunehmen oder nach besonderer 33-tägiger Vorbereitung eine hl. Messe mitzufeiern und sich anschließend ganz Maria zu weihen. Die Schönstatt-Spiritualität wird besonders intensiv an den Bündnistagen der Schönstattfamilie erlebbar und ein Höhepunkt jeden Jahres ist zweifellos der Große Gebetstag. Das vielfältige Angebot an Exerzitien und Einkehrtagen bietet zusätzlich Gelegenheit, sich an diesem ruhigen Ort auch eine Auszeit für die Seele zu gönnen.

Gerade mit Blick auf die Bedeutung des Gebetes für die Welt, die Kirche und uns selbst ist diese Entwicklung Marienfrieds wahrlich eine Gnadengabe des Hl. Geistes, wie Bischof Dr. Stimpfle sie sich wünschte: „Wir vertrauen darauf, daß Marienfried … eine Stätte des Gebets sei, an der die Besucher die Gnadengabe des Heiligen Geistes erflehen und empfangen mögen, damit sie durch die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter Jesus Christus, ,dem Mittler und Erlöser, inniger anhängen‘ (Lumen gentium, Art. 62)."[9] 

Ist denn nicht das rege Gebetsleben in Marienfried genau das, was die Gottesmutter möchte? Nämlich: Dass wir durch sie zu Jesus Christus kommen! Darüber hinaus ist nichts nötig.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
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[1] Martin Humpf: Marienfried, in: Gerhart Nebinger (Hg.): Pfaffenhofen an der Roth [Ortschronik], Selbstverlag der Gemeinde 1982, 74.
[2] Matthäus Seckler: Das Kriegsende 1944-45 in Pfaffenhofen, in: Ebd., 84.
[3] Anna Humpf: Marienfried und Schönstatt, Ms. S. 5.
[4] Wie sehr sich die Rezeption der Ereignisse des Jahres 1946 verselbständigt und von der Person Bärbl Rehm, geb. Rueß, gelöst hatten, mag Folgendes beleuchten: Im Jahr 1976 erschien im Christiana Verlag – trotz der Proteste von Bärbl Rehm, Pfarrer Humpfs und des Ordinariates Augsburg – die erste Auflage der von Heinrich Eizereif besorgten Publikation Das Zeichen des lebendigen Gottes. Muttergottes-Erscheinungen in Marienfried, Stein am Rhein 1976. Bärbl Rehm, geb. Rueß, schreibt dazu in einem Brief vom 4.9./2.10.1988 an Frau Dr. Karin Hermes sinngemäß, dass Sie mit diesem Buch nichts zu tun habe und das Berichtete den tatsächlichen Ereignissen nicht unbedingt entspräche.
[5] Bischof Dr. Josef Stimpfle: Marienfried, in: Amtsblatt für die Diözese Augsburg 84 (1974), 189-191, hier: 190.
[6] Ebd.
[7] Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz: Dekret bezüglich der Ereignisse in Marienfried 1946, in: Amtsblatt für die Diözese Augsburg 110 (2000), 143f.
[8] Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz: Erklärung zu Marienfried, in: Amtsblatt für die Diözese Augsburg 110 (2000), 146.
[9] Marienfried (Anm. 5), 190f.

Marienfried aus der Sicht einer Schönstätter Marienschwester

Das Herz der Gebetsstätte

Als ein Jubiläum besonderer Art bezeichnet die Schönstätter Marienschwester Maria Sieghelma Pfeufer das Jahr 2016 für die Gebetsstätte Marienfried, an der sie seit 20 Jahren tätig ist. Zuvor hatte sie den Ort nicht gekannt. Doch während ihrer Tätigkeit in der Pilgerbetreuung ist ihr das Heiligtum immer mehr ans Herz gewachsen. Mit Leib und Seele setzt sie sich für die Menschen ein, die in Marienfried Zuflucht suchen und Einkehr halten möchten. Die Ereignisse vor 70 Jahren sind für sie ein Schlüssel zum tieferen Verständnis des Sendungsauftrags von Schönstatt geworden. Sie hält sich in ihrer Arbeit an die Maßgabe der Diözese, was die angeblichen Erscheinungen der Gottesmutter im Jahr 1946 betrifft, macht aber keinen Hehl daraus, dass sie persönlich den Ereignissen sehr aufgeschlossen gegenübersteht.

Von Sr. Sieghelma Pfeufer

Herzstück ist das Schönstatt-Heiligtum

Die Gebetsstätte Marienfried hat sich zu einem ansehnlichen Ensemble entwickelt, das sich wunderschön in die natürliche Umgebung einfügt. Am Ort befinden sich die ursprüngliche Gnadenkapelle, geweiht auf den Titel „Dreimal Wunderbare Mutter und Mittlerin der Gnaden“, mit einem neuen Sakristei-Gebäude, die Marienfriedkirche „Maria, Mutter der Kirche“, die Pilgerheime „Haus Marienfried“, „Haus Bethanien“ und „Haus Tabor“, eine Fatima-Kapelle, eine Lourdes-Grotte, ein Kreuzweg sowie ein Rosenkranz- und ein Immaculata-Weg. Doch das Herzstück der Gebetsstätte ist und bleibt die Gnadenkapelle. Es handelt sich um ein kleines Schönstatt-Heiligtum, das 1946/47 nach dem schrecklichen II. Weltkrieg als Gelöbniskapelle zum Dank für den auffallenden Schutz in vielfältigen Situationen erbaut worden ist. Die Marktgemeinde Pfaffenhofen hatte am 1. Mai-Sonntag 1944 versprochen, eine Kapelle zu bauen, wenn Maria sie beschützt.

Als Werkzeug zum Aufbau dieses heiligen Ortes wählte Gott den seeleneifrigen Priester Martin Humpf und seine Schwester Anna Humpf aus, in besonderer Weise auch die Jugendliche Bärbl Rueß. 17 Mädchen aus der Schönstatt-Mädchenjugend weihten sich der „Dreimal wunderbaren Mutter“ und versprachen, durch Gebet und Opfer mitzuhelfen, dass hier viele Menschen in all ihren Sorgen und Anliegen Heimat und Geborgenheit erleben dürfen. Nach der Einweihung am 18. Mai 1947 zog die Gottesmutter immer mehr Pilger von nah und fern zu dieser Stätte, die bald den Namen „Marienfried“ erhielt.

Unerwartete Ereignisse

Noch zur Zeit der Vorbereitung zum Bau der Gnadenkapelle geschah etwas ganz Unerwartetes, nämlich die Visionen, welche Bärbl Rueß am 25. April, 25. Mai und 25. Juni 1946 hatte. Und in diesem Jahr 2016 dürfen wir das 70-jährige Jubiläum dieser Ereignisse feiern. Gläubig davon überzeugt, dass uns die Erscheinungen wahrhaft und ehrfürchtig übermittelt worden sind, nehmen wir an diesem übernatürlichen Gnadeneinbruch teil. Damit soll der Entscheidung der Kirche zur Anerkennung dieses Geschehens in keiner Weise vorgegriffen sein. Denn bislang lautet die offizielle Entscheidung des Bischofs, die Übernatürlichkeit der Ereignisse stehe nicht fest.

Seither erbittet uns Maria bei ihrem göttlichen Sohn Gnade und Erbarmen. Die Pilger erfahren am Heiligen Ort außerordentliche Gnaden, welche wir aus der Spiritualität der Schönstatt-Bewegung kennen: seelische Geborgenheit, innere Umwandlung sowie Sendungsergiffenheit, um den Glauben zu leben.

Beim dreimaligen Kommen Mariens stellte sie sich selbst mit den Worten vor: „Ich bin das Zeichen des lebendigen Gottes“ und „Ja, ich bin die große Gnadenvermittlerin“.

Die Zeugin Bärbl Rueß

Was dies alles für Bärbl Rueß, einem schlichten Mädchen aus dem Volk, bedeutet hat, dieses außergewöhnliche Geschehen zu erleben, können wir nur erahnen; ebenso die schon 1940 erlebte Begegnung im Wald mit einer fremden Frau, die ihr den „Immaculata-Rosenkranz“ lehrte und versicherte: „Ich komme wieder“, die aber nicht sagen wollte, wer sie ist, wo sie wohnt und woher sie kommt… Bärbl selbst konnte das strahlende Wesen dieser Frau nie vergessen.

Die Botschaft von Marienfried ist uns jedenfalls gegeben als Lichtblick und Mahnung, als Aufruf für unsere Zeit.

Das Echo der Pilger

Vielfältig ist das Echo der Pilger. Sie erzählen, wie sehr sie es schätzen, bei der täglichen Anbetung unter der Woche Jesus in der Monstranz verehren und anbeten zu können.

Aus meiner 20-jährigen Diensterfahrung an der Gebetsstätte kann ich selbst bestätigen, welche „seelischen Wunder“ Maria bereit ist zu wirken – als die „Dreimal wunderbare Mutter, Königin und Siegerin von Schönstatt und Marienfried“. Allein in den ersten 4 Monaten meines Hierseins teilten mir etwa 14 Personen unterschiedlichen Alters mit, vor allem Männer, dass sie im „Kapällele“ Frieden gefunden und wieder Mut und Kraft erhalten hätten, neu zu glauben und ihr Leben zu ändern. Diese meine Erfahrung liegt als Zeugnis beim Ordinariat in Augsburg.

Es gibt auch fast kein Land mehr, das nicht durch Pilger hier schon vertreten war. Nur um einige zu nennen: Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich, Spanien, England, Polen, Russland, USA, Kanada, Hawaii, Indien, China, Vietnam, Australien, Neuseeland und auch Afrika. Warum kommen diese Menschen? Auch viele Würdenträger, ob Nuntius, Kardinal, Bischof oder Missionar, besuchten das Heiligtum und verliehen ihrer Verehrung der Gottesmutter an dieser heiligen Stätte Ausdruck.

Besuch und Urteil von P. Josef Kentenich

Auch Pater Josef Kentenich, der Gründer des internationalen Schönstattwerkes, machte am 8. September 1966  einen überraschenden Besuch. Seine Äußerung zum Geschehen hier lässt aufhorchen:

„Wenn ich das Geschehen von Marienfried auf mich wirken lasse, habe ich den Eindruck, dass es echt ist. Wir müssen das Sprechen Gottes in jeder Form ernst nehmen. … Wir sind nicht wundersüchtig, aber auch nicht wunderscheu. … Wir haben aber auch nicht das Recht, dem lieben Gott Vorschriften zu machen, was er tun darf. Gott hat uns bisher den Weg des Vorsehungsglaubens geführt. Gott ist frei. Wenn er in diesem Fall einen anderen Weg wählt, müssen wir prüfen, was er damit will und uns für ihn bereithalten…“

Peter Josef Kentenich legte klar dar, wie er zu diesem Ereignis steht. Das war auch für Herrn Pfarrer Martin Humpf und alle Beteiligten eine große Bestätigung und Sicherheit. Nach diesen kurzen Überlegungen zur Gebetsstätte Marienfried möchte ich auch Sie zu einem Verweilen in unserem Schönstatt-Heiligtum und am Heiligen Ort einladen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
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Hospizdienst und christliche Sterbebegleitung

Gibt es einen „guten Tod“?

Gudrun Theurer (geb. 1963), die Ehefrau des früheren evangelischen Pfarrers Andreas Theurer, wurde am 29. Oktober 2012 zusammen mit ihrem Mann in die katholische Kirche aufgenommen. Beide bekamen eine Anstellung in der Diözese Augsburg, Andreas am „Institut für Neuevangelisierung“, Gudrun in der katholischen Krankenhausseelsorge. Sie ist Diplomtheologin und hat sich auf den Hospizdienst spezialisiert. Neben ihrer pastoralen Tätigkeit im Hospiz St. Vinzenz in Augsburg arbeitet sie als Referentin und Kursleiterin in der Aus- und Weiterbildung von Ehrenamtlichen und Fachkräften in den Themen Sterben, Trauer, Spiritualität. Ihre Publikation über christliche Sterbebegleitung hat sie im Licht des katholischen Glaubens überarbeitet und vergangenes Jahr neu herausgebracht. Es trägt den Titel: „Gemeinsam unterwegs in schwerer Zeit. Begleitende Texte für Kranke, ihre Angehörigen und Hospizmitarbeiter“.[1]

Von Gudrun Theurer

Heiliges Erschrecken

Mein Freund hat Krebs! Gestern rief er mich an und sagte, dass die Ärzte einen Tumor im Bauch festgestellt haben. Die Erkrankung sei so weit fortgeschritten, dass es keine Chance auf Heilung mehr gäbe.“ Solch eine Nachricht geht unter die Haut – nicht nur dann, wenn wir als Angehörige oder Freunde direkt Mitbetroffene sind. Mitten in unserem Alltagsgeschäft schreckt uns eine solche Nachricht auf. Sie erinnert uns daran, dass wir alle einem Ereignis nicht ausweichen können: unserer letzten Lebensstunde.

Und unwillkürlich stellt sich damit die Frage: Wie werde ich sterben? Und weil es auf diese Frage einfach keine Antwort geben kann, bleiben wir mit der Frage zurück: Wie möchte ich sterben? Dies ist durchaus keine neue Frage. Immer schon haben Menschen sich damit beschäftigt, was denn der „gute Tod“ sei. Die jeweilige Sterbekultur wurde im Rückblick sogar zu einem Spiegelbild der jeweiligen Epoche – ein Spiegelbild, an dem man die Weltanschauung und das Menschenbild ablesen konnte. Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit dieser Frage um? Kann ich einen Tod finden, den ich als „guten Tod“ oder gar als „schönen Tod“ bezeichnen kann?

Wandel im Umgang mit dem Tod

Wir erleben in unserer Kultur seit den 80er-Jahren eine deutliche Veränderung im Umgang mit dem Sterben. Während man noch bis hinein in die 70er-Jahre das Thema meist tabuisierte, geht man heute offener damit um. Der Tod ist nicht mehr nur die Kapitulation, die am Ende eines langen Krankheitsweges steht, sondern wird zunehmend als der natürliche, wenn auch persönliche traurige Verlauf des Lebens angesehen. Nicht mehr die Vermeidung des Todes um fast jeden Preis, sondern seine Akzeptanz und damit bestmögliche Begleitung stehen im Vordergrund. An dieser Entwicklung hatte die Hospizbewegung einen großen Anteil. Sie machte darauf aufmerksam, dass es zur Würde des Menschen und zur Würde einer ganzen Gesellschaft gehört, dem Tod einen natürlichen Platz im Leben einzuräumen, statt ihn zu tabuisieren. Heute haben wir in Deutschland etwa 300 Hospize, ebenso viele Palliativstationen und über 1500 ambulante Hospizdienste. Das Sterben daheim, das etwa 80% der Menschen für sich wünschen, soll ermöglicht werden. Mehrere tausend Ehrenamtliche unterstützen die verschiedenen Hospizdienste darin, Menschen zu Hause zu begleiten. Es sind tragfähige Strukturen geschaffen worden, die Familien helfen können, die Zeit des Abschiednehmens miteinander zu leben. Im Focus der Palliativmedizin steht die optimale Symptom- und Schmerzkontrolle, weitgehend sind ein begleiteter, schmerzfreier Tod und gegebenenfalls ein palliativ sediertes Sterben möglich geworden. So hat man humane Rahmenbedingungen für das Sterben geschaffen. Doch wird dies allein dem Freund, von dem ich eingangs sprach, helfen können, seinen guten Tod zu finden? So entscheidend wichtig und tragfähig medizinische und pflegerische Konzepte auch sind, sie alleine beantworten die Frage nach dem, was ein guter Tod sein kann, nicht hinreichend. Denn der Ruf nach einer aktiven Sterbehilfe war noch nie so groß wie heute. Zu einem „guten Sterben“ gehört also weitaus mehr als das, was beste pflegerisch-medizinische Leistungen bieten können. Es gehört die persönliche Auseinandersetzung mit der Frage nach der eigenen Endlichkeit und damit nach der Ewigkeit zu dem, was wir beantworten müssen, um gut sterben zu können.

Wer bin ich am Ende meines Lebens?

In unausweichlicher Radikalität stellt sich am Lebensende die Frage: Wer bin ich, wenn nichts irdisch Sichtbares mehr von mir bleibt? Hier spitzt sich die Existenzfrage des Menschen zu, die Frage danach, woher ich komme und wohin ich gehe. Sich diese Frage zu stellen und zu beantworten, liegt in der besonderen Würde menschlichen Lebens. Sie ist aber zugleich eine besondere Herausforderung; es ist die Existenzfrage des Menschen schlechthin: Wer bin ich?

Über Jahrhunderte hinweg wurde diese Frage selbstverständlich und lebensbegleitend durch den christlichen Glauben beantwortet. Im Gegensatz dazu erleben wir heute eine weitgehende Sprachlosigkeit gegenüber schwerstkranken, sterbenden Menschen und auch ihren Angehörigen. Wer bin ich, wenn all das dahinschwindet, was mein irdisches Leben ausgemacht hat? Die Antworten, die christlicher Glaube in den Texten der Sterbebegleitung, den Sakramenten und Gebeten bereithielt, sind in einer weitgehend säkularisierten Welt verloren gegangen und werden meist nicht mehr verstanden. Natürlich rührt dies daher, dass der christlich gelebte Glaube zunehmend seine prägende Bedeutung eingebüßt hat. Aber es liegt auch darin begründet, dass der selbstverständliche Umgang mit sterbenden Menschen in unserer individualisierten Gesellschaft vielfach verloren gegangen ist.

Die Not des Sterbens

So sind Menschen heute oft einer Angst vor dem Sterben ausgeliefert, der sie keine „Trostmittel“ entgegensetzen können. Sie fürchten sich vor dem zunehmenden Verlust aller Selbstkontrolle und spüren, dass dieses Sich-überlassen-müssen zur wohl größten Herausforderung im Leben werden kann. Eine Lösung liegt aber nicht im Vermeiden, sondern nur im Bewältigen dieser letzten Angst. Bedenken wir, dass die meisten Menschen heutzutage einen mittelschnellen Tod durch eine fortschreitende Erkrankung erleben, dann bedeutet dies, dass sie den Prozess ihres Sterbens durchaus über einen längeren Zeitraum erleben können. Eine Begleitung, die sich nur auf die pflegerischen und medizinischen Aspekte bezieht, stößt hier an ihre Grenzen. „Mein Freund hat Krebs!“ – die Geschichte dieses Mannes ist nicht nur eine Geschichte des Leidens. Es ist die Geschichte eines Menschen, der erlebte, was es bedeutet, einen Halt und einen Trost über dieses irdische Leben hinaus zu haben. Binnen weniger Monate hatte er, der als selbständiger Unternehmer gewohnt war, sein Leben zu regeln, seine Kräfte und die Planungshoheit über sein Leben fast völlig verloren. Er sei nie sehr religiös gewesen, sagte er, aber nun hätte er erfahren, was Glaube bedeutet. Für ihn war die Leidensgeschichte Jesu zu seiner eigenen Geschichte geworden. „Christus trägt alles Schwere mit mir. Wenn ich hier liege und weine, weil ich es nicht mehr aushalte, dass ich so schwach bin, dann weiß ich: Jesus weint mit mir, er erträgt das mit mir  – daraus schöpfe ich die Kraft, mich selber auszuhalten. Als ich begriffen hatte, wie nah mir dieser Jesus auf seinem Weg in den Tod ist, da habe ich gewusst: es ist keine Schande, dass ich auch diese Gefühle der Ohnmacht und der Verzweiflung habe – das darf sein. Für mich war das wie eine innere Befreiung, dass ich nicht mehr stark sein musste. Aber da war noch etwas anderes: ich spürte, dass es nur einen einzigen Weg gibt, meine innere Not los zu werden. Ich vertraute mich Gott an, so wie Jesus es auch getan hat. Seit Jahren begann ich das erste Mal wieder zu beten.“ Uns wird über dieses Gebet Jesu, das er in tiefer Traurigkeit am Ölberg sprach, berichtet:  „Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm (neue) Kraft“ (Lk 22).

Trost

Diese Begegnung war mehr als eine Vertröstung oder ein normaler Zuspruch. Hier enthüllt sich das Geheimnis der Gegenwart Gottes im leidenden Menschen. Es ist eine Begegnung, die einen Blick öffnet in die zukünftige Herrlichkeit, die sich kurz dem Leidenden erschließt und ihm die Kraft für das Kommende gibt. Die letzten Lebenswochen des Mannes waren geprägt von diesem tiefen Trost. „Ich spüre“, so sagte er oft, „ dass hier etwas mit mir geschieht, das ich mir selbst nicht geben kann, das ich auch nicht machen kann. Oft empfange ich jetzt die Krankenkommunion und ich erlebe dabei einen inneren Frieden, den ich so noch nie kannte. Ich bete – und merke, dass es viel mehr bedeutet als nur sein Herz auszuschütten, denn ich spüre, wie ich umgeben bin von einer Liebe, die mich ganz umhüllt.“

Der Weg in ein neues Leben

Am Ende des Lebens zeigt sich, dass unser Menschsein mehr ist als die Summe unserer Erfolge und Taten. Diese vergehen im Angesicht des Todes. Das einzige, was sich dem Menschen als lebensfähige Zukunft erschließen kann, ist der Weg in die Gottesgemeinschaft. Der Kirchenvater Augustinus hat dies in einem bekannten Satz so ausgedrückt: „Ruhelos ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, o Gott“ (Conf I,1). Christliche Sterbebegleitung hilft dem Glaubenden, diesen Weg getröstet zu gehen und sie hilft dem, der diesen Weg sucht, ihn nun zu finden. Die letzte Lebenszeit ist also, wenn man sie bewusst erleben darf, die Zeit der Vorbereitung auf den Himmel.

Christliche Sterbebegleitung unterstützt den Leidenden auf diesem Weg. So ermöglicht ein Seelsorgegespräch, das in eine Beichte mündet, dem Sterbenden, sich ehrlich mit seiner Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Es öffnet ihm einen Weg, seine Schuld nicht nur zu bekennen, sondern in der Vergebung Heilung und Befreiung zu erfahren. Gebete und Psalmen nehmen den Sterbenden hinein in die Glaubenstradition der ganzen Kirche. Sie geben dem individuellen Leid ihren Ausdruck und nehmen den Sterbenden zugleich hinein in die stärkenden Glaubenserfahrungen anderer.

Vielen Menschen tut es gut, den Morgen mit einem Gebet und Segen zu beginnen und damit dem ganzen Tag eine innere Ausrichtung zu geben, die sich nicht auf die täglichen Aufgaben und das Leiden reduziert. Der Abendsegen und Abendlieder lassen dann die Seele zur Ruhe kommen. Die heilige Eucharistie, die in der Krankheitszeit öfter als Krankenkommunion gereicht werden kann, verbindet den Leidenden innig mit Christus. Sie gibt ihm im Angesicht seines Sterbens einen Vorgeschmack auf die Vollendung, der er entgegenlebt. In besonderer Weise geschieht dies am Lebensende durch das Versehen des Sterbenden (Beichte, Salbung, heilige Kommunion als Wegzehrung, Segen).

„Mein Freund hat Krebs“ – das Erschreckende dieses Satzes bleibt. Seine persönliche Geschichte zeigt aber, dass er für sich einen guten Tod hat finden können, denn seine Begleitung umfasste nicht nur sein irdisches Wohlergehen, sondern auch seine Vorbereitung auf den Himmel.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Gudrun Theurer: Gemeinsam unterwegs in schwerer Zeit. Begleitende Texte für Kranke, ihre Angehörigen und Hospizmitarbeiter. Dominus-Verlag, Hardcover, 304 S., Euro 19,95 (D) zzgl. Versand, ISBN 978-3-940879-40-0.

Neue Europäische Bürgerinitiative zur Verteidigung von Ehe und Familie

Vater, Mutter, Kind

Die EU-Kommission hat sich völlig in den Dienst der Lobby-Gruppen gestellt, welche das traditionelle Verständnis von Ehe und Familie und damit den von unserem Grundgesetz garantierten Schutz auszuhöhlen versuchen. Die Kommission bekennt sich offen zu ihrer Politik und setzt den Hebel bewusst an der unterschiedlichen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten an, um sie im Rahmen des Rechts auf Freizügigkeit gegeneinander auszuspielen. Dagegen wendet sich nun eine Europäische Bürgerinitiative (EBI), welche die Achtung der nationalen Kompetenzen der Mitgliedstaaten einfordert. Sie läuft unter dem Namen „Mum, Dad & Kids/Vater, Mutter, Kind“ (www.vatermutterkind.eu). Bei der EBI handelt es sich um ein junges, aber offizielles Instrument der Politik, das Anliegen der Bürger auf die Tagesordnung der EU-Gremien bringen kann. Die neue Initiative benötigt in den kommenden zehn Monaten eine Million Unterschriften, davon in Deutschland 75.000. Hedwig von Beverfoerde ist Koordinatorin der EBI „Vater, Mutter, Kind“ für Deutschland.

Von Hedwig von Beverfoerde 

Der Kampf um Ehe und Familie tobt nicht zuletzt um die Deutungshoheit der Begriffe. In immer mehr EU-Ländern – so bereits geschehen in Spanien, Frankreich, Belgien und kürzlich in Italien – werden die Begriffe „Ehe“ und „Familie“ radikal umdefiniert. Auf Betreiben von europaweit agierenden Lobbygruppen arbeiten Regierungen und Parlamente – nicht selten in überfallsartiger Weise, ohne die Bürger vorher nach ihrer Meinung zu fragen – daran, die Definitionen von Ehe und Familie auszuweiten. Auch Lebensgemeinschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern, mit Kindern, die gegen Geld von Leihmüttern ausgetragen wurden, alles soll sich Ehe und Familie nennen können.

Diese Lobbygruppen haben mächtige Verbündete, auch in den Organen der Europäischen Union, wo einflussreiche Personen sitzen, die Ehe und Familie aushöhlen wollen. Da Rechtsfragen zu Ehe und Familie aber allein Angelegenheit der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten sind, kann die EU auf Länder mit traditionellem Ehe- und Familienbegriff keinen direkten Einfluss ausüben. Also agiert sie indirekt. So wird in den Rechtsakten der Europäischen Union immer häufiger auf „Ehe und Familie“ Bezug genommen. Da aber keine Klarheit über die Begriffe herrscht, erzeugt dies Druck hin zur Begriffserweiterung und untergräbt den Schutz von Ehe und Familie.

Gemeinschaftsrecht der EU muss nationale Kompetenzen achten

Das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union braucht daher dringend eine präzise Begriffsbestimmung von Ehe und Familie, die gleichzeitig die nationalen Kompetenzen der Mitgliedsstaaten achtet. Zu diesem Zweck haben engagierte Personen aus mehreren Ländern die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Mum, Dad & Kids / Vater, Mutter, Kind“ gestartet.

Wir fordern eine EU-Verordnung, die die Begriffe Ehe und Familie im EU-Gemeinschaftsrecht folgendermaßen definiert: Die Ehe ist der Lebensbund zwischen einem Mann und einer Frau, und die Familie gründet sich auf Ehe und/oder Abstammung.

Die Unterschriftensammlung für die EBI „Vater, Mutter, Kind“ läuft seit 4. April 2016. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir innerhalb eines Jahres mindestens 1 Million Unterschriften, davon 75.000 aus Deutschland.

Die Initiative kann im Internet unter www.vatermutterkind.eu unterzeichnet werden. Man kann dort auch das offizielle Unterschriftenformular herunterladen und ausdrucken, um z.B. in Pfarreien, Vereinen und in der Nachbarschaft Unterschriften auf Papier zu sammeln. Um das Unterschriften-Werben zu erleichtern, gibt es alle wichtigen Informationen zur Initiative kurz und prägnant zusammengefasst auch auf einem Flyer, der ebenfalls unter dieser Webadresse bestellt werden kann.

Früher war eine Definition der Begriffe Ehe und Familie nicht nötig, weil alle darunter dasselbe verstanden. Heute wissen wir oft nicht mehr, was gemeint ist, wenn in EU-Papieren davon die Rede ist. Beinahe jedes EU-Mitgliedsland füllt die Begriffe anders.

Während z.B. in Schweden, Frankreich und Spanien Homosexuelle miteinander eine zivilrechtliche „Ehe“ eingehen können und dann Kinder adoptieren dürfen, haben Bürgerinitiativen in Kroatien und Rumänien erreicht, dass die Definition der Ehe als Lebensbund zwischen Mann und Frau in der Verfassung verankert wurde. In Slowenien musste sogar ein Gesetz zurückgezogen werden, mit dem die „Homo-Ehe“ eingeführt werden sollte.

Inakzeptabler Vorstoß der EU-Kommission

In Deutschland konnte bis heute eine „Öffnung“ der Ehe für homosexuelle Partnerschaften verhindert werden, aber jetzt geht die Gefahr von höchster Stelle der EU selbst aus. Vor einigen Monaten hielt der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, auf einer Gala-Veranstaltung der schwul-lesbischen Interessenvertretung „ILGA Europa“ in Brüssel die Festrede. Er brachte darin seine Freude über die Einführung der „Homo-Ehe“ in Irland zum Ausdruck und sprach sich für ein allgemeines Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare aus. Wörtlich sagte der Erste Vizepräsident der EU-Kommission:

„Die EU-Kommission wird für LGBTI-Rechte in allen internationalen Gremien global kämpfen: in den Vereinten Nationen, der OSZE, im Europarat und überall dort, wo LGBTI-Rechte noch nicht akzeptiert sind.“ Und weiter: „Die EU-Kommission sollte darauf hinwirken, dass alle EU-Mitgliedstaaten die Homo-Ehe vorbehaltlos anerkennen.“

Hebel dafür soll insbesondere das innerhalb der EU geltende Recht auf Freizügigkeit sein. Danach dürfen Bürger eines EU-Landes in einem anderen EU-Land Arbeit suchen, Arbeit annehmen und dann dort mit Ehepartner und Familie Wohnsitz nehmen. In Ländern wie Deutschland, in denen die Bedeutung von Ehe und Familie gewahrt ist als Ehe zwischen Mann und Frau mit ihren Kindern, werden in anderen Ländern geschlossene „Homo-Ehen“ nicht als Ehe und von Homo-„Ehe“paaren adoptierte Kinder nicht als eigene Kinder anerkannt. Homo-Partner mit Adoptivkindern haben bei uns also kein Nachzugsrecht im Rahmen des EU-Freizügigkeitsabkommens.

Genau an dieser Stelle setzen Timmermans und die LSBTTIQ-Lobby an: Zunächst fordern sie im Namen der Anti-Diskriminierung für alle Länder die gegenseitige Anerkennung der unterschiedlich definierten „Ehe“, damit „Homo-Familien“ überall das Recht auf Nachzug bekommen. Im nächsten Schritt müssten dann Homopaare aus Deutschland, die z.B. in Spanien die „Ehe“ schließen, auch in Deutschland als Ehepaar anerkannt werden. Dies wiederum hätte zur Folge, dass Deutschland gezwungen wäre, die zivile Ehe allgemein für homosexuelle Paare zu „öffnen“, da nicht zweierlei Rechtszustände bei gleichen Voraussetzungen nebeneinander bestehen können. Auf diese Weise wäre in kürzester Zeit das Ziel erreicht, Ehe und Familie in allen EU-Ländern radikal neu zu definieren.

Sinn und Zweck der Bürgerinitiative

Eben dies gilt es unbedingt zu verhindern. Deshalb ist es jetzt wichtig, dieser gefährlichen und familienfeindlichen Entwicklung eine klare Begriffsdefinition entgegenzusetzen. Um nicht in die nationalen Kompetenzen der Mitgliedsstaaten einzugreifen, muss diese Definition als kleinster gemeinsamer Nenner den Gesetzen aller EU-Länder entsprechen. Die EBI „Mum, Dad & Kids / Vater, Mutter, Kind“ fordert deshalb, dass das EU-Gemeinschaftsrecht unter dem Begriff „Ehe“ ausschließlich eine Verbindung zwischen Mann und Frau anerkennen soll; die Familie soll auf der Grundlage von Ehe und Abstammung definiert werden.

Diese Definition ist naturgegeben, vorstaatlich und universal anerkannt. Sie beruht auf dem tiefen Sinn und Zweck der Ehe, die beste Basis für Zeugung, Aufwachsen und Gedeihen von Kindern zu sein. Das Recht der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, Ehe und Familie jeweils selbst zu definieren, bliebe unberührt. Aber der Versuch, über die EU einzelne Länder zur Einführung der „Homo-Ehe/Familie“ zu zwingen, wäre vereitelt.

Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) ist ein relativ junges, offizielles Instrument für die Bürger der EU-Staaten, ihre politischen Forderungen auf die Tagesordnung der EU zu setzen, indem sie der Europäischen Kommission eine Rechtsverordnung vorschlägt. Dafür müssen die Initiatoren der EBI innerhalb eines Jahres in mindestens sieben EU-Ländern insgesamt mindestens eine Million Unterschriften sammeln.

Wenn diese Bedingung erfüllt ist, wird der Vorschlag für die Rechtsverordnung der Europäischen Kommission vorgelegt. Diese muss den Vorschlag dann prüfen. Wenn es auch keine Garantie für die Annahme gibt, ist eine erfolgreiche EBI eine starke politische Willensbekundung der Bürger nicht nur in Richtung EU, sondern auch in Richtung Mitgliedstaaten, und beeinflusst die Politik.

Mit der Initiative „Mum, Dad & Kids/Vater, Mutter, Kind“ wollen wir EU-weit ein starkes Bündnis zum Schutz von Ehe und Familie schmieden und die unüberhörbare Botschaft senden, dass wir keine Neudefinition von Ehe und Familie und keine gesellschaftspolitischen Gender-Experimente wollen.

Nur wenn sich viele Bürger dieser Initiative anschließen, sie unterstützen, für die Initiative werben, für sie beten und mithelfen, Unterschriften zu sammeln, kann es uns gelingen, dieses Anliegen in ganz Europa auf die Tagesordnung zu setzen. Dafür haben wir jetzt noch 10 Monate Zeit, Zeit, die schnell vergeht und die wir deshalb intensiv nutzen müssen. Zeigen wir der Europäischen Kommission, dass wir Ehe und Familie in einer europaweiten Gemeinschaftsaktion verteidigen werden!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Netzwerk christlicher Politiker auf EU-Ebene

„Lebensschutz und Menschenwürde den parlamentarischen Raum zu geben, den diese wichtigen Themen brauchen“, das ist der Auftrag einer fraktionsübergreifenden „Arbeitsgruppe Menschenwürde“, die der Europaabgeordnete Arne Gericke (Familien-Partei) gemeinsam mit seinem niederländischen Kollegen Bas Belder (Staatkundig Gereformeerde Partij) initiiert hat. Beide Abgeordnete sind Mitglieder der christdemokratischen Europapartei ECPM (European Christian Political Movement).

„Wir verstehen unsere Arbeit als Denkfabrik und Grundlage eines fraktionsübergreifenden Netzwerks christlicher Politiker“, so Gericke. Thema der ersten Sitzung waren Palliativmedizin und Hospiz sowie die Unveräußerlichkeit der Menschenwürde. Auf die Idee einer Arbeitsgruppe gekommen waren Gericke und Belder im Zuge ihrer konkreten politischen Arbeit: „Es gibt so viele Dossiers im Europaparlament, in denen Linke, Grüne oder Liberale zu unverhohlenen Angriffen auf Lebensschutz und Menschenwürde starten. Dagegen können wir nur gewinnen, wenn wir uns besser vernetzen.“ Gericke nennt exemplarisch Berichte der Europaabgeordneten Maria Noichl (SPD), Marc Tarabella und Edite Estrela sowie eine im Ende gescheiterte Resolution pro aktiver Sterbehilfe, initiiert von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen.

All dem wolle man entschlossen begegnen. „Die Arbeitsgruppe gibt uns die Möglichkeit, künftig fraktionsübergreifend schneller zu handeln und unsere Arbeit als Lebensschützer besser zu vernetzen.“ Das erste Treffen war dabei vielversprechend: „Mehr als 30 Teilnehmer – und noch viel mehr an positiven Rückmeldungen“, so Gericke. Mit Antoni Montserrat als Vertreter der Europäischen Kommission und Hauptredner der Veranstaltung hatten er und Belder einen der absoluten Experten für Palliativmedizin auf europäischer Ebene gewonnen.

An den Erfolg des ersten Treffens anknüpfend will der Europaabgeordnete die neue „Denkfabrik“ nun monatlich zusammenrufen, um aktuelle Themen des Lebensschutzes und der Menschenwürde zu diskutieren. Kooperationspartner sollen dabei neben der ECPM künftig auch Kirchenvertreter und Verbände sein: „Wir wollen einen fruchtbaren Dialog weit über die Ränge des Europäischen Parlaments hinaus“, so Gericke, der nun auch Vizepräsident der neuen Arbeitsgruppe ist.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
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Der ergreifende Weg eines muslimischen Mädchens zu Christus

Untergetaucht im Licht

Vor kurzem erschien das erschütternde Lebenszeugnis eines muslimischen Mädchens aus Sri Lanka, das den Weg zum christlichen Glauben gefunden hat.[1] Aus ihrer Sicht schildert sie die Unterdrückung der Frau im Islam, die Befreiung, die sie durch den Weg zu Christus gefunden hat, aber auch die unglaubliche Gefahr, der sie seit ihrer Bekehrung zum Christentum ausgesetzt ist. Einige Auszüge aus ihrem Buch geben einen ersten Einblick in ihre Erfahrungen und lassen die Dramatik der Konversion muslimischer Familienmitglieder zum christlichen Glauben erahnen.

Von Rifqa Bary

Der entscheidende Augenblick

Die Moschee hatte mein Geheimnis entdeckt. Und meine Eltern wussten es inzwischen auch. Die schützende Dunkelheit der frühen Morgenstunden wich rasch. Mutter schlief noch. Vater hatte seine Reise abgebrochen und war auf dem Heimweg. Wenn ich überleben wollte, musste ich jetzt gehen. Es war die einzige Möglichkeit, der Strafe zu entkommen: der Strafe nicht etwa für ein Verbrechen, sondern für meinen Glauben. Unmittelbar bevor ich mich aus meinem Schlafzimmer zur Vordertür hinaus ins Unbekannte schlich, nahm ich mir einen letzten, verzweifelten Augenblick Zeit und schrieb mit zitternder Hand:

Jesus Christus ist mein Herr und Erlöser. Ich werde Ihn nicht verleugnen, weder jetzt noch in Zukunft. Ich bete und hoffe, dass ihr Sein Erbarmen und Seine Vergebung findet. Rifqa

Ein letztes Mal ließ ich meine Blicke durch den Raum schweifen, der meine Zuflucht gewesen war. Ich legte die Nachricht auf mein Kissen, flüsterte tonlos ein Wort des Abschieds und ging fort. Wovor ich weglief, war klar. Doch wohin ich lief … Das wusste Gott allein.

Gnadenhafte Vorahnung in der Kindheit auf Sri Lanka

Ich spielte im Garten unseres Hauses in Sri Lanka. Meine Haut glänzte in der Sommersonne wie Karamell und die Luft war vom Duft des Geißblatts erfüllt. Ich sog sie tief ein und füllte meine kleinen Lungen damit. Ich war erst fünf, ein kleines Mädchen in einer so großen Welt, doch ich fühlte mich sorglos und sicher. Freude wallte in mir auf. Ich breitete die Arme aus und stellte mir vor, es wären Flügel. Ich wäre ein mächtiger Vogel, der am wolkenlosen Himmel seine Kreise zöge. Mit weit ausgespannten Schwingen lief ich umher, jauchzte, lachte… Und stand dann plötzlich still. Denn in diesem Augenblick bemerkte ich etwas Starkes und Neues. Eine Gegenwart, ruhig und tröstlich, schwebend, fast greifbar. Sie kam immer näher. Ich hatte noch nie etwas Ähnliches wahrgenommen, aber ich hatte keine Angst. Ich fühlte mich seltsam beschützt, gehalten, ja geliebt. Ich spähte angestrengt in die Richtung, aus der es zu kommen schien, und rechnete halb damit, dass die leere Luft sich zu Augen und Gesichtszügen verdichtete und zu mir zurückspähte. Doch ich sah nichts. Aber ich wusste, dass jemand da war, ein starker Mann, dessen Bewegungen die Luft aufzuwirbeln schienen: zu elementar, um unsichtbar zu sein. Ich bekam eine Gänsehaut und eine starke Erregung packte meinen kleinen Körper. Während ich mein Spiel wieder aufnahm, blickte ich zurück, noch immer in der Erwartung, eine physische Person zu sehen. Wieder war niemand da. Ich lachte. Es wurde eine Neckerei daraus: spielen, umdrehen, kichern. Spielen, umdrehen, kichern. Diese Gegenwart war so verlockend, strahlte eine solche Wärme aus. Ich wollte nicht, dass es aufhörte. Doch selbst wenn es aufhörte, wusste ich, dass sie wiederkommen würde.

Muslimische Erziehung

Meine fromme Familie hielt sich an alle Rituale, die der Islam vorschrieb, betete fünfmal am Tag, fastete und feierte und lernte den Koran auswendig. Es gehört zu meinen frühesten Erinnerungen, dass wir im heiligen Monat Ramadan um drei oder vier Uhr morgens aufstanden, vor Sonnenaufgang eine Mahlzeit zu uns nahmen, die meine Mutter vorbereitet hatte, und dann wieder zu Bett gingen. Dabei mussten wir ein bestimmtes Gebet sprechen, das wir auswendig gelernt hatten und das ich vor mich hinmurmelte, während ich versuchte, wieder in den Schlaf hinüberzugleiten. Schon als ich sieben Jahre alt war, wurde von mir erwartet, dass ich mich an dem ganztägigen Fasten beteiligte und nichts, nicht einmal einen Schluck Wasser, zu mir nahm, bis wir um sieben oder acht Uhr abends unser Fasten mit ein paar Datteln und einer sri-lankischen Suppe brechen durften, die meine Mutter jeden Tag eigens zu diesem Zweck zubereitete. Auch an den Imam erinnere ich mich noch, der jede Woche zu uns nach Hause kam. Er lehrte mich, das Heilige Buch zu „lesen“, doch ich hatte keine Vorstellung von dem, was drinstand. Ich sprach Tamil und ein bisschen Englisch, konnte aber weder die eine noch die andere Sprache lesen. Und der Koran ist auf Arabisch verfasst, denn es gilt bei den muslimischen Autoritäten in meiner Heimatregion als unheilig, ihn zu übersetzen. Wir sollten nur – in perfektem Arabisch – daraus zitieren können, um uns das Wohlgefallen der Ältesten und des Moscheevorstands zu verdienen. Doch trotz aller Verwirrung, die seine Sprache und sein Geheimnis in mir hervorriefen, machte das Lob meines Vaters das stundenlange Lernen wieder wett. Ihm zuliebe bemühten wir uns, gute Islamschüler zu sein: mein großer Bruder Rilvan und ich.

Erste Begegnung mit Christen

Die winzigen Häuser in unserem Viertel in Queens lagen so dicht nebeneinander wie die Sardinen in einer Büchse, und es gab im Grunde keinerlei Privatsphäre, selbst wenn man versuchte, für sich zu bleiben. Emma von der Nachbarsfamilie lehnte sich über den Zaun und flüsterte: „Kommst du rüber?“ Ich lächelte, so gut ich konnte. „Besser nicht. Du weißt ja… meine Eltern.“ Natürlich wusste sie Bescheid, aber sie blieb trotzdem hartnäckig. „Komm schon“, lockte sie, „wir beten nur. Deine Eltern beten doch auch gern, oder nicht?“ Für ein neunjähriges Mädchen ergab diese Logik einen Sinn. Also schlichen wir uns verstohlen zu ihr ins Haus, ehe mich irgendjemand aus meiner Familie sehen konnte.

Ich sah mich um. Ich wusste nicht, wer all diese Leute waren, doch sie sahen aus wie Verwandte und enge Freunde. Sie bildeten eine Art Kreis, hielten sich an den Händen und sprachen freundlich miteinander. Emma nahm meine linke, ihre Mutter meine rechte Hand, und ich wurde plötzlich ganz ruhig. Hier, in diesem Kreis, das schien ich mit einem Mal zu wissen, war ich geborgen – obwohl mein eigentliches Leben gleich nebenan stattfand und mich wohl schon erwartete, wenn ich heimkam. Als Emmas Vater zu reden begann, schlossen alle die Augen. Ich hielt meine offen: Ich war einfach zu neugierig. Vieles von dem, was er sagte, verstand ich nicht, doch ich nickte genauso mit dem Kopf wie alle anderen. Dann aber fiel ein ganz bestimmtes Wort und im selben Augenblick überschlugen sich meine Gedanken und mein Herz drohte zu zerspringen. „Jesus“, betete er, „wir bitten dich, tröste …“ Moment! Was sagt er da? Jesus? Wie ein Echo hörte ich die Stimme des Imams in meinem Kopf: Das sind Christen! Ich sah von einem Gesicht zum anderen und erinnerte mich an alles, was man mir beigebracht hatte, und daran, dass ich auf keinen Fall Umgang mit solchen Menschen haben durfte. Ich geriet in Panik. „Es … tut mir leid“, platzte ich heraus. „Ich muss gehen. Ich habe nur … Auf Wiedersehen.“ Damit verließ ich den Raum.

Innerer und äußerer Kampf

Ich rief mir die Lektionen der Moschee ins Gedächtnis. Wenn der Imam von Christen gesprochen hatte, konnte man seine Verachtung fast körperlich spüren. Die Menschen hatten mit den Händen auf ihre Pulte geklatscht, wenn der Imam rief: „Wenn Jesus Gott ist, wie die Christen sagen, warum konnte er sich dann nicht selbst retten? Ha! Ha! Ha! Diese Leute haben sich hereinlegen lassen, sie halten einen Menschen für Gott! Wie dumm! Selbst ein Hund wäre zu klug, um so einen Unsinn zu glauben.“ Die Anwesenden hatten gepfiffen und gejohlt, während der Imam die Sache immer weiter ins Lächerliche zog. Ich hatte auch gelacht, mit allen anderen. Doch jetzt, in meinem Zimmer, wusste ich nicht, was ich glauben sollte. Ich wusste nur, dass nicht beides stimmen konnte. Und ich wollte die Wahrheit wissen.

Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen mit dem brennenden Wunsch erschaffen worden waren, für etwas zu leben, das größer ist als sie selbst. Der Islam gab mir nur ein Gefühl der Leere und Haltlosigkeit. Er nahm und nahm und nahm, aber gab nur selten etwas zurück. Er zwang mich, Dinge zu tun, aber er ließ mich nichts werden – zumindest nichts, was ich gern sein wollte. Warum? Warum musste das so sein? Natürlich konnte ich mit niemandem über diese Dinge sprechen, denn den Koran oder den Islam infrage zu stellen, ist verboten und gehört zu dem Schändlichsten, was ein Muslim tun kann. Doch meine Familie merkte allmählich, dass ich die täglichen islamischen Praktiken zu vernachlässigen begann. Sie waren mir wirklich gleichgültig geworden. Die Misshandlungen bei uns zu Hause waren derart eskaliert, dass ich echten Hass gegenüber meiner Familie empfand. Immer häufiger kam es zu physischen Auseinandersetzungen mit meinem älteren Bruder. Ich fühlte mich so klein, so schwach, so wehrlos. Doch obwohl ich auch körperlich litt, waren die Schmerzen in meinem Inneren schlimmer. Ich verabscheute mein Leben. Die Depression umgab mich wie eine dunkle Wolke. Als Zwölfjährige sah ich manchmal tagsüber aus dem Fenster, sah die Autos auf der Straße vorbeifahren und dachte verzweifelt: Wenn das alles ist, was das Leben zu bieten hat, dann will ich nicht mehr leben. Vielleicht wäre es besser, zu sterben.

Ich wollte mehr. Ich wollte raus. Ich wollte Antworten. Ich wollte die Wahrheit finden. Ich war es leid, mich still zu verhalten, einfach dazusitzen und alles hinzunehmen, zu tun, was immer sie sagten, zu sein, was immer sie von mir verlangten, rückwärts zu taumeln, wann immer sie Lust hatten, mich ohne Grund zu schlagen, zu ohrfeigen oder zu demütigen. Ich wollte ausrasten. Ich wollte schreien. Ich wollte Freiheit im vollen Wortsinn, in jedwedem Wortsinn: Wahlfreiheit, Freiheit von Schmerz, Freiheit von einem sterilen, kontrollsüchtigen System, das mir jeden Gedanken vorschrieb, ohne danach zu fragen, wer ich war. Ich wollte die Erfahrung machen, dass jemand, irgendjemand, meine Schreie hörte. Ich wollte es und ich wünschte mir jemanden, der mich beachtete. Und wenn sie das nicht taten und nicht tun würden, wenn ich niemanden fand, der sich meiner annahm, dann war ich fertig. Fertig mit dem Leben. Ich meinte es ernst. Ich war erst 12 Jahre alt und doch schon entzweigerissen.

Und eines Nachts, als ich allein in meinem Schlafzimmer war, als ich wieder einmal geschlagen worden war und der Schmerz durch meinen Körper pulsierte, als ich wieder einmal darum rang, der Versuchung meiner selbstmörderischen Gedanken nicht zu erliegen, sackte ich mit tränenüberströmtem Gesicht auf dem Boden zusammen. Der Schrei in meinem Inneren gerann zur Blasphemie, und obwohl mir dabei unwillkürlich ein Schauder der Scham über den Rücken kroch, legte ich all das, was aus meinem Leben geworden war und wurde und was ich nicht länger unterdrücken konnte, in diesen einen Augenblick hinein. In einem einzigen qualvollen Crescendo brach es aus mir heraus, während ich spürte, wie sich der raue Teppich in meine Knie grub. Da ich keinen anderen Ort hatte, an den ich mich mit meinen Gedanken wenden konnte, sah ich zum Himmel empor und flehte: „Gott! Wenn es Dich gibt, wenn Du real bist – bitte! –, verbirg Dich nicht länger vor mir! Es ist mir gleich, ob Du Allah, Buddha oder Jesus bist, wer immer Du bist: Zeige Dich! Denn wenn Du die Wahrheit bist, dann werde ich Dir mein Leben hingeben. Ich werde Dir folgen – was es auch koste. Ich werde es tun!

Austausch mit einer christlichen Freundin in Ohio

„Willst du mit mir in die Kirche gehen?“, fragte mich Angela. „Ich bin keine Christin!“, stieß ich hervor. Die Worte hingen in der Luft und erheischten eine Antwort von meiner neu gefundenen Freundin. Ich dämpfte meine Stimme beinahe zu einem Flüstern und sagte: „Ich bin Muslimin.“ Ich weiß nicht, welche Reaktion ich erwartet hatte, aber diese ganz bestimmt nicht. Ihr Gesicht hellte sich auf und zeigte nun eine Mischung aus mitfühlendem Interesse und aufgeregter Neugier. Sie sprach kein Wort, doch dieses Strahlen auf ihrem Gesicht bedeutete anscheinend, dass mein Geständnis eine willkommene Neuigkeit war.

„Angela, ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, aber ich komme aus einer streng muslimischen Familie. Meine Eltern dürfen auf keinen Fall erfahren, dass ich auch nur über irgendetwas nachdenke, was mit dem Christentum zusammenhängt. Wenn sie herausfinden würden, dass ich mit dir in die Kirche gegangen bin, dann wäre das sehr gefährlich, glaub mir.“ Ich machte eine Pause. Mein Gesicht wurde ernst, als ich sie ansah. „Das muss unser Geheimnis bleiben, okay? Meine Eltern dürfen es nicht erfahren. Verstehst du das?“ Ich musste nicht warten. Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Natürlich, Rifqa! Das ist unser Geheimnis. Ich bin sicher, dass wir einen Weg finden werden.“ Wir redeten und aus Minuten wurden Stunden. …

Doch während sie sich in ihre zornige Empörung über dieses himmelschreiende Unrecht hineinsteigerte, war ihre Reaktion für mich eine Bestätigung, die mir ganz entscheidend den Rücken stärkte. Ich wurde von Minute zu Minute entschlossener. Ich würde mit ihr in die Kirche gehen. Was immer das bedeutete. Und fürs Erste würde ich sie so lange festhalten, bis ich ihr all die Fragen über das Christentum gestellt hatte, die ich seit ich weiß nicht wie vielen Jahren mit mir herumtrug. „Was bedeutet es, Christ zu sein?“ „Was bedeutet das Kreuz?“ „Warum ist Jesus gestorben?“ „Was tut ihr in der Kirche?“ „Wie viele Regeln habt ihr?“ „Was dürft ihr nicht tun?“ Ich schoss sie eine nach der anderen völlig beliebig ab.

Kaum hatte sie die erste beantwortet, ließ ich voller Ungeduld schon die nächste auf sie los. Ich war wie ein Bettler bei einem Festmahl: außerstande, mich auf ein einziges Gericht zu beschränken. Jede Antwort offenbarte eine Freiheit in ihrem Glauben, die einfach zu schön klang, um wahr zu sein. Alles, was sie sagte, ließ mein sehnsüchtiges, eingesperrtes Herz nach mehr verlangen: nach einer aufrichtigen, offenen Gottesbeziehung, nach Wahlfreiheit, nach einer liebevollen Glaubensgemeinschaft. Ich lechzte förmlich nach diesen Dingen!

Was war das für ein Kontrast zu meiner islamischen Gesellschaft und unmittelbaren familiären Umgebung! Die Muslime, die ich kannte, taten alles aus Pflichtgefühl oder unter Zwang. Entscheidungen traf man gemäß der Kultur der Ehre, an die wir uns halten mussten. Schande war eine wirkungsvolle Strategie, die eingesetzt wurde, damit die Mitglieder der Gemeinschaft dem Islam Folge leisteten, weil sie fürchteten, andernfalls eine Sünde zu begehen. Selbst als ich den Koran auswendig gelernt hatte, war es dabei hauptsächlich um das Ansehen meiner Familie innerhalb der islamischen Gemeinschaft gegangen – und nicht etwa um meine Beziehung zu Allah.

Angelas Glaube dagegen war so unwiderstehlich. Ihr Herz – davon konnte ich ein Lied singen – war wirklich mit ihrem Gott verbunden. Sie war die personifizierte Freiheit und Gnade. Und dass ich mich an diesem Tag mit ihr getroffen hatte, war der Beginn eines Abenteuers, das das Unterste zuoberst und das Innerste nach außen kehrte und alles veränderte. Ich war dabei, die Fahrt meines Lebens anzutreten.

Der erste Besuch einer Kirche

Angelas Vater brachte uns im Familienvan zur Kirche. Und obwohl meine Gedanken Karussell fuhren – Bin ich verrückt, dass ich das tue? Was wird passieren, wenn meine Familie davon erfährt? Könnte es sein, dass ich wirklich finde, was ich suche? –, konnte ich kaum glauben, wie sicher ich mich bei diesem Mann fühlte, den ich doch gerade erst kennengelernt hatte. Ich hatte immer gedacht, alle Väter wären wie meiner: aufbrausend, jähzornig, unstet und reizbar. Doch Angelas Vater war ganz anders. Das Licht in seinen freundlichen Augen strahlte vor Güte und Sanftmut. Und seine Liebe zu seiner Tochter spiegelte sich genau wie ihre bewundernde Liebe zu ihm in der unbefangenen Art wider, in der sie miteinander umgingen. Ihre Beziehung versetzte mir einen Stich ins Herz, und ich spürte eine traurige Eifersucht. Ich dachte an all die Jahre, in denen ich versucht hatte, die Zuneigung meines Vaters zu gewinnen, nur um letztlich doch zu scheitern.

Mir war voll und ganz bewusst, was ich tat, als ich auf die Kirche zuging und mein Spiegelbild mir aus der Glastür entgegensah. „Komm, Rifqa! Der Gottesdienst fängt an!“ Angela zupfte mich am Ärmel und führte mich in den Andachtsraum. Wo bin ich hier?, war mein erster Gedanke. Das war eine völlig andere Welt als alles, was ich je gesehen hatte. Mit einer Moschee hatte das nichts zu tun! Männer und Frauen im selben Raum? Die Frauen ohne Kopfbedeckung? Und die Musik… Du meine Güte. Es war atemberaubend. Dieser erste offizielle physische Kontakt mit dem Christentum stellte alles infrage, was mir als muslimischem Kind in meine DNA hineingeschrieben worden war. Ich glaube, es war besonders die Musik. Auf den himmlischen Klang dieser Kirchenlieder war ich nicht vorbereitet.

Der Strom der gemeinschaftlichen Anbetung füllte meine Ohren und meine dürstende Seele mit einem neuen Gefühl der vorsichtigen Verzückung. So feiern die Christen also Gottesdienst… Ich fühlte mich wie im Himmel. Selbst bei der gedämpften Beleuchtung konnte ich sehen, dass jeder zutiefst bei der Sache war. Und je mehr ich mich akklimatisierte, je vertrauter ich mit dieser für mich völlig neuen Dynamik wurde, desto mehr genoss ich die Sicherheit und den Frieden, die mich umgaben. Nie zuvor hatte ich ein so greifbares Gefühl der Akzeptanz und Zugehörigkeit gespürt. Eine unsichtbare Woge schien mich einer spirituellen Bestimmung entgegenzutragen, die ich von ganzem Herzen erreichen und erfahren wollte. Obwohl ich mir alle Mühe gab, niemanden anzustarren oder mich irgendwie auffällig zu benehmen, konnte ich nicht anders, als mich verwundert umzusehen, und so fiel mein Blick auf eine alte, runzlige Frau in meiner Nähe. Während sie sang, liefen ihr die Tränen über das Gesicht, und sie sah unbeschreiblich schön aus, wie sie dastand und ihrem Geliebten ihr Herz ausschüttete. Vorn liefen die Worte „Heilig ist der Herr“ in Leuchtbuchstaben über einen schwarzen Bildschirm und sie sang sie, als ob außer ihr niemand im Raum wäre. Immer wieder schaute ich verstohlen zu ihr hinüber und sah voller Ehrfurcht, welche Freude sie ausstrahlte. Mein Herz hämmerte, so sehr sehnte ich mich danach, den Frieden zu finden, den sie mit ihrem Gesang zum Ausdruck brachte: diese Gewissheit und Überzeugung, diese Zuversicht und dieses tiefe Vertrauen. Sie inspirierte mich so sehr, dass ich es in einer Anwandlung von reiner, unmittelbarer Sehnsucht wagte, wie der Rest der Gemeinde meine Hände emporzuheben – offenbar die bevorzugte Gebetshaltung –, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was ich tat oder sagte. Ich fühlte es, wollte es. Vielleicht streckte ich mich nach der Antwort aus, die ich so verzweifelt zu finden hoffte. Konnten meine Hände irgendwie das Gesicht des Einen berühren, der diese Frau so verzauberte?

Und ich glaubte an Jesus Christus

Nach der kurzen Ansprache eines Mannes, den Angela „Pastor“ nannte, lud er jeden, der wollte, ein, zum Beten nach vorn zu kommen. Mir war nicht ganz klar, was er damit meinte, nach vorn zu kommen, zum Beten? Doch als ein paar andere Leute aus den Sitzreihen glitten und sich auf den Weg nach vorn machten, hatte ich das merkwürdige Gefühl, dass es mir in den Zehenspitzen juckte, mich ihnen anzuschließen. Was für ein Gefühl! Alles um mich herum schien in diesem Augenblick zu verschwinden: Angela und ihre Freundinnen, meine eigenen Ängste und Unsicherheiten, der vernichtende Blick meines Vaters. Hier ging es um Leben oder Tod. Ich spürte einen verzweifelten Hunger. Gab es irgendeine Wahrheit an diesem Altar? Mein Leben hing davon ab, was ich womöglich dort finden würde. Ich wollte es mir holen und nichts würde mich davon abhalten. Alles ging sehr schnell. Ich schob alle Vernunft beiseite. Ich wusste, wie schändlich mein Vorhaben und dass es unumkehrbar war, dass ich die Ehre unzähliger Generationen vor mir in den Schmutz zog und meine Familie danach nie mehr dieselbe sein würde. Doch all diese schwerwiegenden Konsequenzen erfüllten mich mit einer stählernen Entschlossenheit und dem ganz deutlichen Gefühl, dass der Gott des Universums und vielleicht sogar dieser Mann namens Jesus mich wahrhaftig liebten.

Ich trat in den Gang wie von mächtigen Armen gezogen, die mich umfingen, so gequält und zerbrochen, wie ich war. Seine Gegenwart war die einzige Macht, die mich noch zusammenhielt. Ich hatte das Gefühl, reine Kraft zu atmen, eine ungetrübte Zuversicht, dass alles gut werden würde. Das einzige Mal, an das ich mich erinnere, etwas gespürt zu haben, was dieser Wärme, Sehnsucht und Tröstung nahekam, war an jenem Nachmittag geschehen, als ich noch ein kleines Mädchen war und die Gegenwart mich im Garten vorfand. Alle Zweifel an dem, was ich gerade tat, oder daran, dass Jesus die Wahrheit ist, zerstoben zu einem bedeutungslosen Häufchen pulverisierter Angst, als die Wahrheit selbst mich umhüllte. Ich konnte nicht länger leugnen, dass Er real war. Ich konnte nicht leugnen, was ich soeben am eigenen Leib erfuhr. Tatsächlich schaffte ich es nicht einmal bis zum Altar. Mitten im Gang knickten meine Knie unter mir ein, außerstande, mich noch zehn, zwölf Schritte weiterzutragen. Das ganze Leid meines Familienlebens – die beständigen Misshandlungen, die krasse Ungerechtigkeit, die Lieblosigkeit, die Leere einer Religion, die unser Leben beherrschte, ohne je unsere Herzen zu verwandeln – brach in einer überwältigenden Woge der Hingabe und des Glaubens aus mir heraus. Ich schluchzte und das Vorderteil meiner von Tränen durchnässten Bluse klebte auf meiner Haut. Einer der Pastoren kam zu mir, kniete sich neben mich, legte mir eine Hand auf die Schulter und begann zu beten. Doch ich konnte seine Worte nicht hören oder mir seine Anwesenheit auch nur bewusst machen. Ich saß einfach da und weinte, weinte und weinte, bis ich einfach nicht mehr konnte.

Vor diesem Abend hätte ich niemals auch nur im Traum daran gedacht, ein solches öffentliches Aufsehen zu erregen. Ich wäre viel zu gehemmt, viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, was die anderen im Raum von mir denken würden. Doch an diesem Abend war das alles unwichtig. Alle und alles um mich herum schienen sich in einem Wirbel aus Tränen, Gebeten und Gedanken aufzulösen. Eine gefühlte Ewigkeit lang saß ich nur da, hielt meine Knie umklammert und war einfach überwältigt von der Erfahrung, die ich soeben gemacht hatte. Meine Augen waren geschlossen. Es fühlte sich an wie ein Traum. Bestimmt saß ich in meinem Schlafzimmer. Doch nein, ich war hier. In einer christlichen Kirche. Und gab – auf die einzige Art, die mir zur Verfügung stand – die in meinen Augen skandalöse Erklärung ab, dass ich an Jesus Christus glaubte und ihm für den Rest meines Lebens nachfolgen wollte.

Die meisten Gemeindemitglieder waren, während meine kleine Seele in ihren Grundfesten erschüttert wurde, nach und nach still hinausgegangen. Sanfte Musik füllte den Raum und mischte sich mit den wenigen gemurmelten Gebeten, die um mich herum noch zu hören waren. Ich holte tief Luft und sah auf, gleichermaßen erschöpft wie erleichtert. Mein Blick fiel auf ein großes Kreuz, das an exponierter Stelle vorn im Andachtsraum hing. Ich hatte in meinem Leben schon viele Kreuze gesehen: auf Gebäuden, Kunstwerken oder an Kettchen, die die Mädchen um den Hals trugen. Doch ich hatte nie so recht gewusst, was es bedeutete. Bis zu diesem Augenblick. Es bedeutete Freiheit. Es bedeutete Hoffnung. Es bedeutete Vergebung, Freude und Versprechen, die nicht gebrochen wurden. Doch vor allem bedeutete es, was ich mir nie hätte träumen lassen, dass es wahrhaftig existierte. Unbeirrbare Liebe. Eine Hand fasste mich sanft um die Schulter, und ich fuhr herum, um zu sehen, wem sie gehörte. Es war Angela, mit einem warmen Lächeln auf ihrem freundlichen Gesicht. Unsere Blicke trafen sich in einem tiefen Moment wortloser Harmonie. Ich ließ meine Hand auf ihrer Schulter ruhen. Schweigend saßen wir da, für eine lange Zeit, zumindest fühlte es sich so an. Nie hatte ich einen solchen Frieden empfunden. Nie.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Rifqa Bary: Untergetaucht im Licht. Warum ich alles riskierte, um den Islam zu verlassen und Jesus zu folgen. Geb., 288 S., Euro 18,95 (D), Euro 19,50 (A). Media Maria, Tel.: 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de

Muslimische Flüchtlinge in Europa

Gefahr und Chance

P. Bernhard Gerstle FSSP (geb. 1958) wurde 1991 in Wigratzbad zum Priester geweiht und ist Oberer des deutschsprachigen Distrikts der Priesterbruderschaft St. Petrus. Seine Amtszeit begann am 13. Juli 2015 und dauert drei Jahre. Er legt Wert auf eine offene Haltung und eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem örtlichen Klerus. In der Flüchtlingskrise sieht er eine besondere Herausforderung und plädiert für eine behutsame, aber überzeugende Evangelisierung unter Muslimen. Die Christen sollten liebevolle und aufmerksame Türöffner für die Erlösungsgnade sein.

Von P. Bernhard Gerstle FSSP

„10 Tage im Islamischen Staat“

Was veranlasst junge Menschen, Europa zu verlassen und freiwillig nach Syrien und in den Irak zu gehen, um dort für den Islamischen Staat zu kämpfen und zu sterben? Der ehemalige CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer ist einigen von ihnen im Irak und Syrien begegnet, als er im Dezember 2014 unter großer Lebensgefahr – nur durch ein Papier des Sekretariats des Kalifen geschützt – die Kriegsregion bereiste und seine Erfahrungen in dem Buch „Inside IS – 10 Tage im Islamischen Staat“ (Bertelsmann-Verlag) niederschrieb. Die meisten Kämpfer, die er dort kennenlernte, haben in ihrem bisherigen Leben keinen Sinn mehr gesehen und nach eigener Aussage im Islam einen letzten Halt gefunden. Darunter waren auch ehemalige Christen – jedenfalls dem Taufschein nach –, die zum Islam konvertierten. Ihre Motivation in den Krieg zu ziehen ist unterschiedlich. Sie reicht von Mord- und Abenteuerlust bis hin zum Wunsch, für Allah und den ihrer Meinung nach wahren Glauben als Märtyrer zu sterben.

Gefahr radikalisierter Rückkehrer

Wachsamkeit ist besonders gegenüber radikalisierten Rückkehrern angesagt, die möglicherweise den Terror in ihre Herkunftsländer tragen wollen. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich unter die Millionen Flüchtlinge, die mittlerweile nach Europa strömen – die meisten aus Syrien, gefolgt von Afghanistan – Islamisten mischen, die bewusst eingeschleust werden, um hier Terrorakte zu verüben. Trotzdem muss der überwältigenden Mehrheit dieser teils traumatisierten Kriegsflüchtlinge unser aufrichtiges Mitleid und Mitgefühl gelten. Was zahlreiche haupt- und ehrenamtliche Helfer in diesen Wochen und Monaten hierzulande leisten, verdient unseren tiefsten Respekt.

Welche „Werte“ bietet unsere Demokratie?

Oft hört man im Zusammenhang mit den Flüchtlingsmassen, die vor allem nach Deutschland strömen, von Werten, die sie respektieren müssen. Es stellt sich die Frage, welche Werte damit gemeint sind. Die Demokratie? Sie ist kein Wert an sich, sondern eine neutrale politische Größe. Aber sie wird unabhängig von Inhalten mittlerweile fast zum höchsten Wert erhoben. Ich will nicht die Demokratie in Frage stellen, sondern „Werte“, die sie durch Mehrheitsentscheide hervorgebracht hat, wie z.B. das Recht auf Abtreibung, das Recht auf Ehe für Homosexuelle, bald vermutlich auch das Recht auf aktive Sterbehilfe. Man kann die Liste fragwürdiger Errungenschaften weiter fortsetzen. Freilich gibt es auch viele Freiheitsrechte, die es zu verteidigen gilt.

Flüchtlinge hinterfragen den Islam

Was wollen wir den körperlich, seelisch und geistig ausgezehrten Flüchtlingen anbieten? Welche Werte wollen wir ihnen vermitteln? Ein Teil dieser Flüchtlinge wird angesichts der erlebten Gräueltaten den Islam hinterfragen. Sie suchen nach einem neuen Halt. Hier tut sich für uns ein Missionsfeld auf. Mit „Christentum light“ können wir diese Menschen aber ganz gewiss nicht überzeugen. Man kann nur hoffen, dass sie das Glück haben, fest überzeugten Priestern und Gläubigen zu begegnen. Menschen, die ihnen wie Johannes der Täufer den Weg zu Christus bereiten. Manchmal genügen kleine Fügungen, durch welche die Neugierde geweckt wird.

Chance, eine neue Freiheit in Christus zu finden

Die neue Freiheit in Europa schenkt diesen Menschen bei aller Dekadenz, mit der sie hier konfrontiert werden, auch die Chance, sich religiös neu auszurichten und den Islam mit all seinen Zwängen hinter sich zu lassen. Unterschätzen wir die Gnade Gottes nicht, die häufig schon durch einen kleinen Spalt in das geöffnete Herz eines Menschen eintritt und ihn innerlich berührt! Seien wir den Flüchtlingen gegenüber nicht gleichgültig oder gar abweisend. Es liegt auch an uns, im Gebet für sie und in der Begegnung mit ihnen ein Türöffner für die Gnade Gottes zu sein, damit sie Den finden, welcher „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14.6).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2016
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