Bischof Hanke zur Marienwallfahrt am 7. Mai 2016 nach Eichstätt

„Mit Maria auf dem Weg – offen für Gottes Wort“

Am 14. Mai 1917 wurde zum ersten Mal in allen bayerischen Diözesen das Fest der „Patrona Bavariae“ begangen. Nun steht das hundertjährige Jubiläum der Erhebung der Gottesmutter Maria zur Schutzpatronin Bayerns im Jahr 2017 bevor. Es ist durchaus überraschend, welche große Bedeutung die bayerischen Bischöfe diesem Ereignis beimessen. Seit 2011 bereiten sie sich unter dem Motto „Mit Maria auf dem Weg“ zusammen mit ihren Diözesen auf die Erneuerung der Weihe ganz Bayerns an die Gottesmutter vor. Dazu wird jedes Jahr jeweils in einem anderen Bistum eine gemeinsame Marienwallfahrt aller bayerischen Diözesen durchgeführt. Heuer findet sie am Samstag, den 7. Mai im Bistum Eichstätt statt. Sie führt als Sternwallfahrt zum Residenzplatz in Eichstätt.

Interview mit Bischof Gregor Maria Hanke, Eichstätt

Kirche heute: Exzellenz, wie beurteilen Sie den außergewöhnlichen Einsatz unserer Bischöfe für eine marianisch geprägte Spiritualität in der heutigen Zeit?

Bischof Hanke: Das II. Vatikanische Konzil hat uns eine neue Gesamtschau der Kirche gegeben. Gemäß der Lehre des Konzils schauen wir gerade in Maria das Urbild der Kirche. In diesen Zeiten, in denen in vielen Bistümern um eine Neuaufstellung der Pastoral gerungen wird, damit unter veränderten gesellschaftlichen Umständen Kirche lebendig bleibt, ist es doch gut, den Glaubensweg Mariens zu betrachten und sich an die Hand der Mutter der Kirche zu begeben.

Kirche heute: Warum halten Sie die Erinnerung an den Schritt, den der bayerische König Ludwig III. während des Ersten Weltkriegs mit seiner Bitte an Papst Benedikt XV. um die Gewährung des bayerischen Marienfestes vollzogen hat, für so wichtig?

Bischof Hanke: Mit seiner Bitte in der großen Notzeit des Ersten Weltkriegs an den Papst, das Fest Patrona Bavariae einzuführen, hat König Ludwig an eine lange marianische Tradition in Bayern angeknüpft. In Bayern gibt es schon seit Jahrhunderten große Marienwallfahrtsorte wie Altötting, Bogenberg oder Wemding im Bistum Eichstätt. Dorthin pilgerten und pilgern die Gläubigen und stellen sich unter den Schutz Mariens. Zur Mutter des Herrn als der Frau aus dem Volk hat das christliche Volk besonders in großen Nöten stets Vertrauen gezeigt. Schließlich ist Maria dort, wo ihr Sohn ist. Wer zu Maria geht, der wendet sich Christus zu.

In der jetzigen Glaubensinitiative der bayerischen Bischöfe geht es nicht nur um Erinnerung an einen Vorgang von vor 100 Jahren, es geht um die gläubige Zuversicht, dass die Gottesmutter Maria, das Urbild der Kirche, auch heute die Menschen zu Christus führen will, damit Glaube und Kirche in Bayern lebendig bleiben. Dieser Glaube soll bei der Wallfahrt am 7. Mai gefeiert und vertieft werden.

Kirche heute: In dieser Zeit der Vorbereitung findet jedes Jahr in einem der bayerischen Bistümer eine Wallfahrt statt, zu der die Gläubigen aus ganz Bayern eingeladen werden. Heuer ist Eichstätt an der Reihe. Mit Spannung wurde jeweils die Wahl des Ortes und auch des Gnadenbildes für die Sternwallfahrt erwartet. Sie haben sich für das Bild der „Dreimal Wunderbaren Mutter“ entschieden, das eine Nachbildung der Marienikone „Salus populi Romani“ – „Heil des römischen Volkes“ in der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom darstellt. Was bildet den Hintergrund für diese Wahl?

Bischof Hanke: Die Kopie des Gnadenbildes „Salus Populi Romani“ aus S. Maria Maggiore in Rom gelangte über die Jesuiten nach Ingolstadt. Durch Pater Jakob Rem erhielt das Bild den Titel „Dreimal Wunderbare Mutter“. Unter diesem Titel wird das Gnadenbild von Ingolstadt seit 1881 verehrt. Das Gnadenbild hat einen weltkirchlichen Bezug, es steht für Erneuerung und Vitalisierung des Glaubens. P. Jakob Rem hat als Erzieher im Jesuitenkolleg in Ingolstadt im 15. und 16. Jahrhundert die Jugend um dieses Bild versammelt. Er hat durch die Betreuung der Jugend, darunter spätere Verantwortungsträger in der Gesellschaft, viel zur geistlichen Reform des Glaubens beigetragen. Die Verehrung der „Dreimal Wunderbaren Mutter von Ingolstadt“ hat sich über das Bistum Eichstätt ausgebreitet. Seit Bischof Michael Rackl haben die Bischöfe von Eichstätt die Weihe der Diözese an die Gottesmutter vor dem Bild der „Dreimal Wunderbaren Mutter“ vollzogen. Das Bild findet sich auch am Beginn des Eigenteils des Bistums Eichstätt im neuen Gotteslob.

Kirche heute: Wird das originale Gnadenbild, das seinen Platz im Ingolstädter Münster hat, für die Feier am 7. Mai 2016 nach Eichstätt gebracht?

Bischof Hanke: Das Originalbild wird in Ingolstadt bleiben, da es nicht beweglich ist.

Aber wir als Kirche in Eichstätt wollen wie Maria offen sein für Gottes Wort. Symbolisch für diesen marianischen Wesenszug und die Weihe an Maria haben wir in einer bistumsweiten Aktion die Gläubigen aufgerufen, Bilder von sich selbst einzuschicken, aus denen ein Gnadenbild der „Dreimal Wunderbaren Mutter“ entsteht. Wenn man so will, ein Marienbild mit Bildern von uns Menschen heute. In einem großen Banner wird die „Dreimal „Wunderbare Mutter“ sichtbar sein, bestehend aus hunderten von Fotopixeln. Maria ist Urbild der Kirche. Auch wir sollen Maria werden und sein.

Kirche heute: Weist das Weihegebet, das im Rahmen der Wallfahrt gebetet wird, einen Bezug zur Weihe des Bistums Eichstätt auf, die Bischof Michael Rackl während des II. Weltkriegs am 11. Oktober 1942 zusammen mit allen Pfarreien an die „Dreimal Wunderbare Mutter“ vollzogen hat?

Bischof Hanke: Im jetzigen Weihegebet wird auf die Weihe von Bischof Michael Rackl Bezug genommen, allerdings in sprachlich angepasster Weise. Das Weihegebet von Bischof Michael thematisiert stark die Nöte der Zeit und die Notlagen der Menschen. Man muss bedenken, dass 1942 mitten im Zweiten Weltkrieg ist. Die Nöte der Welt und die vielfältigen Anliegen der Menschen von heute kommen im aktuellen Weihegebet auch zur Sprache. Bischof Michael weiht in seinem Gebet die einzelnen Lebensstände und Altersgruppen der Gottesmutter. Dies wird im aktuellen Weihegebet so nicht aufgegriffen, sondern in der Wir-Form erfolgt die Weihe an Maria, wenn es heißt: … „Dir übergeben wir unser ganzes Leben, unser Denken und Wollen, uns selber ganz und gar.“ Wie gesagt: inhaltlich knüpft das jetzige Weihegebet an die Weihe von Bischof Michael an.

Kirche heute: Der große Wallfahrtsgottesdienst mit Marienfeier wird auf dem eindrucksvollen Eichstätter Residenzplatz stattfinden. Welche Überlegungen haben zu dieser Entscheidung geführt?

Bischof Hanke: Für den Wallfahrtsgottesdienst war uns wichtig, dass möglichst viele Menschen gut teilnehmen können. Zudem wollten wir im Zentrum der Stadt bleiben, da bietet sich der Residenzplatz wunderbar an. Wenn die Pilgerinnen und Pilger dann auf dem Residenzplatz stehen, wird die dort befindliche Mariensäule unübersehbar sein, wodurch der Hinweis zum Jubiläum kommendes Jahr in München augenscheinlich wird, denn zumindest auf den ersten Blick ist sie der Münchener Mariensäule ähnlich.

Kirche heute: Die Wallfahrt nach Eichstätt steht unter dem Thema: „Mit Maria auf dem Weg – offen für Gottes Wort“. Welche besonderen Akzente möchten Sie mit diesem Motto verbinden?

Bischof Hanke: Wir haben die Wallfahrt am 7. Mai als Sternwallfahrt konzipiert. Von acht verschiedenen Stationen aus pilgern die Gläubigen in der Regel zu Fuß zum Residenzplatz. Als Pilgernde sind sie mit Maria auf dem Weg. Als Betende und Schweigende sind sie eingeladen, auf Gottes Wort zu hören und Wegweisung für ihr Leben zu erhalten. Das Motto beschreibt einen Vorgang, der für jede Christin und jeden Christen von elementarer Bedeutung ist: Es geht darum, wie Maria das Herz für Gottes Wort zu öffnen und ja zu Gottes Willen zu sagen. Maria, die engagierte Hörerin des Wortes, die uns dazu einlädt und uns zuruft: Tut alles, was er euch sagt.

Kirche heute: Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen der Wallfahrt und dem Heiligen Jahr der Barmherzigkeit?

Bischof Hanke: Maria, die Mutter des Herrn, rufen wir an als Mutter der Barmherzigkeit. Es ist die Barmherzigkeit ihres Sohnes, die sie uns erbitten will.

Kirche heute: Wie viele Pilger erwarten Sie zum Wallfahrtsgottesdienst um 16 Uhr in Eichstätt?

Bischof Hanke: Die Pilgerzahl zum Gottesdienst ist ebenso schwer vorherzusagen wie das Wetter. Und die Zahl wird auch wetterabhängig sein. Wir sind für 3000 Pilgerinnen und Pilger gut gerüstet und jeder weitere ist herzlich willkommen.

Kirche heute: Werden auch dieses Jahr wieder alle bayerischen Bischöfe teilnehmen?

Bischof Hanke: Es sind alle bayerischen Bischöfe, Weihbischofe und alle emeritierten Bischöfe eingeladen. Bislang fand sich immer eine sehr große Zahl an Bischöfen ein. Erzbischof Simon von unserem Partnerbistum Gitega in Burundi wird ebenfalls mitfeiern. Ebenso hat der koptisch-orthodoxe Bischof Damian Interesse bekundet, der Feier beizuwohnen.

Kirche heute: Es ist ab 13 Uhr auch eine zweistündige Jugendwallfahrt vom Jugendhaus Schloss Pfünz aus geplant. Wie ist das Echo? Lassen sich junge Leute dafür begeistern?

Bischof Hanke: Klar ist, dass Jugendliche durch eine Marienwallfahrt, noch dazu mit dem Übertitel „Patrona Bavariae“ vom Namen her erst einmal nicht scharenweise angezogen werden. Unser Jugendpfarrer Christoph Witczak und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jugendamt legen sich aber ins Zeug und haben ein sehr ansprechendes Konzept für den Wallfahrtsweg vom Jugendtagungshaus Schloss Pfünz in die Stadt herein erarbeitet. Ich bin zuversichtlich, dass sich Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen lassen und sich auf den Weg machen, entlang der Altmühl nach Eichstätt zu pilgern. Ich denke, dass Pilgern und Wallfahrt grundsätzlich schon interessant ist für eine größere Menge an Jugendlichen.

Kirche heute: Angekündigt ist ein hochkarätiges Marienkonzert mit internationaler Besetzung im Kloster St. Walburga um 13:30 Uhr. Kann man schon Einzelheiten über die Besetzung erfahren?

Bischof Hanke: Das Marienkonzert „Ave Maria Gratia Plena“ ist in der Tat hochkarätig besetzt. Emma Kirkby (Sopran), die 2007 von Königin Elisabeth II. geehrt wurde, ist ein weltweit bekannter Name. Zusammen mit Bell’arte Salzburg unter der Leitung von Annagret Siedel präsentiert sie Marienmusik des 17. Jahrhunderts aus Bayern, Österreich und Italien. Passend zur Musik findet das Konzert in der wunderbaren Barockkirche St. Walburg statt. Die Bistumsheilige St. Walburga kommt dabei wohl auch musikalisch vor. Nachgefragt wird das Konzert sehr rege. Die Organisatoren bestuhlen bereits jetzt nach, wodurch aktuell auch noch Karten zu haben sind.

Kirche heute: 2017 wird auf internationaler Ebene auch das hundertjährige Jubiläum von Fatima gefeiert. Sehen Sie einen Weg, wie man beide Gedenken verbinden und für das Gebet um den Frieden fruchtbar machen könnte?

Bischof Hanke: Diese Verknüpfung würde ich persönlich sehr begrüßen, doch ist das Angelegenheit des austragenden Bistums.

Kirche heute: Pilgern erinnert auch an das Schicksal der Migranten und Flüchtlinge. Wird das Thema bei der bevorstehenden Wallfahrt eine Rolle spielen?

Bischof Hanke: In den Gebetsanliegen der Pilgerinnen und Pilger wird das Thema sicherlich eine Rolle spielen, ebenso wie in der Gestaltung des einen oder anderen der Sternwallfahrtswege, die von verschiedenen Gruppen vorbereitet werden.

Spätestens aber am Residenzplatz haben wir das Thema Flucht spürbar unter uns, denn im südlichen Gebäude des Residenzplatz-Ensembles ist die Eichstätter Flüchtlingsunterkunft. An einem warmen, sonnigen Tag werden die offenen Fenster, die aufgehängten Kleidungsstücke und die geflohenen Menschen selbst Teil des Gottesdienstes sein. Bei den Fürbitten im Pontifikalgottesdienst wird das Thema Migranten und Flüchtlinge auch anklingen.

Kirche heute: Welches Wort möchten Sie gerne an die Gläubigen richten, die sich am Samstag, den 7. Mai, auf den Weg nach Eichstätt machen werden?

Bischof Hanke: Begeben wir uns an die Hand Mariens. Sie als Hörerin des Wortes Gottes und als Weggefährtin ihres Sohnes führt uns einen sicheren Weg zu Christus. Mit Maria zu Jesus!

Kirche heute: Hochwürdigster Herr Bischof, wir danken Ihnen von ganzem Herzen für das wertvolle Gespräch.

Gerne beten wir um eine fruchtbare und vom Geist Gottes erfüllte Wallfahrt. Ihnen selbst wünschen wir viel Kraft und Freude für Ihren so wichtigen Hirtendienst.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
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Papst Franziskus über „Maria, die Mutter der Evangelisierung“

Reinstes Urbild der Kirche

In seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ vom 24. November 2013 stellte Papst Franziskus das Programm seines Pontifikats vor. Es war nicht mehr mit vier Händen geschrieben, wie die Enzyklika „Lumen fidei“ – „Licht des Glaubens“, die auf einen Entwurf seines Vorgängers Benedikt zurückging. Das Schreiben „über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute“ atmet durch und durch den Geist von Papst Franziskus. Ein bemerkenswertes Detail dieses Dokuments stellt das abschließende Kapitel über „Maria, die Mutter der Evangelisierung“ dar. Darin entfaltet er die Grundzüge seiner Mariologie, die sich wie ein roter Faden durch seine ganze päpstliche Verkündigung hindurch zieht. Pfarrer Erich Maria Fink versucht, einige Aspekte des Bildes, das Papst Franziskus von „Maria, der Mutter der Evangelisierung“ zeichnet, zu erschließen.

Von Erich Maria Fink

Missionarischer Aufbruch

In seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ vom 24. November 2013 ruft Papst Franziskus die ganze Kirche dazu auf, sich entschlossen und mutig den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen. Jeder Einzelne müsse seinen Glauben viel missionarischer leben und eine neue Verantwortung für die Evangelisierung auf sich nehmen. Es sei das Gebot der Stunde, dass sich jeder Christ darum bemüht, andere Menschen für das Evangelium zu gewinnen. Jesus sagte: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen, und wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49) Ein solches Feuer schwebt dem Papst vor. Alle Gemeinden, Bewegungen und Verbände sollten von der Sehnsucht erfüllt sein, möglichst viele Mitmenschen zu Gott zu führen und ihnen den Weg zum ewigen Leben zu zeigen. Voller Eifer sollten wir jede Gelegenheit und jede Begegnung zu einem solchen Gespräch nützen. Selbst überzeugt von der christlichen Botschaft und erfüllt von einer tiefen Freude am Glauben und an der Kirche sollten wir Zeugnis ablegen und begeistert von Jesus Christus erzählen, von seinen Zeichen und Wundern, von der Verheißung des Himmelreichs, von der Vergebung der Sünden, vom Geschenk der Sakramente, von der Liebe und Barmherzigkeit des himmlischen Vaters.

Zeugnis der Evangelikalen

In seinem Schreiben über die Evangelisierung verwendet Papst Franziskus eine ganz neue Sprache. Der Stil des Dokuments ist mit nichts zu vergleichen, was es bisher in der Lehrverkündigung der Kirche gab. Es erinnert sehr stark an die missionarische Art evangelischer Freikirchen. Und tatsächlich scheint Franziskus deren Eifer und Dynamik in der Weitergabe des Evangeliums vor Augen zu haben. Es ist wohl kein Zufall, dass er zu evangelikalen Gemeinschaften auch als Papst Kontakt sucht und ihnen eine ausgesprochene Wertschätzung entgegenbringt. Er scheint bei diesen Gruppierungen einen missionarischen Geist zu erspüren, den er sich auch für die katholische Kirche wünscht. Ihm schwebt offensichtlich vor, über die charismatischen Berührungspunkte hinaus, die es schon seit langem gibt, die positiven Elemente und Erfahrungen der Freikirchen für eine zeitgemäße Verkündigung fruchtbar zu machen. Es geht dem Papst in keiner Weise um eine Protestantisierung des katholischen Glaubens. Frei von evangelikalem Fundamentalismus möchte er die lebendige persönliche Beziehung zu Jesus Christus und das Wirken des Heiligen Geistes in den Mittelpunkt allen kirchlichen Lebens stellen. Im Licht eines echten Glaubens und einer lebendigen Verbindung mit Gott sollten die Gnadenquellen der Kirche neu erschlossen und fruchtbar gemacht werden.

Mutter der Evangelisierung

Gerade auf diesem Hintergrund ist das abschließende Kapitel von „Evangelii gaudium“ von höchster Bedeutung. Es trägt die Überschrift: „Maria, Mutter der Evangelisierung“. Und man spürt, dass es sich nicht nur um einen formalen Abschluss handelt, der frömmigkeitshalber noch die Gottesmutter erwähnt. Es bildet vielmehr ein starkes Signal, mit dem sich der Papst sehr eindeutig positioniert. Alle protestantischen Gruppierungen haben bislang gemeinsam, dass sie die traditionelle Marienverehrung radikal ablehnen. Für sie kommt eine persönliche Beziehung zu Maria grundsätzlich nicht in Frage. Natürlich wird es immer mit dem Hinweis begründet, Jesus Christus sei der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen, was die katholische Lehre jedoch in keinster Weise bestreiten würde. Doch verbirgt sich hinter diesem Widerstand das reformatorische Gnadenverständnis, das die Evangelikalen paradoxerweise zu einem großen Teil bereits überwunden haben. Der Blick auf die triumphierende Kirche im Himmel, die zusammen mit den Gläubigen auf der Erde den einen Leib Christi, einen lebendigen Organismus, eben die eine Kirche bildet, ist den Nachkommen der Reformation aber bislang verschlossen. Und es ist, als wollte Papst Franziskus in ähnlich missionarischem Geist diesen Brüdern und Schwestern im Glauben an Christus die Augen für Maria als unsere Mutter öffnen. Mit flammenden Worten spricht er davon, dass letztlich eine Evangelisierung ohne Maria nicht wirklich zielführend und fruchtbar sein kann. Wir sind auf ihr Mitwirken, auf ihre mütterliche Liebe, auf ihren Geist des Mitfühlens und der Barmherzigkeit angewiesen.

Bibeltheologische Grundlegung

Wenn wir von Maria als Mutter sprechen, berufen wir uns gewöhnlich auf die Worte Jesu, die er vom Kreuz herab zu Johannes gesprochen hat: „Siehe deine Mutter!“ (Joh 19,27) Die Protestanten halten dem entgegen, dass Jesus nur eine menschliche Sorge für seine Mutter im Blick gehabt habe. Von einer geistlichen Mutterschaft Mariens in Bezug auf alle Gläubigen auch über ihren Tod hinaus zu sprechen, sei eine Überinterpretation. Ebenso könne die Mittlerrolle, die Maria auf der Hochzeit von Kana gespielt habe (Joh 2,1-11), nicht auf das gesamte Erlösungswerk übertragen werden.

Doch gibt es eine Bibelstelle, die eine protestantische Einebnung nicht mehr zulässt und eindeutig die Mutterrolle Mariens für die Kirche durch die ganze Geschichte hindurch bestätigt. Es handelt sich um die Vision des hl. Apostels Johannes von der sog. „Frau der Offenbarung“ (Offb 12). Darin wird das „große Zeichen“, nämlich die Frau, die mit den Symbolen des Universums, Sonne, Mond und Sternen, geschmückt ist, eindeutig als die Mutter des Erlösers identifiziert. Danach jedoch erscheint sie als diejenige, welche den Gläubigen zu Hilfe kommt, sie unter ihren Schutz nimmt und gegen die Angriffe des Drachens verteidigt. Die Gläubigen werden als diejenigen bezeichnet, welche „den Geboten Gottes gehorchen und an dem Zeugnis für Jesus festhalten“ (Offb 12, 17). Gleichzeitig werden Sie als „Nachkommen“ dieser Frau bezeichnet.

Diese Bibelstelle stellt eine große Herausforderung für all diejenigen dar, die sich gegen die katholische Marienverehrung wehren, sich dabei aber auf die Bibel berufen wollen. Und so bleibt ihnen nur eine Umdeutung übrig, die in der Regel so lautet, dass die Frau der Offenbarung eben nicht Maria, sondern ein Symbol für das Alte und Neue Israel, also das Volk Gottes sei. Die katholische Kirche ist auch in dieser Frage integrierend, indem sie kein „Entweder – oder“ spricht, sondern ein „Sowohl – als auch“.

Von Paul VI. zu Franziskus

Zum 50jährigen Jubiläum der Marienerscheinungen in Fatima veröffentlichte der sel. Papst Paul VI. ein Apostolisches Schreiben mit dem Titel „Signum magnum“ – „Das große Zeichen“.  Im ersten Satz stellt er bereits klar, dass die genannte Stelle in der Offenbarung tatsächlich eine theologische Aussage über Maria und ihre Rolle in der Heilgeschichte macht. Er schreibt: „Das Große Zeichen, das der heilige Apostel Johannes am Himmel sah (Offb 12,1), die Frau, von der Sonne umkleidet, wird von der Liturgie der katholischen Kirche zurecht gedeutet als die Allerseligste Jungfrau, die, aufgrund der Gnade Christi, die Mutter aller Menschen ist.“ Und dabei verweist er in einer Anmerkung beispielsweise auf die „Lesung der Messe am Fest der Erscheinung der Unbefleckten Jungfrau, 11. Februar“.

Papst Franziskus geht zunächst darauf ein, dass Jesus seine Mutter uns allen zur Mutter gegeben hat. Er spricht vom „Geschenk Jesu an sein Volk“. Es lohnt sich, die Stelle im Wortlaut anzuführen: „Am Kreuz, als Jesus in seinem Fleisch die dramatische Begegnung zwischen der Sünde der Welt und dem Erbarmen Gottes erlitt, konnte er zu seinen Füßen die tröstliche Gegenwart seiner Mutter und seines Freundes sehen. In diesem entscheidenden Augenblick, ehe er das Werk vollbrachte, das der Vater ihm aufgetragen hatte, sagte Jesus zu Maria: ,Frau, siehe, dein Sohn!‘ Dann sagte er zum geliebten Freund: ,Siehe, deine Mutter!‘ (Joh 19,26.27). Diese Worte Jesu an der Schwelle des Todes drücken in erster Linie nicht eine fromme Sorge um seine Mutter aus, sondern sind vielmehr eine Aussage der Offenbarung, die das Geheimnis einer besonderen Heilssendung zum Ausdruck bringt. Jesus hinterließ uns seine Mutter als unsere Mutter. Erst nachdem er das getan hatte, konnte Jesus spüren, dass ,alles vollbracht war‘ (Joh 19,28). Zu Füßen des Kreuzes, in der höchsten Stunde der neuen Schöpfung, führt uns Christus zu Maria“ (Nr. 285).

Unmittelbar danach bestätigt Papst Franziskus dieses katholische Verständnis von der Mutterschaft Mariens mit einem Verweis auf die genannte Stelle in der Offenbarung des Johannes. Er schreibt, Jesus führe uns zu Maria, da er nicht wolle, „dass wir ohne eine Mutter gehen, und das Volk liest in diesem mütterlichen Bild alle Geheimnisse des Evangeliums. Dem Herrn gefällt es nicht, dass seiner Kirche das weibliche Bild fehlt. Maria, die ihn in großem Glauben zur Welt brachte, begleitet auch ,ihre übrigen Nachkommen, die den Geboten Gottes gehorchen und an dem Zeugnis für Jesus festhalten‘ (Offb 12,17)“ (Nr. 285).

Ohne Umschweife also bietet der Papst in seinem Dokument über die Evangelisierung, wie wir sie heute brauchen, eine unumstößliche Grundlegung für eine marianische Prägung des kirchlichen Lebens.

Reinstes Urbild der Kirche

Höchst interessant ist auch die Art, wie Papst Franziskus daraufhin die berühmte Typologie des Zisterzienserabtes Isaak von Stella aus dem 12. Jahrhundert aufgreift. Zunächst bezeichnet er Isaak von Stella als Seligen. Eine offizielle Seligsprechung hat es nie gegeben, auch ist kein Gedenktag festgesetzt worden. Ob damit Franziskus tatsächlich eine oberhirtliche Entscheidung treffen wollte, müsste noch geklärt werden. Doch unterstreicht er damit natürlich die Autorität des Zitats, das er danach anführt. Es stammt aus der 51. Predigt des Isaak von Stella, auf die sich schon das II. Vatikanische Konzil und der hl. Johannes Paul II. berufen haben.

Papst Franziskus schreibt: „Die innere Verbindung zwischen Maria, der Kirche und jedem Gläubigen, insofern sie auf verschiedene Art und Weise Christus hervorbringen, wurde vom seligen Isaak von Stella sehr schön zum Ausdruck gebracht: ,Was daher in den von Gott inspirierten Schriften von der jungfräulichen Mutter Kirche in umfassendem Sinn gesagt wird, das gilt von der Jungfrau Maria im Einzelnen. […] Leicht erkennt der Verstand in beiden auch die glaubende Seele, die Braut des Wortes Gottes, die Mutter Christi, Tochter und Schwester, Jungfrau und fruchtbare Mutter. […] Im Mutterschoß Marias als seinem Zelt weilte Christus neun Monate; im Zelt der glaubenden Kirche bis ans Ende der Welt; in der Erkenntnis und Liebe der glaubenden Seele bleibt er auf ewig‘ (Isaak von Stella, Sermo 51: PL 194,1863.1856).“ (Nr. 285).

Auf dieser typologischen Identifizierung der Gottesmutter, der Kirche und der einzelnen Seele baut Papst Franziskus seine weiteren Ausführungen auf, wenn er Maria sowohl als „reinstes Urbild der Kirche“ als auch als „Stern der neuen Evangelisierung“ bezeichnet (vgl. Nr. 287 und 288).

Und so kann der Papst wiederum eine Verbindung zum 12. Kapitel der Offenbarung herstellen und sagen: „Als Mutter von allen ist sie Zeichen der Hoffnung für die Völker, die Geburtswehen leiden, bis die Gerechtigkeit hervorbricht. Sie ist die Missionarin, die uns nahe kommt, um uns im Leben zu begleiten, und dabei in mütterlicher Liebe die Herzen dem Glauben öffnet. Als wahre Mutter geht sie mit uns, streitet für uns und verbreitet unermüdlich die Nähe der Liebe Gottes“ (Nr. 286).

Sein Aufruf lautet schließlich: „Es gibt einen marianischen Stil bei der missionarischen Tätigkeit der Kirche. Denn jedes Mal, wenn wir auf Maria schauen, glauben wir wieder an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe“ (Nr. 288).

Und hier schließt sich der Kreis. Wir können zur programmatischen These zurückkehren, mit der Papst Franziskus sein marianisches Kapitel einleitet: „Zusammen mit dem Heiligen Geist ist mitten im Volk immer Maria. Sie versammelt die Jünger, um ihn anzurufen (Apg 1,14), und so hat sie die missionarische Explosion zu Pfingsten möglich gemacht. Maria ist die Mutter der missionarischen Kirche, und ohne sie können wir den Geist der neuen Evangelisierung nie ganz verstehen“ (Nr. 284).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
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Die Wahrheit wird den Sieg erringen

Von Christa Meves

Seit dem Beginn des Ansturms auf „das gelobte Land“ im Zentrum Europas hat sich hierzulande die Stimmung in der hiesigen Bevölkerung in staunende Wirrnis und lärmende Ratlosigkeit verwandelt. Das kam in der aufgeregten Öffentlichkeit um die Landtagswahlen vom 13. März besonders zum Ausdruck und überstülpte die relevanten innenpolitischen  Probleme in unseren Ländern. So wird es z. B. vermutlich in Baden-Württemberg noch nicht zu einem Durchbruch im Tenor der Schulpolitik kommen können, obwohl 4.500 Eltern wenige Tage vor ihrer Landtagswahl in Stuttgart auf dem Marktplatz demonstrierten und laut gegen die Schulpolitik von Ministerpräsident Kretschmann Einspruch erhoben. 2015 brachten sie immer neu ihren Protest darüber zum Ausdruck, dass sie um die seelische Gesundheit ihrer Kinder fürchten müssten, falls in den Schulen deren Sexualisierung „fächerübergreifend“ durch eine vorrangige Beachtung der Perversionen und Gender Mainstreaming eingeführt werden würde. Ist ein solches Schulprogramm wirklich in Baden-Württemberg, diesem Land des Pietismus, für eine solche Vielzahl von Wählern  anscheinend derart hinnehmbar, dass sie abermals vorrangig Grün wählte?

Aber wir dürfen uns den Mut nicht rauben lassen; denn Lügen haben kurze Beine! Langfristig ist es immer die Wahrheit, die mit Gottes Hilfe – wie bei David gegen den übermächtigen Goliath – den Sieg erringt. Darauf dürfen wir hoffen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Keine Kasuistik, sondern eine „Pastoral des Bandes“

„Amoris laetitia“ – Pädagogik der Liebe

Am 19. März 2016, dem Fest des hl. Josef, hat Papst Franziskus das mit Spannung erwartete nachsynodale Schreiben über Ehe und Familie unterzeichnet. Nun liegt das Dokument mit dem Namen „Amoris laetitia“ – „Die Freude der Liebe“ auch in deutscher Übersetzung vor. Was sagt der Papst über die bisherige Lehre der Kirche hinaus Neues? Wie hat er die Ergebnisse der beiden Bischofssynoden zusammengefasst? Welche Richtlinien gibt er den Seelsorgern für ihr künftiges pastorales Wirken an die Hand? Was bedeutet das Schreiben speziell für den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen? Auf diese Fragen gibt Dr. Stephan Kampowski in seinem originellen Kommentar eine erste Antwort. Er ist Professor für philosophische Anthropologie am Päpstlichen Institut „Johannes Paul II.“ in Rom.

Von Stephan Kampowski, Rom

Kein lehramtliches Eingreifen

In seinem post-synodalen apostolischen Schreiben Amoris laetitia fasst Papst Franziskus die Resultate der beiden Familiensynoden von 2014 und 2015 zusammen. Was einige der besonders heiß debattierten Fragen anbelangt, so erteilt er denen eine Absage, die sich, wie zum Beispiel Kardinal Kasper, verbindliche Kriterien für den Zugang zur Kommunion seitens der zivilrechtlich „wiederverheirateten“ Geschiedenen gewünscht hatten (vgl. Kasper: Das Evangelium von der Familie, S. 92). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Papst Franziskus genau diese Frage im Sinn hat, wenn er schreibt: „Nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen [müssen] durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden“ (AL 3). Amoris laetitia möchte der eigenen Aussage gemäß in dieser Angelegenheit also gar keine eindeutigen Entscheidungen treffen.

Familie als frohe Botschaft

Das Schreiben setzt vielmehr ganz andere Prioritäten. Wie es Papst Franziskus selbst auf der Pressekonferenz über den Wolken auf seinem Rückflug von Lesbos formulierte: das Dokument möchte auf die heutige Familienkrise eingehen, die sich darin ausdrückt, dass die jungen Menschen heute vermehrt überhaupt nicht mehr heiraten, dass keine Kinder mehr geboren werden, und dass da, wo Kinder sind, diese häufig ohne ihre Eltern aufwachsen (vgl. Pressekonferenz, 16. 4. 2016). Das Hauptproblem besteht also darin, dass die Familie gar nicht mehr als frohe Botschaft wahrgenommen wird. Darauf versucht Franziskus eine Antwort zu geben (vgl. AL 35). Zu diesem Zweck reflektiert er über die Liebe und gibt dem Thema der Erziehung und Bildung einen zentralen Raum.   

Die Fruchtbarkeit der Liebe

Somit stehen die Kapitel vier und fünf nicht nur buchstäblich, sondern auch thematisch im Zentrum. Sie liefern eine Meditation über das Hohelied der Liebe, wie wir es im 13. Kapitel des Ersten Korintherbriefes finden, sowie eine Reflektion über die Fruchtbarkeit der Liebe. Auch dem Thema der Erziehung wird ein besonderes Kapitel gewidmet (Kapitel 7). Es durchzieht jedoch praktisch das ganze Werk, wie es auch bei dem Gedanken der Fruchtbarkeit der Liebe der Fall ist. In diesem Zusammenhang wird die Lehre von Humanae vitae ausdrücklich bestätigt (vgl. AL 80 und 222).

Erziehung zur Liebe

Auch wenn Papst Franziskus sich zusammen mit den Synodenvätern mit großem Respekt an diejenigen richtet, die in nichtehelichen Verbindungen leben, unterstreicht er doch im selben Zusammenhang die Notwendigkeit, „gemeinsam mit ihnen um die Gnade der Umkehr“ zu bitten (AL 78). Zugleich macht er zuvor an anderer Stelle das Spezifische von Ehe und Familie deutlich, für das es objektiv keine Alternative geben kann: „Keine widerrufliche oder der Weitergabe des Lebens verschlossene Vereinigung sichert uns die Zukunft der Gesellschaft“ (AL 52) und – so darf man wohl legitimer Weise hinzufügen – der Kirche. Es ist daher von entscheidender Wichtigkeit, die Jugendlichen so früh wie möglich an die Ehe heranzuführen. In der Tat beginnt die Ehevorbereitung praktisch mit der Geburt (vgl. AL 208). Dazu gehört auch „die Erziehung des Gefühlslebens und der Triebe“ (AL 148) als eine Formung der Leidenschaften und die Wiederentdeckung der Tugend der Keuschheit „als wertvolle Voraussetzung für ein echtes Wachstum der zwischenmenschlichen Liebe“ (AL 206). All dies lässt sich wunderbar mit dem Begriff der „Pädagogik der Liebe“ zusammenfassen (AL 211).

„Theologie des Leibes“ statt Gender

In seiner Darstellung des Evangeliums der Familie bezieht sich Franziskus ausführlich auf die Theologie des Leibes des hl. Johannes Paul II. (vgl. AL 150-164). Die zentralen Themen der Theologie des Leibes werden von Amoris laetitia aufgegriffen: die Bedeutung des Geschlechtsunterschieds, die unauflösliche und treue Einheit von Mann und Frau, sowie die Fruchtbarkeit ihrer Liebe in der Offenheit für Kinder.

Man sieht ganz klar, dass die Frage der Scheidung und zivilen „Wiederverheiratung“ nicht im entferntesten das Hauptargument des post-synodalen Schreibens ist. Vielmehr geht es darum aufzuzeigen, dass die Familie eben kein Problem, sondern „in erste Linie eine Chance“ ist (AL 7). Es geht um die gegenseitige Bereicherung von Kirche und Familie. Wie die Familie eine kleine Hauskirche ist, so kann und soll die große Kirche durch sie familiärer werden: eine „Familie aus Familien“ (AL 87).

„Pastoral des Bandes“

Wie ist das nun mit den „wiederverheirateten“ Geschiedenen? Man müsste doch meinen, dass ein Papst, der so mutig ist wie Papst Franziskus, dass ein Papst, der das Herz eines Hirten hat und dem das Wohl der Herde ein so großes Anliegen ist, sich klar äußern würde, wenn er die bestehende Praxis fundamental ändern wollte. Er weiß doch, dass für die Pastoral nichts giftiger ist als Zweideutigkeit. Und warum sollte er Angst haben, sich unmissverständlich zu äußern? Es gibt zwei ganz eindeutige Schreiben seiner beiden Vorgänger, die klar darlegen, dass die „wiederverheirateten“ Geschiedenen unter bestimmten Umständen – z.B. wenn das Wohl der Kinder es verlangen sollte – von der Verpflichtung sich zu trennen ausgenommen sein könnten und sogar die Kommunion empfangen können, solange sie den Entschluss fassen, entsprechend der Wahrheit ihrer Situation miteinander zu leben, nämlich als Menschen, die eben nicht verheiratet sind, d.h. in Enthaltsamkeit (vgl. Johannes Paul II., Familiaris consortio 84; Benedikt XVI., Sacramentum caritatis 29). Papst Franziskus selbst spricht von einer „Seelsorge der Bindung“, einer „pastorale del vincolo“, was man auch als „Pastoral des Bandes“ übersetzen kann (AL 211). Daher muss, wenn es um die Unterscheidung einer spezifischen Situation geht, die Frage des eventuell bestehenden Ehebandes sicher auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen.

Im Einklang mit der Tradition

Die Stelle in Amoris laetitia, die eine Änderung der kirchlichen Praxis am ehesten nahelegt, ist AL 305, mit der entsprechenden Fußnote 351: „Aufgrund der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist – in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.“ In der Fußnote 351 wird dann hinzugefügt: „In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein“, wobei sofort danach erklärt wird, dass hiermit die Kommunion und Beichte gemeint sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Texte im Einklang mit der Tradition und der bestehenden Praxis zu lesen. Um dies näher auszuführen, ist hier leider kein Platz.

Verwirrung um eine Fußnote

An dieser Stelle soll nur eine Frage gestellt werden: Ist es wirklich wahrscheinlich, dass Papst Franziskus – der sich eine „Pastoral des Bandes“ wünscht und der sich bewusst ist, dass „die Barmherzigkeit die Gerechtigkeit und die Wahrheit nicht ausschließt“ (AL 311) – die konstante, auf Jesus und den hl. Paulus zurückgehende und in der Lehre verwurzelte Praxis der Kirche in einer Fußnote ändern möchte? Selbst wenn dies, wie Kardinal Schönborn es ausdrückt, einfach ein Zeichen seiner Demut sein sollte (Vorstellung von Amoris laetitia, Vatikan, 8. April 2016), so möchte man meinen, dass sich der Papst wenigstens doch selbst dieses Schrittes bewusst sein müsste. Explizit vom Journalisten Jean-Marie Guénois von Le Figaro auf diese Fußnote angesprochen, meinte der Papst nur: „Ich erinnere mich nicht an diese Fußnote“ (Pressekonferenz, 16. 4. 2016). Was ist dann der Wert seines Verweises auf Kardinal Schönborns Erklärung des Dokuments, mit dem er auf die ihm zuvor gestellte Frage nach neuen Möglichkeiten für die „wiederverheirateten“ Geschiedenen antwortet? Kardinal Schönborn bezog sich zu großen Teilen auf diese Fußnote, an die sich der Papst aber nicht erinnert. Somit wird sich der Papst auch nicht an die diesbezüglichen Erläuterungen des Wiener Kardinals erinnern.

Neue konkrete Möglichkeiten

Daher sind wir für die Interpretation wieder auf den Text von Amoris laetitia selbst geworfen: ein Text, in dem es die eine oder andere Andeutung gibt, in dem der Papst aber nie explizit Stellung nimmt. Er sagt geradezu explizit, dass er nicht Stellung nehmen will (vgl. AL 3). Ein vernünftiges Kriterium zur Unterscheidung wird doch sein, dass das, was klar ist, Vorrang hat, vor dem, was zweifelhaft ist. Familiaris consortio 84 und Sacramentum caritatis 29 sind glasklar in dem, was sie schreiben. Um die in diesen Paragrafen beschriebene Praxis zu ändern, bräuchte es allerwenigstens eine päpstliche Verlautbarung von gleicher Autorität (also wenigstens ein Apostolisches Schreiben, kein Interview), die genauso klar ist. Dem ist bisher ganz sicher nicht der Fall, womit die bestehenden Regelungen in Kraft bleiben. Das bedeutet ja überhaupt nicht, dass es nach der Publikation von Amoris laetitia keine „neuen konkreten Möglichkeiten“ für die „wiederverheirateten“ Geschiedenen gäbe (vgl. Pressekonferenz, 16. 4. 2016). Ein Weg der Aufnahme, der Begleitung und der Integration, wie er Franziskus vorschwebt, hat zahlreiche Möglichkeiten, die in komplettem Einklang mit der „Pastoral des Bandes“ stehen, von der derselbe Papst Franziskus spricht.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
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Bewegender Dank an Papst Benedikt XVI. aus der armenisch-katholischen Kirche

Demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn

Petros Jesajan ist Priester der armenisch-katholischen Kirche und seit einem Jahr für die armenischen Katholiken in Zentralrussland zuständig. Seinen Sitz hat er in Moskau. Er stammt aus einer armenischen Familie, die ursprünglich in Baku, der Hauptstadt Aserbeidschans, gelebt hat. Dort wurde er 1979 geboren. Doch floh die Familie im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach 1988 nach Weißrussland, wo er 1991 getauft wurde. Er entdeckte seine Berufung zum Priestertum und bereitete sich im Seminar von Lublin in Polen auf die Weihe vor, die er am 22. Mai 2005 in Armenien empfing. Die Papstwahl am 19. April 2005 erlebte er als Diakon in Lublin. Das Pontifikat Benedikts XVI. betrachtet er als gewaltiges Geschenk an die Kirche. In der armenisch-katholischen Kirche sei Papst Benedikt hoch verehrt und geliebt. Er gelte als Kirchenlehrer und als Anwalt einer Liturgie, welche die Schönheit der christlichen Offenbarung widerspiegle.

Von Petros Jesajan

Generation Johannes Pauls II.

Ich erinnere mich an jenen bedeutsamen Tag, an dem die ganze Welt, und mit ihr auch wir, die Diakone und Seminaristen des Priesterseminars von Lublin in Polen, gespannt auf die Wahl des neuen Papstes gewartet haben. Es wurde davon gesprochen, der neue Pontifex könnte ein „Liberaler“ sein. Was würde mit der Kirche geschehen? Was für einer wird wohl der neue Papst sein? Haben wir doch unser ganzes Leben, wir, die sog. „Generation Johannes Pauls II.“, nur diesen einen Papst gekannt!

Da klingelten überall im Seminar die Glocken, um uns zum Fernsehgerät zu rufen: „Weißer Rauch!!!“ Und da waren sie, die aufregenden Worte: „Dominum, Dominum Josephum Sanctae Romanae Ecclesiae Cardinalem Ratzinger!“

Was war das für eine Freude für uns, dass mir sogar heute noch, wenn ich darüber schreibe, Tränen der Freude und Dankbarkeit in die Augen kommen! Wir wussten, dass Kardinal Ratzinger ein enger Mitarbeiter des verstorbenen Papstes war. In unseren Ohren klang noch seine Beerdigungspredigt für Johannes Paul II. und wir hatten begriffen, dass damit das Steuer der Kirche in sicheren Händen war.

Ein Mann Gottes und ein Mann der Kirche

Seit diesem Tag sind elf Jahre vergangen und in den Herzen unzähliger Katholiken lebt das aufrichtige Bedürfnis, ihre kindliche Liebe und Zuneigung gegenüber Papst Benedikt zum Ausdruck zu bringen, ihre tiefste Dankbarkeit für all das Gute, das er für die Kirche getan hat: für seine Arbeit, seinen hingebungsvollen Dienst und seine Leiden für die Kirche.

Das Wichtigste, was uns Papst Benedikt geschenkt hat, was er uns vorgelebt hat und noch immer vorlebt, ist das Beispiel eines Mannes Gottes und eines Mannes der Kirche, bis zum Ende Gott und der Kirche ergeben. Des Weiteren sind es seine große Demut, aber auch das Gebet, die tiefe Betrachtung des Geheimnisses Christi, die Liebe zur Liturgie, zur Schönheit des Gottesdienstes, sodann die Weisheit, das Wissen, die Kultur und der hohe ästhetische Geschmack.

Ans Kreuz geschlagen

In einem seiner Interviews bekannte der Papst, dass er nach dem langen Dienst als Präfekt der Glaubenskongregation gehofft hatte, sich ausruhen und mit einem verborgenen Gebetsleben beschäftigen zu können. Doch der Herr berief ihn zum Dienst des Petrus und im Gehorsam des Glaubens nahm Joseph Ratzinger dieses schwere Kreuz auf sich. Und schließlich wurde er an dieses Kreuz geschlagen. Denn ungerechterweise versuchte man dem Pontifex die Schuld dafür anzuhängen, dass Akte des Missbrauchs an Kindern, welche von Priestern und Ordensleuten verübt worden waren, vor der Welt verschleiert wurden.

Dieses wohl schmerzhafteste Kreuz trug er in würdigem Schweigen, ohne Versuche, sich zu rechtfertigen, obwohl er so viel getan hatte, um dieses Phänomen innerhalb der Kirche zu verhindern und zu verringern, indem er ernsthafte und weitreichende Entscheidungen getroffen hatte. Diese Art und Weise Papst Benedikts, der Kirche zu dienen, war der Welt unbekannt, ein Weg des demütigen Leidens und des schweigsamen Bemühens um eine innerkirchliche Reinigung und Stärkung des Glaubensfundaments der Kirche, und eben nicht ein Weg, der äußerliches Aufsehen zu erregen sucht. Und gerade darin spiegelt sich nach meiner Auffassung die Handlungsweise des Himmlischen Meisters selbst wider, welcher Sensationen immer von sich gewiesen hat, bis zum Tod am Kreuz.

Fels in der Brandung falscher Lehren

Die Predigten, Gedanken und Enzykliken Papst Benedikts bilden für uns Katholiken und für viele Menschen guten Willens eine Quelle der geistlichen Formung, ein starkes Fundament, auf dem man stehen und gehen kann, inmitten der Stürme, die sich dem Glauben widersetzen, der Stürme von zwar attraktiven, aber falschen soziokulturellen, moralischen und religiösen Strömungen und Lehren.

Mitten in der Vielzahl von schreienden Stimmen hat Papst Benedikt eine eindeutige Lehre verkündet und uns geholfen, die Stimme des Glaubens der Kirche Christi zu hören, unablässig auf die Person des Auferstandenen Herrn schauend! Für mich selbst stellen die Bücher und Predigten des Papstes bis zum heutigen Tag eine gewaltige und immer frische Quelle der Erkenntnis des Herrn und der geistigen Inspiration dar.

Priestertum – Geschenk des Herzens Jesu

Als Mann Gottes und der Kirche setzte Benedikt in seiner Person und in seinem Petrusdienst die entsprechenden Akzente: das Jahr des Glaubens und das Jahr des Priestertums, für mich besonders das zweite. Der Papst stellte uns das Priestertum als Sakrament der pastoralen Liebe des Herzens Christi vor. Wie wichtig war und ist es, wie aktuell ist es, mitten im Verlust der sittlichen und soziokulturellen Orientierungen, in einer säkularisierten Welt, welche das Denken des heutigen Menschen prägt, auch in der Kirche, die Aufmerksamkeit auf das Priestertum als „Geschenk des Herzens Jesu“ zu lenken. Geschenk und Manifestation Seiner unendlichen Liebe zur Menschheit, und nicht nur ein ministerialer, hierarchischer Dienst.

Ich denke, dass dieses ganze Jahr vielen von uns Priestern, aber auch vielen Laien einen unauslöschlichen Anstoß gegeben hat, sich in das Geheimnis des Priestertums zu vertiefen, seine Schönheit zu betrachten und eine neue Dankbarkeit gegenüber Christus für dieses Geschenk zu empfinden, daran teilzunehmen und von einem ehrfurchtsvollen Gefühl in Bezug auf dieses Geschenk erfüllt zu werden! In der abschließenden Predigt zu diesem Jahr am Fest des Heiligsten Herzens Jesu sagte der Papst im Blick auf die Angriffe der weltlichen Medien, dass die ganze Aggression nichts anderes sei als die Antwort des Teufels auf die Betrachtung des Sakraments des Priestertums, welches in schwachen und zerbrechlichen Gefäßen des menschlichen Wesens bewahrt werde und sich darin verwirkliche.

Diese Worte beeinflussen auch heute die Formung unseres priesterlichen Selbstverständnisses. Sie waren eine klare Antwort an die Kirche und an die Welt auf die Frage, wer tatsächlich hinter all diesem Bösen steht und woher diese Explosion von Skandalen und der damit einhergehenden Aggression kommt. Sein väterliches und warmes Gefühl gegenüber den Priestern bei den Audienzen mit ihnen und den Seminaristen, die Hinlenkung der Aufmerksamkeit der ganzen Kirche auf die Schönheit und Größe ihres Dienstes, dies ermutigt uns Priester bis zum heutigen Tag und ruft uns zu einem noch treueren Dienst und zur Nachahmung Christi auf.

Schönheit der Liturgie – Ehrfurcht vor der Majestät Gottes

Logischerweise sind mit dem Glauben und dem Priestertum die Liebe und eine besondere Ehrfurcht gegenüber dem Sakrament der Eucharistie verbunden. Papst Benedikt feiert die heilige Messe und alle liturgischen Handlungen mit tiefer Ehrfurcht und Frömmigkeit. Nicht alle verstehen das. Manchmal wurde über die „altmodischen“ Gewänder, Traditionen und die lateinische Sprache gelächelt, in der Meinung, all dies gehöre einer Etappe an, welche die Kirche bereits hinter sich gelassen habe. Die Schönheit der Liturgie, der Riten und der Gewänder sowie die strenge Einhaltung der Rituale der Kirche sind meiner Meinung nach kein Zeichen von Senilität oder nur eines anspruchsvollen Geschmacks, sondern Ausdruck der Ehrfurcht und des Glaubens daran, dass die Liturgie den Himmel auf Erden darstellt, die Zelebration einer realen Begegnung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus. Es ist die Feier des wichtigsten Ereignisses in unserem alltäglichen Leben und das muss ein Fest sein!

„Die Schönheit rettet die Welt“, lesen wir bei Dostojewski. Schönheit und Harmonie müssen ein Teil der Begegnung mit Gott sein und diese begleiten! Im Westen ist dies heute sehr schwach ausgebildet, ja auch im Osten, aber die Ostkirche widmet der Feier große Aufmerksamkeit. Durch die Schönheit und die Treue zu den liturgischen Regeln der Kirche bringen wir Ehrfurcht und Demut vor der Majestät Gottes zum Ausdruck, der in den Sakramenten wirkt. Der Liturge ist nicht der Gastgeber dieser Begegnung, sondern ein einfacher Ausführender und Organisator des Ereignisses der Begegnung zwischen Gott und Mensch. Dies lehrt uns Papst Benedikt mit seiner Frömmigkeit und seinem Eifer in der treuen Befolgung der liturgischen Vorschriften, mit dem Gregorianischen Gesang und der Schönheit im Gottesdienst.

Überwältigende Demut

Ein weiteres Merkmal dieses großen Mannes der Kirche, das die Menschen guten Willens überwältigt, ist die Demut.

Ganz am Anfang seines Dienstes nannte sich der Papst selbst einen „einfachen Arbeiter im Weinberg Gottes“. Und als solcher ist er uns in Erinnerung geblieben. Mich persönlich hat beispielsweise der Augenblick sehr stark beeindruckt, als Benedikt bei seinem Besuch in Portugal vom Kardinal von Lissabon begrüßt worden ist. Der Papst nahm den Gruß des Erzbischofs mit einer solchen Schüchternheit im Blick und mit einer solchen Dankbarkeit entgegen, als ob dieser ihm mit diesem Empfang eine große Gnade erweise, oder als ob dieser höher stünde als er. Vielleicht ist es nur mein persönlicher Eindruck, doch hat er sich tief in meine Seele gesenkt. Diese Demut war ständig im Blick des Papstes und im Ton seiner Stimme zu vernehmen, immer bescheiden, zart, aber fest und unerschütterlich.

Ja! Christus zeigen, Seiner Kirche dienen, den Glauben an Ihn, die Kenntnis von Ihm und die Liebe zu Ihm stärken, das war im Dienst Benedikts immer sichtbar. Er befindet sich gleichsam im Schatten Christi, er ist ein demütiger Arbeiter in seinem Weinberg! Und wenn er von den Mühen niedergebeugt ist, wenn seine menschlichen Kräfte erschöpft sind, übergibt er mit dem Gefühl der Verantwortung für die Kirche und einer ungeheuren inneren Freiheit, welche die Stärke und Festigkeit seines Geistes bezeugt, das Steuer des Schiffleins Petri in die Hände des Nächsten, den der Herr erwählt. Für sich selbst behält er nur den Dienst des Gebets und des Leidens für die Kirche. Er verspricht bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem nachfolgenden Pontifex. Damit bringt er zum Ausdruck und lehrt uns, dass die Kirche und der Dienst des Petrus mehr sind als nur menschliche Organisation. Sie sind ein Geheimnis der erlösenden Gegenwart und des Handelns Christi, welche man im Geist des Glaubensgehorsams annehmen muss.

Ein heiliger Kirchenlehrer

Das geistige Erbe, das uns Papst Benedikt hinterlässt, bleibt für immer – auf Jahrhunderte hin – eine gewaltige Quelle der theologischen Inspiration für die ganze Christenheit. Wie dies schon heute geschieht, so werden noch viel mehr die neuen Generationen aus dieser Quelle schöpfen, für das Wissen, das Verstehen und die Stärkung ihres Glaubens und ihrer Gotteserkenntnis. Der uns hinterlassene Reichtum, im Beispiel des Lebens und des kirchlichen Dienstes, aber auch in der Gestalt der theologischen Werke, wird sicher eine gebührende Wertschätzung und Dankbarkeit vonseiten der zukünftigen Generationen der Kirche erfahren. Wer weiß, vielleicht wird unter den heiligen Kirchenlehrern einmal der Name von Papst Benedikt zu finden sein. Möge Gott es geben!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
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Umdenken in der Abtreibungspolitik

Mut der polnischen Regierung

Für Weihbischof Dr. Andreas Laun kommt es einem „Wunder“ gleich, dass die Regierung eines EU-Staates die Abtreibung wieder verbieten möchte. Doch sieht er schon jetzt einen Sturm der Entrüstung gegen die polnische Regierung losbrechen.

Von Weihbischof Andreas Laun

Polens Regierung steht hinter der Lehre der Kirche

Es ist eine gute Nachricht: Was das Lebensrecht der ungeborenen Kinder angeht, scheint etwas in Bewegung gekommen zu sein. In Polen schrieben die Bischöfe kürzlich in einem Hirtenbrief von einem „vollen rechtlichen Schutz von ungeborenem Leben.“ Denn bisher erlaubte das Gesetz auch in Polen Abtreibung von behinderten Kindern, Abtreibung nach einer Vergewaltigung, ebenso im Falle von Inzest und Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der Frau.

Doch nun die Sensation: Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo sprach sich für ein fast vollständiges Verbot von Abtreibung aus! Und auch der Vorsitzende der Regierungspartei Jaroslav Kaczynski unterstützt eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. Wenn es genügend Unterstützung gebe, werde er als Katholik hinter der Lehre der Kirche stehen, kündigte er an.

Das linksextreme Europa wird die Polen verdammen

Der Leser dieser Nachrichten in Österreich, Deutschland, Frankreich und vielen anderen Ländern Europas und sicher auch in den USA glaubt zu träumen, dass Politiker nicht nur so denken, sondern es wagen, dies laut zu sagen und politisch einzufordern. Man muss zugeben: Auch viele Bischöfe in Europa werden sich eher in Schweigen hüllen als die Polen offen zu loben.

Natürlich, das linksextrem regierte und bevormundete Europa wird dieses polnische Vorhaben nicht einfach hinnehmen. Es wird die Polen, wie schon kürzlich wegen medienpolitischer Maßnahmen, jetzt erst recht im Namen eines „Rechts auf Abtreibung“ moralisch verdammen, diffamieren und unter Druck setzen.

Diffamierung wird auch die Kirche treffen

Wahrscheinlich wird ein Tsunami moralischer Verurteilungen über Polen und seine Politiker hereinbrechen. Auch die Kirche wird es treffen, weil sie das „Evangelium vitae“ von Papst Johannes Paul II. verkündet und weil der polnische Präsident Katholik ist und sich an der Lehre der Kirche orientiert. Der Mut der Verantwortlichen ist bewundernswert! Sie verdienen unsere Unterstützung und unser Gebet, das sie brauchen werden. Wie schön wäre es, würden alle Bischofskonferenzen Europas sich diesen Hirtenbrief der Polen aneignen! Vielleicht gäbe es dann auch wieder Politiker, die sich am polnischen Vorbild ausrichten und den nötigen Mut holen.

So erfreulich die polnische Entscheidung ist, vor allem um drei „Einfallstore“ des Bösen wird man streiten, weil auch viele Katholiken sie als „annehmbar“ offen gehalten sehen möchten. Dazu lehrte Papst Johannes Paul II. in seinem Lehrschreiben „Evangelium vitae“: „Niemand und nichts kann in irgendeiner Weise zulassen, dass ein unschuldiges menschliches Lebewesen getötet wird, sei es ein Fötus oder ein Embryo, ein Kind oder ein Erwachsener, ein Greis, ein von einer unheilbaren Krankheit Befallener oder ein im Todeskampf Befindlicher“ (Nr. 57).

Sittliche Bewertung der drei „Einfallstore“ des Bösen

Auf der Grundlage der kirchlichen Lehre ergibt sich folgende moraltheologische Stellungnahme zu diesen Pforten des Bösen:

• Sollte Abtreibung nach einer Vergewaltigung nicht erlaubt sein? Nein, denn auch ein durch Vergewaltigung gezeugtes Kind ist ein Kind und dieses ist von den drei beteiligten Personen der einzige Mensch, der ganz sicher nicht irgendwie mitschuldig ist an dem Schrecklichen, das geschehen ist! Man lese im Internet dazu die Geschichte von Rebecca Kiessling: Ihre Mutter wurde vergewaltigt. Wenn ihr jemand sagt, Abtreibung nach Vergewaltigung wäre in Ordnung, hält sie dagegen: „Sie meinen also, man darf mich töten? Nein? Aber genau das haben Sie eben gesagt!“

• Abtreibung sollte erlaubt sein, wenn das Kind behindert sein oder „ohnehin“ bald sterben wird? Nein, denn auch ein behinderter Mensch ist ein Mensch mit demselben Lebensrecht wie alle anderen Menschen. Und auch wenn das Kind bald oder sogar sofort sterben wird, dann, lasst es in Frieden in die Ewigkeit gehen und vergesst dabei nicht: wir alle werden sterben, und niemand weiß die Zeit und die Stunde. In der Ewigkeit werden auch diese früh Verstorbenen uns lebendig entgegenkommen!

• Frauen und Ärzte für Abtreibung bestrafen? Ja, weil Abtreibung ein Verbrechen ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt! „Wollen Sie Frauen bestrafen?“ Ein genialer linker Werbegag für straflose Abtreibung! Genial insofern, weil er an das moralisch Gute im Hörer appelliert, ihn so manipuliert und ihn geradezu verblödet: Als ob man Frauen, die abtreiben, dann wegen ihres Geschlechtes bestrafen würde! Das Strafrecht gilt niemals dem Geschlecht eines Menschen, nicht seiner Hautfarbe, nicht seiner Bildung oder dem sozialen Stand eines Menschen. Bestraft wird immer nur der Täter unabhängig von seinem Geschlecht, die Strafe gilt der Tat und der verantwortlichen Mitwirkung an ihr! Absichtliche Tötung eines unschuldigen Menschen verlangt nach Strafe! Das heißt: Abtreibung sollte in jedem Land bestraft werden, und für solche Strafe gelten die der Situation und den Umständen entsprechenden Regeln des Strafrechts.

Frau Merkel und andere „Moralisten“ und Gutmenschen Europas sollten sich von dem großen Rechtswissenschaftler Wolfgang Waldstein, Freund von Papst Benedikt XVI., sagen lassen: „Ein Staat, ob demokratisch oder anders strukturiert, der Abtreibung gesetzlich freigibt, hört auf, im Vollsinn des Wortes ein Rechtsstaat zu sein!“ Das ist so, weil die Rechtsstaatlichkeit eines Landes von der Anerkennung des Naturrechts und der aus diesem folgenden Menschenrechte abhängt und nicht von der Willkür oder Mehrheits-Entscheidung der Machthaber.

Widerspruch zu Gottes Gebot bringt die Welt in Gefahr

Wahrscheinlich wird eine Bekehrung der Mehrheiten in den westlichen, liberalen und gottlosen Ländern in der Frage der Abtreibung noch Zeit in Anspruch nehmen! Sicher aber ist auch, dass sich die Welt gerade wegen diesem frechen Widerspruch zu Gottes Gebot in großer Gefahr befindet. Beim Propheten Hosea (4,1-4) heißt es: „Hört das Wort des Herrn, ihr Söhne Israels! Denn der Herr erhebt Klage gegen die Bewohner des Landes: Es gibt keine Treue und keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land. Nein, Fluch und Betrug, Mord, Diebstahl und Ehebruch machen sich breit, Bluttat reiht sich an Bluttat. Darum soll das Land verdorren, jeder, der darin wohnt, soll verwelken, samt den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels; auch die Fische im Meer sollen zugrunde gehen.“ Aber diese dramatische Warnung gilt vor allem auch den Verantwortlichen: „Dich, Priester, klage ich an… Weil du die Erkenntnis verworfen hast, darum verwerfe auch ich dich als meinen Priester. Du hast die Weisung deines Gottes vergessen!“

Der „moderne Mensch, der sich so viel auf seine Modernität einbildet und den Begriff „nicht zeitgemäß“ für ein rationales Argument hält, wird solche Worte spöttisch wegschieben, aber er irrt: So unmöglich es ist, Unglück und Sünde wie eine mathematische Gleichung in Zusammenhang zu bringen, so wahr bleibt, dass es einen Zusammenhang zwischen Sünde und Unglück gibt, dessen sich die Menschen bewusst sein sollten. Darum ist zum Beispiel wahr, was Mutter Teresa sagte: Die Abtreibungen sind Ursache der heutigen Kriege.

Prophetisches Nein gehört zum Ruhm unserer Zeit

Sicher wird der Tag kommen, an dem sich die Menschen bestürzt fragen werden, wie dieser Abtreibungs-Holocaust möglich und so lange verteidigt werden konnte. Gott sei Dank, dass es dann auch möglich sein wird, viele Namen zu nennen, die prophetisch Nein gesagt haben, und dass zudem nachweislich unzählige Menschen dieses Nein mitgetragen haben: Sie haben dem Zeitgeist des Bösen einen Zeitgeist Gottes entgegengesetzt! Erinnern wird man sich aber auch der vielen tapferen Frauen, die auch unter schwierigen Bedingungen und gegen allen Druck einer gottlosen Umwelt ihre Kinder angenommen und geliebt haben. Noch mehr wird man jene nennen, die, wie die hl. Gianna Molla, ihr Leben gegeben haben, um ihrem Kind das Leben zu schenken. Es sind nämlich viele, viele mehr als man ihre Namen kennt, mehr als man glauben möchte. Sie gehören zum Ruhm unserer Zeit, auch wenn sie nicht heiliggesprochen wurden oder „nicht einmal“ Christen waren. Sie haben nicht nur ihren Kindern das Leben weitergegeben, sondern auch uns alle gestärkt durch ihr Zeugnis für das Leben, für die mütterliche Liebe und für die Liebe in der Ehe. Sie gehören zu denen, die wir am Fest „Allerheiligen“ feiern.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
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Kritik der radikal dekonstruktivistischen Gender-Theorie

Die wunderbare Sprache des Leibes

Am 25. und 26. November 2015 fand in Berlin ein Symposium zum Thema „Hoffnung und Auftrag. Die Reden von Benedikt XVI. zur Politik“ statt. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, emeritierte Professorin für Religionsphilosophie, knüpfte in ihrem Vortrag an die historische Rede des Papstes vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011 an. Ausgehend von seinem berühmt gewordenen Wort über die „Ökologie des Menschen“ beleuchtet sie die drängenden Fragen, welche durch die Gender-Theorie aufgeworfen werden, und beantwortet sie im Licht des christlichen Menschenbildes. Nachfolgend eine gekürzte Fassung ihres Vortrags.

Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Ökologie der Geschlechtlichkeit?

In der Berliner Rede vom 22. September 2011 verwies Papst Benedikt XVI. – wie so oft – auf Natur und Vernunft als die beiden Quellen eines Rechts, das über einer positivistisch gesetzten Ordnung stehe. Ein so verstandenes Recht muss sich auch den drängenden anthropologischen Fragen stellen, welche seit etwa 25 Jahren durch die Gender-Theorie aufgeworfen werden: Ist es heute noch sinnvoll, zwischen Mann und Frau zu unterscheiden? Oder sind wir am Ende einer geschichtlichen Entfaltung angelangt, wo diese Unterscheidung abzulösen ist und nur das gemeinsam Menschliche betont werden soll? Können so nicht endlich bekannte, über das Geschlecht tradierte Unter- und Überordnungen verschwinden? Sind auch bisher randständige Formen geschlechtlicher Praxis zugunsten sexueller Vielfalt gesellschaftlich und juristisch zuzulassen? Kann man sich durch „fließende Identität“ nach eigener Wahl in „Freiheit“ setzen?

Unsere Kultur setzt bislang auf Aufklärung durch Vernunft. Aber genügt in einer derart leidenschaftlich geführten Auseinandersetzung Vernunft – zusammen mit Natur? Welche Lösung hat das Christentum?

Die Denk-Wege Benedikts XVI. sind nach wie vor hilfreich, um im Ansturm solcher Fragen Erprobtes und Neues sinnvoll zu vereinen. Ohne dass der Papst unmittelbar auf Gender eingeht, heißt es doch in der Berliner Rede: „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“

Postmoderne Entleiblichung: Körper als Werkzeug

Die Gender-Theorie hätte niemals Erfolg gehabt, schon wegen ihrer Ferne zur Lebenswelt, wenn sie nicht zugleich auf einer anderen Dynamik aufbaute: einer neuen distanzierten Sachlichkeit gegenüber dem eigenen Körper. Schon seit einigen Jahrzehnten wird der menschliche Körper zum Ort des Protestes gegen eine nicht autonom erstellte Identität. Utopien der „fließenden Identität“ im Sinne des totalen Selbstentwurfes setzen sich zunehmend durch. „Angekommen im neuen Jahrtausend geht es nicht mehr um den Dualismus des Geistes von der Natur, von seiner eigenen Leiblichkeit und körperlichen Bedingtheit, sondern dieses Gegensatzpaar ist aufgelöst, der Körper selbst steht zur Disposition. Der postmoderne Verlust der Grenzen zwischen innen und außen, belebt und unbelebt, männlich und weiblich, Geist und Körper kulminiert im Verlust der Grenze zwischen Körperrepräsentation und Körperwirklichkeit. Die Lust am Fragmentarischen, Heterogenen zerstörte zwar die Zwangsjacke der Moderne, aber öffnete zugleich das Tor zu einer nihilistischen Desintegration. Menschliche Körper fungieren als bloße Kunstobjekte [...], sie bilden lebendige Skulpturen, ein bewegliches Ereignisfeld oder sind überhaupt nur noch ‚undifferenziertes Fleisch‘."[1]

Einige Beispiele: Der Popstar Michael Jackson ließ sich mit Hilfe mehrerer Operationen ein transsexuell-synthetisches Gesicht komponieren. Berichte über berühmte Transsexuelle bestärken diese Tendenz. So schwelgte Roberta Klose, geboren in Brasilien als Luiz Roberto Gambine Moreira, über die Möglichkeiten der Medizin in der Schweiz: Mit einem Züricher verheiratet, wollte sie/er ein Kind „mit eigenem Samen, der in einem Schweizer Laboratorium lagert. Vor der Geschlechtsumwandlung 1989 im Londoner Charing-Hospital hatte Roberta Klose vorgesorgt, ein gute Freundin wird die Leihmutter spielen."[2] – „Ich“ und „mein Körper“ werden zu angeblich virtuellen Größen.

Chirurgie wird Kunst, und Kunst wird irritierendes Spiel mit dem eigenen Fleisch – Grenzen zwischen Fleisch und Plastik, Körper und Computer werden dabei verwischt. Konsequent polarisiert die neue Körperlichkeit dabei nicht mehr weiblich gegen männlich, sondern unterläuft diesen Gegensatz. „Gender nauting“ ist angesagt: das Navigieren zwischen den Geschlechtern. Festzustellen sind mannigfaltige, auch künstlerische Ansätze zur Auflösung und Neuinstallation des Körpers im Sinne einer fortlaufend zu inszenierenden Identität, die sowohl die bisherige angebliche Starre des Körperbegriffs als auch seine Abgrenzung von der Maschine aufheben – zumindest fiktiv in spielerischer Virtualität, teils bereits real mit Hilfe operativer Veränderung.

Nicht weniger exotisch als diese „fließende Identität“ wirkt die postmoderne Folgerung, den Begriff Körper durch den Begriff „Cyborg“ = „Cyber Organismus“ abzulösen.[3] Die amerikanische Feministin Donna Haraway propagiert deswegen eine neue Denkweise, „in der die Begriffe von Körper und Subjekt einer neuen Terminologie weichen, bei der man von ständigen Prozessen ausgeht, in denen Informationsströme und Kodes sich kreuzen und immer neue, vorübergehende Bedeutungen entstehen. Körper und Geist werden nicht mehr als ontologisch begründete Entitäten aufgefasst. Im Gegenteil: Der Körper, der traditionellerweise als der materielle Aspekt des Menschen betrachtet wird, macht in paradoxer Weise einer semiotischen Materialität Platz, die weder eine biologische Gegebenheit noch eine rein kulturelle Schöpfung ist. [...] Das Objekt tritt immer in einer bestimmten Sprache, einer bestimmten Praxis, in einem bestimmten historischen Kontext zutage."[4] Insofern lässt sich die symbiotische Beziehung zu einer Maschine (z.B. bei der Dialyse) als eine Cyborg-Beziehung bezeichnen.

Der Mensch als seine eigene Software mit der entsprechenden Pflicht zur (Dauer-)Veränderung – diese Vision kennzeichnet eine Zerstörung, zumindest die Vernachlässigung eines umfassenden Leibbegriffs. Die Gender-Forschung steht weithin im Bann der Leibferne und Körper-Dekonstruktion.

In Resonanz auf diese zunächst rein theoretisch klingende Idee erschien als neues Material der Kunst zum ersten Mal – anstelle von Stein, Holz, Ton, Bronze – das menschliche Fleisch selbst. Die Sprengwirkung solcher Vorstellungen ist beträchtlich. Der offene Körperbegriff oder auch die „fließende Identität“ sind mittlerweile in der Bildenden Kunst bereits benutzt. „Der Körper wird inszeniert, um überhaupt definiert zu werden, und überschreitet damit die Grenze zum Artifiziellen.“

Geschlecht: nur eine sprachliche Konstruktion?

Judith Butler (geb. 1956, Berkeley) hat mit ihrem Buch „Gender Trouble“ von 1991 im selben Zusammenhang eine Lawine losgetreten: Sex, das biologische Geschlecht, sei nicht entscheidend, sondern gender, das gewünschte, gefühlte, zugewiesene, konstruierte Geschlecht sei entscheidend.

Butlers Ansatz ist erkenntnistheoretisch: Alles Wirkliche muss durch Erkennen/Sprechen vermittelt sein, auch der (eigene) Körper. Normativität könne niemals aus der Natur, immer nur aus Kultur stammen; die Rede von Mann und Frau im Blick auf den Körper sei in ihrer verborgenen, durchwegs unbewussten Normativität aufzudecken. Erst der Imperativ der heterosexuellen Norm führe zu einer binären Geschlechtswahrnehmung: Allein diese sei erlaubt und sinnvoll – und werde daher als einzige eingeblendet. Andere geschlechtliche Möglichkeiten gerieten damit von vornherein aus dem Blick. Wenn diese Konstruktion – Geschlecht als Folge einer latenten, nicht begründeten Norm – durchschaut sei, verfalle damit auch die Auffassung von einem „anderen“ Geschlecht.[5]

Konkret bedeutet „Durchschauen“ eine neue Praxis und Gegennormierung: Homosexualität, möglicherweise sogar inzestuöse Verbindungen (so in der Antigone-Auslegung Butlers) werden als politisches Mittel vorgeschlagen, um als Ziel den Staat und die Gesetzgebung zu einer Abschaffung bisheriger Normierungen zu zwingen und die individuelle Wahl variabler Geschlechtsbetätigung außerhalb irgendwelcher Normen zu ermöglichen. Staat und Recht werden in Bezug auf Geschlecht unnötig; Staat wird in Individuen atomisiert, deren Geschlechtsbezeichnung als (vorläufige) Geschlechtsorientierung nicht mehr abgefragt werden darf.

Darin lässt sich eine tief problematische Ausblendung, fast überscharf, erkennen. Aus dem lebendigen Leib wird endgültig instrumenteller Körper (corpus in der Nähe von corpse). Seine Symbolik wird nicht fruchtbar, die phänomenale Selbstaussage kastriert.[6]

Das Ich kennt keine Fleischwerdung; der Körper ist „,Platzhalter des Nichts‘ und Hüter der ‚tabula rasa‘ seiner scheinbar völlig ausgeräumten Ankunftsstätte“.[7] So gesehen liefert Butler eine erneute Variante der extremen Bewusstseinsphilosophie mit ihrer hartnäckigen Körper-Geist-Spaltung.

Die Frage „Was erkenne ich?“ wird umgemodelt zur Frage: „Wie will ich sprechen?“ Von woher der Wunsch zur autonomen Beschriftung des Körpers genommen wird, bleibt unklar – gibt es nicht wenigstens vage reale Vorgaben für diesen Wunsch? Die Dekonstruktion des Leibes gerinnt zur Geste des Imperators, der in fremdes unkultiviertes Gebiet eindringt und es besetzt – obwohl er dies doch selbst „ist“. Widerstandslos, ja nichtig bietet sich der Leib als „vorgeschlechtlicher Körper“ an.

Die Faktizität des Körpers gilt als leer, als tabula rasa je meines Entwurfes; insofern kann (soll?) er mehrfach und immer wieder überschrieben werden. Fließende Identität hat auch das (aufklärerische) Denken von Subjekt als oktroyierte Norm aufzudecken. Dieser Vorschlag geht folgerichtig an die Grenzen der Sprache, sofern sie unterschwellige Normen oder eben binäre geschlechtliche Zuweisungen tradiert. Tatsächlich ist die Umformung von Sprache ebenfalls ein politisches Ziel dieser Art von Konstruktivismus.[8] Auch Grammatik wird aufgebrochen: In englisch-sprachigen Ländern, vor allem in USA und Australien, wird anstelle von he/she oder her/his tendenziell das „gender-neutrale“ they oder their im Sinne eines Singulars (!) propagiert, auch wenn es grammatisch missverständlich wird. („This person carries their bag under their arm.“) In Spanien ist es unter der sozialistischen Regierung bereits Gesetz, anstelle von Vater und Mutter in den Geburtsurkunden nur noch „Progenitor A“ und „Progenitor B“ einzutragen, um Geschlechtsangaben zu vermeiden.[9] Dass es damit sprachlich nur noch „Erzeuger“, nicht aber mehr „Gebärende“ gibt, ist offensichtlich gegen eine sperrige Sprache, die noch prämodernen Mustern verhaftet bleibt, in Kauf zu nehmen.[10]

Die Sprache des Leibes: mehr als Körper

Das deutsche Wort Leib verbindet in seiner Wortwurzel lb- Leben und Liebe. Mit Leib ist daher kein naiver Naturbegriff mehr verbunden, sondern an ihm zeigt sich die schöpferische Überführung von Natur in kultivierte, angenommene, endliche Natur. Gerade deswegen ist Leibsein nicht in einem flachen Materialismus zu verstehen. Das Geheimnisvolle, dass nur Frau und Mann „ein Fleisch“ werden und dabei neues Leben im Fleisch hervorbringen, ist das Phänomen, um das es im Leib geht. Diese „Fleischwerdung“ miteinander enthält bereits die Aussage, dass in der gegenseitigen Hingabe kein beliebiges und austauschbares Spiel steckt, sondern dass der Geschlechtsakt und die in ihm unerhört aufklingende emotionale und geistige, sich im Kind unmittelbar verkörpernde Erfahrung einzigartig sind. Einzigartiges aber ist von sich aus tiefe Wirklichkeit, ja, als die sonst (vielleicht gerne) verdeckte Tiefe der Wirklichkeit zu erfahren, die nicht beliebig abrufbar oder manipulativ zu „haben“ ist.

Daher ist die Sprache des Leibes „von selbst“ auf Dauer hingeordnet gegenüber dem, der sich ganz schenkt, weil sich im Schenken neue, alles verändernde Wirklichkeit auftut: Sie gelingt nur gemeinsam. Dauer meint Treue, und Treue meint wegen der Wucht und Einzigartigkeit des Vorgangs Ausschließlichkeit: „Du für immer“. Sie meint weiterführend auch Unauflöslichkeit, der die Zeit nichts anhaben kann – so wie auch die gemeinsame Zeugung eines Kindes nicht zurückzunehmen ist. Die Sprache des Leibes kann aber nicht mehr gelingen, wenn sie nicht mehr durchpulst ist von Leben und Liebe und Ausschließlichkeit – von sich aus enthält der Leib jedoch jederzeit eine große gegenseitige Beseligung. Das führt zur Frage einer umfassenden „Erziehung“ zur Geschlechtlichkeit, nicht aber zur Leugnung der Leibsprache als solcher.

Der Charakter der Hingabe kann freilich durch unreine und vordergründige geschlechtliche Akte verfälscht werden und wird beständig verfälscht. Der Leib kann nicht mehr „sprechen“, wenn er sich an einschränkende Bedingungen halten muss: „Gib dich mir nur für den Augenblick; ich will meine Befriedigung, nicht deine Liebe; auf keinen Fall ein Kind…“ Wo Sexualität von Anfang an auf mehrere Partner ausgerichtet ist, zeitgeistig oder aus eigener Beschränkung heraus, gelangt die Sprache des Leibes gar nicht zu ihrer ganzen Selbstaussage: Sie versackt einfach im Selbstgenuss. Wie wenig das von dem Partner „verziehen“ wird, zeigen die Erzählungen aller Kulturen, die die dramatische Rache der Betrogenen ausmalen. Alltäglicher zeigen es die Entfremdungen und Einsamkeiten inmitten einer überbordenden Sexpraxis.

Ebenso eindeutig gehört zur Sprache des Leibes die Fruchtbarkeit. Sie auf Dauer oder aus egozentrischen Gründen zu unterdrücken, chemisch zu nivellieren oder umgekehrt technisch zu stimulieren, macht aus dem Leib den „Körper“, der als Werkzeug gesehen wird. Stattdessen gilt der Satz von Helmuth Plessner: „Ich habe einen Körper, aber ich bin mein Leib.“ Eros und Fruchtbarkeit lassen sich nicht auf Dauer trennen, denn der Eros selbst übersteigt sich in die Fruchtbarkeit, und die Fruchtbarkeit bindet wiederum zusammen. Der Mann wird nur an der Frau zum Vater, die Frau nur am Mann zur Mutter, das Kind nur an den Eltern zum Menschen. Wo der Geschlechtsgenuss das Kind grundsätzlich verweigert,[11] wird im Umkehrschluss der andere, die andere verweigert.

Andersheit und Gegenspannung

Das Hinausgehen aus sich ist unvergleichlich fordernder, wenn es nicht nur auf ein anderes Ich, sondern auf einen anderen Leib trifft – auf unergründliche Entzogenheit, bis ins Leibliche, Psychische, Geistige hinein. Diese Differenz auszuhalten, vielmehr sich in sie hineinzubegeben und hineinzuverlieren, erfordert Mut. Vielleicht ist wirklich nur die Liebe im Sinn von Tollkühnheit fähig, sich überhaupt einzulassen auf das schlechthin Andere und sich nicht nur selbst zurückzuspiegeln: Frau ist bleibendes Geheimnis für den Mann und umgekehrt.[12] Wer diesem zutiefst Anderen antwortet, begegnet dem eigenen Leben: der eigenen Kraft zum elterlichen Dasein, zum älteren Du. Noch weiter gedacht: Man begegnet dem zukünftigen Leben als solchen, denn tatsächlich entsteht die neue Generation nur aus Mann und Frau. Wer den Leib zu einer „Zuschreibung“, zum konstruierten Geschlecht, zum beliebigen Selbstentwurf macht, unterbestimmt das Leben.

Natürlich kann auch der Schritt in die Differenz missglücken. Es macht die Not der Existenz aus, dass sie alle Lebensvollzüge degradieren kann. Es gibt die Zweckgemeinschaft Ehe, den Selbstgenuss im Sex, das frustrierte, leergewordene Zölibat, das erzwungene, lähmende Alleinsein, den Egoismus zu zweit. Aber das hindert nicht anzuerkennen, dass die Polarität der Geschlechter ein optimum virtutis, ein Äußerstes an Kraft herausfordert.

Joseph Ratzinger verweist auf eine männlich-weibliche Gegenspannung sogar in der Beziehung Christi zur Kirche: „Jene tiefe Darstellung des Alten Testaments, wonach die Frau aus der Seite des Mannes genommen ist (Gen 2,21ff), womit ihrer beider immerwährende Verwiesenheit aufeinander und ihre Einheit im einen Menschsein unnachahmlich groß ausgesagt wird – jene Geschichte also scheint hier [in der Seitenwunde Jesu] in der Wiederaufnahme des Wortes ‚Seite‘ (pleurá) [...] anzuklingen. Die offene Seite des neuen Adam wiederholt das Schöpfungsgeheimnis der ‚offenen Seite‘ des Mannes."[13]

Fleischwerdung mit Hilfe des Göttlichen

Wie spielt das Göttliche hinein in die eigene und die gemeinsame „Fleischwerdung“? Nie wird nur primitive Natur durch das Christentum verherrlicht: Sie ist vielmehr in den Raum des Göttlichen zu heben und heilend zu bearbeiten. Als ursprünglich paradiesische Gaben (Gen 1,27f) bedürfen Eros und Fruchtbarkeit „nach dem Fall“ ausdrücklich des Sakraments: Wegen ihrer Gefährdung werden sie in den Bereich des Heiligen gestellt.

Das Glücken einer endlichen und daher schwierigen Begegnung kann durch die Anrufung des Heiligen nicht „garantiert“ werden, aber in seinem Schutz stehen die Elemente, unter denen die schwierige Balance gelingen kann:

zum ersten das Doppelgeschlecht als leibhafte Vorgabe anzuerkennen,

zum zweiten sich das Kind durch den anderen geben zu lassen,

zum dritten die Ehe unauflöslich, auf Dauer als „ein Fleisch“ zu wollen.

Der tiefste anthropologische wie theologische Gedanke des Schöpfungsberichts ist wohl jener, dass die Liebesgemeinschaft von Mann und Frau eine Ahnung von der Liebesgemeinschaft in Gott selbst verleiht – ja, dass sich gerade an der Geschlechtlichkeit des Menschen, so geheimnisvoll sie für sich selbst schon ist, das eigentliche Geheimnis, nämlich das unerhörte, unvorstellbare schöpferische Füreinander und Ineinander des göttlichen Lebens ausdrückt. Anders: Die Geschlechtlichkeit von Mann und Frau lässt bereits die Wahrheit anschaulich werden, dass Gott in sich selbst Liebe ist (1 Joh 4,16). Schon von der zweifachen Gestalt des Menschen her wäre klar, dass Gott nicht selbstgenügsam, schweigsam, verschlossen ist, vielmehr Hingabe, Gespräch, Beziehung – eben Liebe. Geschlechtliche Gemeinschaft als Abglanz der göttlichen Gemeinschaft – damit wäre der griechischen Trauer über die Zweiheit des Menschen eine unglaubliche Antwort gegeben: statt Trauer die Seligkeit, ihn in der Liebe „abzubilden“.

Diese Wahrheit ist lebensbestimmend: Wie tief in Ihm der Ursprung alles Lebendigen, alles Menschlichen, des Eros zwischen den Geschlechtern, ja der unbeschreiblichen Freude der Mutterschaft und Vaterschaft zu verehren ist. Deswegen ja auch die Fassung der Ehe als Sakrament: Gott als Weg von mir zu dir. Geschlechtlichkeit als Fenster und Durchsicht auf seine Gegenwart. Das letzte Konzil hat dankenswert die Ehezwecke umgestellt und die gegenseitige Liebe in die erste Bedeutung gehoben. Nach wie vor freilich ermangeln Alltag wie Lehre einer christlichen Erotik, die auf der Genesis sowie der paulinischen und johanneischen Theologie gründet und als Schatz aus dem Acker gehoben gehört.

Leib ist immer schon Vorgabe meiner Lebendigkeit – aber nicht im Festhalten als „meine“, für andere unzugängliche Habe, sondern im Weitergeben, sogar im Entäußern meines Inneren an einen anderen. Aber auch nicht – wie bei Gender – im Verwerfen der Gabe und in ihrem Umschreiben zur Selbstbemächtigung, in der Sterilität der Verweigerung: Ich will mir nicht gegeben sein, ich will mich selbst „schaffen“. Nicht zufällig entfaltet sich heutiges phänomenologisches Fragen an einem Gelten-Lassen der „Gabe“, die ich bin, oder genauer: die ich für mich wie für andere bin.[14] Also: Gabe statt Habe – und damit tut sich zwingend die Frage nach dem Geber auf. „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes“, formulierte der Pietist Friedrich Christoph Oetinger. Leib ist der Lieblingsweg der Gnade.

Um mit einem eher heiteren Bild zu enden: Gilbert Keith Chesterton spricht von einem „wirbelnden Abenteuer“ der Glaubenden mitten unter den vielen Meinungen. „In meiner Vision fliegt der himmlische Wagen donnernd durch die Jahrhunderte – die langweiligen Häresien straucheln und fallen der Länge nach zu Boden, die wilde Wahrheit aber hält sich schwankend aufrecht."[15] Auch Joseph Ratzinger gehört zu den Stimmen dieser „wilden Wahrheit“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Philip J. Sampson: Die Repräsentationen des Körpers, in: Kunstforum International, Bd. 132: Die Zukunft des Körpers I, Ruppichteroth 1996, 94-111, hier: 101
[2] „Das schönste Fotomodell wird endlich eine Frau“, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 63 vom 17.3.1997, 28.
[3] Donna Haraway: Woman, Simian and Cyborgs. The Reinvention of Nature, London 1991.
[4] Lieke van der Scheer: „Menschlicher Körper?“ im Werk von Donna Haraway, Referat bei der Robert- Bosch-Stiftung, Stuttgart, 4.-6. Mai 1995, 4ff.
[5] Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt 1991.
[6] Vgl. H.-B. Gerl-Falkovitz: Zwischen Somatismus und Leibferne. Zur Kritik der Gender-Forschung, in: IKZ Communio 3 (2001), 225-237, wo auch Edith Steins Phänomenologie der Leiblichkeit herangezogen wird.
[7] Ferdinand Ulrich: Der Nächste und Fernste – oder: Er in Dir und Mir. Zur Philosophie der Intersubjektivität, in: Theologie und Philosophie 3 (1973), 317-350; hier: 318.
[8] Vgl. Ann Pauwels: Gender Inclusive Language: Gender-Aspekte der Globalisierung der englischen Sprache, Vortrag im Gender-Kompetenz-Zentrum der HU Berlin vom 16. April 2004: In Singapur werde das singular verstandene „they“ nur zu 3,6% benutzt, in Australien dagegen zu 74,9% (geschrieben und gesprochen).
[9] Beim Kongress für die Familie in Valencia (Juli 2006), wozu der Heilige Vater erwartet wurde, sagte Kardinal Trujillo, man müsse wohl jetzt „the Holy Progenitor“ begrüßen.
[10] Tatsächlich hatte die damalige PDS 2001 (heute: Die Linke) in den Deutschen Bundestag den Antrag eingebracht, Geschlechtsbezeichnungen als diskriminierend aus dem Personalausweis zu tilgen. Mittlerweile gibt es die Angabe „Intersex“ als dritte Geschlechtsbezeichnung im Personalausweis.
[11] Davon unabhängig gibt es tiefreichende Gründe, keine Kinder zu haben oder ihre Zahl zu beschränken. Aber die Beschränkung darf sich nicht unterschwellig gegen den Partner oder auf den Egoismus richten.
[12] Emmanuel Levinas: Die Zeit und der andere, Freiburg/München 1965, zählt den Tod, den Eros und den Sohn zu den drei großen „Passionen“ des Lebens – gerade weil sie uneinholbar, unbegriffen alle Kraft fordern.
[13] Joseph Ratzinger: Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (1968), Augsburg 2007, 226.
[14] Zur „Gabe“ vgl. die phänomenologischen Arbeiten von Jacques Derrida, Jean-Luc Marion, Bernhard Waldenfels, Michel Henry, Rolf Kühn, in einem weiteren Sinn auch von Martin Buber und Ferdinand Ulrich.
[15] G. K. Chesterton: Ketzer. Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter, Frankfurt 1998.

Die Bedeutung des Ablasses im Jahr der Barmherzigkeit

Heilung von den Folgen der Sünden

„Ablass“ ist ein heikles Thema, vor allem auf dem Hintergrund der Reformationsgeschichte. Dennoch scheint die katholische Kirche unbeirrt an der grundsätzlichen Bedeutung des Ablasses festzuhalten. Schon im Jubeljahr 2000 wurde dem damaligen Papst Johannes Paul II. der Vorwurf gemacht, er würde das Thema Ablass zu groß herausstellen und das heutige religiöse Empfinden unnötig provozieren. Nun betont auch Papst Franziskus mit allem Nachdruck, dass man im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit einen vollkommenen Ablass gewinnen kann, besonders durch den Besuch einer Kirche, in der eine sog. „Pforte der Barmherzigkeit“ eröffnet worden ist. „Wie kann ein Ablass uns und anderen dienen?“ Dieser Frage geht der Schweizer Pfarrer Leo Tanner (geb. 1953) am Ende seines Büchleins „Gottes Umarmung annehmen – Eine Besinnungshilfe zur Beichte"[1] nach.

Von Leo Tanner

Das lateinische Wort für Ablass indulgentia bedeutet ursprünglich Nachsicht, Güte und Zärtlichkeit. Beim Ablass geht es um eine Art und Weise, wie die Erlösung Jesu Christi in und durch die Kirche wirksam wird. Er ist ein Ausdruck des Erbarmens Gottes auf dem Weg der Heiligung.

Der hl. Johannes Paul II. über den Ablass

Am 29. September 1999 sagte Papst Johannes Paul II. bei einer Generalaudienz über den Ablass: „Der gekreuzigte Jesus ist der große ‚Ablass‘, den der Vater der Menschheit gewährt hat mit der Vergebung der Sünden und der Möglichkeit eines Lebens als Kinder Gottes im Heiligen Geist. … Dieses göttliche Geschenk wartet darauf, dass der Mensch es dankbar annimmt. … Auf der einen Seite wird der Mensch im Sakrament der Buße von seinen Sünden freigesprochen. Der Genesungsprozess ist eingeleitet. Auf der anderen Seite bleiben aber Wunden zurück, die sich erst nach und nach schließen und langsam heilen. Die Ablässe bezeichnen Schritte auf diesem Weg der vollständigen Heilung. Sie sind eine Art Medizin, je nach dem Maß, in dem sich der Mensch auf eine tiefe und ehrliche Umkehr einlässt.“

Unterscheidung zwischen „Sünde“ und „Sündenstrafe“

Das Verständnis für den Ablass beruht auf der Unterscheidung der katholische Lehre zwischen der „Sünde“ selbst, die sofort vergeben werden kann, und den Wirkungen der Sünde, die auch nach der Vergebung anhalten und einer Aufarbeitung bedürfen. Da diese Nachwirkungen (Folgen) der Sünde nicht angenehm sind, werden sie in der Theologie auch „Sündenstrafen“ genannt. Mit dem Wort „Sündenstrafe“ ist nicht eine Strafe von Gott her gemeint, sondern eine Folge, die wir uns selbst durch unsere Sünde zugezogen haben. Diese besteht in der Anhänglichkeit, in der schädlichen Bindung an den Reiz der Sünde, welche durch die Sünde entstanden ist und auch nach der Vergebung der Sünde an uns noch „klebt“. Davon müssen wir gänzlich losgelöst werden.

Eine Sünde hat noch weitere schädliche Folgen. Z.B.: Ein Kind ist wütend über eine Anweisung der Mutter und schüttet aus Zorn den Abfalleimer um. Die Mutter vergibt dem Kind. Nun aber müssen noch der Abfall entsorgt und die schmutzigen Spuren auf dem Teppich entfernt werden. Beim Ablass geht es also nicht um Vergebung der Sünden, sondern um den Weg der Heiligung nach der empfangenen Vergebung. Wird diese Heiligung in diesem Leben verfehlt, ist eine vorübergehende Reinigung nach dem Tode (Fegfeuer) unumgänglich, damit eine Seele zur Anschauung Gottes im Himmel gelangen kann.

Die Praxis der „Buße“ in der frühen Kirche

Zum besseren Verständnis kann ein kurzer Blick in die Geschichte helfen. Das frühe Christentum lebte in der Überzeugung, dass der bewusste Umkehrweg, der durch das meist mehrjährige Katechumenat führte, eine dauerhafte Veränderung des Lebens mit sich bringe. Diese Neuausrichtung (Umkehr) wurde in der Taufe feierlich vollzogen und gefeiert. Nun ging man davon aus, dass nach der Taufe der Mensch nicht mehr schwer sündigen werde. Doch dies war nicht der Fall. Etliche verleugneten den Glauben aus Angst vor Verfolgung und dem Martyrium oder fielen in andere schwere Sünden. Was nun? Ist eine zweite oder gar mehrfache Vergebung möglich?

Als Antwort darauf entstand die öffentliche Buße mit anschließender Vergebung im Bußsakrament. Der Bischof als Leiter der Gemeinde legte zuerst dem Sünder, als Zeichen der ernst gemeinten Umkehr, eine meist strenge Buße auf, gewöhnlich in Form eines längeren Fastens und eines zeitweiligen Ausschlusses von der Eucharistie oder sogar aus der christlichen Gemeinde. Diese Buße diente der Umkehr. War diese Buße (Wiedergutmachung) absolviert, wurde der Büßer feierlich durch den Bischof (meist am Gründonnerstag) wieder in die Gemeinde aufgenommen und erhielt darin die Vergebung Gottes und die Vergebung der Gemeinde. Dieser „Bußweg“ wurde von der Gemeinde mitgetragen.

So konnten – z.B. bei der Sünde des Glaubensabfalls – sog. Bekenner, die standhaft geblieben und die deswegen Leiden ertragen haben, für die Schwach-gewordenen einen Nachlass oder eine Erleichterung der Buße erbitten. Dadurch konnte die strenge Buße gemildert werden, was als Ablass verstanden werden kann. – Später entstand die Privatbeichte, die sich ab dem 6. und 7. Jahrhundert verbreitete. In der Folge kam es dann zur heute üblichen Praxis, dass zuerst die sakramentale Vergebung empfangen wird und anschließend der Weg der Wiedergutmachung, der Buße, kommt.

Wir alle sind Glieder am einen Leib Christi

In der Beichte empfangen wir also zuerst die Vergebung unserer Schuld vor Gott, anschließend verrichten wir die uns aufgetragene Buße. Damit werden wir an unsere Verantwortung erinnert, uns den Folgen unserer Sünden zu stellen, und versuchen, sie wiedergutzumachen.

Bei dieser Wiedergutmachung können wir als Kirche einander zur Seite stehen, denn durch den Heiligen Geist sind wir als Glieder miteinander im Leib Christi auch über den Tod hinaus miteinander verbunden. Diese geistliche Verbindung kann der leibliche Tod nicht zerstören. Wir sind gerufen, einander die Lasten tragen zu helfen und füreinander zu beten, bis alle ihr ewiges Ziel in Gott erreicht haben.

Dazu können wir die geistliche Hilfe der Kirche, deren Haupt Jesus Christus ist, in Anspruch nehmen und auf ihre Einladung hin „einen Ablass gewinnen“. Ein Ablass kann persönlich für sich gewonnen oder einem Verstorbenen zugewendet werden. Verstorbene, die noch der Läuterung bedürfen, erfahren durch diese „Zuwendung des Ablasses“ Hilfe auf ihrem Weg zum vollen Heil in Gott.

Teilablass und vollkommener Ablass

Die Kirche spricht von einem Teilablass oder einem vollkommenen Ablass. Ein Teilablass ist ein teilweiser Erlass der Sündenfolgen, ein vollkommener Ablass ist der Erlass sämtlicher bisheriger Sündenfolgen.

Wie vollkommen der Ablass in seiner Wirkung bei uns ist, hängt davon ab, wie vollkommen unsere Offenheit für Gott ist, denn die geistliche Vorbedingung zum Erlangen des vollkommenen Ablasses besteht im Freisein von der Neigung zu irgendeiner (und sei es auch nur einer lässlichen) Sünde.

Bei der Gewinnung eines Ablasses geht es um einen Weg des Gehorsams. So legt die Kirche fest, wo und wie ein Ablass empfangen werden kann. Dazu gehört in der Regel ein bestimmtes gläubiges Werk (z.B. eine Wallfahrt, ein Kirchen- oder Grabbesuch, ein spezielles Gebet) sowie bei einem vollkommenen Ablass die sakramentale Beichte, der Empfang der heiligen Kommunion, ein Gebet nach Meinung des Heiligen Vaters, das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und das Ave Maria sowie Taten der Umkehr und der Nächstenliebe. Es geht also wesentlich um die Erneuerung und Vertiefung der eigenen Umkehr, die immer auch der ganzen Kirche zugute kommt.

Ausdruck der Gemeinschaft mit der ganzen Kirche

Weil der Glaube, auf den wir getauft sind, ein Geschenk ist, das wir anderen verdanken und auf historischen Ereignissen beruht, empfiehlt uns die Kirche, eine Wallfahrt (Besuch einer Kirche) ins Heilige Land, nach Rom, zu den Gräbern der Apostel, zu einer Kirche, die als religiöses Zentrum in unserer Heimat gilt… zu machen. Das Unterwegssein zu einem Ort, wo unsere gläubigen Vorfahren gebetet haben, ist ein sichtbarer Ausdruck für die große Gemeinschaft der Kirche. Das Gebet „nach der Meinung des Heiligen Vaters“ weitet unseren Blick über die persönlichen Anliegen hinaus auf die Gemeinschaft der Weltkirche und die Anliegen der Menschheit.

So ist der Ablass eine Form des Fürbittgebetes. Im Gewinnen eines Ablasses geben wir uns in die solidarische Gemeinschaft der Kirche hinein und erbitten eine Heiligungsgnade für uns selbst oder für eine verstorbene Person. Die Kirche, der der Herr die Verwaltung Seiner Gnade anvertraut hat, bittet den Herrn, diese Gnade zu gewähren.

 

Die Bedingungen für den Ablass

Zur Erlangung des Ablasses ließ Papst Franziskus auf der ganzen Welt „Pforten der Barmherzigkeit“ öffnen. Doch betont er, dass mit dem Durchschreiten auch die klassischen Voraussetzungen für die Gewinnung eines vollkommenen Ablasses erfüllt werden müssen:

• Empfang des Bußsakramentes und der hl. Kommunion

• Glaubensbekenntnis und ein Gebet in der Meinung des Heiligen Vaters

• Fester Vorsatz, nach dem Willen Gottes zu leben und jede Sünde zu meiden

Papst Franziskus: „Es ist wichtig, dass dieser Moment vor allem mit dem Sakrament der Versöhnung und der Feier der heiligen Eucharistie einschließlich einer Reflexion über die Barmherzigkeit verbunden ist. Es wird nötig sein, dass diese Feiern das Glaubensbekenntnis ebenso umfassen wie das Gebet für mich und für die Anliegen, die mir am Herzen liegen zum Wohl der Kirche und der ganzen Welt.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Leo Tanner: Gottes Umarmung annehmen. Eine Besinnungshilfe zur Beichte. Pb., 88 S., Euro 11,00. WeG Verlag, ISBN 978-3-909085-91-0. Bestellmöglichkeit siehe im Internet unter: leotanner.ch

Neue Dokumentation von „Kirche in Not“ erschienen

Gewalt und Terror gegen Christen nehmen zu

In einem Ausmaß wie selten zuvor werden Christen gegenwärtig Opfer von Terror und Gewalt. Vor allem islamistische Bewegungen sind die Hauptursache für eine zunehmende Christenverfolgung. Das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ hat jetzt zum vierten Mal die Dokumentation „Christen in großer Bedrängnis"[1] veröffentlicht. Im Interview erläutert der Autor Berthold Pelster die wichtigsten Ergebnisse. Der 54-Jährige ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit im deutschen Büro von „Kirche in Not“ und beschäftigt sich insbesondere mit dem Thema Religionsfreiheit.

Interview mit Berthold Pelster

Herr Pelster, Immer wieder erschüttern uns Nachrichten über Anschläge, die gezielt gegen Christen gerichtet sind, zuletzt am Ostersonntag in Lahore in Pakistan. Reißt die Gewalt nicht ab?

Das Selbstmordattentat in einem Freizeitpark in Lahore am vergangenen Ostersonntag steht in einer langen Reihe von religiös motivierten Gewalttaten weltweit. Mehr als 70 Menschen wurden bei diesem Anschlag auf einem Spielplatz getötet, vor allem Kinder und Frauen, darunter etwa 20 Christen. Auch unter den mehr als 340 Verletzten sind viele Christen.

Was weiß man über die Hintergründe?

Eine Gruppe der Taliban-Bewegung hat sich zu dem Anschlag bekannt. Der Freizeitpark wurde ausgewählt, weil sich dort christliche Familien versammelt hatten, um den Ostersonntag gemeinsam zu verbringen. Christen waren das Ziel des Massakers. Dass dabei auch viele Muslime Opfer wurden, wurde bewusst in Kauf genommen. Die Taliban-Bewegung in Pakistan möchte einen Gottesstaat errichten, in dem allein die „einzig wahre Religion“ des sunnitischen Islams Geltung hat. Für schiitische Muslime, Christen, Hindus und andere Minderheiten ist in einem solchen Staat kein Platz.

„Kirche in Not“ hat zum wiederholten Mal eine Dokumentation über Gewalt gegen Christen veröffentlicht. Welche Informationen findet man in dem Buch?

In dem Buch werden sechzehn Länder aufgeführt, in denen Christen besonders unter Diskriminierung, Unterdrückung oder Verfolgung leiden. Anhand vieler Einzelfälle werden Formen und Ursachen der Unterdrückung dargestellt. Aufgrund der schwierigen Weltlage, besonders im Nahen Osten, war es diesmal besonders zeitaufwendig, die Informationen zusammenzutragen und auszuwerten.

Die vorherige Ausgabe ist im Frühjahr 2013 erschienen. Was ist seit damals passiert?

In den vergangenen drei Jahren hat das Ausmaß an Terror und Gewalt gegen Christen noch einmal deutlich zugenommen und ein selten zuvor gesehenes Niveau erreicht. In den Berichtszeitraum fällt zum Beispiel die Errichtung des „Islamischen Staates“ im Irak und in Syrien mit der Vertreibung von 120.000 Christen aus Mossul und der Ninive-Ebene. Der Terror von Boko Haram brachte in 2014 für Nigeria das bislang blutigste Jahr. Radikale islamistische Bewegungen führen im Nahen und Mittleren Osten und in Teilen Afrikas einen regelrechten Feldzug der religiösen Säuberung. All das ist in dem Buch im Detail dokumentiert. Darüber hinaus gibt es zu jedem Land wichtige Hintergrundinformationen, die das Geschehen verständlich machen.

Mit welchen Gefühlen haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Ich war immer wieder erschüttert, wenn neue Meldungen auf meinem Schreibtisch landeten, die von Anschlägen, Entführungen oder Massakern berichteten. Ganze christliche Gemeinden wurden durch Vertreibung ausgelöscht. Die Zahl der Flüchtlinge geht in die Millionen. Besonders schmerzlich ist es, den Untergang von Gemeinden mit anzusehen, deren Ursprünge bis in die Zeit der frühen Kirche zurückreichen, vor allem im Irak und in Syrien.

Ist das Christentum im Nahen Osten in seiner Existenz gefährdet?

Das Christentum im Nahen Osten steht seit Jahrzehnten massiv unter Druck. Lag die Zahl der Christen im Irak vor drei Jahrzehnten noch bei über 1,5 Millionen, sind es heute kaum noch 400.000, manche Kirchenvertreter nennen sogar noch niedrigere Zahlen. In Syrien gab es vor Ausbruch des Krieges rund 2,5 Millionen Christen. Mindestens ein Fünftel von ihnen lebt nicht mehr in den angestammten Gebieten: Sie wurden vertrieben, sind geflüchtet oder mit bösen Vorahnungen frühzeitig ausgewandert.

Leiden Christen mehr als andere unter Krieg und Gewalt?

Es sind oft innerislamische und politische Machtkämpfe, denen – neben Millionen von Muslimen – auch Christen und andere Minderheiten zum Opfer fallen. Quantitativ leiden die Muslime mehr, weil sie die Bevölkerungsmehrheit bilden. Qualitativ aber bezahlen die Christen den höheren Preis, da ihre Existenzmöglichkeiten im Nahen und Mittleren Osten oder in Teilen Afrikas vernichtet werden. Sie sind das schwächste Glied, sitzen zwischen allen Stühlen und erfahren in ihren Ländern oft wenig oder gar keine Unterstützung von gesellschaftlicher Seite.

Sind die Christen in diesen Gebieten also auf Hilfe aus dem Westen angewiesen?

Der Westen ist ihre einzige Hoffnung. Zugleich aber sind viele Christen enttäuscht und verbittert. Sie haben das Gefühl, von der westlichen Welt, die ja gemeinhin noch als „christlich“ gilt, im Stich gelassen zu werden. Sie haben den Eindruck, dass für den Westen wirtschaftliche Interessen an erster Stelle stehen. Das Schicksal der Christen scheine dem Westen dagegen egal zu sein, das Verschwinden des Christentums werde gleichgültig in Kauf genommen.

Wie werden solche Vorwürfe begründet?

Es wird zum Beispiel auf den Einmarsch der US-geführten Truppen im Jahr 2003 verwiesen, der innerhalb weniger Tage zum Sturz des Diktators Saddam Hussein führte. Warum, so fragt man, sind die USA heute nicht willens oder in der Lage, den „Islamischen Staat“ innerhalb weniger Wochen zu bekämpfen und zu besiegen?

Wie ist die Lage der Christen in anderen Weltregionen, etwa im Fernen Osten?

In China hat die kommunistische Regierung die Zügel seit einiger Zeit wieder angezogen und die Kontrollmechanismen verschärft, mit denen die Religionsgemeinschaften des Landes überwacht und gesteuert werden. Recht spektakulär war in dem Berichtszeitraum eine staatliche Kampagne im Südosten von China, in der Provinz Zhejiang. Auf Anordnung der Behörden wurden Hunderte von Kreuzen von Kirchendächern und Kirchtürmen abmontiert, oft unter erheblichem Protest der Gläubigen. Die kommunistische Regierung ist nach wie vor höchst misstrauisch gegenüber allen Bewegungen, die sie als potentielle Gefährdung ihres Machtmonopols ansieht.

China ist nicht das einzige kommunistische Land. Wie schaut es zum Beispiel in Vietnam aus?

Die Meldungen aus Vietnam sind widersprüchlich. Einerseits übt das kommunistische Regime weiterhin umfassende Kontrollen über die Religionsgemeinschaften aus. Viele religiöse Aktivitäten sind nur mit vorheriger Erlaubnis der zuständigen staatlichen Behörden erlaubt. Die jetzt schon strengen Regeln sollen noch weiter verschärft werden, im Lauf des Jahres 2016 soll es ein neues Religionsgesetz geben. Der Vatikan hat sich sehr besorgt über den Gesetzentwurf geäußert, er sei ein Schritt zurück. Auf der anderen Seite gibt es aber auch positive Entwicklungen: Die Regierung hat der Kirche die Erlaubnis erteilt, eine eigene katholische Universität einzurichten. Diese soll noch im Jahr 2016 ihren Betrieb aufnehmen.

Was kostet das Buch?

„Unsere verfolgten Brüder sind die Elite der Kirche. Mit ihnen solidarisch zu sein, ist eine Ehrenpflicht.“ Das sind Worte von Pater Werenfried van Straaten, dem Gründer von „Kirche in Not“. Solide und verlässliche Informationen sind der erste Schritt, um diese Solidarität mit verfolgten Christen überhaupt möglich zu machen. Deswegen geben wir das Buch kostenlos ab, damit dieser wichtigen Informationsarbeit keine unnötigen Hürden in den Weg gestellt werden. Danach muss dann jeder für sich entscheiden, was er tut angesichts der Bedrängnis so vieler Christen. Ein gutes Zeichen wäre es, regelmäßig für die verfolgten Christen zu beten. Dafür hat „Kirche in Not“ jetzt ein eigenes Gebet herausgegeben, das als kostenloses Faltblatt bei uns erhältlich ist. Es passt in jedes „Gotteslob“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Das Buch und das Gebetsblatt sind kostenlos erhältlich bei KIRCHE IN NOT, Lorenzonistraße 62, 81545 München • Tel. 089- 64248880 oder info@kirche-in-not.de • Internetseite: www.kirche-in-not.de

Gründerin des katholischen Fernsehsenders EWTN mit 92 Jahren verstorben

Eine Nonne schrieb Fernsehgeschichte

Mutter Mary Angelica PCPA war nicht nur eine Gott geweihte Ordensfrau, sondern hatte sich darüber hinaus vollkommen in den Dienst der göttlichen Vorsehung gestellt. Auf eindrucksvolle Weise nahm Gott ihre Hingabe und Einsatzbereitschaft an und machte sie zu einem einzigartigen Werkzeug der Neuevangelisierung. Im Vertrauen auf Gott durfte sie eines der größten katholischen Mediennetzwerke aufbauen und Millionen von Menschen geistliche Nahrung und Ermutigung auf dem Weg des christlichen Glaubens schenken. Dass sie nun an einem Ostersonntag gestorben ist, dürfen wir als besonders schönes Zeichen verstehen, durch das Gott ihrem Lebenswerk das Siegel des auferstandenen Herrn der Geschichte aufgedrückt hat. Martin Rothweiler, der Geschäftsführer und Programmverantwortliche für EWTN.TV in Deutschland, stellt uns in einem kurzen Rückblick das Leben dieser so tief in der Tradition der Kirche verwurzelten und zugleich so weitsichtig-modernen Frau vor.

Von Martin Rothweiler

Ein Millionenpublikum dankt seiner „Mutter“

Am Ostersonntag, dem 27. März 2016, starb Mutter Angelica, die Gründerin des katholischen Fernsehsenders EWTN (Eternal Word Television Network) friedlich im Beisein ihrer Mitschwestern in ihrem Kloster in Hanceville/ Alabama. Die Nachricht verbreitete sich rasch um die ganze Welt. Durch ihre eigenen Live-Shows „Mutter Angelica Live“ war sie einem Millionenpublikum bekannt und vertraut. Sie war über das Fernsehen in unzähligen Wohnzimmern und Häusern präsent und ist dies auch in den letzten 15 Jahren geblieben, die sie nach ihrem schweren Schlaganfall am Heiligabend 2001, durch den sie ihre Sprachfähigkeit verlor und an den Rollstuhl, später auch an das Bett gefesselt war, für den Sender und ihr Kloster aufopferte. Denn ihre Sendungen werden auch auf unserem deutschen Kanal „EWTN katholisches TV“ nach wie vor gezeigt und bleiben ein fester Bestandteil unseres Programms.

„Sie ist im Himmel!“

Die Reaktionen auf den Heimgang von Mutter Angelica waren und sind überwältigend. Viele haben uns angerufen oder sich in unser Kondolenzbuch auf unserer Internetseite eingetragen, um Ihr Beileid zu bekunden und ihre Dankbarkeit für Mutter Angelica und EWTN zum Ausdruck zu bringen. Berührende Geschichten haben wir gehört, wie das Zeugnis einer Mitarbeiterin eines Kinderhospizes, die uns erzählte, welche Hilfe unser Programm für ihre Kinder ist. Papst Benedikt XVI., der Mutter Angelica 2009 den Orden Pro Ecclesia et Pontifice verlieh, nannte die Tatsache, dass sie am Ostersonntag verstarb, ein „Geschenk“, so meldete die Nachrichtenagentur CNA (Catholic News Agency) in ihrer deutschen Ausgabe. Und Papst Franziskus rief bei seiner Mittwochsaudienz einer Mitarbeiterin von EWTN/CNA, die ein Bild von Mutter Angelica hochhielt, zu: „En el cielo!“ („Sie ist im Himmel!“). In der Tat gilt ihr Heimgang am Ostersonntag vielen als ein besonders tröstliches Zeichen des Himmels.

Bodenständiges Charisma voller Humor

Ich denke natürlich ganz besonders an meine erste Begegnung mit Mutter Angelica im August 1999 zurück, bei der ich mit ihr über die Idee des Aufbaus eines deutschen EWTN-Kanals sprach und es für mich noch ganz und gar zur Debatte stand, ob ich dies überhaupt tun würde. Damals leitete Mutter Angelica den Fernsehsender als CEO und hatte absolutes Vetorecht. Ich war mit Neugierde, aber auch mit Skepsis über den großen Teich geflogen, zumal ich von amerikanischen Fernsehpredigern nicht viel hielt. Nun befand ich mich in Mutter Angelicas Office, das direkt neben dem Studio lag. Die Begegnung war von Beginn an sehr herzlich, ja irgendwie familiär. Ich traf auf eine Ordensfrau mit einem beeindruckenden Charisma. Sie war voller Humor und italienischem Temperament, liebevoll, lebenserfahren und bodenständig, klar in allem, was die Treue zur Lehre der katholischen Kirche betraf, und von einer tiefen Spiritualität, aus der eine große, innige Liebe zu Jesus sprach. Als sie am Ende unseres Gesprächs zu einem anwesenden Mitarbeiter von EWTN lächelnd sagte „I think, he can do it“ („Ich denke, er kann es machen“), war für sie die Sache wohl schon entschieden. Mir war jedenfalls klar: wenn diese franziskanische Spiritualität von Mutter Angelica, ihre natürliche und zugleich übernatürliche Art, und nicht zuletzt ihr Humor, auch die Spiritualität von EWTN prägen, dann kann ich mich mit diesem katholischen Fernsehsender ganz und gar identifizieren.

Ermutigung zum Wagnis durch Papst Johannes Paul II.

Es lag jetzt an mir, Ja oder Nein zu sagen zu dem, was ich dann immer deutlicher als persönliche Berufung gesehen habe. Von der Bedeutung der Neuevangelisierung über die Medien war ich sofort überzeugt. Aber angesichts meiner sechsköpfigen Familie und dem auch finanziellen Risiko des Scheiterns brauchte es noch etwas Zeit und nicht zuletzt die Zustimmung meiner Frau, uns auf dieses Abenteuer einzulassen. Galt es doch, den Aufbau eines deutschen Kanals nach dem Vorbild in Amerika bei uns ausschließlich durch Spenden zu finanzieren. Im Juni des Heiligen Jahres 2000 habe ich dann schließlich mit der Arbeit begonnen. Dabei hat Johannes Paul II., den ich sehr verehre und durch mein Studium in Rom oft erlebt habe, mir mit seinem Aufruf zum Aufbruch in ein neues Jahrtausend einen zusätzlichen Impuls gegeben.

Es ist für mich eine Fügung des Himmels, dass der heilige Papst Johannes Paul II., der die Bedeutung der Medien für die Neuevangelisierung so klar vor Augen hatte und sie zu nutzen wusste, und Mutter Angelica, die dabei war, einen weltumspannenden Fernsehsender aufzubauen, Zeitgenossen waren. Beide verband eine besondere Freundschaft und hohe Wertschätzung. Papst Johannes Paul II. schenkte ihr im Heiligen Jahr 2000 zum Dank für ihr Medienapostolat eine Monstranz aus jener Kirche in Nova Huta, deren Errichtung der damalige Erzbischof von Krakau Karol Wojtyła gegen den Willen der kommunistischen Machthaber ermöglichte. Beide, Johannes Paul II. und Mutter Angelica, sind für mich das Dream-Team der Jahrtausendwende, was die Neuevangelisierung über die Medien angeht. Vielen ist nicht bewusst: Ohne EWTN wären die Liturgien, Reisen und Botschaften des Papstes über das Fernsehen nicht in alle Welt gelangt. Ohne die persönliche Begegnung mit ihr wäre auch ich wohl nicht das Wagnis eingegangen, einen deutschen EWTN-Kanal aufzubauen. Jetzt haben wir zwei kräftige Fürsprecher für EWTN im Himmel, dass der Sender auch hierzulande immer mehr Menschen erreicht und zu einem immer segensreicheren Weg wird, auf dem Menschen Christus begegnen können.

Heilung in der Jugendzeit

Was war das Geheimnis des „Erfolgs“ von Mutter Angelica? Wie hat sie die Menschen erreicht? Das werde ich immer wieder gefragt. Ich bin überzeugt, Mutter Angelica konnte die Herzen der Menschen spontan erreichen, weil nichts Menschliches ihr fremd war. Sie kannte die Sorgen und Nöte, Hoffnungen und Ängste der Menschen, die ihr persönlich begegneten oder sie während ihrer Live-Shows anriefen, aus ihrem eigenen Erleben. Die Menschen konnten sich leicht mit ihr identifizieren, zumal sie aus ihren eigenen Fehlern und Schwächen nie einen Hehl gemacht hat.  Sie wuchs in den ökonomisch schwierigen 20er Jahren als Rita Antoinette Rizzo im kleinen Industriestädtchen Canton im US-Bundesstaat Ohio auf, in einem Viertel, das von der „Schwarzen Hand“, einer Mafia-Gang, beherrscht war. Ihr Vater verließ die Familie, als sie fünf Jahre alt war, und ihre Mutter litt an Depressionen. Schon in jungen Jahren musste sie mithelfen, für den Lebensunterhalt zu sorgen. Als Teenager litt sie an einem schmerzhaften Magenleiden, das ihr es erschwerte, normale Nahrung zu sich zu nehmen. Nach einer spontanen Heilung, die sie nach einer Novene zur kleinen Therese von Lisieux erfuhr, die ihr von der Mystikerin Rhoda Wise aufgetragen wurde, hatte sie eine ganz andere Haltung, berichtete Mutter Angelica einmal selbst. Zuvor sei sie eine „lauwarme Katholikin“ gewesen. Von da an aber „wusste ich, dass es Gott gab; ich wusste, dass Gott mich kannte und mich liebte und an mir interessiert war. Ich wusste das davor nicht. Alles, was ich nach meiner Heilung wollte, war, mich selbst Jesus hinzugeben.“

Unerschütterliches Gottvertrauen

Diese tiefgreifende Erfahrung hat ihr Leben von da an geprägt und in ihr den Entschluss reifen lassen, ganz für Gott da zu sein, ohne zu wissen, wie und wohin sie das eines Tages führen würde. Aus dieser Erfahrung heraus hat sie den Menschen Mut gemacht und alles dafür getan, dass die Menschen in Christus ihren wahren Freund erkennen und zu ihm eine ganz persönliche Beziehung finden – vor allem auch durch das Gebet und die Sakramente. Und noch etwas Entscheidendes: Wenn Mutter Angelica etwas als Gottes Wille erkannte, ist sie ihm ohne zu zögern gefolgt, koste es, was es wolle.  So war es auch, als sie 1981 in der Garage ihres Klosters mit 200 Dollar, ohne Ahnung von Fernsehen, aber mit schier unerschütterlichem Gottvertrauen den Fernsehsender EWTN gründete. Ihr Motto, das ihr ganzes Gottvertrauen zum Ausdruck bringt und uns zugleich daran erinnert, dass Gott aus dem Kleinsten etwas Großes machen kann, lautet: „Wenn Du nicht den Mut hast, etwas Lächerliches zu tun, wird Gott auch nichts Wunderbares daraus machen.“ Vieles bliebe aus dem Leben von Mutter Angelica zu erzählen, was in der spannenden Biografie von Raymond Arroyo „Mutter Angelica – Eine Nonne schreibt Fernsehgeschichte"[1] festgehalten ist, die auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

EWTN in 145 Ländern

Mittlerweile erreicht EWTN mit seinen 11 Kanälen in englischer, spanischer und deutscher Sprache 264 Millionen Haushalte in 145 Ländern auf allen Kontinenten. In Deutschland, Österreich und der Schweiz kann der deutsche Kanal „EWTN katholisches TV“ über Satellit und einige regionale Kabelnetze heute von mehr als 21 Millionen Haushalten empfangen werden und ist weltweit über den Live-Stream im Internet oder die kostenfreie EWTN App für mobile Geräte wie Smartphones und Tablets rund um die Uhr verfügbar. Das alles klingt gigantisch und wie ein Wunder, und lässt sich nach menschlichem Ermessen auch nicht erklären. Angefangen hat alles, weil Mutter Angelica Gott ganz vertraute. Aber dieses Wunder bedurfte und bedarf weiterhin vieler konkreter Helfer: Menschen, die beten, die EWTN bekannt machen in ihrer Pfarrei und ihrem Bekanntenkreis; es bedarf des Opfers und der Spendenbereitschaft vieler. Mutter Angelica hat daher immer wieder zu den Zuschauern gesagt: „Das ist Ihr Sender, denn ohne Ihre Unterstützung könnten wir die Sendungen für Sie gar nicht machen.“ Das gilt natürlich auch bei uns. Und noch etwas hat Mutter Angelica am Ende mancher Sendung ihren Zuschauern in ihrer mütterlichen, großmütterlichen Liebe gesagt, das ich nie vergessen werde: „Ich liebe euch. Und Gott liebt euch auch – sogar mehr, als ihr euch vorstellen könnt.“

Informationen zum deutschsprachigen Fernsehprogramm mit aktuellen Sendeterminen erhalten Sie bei der Geschäftsstelle der EWTN-TV gGmbH in Köln  –info@ewtn.de, Tel. 0221-300619-10, Fax 0221-300619-15, Schanzenstraße 39, 51063 Köln; im Internet: www.ewtn.de oder – neu – über Twitter: @ewtnDE und Facebook: www.facebook.com/ewtnde

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Raymond Arroyo: Mutter Angelica – Eine Nonne schreibt Fernsehgeschichte. Geb., 440 S., ISBN 978-3-9811452-7-4, Euro 19,90 (D), Euro 20,50 (A), Verlag Media Maria – Tel. 07303-9523310; E-Mail: buch@ media-maria.de

Unter dem Zeichen christlich-marianischer Einheit

Zeugnis für Europa

Vor kurzem haben wir ein Buch mit dem Titel „Europa unter dem Schutz Mariens“ herausgebracht.[1] Es ist eine Zusammenstellung von 53 Artikeln, die Pater Notker Hiegl OSB zwischen 2008 und 2015 in „Kirche heute“ veröffentlicht hat. Auf seinen Wunsch hin haben wir bewusst darauf verzichtet, die Beiträge thematisch zu ordnen. So sind sie schlicht in der Abfolge ihres Erscheinens aneinandergereiht. Wie in einem spannenden Lesebuch lässt uns der Benediktinerpater miterleben, womit er sich im Lauf dieser Jahre nach und nach beschäftigt hat. Hilfreich ist dabei seine verständliche und volksnahe Sprache. Mit innerer Leichtigkeit kann man seinen Gedanken folgen. Das Buch weist eindrucksvoll auf, welche große Bereicherung das Engagement von P. Hiegl für unsere Zeitschrift bedeutet.

Von Erich Maria Fink

Unsern Lesern ist Pater Notker Hiegl OSB als rühriger Autor bekannt. Vielen ist er im Lauf der letzten acht Jahre ein vertrauter Begleiter geworden. Einfühlungsvermögen ist bei ihm mit barocker Lebensfreude und einem ausgesprochenen Gespür für das Schöne gepaart. Seine Artikel gehen in die Tiefe, doch verzichten sie auf komplizierte theologische Gedankengänge. Mit einfachen Worten und einem Hauch von Poesie bringt er zum Ausdruck, was ihn bewegt und erfüllt. In Dutzenden von Beiträgen über das Leben der Kirche und ihre Glaubenszeugen leuchtet seine eigene Spiritualität auf, seine mit innerer Überzeugung gelebte Berufung als Benediktinerpater, seine innige Beziehung zu Jesus Christus und sein unerschütterliches Vertrauen auf die Fürsprache der Gottesmutter Maria. Immer wieder blickt er zurück in die Geschichte, um aus dem Vorbild herausragender Persönlichkeiten Kraft und Orientierung für die Gegenwart zu schöpfen.

Das Leben der Heiligen bildet das Gerüst für seine schriftstellerische Tätigkeit. Doch durch die Biografien hindurch zieht sich wie ein roter Faden sein Engagement für ein christliches Europa. In seiner früheren seelsorglichen Arbeit hat er gerne Einkehrtage für Vertreter aus dem gesellschaftspolitischen Bereich gehalten. Die Begleitung und geistliche Betreuung von Persönlichkeiten mit weltlicher Verantwortung bilden den Wurzelstock für sein Interesse an der europäischen Frage. Der Einigungsprozess ist ihm ein Herzensanliegen, doch treibt ihn die Sorge um die Erhaltung der christlichen Identität des europäischen Kontinents um.

Hier setzt P. Hiegl sein Vertrauen auf die Gottesmutter, die sich die ganze Geschichte hindurch als unüberwindlicher Schutz des christlichen Abendlandes erwiesen hat. Im Vertrauen auf die geschichtsmächtige Fürbitte der himmlischen Mutter errichtete er 2007 in einem kleinen Ort mit dem bezeichnenden Namen „Gnadenweiler“ nahe seines Klosters Beuron eine Marienkapelle. Dem Heiligtum verlieh er den Titel „Maria Mutter Europas“, ohne zu ahnen, welche Entwicklung dieses kleine Samenkorn nehmen sollte.

Es war der große Europäer Otto von Habsburg (1912-2011), der ihn darauf aufmerksam machte, dass ein ähnliches Heiligtum in Gibraltar existiert, nämlich die geschichtsträchtige Kapelle „Unserer Lieben Frau von Europa“, und der einen Kontakt zu den dortigen Verantwortlichen herstellte. Schließlich wurden offizielle Partnerschaften gegründet, die sich inzwischen zu einem marianischen Netz über ganz Europa ausgeweitet haben. Gründer und Seele dieser Gebetsgemeinschaft ist P. Hiegl, der in seinen Beiträgen von Begeisterung für seine Initiative sprüht. Es ist nur konsequent, dass er für die vorliegende Artikelsammlung den Buchtitel „Europa unter dem Schutz Mariens“ gewählt hat.

Für P. Hiegl ist die europaweite Gemeinschaft unter dem Zeichen „Maria – Mutter Europas“ zum Lebenswerk geworden, mit dem er sich voll und ganz identifiziert. Im Rahmen dieses Einsatzes für ein Europa auf biblisch-christlichem Fundament durfte auch ich persönlich P. Hiegl kennenlernen. Denn nach dem Brückenschlag von Gnadenweiler nach Gibraltar in den äußersten Südwesten des europäischen Kontinents hielt er Ausschau nach der nordöstlichsten katholischen Pfarrei Europas. Er brachte in Erfahrung, dass es sich dabei um die Pfarrei „Maria – Königin des Friedens“ von Beresniki im Westural handelt, welche Anfang des Jahres 2000 errichtet worden ist. Mit großer Freude erfuhr P. Hiegl, dass der zuständige Pfarrer aus Deutschland stammt, und nahm umgehend Kontakt mit mir auf. Seither sind wir in aufrichtiger Freundschaft und durch gegenseitige Besuche eng verbunden.

Das Projekt „Maria – Mutter Europas“ führte auch dazu, dass P. Hiegl die Zeitschrift „Kirche heute“ kennenlernte und uns seine Mitarbeit anbot. Und wie der vorliegende Band zeigt, entfaltete die unerwartete Bekanntschaft eine beachtliche Fruchtbarkeit. Wir sind der göttlichen Vorsehung für diese gnadenvolle Führung dankbar und vertrauen auf eine gesegnete Zukunft.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] P. Notker Hiegl OSB: Europa unter dem Schutz Mariens. Taschenbuch, 366 Seiten, Euro 9,90, Kirche heute Verlag, Tel. 08671-880430, Fax 08671-880431, E-Mail: buero@ kirche-heute.de – www.kirche-heute.de

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