Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Weihnachten ist das Fest, das uns Geborgenheit vermittelt. Wir blicken auf das Kind in der Krippe und spüren trotz der Widrigkeiten des Stalls von Bethlehem und seiner Kälte eine Atmosphäre der Vertrautheit, des Familiären. Paul Josef Kardinal Cordes hat uns eine wertvolle Weihnachtsbetrachtung geschenkt. Sie geht über die bekannten Ansätze hinaus und verleiht dem lichtvollen Charakter des Weihnachtsfestes seine tiefste Begründung. Warum dürfen wir uns angesichts der Geburt Christi geborgen fühlen? Sicherlich spielt unser Bedürfnis, dem hilflosen Kind unseren Schutz und unsere Fürsorge zukommen zu lassen, eine wichtige Rolle, damit verbinden sich die romantischen Gefühle von Schäfchen, Hirten und Engeln. Aber der eigentliche Grund ist ein anderer. Ja, es ist eigentlich genau umgekehrt: Das Kind vermittelt uns einen neuen Blick auf den Vater, auf unseren Vater im Himmel. Weihnachten zeigt uns, dass wir keine verlorenen Kinder sind, sondern dass wir uns geborgen wissen dürfen. In der Ankunft des Sohnes offenbart sich uns der himmlische Vater, bekundet uns Menschen hier auf der Erde seine Nähe. Die väterliche Sorge und Liebe zu uns, das ist der eigentliche Grund, warum wir uns geborgen, aufgehoben und angenommen fühlen können.

Und Kardinal Cordes veranschaulicht seine Gedanken mit dem Albtraum, den Jean Paul in seinem Roman „Siebenkäs“ schon vor über zweihundert Jahren geschildert hat, als er den Verlust des himmlischen Vaters in einer gottvergessenen Gesellschaft ahnt. Wir erleben zur Zeit die Erfüllung dieses Albtraums angesichts des Glaubensabfalls in einem noch nie dagewesenen Ausmaß.

Doch gibt es in unseren Tagen noch einen anderen Verlust des Vaters, einen Verlust der Geborgenheit, nämlich innerhalb der Kirche. Es geht um den Verlust des Vertrauens gegenüber Papst Franziskus, unserem Heiligen Vater, der sich gerade unter kirchentreuen Katholiken breit macht und ihnen das Gefühl raubt, in der Kirche beheimatet und aufgehoben zu sein. Wie wichtig ist es heute, diese Glaubensprüfung zu bestehen und nicht zu straucheln! Es ist kein blinder oder gar gewissenloser Papalismus, wenn man versucht, Papst Franziskus zu verstehen und in seinem Pontifikat ein Geschenk Gottes zu erblicken. Immer wieder werden wir dazu aufgefordert, uns in unserer Zeitschrift klarer zu positionieren. Das tun wir mit Überzeugung, aber zugleich mit der tiefen Sehnsucht, einen positiven Beitrag für die Einheit der Kirche zu leisten: Wir stehen dankbar und mit aufrichtiger Verbundenheit hinter Papst Franziskus. Wir erkennen in seinem Wirken das Licht und den authentischen Geist des Evangeliums, ja, eine geradezu notwendige Medizin, um in der Kirche einen neuen Missionseifer zu wecken und sie für ihre Sendung in der heutigen Zeit zu formen.

Wie dürfen wir unserem Weihbischof Andreas Laun für seine Treue zum kirchlichen Lehramt dankbar sein! Wie schwer war es für ihn, in den vergangenen Jahrzehnten als Moraltheologe die Linie Papst Johannes Pauls II. gegen alle Angriffe zu verteidigen und zu erklären! Nicht umsonst ermutigte uns der damalige Kardinal Ratzinger in einer entscheidenden Stunde unseres Zeitschriftenapostolats weiterzumachen, denn diese Stimme – und er erinnerte ausdrücklich an Weihbischof Laun – dürfe nicht verstummen!

Liebe Leser, wir möchten Sie auf eine geringfügige Erhöhung des Abopreises von 36,50 auf 37,00 € (Inland) bzw. von 39,00 auf 40,00 € (Europäisches Ausland) hinweisen. Gleichzeitig wären wir Ihnen für eine echte Weihnachtsgabe zur Unterstützung unseres Apostolats sehr dankbar und wünschen Ihnen von Herzen eine gnadenreiche Advents- und Weihnachtszeit.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Betrachtung zu Weihnachten

Fest der Vaterschaft Gottes

Paul Josef Kardinal Cordes nennt Weihnachten „Fest der Vaterschaft Gottes“. Den Rahmen seiner Betrachtung bildet die Begegnung mit dem Islam. Und er stellt fest: „Nicht erst in der Moderne nötigt uns der Islam, das Christentum als simplen Gesellschaftsfaktor zu hinterfragen und uns der ‚Tiefen Gottes‘ zu erinnern, die ‚keinem Menschen in den Sinn gekommen sind‘ (1 Kor 2,9f.).“ Schon im 14. Jahrhundert habe der sel. Raimundus Lullus Muslime von der Botschaft der Liebe überzeugt, welche im Geheimnis der Dreifaltigkeit gipfelt. Und im Zentrum seiner Ausführungen weist Cordes auf den deutschen Dichter Jean Paul aus Wunsiedel im Fichtelgebirge hin, einen Pfarrersohn, der bereits im 18. Jahrhundert den Verlust des himmlischen Vaters geahnt hatte. Mit seinem prophetischen Ruf, sich aus dem Albtraum der Hoffnungslosigkeit zu erheben und in jubelnder Freude für die christliche Offenbarung zu danken, ist Cordes auch in seine letzte Publikation eingestiegen, die den Titel trägt: „Dein Angesicht, Gott, suche ich“.[1] Papst Benedikt XVI. schrieb nach der Lektüre des Manuskripts an Kardinal Cordes: „… der Brief ist lang geworden; und ich hoffe, Du siehst daraus, wie wichtig mir Deine Arbeit ist.“

Von Paul Josef Kardinal Cordes

Wir haben doch alle denselben Gott!“ So sagen freundliche Menschen, wenn der Islam an unsere heimatliche Tür klopft. Können wir Christen dieser Behauptung zustimmen? Gewiss:  Es gibt nur einen Gott. Alles fromme Sehnen schaut nach ihm aus. Aber vermitteln alle Religionen dasselbe Bild von Gott? Lehren sie alle Verlässliches über ihn? Da endet unser Einverständnis. Denn für unser Wissen über Gott haben wir Christen ein eigenes, unvergleichliches Fundament. Wir stützen uns ja nicht – wie etwa der Islam –  auf die Vision eines sterblichen Menschen wie Mohammed. (Der würde übrigens seinerseits heftig gegen jede religiöse Gleichstellung mit dem Christentum protestieren!)

Inschrift am Felsendom: „Er hat sich kein Kind genommen“ (Sure 17,111)

Eine der frühesten islamischen Inschriften – sie stammt aus dem Jahr 692 nach Christus und steht an der Außenwand des Felsendomes in Jerusalem – zitiert Sure 17, 111: „Er hat sich kein Kind genommen.“ Die Stoßrichtung der Zitation ist unverkennbar: Sie zielt gegen den christlichen Glauben der Gottessohnschaft Jesu Christi und gegen Gottes Vaterschaft. Die islamische Theologie stattet Allah wohl mit verbindlichen Attributen aus: Er ist barmherzig, er ist gnädig. Doch die Grenze zwischen Gott und Mensch bleibt unantastbar. Er vermischt sich nicht mit Irdischem. Im Koran hat Allah „99 schöne Namen“, wie die islamische Tradition sagt. Aber er wird nie „Vater“ genannt. Würde jemand Gott mit dem Vaternamen ansprechen, so wäre das eine schreckliche Gotteslästerung. Islamische Theologen sagen darum nie, dass Allah Liebe „habe“; schon gar nicht, dass er „die Liebe sei“. Er kann uns Menschen nicht zum liebenden Du werden. Wenn ein Moslem sich Gott hingibt – und Islam heißt ja nichts Anderes als „Hingabe“ – dann gibt er sich dem göttlichen Willen hin, nicht der göttlichen Person.

Trotz der monotheistischen Nähe zum Islam hat das Christentum ein total anderes Fundament: Gottes Wort und Tat. „Der einzige Sohn…, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). So glaubt der Christ: Gott ist Vater. Der ewige Schöpfer des Himmels und der Erde hat einen Sohn, Jesus von Nazareth, der Mensch geworden ist. Er lässt sich herab, mit uns Menschen in greifbare Beziehung zu treten. Das ist ungeheuerlich. Gott setzt seinen Fuß in die Menschenwelt. Und zwar nicht nur als Theorie oder als moralischen Impuls für Menschenfreundlichkeit. Er kommt uns nahe als personales Du, schenkt uns seinen Schutz und die väterliche Liebe, indem er sich konkret ausliefert in die Geschichte. Er nimmt das Risiko des Mitseins auf sich, macht sich in Christus verletzbar, bis zur Hingabe des Lebens am Kreuz, mit „Wasser und Blut“ (1 Joh 5,6), bis hin zur materiellen Konkretheit der Begegnung mit jedem von uns in den Zeichen der Sakramente.

„Ich glaube an seinen eingeborenen Sohn …, geboren aus der Jungfrau Maria“ – wahrlich nicht ein trockener Satz des Glaubensbekenntnisses, der routinemäßig herunterzusprechen ist, schon gar keine nebensächliche Redensart, vielmehr der Anker unserer Geborgenheit, denn der Vater hat eine Brücke aus der Ewigkeit hinein in unsern Alltag geschlagen!

Jean Paul ahnt den Verlust des himmlischen Vaters

Im Jahr 1797 publizierte Jean Paul den Roman „Siebenkäs“. Das empfindsame Gemüt dieses deutschen Dichters ahnte schon Jahre vor Friedrich Nietzsches Ausruf „Gott ist tot“ den leidvollen Verlust des himmlischen Vaters und er beklagte ihn dramatisch. Er schildert, wie in einer düsteren Kirche unerwartet der hingerichtete Jesus von Nazareth auf dem Altar erscheint. Und all die im Gotteshaus versammelten toten Gestalten rufen: „Christus! Ist kein Gott?“ Er antwortet: „Es ist keiner!“ Und fährt dann fort:

„Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg hinab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schauete in den Abgrund und rief: Vater, wo bist du? Aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unendlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren, bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und wiederkäuete sich.“

Nun werfen sich die gestorbenen Kinder vor dem Altar mit der hohen Figur nieder und rufen: „Jesus, haben wir keinen Vater?“ Und er antwortet mit strömenden Tränen: „Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir haben keinen Vater.“ Dann richtet Jesus seinen Blick auf das reibende Gedränge der Welten, den Fackeltanz der himmlischen Irrlichter und gegen die leere Unermesslichkeit und sagt:

„Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall! – Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alls! Ich bin nur neben mir – O Vater! O Vater! Wo ist deine unendliche Brust, dass ich an ihr ruhe?“

So weit aus der „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“. Jean Paul hält eine Ahnung fest, die ihn in Hoffnungslosigkeit stürzte, die ihn verzweifeln ließ. Doch sie ist nur ein Traum. Schließlich erwacht er. Da kennt sein Jubel keine Grenzen mehr: Er hat sich geirrt!

„Meine Seele weinte vor Freude, dass sie wieder Gott anbeten konnte – und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet.“

Weihnachten sprengt alle Religionssysteme: Gott offenbart sich als Vater

Wir freuen uns in diesen Tagen wieder über Weihnachten – nicht nur wegen der stimmungsvollen Lieder, des Tannendufts und der Geschenke-Überraschungen. Ein unfassbares Ereignis tritt vor unser geistiges Auge, das alle Religionssysteme sprengt. Gott offenbart sich als Vater. Im modernen Horizont des Säkularismus und im breiten Strom religiöser Beliebigkeit wahrlich ein Grund innezuhalten und zu staunen. Und uns im Glauben des himmlischen Vaters neu zu versichern – gerade in einer sogenannten „vaterlosen Gesellschaft“. Jesus von Nazareth wurde unser Bruder, und wir machen als praktizierende Christen unseren Glauben fest an einer geschichtlich greifbaren Person. Und darum vergessen wir nicht, dass dieser unser Herr immer transparent war auf den himmlischen Vater, dass er ihn sichtbar machen wollte.

Wer genauer ins Neue Testament schaut, erkennt, der Vater ist derjenige, der Jesu Erlösungswerk trägt. Er ist es, der den Sohn vom Tode erweckt, wie die Apostelgeschichte sagt (etwa 3,15 u.Ä.). Jesus ist „auferweckt durch die Machttat des Vaters“ (Röm 6,4). Als Mensch wurde er „in seiner Schwachheit gekreuzigt, aber lebt aus Gottes Kraft“ (2 Kor 13,4). Sein Opfer am Kreuz erhöht ihn in die vollendete Herrlichkeit, die der Vater ihm gibt: „Vater, verherrliche deinen Sohn…“ (Joh 17,1).

Der Christus-Hymnus des 1. Timotheus-Briefes (3,16) beschreibt darum das Heilswerk auch nicht einfachhin als Tat Christi. 

            „Er wurde offenbart im Fleisch
            Gerechtfertigt durch den Geist
            Geschaut von den Engeln

           Verkündet unter den Heiden
           Geglaubt in der Welt

           Aufgenommen in Herrlichkeit“

Jesus erscheint hier als der Geführte; seine Erlösung geschieht durch göttlichen Eingriff (passivum divinum); denn der Handelnde ist der Vater. Er bestätigt durch Ostern den Anspruch, der in den irdischen Taten und Reden Jesu liegt. In der Auferweckung zeigt der Vater der Welt Jesus als seinen Sohn. Der Vater Gott enthüllt sich in der Auferweckung seines Sohnes: „Da der Sohn das Wort des Vaters ist, zeigt der Vater, indem er den Sohn als den gerechtfertigten, verherrlichten erscheinen lässt, sich selbst… Die Erscheinungen des Auferstandenen sind Selbstdarbietungen Gottes durch den Sohn Jesus…“ (Hans Urs von Balthasar). So ist denn Jesus in seinem Tun undenkbar ohne den Vater, der ihn gesandt hat.

Das kommt auch in Jesu Selbstverständnis zum Ausdruck, wie es in den Evangelien steht. Schon der erste Satz, den das NT von Jesus festhält, ist Jesu Bekenntnis zum Sohnesgehorsam: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist“ (Lk 2,49). Das letzte Wort des irdischen Jesus richtet sich wieder an ihn: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Kaum eine bedeutende Handlung vollzieht der Herr, ohne ein Wort oder eine Geste der Verbundenheit mit dem Vater: Er wendet sich an den Vater, „er seufzte…, er erhob die Augen zum Himmel“. Die Statistiker ha-ben gezählt, dass Jesus in den Evangelien das Wort „Vater“ 170 Mal gebraucht.

Wohl entscheidet der Erlöser Jesus Christus in voller Freiheit und in eigener, höchs-ter Souveränität: Er gibt es in unbegrenzter Selbstverfügung, gibt „das Leben freiwillig hin, um es wieder zu nehmen“ (Joh 10,17). Dennoch – und das ist nur scheinbar paradox – unterwirft er sich in totaler Hingabe an den Vater. Sein Gehorsam ist so sehr Liebe und so sehr eins mit der Liebe des Vaters, dass der Sendende und der Gehorchende aus der gleichen göttlichen Liebesfreiheit handeln.

Der sel. Raimundus Lullus überzeugt die Sarazenen: Die Liebe braucht ein Du

Nicht erst in der Moderne nötigt uns der Islam, das Christentum als simplen Gesellschaftsfaktor zu hinterfragen und uns der „Tiefen Gottes“ zu erinnern, die „keinem Menschen in den Sinn gekommen sind“ (1 Kor 2,9f.). Im 14. Jahrhundert machte sich der sel. Raimundus Lullus von Mallorca auf, in rastlosem Eifer den Sarazenen des Mittelmeerraumes die offenbarte Wahrheit über Gott zu verkünden. Dabei konnte er offenbar seine Zuhörer davon überzeugen, dass Gott – im Sinne islamischer Mystik – die Liebe ist. Dann aber – das ist seine geniale Folgerung – kann er nicht nur eine einzige Person sein; denn Liebe braucht ein Du.

Im Jahr 1316 erleidet er in Bejaja/Algerien durch eine Steinigung den Martertod.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
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[1] Paul Josef Kardinal Cordes: Dein Angesicht, Gott, suche ich. Ein Impuls gegen die Gottvergessenheit unserer Zeit, geb., 288 S., 19,95 Euro (D), 20,50 Euro (A), ISBN 978-3-9454013-6-1, Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de

Was macht ein pensionierter Bischof?

Der „Löwe von Salzburg“

An seinem 75. Geburtstag erhielt Weihbischof Dr. Andreas Laun die Nachricht, dass Papst Franziskus sein Rücktrittsgesuch angenommen hat. Die Emeritierung ist natürlich ein tiefer Einschnitt in seinem Leben. Und doch will sich Laun weiterhin für die Verbreitung des Evangeliums und die Vermittlung der kirchlichen Lehre einsetzen. Auch ein pensionierter „Löwe“ kann seine Stimme erheben.

Von Weihbischof Andreas Laun

Wie und was fragt man einen pensionierten – Fachausdruck: emeritierten – Bischof? Niemand fragt: Wie geht es Gott? Möglich wäre zu fragen, wie es Gott mit mir geht? Oje, da geht es IHM wie mit einigen anderen Sündern auch, aber auch für Bischöfe hält Gott Sein Erbarmen bereit!

Wünschen würde ich mir, dass der Himmel mein Leben so sieht wie derjenige, der mich in Anlehnung an den sel. Clemens von Galen, den „Löwen von Salzburg“ genannt hat.

Aber wenn man fragt, wie es ihm, dem Bischof, geht, wo er weiter wohnen wird und vor allem danach, was er jetzt „weiter machen“ wird, bekommt man ähnliche und doch verschiedene Antworten. Was wird Weihbischof Laun „machen“? Das, was er seit seiner Priesterweihe „schlecht und recht“ gemacht hat: für Gottes Kirche einstehen, Seine/ihre Lehre verkünden, erklären, verteidigen, schriftlich und mündlich. Er wird weiter die Sakramente spenden und dabei wirklich Werkzeug Gottes sein, ein „Christus“ aus menschlichem Fleisch und Blut, insofern durch und in ihm Jesus selbst unter uns Menschen wohnt und geheimnisvoll am Werk Seiner Erlösung weitermacht!

Das kann wohl jeder Bischof in Pension von sich sagen. Aber natürlich wird jeder auch seine besonderen Schwerpunkte haben. Bei mir ist das wohl weiterhin das Bemühen, die Botschaft zu verbreiten, und das heißt, wieder bei mir, besonders auch das Bemühen um die Menschen, die unter atheistischen Regierungen leben mussten, zeitlich gesehen, parallel zu meinem Leben in Freiheit. Wie kann ich das tun? Vor allem dadurch, dass ich schon seit geraumer Zeit Übersetzungen für den Osten Europas in die Wege geleitet habe. Das erste Buch, das so entstanden ist, habe nicht ich selbst geschrieben, sondern mein Vater Hellmut Laun („So bin ich Gott begegnet“), die erste Sprache, in das es übersetzt wurde, war Ungarisch. Viele andere – rund neun – Übersetzungen folgten. Und dann gibt es Bücher, die ich geschrieben habe, und solche, die auch von anderen Autoren stammen. Vor allem die Schulbuchreihe „Glaube und Leben“! Besonders schön ist übrigens eine kroatische Übersetzung des 8. Bandes dieser Reihe und es gibt auch schon eine slowenische und zwei ungarische. Das Lob des ungarischen Kardinals Péter Erdö und des kroatischen Bischofs Djuro Hranić von Đakovo-Osijek motivieren mich weiterzumachen.

Mein Hauptproblem dabei ist – wie könnte es anders sein – das Geld! Darum scheue ich mich nicht, hier meinen Freunden zuzurufen: Helft mir dabei! Jeder, der mir einen einigermaßen substantiellen Betrag dazu gibt, schicke ich das Buch meines Vaters, wenn gewünscht auch mit meiner Widmung oder, wenn schon bekannt, eine andere Publikation! Das väterliche Werk ist sicher das Beste und auch Spannendste, was ich herausgebracht habe! Vor allem dieses Buch überzeugte und wurde schon in rund 10 Sprachen übersetzt, manchmal sogar ohne mein Zutun, ohne dass ich davon wusste!

Und jetzt? Jetzt will ich weitermachen durch Übersetzungen vor allem meiner Schulbuchreihe „Glaube und Leben“, aber auch andere Werke anderer Autoren…

Es wäre ein schöner Schlussteil meines Lebens, wenn es gelänge, in den kommenden Jahren, ich sage es „gut österreichisch“, alle „Kronländer“ zu erreichen, und, wer weiß, auch noch darüber hinaus! Und natürlich auch in Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Kirche, die bereits in dieser Richtung arbeiten und mehr Erfahrung haben.

Jesus möge leben und erkannt werden, Seine Kirche möge sich ausbreiten bis an die „Enden der Erde“, gerade auch dort, wo sie zerstört wurde! Dazu ist ER ja gekommen! Also nichts Neues in einem Bischofsleben, denn jeder Diakon, Priester und Bischof hat dieses Ziel oder sollte es haben!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
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Weihbischof Laun – unermüdlicher Rufer gegen die „Kultur des Todes“

Die tiefe Wunde der Abtreibung

Weihbischof Dr. Andreas Laun hat sich sein ganzes Leben lang für eine „Kultur des Lebens“ eingesetzt und gleichzeitig seine mahnende Stimme gegen die „Kultur des Todes“ erhoben. Diese beiden Begriffe stammen von Johannes Paul II., er hat sie auf geradezu prophetische Weise geprägt. Es ist erschütternd, wie glasklar dieser heilige Papst die weltweite Entwicklung vorausgesehen und in seinen lehramtlichen Dokumenten auf die drohenden Gefahren hingewiesen hat. Diesem Erbe fühlt sich Weihbischof Laun bis heute verpflichtet. Die tiefe Wunde der Abtreibung in unserer heutigen Gesellschaft treibt ihn buchstäblich um. Sie ist zu seinem zentralen Anliegen geworden. Und für seine Äußerungen musste er schon viel Gegenwind, ja Verachtung hinnehmen. Oft steht er da wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Doch wird ihm die Geschichte einmal Recht geben und wohl auch die verdiente Anerkennung zukommen lassen.[1]

Von Weihbischof Andreas Laun

Wollte man heute einen Marsmenschen beauftragen, eine Studie über die Kinderliebe und auch Achtung der Frauen auf unserer Erde zu erstellen, er würde vermutlich zuerst ein sehr positives Ergebnis präsentieren, dann aber, nach einer kritischen zweiten Überprüfung der Lage, zu einem denkbar negativen Ergebnis kommen.

Kinderfeindlichkeit: Beeindruckend wäre zwar zunächst die Reklame für spezielle Babynahrung, Sicherheitsgurte für Kinder, Babywäsche und Spielzeug ohne Ende – und, und, und! Dazu kämen die Stehsätze unserer Politiker, ihre Betonung der Wertegemeinschaft und Rechtsstaatlichkeit in der EU – trotz einiger Problemfälle in bestimmten Ländern, die sich dem Mainstream nicht beugen und daher kritisch gesehen werden.

Der gute Eindruck täuscht

Ja, die Mars-Kommission wäre wohl beeindruckt von der triefenden Kinder-Liebe unserer Politiker und deren Sorge um die Kinder und deren Wohlergehen. Aber irgendwann würden sie entdecken:

Der gute Eindruck täuscht, die Realität ist anders. Denn: Kinder dürfen bis knapp vor ihrer Geburt getötet werden, mindestens dann, wenn sie aller Wahrscheinlichkeit nach behindert sein werden. Und wir tun ja alles, um Behinderungen zu entdecken, aber nicht um zu heilen, sondern um auszuselektieren, und dabei gilt die Regel: Der Verdacht genügt, nur kein Risiko! Über ähnliche Programme und Argumente in der NS-Zeit darf nicht geredet werden.

Dazu passt auch: Embryonen – man könnte sagen „Frühkinder“ – dürfen künstlich hergestellt und, wenn sie nicht eingesetzt und dann geboren werden können, für Forschung und Industrie freigegeben und verbraucht werden mit der Begründung, dass sie – gegen alle wissenschaftliche Evidenz – noch keine „echten“ (gibt es auch unechte?) Menschen seien.

Kinder dürfen auch homosexuellen Paaren zur Adoption anvertraut werden gegen alle warnenden Stimmen und gegen den Hausverstand eigentlich fast aller Menschen.

Zunehmende „Verstaatlichung“ der Kinder

Und weiter: Kinder werden früh und mit subtilem Druck ihren Müttern und Vätern weg- und in staatlich Obhut genommen, da können sie weinen und sich wehren, soviel sie wollen, es wird durchgezogen und für das KITA-System geworben und Geld bereitgestellt – trotz der schlechten Erfahrungen, die die kommunistischen Staaten mit diesem System gemacht haben. Gegen diese „Verstaatlichung“ der Kinder kann man sich kaum wehren.

Aber: Die staatlich geförderten KITAS sind Gewalt gegen Kinder und auch gegen viele Mütter: Man sollte die Frauen fragen, was sie vorziehen, ihre Arbeit im Supermarkt oder die Erziehung ihrer Kinder, und ihnen sagen: Die wichtigste Beziehung des Kindes am Anfang des Lebens ist die zu seinen Eltern, vor allem zu seiner Mutter.

Angeblich können wir es uns nicht leisten, dass die Kinder bei ihren Müttern bleiben können. Sehr glaubwürdig, wenn man sieht, wofür wir sonst Geld ohne Ende haben und ausgeben!

Dass es Notlagen gibt, für die wir KITAS brauchen, ist nicht zu bestreiten, aber man hat daraus ein Ideal und den Normalfall gemacht, ideal für die Wirtschaft sind dabei die Frauen, die arbeiten können! Und das, obwohl man in den ehemals kommunistischen Ländern bereits erkannt hat, dass die kollektive Fremd-Früherziehung der Kinder der falsche Weg war. Man sollte „demokratisch“ auf das Weinen der Kinder nach ihren Müttern hören, das leicht zu verstehen ist. Die Frauen, die in den KITAS arbeiten, wissen davon zu erzählen!

In Wirklichkeit eine frauenfeindliche Strategie

Wer redet davon, wie frauenfeindlich Abtreibung und ihre Folgen sind! Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, dass die öffentliche politische Korrektheit Frauen in jeder Hinsicht schützt: Man hat Gesetze gegen jede sexuelle Belästigung von Frauen (und theoretisch auch von Männern) gemacht, man besteht auf der Gleichberechtigung der Frauen, man führt Frauenquoten ein, wo es nur geht, man will den Frauen Freiheit und Rechte geben, wo immer sie zu fehlen scheinen.

Aber wieder ist die Wirklichkeit eine andere: Frauen werden überzeugt, dass Kinder vor allem eine Last sind, nicht eine Quelle von Freude, und dass Frauen daher ein Recht haben müssen, sich von dieser Last entweder frei zu halten (durch Verhütung) oder zu befreien (durch Abtreibung). Im „Notfall“ (den die Umwelt als solchen definiert), werden sie gedrängt, erpresst, gezwungen, ihr eigenes Kind töten zu lassen, gegen ihr tieferes Wissen um ihren Kinderwunsch und dass das, was in ihnen wächst, ein Kind ist, und nicht ein Zellklumpen, wie ihnen sogar manche Ärzte einzureden suchen, während sie beim Ultraschall ganz andere Worte benützen und Hände, Füße und Kopf zeigen – des Kindes und nicht des Zellhaufens.

Eine schreckliche Folge der Freigabe der Abtreibung ist: Man praktiziert in vielen Ländern die selektive Abtreibung von Mädchen, sodass in manchen Länder Millionen von Frauen buchstäblich fehlen, und dies natürlich auch bedeutet, dass Millionen von Männern niemals eine Familie haben können. Das heißt für betroffene Länder auch: Es gibt in ihnen Millionen von Männern, die ein aggressives Potential für Gewalt und Kriege bilden. Und viele, die sich anders „selbst helfen“ mit Dirnen oder auch mit anderen Männern.

Unsägliches Leid für die ganze Familie

Eine andere Folge der liberalen Abtreibung ist: Nach einem bekannten Wort von Mutter Teresa ist die Frau immer das zweite Opfer jeder Abtreibung. Was bedeutet Abtreibung für die Frau? Dass sie, durch ideologische Einflüsse oder durch ihre Umgebung gedrängt, gegen ihre Natur handelt, ist wie eine Art Selbstmord oder wenigstens Selbstverstümmelung. Sie lässt ja das Kostbarste, das sie haben kann, „wegmachen“ und wird nie mehr die Frau sein, die sie war, die sie sein wollte, und die sie hätte sein können.

Was heißt das für ihre Beziehung, ihre Liebe zu den Kindern, die sie vielleicht noch haben wird? Und auch zu ihrem Mann? Man weiß, wie oft nach einer Abtreibung Beziehungen und Ehen in Trennung und Scheidung enden. Und wie es Kinder trifft, wenn sie erfahren, dass eines ihrer Geschwister getötet wurde. Man hört immer wieder auch, dass die Kinder spüren, wenn ein Kind fehlt.

Zu fragen ist natürlich auch: Was „macht“ Abtreibung mit den beteiligten Männern? Und was bedeutet die erlaubte und als solche gelehrte Abtreibung für die ganze Gesellschaft, vor allem für die Erziehung der Kinder? Man „predigt“ ihnen Gewaltlosigkeit als Ideal, hält jede kleine Ohrfeige im Umgang mit schwierigen und aufsässigen Jugendlichen für ein Verbrechen, aber man lehrt Gewalt gegen ungeborene Kinder und will die Jugend überzeugen, dass diese Gewalt keine sei, sondern harmlos und ein Recht der Frauen sei, auch das Recht ihrer eigenen Mutter? Daraus kann die Frage des Kindes werden: „Und warum hast du mich nicht auch abgetrieben?“ Im Bemühen, Kinder von dieser „Lehre“ zu überzeugen, steckt Gewalt auch gegen die Vernunft: Als ob man sie lehren wollte, dass 2x2 nicht 4 sei, sondern auch 5 richtig sein könne.

Die unaufrichtige Rede von der „Entkriminalisierung“

Ähnlich gegen die Vernunft gerichtet ist der Begriff der „Entkriminalisierung der Abtreibung“: Als ob eine Tat nur dann kein Verbrechen wäre, wenn man sie willkürlich „entkriminalisiert“ hat, wie man den Verzicht auf Strafe nennt. Diese Redeweise ist eine Form von Lüge, die eigentlich leicht zu durchschauen ist. Verbrechen sind bestimmte Taten nicht, weil sie bestraft werden, sondern natürlich umgekehrt: Taten sind Verbrechen wegen dem, was sie sind, und darum, wegen ihres Inhalts“ werden sie bestraft. Kurz und prägnant: Bestimmte Taten sind nicht Verbrechen, weil sie bestraft werden, sondern sie werden bestraft, weil sie Verbrechen sind! Um das noch evidenter zu machen, genügt es, andere Verbrechen im Sinn einer Entkriminalisierung zu denken: islamischen und anderen Terror, Vergewaltigung oder auch nur Autodiebstahl. Wären sie keine Verbrechen, wenn wir sie nicht mehr bestrafen?

Akzeptanz der künstlichen Zeugung

Zu den Folgen der Missachtung des vorgeburtlichen Lebens gehört natürlich auch die längst tief in der westlichen Gesellschaft verwurzelte Akzeptanz der IVF = „in vitro Fertilisierung“, der Zeugung von Menschen im Labor, deren Technik man übrigens von den Tierärzten gelernt hat. Man erfreut sich dieser Errungenschaft trotz der Behinderungen, die bei so gezeugten Kindern gehäuft auftreten. Dazu kam sehr bald schon die Technik des Einfrierens von Embryonen. Trotz allen heutigen Wissens über die embryonale Entwicklung jedes Menschen ab der Zeugung friert man Embryonen tausendfach ein, wohl wissend, dass fast alle dieser kleinen Menschen niemals das Licht der Welt sehen, niemals wirklich leben werden. Und man verwendet diese kleinsten Menschen, wenn man sie nicht mehr braucht, für Experimente oder setzt sie, wie die „Abfälle einer Abtreibung“, für die Produktion von Kosmetika ein.

Adoptionserlaubnis für gleichgeschlechtliche Paare

Eine weitere Missachtung des Kindes und seiner Bedürfnisse und Rechte ist aus der Einführung der Homo-Ehe entstanden: Nachdem man nicht nur die Homo-Ehe eingeführt und erlaubt hatte, kam es, wie es kommen musste: Man erlaubte auch die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare mit der Begründung, dass ein gleichgeschlechtliches Paar doch „genauso lieben“ könne wie ein „normales“ Ehepaar. Aber zwei triftige Gründe sprechen gegen dieses Argument: Es kann zwar auch in anderen Beziehungen passieren, aber das Risiko eines pädophilen Missbrauchs ist, leicht einsehbar, in solchen „Familien“ höher. Dies zu sagen, ist nicht beleidigend für Homosexuelle, genauso wenig wie der Satz „Männer sind häufiger gewalttätig als Frauen“ Männer beleidigt, obwohl es auch Frauen in manchen Fällen sind.

Der zweite Grund ist: Ein Mann kann liebevoll sein, aber er ist keine Frau und kann nicht in derselben mütterlichen Art und Weise lieben, wie eine Frau! Ist das nicht eine grundsätzliche Diskriminierung der Frau, zu behaupten, ein Mann könne sie ganz „gleichwertig“ ersetzen, leugnet man damit nicht die besonderen Fähigkeiten der Frau, wenn man sie für einfach ersetzbar ansieht? Ist die Frau ersetzbar? Spielt sie eben nur eine Rolle, die auch ein Mann spielen kann, oder hat nicht doch jene Frau recht, die in einer Diskussion aufstand und mit Nachdruck sagte: „Ich spiele nicht die Rolle einer Mutter, ich bin eine Mutter!“?

Die Erfahrungen von Kindern, die in einer solchen Konstellation aufwachsen mussten, beweisen, dass die Ideologie, die diese Praxis verteidigt, irrt. Auch die Entwicklungspsychologie bestätigt das hier Gesagte!

Radikal praktizierte Gender-Ideologie

Das Schlimmste zuletzt: Kindesmisshandlung als Folge der radikal praktizierten Gender-Ideologie: Wie wenig man die Kinder wirklich ernst nimmt, zeigt drastisch die Gender-Bewegung. In den USA gab oder gibt es einen Arzt, der den Eltern eines Jungen, den er bei der Beschneidung verletzt hatte, riet, das Kind einfach als Mädchen zu erziehen. Der Junge wurde verstümmelt und entsprechend behandelt. Als er größer wurde, entdeckte er, was mit ihm gemacht worden war, wechselte er wieder sein Geschlecht, lebte als Mann, der er ja eigentlich war, und beging zuletzt Selbstmord. Der Arzt wird bis heute in manchen Publikationen als großer Mann gerühmt und als solcher zitiert. Er soll auch trotz dieser Erfahrung andere Kinder ebenso „behandelt“ haben!

Aufweichung der eindeutigen Lehre auch unter Katholiken

Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die „Entkriminalisierung der Abtreibung“ sogar in die Köpfe und Herzen vieler Christen, sogar von Katholiken eingedrungen ist. „Sogar von Katholiken“, weil das gerne gerühmte Konzil Abtreibung ein Verbrechen nennt und der große hl. Papst Johannes Paul II. ebenso wie seine Nachfolger nicht den geringsten Zweifel an dieser Lehre zugelassen haben.

Eingedrungen ist die liberale Abtreibungsideologie mit drei Argumenten: Abtreibung nein, aber doch ja, wenn eine Behinderung vorliegen sollte, Ja auch dann, wenn die Frau durch Vergewaltigung geschwängert wurde und – man kann doch eine „Frau nicht strafen wollen“! Dazu ist zu sagen: Auch ein behindertes Kind ist ein Kind, auch ein Kind aus einer Vergewaltigung ist ein Kind und hat nichts zu tun mit der Tat, der es sein Leben verdankt, und der Werbeslogan: „Wollt ihr Frauen bestrafen?“ ist zutiefst verlogen: Weder Männer noch Frauen werden wegen ihres Geschlechtes bestraft, sondern immer nur wegen einer bestimmten kriminellen Tat. So leid uns jeder Bestrafte tun mag: Auch Frauen muss der Staat angemessen bestrafen, wenn sie eine strafbare Tat begehen! Bei Steuerhinterziehung und allen anderen möglichen Straftaten zweifelt niemand daran, nur bei Abtreibung soll es anders sein und gelten: „Wollt ihr Frauen bestrafen?“ Was für eine raffinierte Irreführung und auch Verdummung der Menschen! Es ist, wie Papst Johannes Paul II. lehrte: Der Staat hat die Verpflichtung, die Tötung auch eines noch ungeborenen Kindes zu bestrafen und ihm damit einen gewissen Schutz zuteilwerden zu lassen.

Wie man sieht, Abtreibung ist nicht nur punktuell ein Verbrechen. Man kann nur immer wieder den großen Rechtsgelehrten Wolfgang Waldstein zitieren, der bei der Einführung der Fristenlösung in Österreich, gültig für alle anderen Staaten mit vergleichbaren Gesetzen auch, gesagt hat: „Damit hat Österreich aufgehört, im Vollsinn des Wortes ein Rechtsstaat zu sein.“

Rückbesinnung

Es wäre falsch, alles schlecht zu reden, als ob nicht vieles stimmte und wirklich gut wäre, was für Kinder und Frauen geschieht. Erfreulich ist es auch zu hören, wie manche Staaten anfangen, ihre Abtreibungsgesetze wieder zu ändern im Sinne der Gerechtigkeit. Zu nennen sind Polen, Ungarn, Venezuela und manche afrikanischen Länder, die dabei sogar dem Druck der reichen Länder widerstehen, welche damit drohen, kein Geld mehr für die Entwicklung zu geben! Zudem gab und gibt es immer wieder Menschen, die ihr Leben den Kindern widmen und zwar kindgemäß, wie dies der hl. Don Bosco getan hat oder heute Sr. Elvira für Drogensüchtige und wie es viele andere Frauen und Männer tun. Manche haben für die Kinder sogar ihr Leben geopfert wie der jüdische Arzt Janusz Korczak. Wahre und kindgerechte Liebe zu Kindern hat es immer gegeben und wird es immer geben. Auch eine Verbesserung der Lage der Kinder in der ganzen Gesellschaft kann und muss es immer wieder geben. Es ist zu hoffen, dass die hier genannten Gefahren für Kinder wiedererkannt werden und sich die Gesellschaft ändert zum Guten: auf der Ebene der Politik, der Pädagogik und in der Erziehung. Zu all dem gehört auch die Wiederentdeckung des Wissens, dass Kinder kein Besitz sind, nicht des Staates, nicht einmal der Eltern, sondern von Gott in Freiheit auf Ihn hin erschaffen sind, um geliebt zu werden und um zu lieben!

Die lange Diskussion und die vielen Argumente beruhen letztlich auf der Sicht des Menschen als Geschöpf Gottes, der ihn als Sein Meisterwerk geschaffen hat, als Mann und Frau, und dieses Meisterwerk darf ein anderer Mensch nicht zerstören, ohne damit gegen Gott selbst zu handeln! Gebe Gott, dass uns bei diesem Gedanken ein heiliger, aber notwendiger, angemessener Schrecken überfällt angesichts all dessen, was in der heutigen Welt vor sich geht.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Anmerkung: Der Beitrag ist zuerst erschienen auf www.kath.net (8.11.2017).

37 Jahre im Dienst des Lehrbetriebs der Hochschule Heiligenkreuz

Weihbischof Andreas Laun und seine „heilige Unverschämtheit“

Am 13. Oktober 2017 hat Papst Franziskus den altersbedingten Rücktritt von Weihbischof Dr. Andreas Laun angenommen. Mit ihm fühlt sich Pater Karl Wallner OCist, Rektor der Hochschule Heiligenkreuz, aufs engste verbunden. Aus Anlass der Emeritierung Launs als Weihbischof von Salzburg blickt Pater Wallner auf den gemeinsamen Lebensweg zurück, zunächst als Student und später als verantwortlicher Leiter der Hochschule. Er bewundert die Furchtlosigkeit seines Lehrers und ist von der Unverzichtbarkeit seines prophetischen Dienstes überzeugt.

Von P. Karl Wallner OCist

Weihbischof Dr. Andreas Laun hat über viele Jahre hinweg durch seine Stellungnahmen die Kirche in Österreich und im deutschen Sprachraum in Atem gehalten. Er war ein Zeichen des Widerspruchs und des Anstoßes, nicht nur außerhalb der Kirche, sondern auch innerhalb. Durch seine klaren Aussagen zu Themen der christlichen Moral hat er oft für mediale Aufregung gesorgt und Schlagzeilen geliefert, die manche seiner Mitbrüder im bischöflichen Amt gerne vermieden hätten. Andreas Laun hatte zum Beispiel keine Angst, pro life einzutreten und auf Lebensmärschen mitzugehen. Er hatte keine Scheu, auf die Probleme hinzuweisen, die durch eine Massenimmigration von Muslimen entstehen können, oder sich als Bischof öffentlich für einen Präsidentschaftskandidaten auszusprechen, weil dieser nach seiner Auffassung im Bereich Lebensschutz christlichere Positionen als der Gegenspieler vertrat. Ob alles klug und richtig war, das wird Gott beurteilen!

Dem äußeren Eindruck nach könnte man Andreas Laun einfach als „konservativen Hardliner“ abtun. Sicher haben viele, denen der gesellschaftliche Konsens zwischen Kirche und Welt wichtig ist und die vielleicht mit dem Charisma größerer Klugheit in der Vermeidung von öffentlichen Konflikten gesalbt sind, aufgeatmet, als Papst Franziskus am 13. Oktober 2017 den altersbedingten Rücktritt von Weihbischof Laun angenommen hat. In diesem Augenblick war Weihbischof Laun – wie bezeichnend – gerade in Fatima. Ich selbst muss gestehen, dass ich mir in den letzten Jahren auch manchmal gewünscht hätte, dass mein Lehrer (Weihbischof Laun unterrichtete schon lange vor seiner Bischofsweihe an unserer Hochschule Heiligenkreuz Moraltheologie und blieb uns auch als Weihbischof bis 2017 als Gastprofessor treu) manchmal etwas konzilianter, etwas leiser und manchmal auch etwas weiser agiert hätte. Manchmal habe ich schon im Voraus mit ihm (und mit der Kirche in Österreich) gelitten, wenn wieder eine seiner Äußerungen kam, von der man voraussehen konnte, dass sie zu Widerspruch, zu Konflikten und Attacken gegen ihn führen würde… Wenn man Andreas Laun kennt, dann weiß man auch, dass er seiner Natur nach überhaupt kein „Kampfhahn“ ist, sondern ein doch recht charmanter Salzburger, jedenfalls ein milder und priesterlich-liebenswerter Mensch – und dass er unter den Schlägen, die man ihm oft versetzt hat, sehr gelitten hat! Ich denke, dass ihn vieles mehr verwundet hat, als er sich anmerken ließ. Aber da war er halt auch ein bisschen „lutherisch“, denn nachgeben fiel ihm schwer. Da stand er oft und konnte nicht anders! Denn er stand ganz fest auf einem Fundament, das den Namen Jesus Christus trägt. „Scio cui credidi! Ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe!“, war sein Wahlspruch nach 2 Timotheus 1,12. Heute ganz auf diesem Fundament der Treue zu Jesus Christus zu stehen, ist schon Provokation! Provokation nicht nur für eine Welt, die sich mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit von ihren christlichen Wurzeln entfernt, sondern auch für ein verunsichertes und konsensbedürftiges Christentum, das sich scheu nur mehr als ein Nett-zu-allen-Sein verstehen möchte. Da erscheint dann das Bekenntnis zum Fundament „Christus“ sehr schnell als „Fundamentalismus“.

Wie gesagt: Manchmal, wenn wieder einer der scharf analysierenden Artikel von Weihbischof Laun im Internet oder in den ihm nahestehenden Magazinen auftauchte, habe ich mir auch gedacht: „Lieber Andreas, si tacuisses – in pacem mansisses! Wenn Du nichts gesagt hättest, hättest Du (und wir!) unsere Ruhe!“ Zugleich aber war da immer ein Gefühl der Bewunderung, eine innere Dankbarkeit für den Mut, etwas auszusprechen… Die Psychologie klärt uns auf, dass wir Menschen ein Herdenwesen sind, dass wir gerne mit dem Zeitgeist, wenn er nur eindrucksvoll und persuasiv genug daherkommt, mitmarschieren. Der österreichische Nobelpreis-Forscher Konrad Lorenz hat etwa das schreckliche Phänomen des Jahres 1938 mit den Worten analysiert: „Wenn die Trompete laut erschallt, ist der Verstand in der Trompete!“ Wie laut schallt heute die Trompete des postchristlichen Säkularismus! Und wie leise ist die Stimme des Evangeliums geworden! Und wie sehr haben wir verunsicherten Christen, die wir plötzlich aus der Komfortzone der kulturellen Selbstverständlichkeit des Christentums herausgefallen sind, aus dem Jesus der Evangelien einen Flower-Power-Softie gemacht! Geflissentlich übersehen wir, dass Jesus dem 8-fachen „Selig“ der Bergpredigt ja doch auch ein vielfaches „Wehe“ folgen lässt… Dass er nicht deshalb ans Kreuz geschlagen wurde, weil er so nett, angepasst und unauffällig war. Nun, es ist gut, wenn die Kirche nicht spaltet, wenn ihre Hirten sich bemühen, den gesellschaftlichen und religiösen Konsens zu hüten. Es ist gut, wenn wir Christen uns auch heute „klug wie die Schlangen und sanft wie die Tauben“ verhalten!“ (Matthäus 10,16). Gott schütze uns vor katholischen Ayatollahs! Aber ohne den prophetischen Widerspruch, ohne das argumentative Contra gegen einen Zeitgeist, der immer mehr dem entgegensteht, was den christlichen Glauben ausmacht, kommen wir auch nicht in die Zukunft. Manchmal muss der Hirtenstab nicht nur verwendet werden, um eine plural gewordene Herde zusammenzuhalten, sondern auch, um Wölfe zu vertreiben.

Ich erinnere mich an meine Studentenzeit, wo uns Professor Laun, wie wir ihn vor seiner Berufung zum Weihbischof von Salzburg nannten, in seinen stets spannenden Vorlesungen über die Tugend des heiligen Zornes gesprochen hat. Denn das Zürnen Jesu angesichts der Entehrung des Tempels ist moraltheologisch tatsächlich als „heilig“ zu bewerten. Ein solches Zürnen ist kein Laster, ist keine Sünde, sondern eine wahre Tugend. Laun sagte damals: Der heilige Zorn ist zwar keine Pflicht, aber er ist manchmal notwendig, wenn man das Heilige entehrt und bedroht sieht. Und er fügte schmunzelnd hinzu: „Ich rate euch aber, die Tugend des heiligen Zornes möglichst selten zu üben.“ Was wir in den letzten Jahren von Weihbischof Laun erlebt haben, war aber nicht so sehr ein heiliger und emotionsgesteuerter Zorn, der dann in Gefahr ist, in bloßen Fanatismus abzugleiten. Nein! Laun ist immer der nüchterne, nach Argumenten suchende Theologe geblieben, ganz in der Nachfolge des von ihm so verehrten Dietrich von Hildebrand. Vielleicht wurde er auch deshalb oft so stark innerhalb der Kirche, wo man meint, mit Appeasement einen Weltkrieg gewinnen zu können, kritisiert, weil seine Argumente so klar, so provokant klar waren…

Die „Tugend“, mit der ich Weihbischof Laun am ehesten charakterisieren möchte, ist die „heilige Unverschämtheit“. Eine Furchtlosigkeit, sich selbst zu exponieren, sich selbst verwundbar zu machen und notfalls auch öffentlich zu blamieren. Selbst seine Feinde in und außerhalb der Kirche werden zugeben müssen, dass er immer für Christus und sein Evangelium einstehen wollte, egal, was man über ihn denkt. In dieser Bereitschaft zu dem, was Paulus den „guten Kampf“ nennt, hat er viele Wunden abbekommen. Seine Seele trägt viele Narben. Im eschatologischen Horizont, ohne den die Kirche und besonders auch das ihr eingestiftete Hirtenamt jeden Sinn verlieren würde, dreht sich aber die Perspektive um. Wunden beginnen zu strahlen. War es nicht so bei vielen Heiligen, die im Leben ja zumeist Zeichen des Widerspruchs waren?! Prophetische Provokation! Jesus sagt: „Denn wer sich vor dieser treulosen und sündigen Generation meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er mit den heiligen Engeln in der Hoheit seines Vaters kommt“ (Markus 8,38). Oder positiv gewendet: „Ich sage euch: Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen“ (Lukas 12,8). Doch die Konklusion, ja eine Art Wesensbeschreibung des nunmehr emeritierten Weihbischofs von Salzburg steht in seinem Wahlspruch selbst. „Ich weiß, wem ich geglaubt habe!“ Der ganze Satz lautet: „Darum muss ich dies alles erdulden. Aber ich schäme mich nicht, denn ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe, und ich bin überzeugt, dass Er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren“ (2 Timotheus 1,12).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
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Katholische Theologin attackiert DEMO FÜR ALLE

Verleumdung im Namen der Wissenschaft

Die Gegner des Aktionsbündnisses für Ehe und Familie – DEMO FÜR ALLE müssen immerhin zugestehen, dass diese Stimme nicht mehr zu überhören ist. „Klein, aber laut“, so heißt der Untertitel eines Interviews, das Michael Jacquemain für die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) mit der katholischen Theologin Sonja Angelika Strube geführt hat und das am 7. November 2017 vom Domradio Köln publiziert worden ist. Und doch handelt es sich um einen unglaublichen Vorgang: Unter der Überschrift „Theologin untersucht ‚Neurechtes Christentum‘“ wird Strube als Tübinger Gastprofessorin vorgestellt, welche das Themenfeld „Rechtpopulismus und Christentum“ erforscht und „Vergleiche von neurechten christlichen Strömungen zu AfD und Pegida zieht“.
Während eine ganze Litanei von Verunglimpfungen aufgezählt wird („Radikalisierung in Richtung menschenfeindlicher Einstellungen und Abwertung Andersdenkender“, „abgeschlossenes Weltbild“, „Kampf gegen eine vermeintliche Gender-Ideologie“, „Fremden- und Frauenfeindlichkeit“ usf.), werden nur zwei Vertreter dieses „neurechten Christentums“ beim Namen genannt, nämlich Weihbischof Andreas Laun und DEMO FÜR ALLE.
Man stellt sich perplex die Frage: Warum haben es kirchliche Einrichtungen in Deutschland nötig, diese Zeugen, die für katholische Werte eintreten, zu diffamieren? Reichen nicht die Angriffe vonseiten der antikirchlichen, linksextremen Kräfte? In der nachfolgenden Stellungnahme weist Hedwig v. Beverfoerde, die Koordinatorin des Aktionsbündnisses DEMO FÜR ALLE, die Falschdarstellungen von Frau Strube entschieden zurück.

Von Hedwig v. Beverfoerde

Die katholische Theologin Sonja Angelika Strube verunglimpft seit Jahren solche Christen als „rechts“, die sich für den Schutz des Lebens, der Ehe und der Familie und gegen die Gender-Ideologie einsetzen. In ihren Veröffentlichungen zählt sie bürgerliche Initiativen und engagierte Christen mit rechtsextremen Gruppierungen wie der NPD auf, um sie damit ins Zwielicht zu rücken. Eine der von Strube an vorderster Stelle bekämpften Initiativen ist das Aktionsbündnis für Ehe und Familie – DEMO FÜR ALLE. In einem am 7. November 2017 erschienenen Interview der KNA, welches von Domradio.de veröffentlicht wurde, sagt Strube wörtlich:

„Ich beobachte, dass politisch Rechtsgerichtete versuchen, sich mit kirchlich Engagierten zu vernetzen. So hat die Gruppe „DEMO FÜR ALLE“ auch eine Werbefunktion für die AfD, wenn deren Protagonisten beispielsweise neben dem emeritierten österreichischen Weihbischof Andreas Laun auf der Rednerbühne stehen. Auf diese Demos gehen auch Mitglieder der Identitären Bewegung, die von Verfassungsschutzämtern als rechtsextrem eingestuft wird, sich aber gerne ein intellektuelles und Greenpeace-mäßiges Image geben. Rechte Gruppierungen wollen auf diese Weise den Eindruck erwecken, sie gehörten zum bürgerlichen Lager und es ginge ihnen um christliche Werte.“

Als Sprecherin von DEMO FÜR ALLE weise ich darauf hin, dass wir kein christliches Bündnis, sondern ein bürgerliches Bündnis sind, in dem aber naturgemäß viele Christen aktiv sind. Wir sind überparteilich, unabhängig und überkonfessionell (s. unsere Webseite: demofueralle.wordpress.com/eine-seite/wer-wir-sind/) und machen in keiner Weise Werbung für die AfD oder eine andere Partei. Auf unseren Demonstrationen haben Vertreter der CDU und verschiedener CDU-Gliederungen ebenso gesprochen oder Grußworte verlesen lassen, wie Vertreter der AfD, der CSU, der FDP und Bündnis C. Nach diesem Maßstab könnte man ebenso gut behaupten, DEMO FÜR ALLE erfülle eine „Werbefunktion“ für die CDU oder andere Parteien.

Die Behauptung, Weihbischof Andreas Laun habe neben Vertretern der AfD auf der Rednertribüne gestanden, entspricht nicht den Tatsachen. Weihbischof Laun hat unsere Demo in Stuttgart, am 28. Februar 2016, als Redner unterstützt. Außer ihm sprachen Hartmut Steeb (als Vorsitzender der Evangelischen Allianz), Albéric Dumont (für La manif pour tous), Marcel (Bruderschaft des Weges), Ulrike Schaude-Eckert (für die ZVL), Ingrid Kuhs (als Mutter in Ba-Wü) und Birgit Kelle (Publizistin). Es war kein einziger Politiker, auch nicht von der AfD, als Redner dabei, geschweige denn „neben … Weihbischof Andreas Laun auf der Rednerbühne“!

Wir wissen, dass Frau Strube sich eingehend mit unseren Demonstrationen beschäftigt hat. Deshalb muss ihr bekannt sein, dass wir uns zu Beginn einer jeden Kundgebung „von jedem antisemitischen, rassistischen und extremistischen Gedankengut und Organisationen oder Einzelpersonen, die solches Gedankengut vertreten“, distanziert haben (siehe auch unsere Webseiten-Erklärung: demofueralle.wordpress.com/eine-seite/erklarung/). Das Versammlungsrecht erlaubt es uns leider nicht, unerwünschte Teilnehmer von unserer Demo entfernen zu lassen. Solange sich diese ruhig verhalten, die Veranstaltung nicht stören, gewalttätig werden oder anderweitige Straftatbestände erfüllen, müssen sie vom Veranstalter geduldet werden. Auch das könnte Frau Strube wissen. Wenn sie uns solche Personen trotzdem zurechnet, dann wohl nur in verleumderischer Absicht.

Im weiteren Verlauf des Interviews fragt KNA nach: „Durch die Spitzenvertreter der Kirche kann sich dieses Milieu aber nicht bestärkt fühlen…“

Strube antwortet: „Natürlich nicht. Deshalb werden jetzt Papst und Bischöfe selbst zu Angriffszielen und als häretisch gebrandmarkt. (…)“

Auch dies ist falsch. Papst Franziskus hat sich immer wieder gegen die Gender-Ideologie ausgesprochen und diese scharf kritisiert. Mehrere deutsche Bischöfe unterstützen unsere Anliegen und unsere Aktionen. Der Fuldaer Bischof Algermissen hat den Teilnehmern unserer Demonstration am 30. Oktober 2016 in Wiesbaden den bischöflichen Segen erteilt und verschiedene Bischöfe haben sich der in Deutschland von mir koordinierten Europäischen Bürgerinitiative „Mum, Dad & Kids“ angeschlossen und teilweise aktiv beworben, darunter der Passauer Bischof Dr. Stefan Oster, der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer und der Bischof von Eichstätt Gregor Maria Hanke u.a. Wenn Frau Strube dies alles nicht bekannt sein sollte, stellt sie sich als katholischer Theologin damit selbst das denkbar schlechteste Zeugnis aus.

Dass Frau Strube es mit ihrem Thema gleichwohl inzwischen sogar zu einer Gastprofessur für „Neurechtes Christentum“ an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen gebracht hat, weist allerdings darauf hin, dass höhere Stellen ein Interesse daran haben, dergleichen „Forschung“ und entsprechende Publikationen zu fördern.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
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Zum Plan eines Fortpflanzungsmedizingesetzes

Alexandra Linder M.A. (ALfA) fordert in Bezug auf die Pläne eines Fortpflanzungsmedizingesetzes ein radikales Umdenken.

Von Alexandra Maria Linder

Bioethische Themen waren in den Koalitionsverhandlungen offenbar kein Streitpunkt, obwohl es um drängende Entwicklungen geht. Reproduktionsmediziner wollen Geld verdienen, Paare wie Singles, die man neuerdings „Wunscheltern“ nennt, wollen Kinder herstellen lassen. Die Tatsache, dass der Schutz der Kinder vor der Geburt zugunsten egoistischer Erwachsenenwünsche und finanzorientierter Reproduktionsunternehmen abgeschafft werden soll, ist ein Armutszeugnis für ein Land, das sich seit 70 Jahren die Humanität auf die Fahnen schreibt. Die Aufgabe des weltweit mit federführenden Embryonenschutzes und die Zulassung aller technischen Möglichkeiten zur Kinderproduktion machen aus Deutschland eine kinderverachtende Gesellschaft. Wie wollen wir unseren Kindern zukünftig die Situation erklären, dass sie vor der Geburt als willkürlich behandelte Zellhaufen rechtlos sind, mit der Geburt aber plötzlich in jeder Hinsicht schützenswerte Menschen?

Wichtige Fragen werden nicht gestellt, über Probleme wird nicht gesprochen: Die „Baby take home“-Erfolgsrate in der künstlichen Befruchtung zum Beispiel beträgt nach wie vor lediglich um die 20%, die Fehlbildungsrate bei diesen Kindern ist höher, was fast immer zur Abtreibung führt. Bei der Präimplantationsdiagnostik fallen zahllose Kinder der Qualitätskontrolle zum Opfer oder bleiben übrig, weil die „Wunscheltern“ nur ein Kind wollen. Ein Kind, das nur lebt, weil es vor seiner Geburt die PID nicht gab, sitzt am Mittagstisch neben einem Kind, das nur lebt, weil es jetzt die PID gibt – keiner der Protagonisten dieses Gesetzes spricht über die Kinder oder interessiert sich dafür, welche Folgen das für die Psyche der Kinder und die Verhältnisse innerhalb der Familien haben wird. Des Weiteren müsste erforscht werden, was es für einen Menschen bedeutet, wenn ihm im Stadium von 8 oder 16 Zellen ein oder zwei davon entnommen werden. Bis hin zu der Tatsache, dass bei den sog. „Leihmüttern“ der frauenverachtende Begriff der „Gebärmaschine“ in Reinform verwirklicht wird und sie massive gesundheitliche, teils lebensgefährliche Probleme haben, unter anderem, weil die Natur das fremde Kind als Fremdkörper betrachtet.

Auch die Inklusion wird damit lächerlich: Ein Land, das behauptet, Menschen mit Behinderungen zu schützen, zu integrieren und zu respektieren, macht sich unglaubwürdig, wenn es gleichzeitig alles erlaubt, was die Geburt solcher Kinder verhindert.

Mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz wird Deutschland ethisch absteigen: in die Riege menschenverachtender, gewinnorientierter Kinderproduzenten.

Ein humaner Staat muss fördern, was alle Menschen schützt und ihnen dient, und er muss unterbinden, was den Menschen schadet und sie tötet.   

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
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Bruce, Brenda, David – das gescheiterte Experiment

Unterschiede der Geschlechter

„Gleichgestellt. Die neue Frauenfalle“,[1] so lautet der Titel eines neuen Buches von Dr. Uta Stierstorfer (geb. 1961). Bisher hat die Fachärztin für HNO und plastisch-ästhetische Operationen im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich publiziert. Nun versucht sie, die Entwicklung der Gleichstellungspolitik vom Feminismus bis zum Gender-Mainstreaming darzustellen. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Gleichstellungspolitik nicht die erhoffte Befreiung für die Frauen gebracht hat. Alte Abhängigkeiten seien durch neue ersetzt worden. Viele Frauen, besonders Mütter, seien in eine neue Falle geraten. Unter anderem geht Stierstorfer auch auf die Unterschiede der Geschlechter ein. Trotz eindeutiger naturwissenschaftlicher Ergebnisse würden diese Unterschiede von Befürwortern des Feminismus und der Gender-Ideologie geleugnet. Auf der Strecke bleibe meist das Wohl der Frauen. Stierstorfer ist katholisch, verheiratet und Mutter von vier Kindern.

Von Uta Stierstorfer

Am 22. August 1965 kamen im kanadischen Winnipeg Zwillinge zur Welt. Es waren zwei gesunde, eineiige Jungens mit dem gleichen Erbgut, die Brian und Bruce Reimer hießen. Im Alter von sechs Monaten wurde bei Bruce eine Beschneidungsoperation durchgeführt. Die Operation missglückte und der Penis von Bruce wurde stark verstümmelt. Die Eltern wandten sich in ihrer Not an den damals bekannten Psychiater und Sexualwissenschaftler John Money. Dieser Professor beschäftigte sich vornehmlich mit Inter-und Transsexuellen. Er war der Meinung, man könne aus Männern ohne Weiteres Frauen machen. Für Professor Money schienen Bruce und sein Zwillingsbruder das ideale Material für ein Experiment zu sein, mit dem er seine Thesen beweisen könnte, dass Geschlechtlichkeit lediglich ein gesellschaftliches Erziehungsprodukt und somit umkehrbar sei.

Operation zur Geschlechtsänderung

Nach langen Beratungen ließen sich die Eltern auf Anraten von Professor Money darauf ein, bei Bruce die Operation zur Geschlechtsänderung zu einem Mädchen durchführen zu lassen. Im Alter von 22 Monaten entfernte ein Chirurg Bruce die Hoden und formte aus der Haut des Hodensackes rudimentäre Schamlippen. Von diesem Zeitpunkt an sollte Bruce, der nun Brenda genannt wurde, als Mädchen erzogen werden. Ab dem 12. Lebensjahr wurde Brenda zusätzlich mit weiblichen Geschlechtshormonen behandelt, sodass ihr ein Busen wuchs. Brenda sollte nie von der Geschlechtsumwandlung erfahren.[2]

Unglückliches Kind mit großen sozialen Problemen

Money wollte mit diesem Experiment beweisen, dass allein die Erziehung die Geschlechtsidentität bestimmt. Von besonderem Vorteil war hierbei, dass Brenda einen eineiigen Zwillingsbruder hatte, der im Gegensatz zu ihm wie ein Junge erzogen wurde.[3] Brenda wuchs als Mädchen auf, doch entgegen Moneys Aussagen schilderten die Eltern ihn als unglückliches Kind. Brenda benahm sich nicht wie ein typisches Mädchen und hatte in der Schule schon früh große soziale Probleme. Mit 14 Jahren erfuhr er, nachdem er sich erfolgreich gegen eine von Money geplante Operation (einen weiteren Aufbau der weiblichen Geschlechtsorgane) geweigert hatte, dass er ein Junge war. Von diesem Zeitpunkt an bestand er auch darauf, ein Junge zu sein, und nannte sich von da an David. Er ließ sich die Brüste operativ entfernen, Testosteron spritzen und eine Penisaufbauplastik ausführen. Später heiratete er sogar eine Frau mit drei Kindern, konnte jedoch die Folgen des Experiments nie verwinden. 1997 veröffentlichte er zusammen mit John Colapinto seine Geschichte.[4]

2004 erschoss sich David, nachdem seine Ehe gescheitert war und er arbeitslos wurde. Bereits zwei Jahre zuvor war sein Bruder infolge einer Arzneimittelsucht zu Tode gekommen. Die Mutter der Zwillinge machte später John Money und sein Experiment für den Tod ihrer beiden Kinder verantwortlich.

Gender-Ideologen berufen sich auf Moneys Thesen

Trotz dieses tragischen Ausgangs hielt Money sein Experiment für gelungen. Für ihn war es der Beweis, dass der Mensch von Natur aus keine geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen besäße. Das biologische Geschlecht (sex) habe nichts mit dem sozialen Geschlecht (gender) zu tun. Das Geschlecht sei so beliebig zuweisbar. Moneys Theorien wurden mehrfach veröffentlicht und insbesondere von der feministischen Literatur aufgenommen.[5] Auch Feministinnen wie Alice Schwarzer beziehen sich auf Moneys Thesen, um ihre Gleichheitstheorien zu begründen.[6]

Das Schicksal von David Reimer zeigt jedoch gerade das Gegenteil. Obwohl kastriert, mit weiblichen Geschlechtshormonen behandelt und als Mädchen erzogen, verhält sich David nicht wie ein Mädchen und merkt selbst sehr früh, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Ein Einblick in die Embryonalentwicklung des Menschen erklärt auch eindeutig, warum das so ist.

Die Entstehung des Geschlechts

Mit der Vereinigung von Eizelle und Samenzelle bei der Befruchtung wird das genetische Geschlecht festgelegt. Beim Menschen tragen alle Körperzellen einen doppelten Chromosomensatz mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen. Diese weisen bei Männern die Kombination XY und bei Frauen die Kombination XX auf. In der ersten Zeit der Befruchtung entwickeln sich die Geschlechtsorgane gleich. Erst ab der siebten Embryonalwoche induziert ein bestimmtes Gen auf dem Y-Chromosom die Entwicklung der Hoden. Diese produzieren in erheblicher Menge männliche Geschlechtshormone, deren Wichtigstes das Testosteron ist. Auch eine geringe Menge weiblicher Geschlechtshormone entstehen. Bei den weiblichen Embryonen bilden sich ab der achten Woche die Eierstöcke, die die weiblichen Hormone Östrogen und Progesteron, aber auch geringe Mengen Testosteron bilden. Während anfangs Gene über die Geschlechtsdifferenzierung entscheiden, erfolgt ab der Ausbildung der Keimdrüsen die Differenzierung aufgrund der geschlechtsspezifischen unterschiedlichen Hormonkonzentration. Beim männlichen XY-determinierten Embryo zerstört das AMH (=Anti-Müller-Hormon) die weiblichen Fortpflanzungsorgane und trägt zusammen mit dem Testosteron zum Aufbau der männlichen Gehirnschaltkreise und Fortpflanzungsorgane bei. Beim weiblichen Gehirn bleibt dieser Effekt wegen des deutlich geringeren Testosteronspiegels aus. Die Chromosomenkombination XX sorgt für eine schnelle Gehirnentwicklung mit typisch „weiblichen Schaltkreisen“.[7] Auch nach der Geburt bleibt der Testosteron- und AMH-Spiegel bei Jungen bis zum 12. Lebensmonat sehr hoch. Ab dem ersten Lebensjahr bis zur Pubertät haben Jungen weiterhin einen hohen AMH-Spiegel, jedoch einen niedrigen Testosteronspiegel (jugendliche Pause). Dieser steigt erst wieder in der Pubertät massiv an-[8] [9]

Beim Mädchen findet sich ein hoher Östrogenspiegel bis zwei Jahre nach der Geburt. Dann geht auch hier die Hormontätigkeit zurück (jugendliche Pause). Mit Beginn der Pubertät und dem monatlichen Zyklus steigen Östrogen-, Progesteron- und Testosteronspiegel an, wobei bei Mädchen deutlich mehr Östrogen als Testosteron gebildet wird. Insgesamt kommt es beim Mädchen durch die unterschiedliche Hormonzusammensetzung zu einer ca. zwei Jahre vorzeitigeren Hirnentwicklung als beim Jungen. Entscheidend für die Entwicklung zu einem Jungen ist, dass in den ersten Schwangerschaftsmonaten das AMH im Zusammenwirken mit dem Testosteron die weiblichen Merkmale von Körper und Gehirn beseitigt. Beide Hormone unterdrücken während der Fetalphase die Gehirnschaltkreise, die für weibliches Verhalten sorgen und töten die weiblichen Fortpflanzungsorgane ab.[10] [11]

Die Weichen für Davids männliches Geschlecht waren also bereits vor seiner Geburt gestellt. Auch geschlechtsverändernde Operationen, Hormonbehandlungen und die Erziehung zum Mädchen konnten dies nicht verändern, denn das Geschlecht ist im genetischen Plan festgelegt.

Unterschiedliche Hormonschaltkreise

Durch genetisch festgelegte, komplexe, vom Gehirn gesteuerte Hormonschaltkreise werden bei beiden Geschlechtern insbesondere das Sexualverhalten und das Brutverhalten zur Erhaltung der Art reguliert. Auch beim Menschen sind diese unterschiedlichen hormonellen Schaltkreise vorhanden und auch sehr gut erforscht.

Während beim Mann hauptsächlich durch das Hormon Testosteron der Sexualtrieb und die Bildung von Samenzellen veranlasst und reguliert wird, unterliegt die Frau einem komplizierteren hormonellen monatlichen Zyklus, bei dem meist nur eine einzige Eizelle pro Monat zur Befruchtung bereitgestellt wird.

Dieser weibliche Zyklus wird hauptsächlich von den beiden Hormonen Östrogen und Progesteron im Phasenwechsel reguliert. Während der ersten beiden Wochen des Zyklus, der sogenannten Östrogenphase, werden durch das Östrogen nicht nur die Geschlechtsorgane der Frau auf einen Eisprung und eine mögliche Befruchtung vorbereitet, sondern das Hormon hat auch Einfluss auf den gesamten Körper einschließlich des Gehirns. So konnte gezeigt werden, dass durch Östrogen die Hippocampusaktivität im Gehirn zunimmt und es so zu einer gesteigerten Gehirnaktivität in dieser Phase kommt.[12] Nachdem ungefähr am 14. Tag des Zyklus ein Eisprung stattgefunden hat, produzieren die Eierstöcke nun vermehrt Progesteron. In dieser Progesteronphase wird die Wirkung des Östrogens, welches jetzt sinkt, wieder weitgehend rückgängig gemacht. Kommt es nach dem Eisprung nicht zu einer Befruchtung, sinken gegen Ende des Zyklus die Hormonwerte rapide herab und lösen eine Menstruationsphase aus. Viele Frauen berichten, dass sie in dieser hormonarmen Zyklusphase besonders nervös und reizbar sind.

Grundlage für ein „männliches oder weibliches Gehirn“

Vor allem die Geschlechtshormone, aber auch andere Hormone des Menschen beeinflussen den Körper und das Gehirn von Mann und Frau unterschiedlich. Die bekanntesten Hormone bei Mann und Frau seien hier nochmals genannt: Östrogen, Progesteron, Testosteron, Oxytocin, Prolactin, Cortisol, Vasopressin, DHEA, Androstendion, Allopregnanolon. Diese Hormone bilden die Grundlage für ein „männliches oder weibliches Gehirn“. Von Neurophysiologen konnten bei Männern und Frauen Unterschiede in mehreren komplexen Hirnleistungen wie dem räumlich-visuellen Vorstellungsvermögen, im mathematischen Denken, in der visuellen Wahrnehmung, im Geruchssinn sowie bei verbalen Fähigkeiten gezeigt werden. So unterscheiden sich Männer und Frauen z.B. deutlich in der Kommunikationsfähigkeit. Schon kleine Mädchen verfügen über einen deutlich größeren Wortfluss, sind redegewandter und gehen emotional mehr auf ihr Gegenüber ein.[13]

Exakte wissenschaftliche Nachweise sind auf dem Gebiet der Hirnforschung jedoch schwierig durchzuführen. Dies kann gerade bei Nichtnaturwissenschaftlern zu gewagten Spekulationen führen. Von Gender-Befürwortern werden sogar selbst biologisch eindeutig nachgewiesene Geschlechtsunterschiede als gesellschaftlich geprägtes, über Jahrhunderte geformtes geschlechtsspezifisches Rollenverhalten dargestellt. Konsequenterweise seien diese männlichen oder weiblichen Rollenbilder daher auch durch Umformung der Gesellschaft auflösbar.

Dabei handelt es sich um eine soziologische These, welche keinerlei naturwissenschaftliche Grundlage besitzt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
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[1] Uta Stierstorfer: Gleichgestellt. Die neue Frauenfalle, 144 S., 13,95 Euro (D), 14,40 Euro (A), ISBN 978-3-9454013-9-2. Im Buchhandel od. direkt: Tel. 07303/ 952331-0; E-Mail: buch@media-maria.de
[2] John Colapinto: Der Junge, der als Mädchen aufwuchs, Düsseldorf 2000.
[3] Michaela Karl: Geschichte der Frauenbewegung, Stuttgart 2011.
[4] John Colapinto: Der Junge, der als Mädchen aufwuchs, Düsseldorf 2000.
[5] Volker Zastrow: Gender. Politische Geschlechtsumwandlung, Berlin 2010.
[6] Alice Schwarzer: Der kleine Unterschied und seine großen Folgen, in: Frau in der Gesellschaft, Frankfurt 2002, 240.
[7] Louann Brizendine: Das weibliche Gehirn, München 2008.
[8] Keith L. Moore: Embryologie, Lehrbuch und Atlas der Entwicklungsgeschichte des Menschen, Stuttgart 1990.
[9] Jan Langman: Medizinische Embryologie, 5., unveränderte Auflage, Stuttgart 1977.
[10] Louann Brizendine: Das weibliche Gehirn, München 2008.
[11] Louann Brizendine: Das männliche Gehirn, Hamburg 2010.
[12] Louann Brizendine: Das weibliche Gehirn, München 2008.
[13] Manfred Spitzer: Geschlecht – Ideologie oder Wissenschaft? Gehirnforschung zur Frauenquote und berufstätigen Müttern, Anwältinnen und Männerbeauftragten (Editortial), in: Nervenheilkunde, Heft 6/2014, 412-418. Ute Borkowski: Der Unterschied zwischen Mann und Frau, München 2007.

Fatima und die junge Bundesrepubik (Teil 2)

Konrad Adenauer und Pius XII.

Die Artikelreihe „Fatima und die junge Bundesrepublik“ beschäftigt sich mit der unerwarteten Wiedergeburt Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Prof. Dr. Wolfgang Koch und seine Frau Dorothea sind überzeugt, dass bei der geistigen und politischen Erneuerung Deutschlands Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Schlüsselrolle gespielt hat. Der Einsatz Adenauers aber sei nur auf dem Fundament seines christlichen Glaubens möglich gewesen. Eine ganz entscheidende Unterstützung habe er dabei durch Papst Pius XII. erhalten. Im zweiten Teil der Artikelserie geht das Ehepaar Koch zunächst auf die Frage der Rezeption der Fatima-Botschaft in Deutschland ein, die eng mit dem damaligen Bamberger Professor für Kirchengschichte, Ludwig Fischer (1890-1957), verbunden ist.

Von Dorothea und Wolfgang Koch

Im Marienfrühling der jungen Bundesrepublik Deutschland verbinden sich kraftvoll zwei Ströme zu einer Bewegung, die tragende Kräfte der Gesellschaft zu prägen vermochte. Einen Resonanzboden bot jahrhundertealte, zwar verschüttete, aber in den Seelen wurzelnde und weit ins Mittelalter zurückreichende Marienfrömmigkeit spezifisch deutschen Charakters. Auf ihm begannen Anregungen zu klingen, die von den Marienerscheinungen in Fatima ausgegangen waren. Bereits seit den 1930er Jahren, besonders aber nach dem Krieg, wird Fatima auch in Deutschland rezipiert, wenn auch zunächst zögerlich und gegen klerikalen Widerstand.

Zweifache Bedeutung der Fatima-Botschaft für Deutschland

Die Botschaft von Fatima umfasst einen Komplex von Ereignissen, die bereits 1915 begannen und mit ihrer kirchlichen Anerkennung im Jahr 1930 nicht abgeschlossen waren. Seit den 1940er Jahren werden zwei Erscheinungsphasen einander entgegengestellt, Fatima I, die Ereignisse vom 13. Mai bis zum 13. Oktober 1917, und Fatima II, später zu enthüllende, aber bereits damals geoffenbarte „Geheimnisse“ und weitere Mitteilungen oder Präzisierungen. Versuche, Fatima II zu diskreditieren, gelten spätestens seit Vorliegen der 2013 abgeschlossenen kritischen Gesamtausgabe der Fatima-Dokumente als überholt. [1] [2] Zum Kern der Botschaft von Fatima gehören demnach die Verehrung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, des Altarssakraments und des Unbefleckten Herzens Mariens, sowie prophetische Aussagen und der Wunsch Mariens, Russland Ihrem Unbefleckten Herzen zu weihen.

Wer sich über die Bedeutung dieser Botschaft für Deutschland Gedanken macht, für die Wiedergeburt Westdeutschlands nach 1945, aber auch für das Deutschland unserer Gegenwart, kann zwei Ebenen unterscheiden. Wie anderswo auch, fallen zunächst die von Fatima ausgehenden, wirkmächtigen Impulse zur Erneuerung des religiösen Lebens auf, die auch heute wieder fruchtbar werden können. Sodann wären diejenigen Aussagen im Kontext Fatimas zu untersuchen, die sich speziell auf Deutschland beziehen. Wie in der Russlandprophetie gilt auch für unser Land, „am Ende“ werde dort ihr Unbeflecktes Herz triumphieren. Beide Bedeutungsebenen werden in der hiermit weitergeführten Artikelserie wenigstens andeutungsweise betrachtet.

Die Wiedergeburt Westdeutschlands war auch das Werk zweier marianisch gesinnter Männer, Papst Pius‘ XII. und Konrad Adenauers (1876-1967). Nach einem Blick auf den Beginn der Fatima-Rezeption in Deutschland muss eine Skizze dieser Persönlichkeiten die Schilderung des Marienfrühlings in der jungen Bundesrepublik einleiten. Nach einer Diskussion der zahlreiche Forschungsfragen aufwerfenden Deutschlandprophetie vom 19. März 1940 öffnet eine Zusammenfassung der inneren Triebkräfte des kirchlichen Aufbruchs jener Jugendjahre der Bundesrepublik einen Blick auf die kirchliche Gegenwart, mit dem unsere Serie schließt.

Fatima-Rezeption in Deutschland

Die Botschaft von Fatima wird in Deutschland gegen nicht nur anfangs bestehende klerikale Widerstände bekannt. Ihre Rezeption beginnt mit der Grundsteinlegung des Santuário de Nossa Senhora de Fátima am 13. Mai 1928 in Gegenwart der portugiesischen Staatsführung und von rund 300.000 Pilgern. Die erst am Rosenkranzfest des marianischen Jahres 1954 eingeweihte Anlage beeindruckt noch heute: Von der Rosenkranzbasilika öffnen sich wie mit weit ausgebreiteten Armen großartige Kolonnaden den Pilgern. Die Berichterstattung über die Grundsteinlegung weckt die Aufmerksamkeit Ludwig Fischers (1890-1957), eines Priesters und Professors für Kirchengeschichte in Bamberg.

Seine 1930 publizierten Reiseeindrücke wecken auch in Deutschland Interesse an dem portugiesischen Wallfahrtsort.[3] Noch heute ergreift Fischers Schilderung einer Gebetsnacht auf den 13. Mai 1929: „Die Sonne war hinabgetaucht in den nahen Ozean. Vom Meere her wehte ein frischer Luftzug und kündigte eine kühle Nacht an. Da und dort saßen Pilgergruppen beisammen an einem kleinen Feuer – Holz dazu hatten sie von weit her mitbringen müssen – und nahmen ihr bescheidenes Nachtmahl ein. Ich stand oben am Rand der Cova da Iria, wo die Fundamente der künftigen Rosenkranzbasilika liegen, und schaute hinab in dieses von der Natur gebildete, große Amphitheater, in dem die Menschen auf und niederwogten wie im nächtlichen Sturm die Wellen des düsteren, von den Armen der Bergriesen festumschlossenen Alpensees. Da und dort flammte in diesem dunklen Talkessel ein Licht auf. Bald waren es Hunderte. Und aus den Hunderten wurden Tausende und Zehntausende. Der dunkle Talkessel ward in einen lebendigen Feuerkessel verwandelt.“

Erst im Jahre 1926 war die von Freimauren dominierte Regierung gestürzt worden, die aus der Ermordung des portugiesischen Königs und seines Thronfolgers 1908 und der Revolution des Jahres 1910 hervorging, die Hirtenkinder inhaftieren lies, sie mit dem Tode bedrohte, und die einsetzenden Wallfahrten um jeden Preis zu verhindern suchte. Unter einer vergleichbaren Regierung brach 1926 in Mexiko der Guerra Cristera (1926-1929) aus.[4]

Im religiösen Aufbruch in der jungen Bundesrepublik mag man die Erfüllung eines Gebets sehen, mit dem Fischer sein Fatima-Buch beschließt: „Gute Mutter, komme auch zu Deinem armen deutschen Volke, dem man vor vier Jahrhunderten den Glauben an Deine Gottesmutterwürde und das Vertrauen auf Deine mütterliche Liebe mit Gewalt aus dem Herzen gerissen hat. Führe es zurück zur Marienminne seiner Väter. Gute Mutter, komme auch zu uns und richte Deinen Gnadenthron auf in unseren deutschen Landen.“

Pius XII., ein Freund Deutschlands

Ein Höhepunkt der ersten Auslandsreise des bundesdeutschen Regierungschefs nach dem Zweiten Weltkrieg ist Adenauers Begegnung mit Pius XII. (1876-1958) im Jahr 1951, in der bis dahin längsten Audienz seiner Amtszeit. Als Präsident des Preußischen Staatsrats kannte Adenauer ihn bereits als Nuntius Eugenio Pacelli. „Schon der erste Eindruck, den ich von Pius XII. gewann, als er noch Nuntius in München und Berlin war“, äußert sich Adenauer im Alter, „war außerordentlich stark. Ich traf mit ihm zum ersten Mal aus Anlass des Katholikentags in München, dessen Präsident ich war, im Jahre 1922 zusammen. Wir Deutsche befanden uns in einer sehr bösen Lage. Er hat uns damals sehr geholfen."[5]

Zurück in Bonn berichtet Adenauer dem Bundestag, „man habe sich mehr über geistige und religiöse Probleme als über politische ausgesprochen. Der Papst zeige größtes Interesse für Deutschland und halte es für außerordentlich wichtig in seiner Abwehrstellung gegen den Osten. Man habe sogar im Vatikan den Vorwurf gegen den Papst erhoben, dass er sich zu sehr mit Deutschen umgebe und den deutschen Belangen zu große Aufmerksamkeit entgegenbringe“. Darin klingt bereits eine untergründige Verbindung zwischen Deutschland und in dem in der Botschaft von Fatima genannten Russland an. „Der Heilige Vater sprach die besten Wünsche für Deutschland aus und sagte dem Bundeskanzler, dass er für Deutschland bete. Der Heilige Vater zeigte sein lebhaftes Interesse an der Entwicklung der religiösen Lage in ganz Deutschland und zeigte sich dabei sehr unterrichtet“, resümiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 20. Juni 1951 und berichtet ihren Lesern, Adenauer habe im Anschluss an die Begegnung in stillem Gebet vor dem silbernen Sarg des Papstes Pius X. verharrt.

Weitere lange Privataudienzen gewährt Pius XII. Adenauer 1956 und 1957 anlässlich der Römischen Verträge am Fest Mariä Verkündigung dieses Jahres. Zum Tode Pius‘ XII. wird Adenauer an den Kardinaldekan schreiben: „Von Schmerz und Trauer erfüllt, spreche ich Eurer Eminenz im Namen der Bundesregierung und in meinem eigenen Namen zu dem schweren Verlust, der nicht nur die Kirche, sondern die ganze Menschheit betroffen hat, meine tiefempfundene Anteilnahme aus. In einer Periode schwerster Erschütterungen geistiger, sozialer und politischer Art hat der verewigte Papst die Geschicke der Kirche mit bewunderungswürdiger Weisheit gelenkt und der Welt ein leuchtendes Vorbild gegeben. Das ganze deutsche Volk, in dessen Mitte er jahrelang segensreich gewirkt hat und dem er in Zeiten größter Not tatkräftige und wirksame Hilfe in seelischer und materieller Hinsicht zuteilwerden ließ, wird seiner stets ehrfurchtsvoll und dankerfüllten Herzens gedenken.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
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[1] A. ZIEGENAUS (2017): Das Problem des Beginns der Herz-Mariä-Verehrung in den Schriften Lucias, in: Fatima – 100 Jahre danach. Mariologische Studien XXV, hrsg. von Manfred HAUKE, Regensburg 2017, 74ff.
[2] M. HAUKE (2016): Die Engelserscheinungen von Fatima 1915-1916. Historische und theologische Bestandsaufnahme, in: Theologisches, Jg. 46, Nr. 07/08, Juli/August 2016, Sp. 323ff.
[3] L. FISCHER (1930): Fatima. Das portugiesische Lourdes. Reiseeindrücke, Kirnach-Villingen.
[4] 2016 wurde José Sánchez del Río (1913-1928) heiliggesprochen, Zeit- und Leidensgenosse der Hirtenkinder von Fatima. Sein Martyrium wurde verfilmt: For Greater Glory: The True Story of Cristiada (2012).
[5] Zitiert in: D. u. W. KOCH (2015): Konrad Adenauer – Der Katholik und sein Europa, Kißlegg 22015, 70.

Eine Begegnung mit dem Prager Weihbischof Václav Malý

Der Dissident mit dem Hirtenstab

Der Prager Weihbischof Václav Malý (geb. 1950) kann auf einen außergewöhnlichen Lebensweg zurückblicken. Die meisten Tschechen kennen ihn als Moderator der Massendemonstrationen vom November 1989. „Durch einen ausgesprochenen Zufall“, wie er heute betont, sei er damals zur Schlüsselfigur der sog. „Samtenen Revolution“ geworden. Jedenfalls wurde Papst Johannes Paul II. auf ihn aufmerksam und ernannte ihn 1996 zum Weihbischof. Bereits 1977, ein Jahr nach seiner Priesterweihe, hatte Václav Malý die sog. „Charta 77“ für Gerechtigkeit und Freiheit mitunterzeichnet. Dieses Engagement kam ihm teuer zu stehen. 1979 wurde ihm die „staatliche Genehmigung des priesterlichen Dienstes“ aberkannt und wenig später saß er wegen „Republik-Subversion“ sieben Monate im Gefängnis. Der bekannte Fernseh-Journalist Joachim Jauer, der durch seine Arbeit für das ZDF zum „Chronisten“ der Wende in Osteuropa geworden ist, kennt Václav Malý seit 30 Jahren. In seinem Beitrag lässt er miteinfließen, wie der Prager Weihbischof auf die derzeitige Situation in Europa blickt.[1]

Von Joachim Jauer

Weltanschauungen sind wichtig, aber ebenso wichtig ist zu bedenken, dass auch der andere eine Wahrheit haben kann“, sagt der Prager Weihbischof Václav Malý. Und weiter: „Das haben wir damals gelernt und das ist für mich eine Lehre in meinem heutigen Amt als Bischof.“

Damals, das waren die bleiernen Jahre der kommunistischen Diktatur in der Tschechoslowakei, die Siebziger und Achtziger nach der gewaltsamen Beendigung des „Prager Frühlings“ 1968. Damals, das war die kurze Zeit, in der Václav Malý öffentlich Priester sein durfte, ganze zwei Jahre nach seiner Weihe im Jahr 1976.

Rechte Hand von Václav Havel

„In der Wahrheit leben“ war damals das Leitwort des Schriftstellers Václav Havel, der Oppositionelle aller Weltanschauungen um sich sammelte, Sozialdemokraten, Konservative, Gewerkschafter, Katholiken und sogar kritische Kommunisten. Havel war der Vordenker des Widerstands und der junge Priester Václav Malý wurde seine rechte Hand. Wahrheit ist für Bischof Malý auch heute „ein Programm für das ganze Leben“, damals gegen die Vorwärtslüge der Kommunisten, heute gegen die Verdummung durch die Populisten von rechts.

Heute ist Malý Bischof in einem Land, in dem die katholische Kirche nicht mehr verfolgt wird wie zu kommunistischen Zeiten. Doch die übergroße Mehrheit der Tschechen, über 70 Prozent, fühlt sich heute keiner Konfession zugehörig, ein Grad der Säkularisierung vergleichbar nur mit den östlichen Bundesländern in Deutschland. Und für die postkommunistische Republik registriert Weihbischof Malý eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. „Viele der Reichen haben sich auf unehrliche Weise bereichert. Sie haben Vieles aus dem Staatseigentum gestohlen, natürlich nicht alle, aber solche, die in der Politik tätig sind. Es kam nicht zu einer Buße. Jeder von uns war vor der Wende mitverantwortlich für das Antlitz des kommunistischen Systems. Da gab es selbstverständlich Unterschiede, aber man hat die Mitverantwortung nicht bekannt. Man hat gesagt, das war alles die Sache der Kommunisten, aber wir sind unschuldig.“

Priester mit Berufsverbot

Vor genau dreißig Jahren, im Herbst 1987, bin ich Václav Malý zum ersten Mal begegnet. Das ZDF hatte zu einem Empfang in Prag eingeladen, um den Dialog mit den tschechoslowakischen Medien zu fördern und damit die Arbeitsmöglichkeiten für uns Korrespondenten zu verbessern. Ich hatte gerade meine Berichterstattung aus Ost- und Mitteleuropa begonnen. Nach Jahren in der DDR hatte ich darum gebeten, dass neben den offiziellen Vertretern von Staat, Partei und Medien auch Aktivisten der Opposition eingeladen würden.

So stand am Rande der großen Gruppe von Nadelstreifenträgern mit und ohne Parteiabzeichen völlig allein ein junger Mann in einem bunten Pullover. Als wir uns bekannt machten, erfuhr ich sehr schnell, dass dieser ungewöhnliche Gast unter all den Offiziellen Sprecher der „Charta 77“ und katholischer Priester war. Die Charta vereinte Bürgerrechtler und bildete den Kern der Opposition gegen das kommunistische Regime. Einander vorgestellt hat uns ein Prager Mitarbeiter deutscher Journalisten. Er hat zugleich viele Jahre über uns beide der tschechischen Staatssicherheit berichtet. Denn der oppositionelle Geheim-Priester und ich hielten weiterhin Kontakt. Dabei hat der Agent als Dolmetscher geholfen. Eine Analyse seiner Tätigkeit nennt den Mann: „tüchtig, aktiv, diszipliniert, initiativ, erfahren, bei Verhandlungen mit Menschen kreativ, kann sich Vertrauenswürdigkeit schaffen“. Der Mann, der sich als Anhänger Havels und Freund Malýs ausgegeben hatte, wurde erst geraume Zeit nach der Wende enttarnt.

Sehr schnell erfuhr ich damals, dass Václav Malý sein Priesteramt nicht ausüben durfte, also weder öffentlich Eucharistie feiern, noch predigen oder Gemeindearbeit leisten konnte. Weihbischof Malý begründet das heute so: „Anfang 1977 entstand die Charta und ich habe diese Erklärung unterzeichnet. Das war für mich eine Lebensentscheidung. Ich hatte Menschen in der Kirche ermutigt, tapfer zu sein und in der Wahrheit zu leben. Aber zu der gesellschaftlichen Lage habe ich geschwiegen. Diesen Widerspruch habe ich gespürt und das war für mich eine Befreiung. Das habe ich dann auch in der Kirche öffentlich gesagt. Ich kritisierte das System und ich ermutigte die Gläubigen, nicht leise zu schimpfen und laut zu schweigen.“

Schon während des Theologiestudiums hatte Malý die dubiose Organisation „Pacem in terris“ scharf kritisiert, der Priester angehörten, die mit dem Regime kollaborierten. Ihm wurde deshalb zunächst von der Kirchenleitung die Priesterweihe verweigert. Im Juni 1976 wurde er dann doch regulär im Prager Veitsdom geweiht. Später wurde er auch Gründungsmitglied des „Komitees zur Verteidigung der ungerecht Verfolgten“. Die Folge war, dass der Staat ihm die Lizenz entzog, in der Öffentlichkeit als Priester zu arbeiten.

Wieder kritisierte auch die Kirche Malýs Engagement, weil sie weitere Konfrontation mit dem kommunistischen Regime vermeiden wollte. Es gab lange Zeit Probleme auch mit dem damaligen Kardinal Tomasek, weil der junge Priester sich nach dessen Ansicht zu stark in der Opposition engagiert hat. „Das war für mich schmerzlich“, erinnert sich der Weihbischof.  „Ich wurde verachtet, dass ich mich nur für Politik interessiere, aber ich war immer Priester und ich wollte das Priestertum nicht verlassen. Es war sehr schwierig, dies dem Kardinal und anderen zu erklären. Also ich war für sie ein verlorener Sohn. Und ich hatte mehr Verständnis in den Reihen der ‚Chartisten 77‘, die nicht gläubig waren.“ Erst zwei Jahre vor der Wende hat der greise Kardinal den „verlorenen Sohn“ in die Arme geschlossen.

So ging Malý einen sehr einsamen Weg als geheimer Priester. „Selbstverständlich war das Berufsverbot sehr schwer für mich“, sagt Malý, „ich habe begonnen, manuell zu arbeiten“. Ein freundlicher Ausdruck dafür, dass der Staat ihm Strafarbeit auferlegte. Doch zunächst kam Václav Malý ins Gefängnis. Er blieb sieben Monate in Haft.

„Die Monate im Gefängnis, die waren unangenehm, aber geistlich eine sehr wichtige Zeit“, erinnert sich Malý. „Man hat mich in eine Zelle mit Mördern gesteckt, schlimme Leute. Einer hat die Mutter von zwei Kindern umgebracht, der zweite hat seine Mutter, der dritte hat einen Taxi-Chauffeur ermordet. Und ich musste mit ihnen zusammenleben. Die Zelle mit der Toilette war zwei Meter mal vier Meter, also sehr klein. Ich musste mich dort vor den anderen nackt ausziehen. Und ich habe erfahren, wie wichtig es ist, mit Menschen zu kommunizieren, die nicht so sympathisch sind. Ich habe gelernt zu beten.“

Arbeiter-Priester

In den Jahren danach arbeitete Malý als Heizer in verschiedenen Prager Hotels. Öffentlich lebte er das normale Leben eines Arbeiters, geheim hat er als Priester gewirkt. Er hat in Wohnungen Eucharistie gefeiert, Bibelstunden gegeben, Taufen und Hochzeiten vorbereitet. Das war ein Netzwerk von Katholiken in und um Prag, zur Sicherheit nur kleine Gruppen, fünf, sechs oder zehn Menschen. Später wurde der „Arbeiter-Priester“ als Toiletten-Reiniger für die U-Bahnbauer eingesetzt. „Das waren Leute, die nichts von der Kirche gekannt haben. Ich wurde immer wieder gefragt: Du bist Priester, was ist das? Sie haben viel getrunken, sie haben gestohlen. Meine Arbeit und die Gespräche mit den Arbeitern, das war eine gute Schule.“

Der Revolutionär mit dem Vaterunser

Herbst 1989: Wie bei einem Dominoeffekt kam das Ende von Moskaus Satelliten. In Berlin erzwangen Zehntausende am 9. November die Öffnung der Mauer. Am Tag nach dem Mauerfall wurde in Bulgarien der kommunistische Diktator Shiwkow gestürzt. In Polen hatte die Solidarnosc bereits freie Wahlen durchgesetzt und eine erste demokratische Regierung erkämpft. Ungarn war auf dem Weg zur Demokratie. Nur eine Woche nach der Öffnung von Mauer und Grenze zur Bundesrepublik begann im tschechischen Prag und im slowakischen Bratislava die „Samtene Revolution“. Niemand aus der Charta-Opposition hatte Malý jemals predigen gehört, doch nun sollte der Priester, der „reden kann“, Moderator der Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz werden. Er rief die Menschen zu Gewaltlosigkeit auf und kündigte Reden der prominenten Führer der Opposition an, den Schriftsteller Václav Havel und den Ex-Kommunisten Alexander Dubcek. Den Höhepunkt der „Samtenen Revolution“ setzte aber Malý selbst. Zwei Polizisten in Uniform traten vor einer Million Menschen auf und baten um Verzeihung für die vielen Prügel gegen Demonstranten. Václav Malý forderte die Menge auf, den Polizisten zu vergeben, denn jeder sei in der Diktatur schuldig geworden, durch Schweigen, Wegschauen oder durch Mittun.

„Die Menge ist versammelt und ruft Freiheit, etwas Neues kommt“, erinnert sich Weihbischof Malý, „also versuchte ich den Menschen zu zeigen: Das ist ein Geschenk von Gott, der vergibt. Das ist nicht nur Folge der veränderten politischen Lage in der Welt, damals Gorbatschow, der Papst Wojtyla, die polnische Solidarnosc – die haben Verdienste auch für unsere Freiheit. Deshalb habe ich in dem Moment den Mut gehabt, das Vaterunser zu beten.“ Und ergänzt: „Man hat mich dafür kritisiert, manche waren schockiert, aber ich würde das wieder machen, also ich bereue das nicht.“

Nach der Revolution schlug Václav Malý das Angebot des neuen Staatspräsidenten Havel aus, ein Ministeramt in der demokratischen Regierung zu übernehmen. Malý wurde endlich Pfarrer einer Prager Großstadt-Gemeinde, doch schon wenige Jahre später, Anfang 1997, wurde er zum Bischof geweiht. Ernannt hatte ihn Papst Johannes Paul II., der den Kommunismus wie Malý „auf der eigenen Haut erlebt“ hatte, so der Prager Kardinal Miloslav Vlk, Malýs damaliger Chef.

Heue bekennt sich in der Tschechischen Republik nur eine Minderheit der Bevölkerung, jeder fünfte Tscheche, zu einer Religionsgemeinschaft, auch ein Ergebnis von 40 Jahren atheistischer Propaganda durch die Kommunistische Partei. Heute bezeichnen sich 78 Prozent der Bevölkerung als konfessionslos oder machen keine Angaben zu einer Religion. Das trifft auch die katholische Kirche. Nur jeder zehnte Tscheche nennt sich bei Umfragen römisch-katholisch. Auch mit dieser geringen Zahl bleibt die katholische Kirche noch größte Religionsgemeinschaft Tschechiens. Im böhmischen Landesteil rings um Prag ist die Entchristlichung am weitesten vorangeschritten, viele Kirchen stehen dort leer. Im südlichen Mähren sind dagegen – laut KNA – noch Reste einer katholischen Volkskirche erkennbar.

Zwei oder drei, manchmal fünf

Bischof Malý sagt: „Wir sind weniger geworden. Wir sind vor allem eine städtische Kirche, keine Volkskirche mehr und keine Nationalkirche. Die kirchlichen Zentren liegen in den Städten, nicht auf dem Lande. Aber es gibt eine neue Generation von Konvertiten. In jeder größeren Pfarrgemeinde werden jedes Jahr zu Ostern einige Konvertiten getauft, zwei oder drei, manchmal fünf.“ Das ist seine Hoffnung für die Zukunft. „Dabei müssen wir vor allem eine dienende Kirche sein, also eine Kirche für alle, die etwas Geistliches suchen. Doch viele, die auf der Suche sind, identifizieren sich nicht mit der christlichen Lehre. Aber auch um diese Menschen muss sich die Kirche kümmern. Wir müssen sie ertragen.“

Eine Generation von Sklaven

Daniel Herman, Ex-Priester und ehemals Sprecher der tschechischen Bischofskonferenz, ist zurzeit christlich-demokratischer Kulturminister in Prag. Er erklärte in einem ARD-Interview die Seelenlage der Tschechen heute mit einem biblischen Vergleich: Aus Ägypten sei nach dem Exodus der Juden vor 3000 Jahren eine Generation von Sklaven hervorgegangen. Nach der Reise durch die Wüste sei es nach 40 Jahren zu einem Generationswechsel gekommen und in das Land Kanaan sei dann eine neue Generation frei denkender Leute eingezogen. Also: Eine Rekonstruktion der Ökonomie oder der Fassaden sei nicht so kompliziert. Aber eine Rekonstruktion der Herzen, der Mentalität, das ist nach Ansicht von Minister Herman ein Prozess, der länger als nur eine Generation dauert.

Demokratie, die stolpert

„Es herrschte eine Naivität nach der Samtenen Revolution, nach der Wende“, sagt Bischof Malý. „Alles wird gut gehen, wir werden sehr bald reich sein und die Demokratie ist etwas Selbstverständliches.“ Doch Demokratie bedeute Lernen, sie sei keine fertige Sache. Nach Malýs Meinung stolpert die Demokratie in Tschechien bis heute. Die Zahl der Euroskeptiker ist unter Politikern und Bürgern Tschechiens groß. Malý aber besteht darauf, dass die Europäische Union ein Projekt für die Sicherheit und die Demokratie auch seines Landes ist. Mit seiner Forderung nach „einem offenen Herzen für Migranten“, steht er gegen die verbreitete öffentliche Meinung. „Wenn unsere Politiker sagen, wir verteidigen unseren Staat und deshalb wollen wir praktisch keinen Flüchtling“, dann nennt das der Bischof „eine Schande“.

Regelmäßig besucht Malý, der an der Spitze der tschechischen Kommission von „Justitia et Pax“ – „Gerechtigkeit und Frieden“ – steht, Länder, in denen die Menschenrechte nicht respektiert werden, zuletzt Süd-Sudan und Sudan, Uganda und Indien. „Damals habe ich aus dem Westen selbst viel Hilfe und Solidarität erhalten. Heute gebe ich das zurück. Ich fühle mich verpflichtet, diese schikanierten und leidenden Menschen zu besuchen und sie zu ermutigen: Bitte, haltet aus! Ich bin kein Retter, nur ein ganz normaler tschechischer Bürger, der unterdrückt wurde und der weiß, was Kampf für Menschenrechte bedeutet. Ich besuche nicht nur Kirchen, sondern auch die Familien der politischen Gefangenen.“

Der Dissident mit dem Hirtenstab wählte den Wahlspruch „POKOR A PRAVDA“ – „Demut und Wahrheit“. Er ist auch heute mit vielen seiner Überzeugungen ein einsamer Mahner. Aber das hat er ja früh gelernt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Anmerkung: Der Artikel wurde am 22. Oktober 2017 in „Christ in der Gegenwart“ (43/2017) veröffentlicht (vgl. www.christ-in-der-gegenwart.de).

Museum für die Opfer der kommunistischen Repression im Nordural eröffnet

Fatima und Gulag

In einem katholischen Gotteshaus hat die Kulturabteilung des Landkreises Tscherdyn im Nordural ein Museum für die Opfer der Repressionen unter kommunistischer Herrschaft eingerichtet. Die Kirche ist Unserer Lieben Frau von Fatima geweiht und befindet sich in dem Ort Rjabinino am nordöstlichen Rand der Erzdiözese der Gottesmutter von Moskau. Der zuständige Erzbischof Paul Pezzi feierte dort am 13. Oktober 2017 mit dem verantwortlichen Pfarrer Erich Maria Fink zunächst den 100. Jahrestag der letzten großen Marienerscheinung von Fatima. Im Anschluss an den Festgottesdienst eröffnete er zusammen mit politischen Vertretern das Museum, das sich im Untergeschoß des Kirchengebäudes befindet. Fatima-Kirche und Gedenkstätte für die Opfer des Gulags bilden eine bemerkenswerte Kombination. Die Verbindung wirft ein Licht auf die Voraussagen der Gottesmutter über die Leiden, die eine atheistische Ideologie in Russland heraufbeschwören wird, aber auch auf die verheißene Befreiung durch das Eingreifen Gottes in die Weltgeschichte.

Von Erich Maria Fink

Der Bau der Fatima-Kirche in Rjabinino im hohen Norden des Ural ist eine einzigartige Geschichte der göttlichen Vorsehung. Auf den Ort, der 130 km nördlich von unserem seelsorglichen Zentrum in der Stadt Beresniki liegt, wurde ich erst durch ein Mädchen aufmerksam gemacht, das an der eucharistischen Nachtanbetung zum Abschluss des Eucharistischen Jahres am Samstag, den 29. Oktober 2005, in unserer Pfarrkirche teilnahm. Nach der Gebetswache fragte sie mich, warum ich noch nie in ihr Dorf gekommen sei. Da gäbe es auch Gläubige und sie selbst sei in Riga katholisch getauft worden. An Weihnachten desselben Jahres feierten wir bereits die erste hl. Kommunion einiger Mitglieder der Gemeinde, die dort entstanden war.

Bau einer Fatima-Kirche

Vor allem Valentina Vechkalachti, die im dortigen Kulturzentrum für die Jugend zuständig war, hatte Feuer gefangen und war zum Schlüssel für den Aufbau der neuen Pfarrei geworden. Immer tiefer wuchs sie in diese Leitungsaufgabe hinein und trat schließlich auch offiziell in die katholische Kirche ein; denn sie stammte eigentlich von reformierten Vorfahren aus Finnland ab und war orthodox getauft. Sie spürte immer deutlicher den Wunsch, dass in Rjabinino eine Kirche gebaut werden sollte, und warf alle ihre Kräfte in die Waagschale, um dem Projekt zum Erfolg zu verhelfen.

Am 13. Mai 2006 kam sie ganz überraschend nach Beresniki. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie in einem Oka, dem kleinsten russischen Automodell, eine mehrstündige Fahrt auf sich genommen, um ihrer Sehnsucht nach einem Gotteshaus Nachdruck zu verleihen. Valentina wusste weder, dass es das Fest Unserer Lieben Frau von Fatima war, noch, dass mir zwei Wochen zuvor in Deutschland das Angebot gemacht wurde, den Nachlass einer verstorbenen Frau zu erhalten, falls wir eine Fatima-Kirche bauen würden. Auf das Angebot hatte ich sehr zurückhaltend reagiert, da ich keinerlei Pläne für einen weiteren Kirchenbau hatte. Doch in diesem Augenblick wurde mir klar, dass Gott in Rjabinino diese Kirche haben wollte.

2007 wurde von Bischof Dr. Walter Mixa der Grundstein gelegt. Nach zehnjähriger Bauzeit konnte sie am 22. August 2017 von Erzbischof Paul Pezzi aus Moskau eingeweiht werden. Am 21. Dezember desselben Jahres verstarb Valentina an Krebs. Sie hatte sich für ihr Werk ganz im Geist der Fatima-Botschaft aufgeopfert.

Museum für die Opfer des Gulag

In Rjabinino wohnt eine Frau, Larissa Moch, welche ich bislang nicht gekannt hatte. Seit vielen Jahren leitet sie die Kulturabteilung des Landkreises Tscherdyn, einer Stadt, die nur wenige Kilometer von Rjabinino entfernt liegt. Letztes Jahr kam sie auf mich zu und fragte mich, ob wir nicht eine Räumlichkeit in unserer neuen Kirche zur Verfügung stellen könnten, um ein kleines Museum für die Opfer der kommunistischen Repression einzurichten. Eigentlich hätte der Landkreis den früheren Kindergarten dafür vorgesehen, doch sei sie mit dem Bürgermeister bisher zu keinem Ergebnis gekommen. Ich zeigte ihr das Untergeschoß unserer Kirche und sie reagierte regelrecht betroffen. Ihr Projekt, das sie schon vollständig ausgearbeitet habe, bestehe aus zwei Teilen: ein Teil aus der Geschichte der Deportierten während des Zweiten Weltkriegs in den Arbeitslagern und der andere Teil aus deren Geschichte danach, als sie begannen, sich mit ihrem Schicksal abzufinden und eine neue Heimat aufzubauen. Der Raum aber besitzt nach dem Grundriss der Kirche in der Form eines Herzens, welche ein Hinweis auf das Unbefleckte Herz Mariens darstellt, zwei „Flügel“. Und Larissa Moch rief begeistert aus, die beiden Ausbuchtungen seien für ihr Vorhaben wie geschaffen. So machten wir uns ans Werk und richteten das Museum ein. Dabei wurde der größte Teil der Einrichtung vom Landkreis finanziert, die Möbel, die technische Ausstattung, die Nachbildung der Baracken, die Tafeln und Vitrinen. Natürlich erlebte Larissa auch große Widerstände, doch setzte sie sich mit großer Energie bei allen Behörden für ein Gelingen ein. Mit Hilfe der Experten der staatlichen Museen in Tscherdyn und dem Material, das die noch lebenden Deportierten oder deren Nachkommen zur Verfügung stellten, verwirklichte sie Schritt für Schritt die neue Gedenkstätte. Wir schlossen einen Vertrag mit der regionalen Kulturabteilung, so dass das Museum nun einen Teil der staatlichen Kulturdenkmäler bildet und in die offiziellen Besichtigungsfahrten und Führungen einbezogen wird. An den Straßen sind bereits Schilder aufgestellt, die auf unsere Fatima-Kirche hinweisen.

Patrozinium am 13. Oktober 2017

Bevor die Kirche im Jahr 2015 eingeweiht wurde, wählte Erzbischof Pezzi den 13. Oktober als Datum für unser Patrozinium aus. Dies hat zwei Gründe: Im großen kreuzförmigen Apsis-Fenster hat ein Künstler das Sonnenwunder dargestellt, das sich am 13. Oktober 1917 vor etwa 70.000 Menschen ereignet hatte. Außerdem wurde in den Altar eine große Reliquie des hl. Simpert von Augsburg aufgenommen, welche uns Bischof Mixa bei seinem Besuch im Jahr des Simpert-Jubiläums überbracht hatte. Und das Fest dieses Schutzheiligen der Diözese Augsburg wird ebenfalls am 13. Oktober gefeiert, da er nach der Überlieferung am 13. Oktober 807 gestorben ist. Erzbischof Pezzi hatte nun von sich aus den Vorschlag gemacht, das Patrozinium am 100. Jahrestag der letzten großen Marienerscheinung von Fatima mit uns in Rjabinino zu feiern. Er brachte außerdem den Wunsch zum Ausdruck, vor dem Gottesdienst eine mindestens zwei Kilometer lange Prozession, also eine Art Fußwallfahrt durchzuführen. Doch der Oktober ist im Ural nicht unbedingt für ein solches Unternehmen geeignet. Der Himmel aber hatte wieder einmal seine Hand im Spiel. Trotz aller gegenteiligen Wetterprognosen hatten wir weder Schnee noch Regen, sondern einen Sonnenschein, den die Mitfeiernden an das Sonnenwunder in Fatima erinnerte.

Dazu kam, dass eine geistliche Gemeinschaft aus Portugal, die sich „Gruppe der Immaculata“ nennt, auf dem Gelände vor unserer Kirche ein sog. „Monument“ errichtet hatte, das hinter Glas eine Fatima-Statue birgt und nachts beleuchtet ist. Diese Statue wurde zu Beginn der Prozession vom Bischof gesegnet und gekrönt, unter Begleitung einer Blaskapelle bei der Prozession mitgeführt und nach der Ankunft an der Kirche feierlich im Monument aufgestellt. Dabei wurde vom Erzbischof und allen Mitfeiernden eine Weihe des Ortes und seiner Familien an das Unbefleckte Herz Mariens vollzogen und mit dem Te Deum abgeschlossen. An der Feier nahmen außer den ortsansässigen Leuten 47 Pilger aus Deutschland und mehr als 100 Gläubige aus Beresniki teil. Der nun folgende feierliche Gottesdienst mit Chören, Orgel und Blaskapelle und teilweise deutschen Liedern war natürlich der Höhepunkt des Tages.

Eröffnung des Museums

Doch die große Besonderheit war die abschließende Eröffnung des Museums. Larissa Moch hatte bewusst den Rahmen des Patroziniums für diesen Anlass gewählt. Außerdem war Tscherdyn im Jahr 2017 zur Kulturhauptstadt der Permer Region gewählt worden. So konnte die Eröffnung des Museums in das Programm des Tscherdyner Kultur-Jahres aufgenommen werden. Zusammen mit dem Erzbischof durchschnitt sie das Band vor der noch verschlossenen Eingangstür im unteren Hof, während ein Trompeter einen feierlichen Choral blies. Nach dem Segen des Bischofs betraten die Gäste das Museum, wo nun ein zweistündiges Programm auf sie wartete. Es war überwältigend. Auch ich konnte mich der Tränen nicht mehr erwehren, als von einer Schauspielgruppe das Leben in den Baracken nachempfunden und das reale Schicksal zahlreicher deportierter Russlanddeutscher aufgezeigt wurde. Erzbischof Pezzi sagte in seiner Ansprache, dass von einem solchen Museum eine neue Hoffnung ausgehen könne. Und auch die politischen Redner unterstrichen immer wieder, dass wir aus der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft lernen müssten, damit sich solche Repressalien nie mehr wiederholten. Abgerundet wurde die Zeremonie durch ein Konzert verschiedener Gruppen aus Rjabinino, beginnend mit einem Lied, einer Liebeserklärung an den Ort, welche Valentina Vechkalachti gedichtet und komponiert hatte.

Gedenktag für die Opfer der politischen Repressionen

Bereits kurze Zeit später veranstaltete der Landkreis Tscherdyn den offiziellen Gedenktag für die Opfer der politischen Repressionen in unserem Museum. Nach einem Regierungserlass vom 18. Oktober 1991 wird dieses Gedenken jeweils am 30. Oktober begangen. Der Tag hat seine Vorgeschichte: Seit 1974 führten politische Häftlinge an diesem Tag einen überregionalen gemeinsamen Hungerstreik durch, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen.

Dieses Jahr nun organisierte der Landkreis Tscherdyn aus dem ganzen Gebiet den Transport der noch lebenden Opfer des Gulags nach Rjabinino. Insgesamt versammelten sich fast 70 Personen in unserem Museum. Es waren wieder tiefe emotionale Momente, vor allem, als der Landrat – soweit es ihm zusteht – sich für das vom Staat an den Opfern verübte Unrecht entschuldigte. Er brachte zum Ausdruck, wie schwer es sei, mit diesem Teil der Geschichte fertigzuwerden. Aber es müsse darüber offen gesprochen werden. Nur so könne diese Vergangenheit aufgearbeitet und den Betroffenen wenigstens eine gewisse Wiedergutmachung erwiesen werden. Umgekehrt brachten vor allem die Russlanddeutschen, die in der Sowjetzeit ihr ganzes Leben als Faschisten und Feinde des Volkes ausgegrenzt worden waren, ihre Dankbarkeit zum Ausdruck. Durch ein solches Museum werde ihnen wirklich ihre Würde zurückgegeben, werde wirklich deutlich, dass es der Gesellschaft mit der Versöhnung ernst sei. Sie hätten sich in der Vergangenheit nie träumen lassen, dass einmal ihr Schicksal in einem eigenen Museum gezeigt werde. Wieder wurden Lieder gesungen, auf der Leinwand die einzelnen Personen mit ihren Familien vorgestellt, das Museum erklärt, Geschenke verteilt und ein kleines Büffet angeboten.

Für unsere Pfarrei hat dieses Datum im Zusammenhang mit der kommunistischen Unterdrückung noch eine zusätzliche Bedeutung. Drei Jahre lang, von 1958 bis 1961 hatte der ukrainische Priester Alexej Sarizkij im Geheimen für die russlanddeutschen Katholiken in Beresniki und Umgebung als Seelsorger gearbeitet. Als sein Wirken aufflog, wurden ihm zunächst die Zähne ausgeschlagen. Schließlich kam er in das Straflager Dolinka bei Karaganda in Kasachstan, wo er eben am 30. Oktober 1963 den Misshandlungen erlag. Am 27. Juni 2001 wurde er von Papst Johannes Paul II. in Lemberg bzw. Lviv, der ursprünglichen Heimat Sarizkijs, seliggesprochen.

Wissenschaftliche Konferenz „Gulag – der Anfang“

Vom 10. bis 12. November 2017 fand in unserer Gebietshauptstadt Perm eine „wissenschaftlich-praktische Konferenz“ über die politische Repression in Russland statt. Aus Anlass der Revolutionen im Februar und Oktober 1917 sowie des „Großen Terrors“, der stalinistischen Säuberungsaktionen 1937 (1936-38), beschäftigten sich Historiker aus ganz Russland, Fachleute und Professoren, mit den Forschungsergebnissen zum Thema „Gulag – der Anfang“. Veranstalter waren der Verband der Museen Russlands, das Kultusministerium der Permer Region sowie die Gedenkstätte politischer Repressionen.

Die Tagung, zu der ich offiziell eingeladen wurde, begann mit einer Exkursion zum berühmten Lager „Perm-36“. Es handelt sich um die einzige Gedenkstätte dieser Art in ganz Russland. Ein ehemaliges Lager für politische Gefangene, das von 1943 bis zu seiner Schließung 1987 in Betrieb war, wurde nach der Perestroika von einem privaten Verein, der russischen Nichtregierungsorganisation „Perm-36“, in eine Gedenkstätte umgewandelt. 1995 wurde es als Museum eröffnet und seit 2005 zum Schauplatz des jährlichen Festivals „Pilorama“ – „Sägewerk“. Der Name kommt daher, dass die Gefangenen in diesem Lager ein dort aufgebautes Sägewerk betreiben mussten.

Vor vier Jahren gab es einen riesen Wirbel, der auch international große Beachtung fand. Denn die staatlichen Behörden entzogen dem Verein die Verantwortung für dieses Museum und richteten eine staatliche Leitung ein. Grundsätzlich wäre dies eine Selbstverständlichkeit, denn ein KZ Auschwitz-Birkenau steht heute als Gedenkstätte und Museum natürlich auch unter staatlicher Aufsicht. Doch bestanden große Bedenken, Russland könnte die Stätte „Perm-36“ völlig beseitigen oder zumindest bis zur Unkenntlichkeit „neu ausrichten“. In Deutschland hieß es, nun werde „die Erinnerung an Stalin und die Repression zur Stalinzeit getilgt“, es werde „ein Museum über das Lagersystem und nicht über politische Gefangene“ sein, die Fakten über „die politischen Häftlinge der 1970er und 1980er Jahre und die von den stalinistischen Repressionen Betroffenen“ würden geleugnet oder manipuliert.

Ich habe das Museum vor diesem Wechsel kennengelernt und mehrere Male das Festival „Pilorama“, das seit 2013 nicht mehr veranstaltet wird, miterlebt. Und so war ich sehr hellhörig, was nun aus diesem Museum geworden ist. Meines Erachtens haben sich die Befürchtungen nicht erfüllt. Alles, was ich in diesen Tagen erlebt habe, spricht im Gegenteil dafür, dass das Museum sehr gewonnen hat. Es werden Schritt für Schritt die wissenschaftlichen Ergebnisse in zahlreichen Ausstellungen präsentiert, Führungen mit einer Fülle an Informationen über die Häftlinge und deren Schicksal vermittelt, wie ich dies zuvor nie erlebt hatte. Vor allem konnte ich nirgendwo den Versuch erkennen, die dunkle Vergangenheit der Repression zu beschönigen oder gar zu unterdrücken. Das Einzige, das mir auffiel, war die sehr starke Betonung religiöser Verfolgung von Priestern und Gläubigen sowie eine Äußerung zum Thema Ukraine, jedoch ohne die derzeitige Lage zu beurteilen. Außerdem konnte ich feststellen, dass in den wenigen Stunden zahlreiche Besucher eintrafen, die von mehreren hauptamtlichen Führern in Empfang genommen und betreut wurden, auch Gruppen aus Westeuropa wie z.B. aus Holland. 

Noch verstärkt hatten sich diese Eindrücke bei der anschließenden Konferenz in der „Staatlichen Universalen Gorki-Bibliothek“ in Perm. Die Offenheit, in der das Thema in unzähligen Referaten behandelt wurde, überraschte mich sehr, auch die Gespräche, in denen unterschiedliche Sichtweisen ausdiskutiert wurden.

Am Ende wurde den Wissenschaftlern von Larissa Moch unser neues Museum vorgestellt. Sie hatte eine eindrucksvolle Präsentation mit Bildern und Anschauungsmaterial vorbereitet. Es war der einzige Vortrag, bei dem keine zeitliche Begrenzung vorgegeben wurde. Die Wissenschaftler nahmen das Projekt mit großem Interesse auf. Zugleich kündigte die Leiterin der Konferenz an, dass in Zukunft auch ein Besuch unseres Museums durch die Konferenzteilnehmer eingeplant werde, was sie eigentlich schon dieses Mal vorgesehen habe. Wie „Perm-36“ so ist auch unser Museum in seiner Art bislang in Russland einzigartig.

Bleibendes Zeichen für die Bedeutung Fatimas

Etwa 30 Millionen Menschen wurden in der UdSSR im Gulag unterdrückt, etwa 3 Millionen kamen ums Leben. Auf schreckliche Weise ging in Erfüllung, was die Gottesmutter in Fatima vorausgesagt hatte. Doch bleibt zu hoffen, dass in Russland auch die Befreiung durch das rettende Eingreifen Gottes und die damit verbundene Bedeutung der Weihe Russlands an das Unbefleckte Herz Mariens durch den Papst erkannt wird. Die Verbindung der Fatima-Kirche mit einem Museum für die Opfer der Repression ist dafür ein bleibendes Zeichen, ein Geschenk der Vorsehung Gottes.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Literatur zur Weihnachtszeit

Monika Fuchs ist Diplomtheologin und Mutter von drei Kindern. Seit 1989 ist sie mit Prof. Dr. Guido Fuchs verheiratet, einem Theologen und Publizisten mit Schwerpunkt Liturgie und religiöser Alltagskultur. 2006 gründete sie in Hildesheim einen eigenen Verlag, der auf Kinder- und Jugendbücher spezialisiert ist, aber auch religiöse Publikationen herausgibt wie nun das „Lesebuch zur Weihnachtszeit“.

Von Monika Fuchs

Weihnachten ist ohne Zweifel das beliebteste Fest im Jahr. Aber es ist auch gefährdet: durch Oberflächlichkeit, Geschäftsrummel, Verweltlichung, durch familienfeindliche Tendenzen und neue Formen von Intoleranz, innerkirchlich auch durch schwindendes Verständnis für die Volksfrömmigkeit. Pastor Winfried Henze, vielen unserer Leser durch seine Fernseh-Katechesen bei EWTN und seine Sendungen bei Radio Horeb bekannt, hat sich in seinem neuesten Buch „Freut euch!"[1] dem Fest von unterschiedlichen Seiten genähert – immer mit dem klaren Bestreben, das Wesen des Festes nahezubringen: Die Liebe Gottes ist sichtbar geworden im Kinde Jesus.

Auch wenn Henze in den zwölf Texten, die er für dieses „Lesebuch zur Weihnachtszeit“ zusammengestellt hat, konfliktträchtige Themen nicht auslässt, sieht er als Pfarrer und Publizist seine Aufgabe vor allem darin, Vorfreude zu wecken. Er entkräftet Stammtischparolen, bekämpft Missbräuche, liefert Protest-Texte, erzählt aber auch Nachdenkliches, Stimmungsvolles und einiges zum Schmunzeln. Man spürt: Diese Texte kommen direkt aus dem Gemeindeleben, erreichen aber vielleicht gerade deshalb auch Menschen, die eher am Rande der Kirche stehen, zu Weihnachten aber in besonderer Weise ansprechbar sind.

Die Texte sind alle leicht lesbar, es sind Erzählungen enthalten, Diskussionen über den Sinn unserer Weihnachtslieder und auch die Träumerei eines Dorfpfarrers, wie sich wohl die Heiligenfiguren in seiner Kirche auf den Weg zur Krippe machen würden.

W infried Henze, Jahrgang 1929, war Kaplan in Braunschweig, Bremen und Hildesheim, dort Pfarrer der Basilika St. Godehard und Redakteur der Kirchenzeitung, Landseelsorger in Egenstedt und seit 2003 in Adlum. Er ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem des in sechs Sprachen übersetzten Familien-Katechismus „Glauben ist schön“.

Insgesamt ist das neue Buch „Freut euch!“ eine schöne Weihnachtsgabe für Familie, Freunde und Mitarbeiter und ein preiswertes Mitbringsel in der Adventszeit.

Von Jutta Brück

Es sollte eine Überraschung für Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff zu seinem 80. Geburtstag sein. Dieses Buch[2] bezweckt keine „Beweihräucherung“ von Peter Dyckhoff – im Gegenteil. Auch er hat Ecken und Kanten, denn er ist gottlob ebenfalls „nur ein Mensch“. In 140 Kurzgeschichten mit mehr als 200 Farbfotos wird sein „kurvenreiches“ Leben skizziert und über sein geplantes Vermächtnis gesprochen – ernst, nachdenkenswert, aber auch humorvoll.

Die Erzählungen sollen nicht ausschließlich der Unterhaltung dienen; sie beinhalten meist auch Lebensweisheiten und -wahrheiten für „Hellhörige“. Die Worte von Persönlichkeiten aus Kirche, Öffentlichkeit und Kultur sowie die Beiträge von Lehrenden des Ruhegebetes, denen er sich allen sehr verbunden fühlt, lassen im zweiten Teil des Buches den „etwas anderen“ Pfarrer erkennen.

Das Buch vermittelt, dass gelebtes Christentum einen Menschen glücklich machen kann; dass der „Lauf des Lebens“ mehr ist als ein Lebenslauf; dass jeder Priester seinen eigenen Weg finden und gehen muss – auch gegen Widerstände; dass Umwege zum Priestertum steinig sein können; dass der zeitgemäße Priester mehr ist als ein „Schriftgelehrter“; dass Priester oft besondere „Kämpfe“ auszufechten haben; dass es auch Geistliche gibt, die über sich selbst lachen können…

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Winfried Henze: Freut euch! Ein Lesebuch zur Weihnachtszeit, 84 Seiten, brosch., Hildesheim 2017, ISBN 978-3-947066-07-0, 6,95 Euro. Bestellung über den Buchhandel oder auf www.verlag-monikafuchs.de
[2] Jutta Brück: Um Gottes Willen: ein Priester! Kurzgeschichten aus dem Leben des Peter Dyckhoff, geb., 323 S., Euro 19,80. ISBN 978-3-87707-106-9. In jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag Schmidt, Tel. 09161-88600, E-Mail: vds@verlagsdruckerei-schmidt.de

Martin Luther in der Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam

Die entscheidende Frage nach der Willensfreiheit

Einen Schwerpunkt der Gustav-Siewerth-Akademie in Weilheim-Bierbronnen bildet die Beschäftigung mit dem Denken Martin Luthers. Dazu wurde ein eigenes Institut für Lutherforschung eingerichtet. Als Beitrag zum 500-jährigen Gedenken an die Reformation veröffentlichte die Akademie ein umfangreiches Werk über die Auseinandersetzung Luthers mit Erasmus von Rotterdam über die Frage nach dem freien bzw. unfreien Willen des Menschen. Nachfolgend das Vorwort zur Publikation, die eine ausgesprochen positive Resonanz gefunden hat.[1]

Von Albrecht Graf v. Brandenstein-Zeppelin

Mein Vater war evangelisch, meine Mutter katholisch. Mein Großvater verfügte in seinem Testament, dass ich eine Burg nur erbe, wenn ich evangelischen Glaubens bin. Deshalb wurde ich evangelisch erzogen, meine Geschwister katholisch. In den ersten vier Lebensjahren erhielt ich als Nanny eine evangelische Ordensfrau, eine Diakonissin, die sich auf Kindererziehung spezialisiert hatte. Sie hieß Sr. Amalie Roos und war meine wichtigste Bezugsperson. Ich liebte sie, sie war sehr fromm. Mein Vater ging einmal im Jahr am Karfreitag im schwarzen Anzug in den evangelischen Gottesdienst. Meine Mutter ging mit uns jeden Sonntag in die katholische hl. Messe. Deshalb gab es an den meisten Sonntagen vormittags einen Streit in unserer Familie, weil mein Vater mit der Familie frühstücken wollte und meine Mutter zum Aufbruch in die Kirche aufrief. Anders als meine Geschwister durfte ich nicht zur Ersten Hl. Kommunion und auch nicht zur Firmung. Ich bekam keine Geschenke und fragte mich mein ganzes Leben lang, was eigentlich der Unterschied zwischen katholisch und evangelisch ist?

Ende der 90er Jahre wurde ich zum Rektor der Gustav-Siewerth-Akademie ernannt und durch das dort ansässige Lutherinstitut an die Theologie Martin Luthers herangeführt. Ich verstand, dass die entscheidende Weichenstellung in der Theologie Luthers die These vom unfreien Willen ist, womit der Mensch letztendlich keinen Einfluss auf sein Schicksal hat. Ein unfreier Wille des Menschen aber wirft folgende Fragen zu biblischen und heutigen Gegebenheiten auf:

Schuf Gott den Menschen als sein Abbild und damit als liebesfähiges Wesen? Musste er ihm deshalb nicht einen freien Willen zugestehen, weil ohne Freiheit und ohne Willensentscheidung die Liebe in Form der Hingabe an das Du nicht möglich ist?

Schließt die Freiheit der Willensentscheidung ein, dass ich mich auch gegen Gott und für die Selbstschädigung entscheiden kann?

Ist Gott die Liebe, die die freie Willensentscheidung des Menschen und der Engel respektiert, oder ist Gott verantwortlich für das Böse und das Gute, das der Mensch oder die Engel tun?

Ist es ein Liebesakt Gottes, dass er den Engeln, die ihm nicht dienen und die Liebe nicht leben wollten, einen Lebensraum geschaffen hat, wo sie leben können wie sie es möchten, oder ist in Gott das Böse, weil er die Hölle geschaffen hat, wo die von Gott Verdammten ewig schmachten müssen?

Kam der Tod in die Welt, weil Adam und Eva frei und willentlich gesündigt haben, oder hat Gott den Sündenfall mit der Erschaffung Evas schon vorherbestimmt, weil er doch wusste, dass sie der Schlange verfallen würde? Hat also Adam Recht, indem er Gott für seine persönliche Sünde die Schuld gibt und ihn anklagt, dass die Frau, die er ihm gegeben hat, das Unheil gebracht hätte?

Erleiden wir Menschen wegen der willentlichen und freien Abwendung Adams von Gott den Tod und die Folgen der Erbsünde oder hat Gott den Tod gewollt und gemacht? Ist also die biblische Aussage richtig, dass alles Leid dieser Welt, einschließlich der Tod, die Folge der freien und willentlichen Abwendung des Menschen von Gott ist? Ist der Mensch vorherbestimmt, durch den alles wirkenden Gott, der in seiner Allmacht unberechenbar ist?

Stellt sich Gott ohnmächtig und respektiert die freie Willensentscheidung des Menschen bis hin zur radikalen Selbstschädigung? Hat der barmherzige Vater deshalb sein halbes Vermögen verkauft, um es seinem zweiten Sohn zu geben, der es haben und seinen Weg ohne den Vater gehen wollte? Oder war das Schicksal beider Söhne vorherbestimmt und führte die Vorherbestimmung Gottes beim zweiten Sohn alles zum guten Ende, weil Gott durch das Böse, das er in dem zweiten Sohn gewirkt hat, alles letztendlich zum guten Ende führen wollte?

Ist der Mensch also selbst verantwortlich für die Abkehr von Gott und die Sünde oder ist Gott verantwortlich, der das Böse tut, um das Gute zu erreichen, der das Herz des Pharaos verstockte, um das Volk Israel unter großen Wundern gegen den Willen des Pharaos aus Ägypten herauszuführen?

Entwickelt Gott die Weltgeschichte durch das Böse, das er tut, zum guten Ende, das er im Auge hat? Kann es sein, dass er den Zweiten Weltkrieg verhindern wollte, indem er seine Mutter Maria nach Fatima schickte mit der Bitte, dass der Papst und alle Bischöfe Russland ihrem Unbefleckten Herzen weihen und die Menschen jeden Tag den Rosenkranz beten sollten, um „den zweiten, noch schrecklicheren Krieg“ zu verhindern, oder ist Gott verantwortlich für den Zweiten Weltkrieg, weil er durch das Böse und das Gute, das er tut, die Weltgeschichte entwickelt?

Ist Gott die Liebe oder ist Gott ein dialektischer Gott, ein Gott der Einheit von Gut und Böse? Ist also in Gott die Person des Teufels, als Widersacher Gottes? Ist Gott letztendlich vierpersonal in der Einheit von Gott Vater, Sohn, Heiliger Geist und dem Teufel, wie der Philosoph Hegel meint?

Ist der Mensch verantwortlich für die Unterscheidung und Entscheidung zwischen Gut und Böse und trägt er die Verantwortung und die Konsequenzen für sein Handeln oder ist das Böse in Gott aufgehoben, sozusagen vergöttlicht?

Kann der vorherbestimmte Mensch überhaupt noch sündigen und sich selbst schädigen oder ist er gar nicht erst zu Sünde und Schuld fähig? Gibt es dann überhaupt noch Sünde und Verletzungen?

Wer ist schuld, wenn wir selber nicht mehr sündigen können? Gott?

Braucht es dann noch die sakramentale Beichte, wenn der Mensch keinen freien Willen hat und damit schuldunfähig ist? Braucht der schuldunfähige Mensch noch die Fürsprache Mariens oder der Heiligen? Braucht der schuldunfähige Mensch den Ablass, das Fegefeuer, wenn er vom allmächtigen Gott prädestiniert, also vorherbestimmt ist? Braucht der schuldunfähige Mensch überhaupt einen Erlösergott, der für die Errettung der Menschheit von Schuld und Sünde sein Leben am Kreuz gegeben hat?

Macht es überhaupt Sinn, sein Leben mit Gott zu gehen, sich an seiner Weisung zu orientieren, seine Hilfe zu erbitten und die ewige Gemeinschaft mit ihm zu ersehnen, wenn wir doch in unserem Leben vorherbestimmt sind, ein Spielball Gottes, der in sich die Einheit von Gut und Böse ist und jedes Leid in Kauf nimmt, damit seine Plä-ne Wirklichkeit werden?

Vertreten die Thesen Martin Luthers ein anderes Gottesbild? Entbrannte deshalb eine scharfe Diskussion, die letztlich zum Auseinanderdriften der Konfessionen führte?

Diese vielen Fragen sollten zum Nachdenken einladen. Der moderne Mensch von heute braucht glaubwürdige Antworten auf diese Fragen, wenn Glauben akzeptabel sein soll. Diese Fragen hat die Gustav-Siewerth-Akademie zu einem ihrer Forschungsschwerpunkte gemacht.

Um den interkonfessionellen Dialog auf die wesentlichen Weichenstellungen beim Gottes- und Menschenbild zu lenken, hielt ich es für angemessen, den historischen Disput zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther in deutscher Sprache gegenüberzustellen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2017
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

 


[1] Albrecht Graf von Brandenstein-Zeppelin (Hrsg.): Vom unfreien Willen – Martin Luther in der Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam, Gustav-Siewerth-Akademie, 780 S., 39,90 Euro zzgl. Versandkosten, ISBN 978-3-945777-89-3.

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