Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Ein kirchliches Großereignis steht bevor, der 37. Weltjugendtag vom 1. bis 6. August in Lissabon unter dem Thema: „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg“ (Lk 1,39) Papst Franziskus blickt mit großem Vertrauen auf dieses Treffen voraus und hofft, dass es seine gesundheitlichen Kräfte zulassen, mit den Jugendlichen zusammenzukommen. Ihnen möchte er noch einmal ein besonderes Vermächtnis hinterlassen.

Wie oft hat Papst Franziskus die Jugend als Hoffnung der Kirche bezeichnet! Dabei sieht er immer zwei Seiten: die große Gefahr, welcher die Jugendlichen heute ausgesetzt sind, und die Bereicherung, welche die jungen Menschen für alle Gläubigen bedeuten können.

Der Kirche trägt er auf, mehr auf die Jugendlichen zu hören, bevor sie ihre fertigen Antworten präsentiert. Im Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ („Die Freude des Evangeliums“) richtet er einen Appell an die Jugendpastoral: „Die Jugendlichen finden in den üblichen Strukturen oft keine Antworten auf ihre Sorgen, Nöte, Probleme und Verletzungen. Uns Erwachsenen verlangt es etwas ab, ihnen geduldig zuzuhören, ihre Sorgen und ihre Forderungen zu verstehen und zu lernen, mit ihnen eine Sprache zu sprechen, die sie verstehen“ (Nr. 105). Deshalb sei die Jugendarbeit oft so unfruchtbar. Damit verknüpft er den Aufruf, gerade in diesem Sinn mit den jungen Menschen die „Synodalität“ der Kirche zu verwirklichen.

Andererseits bringt er seine große Hoffnung zum Ausdruck: „Die Vermehrung und das Wachsen von Verbänden und Bewegungen vornehmlich junger Menschen kann als ein Wirken des Heiligen Geistes interpretiert werden, der neue Wege öffnet, die mit ihren Erwartungen und ihrer Suche nach einer tiefen Spiritualität und nach dem Gefühl einer konkreteren Zugehörigkeit im Einklang stehen. Es ist jedoch notwendig, die Beteiligung dieser Gruppen innerhalb der Gesamtpastoral der Kirche zu festigen“ (ebd.). Gerade Paul Josef Cordes, der als Vizepräsident des Päpstlichen Rates für die Laien die Anfänge der Weltjugendtage miterlebt und maßgeblich organisiert hat, bestätigt, dass sich ohne die neuen Geistlichen Bewegungen die Weltjugendtage in der Form, wie wir sie heute kennen, nicht entwickelt hätten.

Und Papst Franziskus lässt seine Überlegungen in die hoffnungsvollen Worte einmünden: „Wie schön, wenn die Jugendlichen ‚Weggefährten des Glaubens‘ sind, glücklich, Jesus auf jede Straße, auf jeden Platz, in jeden Winkel der Erde zu bringen!“ (Nr. 106). Der hl. Papst Johannes Paul II. hatte die Weltjugendtage mit der Grundüberzeugung gestiftet, dass die jungen Menschen die „Apostel der neuen Evangelisierung“ sind. Und diesem Erbe fühlt sich auch Papst Franziskus verpflichtet. Immer wieder erinnert er an das gewaltige Verdienst, das Johannes Paul II. für diesen Aufbruch der jungen Kirche hat.

Wie würde die Kirche heute ohne diesen Gründungsimpuls des hl. Papstes aus Polen aussehen? Wie viel hat sie diesen Ereignissen zu verdanken, an Berufungen, Hoffnung, Engagement und Einsatz für den Frieden! In diesem Licht ruft Papst Franziskus nun die Jugendlichen dazu auf, der Gottesmutter, der jungen Maria aus Nazareth, zu folgen: „Lasst uns, wie Maria, Jesus in uns tragen, um ihn allen mitzuteilen! Geht in dieser wunderschönen Zeit eures Lebens weiter voran und weist nicht ab, was der Heilige Geist in euch vollbringen kann!“ (Botschaft zum Weltjugendtag 2023). Und er erinnert daran, dass Maria „zu Beginn des 20. Jahrhunderts … von Fatima aus allen Generationen die mächtige und überwältigende Botschaft der Liebe Gottes verkündete, die zur Umkehr und zur wahren Freiheit aufruft.“ Liebe Leser, beten wir für einen fruchtbaren Weltjugendtag! Möge Ihnen Gott auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau von Fatima seinen Segen schenken und Ihre Großherzigkeit reichlich vergelten!  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Erinnerungen an die Stiftung der Weltjugendtage durch Johannes Paul II.

Der Papst und die Jugend der Welt

Der hl. Papst Johannes Paul II. gilt als Stifter der Weltjugendtage. Doch hat er immer wieder betont, die Jugendlichen selber hätten diese kirchlichen Großereignisse ins Leben gerufen, nämlich durch ihr begeistertes Mitmachen. Dass sie 1984 und 1985 in so großer Zahl der Einladung nach Rom gefolgt seien, habe ihn, den Papst, bewogen und ermutigt, die Weltjugendtage als feste Einrichtung der katholischen Kirche auszurufen. Sie sollten von nun an jedes Jahr stattfinden, im Wechsel auf diözesaner Ebene und als internationale Treffen auf Weltebene. Aus den Erinnerungen von Paul Josef Kardinal Cordes[1] geht hervor, dass die Weltjugendtage letztlich aus einer Initiative heraus entstanden sind, die auf ihn persönlich zurückgeht, nämlich das Internationale Jugendzentrum San Lorenzo beim Vatikan. Dort befindet sich die Wiege, wo die Ideen für die ersten großen Jugendtreffen in Rom geboren und die organisatorischen Arbeiten geleistet wurden. Durch die Erfahrung, welche die Kirche dabei machen durfte, sei Papst Johannes Paul II. „auf den Geschmack gekommen“.  

Von Paul Josef Kardinal Cordes

Immer wieder hatte ich erlebt, dass sich jugendliche Besucher in Rom mehr für Menschen als für Monumente interessierten. Wie oft zog es sie auf die Piazza Navona ins Gewühl der Touristen. So liebten sie die Ewige Stadt. Da kam mir der Gedanke, man müsste in Rom eine Plattform schaffen, um jugendliche Pilger mit gleichaltrigen Römern zusammenzuführen. Ideal wäre die Nähe von St. Peter. Der Ort sollte einen weltoffenen, einladenden Charakter haben, aber auch eine religiös-geistliche Atmosphäre ausstrahlen – etwa ein Zentrum verbunden mit einer kleinen Kirche.

Gründung des Internationalen Jugendzentrums San Lorenzo

Wir schrieben das Jahr 1982. Gut zwei Jahre war ich inzwischen Vizepräsident im Päpstlichen Rat für die Laien. Kardinal Opilio Rossi (1910-2004) leitete damals das Dikasterium und einer unserer Mitarbeiter war Mons. Jozef Michalik, der 1986 zum Bischof von Landsberg und 1993 zum Erzbischof von Przemysl in Polen ernannt wurde (2016 emeritiert). Wir machten uns auf die Suche nach einem geeigneten Ort. Bald hatten wir die Kirche San Lorenzo in piscibus – ganz nahe beim Petersdom in einer Seitenstraße der Via della Conciliazione entdeckt. Wir glaubten uns schon am Ziel, trafen aber auf mancherlei Hindernisse. Zunächst galt es, die rechtlich zuständige Instanz für diese kleine Kirche auszumachen, damit wir einen Blick in ihr Inneres werfen könnten. Nach vielen Telefonaten im Vatikan stellte sich heraus, dass der alte Backsteinbau von der vatikanischen Grundschule Pio Nono genutzt wurde – und zwar als Zeichensaal. Verwaltung und Elternvertretung wollten den Raum nicht hergeben, wollten uns nicht einmal das Gebäude inspizieren lassen. Beiläufig hörten wir, dass man sich vorher schon erfolgreich gegen den Wunsch von Mutter Teresa von Calcutta gewehrt hatte, diese Kirche zu nutzen. Wieder die bekannten Widerstände, die sich gegen eine gute Sache auftürmen!

Schließlich drohte Jozef Michalik dem Elternvertreter, den Papst zu informieren, wenn man die Obstruktion fortsetzte. Auf diesen Vorstoß hin konnte die Arbeit für das Zentrum endlich beginnen. Wir hatten besonders die Apsis und den Boden der Kirche zu renovieren. Den Altarstein fand ich bei einem Spaziergang im vatikanischen Garten im Schmutz unter Büschen, und es gelang mir, ihn mit Hilfe des damaligen Vizedirektors des Vatikanischen Museums, meines Landsmanns Professor Arnold Nesselrath, zu bekommen. Dann waren der Schutt auszuräumen, der den Keller füllte, und Gruppenräume einzurichten. Eine Treppe entstand, um den Eingang mit den unteren Räumen zu verbinden.

Nun gab es also Räumlichkeiten, damit Kontakte zwischen Jugendlichen entständen. Doch galt es, junge Menschen zu finden, die sich für den anstehenden Dienst der Gastfreundschaft bereit erklärten. Im Laienrat waren wir schon auf manche neuen Geistlichen Bewegungen gestoßen, die neben anderen Gruppen wie der „Katholischen Aktion“, der „Franziskanischen Jugend“ oder den Pfadfindern in der Ewigen Stadt aktiv waren. Wir luden ihre römischen oder nationalen Repräsentanten ein, erläuterten ihnen unser Vorhaben und konnten sie für ihre Mithilfe gewinnen. Sie verpflichteten sich, ein oder zweimal monatlich einen Tag lang im Centro Bereitschaftsdienst zu machen, mögliche Gäste zu empfangen, gegebenenfalls mit ihnen zu beten und sie vielleicht auch an römische Pfarreien weiterzuleiten.

Bald erkannten wir, dass die in San Lorenzo gesammelten Erfahrungen und Anregungen irgendwo zusammenfließen mussten. Wir brauchten Personen, die die Kontinuität der Arbeit gewährleisteten. Ich entschloss mich zu einem Besuch im französischen Paray le Monial, um Pierre Goursat, den Gründer der Gemeinschaft Emmanuel, um Hilfe zu bitten. Er stellte uns zwei junge Damen für diese Aufgabe zur Verfügung, Véronique Piot und Isabelle Roche. So begann das besondere Engagement dieser charismatischen Gemeinschaft für unsere Gründung. Doch es zeigte sich auch im Miteinander der verschiedenen Gemeinschaften ein gemeinsamer Geist, und das Interesse aneinander wuchs. Zwischen den Jugendlichen des Zentrums gab es keinerlei Vorbehalte oder Missgunst.

Eröffnung durch Papst Johannes Paul II.

Zur vorgesehenen Eröffnung luden wir den Heiligen Vater Johannes Paul II. ein und waren hocherfreut, dass er zusagte. In den letzten Tagen der Vorbereitung überschlugen sich die Ereignisse. Vor allem fehlte uns ein großes Kreuz für die Kirchenapsis. Einige Mitglieder von Comunione e liberazione aus Perugia besorgten uns unter großem Zeitdruck eine große Kopie vom Kreuz des hl. Franz von Assisi, das noch heute die Kirche schmückt. Sie transportierten es am Tag vor der Eröffnung auf ihrem Personenwagen, wegen des Regens eingehüllt in Plastikfolie.

Der 13. März 1983 brachte Papst Johannes Paul II. in jenes alte Gotteshaus, das einen Kontrast darstellt zu den hellen, lichterfüllten römischen Kirchen. Dabei gab er uns wegweisende Orientierung. Seine Worte knüpften beim Gleichnis vom verlorenen Sohn und barmherzigen Vater an, das die liturgische Ordnung für diesen Sonntag vorsah: „Durch meine Anwesenheit möchte ich die Bischöfe der Welt auf diese Initiative aufmerksam machen, damit sie ihrerseits in geeigneter Weise bei den Jugendlichen ihrer Diözesen dieses Zentrum bekannt machen und deren Aufmerksamkeit bei ihren Besuchen in der Ewigen Stadt besonders auf diese Stätte lenken.“ Mit Verweis auf das Sonntagsevangelium fuhr der Papst fort: „Wenn der Mensch sich als Sünder erkennt, so darf ihn das nicht demütigen; dies muss ihn vielmehr verstehen lassen, dass der Weg zur Freude – zur Freude, dem Vater nahe zu sein – über die Umkehr des Menschen und die Vergebung führt… So wird dieses Zentrum notwendig zum Ort, wo das Kreuz herrschen muss. Wohin mit Sünde und Schuld in dieser Welt ohne das Kreuz. Das Kreuz nimmt alles Elend der Welt auf, das die Folge der Sünde ist… Darum ist es gut, dass ihr in dieser Kirche das berühmte Kreuz von San Damiano aufgerichtet habt, das mit seiner Größe und mit seiner Schönheit diesen Raum beherrscht. Kommt unter dieses Kreuz mit Maria, der Mutter Gottes, die darauf dargestellt ist. Lernt verfügbar zu sein wie sie. Werdet auch ihr Erlöser für die Jugendlichen der Welt…“

Diese Botschaft des Heiligen Vaters gab unserer Einrichtung einen hohen Rang, und sie wurde uns zum Programm – besonders seine Anregung, Erlöser der Jugendlichen in aller Welt zu werden.

Jugendtreffen am Palmsonntag 1984 im Heiligen Jahr der Erlösung

Die spektakulärste Auswirkung der Arbeit dieses kleinen Zentrums in der Nähe des großen Petersplatzes war die Stiftung der „Weltjugendtage“. Sie verdanken sich der Feier des Außerordentlichen Heiligen Jahres 1983/84. Vielerlei katholische Verbände, Vereinigungen, Bruderschaften und Gruppierungen besuchten die Ewige Stadt. Einer der freiwilligen Helfer im Zentrum, Massimo Camisasca von Comunione e liberazione, der spätere Bischof von Reggio Emilia/Italien (2012-2022), fragte: „Warum machen wir in diesem Heiligen Jahr nicht auch ein internationales Treffen der Jugend?“ Ich entgegnete: „Eine überlegenswerte Idee – doch wer wird das organisieren?“ Ich war mir klar darüber, dass der Päpstliche Rat für die Laien mit einer solchen Sache total überfordert wäre. Aber vielleicht könnte so ein Treffen gelingen, wenn sich all die neuen geistlichen Initiativen engagierten, die im Zentrum mitarbeiteten. Wir luden sie ein und rangen ihnen ihre Bereitschaft ab – gegen den Willen einiger älterer Gruppenleiter, die wegen ihrer sehr schlechten Erfahrungen bei einem ähnlichen Jugendfest im Heiligen Jahr 1975 warnten und den Vorschlag ablehnten. Doch die jungen Vertreter der neuen geistlichen Bewegungen ließen sich – Gott Dank! – ihre frische Unbekümmertheit und den nötigen Schwung nicht von den Skeptikern nehmen.

In der Planungsgruppe waren wir sicher, dass das Interesse junger Leute an einem solchen „Meeting“ von der Mitwirkung kirchlicher Prominenz abhängig wäre. Schafften wir es, einige namhafte Männer und Frauen zu gewinnen, so würden sie wie Magneten wirken. Und wir hatten auch einige wichtige Aufgabe für sie. Sie sollten das große Treffen mit dem Heiligen Vater drei Tage lang durch Katechesen, also Glaubensunterweisungen, vorbereiten. Wir wandten uns an Gründer und Repräsentanten der neuen kirchlichen Initiativen. Rasch gaben ihre Zustimmung Chiara Lubich, Focolare; Don Luigi Giussani, Comunione e liberazione; Kiko Argüello, Neukatechumenat; Msgr. Alvaro del Portillo, Opus Dei, Spanien; P. Joaquín Allende, Schönstatt, Chile; P. Tom Forrest, Charismatische Erneuerung, USA; Luis Figari, Sodalitium, Peru. Auch so hoch verehrte Protagonisten des Glaubenslebens wie Mutter Teresa von Kalkutta und Frére Roger von Taizé ließen sich nicht lange nötigen. Außerdem luden wir eine internationale Auswahl von geweihten Hirten ein: Kardinal Lustiger, Paris; Kardinal Meisner, Berlin; Kardinal Macharski, Krakau; Kardinal Baum, Washington; Kardinal Martini, Mailand; Erzbischof Peter Dery, Ghana; Erzbischof Sarah, Guinea, P. Manfred Entrich OP, Köln; P. John Bertolucci, Steubenville/USA.

Je näher der erste Jugendtag rückte, umso stärkere Widerstände von außen traten auf. Aus einigen diözesanen Jugendabteilungen, deren junge Leute wir eingeladen hatten, kamen kritische Kommentare: „Es ist nicht Aufgabe des Vatikans, sich mit unserer Jugend zu befassen.“ Der kommunistische Bürgermeister von Rom zog im letzten Augenblick schon gegebene Genehmigungen zurück, so dass wir die vorgesehene Zeltstadt im Park der „Pineta Sacchetti“ nicht bauen und die zugesagten Unterkünfte nicht schaffen konnten. Einige Ökologen taten sich mit Journalisten zusammen, um die Verwüstung der städtischen Anlagen und Gärten vorauszusagen. Das eine oder andere römische Stadtviertel machte mobil gegen die angebliche Invasion randalierender Jugendlicher. Ablehnende Zeitungsartikel erschienen mit Titeln wie „Die Hunnen kommen“.

Trotz unserer totalen Unerfahrenheit mit solcher Art von Weltkongressen und der ärgerlichen Behinderung wurde das Treffen zu einem echten Kirchenereignis. Gegen 300.000 junge Leute folgten der Einladung des Papstes und feierten mit ihm am Palmsonntag, dem 15. April 1984, auf dem Petersplatz die Eucharistie. Alles verlief bei einem selbst für Rom überdimensionalen Besuch so geordnet und vorbildlich, dass sich die Öffentlichkeit wunderte. Der 91-jährige Kardinaldekan Confalonieri, der von der Terrasse gegenüber der Peterskirche einige Phasen des Jugendfestes miterlebt hatte, kommentierte: „Selbst die ältesten Römer können sich an Ähnliches nicht erinnern.“

Das Jahr der Jugend 1985 – ausgerufen von den Vereinten Nationen

Wir vom Laienrat aber waren freilich völlig erschöpft. Und im Büro stapelte sich unbeantwortete Korrespondenz. Ein halbes Jahr lang hatten wir nur den Jugendtag in unserm Kopf gehabt; alles andere war liegen geblieben. Wer mochte uns unsere Überzeugung übelnehmen, jetzt hätten wir unser Soll gegenüber der Weltjugend zu mehr als 100 % abgearbeitet? Ganz anders dachte offenbar Papst Johannes Paul. Knapp vor den Sommerferien ließ er mich wissen: „Das nächste Jahr ist von den Vereinten Nationen als Jahr der Jugend vorgesehen. Wäre es nicht angebracht, die Jugend der Welt wieder nach Rom einzuladen?“ Als wir den Vorschlag hörten, hielt sich unsere Begeisterung in Grenzen. Die Zeit für eine Vorbereitung war äußerst knapp; denn der zweimonatige Einschnitt der Sommerpause stand vor der Tür, und als Termin sollte am Palmsonntag festgehalten werden. Auch konnten wir nicht noch einmal alle Jugendgruppen des Centro ein halbes Jahr lang für den Jugendtag in Anspruch nehmen.

Eine weitere Schwierigkeit tat sich auf, weil unser neuer Präsident Kardinal Pironio sich für kirchliche Großveranstaltungen wie den Jugendtag offenbar nicht recht erwärmen konnte – er setzte auf Treffen, die lediglich eine Repräsentanz von Jugendführern (ein „Jugendforum“) zusammenführten. Doch tat er wegen geschwächter Gesundheit nicht immer Bürodienst. So nahm ich mir in diesem Fall einfach die Freiheit heraus, die gleichen Einladungen zu den Bischöfen in aller Welt zu schicken, wie wir sie beim ersten Mal ausgesandt hatten; Papst Johannes Paul II. hatte ja, da war ich ganz sicher, eine Neuauflage des ersten Großereignisses im Sinn.

Auch der zweite Weltjugendtag zeigte sich demnach nicht als Selbstläufer. Doch es lag auf der Hand, dass wir einer Neuauflage zuzustimmen hatten –  einmal, weil sie vom Papst gewollt war, und auch, weil wir den ersten Tag als einen großen Glaubensimpuls für viele Heranwachsende erlebt hatten. Unsere Bereitschaft zum Gehorsam fand schnell ein unerwartetes Echo, das uns viele Sorgen nahm: Chiara Lubich, die Gründerin des Focolare, stellte uns alle Kräfte ihrer Bewegung zur Verfügung, so dass wir uns auf eine eingespielte Organisation stützen konnten.[2] Und die Resonanz blieb wieder nicht aus. Auch beim zweiten Mal war die Beteiligung der jungen Leute imponierend: Zum Abschlussgottesdienst am 31. März 1985 vor der Lateran-Basilika wurden ca. 250.000 Mitfeiernde gezählt.

Stiftung der Weltjugendtage

Im Laienrat waren wir überzeugt, das Kapitel „Jugend“ sei nun für eine Weile zu schließen – waren doch die üblichen anderen Pflichten von uns wieder ungebührlich versäumt worden Zunächst einmal flog ich freilich total erschöpft am Montag der Karwoche nach Deutschland, um mich in Kirchhundem von den Strapazen zu erholen und endlich ausgiebig zu schlafen. Am Ostersonntag 1985 verfolgte ich im Fernsehen, wie der Gottesdienst vom Petersplatz übertragen wurde. Der damals noch junge Papst hielt eine Predigt, die alle begeistern konnte. Dann aber blieb mir die Spucke weg. Voller Elan rief Johannes Paul: „Nun sind schon zwei Mal unerwartet, ja unglaublich viele junge Menschen aus aller Welt nach Rom gekommen, um sich mit uns für Christus zu bekennen. Wir wollen solch einen Jugendtag in Zukunft jedes Jahr feiern.“ Der Heilige Vater war auf den Geschmack gekommen und stiftete so eine neue Praxis in der katholischen Kirche.

Die Feier der Weltjugendtage begann, und sie überzog viele Länder der Erde – jeweils im Wechsel zwischen internationalen und lokalkirchlichen Treffen. Buenos Aires, Argentinien, 1986 stand am Anfang. Dann folgten die USA, Europa und Asien. Herausragend waren die Jugendfeste 1997 in Paris und die Begegnungen in Rom während des Heiligen Jahres 2000.  Den absoluten Höhepunkt bildete die Versammlung auf den Philippinen (Januar 1995), organisiert von dem philippinischen Mitglied unseres Rates Henriette de Villa. Etwa vier Millionen Menschen fanden sich ein. Bisher sah die Menschheitsgeschichte noch nie ein einziges Ereignis – so kommentierten damals die Medien –, zu dem so viele Menschen zusammenkamen, und zwar freiwillig und frohgestimmt.

Inzwischen sind die Jugendtage zu einer Kette geworden, die Länder und Kontinente miteinander verbindet und manche Ortskirchen aufweckt. Das hat sich auch in Köln 2005 erwiesen, als der internationale Schwarm der friedfertigen Globalisierer das Land überschwemmte und erstmals ein deutscher Papst die Jugend begeisterte. Es war damals seine erste Auslandsreise als Papst. Auch Papst Franziskus wählte den Weltjugendtag in Rio de Janeiro 2013 als seinen internationalen Einstand. Der Papst und die Jugend der Welt – dieses Bild geht jetzt immer wieder rund um den Globus.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. Paul Josef Cordes: Drei Päpste. Mein Leben, Freiburg im Breisgau 2014, 111ff.
[2] Zu Ch. Lubichs Sicht der Erneuerung der Kirche vgl. Paul Josef Cordes (Hg.): Nicht immer das alte Lied..., Paderborn 1999, 43-51.

Botschaft zum Weltjugendtag 2023 in Lissabon

Am Beginn seiner Botschaft zum Weltjugendtag in Portugal erinnert Papst Franziskus an das Thema des letzten Internationalen Treffens in Panama. Es lautete: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). „Nach diesem Ereignis machten wir uns auf den Weg zu einem neuen Ziel – Lissabon 2023“, so der Papst. Und er erklärt, warum er als Motto für dieses Welttreffen gleich den anschließenden Vers aus dem Lukasevangelium gewählt hat: „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg“ (Lk 1,39), nämlich „um ihrer Cousine Elisabeth zu helfen“.  

Von CNA Deutsch

In seiner Botschaft zum Weltjugendtag 2023 in Lissabon schreibt Papst Franziskus den Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Ich „träume davon, dass ihr beim Weltjugendtag wieder die Freude der Begegnung mit Gott und mit euren Brüdern und Schwestern erlebt“.

„Nach langen Zeiten des Abstandhaltens und der Isolation werden wir in Lissabon – mit Gottes Hilfe – gemeinsam die Freude der geschwisterlichen Umarmung zwischen den Völkern und den Generationen wiederentdecken, die Umarmung der Versöhnung und des Friedens, die Umarmung einer neuen missionarischen Geschwisterlichkeit“, so der Pontifex. „Möge der Heilige Geist in euren Herzen den Wunsch wecken, aufzustehen, und möge er in euch die Freude entfachen, gemeinsam – synodal – unterwegs zu sein und falsche Grenzen zu überwinden.“

„Die Zeit zum Aufstehen ist jetzt“, fordert Papst Franziskus die jungen Menschen auf. „Lasst uns schnell aufstehen! Und lasst uns, wie Maria, Jesus in uns tragen, um ihn allen mitzuteilen! Geht in dieser wunderschönen Zeit eures Lebens weiter voran und weist nicht ab, was der Heilige Geist in euch vollbringen kann!“

Mit Blick auf das Motto des Weltjugendtags – „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg“ (Lk 1,39) – konzentriert sich der Papst in seiner Botschaft auch auf den Begriff „Eile“. „Die Eile der jungen Frau aus Nazareth ist die Eile derer, die außergewöhnliche Gaben vom Herrn erhalten haben und die nicht anders können, als sie zu teilen und die große Gnade überfließen zu lassen, die sie erfahren haben“, erläutert Franziskus. „Es ist die Eile derer, die es verstehen, die Bedürfnisse der anderen über ihre eigenen zu stellen. Maria ist das Beispiel eines jungen Menschen, der keine Zeit damit vergeudet, die Aufmerksamkeit oder die Zustimmung anderer zu suchen – wie es geschieht, wenn wir uns von den ,Likes‘ in den Social Media abhängig machen –, sondern sich auf die Suche nach jener echten Verbindung begibt, die aus Begegnung, Austausch, Liebe und Dienst entsteht.“

Insofern gebe es eine gute Eile, die „uns immer nach oben und zu unseren Mitmenschen“ führe, aber auch „die ungute Eile, wie zum Beispiel jene, die uns dazu bringt, oberflächlich zu leben, alles auf die leichte Schulter zu nehmen, ohne Engagement oder Aufmerksamkeit zu sein und uns nicht wirklich auf die Dinge einzulassen, die wir tun; wir leben, studieren, arbeiten oder treffen uns mit anderen in Eile, d.h. ohne mit dem Kopf, geschweige denn mit dem Herzen, bei der Sache zu sein.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
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Einstimmung auf den Weltjugendtag in Lissabon vom 1. bis 6. August 2023

Erbe Johannes Pauls II. und seine Früchte

Der hl. Papst Johannes Paul II. hat ein reiches Erbe hinterlassen. Besonders wertvoll ist die Einrichtung der Weltjugendtage, die er nach den erfolgreichen Jugendbegegnungen 1984 und 1985 ins Leben gerufen hat. Von Anfang an waren diözesane Weltjugendtage im Wechsel mit internationalen Treffen geplant. Diese zentralen Begegnungen auf Weltebene, die seit 1987 zunächst im Rhythmus von zwei und später von drei Jahren stattgefunden haben, nimmt die katholische Theologin und Publizistin Dr. Margarete Strauss in den Blick. An Beispielen zeigt sie die vielfältigen Früchte auf, welche die Weltjugendtage hervorgebracht haben. Zu diesem Thema hatte sie für Radio Horeb eine Sendung mit verschiedenen Zeugnissen gestaltet, die am 29. April 2023 ausgestrahlt wurde. In ihrem Artikel fasst sie die Beiträge dieser Radiosendung zusammen.  

Von Margarete Strauss

15. Januar 1995. Um die vier Millionen Jugendliche versammelten sich zur Abschlussmesse des 10. Weltjugendtags in Manila auf den Philippinen. Es war bis dato die größte Versammlung von Menschen, ein Meer von begeisterten Gläubigen, die Papst Johannes Paul II. zujubelten.

Jugendtreffen im Außerordentlichen Heiligen Jahr der Erlösung 1983/1984

Was sich zu solcher Größe entwickelte, nahm seinen Anfang im Centro San Lorenzo in Rom, als zum außerordentlichen Jahr 1983/1984 ein Jugendtreffen organisiert werden sollte. Der Stein kam ins Rollen und mit begeisterter Unterstützung des Papstes entwickelte sich zunächst ein jährlich wiederkehrendes Treffen in Rom, bevor es international fortgesetzt wurde. Johannes Paul II. lag die Jugend am Herzen. Das Hauptanliegen der Neuevangelisierung sah er in den jungen Menschen besonders verankert: „Die Kirche hat der Jugend viel zu sagen, und die Jugend hat der Kirche viel zu sagen. Dieser gegenseitige Dialog muss offenherzig, klar und mutig sein. Er fördert die Begegnung und den Austausch zwischen den Generationen und wird für Kirche und Gesellschaft Quelle des Reichtums und des Jungseins.“ In seiner Zeit als Krakauer Erzbischof hatte er ein ähnliches Modell kennengelernt, das auf die Bewegung „Licht-Leben“ zurückgeht und das er mit den Weltjugendtagen auf die Weltbühne hob.

Zwei Symbole: Weltjugendtagskreuz und Marienikone

Beim ersten römischen Jugendtreffen in Rom 1984 sagte der Papst den Jugendlichen: „Welch großartiges Schauspiel bietet auf dieser Bühne eure heutige Versammlung! Wer hat behauptet, die heutige Jugend habe den Sinn für die Werte verloren? Stimmt es wirklich, dass man nicht auf sie zählen kann?“ Am 22. April überreichte er ihnen auch das Weltjugendtagskreuz, das seither die Weltjugendtage begleitet. Zusammen mit dem Kreuz reist auch eine Kopie der berühmten Marienikone „Salus Populi Romani“, die bedeutendste Marienikone Roms, deren Original in Santa Maria Maggiore aufbewahrt wird und der Überlieferung nach vom Evangelisten Lukas selbst angefertigt worden sein soll. Am 31. März 1985 fand das zweite Jugendtreffen dieser Art statt, der erste „offizielle“ Weltjugendtag ist jedoch das Treffen 1986 in Rom. Im Jahr zuvor hatte der Papst ganz überraschend angekündigt, eine dauerhafte Veranstaltungsreihe zu etablieren. Daraufhin ging es um die weite Welt.

Weltjugendtag in Buenos Aires 1987: „Ihr seid die Hoffnung der Kirche!“

Beim ersten außerrömischen Weltjugendtag in Buenos Aires 1987 betonte der hl. Papst Johannes Paul II.: „Ich möchte vor euch wiederholen, was ich euch vom ersten Tag meines Pontifikats an gesagt habe: dass ihr die Hoffnung des Papstes, die Hoffnung der Kirche seid.“ Der Millenniumspapst zog die Jugend regelrecht in seinen Bann und begeisterte sie, weil er sie ernstnahm. Der Publizist Martin Lohmann analysiert Johannes Pauls Verhältnis zur Jugend folgendermaßen: „Die Jugendlichen liebten ihn auch deshalb so sehr, weil er sie verstand, weil er ihre Sprache und Sehnsüchte verstand. Er erfasste, dass die Jugendlichen auch eine Sehnsucht nach Wahrheit und Klarheit besitzen, die sie in dieser Welt häufig nicht bedient bekommen.“

Santiago de Compostela 1989: Gründungsimpuls für Youth 2000 – Jugend 2000

Für den insgesamt vierten Weltjugendtag ging es in den berühmten Wallfahrtsort Santiago de Compostela im Jahre 1989. Richard Sohler, Gründer der Jugend 2000 Deutschland, damals 25 Jahre alt, war zum ersten Mal dabei. Er erfuhr durch einen jungen Priester von den bis dahin ihm unbekannten Weltjugendtagen, sodass er sich kurzentschlossen mit einigen Freunden auf die Reise begab. Er berichtet: „Wir erlebten dort hunderttausende von Jugendlichen aus allen Ländern der Welt, die von einer echten Freude über unseren Glauben geprägt waren, von einer offenen und dankbaren Erwartung, was der Heilige Vater uns sagen würde. Besonders die Begegnung mit Papst Johannes Paul II. war für uns ein einmaliges Erlebnis.“ Inspiriert von dieser Erfahrung beschlossen seine Freunde und er, die Weltjugendtage im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen. Aus diesem Anlass entstand am 13. Oktober 1990 die Youth 2000 in Zusammenarbeit mit Ernest Williams, der ein entsprechendes Konzept für den englischsprachigen Raum vorsah. Die Gemeinschaft Jugend 2000 ist eine Frucht der Weltjugendtage, wie Richard Sohler erklärt: „Wir versuchen bis heute, dem Auftrag Johannes‘ Pauls II. zu folgen und am Aufbau einer neuen Zivilisation der Wahrheit, der Liebe und des Friedens mitzuwirken.“

Tschenstochau 1991: erster Weltjugendtag nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“

1991 fand der Weltjugendtag in der Heimat des Papstes, in Polen, statt. Es ging diesmal zur Schwarzen Madonna von Tschenstochau. Der Publizist Martin Lohmann wurde Zeuge des herzlichen Empfangs des Papstes: „Es war für mich sehr bewegend zu erleben, wie der Papst dort gewissermaßen nach Hause kam und die Jugendlichen in seine geistige Heimat mitnahm. Dieser Wallfahrtsort spielte in seinem Leben eine besondere Rolle. Nicht zufällig hing in der päpstlichen Privatkapelle im Apostolischen Palast neben dem Kreuz vorne ein Bildnis der Gottesmutter von Tschenstochau.“ Es handelte sich um den ersten Weltjugendtag nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“. Dort sagte Papst Johannes Paul II.: „Auf euch, Jugendliche aus dem europäischen Osten und Westen, zählt der alte Kontinent beim Aufbau jenes ‚gemeinsamen Hauses‘, von dem wir uns eine Zukunft der Solidarität und des Friedens erwarten … Zum Wohl der kommenden Generation wird es notwendig sein, dass sich das neue Europa auf dem Fundament jener geistigen Werte aufbaut, die den innersten Kern seiner kulturellen Überlieferung ausmachen.“

Denver 1993: erstmals Kirche mit ständiger Eucharistischer Anbetung

Zwei Jahre später ging es zum Weltjugendtag in die amerikanische Metropole Denver im Bundesstaat Colorado. Dort appellierte der Papst an die Jugendlichen: „Habt keine Angst, auf die Straßen und in die Öffentlichkeit zu gehen … Das ist nicht die Zeit, sich des Evangeliums zu schämen … Fürchtet euch nicht, aus eurer bequemen und gewohnten Lebensweise auszubrechen, und antwortet auf die Herausforderung, Christus in der modernen ‚Metropole‘ bekannt zu machen.“ Richard Sohler fuhr mit einer Gruppe von mehr als 1500 Jugendlichen nach Denver: „Dort waren wir als Youth 2000 auch zum ersten Mal für die Anbetungskirche des Weltjugendtags verantwortlich, die wir seither bei allen Weltjugendtagen für die ständige Eucharistische Anbetung anvertraut bekommen haben.“

Manila 1995: klare Worte zu Sexualität, Drogen und Alkohol

Der Weltjugendtag im philippinischen Manila 1995 stellte mit um die vier Millionen Jugendlichen einen Rekord auf. Papst Johannes Paul II. scheute sich nicht, insbesondere moralisch herausfordernde Themen anzusprechen, und war immer klar in seiner Haltung. So warnte er auch beim Weltjugendtag in Manila vor neuen Formen „moralischer Versklavung“ wie den Missbrauch von Sexualität, Drogen und Alkohol. Auch hier konfrontierte er die Jugendlichen ganz direkt: „Seid ihr fähig, euch selber, eure Zeit, eure Kräfte und euer Talent zum Wohl der anderen hinzuschenken? Seid ihr zur Liebe fähig? Wenn ihr es seid, können Kirche und Gesellschaft große Dinge von einem jeden von euch erwarten.“

Paris 1997: Berufung zum gottgeweihten Leben

Der 12. Weltjugendtag im Jahre 1997 in Paris fand wieder auf europäischem Boden statt. Über eine Million Jugendliche versammelten sich zum Abschlussgottesdienst. Die Theologin Nina Heereman erlebte bei diesem Anlass eine tiefe Bekehrung: „Was mir sehr geholfen hat, waren die ausgezeichneten Katechesen zum Motto ‚Wen sucht ihr‘ aus dem Johannesevangelium. Alle Bischöfe haben darüber gepredigt, was das Thema der eigenen Berufung in meinem Herzen angesprochen hat. … Johannes Paul II. war eine so starke Persönlichkeit und so klar ein Hirte, dass mir mit allen diesen Jugendlichen der Eindruck gegeben wurde: Dieser Mann ist ein Fels in der Brandung, der die Wahrheit spricht und Weisung gibt, statt uns nach dem Mund zu reden. Er weist mit seinem ganzen Wesen auf Jesus und damit auf den Himmel hin.“ Sie realisierte, dass die Lehre der Kirche wahr ist und zum ewigen Leben führt. „Mir war damals schon bewusst, dass dieser Mann ein lebendiger Heiliger war und ich habe mich regelrecht in ihn verliebt.“ Sie verstand, dass sie zu einem ehelosen Leben berufen war, und nahm den hl. Papst dafür zum Vorbild.

Rom 2000: Weg zum Priestertum

In seiner geistlichen Berufung wurde auch Tobias Brantl bestärkt, Pfarrer in St. Anton Kempten, der zum Hl. Jahr 2000 den Weltjugendtag in Rom besuchte: „Diese Jugendlichkeit, die Johannes Paul II. ausgestrahlt hat, hat mich sehr motiviert. Sein Mitfeiern bei der Vigilfeier mit dem Lied ‚Jesus Christ, you are my life‘ hat mich sehr bewegt … Der Papst sagte in der Abschlussmesse: ‚Wenn jemand unter euch, liebe Jungen und Mädchen, in sich den Ruf des Herrn spürt, sich ganz Ihm zu schenken, um Ihn mit ungeteiltem Herzen zu lieben (vgl. 1 Kor 7,24), dann lasse er sich vom Zweifel oder von der Angst nicht bremsen. Er oder sie sage mutig und ohne Vorbehalt Ja und vertraue sich Ihm an, der treu ist in allem, was Er verspricht.‘ Diese Worte haben mich sehr ermutigt, diesen Weg weiterzugehen, weil ich die Berufung zum Priestertum gespürt habe. Das war für mich ein wichtiger Moment.“

Toronto 2002: Bekehrung und Verwandlung

Im Jahr 2002 ging es für den Weltjugendtag nach Toronto, Kanada. Es sollte der letzte Weltjugendtag für den gebrechlichen Papst Johannes Paul werden. Doro Ludwig, stellvertretende Leitung von Jugend 2000 in Deutschland, erlebte dort eine tiefe Bekehrung: „Es gibt einfach nichts Vergleichbares. Die Atmosphäre, die Liebe, die ansteckende Freude – ich habe lebenslange Freundschaften geschlossen! Für mich war auch völlig unverhofft der Moment, als Papst Johannes Paul an mir vorbeigefahren ist. Ich habe ihn angeschaut, ich habe mich sofort in ihn verliebt und war so fasziniert von seiner Ausstrahlung, dass ich gar nicht wusste, wie mir geschieht. Ich bin von diesem Weltjugendtag völlig verwandelt nach Hause gekommen.“

Köln 2005, Sydney 2008, Madrid 2011: die Früchte unter Benedikt XVI.

Als verkündet wurde, dass der nächste Weltjugendtag 2005 in Köln stattfinden würde, war die Freude groß. Umso tragischer, als Papst Johannes Paul II. wenige Monate zuvor verstarb. Ludwig Michael Siemes, Priester in Seligenstadt im Bistum Mainz, ist mit anfänglicher Trauer hingefahren, doch mit großer Gnade beschenkt worden: „Am Samstag war auf dem Marienfeld die Vigilfeier mit unserem Benedetto. Hunderttausend Jugendliche saßen auf ihren Isomatten dicht an dicht gedrängt. Und dann sagte Benedikt in seiner Katechese: ‚Habt keine Angst vor Christus! Er nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück. Ja, öffnet, reißt die Türen weit auf für Christus – dann findet ihr das wirkliche Leben.‘ In diesem Moment stand nicht nur die Welt für mich still, sondern alles um mich herum rückte in weite Ferne. Ich wusste es sofort: Diese Worte waren für mich bestimmt. Es war genau der Moment, in dem Jesus mich ermutigt hat, ihm nachzufolgen.“

Johannes Pauls Erbe setzt sich fort. Auf seine Fürsprache bleiben die geistigen Früchte nicht aus: geistliche Berufungen, Initiativen und eucharistische Gemeinschaften, Jugend 2000 und Nightfever. Auch Paare fanden und finden sich bei den Weltjugendtreffen. So einige berichten davon aus der Zeit des Treffens in Sydney 2008 oder in Madrid 2011. Sydney stand ganz unter dem Motto des Heiligen Geistes durch die Worte Jesu, die das Pfingstereignis ankündigten (Apg 1,8). Papst Benedikt sprach den Jugendlichen in Madrid zu: „Ja, der Herr liebt euch, und er nennt euch seine Freunde (vgl. Joh 15,15). Er kommt euch entgegen und will euch auf eurem Weg begleiten, um euch die Türen zu einem erfüllten Leben zu öffnen und euch an seiner innigen Beziehung zum Vater teilhaben zu lassen.“

Rio de Janeiro 2013: Papst Franziskus ruft zur Jüngerschaft

Die Jüngerschaft wurde auch als Thema des darauffolgenden Weltjugendtags 2013 in Rio de Janeiro mit Papst Franziskus aufgegriffen (Mt 28,19). Er verschwieg auch nicht die Missstände einer „kulturellen Euthanasie“: „Die Quote der Jugendarbeitslosigkeit, der jungen Menschen ohne Beschäftigung ist sehr hoch, und wir haben eine Generation, die nicht die Erfahrung der Würde macht, die man durch die Arbeit erlangt. Das heißt, diese Zivilisation hat uns dazu geführt, die beiden herausragenden Altersgruppen auszuschließen, die unsere Zukunft ausmachen … Die jungen Menschen müssen hinausgehen, um für Werte zu kämpfen; und die Alten müssen den Mund aufmachen, sie müssen den Mund aufmachen und uns lehren! Vermittelt uns die Weisheit der Völker!“

Krakau 2016: das Erbe Johannes Pauls II. und die Barmherzigkeit Gottes

Der Weltjugendtag in Krakau stand ganz unter dem Motto der Barmherzigkeit, das sich an den Appell des Papstes anschloss „Vertieft euch in den Seligpreisungen!“ Schon im Vorfeld bekannte Papst Franziskus, dass Johannes Paul II. „der große Patron der Weltjugendtage“ und „deren Initiator und geistlicher Motor“ sei.

Panama 2019 – Lissabon 2023: Maria – Vorbild und Wegbegleiterin

Der Weltjugendtag in Panama 2019 stand unter marianischen Vorzeichen mit dem Fiat Mariens als Motto (Lk 1,38). In seiner Abschlusspredigt fragte Papst Franziskus die Jugend ganz direkt: „Wollt ihr die Konkretheit seiner Liebe leben? Euer ‚Ja‘ möge weiterhin das Eingangstor sein, auf dass der Heilige Geist der Welt und der Kirche ein neues Pfingsten schenke.“ Auch der kommende Weltjugendtag in Lissabon steht unter einem marianischen Motto: „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg“ (Lk 1,39). Er wird vom 1. bis 6. August stattfinden und die Planungen laufen auf Hochtouren. Eines ist jetzt schon klar: Der Geist Johannes Pauls wird auch diesmal wieder spürbar werden und sein Erbe weitere Früchte tragen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Gründungsidee der Weltjugendtage

Zehn Impulse Johannes Pauls II.

Im Blick auf den 37. Weltjugendtag in Lissabon ruft Pfarrer Erich Maria Fink zehn Impulse in Erinnerung, die der hl. Papst Johannes Paul II. den Jugendlichen mit auf den Weg gegeben hat.  

Von Erich Maria Fink

Papst Franziskus haben die Tradition der Weltjugendtage mit großem Enthusiasmus fortgeführt und sind der Gründungsidee treu geblieben. Es lohnt sich, die Impulse, die Johannes Paul II. in diese Großereignisse eingebracht hat, neu zu bedenken. Man kann sie in zehn Punkten wiedergeben, welche drei Dreiergruppen und einen Schlusspunkt bilden.

1. „Apostel der Neuevangelisierung“

Bei der Vigil am 11. April 1987 in Buenos Aires verriet Johannes Paul II. den jungen Menschen, was ihn am meisten beunruhigt: die Tatsache, dass sich die Menschheit immer mehr von Gott entfernt, seine Existenz leugnet, den Vater und folglich die Liebe verliert, bereit ist, Menschen zu töten, und damit ihrer Selbstzerstörung entgegengeht. „Aus diesem Grund, meine lieben Jugendlichen“, so der Papst weiter, „will ich euch heute von Neuem den Auftrag erteilen, Apostel einer neuen Evangelisierung zu sein, um die Zivilisation der Liebe aufzubauen“ (Nr. 3). Den Jugendlichen komme an erster Stelle die Aufgabe zu, den Glauben zu bezeugen und das Evangelium Christi in das dritte Jahrtausend zu bringen (Botschaft zum WJT 1989).

2. „Baumeister der neuen Zivilisation der Liebe“

Als Johannes Paul II. 1985 die Weltjugendtage ins Leben rief, sagte er: „Die Jugend erwartet eine schwere, aber zugleich packende Aufgabe: die grundlegenden ‚Mechanismen‘ zu verändern, die in den Beziehungen zwischen den Nationen Egoismus und Unterdrückung fördern, und neue Strukturen zu schaffen, die sich an der Wahrheit, der Solidarität und am Frieden ausrichten“. Die Jugendlichen müssten „Baumeister der neuen Zivilisation der Liebe“ sein.

3. „Wächter des Morgens“

Diesen Auftrag könnten die Jugendlichen aber nur erfüllen, wenn sie wie er von einer „Vision der Hoffnung“ erfüllt seien und einen „neuen Frühling“ für die Menschheitsfamilie erwarteten (Ansprache vor der UNO 1995). Es sei das Charisma der Jugend, sich für dieses prophetische Wort zu begeistern und wie „Wächter des Morgens“ hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken (Botschaft zum 11. WJT).

4. Augenblick der Sendung

In der Botschaft zum 7. Weltjugendtag 1992 erklärte Johannes Paul II., er habe in Tschenstochau 1991 bewusst einen „Sendungsritus“ vollzogen, um an die Jugendlichen eine offizielle Beauftragung auszusprechen. Die Jugendlichen sollten darauf wie der Prophet Jesaja antworten: „Hier bin ich, sende mich!“ (Jes 6,8). 

5. Morgenröte der neuen Zeit

Die Weltjugendtage seien bereits eine Vorwegnahme der neuen Zeit, die wir erhofften. Die Jugendlichen könnten schon jetzt die Erfahrung einer geeinten Menschheitsfamilie machen. „Das Weltjugendtreffen wird dann zur Ankündigung des Christus, der auch zu den Menschen dieses Jahrhunderts sagt: ‚Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben‘ (Joh 10,10)“ (Botschaft zum 8. WJT 1993).

6. Gelegenheit der Schulung

In den Weltjugendtagen sieht Johannes Paul II. die Gelegenheit, das einzuüben, wozu die Jugendlichen auf der ganzen Welt berufen seien. Die Treffen seien ein „Laboratorium des Friedens“, eine „kontinuierliche Schulung“, der „Antrieb“ dafür, „sich in der Kirche dem Dienst an den Brüdern und Schwestern zur Errichtung der Kultur der Liebe zu weihen“ (Botschaft zum 9. und 10. WJT 1994/1995).

7. Das Weltjugendtagskreuz

Drei Symbole sollten den Weg der Jugend kennzeichnen. Das erste ist das Kreuz, das Zeichen der „göttlichen Umarmung“ und der Erlösung, das auf die immerwährende Hingabe des Herrn in der Eucharistie hinweise. Um das Holzkreuz, das er den Jugendlichen im Heiligen Jahr der Erlösung anvertraut habe, seien die Weltjugendtage entstanden (Botschaft zum 15. WJT 2000).

8. Die Marienikone

Als zweites Symbol nennt Johannes Paul II. das Bild der Gottesmutter, welche die Jugendlichen immer begleite. 2003 vertraute er ihnen eine Kopie des Gnadenbildes Salus populi Romani an, die nach seinem Wunsch „von nun an – gemeinsam mit dem Kreuz – zur Vorbereitung der Weltjugendtage durch die Welt pilgern wird“ (Ansprache am 02.04.2003). 

9. Die Bibel

Das dritte Symbol ist die Bibel. Das Wort Gottes ermögliche die Begegnung mit dem lebendigen Christus, es sei den Jugendlichen aber nicht nur in der Hl. Schrift geschenkt, sondern auch durch die Lehre der Kirche, das Wort des Papstes. In den drei Symbolen seien die Fenster angedeutet, durch die der Heilige Geist in das Leben der Jugendlichen eintrete (Vigil in Tschenstochau, 14.08.1991; Botschaft zum 15. WJT 2000).

10. Kultur des Lebens

Der gesamte Auftrag, der an die Jugendlichen ergehe, münde ein in den Dienst am Leben. Der Einsatz für den Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod stelle den Schlüssel zur Neuevangelisierung und zum Aufbau einer Zivilisation der Liebe dar. Und nur im Geheimnis Christi könne man die göttliche Würde eines jeden Menschen erkennen (z. B. Vigil beim 10. WJT in Manila 1995). Der zehnte Punkt schließt gleichsam alle neun vorausgehenden wie eine große Klammer zusammen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„Am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung“

Alfred Delps Lebensmotto

Am Freitag, 9. Juni 2023, feierte der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier auf dem Adoratio-Kongress in Altötting den Eröffnungsgottesdienst. Als Konzelebranten nahmen auch die Bischöfe Gregor Maria Hanke aus Eichstätt und der Gastgeber Stefan Oster SDB sowie zahlreiche Priester aus dem deutschsprachigen Raum teil. Bischof Meier baute seine richtungsweisende Predigt auf einem Wort des Jesuitenpaters Alfred Delp auf, der als Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand gegen den Nationalsozialismus am 2. Februar 1945 mit 37 Jahren in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Im Gefängnis habe er mit gefesselten Händen geschrieben: „Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger. Am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.“ Im Horizont der geistesgeschichtlichen Spannungen der Neuzeit brachte der Augsburger Bischof dieses Wort zum Leuchten.  

Von Bischof Bertram Meier, Augsburg

Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
wenn dein starker Arm es will.
Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

Kennt jemand den Dichter dieser Zeilen? Es handelt sich um das sog. Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein: ein Lied, das lange verboten war.[1] Der Dichter heißt Georg Herwegh (1817-1875). Zwar ist der deutsche Lyriker im Neuen Conrady verzeichnet, doch den meisten blieb er unbekannt; selbst Günter Jauch würde vergebens nach ihm fragen. Als 46-jähriger schrieb Herwegh das Gedicht im April 1863 im Schweizer Exil, fast auf den Tag genau 15 Jahre nach seiner Beteiligung an der Osterrevolution im deutschen Südwesten.

Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

Welches Kontrastprogramm legt Pater Alfred Delp auf, wenn er das Motiv von Brot und Freiheit aufgreift[2] und im Gefängnis mit gefesselten Händen schreibt:

Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger.
Am wichtigsten aber ist die ungebrochene
Treue und die unverratene Anbetung.

Georg Herwegh hat behauptet:

Bet‘ und arbeit‘! ruft die Welt,
bete kurz! Denn Zeit ist Geld.
An die Türe pocht die Not.
Bete kurz! Denn Zeit ist Brot.

Alfred Delp hält dagegen:

Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger.
Am wichtigsten aber ist die ungebrochene
Treue und die unverratene Anbetung.

Georg Herwegh – Alfred Delp: der revolutionäre Dichter und der mutige Jesuit, das Bundeslied der Arbeiterbewegung und das Lebensmotto eines bekennenden Christen. Wie passt dieses ungleiche Paar zusammen? Gerade der Gegensatz zeigt, worum es uns Christen geht, was unser Anspruch ist: Katholiken sind weder Macher noch Weltverbesserer aus eigener Kraft. Was sie anbieten, ist nicht selbstgemacht, sondern Gottes Gabe: Geschenk des Himmels. Was bieten wir den Menschen an?

Brot ist wichtig

Brot ist wichtig. Das ist klar. Wir leben vom Brot. „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Doch leben wir nur vom Brot? Vierzig Tage und vierzig Nächte hat Jesus gefastet. Er hat nicht nur zum Schein gehungert. In der Wüste hat Jesus am eigenen Leib Hunger gelitten. Ohne Brot in der Wüste kommt er in Versuchung, das Stillen des leiblichen Hungers zum alles beherrschenden Ziel des Lebens zu erklären, nicht nur zu denken: Wenn der Mensch leben will, muss er essen, sondern: Wenn der Mensch glücklich sein will, muss er möglichst viel in sich hineinstopfen, ein breites Angebot konsumieren, sich zu Tode amüsieren.

Mit „Brot und Spielen“ wollten schon die Herrscher der Antike dem Volk das Maul stopfen. Bis heute liegt die Versuchung darin, die Menschen still zu halten mit oberflächlicher Befriedigung. Doch die Sehnsucht nach innerer Erfüllung lässt sich nicht übertünchen mit vielerlei Formen des Materialismus. Gerade bei jungen Leuten meine ich festzustellen, dass nicht wenige enttäuscht sind von unserer konsumorientierten und permissiven Gesellschaft. Schuften und schaffen, damit mein Konto immer dicker wird, das allein kann es nicht sein. Von einem Kick, von einer Fete, von einem Event zum anderen taumeln, das bringt keine Erfüllung. In allem ist etwas zu wenig.

Gemessen an der tiefsten Sehnsucht des Herzens gleicht das Angebot der Erde den Steinen in der Wüste. Die machen uns letztlich nicht satt. Es ist teuflisch, die Steine als Brot auszugeben, das Vorläufige zum Endgültigen zu erklären. Wenn wir dieser Versuchung verfallen, dann liegt es uns wie ein Stein im Magen, gerade dann, wenn wir zu viel in uns hineingestopft haben. „Befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird!“ Nein, sagt Jesus: „Der Mensch lebt nicht allein vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ Wir werden nicht ärmer, sondern reicher, nicht hungriger, sondern erfüllter, wenn wir uns von Gott ernähren lassen. Deshalb gibt es kein besseres Angebot, das wir Christen den hungrigen Menschen heute machen können, als ihren Hunger zu stillen in Gott. Jesus selbst hat vorgemacht, wie es geht. Er gibt nicht etwas, er schenkt sich selbst. Er wird zum Brot, von dem wir zehren: „Das Brot, das ich euch geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt“ (Joh 6,51). Geteiltes Brot, Brot der Liebe, Gottes Brot! Davon lebt der Mensch.

Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger

Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger. Keine Frage: Freiheit ist ein Grundwort unserer Zeit. Freiheit klingt gut: ein großes Wort, ein zerbrechliches Gut. Doch geht es uns vielleicht manchmal zu schnell über die Lippen? Freiheit darf nicht zum Spielball werden. Wir dürfen die Freiheit nicht vor den eigenen Karren spannen. Wie viel ist schon im Namen der Freiheit gefordert worden – auch in der Kirche? Einst überspannten Reformatoren den Bogen im Namen der „Freiheit eines Christenmenschen“; Theologen meinen heute, sie müssten im Memorandum Kirche 2011 „die Freiheitsbotschaft des Evangeliums als Maßstab für eine glaubwürdige Kirche“ nehmen.

Umso wichtiger ist es, dass wir Christen wissen, was wir mit „Freiheit“ meinen. Die Bibel kennt keine Allerweltsfreiheit. Es geht um die herrliche Freiheit der Söhne und Töchter Gottes. Wir Christen sind zur Freiheit berufen, nicht trotz des Glaubens, sondern aufgrund unseres Glaubens. Die Geschichte der wahren Freiheit beginnt in Gott. Gott bürgt für Freiheit.

Viele Menschen sehen das heute anders. Mehr noch: Sie wollen frei sein von Gott, sich von ihm emanzipieren, zu deutsch: sich seiner Hand entziehen. „Autonome Moral“ heißt diese Freiheit, die den Halt in Gott nicht braucht. Das hat Folgen. Im Lied der Arbeiterbewegung werden Brot und Freiheit gleichgesetzt. In diesem Sinn hat Karl Marx geäußert, der Mensch sei frei, wenn er die Möglichkeit habe, „morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, nach dem Essen zu kritisieren, wie er gerade Lust hat...“

Wenn das der Inbegriff von Freiheit ist, dann erscheint jede Bindung als Fessel der Freiheit. Doch Freiheit ist weder Beliebigkeit noch totale Unabhängigkeit. Freiheit braucht Bindung. Wahre Freiheit weiß sich gebunden in Gott. Weil Gott uns Menschen an der langen Leine lässt, sind wir frei. Das ist das Risiko, das Gott eingeht, indem er uns frei lässt. Um dieses Risiko der Freiheit weiß auch Paulus: „Ihr seid zur Freiheit berufen. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe...

Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und ähnliches mehr“ (Gal 5,13.19-21).

Kommt uns das vielleicht bekannt vor? Freiheit der Kinder Gottes heißt nicht Selbstverwirklichung auf Kosten anderer, sondern Selbstbeschränkung. Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Christliche Freiheit zielt nicht darauf ab, sich nach Lust und Laune die schönen Seiten des Lebens selbst zu nehmen, sondern das Leben für andere zu geben.

Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger. Am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung

Diese Überzeugung ist in Pater Alfred Delp immer mehr gewachsen, je fester seine Hände von den Schergen der Nationalsozialisten gebunden wurden. Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger. Am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung. An Epiphanie 1945, vier Wochen vor seiner Hinrichtung, hat Pater Delp eindrucksvoll entfaltet, wie er ungebrochene Treue und unverratene Anbetung versteht: „Wer nicht in einer Atmosphäre der Freiheit zuhause ist, die unantastbar und unberührbar bleibt, allen äußeren Mächten und Zuständen zum Trotz, der ist verloren. Der ist aber auch kein wirklicher Mensch, sondern Objekt, Nummer, Statist, Karteikarte. (...) Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott. (...)

Wenn der Mensch nur gerufen wird und wenn er sich nur rufen lässt! (...) Die freie und vorbehaltlose Begegnung mit dem Herrgott erst gibt dem Menschen seinen eigenen Raum. (...) Adoro und Suscipe sind die beiden Urworte der menschlichen Freiheit. Das gebeugte Knie und die hingehaltenen leeren Hände sind die beiden Urgebärden des freien Menschen. (...) Adoro und Suscipe: ihr Urworte des Lebens, ihr geraden und steilen Wege zu Gott, ihr Tore in die Fülle, ihr Wege des Menschen zu sich“.[3] Adoro und Suscipe: Anbetung und Hingabe. Darin liegt auch der Gipfel unserer heutigen Feier. Sogar ein Mensch, der sich areligiös nennt, betet etwas an. Er geht nicht vor Gott in die Knie, dafür vor Scheinwerten und Ersatzgütern. Die Anbetung ist nicht aufgehoben, sie hat sich nur verschoben. Müsste uns die Geschichte nicht die Lektion erteilen, dass Gutes nicht mit geballten Fäusten kommt, sondern von gefalteten Händen?

Um dies zu zeigen, möchte ich ein Bild lassen. Es zeigt eine Custodia, eine kleine Monstranz, die im Mutterhaus der Schwestern vom armen Kinde Jesus in Aachen steht. Egino Weinert hat sie gefertigt aus zweihundert Professringen verstorbener Schwestern. Die Ringe sind weit und eng, sie stehen für die Berufung einer jeden Schwester. Sie künden von den Jahren und Jahrzehnten, in denen die Schwestern ungebrochene Treue und unverratene Anbetung lebten. Sie taten es ganz persönlich, aber nie allein. Deshalb sind die Ringe miteinander verbunden. Gemeinsam erfüllen sie die Aufgabe, Monstranz zu sein, hinzuweisen auf den, ohne den sie ein totes Gefäß wären. Erst von der Mitte her, von der Hostie, die sie sichtbar machen, gewinnt das Ineinander der Ringe Sinn und Kraft.

Die Gegenwart des Herrn in der Eucharistie ist ein Prüfstein unseres Glaubens. Jesus Christus in der Hostie schweigt, während das Leben – auch das kirchliche – so fordernd ist und laut, so voller Aktivität und Leistungsdruck. Aber die Kirche ist kein Hamsterrad, sondern eher eine Art Ruhebank: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Bei der Anbetung brauchen wir nichts tun, wir dürfen ausruhen beim Herrn. So stellt uns die Custodia Fragen, die ich Ihnen mitgeben möchte:

Brauchen wir nicht gerade heute die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung in einer Zeit, in der die Treue oft gebrochen und die Anbetung nicht ausgehalten wird? In den Bannkreis der Hostie darf ich mein ganzes Leben stellen: die Anliegen der Kirche, die Nöte der Welt, meine persönlichen Bitten, die ungelösten Fragen und die noch nicht verwirklichten Pläne.

Könnten wir den Gedanken der Monstranz nicht noch weiter spannen? Wie wäre es, wenn wir nicht nur Professringe einbrächten, sondern auch Eheringe? Nicht zu vergessen die Ringe der Bischöfe und Äbte? Gerade wir stehen ja unter dem Anspruch, Zeichen zu sein für die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung. Schärfen wir den Blick auf das Grundnahrungsmittel der Katholiken – Jesus Christus im heiligen Brot.

Bet‘ und arbeit‘! ruft die Welt,
bete kurz! Denn Zeit ist Geld.
An die Türe pocht die Not.
Bete kurz! Denn Zeit ist Brot.

Die Osterrevolution, die den Dichter einst zu diesem „Bundeslied“ inspiriert hat, ist gescheitert. Sie war selbstgemacht. Die göttliche Revolution an Ostern, von der unser verstorbener Papst Benedikt XVI. gern gesprochen hat, ist im Rollen, solange Menschen wie Alfred Delp bezeugen:

Brot ist wichtig. Die Freiheit ist wichtiger. Am wichtigsten aber ist die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Der gesamte Text ist abgedruckt in: Vorwärts, hrsg. von Rudolf Lavant, Zurich 1886 (Quelle: Scans auf Commons, 472-473).
[2] In: Gesammelte Schriften IV (Aus dem Gefängnis), hrsg. von Roman Bleistein, Frankfurt am Main 1984, 236 (Meditation zum Vaterunser).
[3] Gesammelte Schriften IV (Aus dem Gefängnis), hrsg. von Roman Bleistein, Frankfurt am Main 1984, 217-219. 

Viel Grund zur Hoffnung

Von Beate Dahinten

Ja, es gibt viel Grund zur Hoffnung, selbst in Zeiten wie diesen. Hoffnung in persönlichen wie auch in globalen Krisen. Dieses Signal ging vom „Mittendrin“, dem Deutschlandtreffen der Charismatischen Erneuerung, am langen Himmelfahrts-Wochenende in Künzell bei Fulda aus. Über 800 Teilnehmer ließen sich in der Kreissporthalle von vielfältigen Impulsen zum Thema „Hoffnung? Hoffnung!“ ermutigen.

Für diese Vielfalt an Impulsen sorgte ein buntes Spektrum an Referenten. Der Theologe und Autor Dr. Johannes Hartl sprach von einer Kultur der Hoffnungslosigkeit in der westlichen Welt, befeuert durch die mediale Vernetzung. Im Blick auf die Zukunft werde Schlechtes überbetont, Gutes nicht kommuniziert und letztlich Gott ausgeblendet. Ja, es gebe Herausforderungen, sagte Hartl, aber es gelte, sich ihnen zu stellen, mithilfe des Heiligen Geistes. „Männer und Frauen der Hoffnung sind ein Gebot der Stunde“, betonte Hartl – und zeigte konkrete Schritte auf, zum Hoffnungsträger zu werden.

Es gibt Hoffnung für ausgelaugte Christen wie die Influencerin und Powerfrau Jana Highholder (24). Ihre Botschaft erwuchs aus der zunächst unliebsamen Einsicht, dass ihre Seele nach neun Jahren mit einem schier unglaublichen Pensum an Aktivitäten eine Pause braucht: „Gott meint den ganzen Menschen, nicht nur den Geist und vielleicht noch den Körper. Und er schenkt gerne die nötige Ruhe zum Auftanken.“

„Jesus ist da, wo es am schlimmsten hergeht.“ Das macht Mario Mosimann von „Aktion für verfolgte Christen“ (AVC) am meisten Hoffnung. Der Schweizer berichtete von offenen Türen für die christliche Botschaft beispielsweise an mehreren buddhistischen Staatsschulen in Thailand oder in höchsten Kreisen in Saudi-Arabien. Überhaupt nehme die Zahl der Christen gerade in den Ländern zu, wo der Glaube an Jesus etwas kostet.

Die Hoffnung und das Vertrauen auf Gottes Wirken können selbst dann gestärkt werden, wenn Gebet anders oder gar nicht erhört wird. Diese Erkenntnis hat der Fuldaer Weihbischof Karlheinz Diez gewonnen. „Gott weiß, was er tut“, sagte Diez in der Messe am Samstagvormittag.

In der Eucharistiefeier zum Auftakt an Christi Himmelfahrt hatte der Vorsitzende der CE Deutschland, Pfarrer Josef Fleddermann (Bremen), an den Heiligen Geist erinnert, an die Kraft aus der Höhe, die Jesus verheißen hatte. Und was an Pfingsten wahr geworden sei, gelte heute noch: „Der Heilige Geist gibt den Jüngern Kraft und Zuversicht, weckt und stärkt ihr Vertrauen und ihre Hoffnung.“

Die Impulse waren eingebettet in intensive Zeiten von Lobpreis und Anbetung. Ein Abend mit dem Angebot für persönliches Gebet und Segnung, das auf große Resonanz stieß, sowie zahlreiche Workshops und ein eigenes Kinderprogramm gehörten wie immer dazu beim „Mittendrin“.

Die Verantwortlichen der CE Deutschland legten zudem einmal mehr großen Wert darauf, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit hineinzunehmen. Mit frischen Ideen und dem Einsatz moderner Kommunikationstools sorgten das Moderatorenduo Rhiana Spörl und Tobias Gayer für Auflockerung. Und die Begeisterung der jungen Leute im Lobpreis fiel nicht nur Weihbischof Diez positiv auf, der sich wünscht, dass sich junge Leute in ihrer Art in die Gemeinden einbringen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Negative Gedanken über andere Menschen bezwingen

Gutes sprechen

In seinem priesterlichen Dienst hat Dr. Peter Dyckhoff die Erfahrung gemacht, dass nicht die Sünden gegen das sechste Gebot die Gläubigen am meisten belasten, sondern die schlechten Gedanken und Äußerungen über andere Menschen. Nur wenn es uns gelingt, dieses Urteilen und schlechte Reden zu überwinden, können unsere Begegnungen mit den Anderen zu Gottesbegegnungen werden. In einem neuen Buch mit dem Titel „Gutes sprechen"[1] gibt Dr. Dyckhoff dazu eine geistliche Anleitung. Im Vorbild Jesu sieht er „den einzigen und absolut wirkungsvollen Weg, mit bösen und dunklen Einsprechungen fertigzuwerden“.  

Von Peter Dyckhoff

Hochmotiviert, voll Freude und Dankbarkeit, dass ich nach vielen Hindernissen zum Priester geweiht wurde, trat ich als Wallfahrts- und Krankenhaus-Seelsorger meine erste Stelle in Kevelaer an, einem Wallfahrtsort am Niederrhein.

„Alles zur Ehre Gottes“

Zunächst bewohnte ich zwei kleine Zimmer im Priesterhaus. Nach ein paar Wochen jedoch bekam ich eine eigene Wohnung im Petrus-Canisius-Haus direkt am Kapellenplatz. Sie befand sich im Dachgeschoss, sodass ich einen herrlichen Ausblick und Überblick über den gesamten Kapellenplatz hatte. Da hier kein Autoverkehr herrschte, war es außerordentlich ruhig, was sich auch als sehr angenehm in den Kirchen widerspiegelte – abgesehen von lauten Bläsertönen, die ankommende Wallfahrer begleiteten. Wenn man sah, mit welchem Engagement die Musiker den Wallfahrtszug musikalisch unterstützten, konnte man nur die Haltung einnehmen: „Alles zur Ehre Gottes“.

Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“

Das Ziel der Wallfahrten ist das Kevelaer Gnadenbild, ein Marienbild der „Trösterin der Betrübten“ (Consolatrix Afflictorum), das sich in der Gnadenkapelle befindet. Bei seiner Deutschlandreise besuchte Papst Johannes Paul II. auch die Wallfahrtsstadt Kevelaer. Sie besitzt heute ungefähr 28.000 Einwohner und ist ein bekannter Ort religiösen Lebens der katholischen Kirche, eine Stätte des Gebetes und der Besinnung, des Zur-Ruhe-Kommens und der Gnade.

Im Jahr 1642 entstand eine Kapelle, um die sich herum die Stadt Kevelaer bildete. Um die Weihnachtszeit des Jahres 1641 hörte der Handelsmann Hendrick Busman dreimal den geheimnisvollen Anruf: „An dieser Stelle sollst du mir eine Kapelle bauen!“ Busman betete gerade auf seinem täglichen Weg von Weeze nach Geldern vor einem Hagelkreuz, das an einer Wegkreuzung im heutigen Kevelaer stand. Obwohl Hendrick Busman die finanziellen Mittel zum Bau einer Kapelle nicht hatte, gelang es ihm und seiner Frau, durch Spenden einen Opferstock zur Verehrung der Gottesmutter zu errichten.

Beichterfahrung am Wallfahrtsort

In der Hauptwallfahrtszeit von Mai bis Oktober gehörte es zu meinem Dienst, täglich einige Stunden zur Beichte zur Verfügung zu stehen. Obgleich Beichtzimmer vorhanden waren, bevorzugten zu meiner Zeit die Pilger vornehmlich den Beichtstuhl. Schon damals fragte ich mich, welches Vergehen wohl am meisten von den Gläubigen in der Beichte vorgebracht würde.

Aus meiner Lebenserfahrung war ich damals davon überzeugt, dass es Verstöße gegen das sechste Gebot sein würden. An manchen Tagen sollte ich recht bekommen mit meiner Vermutung, doch dann wieder häuften sich die Bekenntnisse, über andere Menschen schlecht geredet und gedacht zu haben. Ja, diese Sünde gegen das achte Gebot – „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“ – wurde mit Abstand zu dem Bekenntnis, das an erster Stelle stand und steht.

Die häufigste Sünde: „Schlechtes reden“

Es war richtig, dass ich mich bereits in Kevelaer darauf einstellte, entsprechende Antworten zu geben, Hilfe zu leisten und Mut zu machen, um gerade von diesem Übel loszukommen. Es war schon immer mein Anliegen, einmal etwas zu veröffentlichen, was die Wichtigkeit der Beachtung des achten Gebotes herausstellt und dieses bewusst zu machen. Vielleicht wegen der negativen Beispiele, die ein solches Buch auch enthalten muss, schob ich die Verwirklichung immer wieder hinaus und widmete mich anderen Themen. Doch jetzt, gegen Ende meines Lebens, fühle ich einen konkreten Auftrag, eine Schrift mit dem Titel „Gutes sprechen“ zu verfassen, um möglichst vielen Menschen diese Thematik bewusst zu machen – vor allem aber sie zu sensibilisieren. Aus meiner Beichterfahrung kann ich bestätigen, dass nicht die Vergehen des sechsten Gebotes die Menschen am meisten bedrücken, sondern das schlechte Reden über andere, das vorschnelle Urteilen sowohl in Gedanken als auch in Worten. Die negativen Impulse sind in der Regel so schnell da, sie überfallen uns förmlich, sodass kaum eine Handhabe zur Verfügung steht, sie nicht zuzulassen oder etwas Gutes an ihre Stelle zu setzen.

Versuchung Jesu in der Wüste

Für mich war und ist das Verhalten Jesu dem Dämon gegenüber bei seinem vierzigtägigen Fasten in der Wüste ein großes Vorbild, das ich allen nur empfehlen kann, die ernsthaft um ein gutes Fühlen, Denken und Sprechen bemüht sind.

Nach seiner Taufe ging Jesus vor seinem öffentlichen Auftreten vierzig Tage und Nächte in die Wüste, um zu fasten und zu beten – vornehmlich aber, um vom Teufel in Versuchung geführt zu werden. Durfte Jesus eben noch den geöffneten Himmel erfahren, so erlebt er jetzt geballt die Macht des Bösen. Der Teufel versucht mit allen diabolischen Mitteln, Jesus zu Fall zu bringen, ihn zum Abfall von Gott zu führen und zur Verleugnung des grundlegenden Glaubensbekenntnisses. Jesus erteilt ihm jedoch bei jeder neuen Versuchung eine Absage, indem er sich an Gott, seinen Vater, wendet und ein Wort aus der Heiligen Schrift betet. Das Verhalten Jesu zeigt, wie die Versuchungen überwunden werden: durch die Heilige Schrift, die Bekenntnis, Gebet und Kraft ist.

Zuerst auf Gott schauen

Wer sich Gott hingibt, bleibt niemals allein, niemals ohne Schutz und niemals oh-ne Antwort. Gott sorgt für uns, wenn wir zuerst auf ihn schauen. Nur durch die Hinwendung zum Höchsten kann es gelingen, dass der „Fürst dieser Welt“ von uns ablässt und geschlagen das Feld räumt. Darauf ließ der Teufel von ihm ab und es kamen Engel und dienten ihm (Matthäus 4,11). Die Engel sind von Gott, dem Vater, gesendet und sie werden für Jesus zu der Gewissheit, dass der Wille des Vaters geschieht, ja, dass der Vater sogar anwesend ist.

Bei der großen dreistufigen Versuchung Jesu am Ende seines Aufenthaltes in der Wüste geht es nicht um einen Kampf mit dem Teufel. Nicht einmal ein Streitgespräch findet mit ihm statt. Der Satan kommt nicht an ihn heran.

Das Wort Gottes als Gebet und Lobpreis

In großer Gelassenheit weist Jesus mit Berufung auf die Schrift die Versuchungen einfach ab. In überlegener Ruhe wendet er sich als „geliebter Sohn“ an seinen Vater und betet ein Wort aus dem Buch Deuteronomium, das die Wundermacht Gottes preist: Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern der Mensch lebt von allem, was der Mund des Herrn spricht (8,3b).

Auch mit der zweiten Versuchung, die der Böse unter dem Schein des Guten versucht, verfährt Jesus mit gelassener Ruhe in gleicher Weise. Er betet wiederum ein Wort aus dem Buch Deuteronomium: Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht auf die Probe stellen (6,16).

In der dritten Versuchung möchte der Satan, dass Jesus ihn anbetet. In diskussionsloser Entschiedenheit verweist Jesus mit einem weiteren Wort aus dem Buch Deuteronomium ruhig und gelassen auf den, dem einzig Anbetung gebührt: Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen. Den Herrn, deinen Gott, sollst du fürchten; ihm sollst du dienen (5,9; 6,13).

Negative Gedanken und Äußerungen über andere Menschen

Die Versuchungen Jesu spiegeln das menschliche Versuchtwerden wider: Der mit Gott verbundene Mensch soll von Gott abgezogen werden. Die Überwindung der Versuchung ist nur durch Gebet und damit durch das Festhalten an Gottes Leben spendendes Wort möglich. Auf diese Weise distanzierte sich Jesus vom Versucher und ließ keine dunklen Kräfte in sein Inneres. Der Ausgang der Versuchung geschah auf zweifache Weise: Der Versucher ließ von Jesus ab und es kamen Engel und dienten ihm.

Das Verhalten Jesu, die wiederholte Absage an das Böse und die mit dem Schriftwort verbundene betende Ausrichtung auf Gott, ist der einzige und absolut wirkungsvolle Weg, mit bösen und dunklen Einsprechungen fertigzuwerden – vornehmlich mit negativen Gedanken und Äußerungen über andere Menschen.

Ungute Einflüsterungen überwinden

Der Sinn dieser Gebetsweise besteht darin, negative, zerstörerische und ungute Kräfte abzubauen und einen Schutzwall zu bilden, sodass sie den Menschen nicht mehr zerstörerisch überfallen und keinen Einlass in sein Inneres finden. Den feindlichen Einflüsterungen kommt der Betende mit verheißungsvollen Worten Gottes entgegen, um die der Seele innewohnende Ruhe zu finden oder wiederzufinden. Durch dieses so einfache Gebet wird der Betende frei von allen Dunkelheiten und wird zum Licht, in die Nähe Gottes, geführt. Jesus zeigt uns, wie wir mit dieser immer neu an den Menschen herantretenden Bedrohung umzugehen haben und wie es möglich ist, sie wirkungslos zu machen.

Die widergöttlichen Kräfte möchten den Menschen auf ein geistloses Unten ziehen und somit die Seele des Menschen in Besitz nehmen. Wenn der Mensch jedoch in seinem Gebet und der damit verbundenen Anrufung Gottes sich auf ein höheres und geistliches Niveau begibt, bedeutet dies eine Absage an die versucherische Situation. Er ist mit der Hilfe Gottes, um die er bittet, gegen die Anfechtung gefeit. Dieser Schutz gegen das Böse entwickelt sich langsam – bis er dauerhaft geworden ist. Manche Menschen erleben die Angriffe des Bösen selbst noch während des Sterbens zutiefst und erschütternd in ihrer Seele. Daher ist eine einfache und sich wiederholende Ausrichtung auf den Herrn unverzichtbar.

Kurze Stoßgebete nach dem Vorbild Jesu

Diese Gebetsweise besteht aus kurzen Stoßgebeten, die wir immer dann innerlich aussprechen, wenn dunkle Gedanken oder Äußerungen uns versucherisch bedrängen. Genau wie Jesus sich nicht auf das Niveau des Widersachers begibt, sondern sich mit einem Schriftwort an Gott, seinen Vater, betend wendet, so lassen auch wir nicht dunkle und zerstörerische Kräfte in unser Inneres. Mit dieser Hinwendung an Gott begeben wir uns nicht auf die Ebene des Widersachers, sondern weisen ihn – ohne ihn in den Blick zu nehmen und ohne ihn direkt anzusprechen – zurück, sodass er keine Macht hat, unser Inneres zu verschatten oder gar zu verdunkeln.

Warum lassen wir uns immer noch so häufig auf das zerstörerische Niveau des Widersachers ein und bekunden damit seine Wichtigkeit und geben ihm Macht über uns, anstatt uns gleich durch die Anrufung Gottes auf eine höhere Ebene zu begeben? Hier sind wir vor allen Anfeindungen sicher, wenn wir durch die Anrufung des Namens Gottes oder im Namen des Kreuzes die dunklen Kräfte zurückweisen und uns von Gott beschützt und gesegnet wissen.

„Gutes sprechen“ und Gott begegnen

Ich finde es außerordentlich wichtig, durch, mit und in Jesus Christus ein Mittel in der Hand zu haben, sich gegen die hässlichen Einflüsterungen des Bösen zu wehren und ihnen nicht zu erliegen. Mit meinem neuen Buch „Gutes sprechen“ will ich diese praktische Gebetweise gegen widergöttliche Kräfte, die uns von der Nächsten- und Gottesliebe abhalten oder sie gar in uns zerstören möchten, bewusst und anwendbar machen. Der Text dieses Buches möchte dazu beitragen, zu erkennen, dass jede Begegnung mit einem Menschen zu einer Gottesbegegnung wird und nicht vorher durch zerstörerische und trennende Negativität belastet werden darf. Insbesondere möchte das Buch unsere Verantwortung offenbaren, wenn wir anderen Menschen, allen Wesen und allem Gut in der göttlichen Schöpfung begegnen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Peter Dyckhoff: Gutes sprechen, geb., 272 S., mit 23 Abb., Euro 19,95 (D), Euro 20,60 (A),
ISBN 978-3-947931-49-1, Bestell-Tel.: 07303/952331-0; E-Mail: buch@media-maria.de; Internet: www.media-maria.de

Zeugnis eines in Gott verankerten Menschen

Ich bin guter Hoffnung!

Von Christa Meves

„Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet“ (Psalm 30, 12), heißt es in den Losungen kurz nach Pfingsten. – Auch heute noch erleben es viele Menschen, dass sie aus großen Nöten herausgeholt wurden und wieder ihr normales Alltagsleben fortführen konnten. Tägliche Pfingstwunder – nicht nur an Pfingsten. Denn das Ziel Gottes mit seiner Schöpfung ist Freude. Der Apostel Johannes beschreibt das mit den Worten: „Er wird alle ihre Tränen abwischen“ (Offb 21,4).

Auch wenn nicht jeder Tag ein Tag der Freude ist und nicht wenige Menschen lange durch ein Tal der Tränen gehen, trägt uns Gott auch mitten im Leid. An vielen Stellen berichtet die Bibel von Menschen, die durch Gottes Güte geheilt und gerettet wurden. Auch nach Pfingsten dürfen wir diese Hoffnung des Heiligen Geistes in uns tragen und bewahren.

Vor Pfingsten war auch ich selbst in große Not geraten: gestürzt, Hüfte gebrochen, operiert. Im Krankenhaus bekam ich dann Corona, was ich überwunden habe – eine Lungenentzündung, die abgeklungen ist –, wegen Wasseransammlungen musste ich punktiert werden, ohne Nachwirkungen.

Noch ist es nicht leicht, wieder in einen normalen Status einzupendeln. Dazu bedarf es noch vieler Übungen, aber ich bin guter Hoffnung.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Jesus und die Ehebrecherin

Als Titelbild für sein Buch „Gutes sprechen“ hat Dr. Peter Dyckhoff das Gemälde „Jesus und die Ehebrecherin“ von Lucas Cranach dem Älteren gewählt. Er stellt die zentrale Aufgabe eines jeden Christen heraus, das Urteilen und die damit verbundenen negativen Gedanken zu überwinden. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ – wie Jesus in der Bergpredigt sagt (Mt 7,1).  

Von Peter Dyckhoff

Das Titelbild des Buches „Gutes sprechen“ zeigt einen Ausschnitt aus dem Gemälde „Jesus und die Ehebrecherin“ von Lucas Cranach dem Älteren (1472–1553). Das Bild entstand um 1520. Es handelt sich um die Konfrontation zwischen Jesus und den Schriftgelehrten und Pharisäern zu der Frage, ob eine soeben beim Ehebruch ertappte Frau gesteinigt werden muss.

Da Lucas Cranach in Kronach geboren wurde, wird dieses Bild heute in der Fränkischen Galerie in der Festung Rosenberg in Kronach gezeigt. Es ist eine Leihgabe des Bayerischen Nationalmuseums in München.

Auf unserem Bild stehen Jesus und die Ehebrecherin im Mittelpunkt – umgeben von aggressiven Schriftgelehrten und Pharisäern, die die Frau steinigen wollen. Zwei Pharisäer, links von ihnen, halten Steine schon bereit.

Die guten Worte, die Jesus spricht – er ist mit einem roten Gewand bekleidet – gehen allen zu Herzen; sie fühlen sich betroffen und verlassen diesen Ort, sodass Jesus und die Ehebrecherin allein zurückbleiben. Es geschah anders als die Pharisäer und Schriftgelehrten erwartet hatten, als sie die Frau vor Jesus stellten. Die Schriftgelehrten und Pharisäer erwarteten, dass Jesus die Frau öffentlich als schuldig erklärt und mit verachtendem Blick ansieht. Aber Jesus tat es nicht! Das gute Sprechen Jesu, das Vergebung beinhaltet, hat nicht nur das Böse, die Steinigung, verhindert, sondern auch die Beschuldigte und viele auf einen guten Weg gebracht.

Dazu schreibt Dr. Matthias Weniger vom Bayerischen Nationalmuseum: „Christus entwaffnete die – bei Cranach karikaturhaft überzeichneten und phantastisch aufgeputzten – Kläger, indem er dazu aufforderte, derjenige solle den ersten Stein auf die Ehebrüchige werfen, der selbst ohne Sünde sei (Joh 8,3-11). (…)

Cranach hatte das Thema bereits 1509 in einer Zeichnung gestaltet. (…) Die Tafel gilt als frühestes bekanntes Lehrbild dieses Themas im Schaffen Cranachs.  (…) Sie wird gewöhnlich um 1520 datiert, nur wenige Jahre nach jenem 31. Oktober 1517, als Luther seine 95 Thesen in Umlauf brachte. Alle späteren Darstellungen aus der Werkstatt gehen, teils freier, teils relativ wörtlich, auf die Kronacher Formulierung zurück, die damit als ein zentrales Werk im OEuvre des Künstlers wie in der Bilderwelt der Reformation gelten darf.

Darüber hinaus hat das Gemälde eine ganz eigene Geschichte. Gut ein Jahrhundert später erwarb es der bayerische Herzog und Kurfürst Maximilian I. Er ist für sein Interesse an altdeutscher Kunst und namentlich seine Dürer-Sammlung bekannt, war andererseits aber auch einer der prominentesten Vertreter der katholischen Partei und ein Vorkämpfer der Gegenreformation.

Wie bei vielen anderen Gemälden seiner Kammergalerie ließ er massive Eingriffe in das Werk vornehmen. Anstückungen und ein Teil der Übermalungen wurden 1912 entfernt, andere haben sich jedoch bis heute erhalten. So ließ Maximilian eine gotische Kirchenarchitektur über den zuvor neutralen Grund legen und die rechte Hand der Ehebrecherin übermalen. Diese Hand war zuvor in die Linke Christi gelegt, eine Geste, die die besondere Zuneigung des Erlösers gegenüber der Sünderin zum Ausdruck bringen sollte, von Maximilian aber offensichtlich als unschicklich empfunden wurde.

Der Übermalung des Fonds fiel zugleich die auf den neutralen Grund gesetzte Inschrift mit dem entscheidenden Satz aus Joh 8,7 zum Opfer. Das ursprüngliche Aussehen des Bildes lässt sich über spätere Fassungen und Kopien rekonstruieren. Am getreuesten dürfte den Eindruck ein Tafelbild wiedergeben, das ebenfalls zum alten Besitz des Hauses Wittelsbach gehört.“  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
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Das Charisma der hl. Rita von Cascia

Geheimnisvolle Wunde der Dornenkrone

Das einzigartige Charisma der hl. Rita von Cascia (1371-1447) besteht in einem Stigma der Dornenkrone Jesu auf ihrer Stirn. Ihre Sehnsucht, an der Passion des Erlösers teilhaben zu dürfen, erfüllte sich 1432 dadurch, dass ein Dorn aus der Dornenkrone Christi ihre Stirn durchbohrte und eine offene Wunde hinterließ. Unter unglaublichen Schmerzen litt sie an diesem Zeichen 15 Jahre lang bis zu ihrem Tod. Schon in jungen Jahren wollte Margherita, so ihr Taufname, bei den Augustinerinnen eintreten, doch wurde sie 1385 gegen ihren Willen verheiratet. Nachdem ihr Ehemann Ferdinando di Mancino in einer Familienfehde ermordet worden war und ihre beiden Söhne bei einer Pest den Tod gefunden hatten, trat sie mit 36 Jahren in das Augustinerinnen-Kloster der Heiligen Magdalena in Cascia ein. Der spanische Augustinerpater José Sicardo OSA verfasste eine Biografie, die 1916 in englischer Sprache unter dem Titel „St. Rita of Cascia – Saint of the impossible“ (Heilige des Unmöglichen) erschienen ist. 2022 wurde eine deutsche Übersetzung veröffentlicht.[1] Nachfolgend einige Auszüge.  

Von P. Joseph Sicardo OSA

Rita sehnte sich danach, das Kreuz auf ihre Schultern zu nehmen, um zumindest einen Teil der Qualen der Passion ihres gekreuzigten Herrn zu spüren. Der Herr erhörte ihr Sehnen auf wunderbare Weise.

Predigt über die Dornenkrone

Einmal kam ein Franziskaner namens Jakob von Monteprandone nach Cascia, um in der Marienkirche zu predigen. Er galt als gelehrt und redegewandt, und sein Wort konnte auch die am meisten verhärteten Herzen bewegen. Rita ging mit den anderen Schwestern zur Kirche, um diesen berühmten Prediger zu hören. Thema der Predigt war das Leiden und Sterben Jesu Christi. Der beredte Franziskaner sprach über die alte, immer neue Geschichte des Leidens unseres Herrn und Erlösers. Doch vor allem kreiste seine Predigt um die außerordentlichen Qualen, die die Dornenkrone verursacht hatte. Seine Worte drangen tief in Ritas Seele ein und erfüllten ihr Herz mit Trauer. Tränen traten ihr in die Augen und sie war von tiefem Mitleid erfüllt.

Nach der Predigt kehrte Rita ins Kloster zurück. In ihrem Herzen bewahrte sie jedes Wort, das Pater Jakob über die Dornenkrone gesagt hatte. Nach einem Besuch beim Heiligsten Sakrament zog Rita sich in einen kleinen Gebetsraum zurück, in dem heute ihr Leib ruht. Sie kniete zu Füßen des Kreuzes und begann, über die Schmerzen nachzudenken, die Jesus durch die Dornenkrone, die tief in seine Schläfen eingedrungen war, erlitten hatte. Um einen Teil der Schmerzen mit Jesus zu teilen, bat sie ihn, an seiner Passion teilhaben zu dürfen und eine der 72 Dornen ihr zu überlassen, damit sie etwas von seinem Schmerz tragen dürfe.

Ein Dorn dringt in Fleisch und Knochen ein

Als Rita ihre im Gebet vorgetragene Bitte beendet hatte, traf wie mit einem Pfeil geschossen ein Dorn mit solcher Kraft Ritas Stirn, dass er in das Fleisch und den Knochen eindrang und in der Mitte der Stirn stecken blieb. Dieser Dorn ließ eine Wunde zurück, die ihr ganzes Leben lang dort blieb. Und bis auf den heutigen Tag ist die Narbe dieser Wunde deutlich sichtbar. Der Schmerz beim Eindringen des Dorns in die Stirn war so schneidend und intensiv, dass Rita ohnmächtig wurde, und sie wäre gestorben, wenn Jesus ihr Leben nicht bewahrt hätte, sodass sie nach ihrem Wunsch wenigstens einen Teil der Qualen seiner Passion spüren konnte. Als Rita wieder zu sich kam und erkannte, dass sie mit einem kostbaren Zeichen begnadet worden war, richtete sie an ihren göttlichen Bräutigam ein inniges, tief empfundenes Dankgebet.

Rita verließ den kleinen Gebetsraum mit dieser heiligen Wunde auf ihrer Stirn. Auf ihrem Gesicht waren Zeichen eines schweren Leidens zu erkennen. Beim Anblick der Wunde waren die Mitschwestern mehr als erstaunt, doch sie wussten nicht um das Geheimnis.

„Meine Engelchen“

Der von der Wunde verursachte Schmerz nahm von Tag zu Tag zu, und die Wunde selbst wurde so hässlich und abstoßend, dass Rita bei manchen Schwestern Ekel erregte. Sie konnten ihren Anblick nicht mehr ertragen. Weil Rita den Schwestern keine Unannehmlichkeiten verursachen wollte, verweilte sie die meiste Zeit in Kontemplation in ihrer Zelle. Zuweilen wurde sie von den Schwestern in ihrer Zelle aufgesucht, entweder um ihr das Essen zu bringen oder ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Sie gingen immer von ihr bereichert wieder fort.

Auch inmitten ihrer Leiden war Rita glücklich, und wenn ihre Schmerzen heftiger wurden, bat sie ihren göttlichen Bräutigam, sie in dem Maß in Geduld wachsen zu lassen, wie ihre Leiden zunahmen. Wie alle ihre Gebete wurde auch dieses erhört. So groß war Ritas Geduld in all den Schmerzen, die sie erlitt, dass sie die kleinen Würmer, die aus dem eitrigen Nährboden ihrer Wunde hervorkamen, „ihre Engelchen“ nannte, denn sie vermehrten ihre Leiden, wenn sie sich in der Wunde bewegten. Und so gaben sie ihr neue Gelegenheiten, Leiden zu übernehmen.

Pilgerreise nach Rom

Papst Nikolaus V. hatte das Jahr 1450 als Heiliges Jahr ausgerufen. Und da Rita wusste, dass einige Schwestern ihres Konvents sich auf die Reise in die Ewige Stadt vorbereiteten, um die geistlichen Schätze der Ablässe zu gewinnen, die die Kirche zu solch feierlichen Anlässen gewährte, wollte Rita sich ihnen anschließen.

Mit dieser großen Sehnsucht im Herzen ging sie zu ihrer Oberin und bat demütig um Erlaubnis, sich den anderen Schwestern anschließen zu dürfen. Die Priorin blickte auf die abstoßende Wunde auf Ritas Stirn und meinte, das sei Grund genug, Ritas Bitte abzulehnen, denn sie glaubte, dass schon der Anblick dieser Wunde bei allen, die sie sehen würden, einen Skandal hervorrufen könnte. Daher verweigerte die Oberin die Genehmigung. Sie entließ Rita mit dem Hinweis, dass sie zusammen mit den Schwestern nach Rom pilgern könnte, wenn sich die Wunde auf ihrer Stirn schließen würde.

Rita eilte sogleich zu ihrem himmlischen Bräutigam, ihrer einzigen Zuflucht, kniete zu seinen Füßen nieder und bat Jesus, sie nicht von den Schmerzen zu befreien, sondern die Wunde für die Zeit ihres Aufenthalts außerhalb des Klosters zu verschließen. Diese demütige Bitte gefiel dem Herrn, und da es seinem Willen entsprach, dass Rita an der Wallfahrt nach Rom teilnehmen konnte, heilte er im gleichen Augenblick ihre Wunde. Als Rita sah, dass ihre Stirnwunde verschwunden war, dankte sie Gott für eine so große Gnade. Sie verließ den Gebetsraum und ging zur Zelle der Oberin.

Auf der Schwelle des Klosters

Worte können nicht die Überraschung und das Erstaunen der Priorin und der Schwestern beschreiben, als sie diese plötzliche Heilung sahen. So gab es kein Hindernis mehr für Ritas Pilgerreise nach Rom zusammen mit den anderen Schwestern. Also machten sich die Nonnen des Klosters der Heiligen Maria Magdalena auf den Weg nach Rom und freuten sich, dass Rita unter ihnen war. Als die Schwestern Rom erreichten, gingen sie gemeinsam zu den Stationskirchen, die zum Pflichtprogramm gehörten. Dort beteten sie in tiefer Andacht, bestrebt, den Jubiläumsablass zu gewinnen. Ritas große Sammlung und Frömmigkeit auf ihrem Weg von einer Stationskirche zur nächsten fiel nicht nur ihren Mitschwestern auf, sondern auch vielen anderen Pilgern.

Nach dem Besuch der Märtyrergräber und anderer heiliger Stätten in der Stadt des heiligen Petrus kehrten Rita und die Schwestern in ihr Kloster zurück. Als Rita auf den Stufen vor dem Kloster stand, erfüllte eine ganz besondere Freude ihr Herz. Als sie über die Schwelle trat, wurde genau in diesem Augenblick die alte Wunde auf der Stirn wieder sichtbar, und Rita spürte einen heftigen Schmerz. Natürlich waren die Schwestern überrascht beim Anblick von Ritas entstellter Stirn, aber mit Tränen in den Augen erkannten sie, dass diese Wunde wirklich eine Gabe Gottes war und dass er sie geheilt hatte, damit Rita nach Rom pilgern konnte.

Mystische Begegnung mit dem himmlischen Bräutigam

Nach ihrer Rückkehr aus Rom verstärkten sich die Schmerzen durch die Wunde an der Stirn, sodass ihr Leben wirklich zu einem Martyrium wurde. In einem mystischen Erlebnis kam der Gottessohn vom Himmel, um sie mit seiner göttlichen Gegenwart zu trösten. Dieser Besuch erfüllte Ritas Seele mit außerordentlicher Wonne und Dankbarkeit. Ihr Verstand versank gleichsam in einer unfassbaren Glückseligkeit. Rita musste jedoch erkennen, dass das Meer des Glücks, in das sie eintauchte, zeitlich begrenzt war. Glühend sehnte sie sich danach, ihrem göttlichen Bräutigam zu folgen. Aber er entschwand ihrem Blick, nachdem er ihr einen Vorgeschmack von der himmlischen Glückseligkeit gegeben hatte.

Nachdem der Herr sie verlassen hatte, blieb in Ritas Herz eine so tiefe Wunde zurück, dass sie vor Liebe krank wurde. Sie hatte eine so heftige Fieberattacke, dass sie ihr ärmliches, hartes Lager aufsuchen musste, auf dem sie dann mehr tot als lebendig lag, ohne dass jemand den Grund ihrer Krankheit ahnte. Sie litt auch weiterhin an den Qualen der Stirnwunde und diese verschärften sich durch die ständigen Bewegungen der kleinen Maden, deren Zahl zunahm. In all den Jahren der Krankheit äußerte sie nie einen Seufzer oder ein Wort der Klage, vielmehr verströmte sie bei allem, was sie tat, die himmlische Liebe, die ihr Herz mit den Flammen des göttlichen Feuers verzehrte.

Dennoch suchte Rita in all der Drangsal keine menschliche Erleichterung. Ihre größte Freude war es, Seele und Leib mit dem Brot vom Himmel zu nähren und ihren Durst mit dem bitteren Kelch des Leidens Christi zu stillen. So ernährte sie sich vier Jahre lang auf wunderbare Weise nur vom Leib und Blut Christi.

Ursprung der Rita-Rosen

An einem Tag im Januar kam ihre Cousine ins Kloster der Heiligen Maria Magdalena, um Rita zu besuchen. Der Besuch war nur kurz, denn Rita war an diesem Tag schwer krank und litt sehr. Als sie sich verabschiedete, fragte die Verwandte, ob sie etwas für sie tun könne. Rita bejahte dies und bat sie, eine Rose aus dem Garten ihres früheren Hauses in Roccaporena zu holen und ihr zu bringen. Diese Bitte überraschte ihre Cousine. Sie dachte, dass wohl auch Ritas Verstand von der Krankheit etwas angegriffen war, da es mitten im Winter und in Roccaporena extrem kalt war. So konnten sich die anwesenden Schwestern und die Verwandte nicht vorstellen, dass dort eine blühende Rose zu finden sein sollte. Trotzdem erwiderte die Cousine, um Rita eine Freude zu machen, dass sie versuchen wolle, ihr den Wunsch zu erfüllen, auch wenn sie dachte, dass es unmöglich sei. Sie machte sich sofort auf den Weg nach Roccaporena, und zu ihrer großen Verwunderung sah sie beim Betreten des Gartens an einem dürren, blätterlosen Rosenstrauch eine wunderschöne rote Rose in voller Blüte. Sie pflückte sie, kehrte, so schnell sie konnte, nach Cascia zurück und übergab Rita die Rose.

Voller Freude nahm Rita die Blume entgegen. Auf ihrem Gesicht leuchtete ein Lächeln auf, als sie die Blüte ehrfürchtig küsste, und ihr Herz sagte Gott Dank, denn sie sah in dieser Rose ihren lieben, dornengekrönten Jesus. Dann übergab sie die wunderbare Blume ihrer Oberin, und von ihr aus ging sie unter den Schwestern von Hand zu Hand. Sie alle bewunderten ihre Schönheit und dankten Gott, der diese wunderbare Rose mitten im kalten Winter hatte wachsen lassen, um Ritas Heiligkeit erkennbar zu machen. Zum Gedächtnis an dieses Ereignis werden jedes Jahr in allen Kirchen des Augustinerordens am Fest der heiligen Rita Rosen gesegnet und an die Gläubigen verteilt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] P. Joseph Sicardo OSA: Hl. Rita von Cascia – Helferin in größter Not, geb., 144 S., 14,95 Euro (D), 15,40 Euro (A), ISBN 978-3-9479313-9-2; Bestell-Tel.: 07303/952331-0; E-Mail: buch@media-maria.de – Internet: www.media-maria.de

Dank für die unglaubliche Spendenbereitschaft beim Mariathon

Werk der Evangelisierung in Afrika

Durch Radio Maria kann Jesus zu den Menschen in Afrika kommen, so sagt Father Roger Wawa. Er ist Programmdirektor von Radio Maria in der Demokratischen Republik Kongo. Am 7. Mai 2023 hielt er in Balderschwang beim Abschlussgottesdienst des Mariathons die Predigt. Überwältigt von der Spendenbereitschaft der Hörerinnen und Hörer von Radio Horeb brachte er seinen Dank und seine Anerkennung zum Ausdruck. Zu Beginn der hl. Messe waren bereits über zwei Millionen Euro zusammengekommen, insgesamt belief sich die Summe am Ende sogar auf rund dreieinhalb Millionen. Nachfolgend eine bearbeitete Kurzfassung der Ansprache.  

Von Roger Wawa

Ist es nicht eine Freude, dass wir jetzt über Radio Maria mit Afrika und besonders mit Radio Maria in der Demokratischen Republik Kongo verbunden sind! Wir bilden eine Gemeinschaft mit unseren Zuhörern in Goma, Bukavu, Lubumbashi, Kisangani, Matadi und Kinshasa. Und wir beten miteinander für diejenigen die in der Demokratischen Republik Kongo leiden, besonders im Gebiet von Goma, wo Krieg herrscht und Menschen getötet werden. Es ist, als befänden Sie sich in diesem Augenblick in der Demokratischen Republik Kongo und als wären die Kongolesen nach Deutschland gekommen – und all das dank Radio Maria und dank Ihrer Großzügigkeit.

Während der Zeit, die ich hier in Deutschland verbringen durfte, habe ich verschiedene Dinge zu schätzen gelernt. Ich möchte vier Eigenschaften nennen, die mich beeindruckt haben. Das Erste ist die Pünktlichkeit. Wenn man hier zu spät kommt, hat die hl. Messe schon angefangen, pünktlich wie die Uhr. Es ist bei uns bekannt, dass die Deutschen sehr pünktlich sind. Wenn wir uns auf Mittag verabreden, dann fragen wir: „Um 12 Uhr nach deutscher Zeit oder nach kongolesischer Art?“ Bewahren wir uns diese gute Eigenschaft, die Pünktlichkeit; denn Gott ist pünktlich.

Das Zweite ist die Arbeit. Sie lieben eine gut verrichtete Arbeit. Ich habe beobachtet, dass bei Radio Horeb wirklich gearbeitet wird, sehr konzentriert. Der Mariathon war bestens vorbereitet. Alles hat ideal funktioniert, mit einer chirurgischen Präzision. Und das ist wunderbar. Ich hatte den Eindruck, als wäre ich im Paradies, als wäre in Balderschwang ein Stück des Paradieses auf die Erde herabgekommen.

Das Dritte ist die tiefe Frömmigkeit, die ich hier erleben durfte. Das erstaunt uns Kongolesen. Denn wir verbinden mit Deutschland in der Regel Dinge wie eine starke Nationalmannschaft oder erfolgreiche Fußballteams wie Bayern München. Aber nach meinen Beobachtungen kann ich bezeugen, dass es bei Ihnen eine echte Gläubigkeit gibt, eine große Verehrung der Eucharistie. Ich war sehr beeindruckt, dass sich so viele Gläubige bei der hl. Kommunion hinknien und die Mundkommunion empfangen, auch ältere Menschen. Diese eucharistische Frömmigkeit, diese Ehrfurcht dem Leib Christi gegenüber hat mich wirklich überrascht. Außerdem war ich zutiefst beeindruckt von der eucharistischen Anbetung in der Studiokapelle von Radio Horeb. 24 Stunden ununterbrochen, 24/7. Und immer waren Menschen in der Kapelle. Das zeigt, dass Sie Jesus wirklich lieben. Das ist das Geheimnis Ihres Glücks: Sie sind glücklich, weil Sie Jesus lieben und Sie nicht müde werden, Jesus Ihre Liebe zu schenken. Es ist das erste Mal, dass ich bei Radio Maria während eines ganzen Mariathons die Ewige Anbetung gesehen habe. Das möchte ich auch in Kinshasa einführen.

Das vierte ist schließlich die Großzügigkeit. Welche unglaubliche Spendenbereitschaft! Innerhalb von zwei Tagen sind bis jetzt schon über zwei Millionen Euro eingegangen. Mit diesem Mariathon haben Sie Afrika wirklich überrascht. Sie zeigen, dass Ihnen Afrika am Herzen liegt. Ich sage Ihnen dafür einen ganz herzlichen Dank! Manchmal haben wir Kongolesen das Gefühl, die Europäer würden nur kommen, um unsere Bodenschätze auszubeuten. Aber hier helfen Europäer, um neue Stationen von Radio Maria in Afrika aufzubauen. Das Geld, das Sie gespendet haben, kommt zunächst nach Italien zur Weltfamilie von Radio Maria. Dort werden Sendeanlagen und Satellitenempfänger gekauft und dann nach Afrika geschickt, wo neue Stationen von Radio Maria errichtet werden. Das ermöglicht uns, Jesus zu verkündigen, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.

Jesus hat das Himmelreich denen verheißen, die Kranke und Gefangene besuchen. „Ich war krank und ihr habt mich besucht! Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen!“ Und wenn Sie dann erstaunt fragen werden: Jesus, wann haben wir dich im Krankenzimmer oder im Gefängnis besucht, wird er antworten: Du hast Radio Maria unterstützt und das hat mir die Möglichkeit gegeben, zu den Kranken und Gefangenen zu kommen. Dank Ihrer Spenden dürfen Sie sich ab jetzt als Missionare in Afrika betrachten. Der Herr möge Ihnen alles Gute, das Sie für Afrika tun, hundertfach vergelten!

Mehr Infos zum Mariathon 2023 finden sich unter:

https://www.horeb.org/programm/projekte-on-air/mariathon-2023

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Zum Buch von Curtis Martin über die Missionsmethode Jesu

Missionarische Jüngerschaft

Curtis Martin ist der Gründer der Fellowship of Catholic University Students (FOCUS), einer schnell wachsenden Apostolats-Bewegung für Studenten in den Vereinigten Staaten. Curtis und seine Frau Michaelann leben in Colorado und haben neun Kinder. Eine erste nationale Kontaktstelle seiner Bewegung hat Curtis Martin, der einen Master-Abschluss in Theologie besitzt, 1998 ins Leben gerufen. 2011 wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Konsultor des Päpstlichen Rates der Neuevangelisierung ernannt. Bekannt geworden ist er vor allem durch den Bestseller „Made for More“ (Geschaffen für mehr), der 2008 erschienen ist. 2018 veröffentlichte er das Buch „Making Missionary Disciples. How to Live the Method Modeled by the Master“, in dem er versucht, die entscheidenden Erfahrungen seines Engagements weiterzugeben. Der Be&Be-Verlag Heiligenkreuz hat dieses wertvolle Buch 2022 unter dem Titel „Missionarische Jüngerschaft – Jesu Missionsmethode leben“ auf Deutsch herausgebracht.[1] Nachfolgend eine Rezension von Pfarrer Lorenz Rösch.  

Von Lorenz Rösch

Curtis Martin beschreibt das, was und wofür er lebt: missionarische Jüngerschaft – freilich in einem ganz bestimmten Milieu, nämlich der Universität. Seine Intention ist jedoch nicht, diese Arbeit herauszustellen, so sehr es sich auch um einen Schlüsselbereich für die Zukunft der Kirche handelt (vgl. 41). Vielmehr möchte er die für seine Arbeit maßgeblichen Einsichten so vermitteln, dass sie für alle und überall umsetzbar werden, insbesondere im gewöhnlichen Kontext von Pfarrgemeinde, Familie und Lebensumfeld.

Kultur missionarischer Jüngerschaft

Ganz auf der Linie anderer Stimmen aus Nordamerika – und im Einklang mit „Evangelii Gaudium“ – sieht er die entscheidende Herausforderung darin, eine neue kirchliche Kultur zu etablieren: eben eine Kultur missionarischer Jüngerschaft. Dafür aber brauche es eigentlich „nur“ Menschen, die anfangen, diese Kultur konsequent zu leben. Worin besteht sie? Curtis Martins Antwort basiert, wie er in der Einleitung schreibt, auf Auswertungen der Arbeit von FOCUS, geleitet von der Frage nach „Erfolgsmustern“ (15). Demzufolge muss ein missionarischer Lebensstil drei wesentliche Elemente aufweisen: die Pflege der Vertrautheit mit Gott; das Eingehen engagierter Freundschaften; und die klare Umsetzung der Überzeugung von spiritueller Multiplikation.

Pflege der Vertrautheit mit Gott

Es liegt auf der Hand, dass diese drei Elemente nicht einfach nebeneinanderstehen, sondern aufeinander aufbauen. Sich stets neu und immer mehr in der Freundschaft mit dem Dreifaltigen Gott formen zu lassen ist grundlegend. Ausdrücklich werden hier neben verschiedenen Gebetsformen auch genannt: „intellektuelle Bildung, Gemeinschaft mit anderen Jüngern und der Dienst an den materiell und geistig Armen“, sowie anhaltende Bereitschaft zum Aufbruch, „so dass Gott seine Treue immer wieder von Neuem erweisen kann“ (25).

Eingehen engagierter Freundschaften

Sich investieren in Nähe und Freundschaft meint beides: am Leben anderer teilnehmen und sich für die einzelne Person interessieren – aber auch und ebenso wichtig: andere teilhaben lassen am eigenen Leben (nach 1 Thess 2,8). Ersteres in Offenheit dafür, dass es so für den einen oder anderen zu einer „Begegnung“ mit Jesus Christus kommen kann; Letzteres gezielt mit Menschen, die eine solche Begegnung erlebt haben und einen Weg der Jüngerschaft begonnen haben. Hier werden – ähnlich wie von Papst Franziskus – unangenehme Fragen an die verbreitete pastorale Praxis gestellt.

Spirituelle Multiplikation

Mit „spiritueller Multiplikation“ ist gemeint, dass das geistliche Wachstum in der Jüngerschaft an einen Punkt kommt, wo es nur dann weitergehen kann, wenn es fruchtbar werden darf: indem man anfängt, wieder andere bei Schritten in der Jüngerschaft zu begleiten. Eine Multiplikation ergibt sich daraus, dass ein „Jünger-machender“ Christ in der Regel mehrere Jünger/innen gleichzeitig in diese Phase hinein begleiten kann, wo sie selber bereit sind, mit „Jünger-machen“ zu beginnen. Es gilt, nicht nur von diesem Prinzip überzeugt zu sein, sondern es handlungsleitend werden zu lassen.

Die deutsche Übersetzung des auf Englisch verfassten Büchleins liest sich im Ganzen sehr gut, doch gerade bei den Schlüsselbegriffen (die auch auf Englisch genannt werden) zeigen sich Schwierigkeiten: Es handelt sich offensichtlich nicht um innere „Grundhaltungen“, sondern um elementare „Angewohnheiten“, die unsere Praxis oder unseren Stil kennzeichnen sollen (genauso wie die vier tragenden Elemente im Leben der Urgemeinde mehr als nur „Haltungen“ waren: 55). Was „tugendhafte Freundschaft“ sein soll, erschließt sich nur allmählich, aber so viel ist gleich klar: Es geht um Praxis, nicht um Haltung. Entsprechend wird auch das dritte Element kein bloß inneres „Überzeugtsein“ meinen, sondern eine (verbal und praktisch) klar vermittelte „Überzeugung“.

Die „Methode“ Jesu

Im zweiten Teil des Buches richtet sich der Blick auf die „Methode“ Jesu, wie sie in den Evangelien sichtbar wird. Alle drei vorgestellten Elemente ließen sich beim Meister aufweisen, doch der Autor beschränkt sich auf die letzten beiden, die er wiederum in drei Aspekten entfaltet: Jünger gewinnen, aufbauen und senden. Hier darf man allerdings fragen, ob die Beschreibung der Praxis Jesu nicht zu sehr auf das Heranbilden seiner Jünger als „Missionare“ verengt ist. Die Aussendungsworte des Herrn am Ende des Evangeliums (nach Matthäus, aber auch nach Lukas und Johannes) sind maßgeblich, aber es darf und soll auch mitgehört werden, wie (vielfältig und abgestuft) er selber vor Ostern evangelisiert hat. Die vorösterlichen Aussendungen könnten hier von Interesse sein: da geht es ja wirklich darum, „dass wir die Armut in all ihren Facetten bekämpfen können“ (58) – aus der Erfahrung und mit der Botschaft der erbarmenden Liebe Gottes.

Der Ansatz von Curtis Martin ist gewiss jesuanisch und neutestamentlich, aber auch ein Stück weit „amerikanisch“, insofern Prinzipien identifiziert und dann konsequent operationalisiert werden. Das ist eine Stärke, hat aber auch seine Grenzen. Man darf fragen, ob genügend im Blick ist, dass die Charismen unterschiedlich sind; ob die christliche Grundberufung zur Teilhabe am Apostolat der Kirche in jedem Fall eine Form von „Jünger-Machen“ annehmen möchte. Die Kirche unserer Tage braucht entschieden mehr von diesem Geist, jedoch in vielerlei Gefäßen. FOCUS und andere Initiativen tun ihr gut; doch kann die Übertragung in die Pfarrei-Wirklichkeit gelingen? Andererseits: Gibt es nicht missionarische Jünger/innen verschiedener Ausprägung bereits unter uns? Welche Förderung, welchen Rückhalt finden sie beim Pfarrer? Sieht der nur Gefahren und traut – neo-klerikalistisch – nur Professionellen geistliche Kompetenz zu?

Die „zweite Bekehrung“ und ihre Voraussetzungen

Eine zweite Anfrage bezieht sich auf die Etappen im geistlichen Weg des Einzelnen. Bezeichnend ist, dass der Autor den klassischen Begriff der „zweiten Bekehrung“ eher im Sinn eines Fortschreitens als einer Tiefenerfahrung beschreibt: „Die ,erste Bekehrung‘ besteht darin, das rettende Geschenk … Christi im eigenen Leben anzunehmen… In der ,zweiten Bekehrung‘ geht es um das Leben und das Heil anderer…“ (59). Klassische christliche Mystik weiß hingegen von der Gefahr, den Prozess der eigenen Angleichung an Gott angesichts von ersten Gnadenerfahrungen überspringen zu wollen zugunsten des erwachenden Bedürfnisses nach persönlichem Apostolat; ein derartiger Aktivismus setzt nicht nur andere der eigenen Unreife aus, sondern kann auch den Weg der eigenen Läuterung und Vereinigung mit Gott gefährden (vgl. Eugen-Maria vom Kinde Jesus Grialou: Ich will Gott schauen, S. 743ff.).

Es kann freilich auch sein, dass gerade durch das Wagnis eines Apostolats schneller die Momente kommen, wo missionarische Jünger brutal mit dem eigenen Unvermögen konfrontiert sind. Es ist die Chance, tiefer für die Gnade geöffnet zu werden und dabei eine wirkliche „zweite Bekehrung“ zu erfahren. So oder so: Die Qualität der eigenen Bekehrung – nicht die menschliche Begabung – ist maßgeblich dafür, wie weit jemand den „Kern des Evangeliums“ (50) vermitteln kann und bei einem Mitmenschen den Wunsch weckt, in die Jesus-Jüngerschaft einzutreten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Curtis Martin: Missionarische Jüngerschaft – Jesu Missionsmethode leben, Heiligenkreuz 2022, HC, 63 S., ISBN 978-3-903602-46-5, €14,90; Bestell-Tel.: 0043 2258 8703 400; E-Mail: bestellung@bebeverlag.atwww.klosterladen-heiligenkreuz.at

Gegenentwurf zum Schmutz der braunen und rassistischen NS-Ideologie

Der Name der Weißen Rose

Die bekannteste deutsche Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus um die Geschwister Hans und Sophie Scholl hatte sich den Namen „Weiße Rose“ gegeben. Studiendirektor Jakob Knab, Experte auf dem Gebiet des christlich motivierten Widerstands gegen das Hitler-Regime, geht dem Ursprung dieses Namens nach und fördert interessante Hintergründe zu Tage. Sie werfen ein aufschlussreiches Licht auf die Person von Hans Scholl und seine geistlichen Wurzeln.  

Von Jakob Knab

Zeichen des Widersagens gegen den Ungeist der NS-Gewaltherrschaft

Schon im ersten Flugblatt der Weißen Rose (27. Juni 1942) erhob Hans Scholl seine Stimme, damit jeder einzelne sich seiner Verantwortung als Mitglied der christlichen und abendländischen Kultur bewusst werde. Ungezählte Spekulationen wurden schon über den Namen „Weiße Rose“ angestellt. Denn wie die Blaue Blume die unstillbare Sehnsucht der deutschen Romantik symbolisch darstellt, so blüht die Weiße Rose in der deutschen Erinnerungskultur als Zeichen des Widersagens gegen den Ungeist der NS-Gewaltherrschaft.

Hinter dem Begriff „Die Weiße Rose“ steht ein Programm

Im Verhör vom 20. Februar 1943 wurde Hans Scholl nach der Bedeutung des Namens Weiße Rose gefragt. Seine Antwort: „Zurückkommend auf meine Schrift ‚Die Weiße Rose‘ möchte ich auf Befragen, warum ich diesem Flugblatt gerade diese Überschrift gegeben habe, folgendes erklären: Der Name ‚Die Weiße Rose‘ ist willkürlich gewählt. Ich ging von der Voraussetzung aus, daß in einer schlagkräftigen Propaganda gewisse feste Begriffe da sein müssen, die an und für sich nichts besagen, einen guten Klang haben, hinter denen aber ein Programm steht. Es kann sein, daß ich gefühlsmäßig diesen Namen gewählt habe, weil ich damals unmittelbar unter dem Eindruck der spanischen Romanzen von Brentano ‚Rosa Blanca‘ gestanden habe."[1]

Inspiriert von Clemens Brentanos Romanzen vom Rosenkranz

Gemeint sind hier Clemens Brentanos Romanzen vom Rosenkranz (1852). Die weiße Rose ist hier Symbol für eine Heil bringende Zukunft; der Blick auf die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria eröffnet eine Sinn stiftende Sicht. Die Bilderwelt dieses Dichters der Hochromantik verdankt sich auch der reichen Ikonographie von Dantes Göttlicher Komödie. Im September 1941 empfahl Hans Scholl seinem Bruder Werner die Lektüre dieses grandiosen Werkes. Der Canto 31 „Die Schar der Heiligen formt eine weiße Rose“ ist die Apotheose der geheimnisvollen Rose: „So sah ich denn, geformt als weiße Rose… / Und sah in Marias Glanz entbrennen, / Gleichwie den Morgenstern in Sonnenglut.“

Sein kleines Geheimnis – Rilke: „Er hat eine kleine Rose geküsst…“

Zeitlebens war Hans Scholl von der einzigartigen Schönheit der Rose fasziniert. Schon auf Heimabenden der Hitlerjugend hatte er dank seiner ausgeprägten Sinnlichkeit durch Lesungen aus Rilkes Kornett beeindruckt: „Die Gesichter sind dunkel. Dennoch leuchten eine Weile die Augen des kleinen Franzosen mit eigenem Licht. Er hat eine kleine Rose geküßt, und nun darf sie weiterwelken an seiner Brust. …Dann steckt er den Brief zu sich in den Waffenrock, an die heimlichste Stelle, neben das Rosenblatt.“

Von einem Truppenübungsplatz teilte Hans Scholl im Juni 1938 seiner Schwester Inge mit: „In meiner Brusttasche trage ich die Knospe einer Rose. Ich brauche diese kleine Pflanze, weil das die andere Seite ist, weit entfernt von allem Soldatentum und doch kein Widerspruch zu dieser Haltung. Man muß immer ein kleines Geheimnis mit sich herumtragen…"[2] - Drei Jahre spürte er gegenüber seiner Gefährtin Rose Nägele einer weiteren Bedeutung nach, wenn er an die „liebe Rose“ schrieb: „… und gäbe es auf der ganzen Welt nur eine einzige, zarte Rose, so wäre ihr Duft stark genug, um mir ein Wegweiser zu ihr zu sein."[3]

B. Traven:  Die Weiße Rose wurde nicht umsonst gebrochen – es ist der Anfang der Befreiung des Landes

Hans Scholl kannte auch das Buch des rätselhaften Autors B. Traven „Die weiße Rose“ (1929).  Als Sinnspruch ist dem Werk ein mexikanisches Rancho-Lied vorangestellt. Hier die vierte Strophe: „Wenn ich auch einst verwelken muss, / weiße Rose, du sollst blühen, und mein letzter Lebenshauch / ist für dich mein Abschiedskuss.“ Auch die Lektüre dieser bewegenden Sätze im Roman könnte bei Hans Scholl nachhaltige Eindrücke hinterlassen haben: „Und ich verspreche Ihnen, daß, wenn ich die Wahrheit gefunden habe, die Weiße Rose nicht umsonst gebrochen wurde. Wenn sie auch vielleicht nicht mehr blühen kann in ihrer Schönheit, so soll sie doch nicht verwelken, nimmer verwelken. Sie soll eine Frucht tragen, die reifen wird. Und der Beginn der Reife soll der Anfang der Befreiung des Landes und seiner Bürger sein, damit wir ein Land besitzen, in dem eine jede Rose, ob weiß oder rot, die Freiheit haben soll zu blühen, so schön sie will und solange sie will."[4]

Hans Scholl – Gedicht: Maria, du tief in Gott verschmolzne Rose der Höh‘

In seiner Sinn- und Existenzkrise vom Mai 1938 hatte Scholl das umfangreiche Gedicht Maria verfasst. Schon in den Anfangszeilen verglich er die biblische Gestalt Maria mit einer Rose: „Maria, – Königin, du Starke –, du tief in Gott verschmolzne Rose der Höh‘ lass uns dich grüßen.“ Es ist denkbar, dass er sich zu solchen Versen inspiriert fühlte, als er das Deckenfresko der Kirche Mariä Himmelfahrt in Ulm-Söflingen betrachtete. Es zeigt die Himmelskönigin Maria umrankt von roten Rosen.

Paul Claudel: Dort blüht die Rose! Dorthin begehrt mein Herz…

Im Frühjahr 1942 las Hans Scholl im Freundeskreis Paul Claudels Weltdrama „Der seidene Schuh“. Auf seiner „Suche nach einem geschlossenem Weltbild“ fand er vielfältige Bezüge für sich; denn mit seinem Meeres- und Orgelbraus handelt es von den Stürmen tragischer Leidenschaft, vom glühenden Sehnen nach dem Absoluten sowie von einer unwiderstehlichen göttlichen Freude, die alles Tragische überwindet. Zu Claudels Motiven gehört auch jener „unstillbare Durst“, der den Menschen über Welt, Mensch und Geschichte hinaus zu Gott treibt. Auch diese Stelle mag seine Vorstellungskraft und Intuition angeregt haben: „Dort blüht die Rose! Dorthin begehrt mein Herz mit unaussprechlichen Wonnen, dort hinüber lauscht es mit unermesslicher Sehnsucht…“

Geniale Namensgebung, die die Zeitläufte überdauern wird

In der symbolträchtigen Gestalt der Weißen Rose erblühte die Geisteskraft der christlichen und abendländischen Kultur. Diese geniale Namensgebung, die die Zeitläufte überdauern wird, entsprang Hans Scholls intuitiver Eingebung. Die „Weiße Rose“ ist ein Sinnbild für Reinheit und Schönheit; sie ist ein radikaler Gegenentwurf zum Schmutz der braunen und rassistischen NS-Ideologie.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
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[1] Ulrich Chaussy/Gerd R. Ueberschär: „Es lebe die Freiheit!“, Ffm. 2013, 295.
[2] Hans Scholl: Brief an die Schwester Inge, Stetten, 27. Juni 1938, in: Inge Jens (Hrsg.), 1984, 18.
[3] Hans Scholl: Brief an Rose Nägele, München, 19. August 1941, in: Inge Jens (Hrsg.), 1984, 63.
[4] B. Traven: Die Weiße Rose. Roman aus Mexiko, Zürich 1960, 284; Originalausgabe im Diogenes Verlag, Zürich 1929. Weiterführend: Dirk Heiserer: Der Name der weißen Rose. Mutmaßungen über einen Roman von B. Traven und die Flugblätter der Widerstandsgruppe, in: Börsenblatt f. den Dt. Buchhandel: Aus dem Antiquariat 43 (1991), 167-177. 

„Der assistierte Suizid verstärkt den Druck

Noch vor der Sommerpause will die Bundesregierung den assistierten Suizid weitgehend legalisieren. Dazu soll der Bundestag einer Zusammenlegung von zwei Gesetzesentwürfen zustimmen. Alexandra Maria Linder, Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht e.V., spricht von einer Taktik, mit der ein äußerst bedenkliches Vorhaben durchgesetzt werden soll.

Von Alexandra Linder

Mit dieser Taktik ist die weitgehende Legalisierung der begleiteten Selbsttötung noch wahrscheinlicher. Besonders bedenklich ist das Vorhaben neben allen bekannten Kritikpunkten auch angesichts der demografischen Lage in Deutschland: In einer Situation, in der Pflegekräfte fehlen, Pflegeplätze fehlen, staatliche soziale Institutionen finanziell bereits zusammengebrochen sind, haben bisher lediglich 17 Prozent der deutschen Kliniken eine Palliativstation. Die Versorgung älterer Kassen-Patienten und der Umgang mit ihnen in Arztpraxen und Krankenhäusern ist ebenfalls sehr kritikwürdig. Es fehlen außerdem Hospize, mobile palliative Teams und vieles mehr, um Menschen in diesen Lebenssituationen angemessen zu versorgen und zu begleiten.

Für die betroffenen Menschen, die an ihrem Lebensende und/oder in besonders schwierigen Lebenssituationen sind, ist dies das völlig falsche Signal. Der assistierte Suizid bietet ihnen keine Lösung an, sondern ihren Tod. Es verstärkt den Druck auf sie, insbesondere, wenn die genannten Alternativen fehlen. Statt menschenwürdiger, zuwendender Versorgung bis an das Lebensende, statt Unterstützung, um aus ihrer Situation herauskommen zu können, wird ihnen eine absichtliche Verkürzung ihres Lebens angeboten. Die angebliche Autonomie, die mit Begriffen wie sogenanntem Freitod und Bilanzsuizid hantiert, existiert in der Lebenswirklichkeit nicht, wie die Suizidforschung vielfach nachweist.

In der Folge wird der Druck auf Menschen in dieser Situation steigen. In den Niederlanden äußert ein größerer Anteil von Menschen am Lebensende den Wunsch zu sterben nicht, weil sie selbst sterben wollen, sondern weil „die Angehörigen es nicht mehr ertragen können“. Im US-Bundesstaat Oregon wird der assistierte Suizid regulär finanziert, während viele Operationen nicht bezahlt werden. Auch solche Zustände erschweren wirklich freie Entscheidungen.

Erstaunlicherweise bieten diese Gesetzentwürfe außerdem genau das an, was im Bereich der Abtreibung gerade wegen angeblicher Bevormundung und angeblichen Informationsverbots abgeschafft wurde oder werden soll: eine Beratung und ein Werbeverbot.

Ein humaner Rechtsstaat muss es aushalten, wenn Menschen sterben wollen und ihrem Leben selbst ein Ende setzen. Er muss jedoch alles dafür tun, dies durch die Unterstützung engagierter Angehöriger, durch lebensbejahende Angebote und individuelle Hilfe zu verhindern. Und er darf keinesfalls irgendetwas tun, um die Tötung von Menschen zu billigen und zu fördern, was mit diesem Gesetz, wie auch immer es gestaltet wird, der Fall wäre.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2023
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