Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Vor zehn Jahren, genauer am 24. November 2013, veröffentlichte Papst Franziskus sein erstes Apostolisches Schreiben, in dem er den „missionarischen Aufbruch der Kirche“ zum Programm seines Pontifikats erhob. Es heißt „Evangelii gaudium“ (Freude des Evangeliums) und trägt den Untertitel „Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute“. Darin fordert er eine „missionarische Umgestaltung der Kirche“ und benennt ganz konkret die „Motivationen für einen neuen missionarischen Schwung“. Die Zukunft der Kirche hänge davon ab, wie bereitwillig das ganze Volk Gottes den neuen Aufruf zur Mission annehme und umsetze.

Bereits 1926 war Pius XI. auf die weltweiten Missionswerke eingegangen und hatte den „Sonntag der Weltmission“ eingeführt. Universalkirchlich wurde er auf den vorletzten Sonntag im Oktober festgelegt. In Deutschland findet er jeweils am 4. Sonntag im Oktober statt.

Im Jahr 2019 rief Papst Franziskus den ganzen Monat Oktober als Missionsmonat aus und erst am 22. Mai 2022 wurde Pauline Marie Jaricot aus Lyon seliggesprochen, auf deren missionarische Initiativen die Päpstlichen Missionswerke und letztlich auch die Einsetzung des Weltmissionssonntags zurückgehen.

In seiner Botschaft zum diesjährigen Weltmissionssonntag am 22. Oktober 2023 geht Papst Franziskus von den Emmausjüngern aus (Lk 24,13-35). Als Thema wählte er: „Brennende Herzen und bewegte Schritte“. Dabei stellt er „drei Aspekte“ heraus, „die den Weg missionarischer Jünger skizzieren“ und „unseren Eifer für die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute erneuern können“: Brennende Herzen angesichts der von Jesus erklärten Schrift, aufgetane Augen, als sie ihn im Brechen des Brotes erkennen, und, als Höhepunkt, bewegte Schritte.

In dieser Botschaft schlägt Papst Franziskus auch den Bogen zur Bischofssynode über die Synodalität der Kirche, welche in diesem Missionsmonat Oktober stattfindet. Der „synodale Weg, den die Kirche mit den Stichworten Gemeinschaft, Teilhabe, Sendung beschreitet“, so betont der Papst, „ist gewiss keine Selbstbeschäftigung der Kirche mit sich selbst; er ist kein Prozess der Volksbefragung, um – wie in einem Parlament – zu entscheiden, was nach menschlichen Vorlieben geglaubt und praktiziert werden soll oder nicht“. Vielmehr bringe „die Dringlichkeit des missionarischen Handelns der Kirche“ eine „immer engere missionarische Zusammenarbeit aller ihrer Mitglieder auf allen Ebenen mit sich“.

In diesem missionarischen Licht haben wir den Auftakt des Ulrichjubiläums in der Diözese Augsburg zum Titel-Thema gewählt. Denn Bischof Dr. Bertram Meier sieht im hl. Ulrich ein Vorbild für unsere Zeit, obwohl er vor über 1000 Jahren gewirkt habe. Er zeige, was sowohl synodales Handeln als auch missionarisches Aufbrechen bedeuten könne.

Mit dem Thema Mission verbinden wir den Rückblick auf den Weltjugendtag in Lissabon. Er hat gezeigt, dass der Gründungsimpuls des hl. Papstes Johannes Paul II. nichts von seiner ursprünglichen Kraft verloren hat, sondern mit ungebrochener Dynamik weiterlebt. Dieses Zeichen der Hoffnung leuchtete auch im Gesamtrussischen Jugendtreffen auf, das im Nachklang zu Lissabon als Alternative in St. Petersburg veranstaltet wurde. Schließlich dürfen wir auch die Reise des Papstes in die Mongolei als missionarisches Ereignis verstehen, das uns zeigen will: „Gott liebt es, durch das Kleine große Dinge zu vollbringen!“ 

Liebe Leser, von Herzen wünschen wir Ihnen einen gesegneten Missionsmonat. Besonders die Bischofssynode in Rom wollen wir mit unserem Gebet begleiten und der Rosenkranzkönigin anempfehlen. Um ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen, benötigen wir in diesem Jahr noch eine großherzige Unterstützung. Vergelt’s Gott für Ihre Spenden!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Der hl. Ulrich ist ein Vorbild für unsere Zeit!

Ein synodaler Bischof

Erfolgreich ist die Diözese Augsburg in das Ulrichs-Jubiläumsjahr 2023/24 gestartet, von dem sie neue geistliche und pastorale Impulse erwartet. Auf den Tag genau 1050 Jahre nach dem Tod des hl. Ulrich wurde das Jubiläumsjahr am 4. Juli 2023 von Bischof Dr. Bertram Meier in der Basilika St. Ulrich und Afra mit zahlreichen Vertretern aus der Weltkirche eröffnet. Weiterer Höhepunkt des Jubiläumsjahres wird das Pontifikalamt zum elfhundertsten Jahrestag der Bischofsweihe des hl. Ulrich am 28. Dezember 2023 im Augsburger Dom sein. Maria Rösch (geb. 1984) wirft ein Schlaglicht auf die Bedeutung des Jubiläumsjahres und die vielfältigen Aktivitäten, die in der Diözese angelaufen und geplant sind. Rösch ist seit 2012 Redakteurin in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Medien im Bistum Augsburg. Nach ihrem Studium der Theologie und Germanistik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg hat sie eine journalistische Ausbildung an der „Katholischen Journalistenschule ifp“ in München absolviert.

Von Maria Rösch  

Mit einem Jubiläumsjahr begeht das Bistum Augsburg 2023/24 den 1100. Jahrestag der Bischofsweihe und den 1050. Todestag des heiligen Bistumspatrons Ulrich. Das Festjahr steht unter dem Leitwort „Mit dem Ohr des Herzens“ und stellt insbesondere das seelsorgliche und soziale Wirken des heiligen Ulrich in den Mittelpunkt.

Geistlicher Aufbruch und Neustart nach Corona

Zahlreiche Veranstaltungen, Aktionen und soziale Projekte werden das Festjahr flankieren und den hl. Ulrich als Vorbild auch für die heutige Zeit neu zu beleuchten versuchen. Dass vielerorts im Bistum „Netzwerke des Glaubens“ geknüpft werden und die Menschen zu einem neuen geistlichen Aufbruch inspiriert werden, ist Bischof Dr. Bertram Meier dabei ein besonderes Herzensliegen. „Das Ulrichsjubiläum 2023/24 soll nach Corona ein Neustart für die Menschen im Bistum und damit für die Kirche von Augsburg werden. Wir können uns wieder treffen, einander begegnen und sichtbar machen: Die Kirche ist noch da, und sie ist wichtig – auch heute“, so Bischof Bertram zum Hintergrund des ausgerufenen Festjahrs.

„Der heilige Ulrich war ein synodaler Bischof“

Besondere Bedeutung wurde dabei dem Motto des Jubiläums zugemessen: Das Leitwort „Mit dem Ohr des Herzens“ ist der Ulrichsvita entnommen, die Dompropst Gerhard von Augsburg schon kurz nach dem Tod von Bischof Ulrich im Jahre 973 verfasst hatte. Sie zeigt Bischof Ulrich, den heutigen Bistumspatron der Diözese Augsburg, als mitfühlenden, zuhörenden und Trost spendenden Oberhirten. „Wo immer Bischof Ulrich hinkam, war er zunächst einmal ein Hörender. Er hörte auf die Nöte seiner Diözesanen. Auf seinen Reisen gab es zudem stets eine Armenspeisung. Im Bistum hörte er auf die Anliegen seiner Priester. Papst Franziskus hat gesagt, wir sollen ‚eine Kirche des Zuhörens‘ werden – genau das hat der hl. Ulrich vorgelebt. Er war ein synodaler Bischof“, so Bischof Dr. Bertram Meier zur Bedeutung des Leitworts, das nicht nur zur Rückschau animieren solle. „Das Motto ist wegweisend für uns alle. Hören wir wirklich mit dem Herzen, hören wir dem Anderen zu mit dem festen Wunsch, ihn zu verstehen? Wie können wir auch als Kirche hörbar bleiben – oder wieder werden?“

Logo der Künstlerin Sánchez von der Ulrichs-Kasel inspiriert

Mit einem speziell angefertigten Logo soll die Bedeutung des Ulrichsjubiläumsjahres in der Diözese Augsburg und darüber hinaus auch visuell einheitlich sichtbar werden. Ein Kunstwerk von Lilian Moreno Sánchez wurde hierfür als Grundlage geschaffen. „Mein Entwurf für das Logobild des Ulrichsjubiläums möchte den hl. Ulrich als Helfer in der Not zeigen, der die Menschen insbesondere in den aktuellen Krisen und in ihren existenziellen Nöten begleitet“, so Sanchez zur Bedeutung ihres Werks.

Die Künstlerin hat sich für ihr Kunstwerk von der Ulrichs-Kasel aus der Basilika St. Ulrich und Afra inspirieren lassen. So wurde die Grundidee geboren, ein liturgisches Gewand mit modernen Textilien zu verbinden: „Für mich symbolisiert die Kasel des hl. Ulrich diese Begleitung für die Menschen. Der Entwurf nimmt deshalb die Form der Ulrichskasel als Schutz und Fürsorge nicht nur für die Armen und Notleidenden, sondern für jeden Einzelnen auf“, beschreibt Sánchez ihre Idee, die damit zugleich das große globale Thema der Pandemie als Beispiel für Menschen in Not aufgreift.

Kein Idealbild, sondern Lebenswirklichkeit

Das Werk in Form einer Kasel ist aus zwei Textilien zusammengefügt, einem Stoff aus einem Altartuch der Basilika St. Ulrich und Afra, wo sich die Grablege des Bistumspatrons befindet, sowie einem Stoff aus einem Bettlaken einer an Corona verstorbenen Person. Beide Stoffe werden in der Mitte durch ein goldenes, das Heil bringende Kreuz miteinander verbunden.

Dass die Künstlerin mit ihrem Werk das Jubiläum bereichert, ist auch für Bischof Dr. Bertram Meier eine Freude: „Ich kenne Frau Sánchez schon seit vielen Jahren und schätze ihr künstlerisches Wirken, weil sie in ihren Kunstwerken etwa durch Röntgenaufnahmen und andere Wahrnehmungen der Lebenswirklichkeit zeigt, dass auch religiöse Kunst kein Idealbild der Wirklichkeit schafft.“ Dieser Linie sei sie auch bei der Gestaltung des Kunstwerks treu geblieben: „Wir wollen den hl. Ulrich nicht idealisieren, sondern sein Leben und Wirken in die heutige Wirklichkeit hineinstellen.“

Der Sankt Ulrich Verlag, Medienunternehmen der Diözese Augsburg, hat das textile Kunstwerk von Frau Moreno Sánchez letztlich zu einem digitalem Logo weiterentwickelt, in dem sich die beiden verwendeten Textilien stilisiert wiederfinden.

Eröffnung genau zum 1050. Jahrestag

Wurden bereits vor dem offiziellen Beginn des Festjahrs monatliche Gottesdienste in der Pfarrkirche St. Ulrich in Seeg/Allgäu als geistliche Vorbereitung gefeiert, so fiel der endgültige Startschuss für das Festjahr im Rahmen der Ulrichswoche 2023: Mit einer Pontifikalvesper am Abend des 3. Juli sowie einem feierlichen Pontifikalamt auf den Tag genau 1050 Jahre nach dem Tod des hl. Ulrich rief Bischof Dr. Bertram Meier in Anwesenheit von zahlreichen Vertretern aus der Weltkirche das Jubiläumsfestjahr aus.

Der 1050. Todestag des hl. Ulrich sei nicht nur dessen „Geburtstag für den Himmel“, sondern ein Grund zum Feiern für das Bistum Augsburg und für ganz Europa, betonte er dabei in seiner Predigt in der Basilika St. Ulrich und Afra.

Bemühungen um Frieden und Völkerverständigung

Der Bistumspatron habe durch sein „konsequentes Leben in der Nachfolge Christi“ Maßstäbe gesetzt, die bis heute weit über die Grenzen Bayerns hinaus nachwirkten, sei es als Verteidiger Augsburgs in der Lechfeldschlacht oder als Vermittler im Frieden von Tussa (Illertissen), der das sinnlose Blutvergießen zwischen König Otto und dessen Sohn Luidolf beendete.

Doch auch sein Wirken als Bischof sei immer von einem weiten geistigen Horizont geprägt gewesen, betonte Bischof Bertram weiter. In zahlreichen Reisen durch das Bistum und darüber hinaus habe er sich ein „tragfähiges Netzwerk mit geistlichen und politischen Verantwortungsträgern“ aufgebaut und die christliche Kulturlandschaft Süddeutschlands und des Alpenraums über mehr als ein Jahrtausend hindurch bis heute beeinflusst. Diese frühmittelalterlichen Bemühungen Ulrichs um die Völkerverständigung wirkten bis in den Aufbau der Europäischen Union nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs hinein: „Möge sein Engagement auch heute Menschen inspirieren, zu Friedensstiftern und Brückenbauern zu werden, ihre Kraft und Phantasie in den Dienst der Versöhnung zu stellen, die wir Christen vom Evangelium her ableiten. Unsere Zeit braucht Brückenbauer!“, so Bischof Bertram.

Buntes Auftaktfest auf dem Augsburger Rathausplatz

Für die Gesellschaft in Stadt und Land wurde das Ulrichsjubiläum schließlich das erste Mal am Samstag, 8. Juli, bei einem großen und bunten Auftaktfest auf dem Augsburger Rathausplatz sichtbar. Gemeinsam gaben Bischof Dr. Bertram Meier und Oberbürgermeisterin Eva Weber vor mehreren tausend Menschen den Startschuss für die einjährigen Feierlichkeiten rund um den Bistums- und Stadtpatron. Neben einem großen Bühnenangebot und Mitmachaktionen für Jung und Alt stellten sich bis in den frühen Nachmittag rund 40 kirchliche Einrichtungen näher vor. Bei einem großen Luftballonstart richteten sich Kinder, aber auch Erwachsene mit Wünschen und Bitten an den Heiligen. Auf Zetteln hatten sie diese vorher notiert und an die Luftballonschnur gehängt. Der Himmel über dem Augsburger Rathaus leuchtete für diesen kurzen Moment in den Bistumsfarben rot und weiß.

„Die vielen Menschen hier zeigen, dass die Kirche nicht ausgetrocknet ist. Ich fühle mich hier pudelwohl, hier ist ganz viel Leben. Das ist klasse!“, freute sich Bischof Bertram über den gelungenen Auftakt des Jubiläums auf der Bühne vor dem Rathausplatz. Gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Eva Weber beantwortete er die Fragen von Moderator Wolfgang Küpper, langjähriger Leiter der Redaktion „Religion und Orientierung“ des Bayerischen Rundfunks. Danach mischte er sich unter die Menschen und schaute sich an Ständen der Meile näher um. Zahlreiche Verbände, soziale Einrichtungen sowie Seelsorgeabteilungen des Bistums präsentierten sich hierbei informativ und kreativ. So gab es für Kinder unterschiedliche Bastel- und Malaktionen, Wurfspiele und Rätselaufgaben, einen Kicker für die sportliche Herausforderung sowie eine Pflanzaktion der Behinderteinrichtungen im Caritasverband der Diözese Augsburg.

Zwei Ausstellungen von überregionalem Interesse

Mit zahlreichen Aktionen, Gottesdiensten und Veranstaltungen wird das Ulrichsjubiläum bis Juli nächsten Jahres gefeiert. Überregionales Interesse dürften hierbei zwei Ausstellungen des Diözesanmuseums St. Afra finden: Vom 6. Oktober bis 28. Januar präsentiert das Museum die größte Sammlung sog. Ulrichskreuze, die seit Jahrhunderten am Grab des hl. Ulrich als Wallfahrtsandenken ausgegeben werden und damit als Spiegel der Zeiten gelten können.

Unter dem Titel „genial, sozial, loyal“ wirft das Diözesanmuseum außerdem vom 5. April bis 14. Juli 2024 einen Blick auf die Person Ulrichs und geht der Frage nach, wieso Ulrich von Augsburg auch für die Menschen von heute noch eine Bedeutung haben kann.

Höhepunkt am 28. Dezember 2023 mit päpstlichem Delegaten

Zum 1100. Jahrestag der Bischofsweihe – dem eigentlichen Höhepunkt des Jubiläumsjahres – wird Bischof Bertram gemeinsam mit einem von Papst Franziskus entsandten Delegaten am 28. Dezember 2023 um 16 Uhr ein Pontifikalamt im Augsburger Dom feiern. Schon am Tag zuvor findet um 17.30 Uhr eine Vigilfeier in der Basilika St. Ulrich und Afra statt, deren Höhepunkt eine Lichterprozession mit feierlicher Überführung des Ulrichsschreins in den Dom sein wird.

Europapolitische Tagung in Ottobeuren vom 20. bis 21. April 2024

Der politischen Tragweite des hl. Ulrich wird mit einer europapolitischen Tagung in der Abtei Ottobeuren gedacht. Vom 20. bis 21. April 2024 werden wollen Politiker/ innen, Wissenschaftler/innen und europapolitisch Interessierte die aktuelle Lage der Europäischen Union und ganz Europas diskutieren: für eine friedliche Zukunft, die Erhaltung der Menschenwürde und Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Zu den zahlreichen hochkarätigen Gästen zählt u.a. der Präsident des Europäischen Parlamentes a. D. Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering.

Literarische Neuerscheinungen zum Ulrichsjubiläum

Neben zahlreichen Veranstaltungen flankieren das Ulrichsjubiläum auch mehrere literarische Neuerscheinungen. Neben dem Kinderbuch „Elsbeth, die Fische und der heilige Ulrich“ visualisiert ein Comic unter dem Titel „Ulrich von Augsburg – Mit dem Ohr des Herzens“ die Geschichte des hl. Ulrich in einer modernen und alternativen Darstellungsweise.

Der Bistumshistoriker und Vorsitzende des Bischöflichen St.-Ulrich-Komitees Domkapitular Dr. Thomas Groll hat darüber hinaus in einem neu erschienenen Buch den aktuellen Wissens- und Forschungsstand zum heiligen Bistumspatron zusammengefasst. Welch vielfältige Spuren der hl. Ulrich im Bistum Augsburg und darüber hinaus hinterlassen hat, zeigt ein neuer Kulturreiseführer des context verlag Augsburg. Zahlreiche Ulrichsorte unserer Region wurden hierfür zusammengetragen.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Aus dem Lebenszeugnis erwächst Autorität

Boten der Liebe Gottes

Am 12. Juli 2023 wurde Bischof Dr. Bertram Meier in die Priesterbruderschaft St. Ulrich aufgenommen, die seit 1515 in Wangen im Allgäu, Bistum Rottenburg-Stuttgart, existiert. Kurz vor der einsetzenden Reformation hatten sie vier Allgäuer Pfarrer ins Leben gerufen und in den Gründungsstatuten angegeben, dass die Mitglieder in einen „Wetteifer der Liebe“ eintreten und „gegen die Lauheit der Zeit“ den Menschen ein Vorbild im Glauben sein sollten. Sie ist heute die weltweit einzige noch bestehende historische Priesterbruderschaft. Ihr dürfen immer nur maximal 100 Priester aus den Bistümern Rottenburg-Stuttgart und Augsburg angehören. Beim diesjährigen Treffen hielt der Augsburger Bischof in der Wangener Martinskirche eine Ulrichspredigt, in der er auch die heutige Sendung des Priesters herausstellte. Nachfolgend ein Auszug.

Von Bischof Bertram Meier  

Wenn wir, liebe geweihten Mitbrüder, „mit Hingabe“ (1 Petr 5,2) die Nachfolge Christi leben und authentische „Zeugen der Leiden Christi“ (1 Petr 5,1) sind, stellen wir glaubwürdige Führungspersönlichkeiten dar. Nicht im „Lippenbekenntnis“, sondern aus dem „Lebenszeugnis“ erwächst „wahre Autorität“. Das mag nach „Binsenweisheit“ klingen, daraus entspringt aber, davon bin ich überzeugt, neue Glaubwürdigkeit für die Kirche insgesamt, die in den letzten Jahren viel Vertrauen verspielt hat. Was aber heißt das weitergehend? Welche Konsequenzen erwachsen daraus?

Das mit den „Hirten und Schäfchen“ ist heutzutage ja so eine Sache… In den aktuellen Diskussionen um Machtbeschränkung, mehr Mitsprache und Mitentscheidung hat sich gezeigt: Die in der frühen Kirche sich ausbildende Ämtertrias sehen viele als nicht mehr zeitgemäß und überholt an. Zusammen mit dem katholischen Amtsverständnis wollen zahlreiche innerkirchlichen Kritiker am liebsten sogleich die gesamte sakramentale Struktur „über Bord werfen“. Reformdebatten haben ihre Berechtigung und sind meines Erachtens wichtig, damit Kirche nicht bei sich stehen bleibt. Wenn sie aber an den innersten Kern von Kirche gehen, wird sie „geistlich hohl“ und kann ihren von Jesus Christus anvertrauten Heilsauftrag nicht mehr erfüllen.

Der südkoreanische Kardinal Lazarus You Heung-sik hob vor kurzem in einem Interview die Bedeutung einer glaubwürdigen Verkörperung des Evangeliums hervor (vgl. Vatican News vom 19.04.2023). Seit August 2021 ist er Präfekt des vatikanischen Dikasteriums für den Klerus und somit hauptverantwortlich für die spirituelle, intellektuelle und pastorale Bildung des Klerus weltweit. Nach ihm gebe es je nach Kulturkreis „sehr unterschiedliche Sensibilitäten und Interpretationen“ der Rolle des Priesters, fester Kern sei allerdings die „Sakramentalität des Amtes“. Er betont, dass damit kein „Status der Exklusivität“ gemeint sei. „Das Paradigma des guten Priesters – wo immer er in der Welt lebt und wirkt – ist das Gesetz der Liebe, das jede andere moralische oder kanonische Norm übertrifft. Der Priester ist berufen, zur Liebe zu führen, und er kann dies nur dann wirksam tun, wenn er selbst in der Liebe lebt.“ Dazu empfiehlt er den Priestern neben der glaubhaften Verinnerlichung des Evangeliums den Kontakt zu Laien und Familien, „um die Dimension des Realen nicht zu verlieren“, so der Kardinal, und nicht „selbstreferentiell“ zu werden.

Damit wird deutlich: Wie alle Getauften sind umso entschiedener die Geweihten zu einem Leben in „Demut und Dienst“ angehalten. Deswegen ist selbstkritisch zu fragen, wie ich mein Priestertum verstehe und ausübe: Abgehoben fern aller Gläubigen, „das Heilige vollziehend“ oder bodenständig „das Heilige“ den Menschen nahebringend? Entspringen Entscheidungen dem eigenen Machtkalkül oder aus der Vollmacht im Dienst am Volk Gottes? Sind die moralischen Gesetze und Paragrafen des kirchlichen Gesetzbuches oder die unendliche, barmherzige Liebe Gottes Maßstab kirchlichen Handelns?  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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„Gott liebt es, durch das Kleine große Dinge zu vollbringen“

Die Reinheit der Gottesmutter im Schmutz der Welt

Vom 31. August bis 4. September 2023 besuchte Papst Franziskus die Mongolei. Es war eine Missionsreise ganz besonderer Art. Im Land leben nur 1400 Katholiken, gleichzeitig arbeiten dort 75 Missionare, die zehn religiöse Kongregationen und 27 Nationalitäten vertreten. Die ersten Missionare trafen erst vor etwa 20 Jahren ein. In der Apostolischen Präfektur Ulaanbaatar, die von Giorgio Kardinal Marengo IMC geleitet wird, gibt es 29 Priester, davon zwei einheimische, 36 Ordensfrauen, sechs nichtpriesterliche Ordensleute und drei Laienmissionare, die in neun offiziell registrierten Gotteshäusern tätig sind. Daneben sind sie besonders im Bildungs- und Sozialbereich engagiert. Eine mongolische Frau aus Darkhan im Norden der Mongolei, wo es damals noch gar keine Christen gab, fand auf der Müllkippe eine Marienstatue, die sie mit nachhause nahm. Eine Don-Bosco-Schwester entdeckte die Statue 2013 in ihrem Haus. Inzwischen nimmt sie einen Ehrenplatz in der Kathedrale ein und wird von den Gläubigen „Himmlische Mutter“ genannt. Papst Franziskus empfing diese Mongolin, segnete die Statue und ging in seiner Ansprache bei der Begegnung mit Bischöfen, Priestern, Missionaren, Personen des geweihten Lebens und pastoralen Mitarbeitern am Herz-Mariä-Samstag, 2. September 2023, in der Kathedrale Peter und Paul von Ulaanbaatar auf diese Episode ein.

Von Papst Franziskus  

Meine Lieben, auf eurem Weg als Jünger und Missionare habt ihr einen sicheren Halt: Unsere himmlische Mutter, die – wie ich erfreut entdeckt habe! – euch ein greifbares Zeichen ihrer diskreten und fürsorglichen Gegenwart geben wollte, indem sie es geschehen ließ, dass man ein Bildnis von ihr in einer Mülldeponie fand. An einem Ort voller Müll tauchte diese schöne Statue der Unbefleckten Gottesmutter auf: Sie, ohne Makel, gefeit gegen die Sünde, wollte uns so nahekommen, dass sie mit dem Müll der Gesellschaft verwechselt wurde, so dass schließlich aus dem Schmutz des Mülls die Reinheit der heiligen Gottesmutter hervortrat, der Mutter des Himmels. Ich habe von der interessanten mongolischen Tradition der „suun dalai ijii“ erfahren, der Mutter mit einem Herzen so groß wie ein Ozean aus Milch. Wenn in der Erzählung der Geheimen Geschichte der Mongolen ein durch die obere Öffnung des Ger herabkommendes Licht die mythische Königin Alungoo befruchtet, dann könnt ihr in der Mutterschaft der Jungfrau Maria das Wirken des göttlichen Lichts betrachten, das jeden Tag die Schritte eurer Kirche von oben begleitet.

Schöpft also neuen Mut, wenn ihr den Blick zu Maria erhebt, und seht, dass die Kleinheit kein Problem, sondern eine Möglichkeit ist. Ja, Gott liebt das Kleine und er liebt es, durch das Kleine große Dinge zu vollbringen, wie Maria bezeugt (vgl. Lk 1,48-49). Brüder und Schwestern, habt keine Angst vor kleinen Zahlen, vor sich nicht einstellenden Erfolgen, vor der sich nicht zeigenden Relevanz. Dies ist nicht der Weg Gottes. Schauen wir auf Maria, die in ihrer Kleinheit größer ist als der Himmel, weil sie in sich denjenigen beherbergt hat, den der Himmel und die Himmel der Himmel nicht fassen können (vgl. 1 Kön 8,27). Brüder und Schwestern, vertrauen wir uns ihr an und bitten wir sie um einen erneuerten Eifer, um eine glühende Liebe, die nicht müde wird, das Evangelium freudig zu bezeugen. Und macht weiter, werdet nicht müde weiter zu machen. Vielen Dank für euer Zeugnis. Er, der Herr, hat euch erwählt und er glaubt an euch. Ich bin mit euch und ich sage euch von ganzem Herzen: Danke. Danke für euer Zeugnis, danke für euer Leben für das Evangelium. Macht weiter so, beständig im Gebet, seid weiterhin einfallsreich in der Nächstenliebe, steht weiter fest in der Gemeinschaft, fröhlich und sanftmütig in allem und mit allen. Ich segne euch von Herzen und ich denke an euch. Und ihr, vergesst bitte nicht, für mich zu beten. Danke.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Zeugnis eines jungen Priesters aus Angola

Von der Katholizität verwandelt

Pessoa Vitangui ist ein junger Priester aus Angola, der bekannten ehemaligen portugiesischen Kolonie im Südwesten Afrikas. Derzeit studiert er in Lissabon und wird anschließend am Priesterseminar seiner Heimatdiözese als Professor dozieren. Daneben ist er seelsorglich in den katholischen Pfarreien von Mafra tätig, das 40 km nördlich von Lissabon liegt. In seinem Beitrag legt er Zeugnis davon ab, wie er den Weltjugendtag in Portugal erlebt hat.

Von Pessoa Vitangui  

Es war der erste Weltjugendtag, den ich nicht nur erleben, sondern auch aktiv mitgestalten durfte. Ich gehörte Ausschüssen an, welche diese riesige Veranstaltung vorbereitet haben. Ziel war es, katholische Jugendliche aus aller Welt zusammenzubringen.

Die Atmosphäre vor dem großen Ereignis war durchaus angespannt. Auf Pfarreiebene waren verschiedene Komitees eingerichtet worden. Ich werde die langen Nächte, in denen wir uns beraten haben, nicht vergessen. Alles erschien wie ein Meer von Ungewissheit. Doch nach und nach verwandelten sich die Unsicherheiten in Wolken der Hoffnung. Vor allem keimte Hoffnung bei denen auf, die bereits an einem Weltjugendtag teilgenommen hatten.

Die Tage vergingen und Schritt für Schritt begannen wir zu verstehen, dass wir tatsächlich in der Lage waren, die Aktivitäten im Rahmen des Weltjugendtags zu organisieren. Lissabon wurde zum Epizentrum der Aufmerksamkeit in der katholischen Welt und darüber hinaus. Junge Menschen aus aller Welt strömten nach Lissabon. Endlich waren die abschließenden Tage gekommen, auf die wir so lange zwischen Gewissheit und Ungewissheit, zwischen Hoffnungen und Verzweiflung gewartet hatten.

Die erste Phase, die Vortage in den Diözesen, war ein unbeschreibliches Erlebnis. Mit größter Genugtuung begrüßten wir junge Menschen aus Italien in unserer Pfarrei. Es waren wirklich unvergessliche Tage. Ich kann sagen, dass jeder, der an einem Weltjugendtag teilnimmt, wie jemand ist, der ein Buch liest. Er wird danach nicht mehr derselbe Mensch sein. Er wird für immer durch die Erfahrung der Katholizität verwandelt, die ein gemeinsamer Reichtum in der Vielfalt der Kulturen und in der Einheit desselben Glaubens an Jesus Christus, den Sohn Gottes, ist.

Die kulturelle Vielfalt wurde vom Glauben an den einzigen Gott überlagert, die sprachliche Vielfalt von der Sprache der Liebe. Alles erinnerte an die Anfänge der Predigt des Evangeliums, als der Heilige Geist auf die Apostel herabkam und sie die Wunder Gottes verkündeten. „Juden und Proselyten, Kreter und Araber – wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden“ (Apg 2,11). Deutsche, Belgier, Italiener, Franzosen, Portugiesen, Brasilianer, Asiaten, Amerikaner, Afrikaner, jeder konnte sie „in seiner eigenen Sprache hören“, nicht nur mit Hilfe von Technologien wie Google-Übersetzer, sondern eben wegen der Sprache der Liebe unter den jungen Menschen aus der ganzen Welt. Die katholische Welt überschreitet die Grenzen der Sprache.

Wie könnte man die gewaltige Begegnung zwischen der Jugend des Papstes und Papst Franziskus vergessen! Die Lieder, die Ansprachen des Papstes, der Kreuzweg – eine lebendige Begegnung zwischen der Menschheit und dem Gekreuzigten, Jesus Christus! Wie könnte man die emotionalen Worte des Papstes vergessen, der zur wahren Katholizität einlud, die JEDEN ohne Ausnahme umfasst! Wir spürten, wie sehr die Kirche tatsächlich der Ort ALLER Kinder Gottes ist. ALLE sind zum Hochzeitsmahl eingeladen (Mt 22,9). Und so zogen wir gemeinsam mit dem Papst zur Abschlussmesse im „Parque Tejo“ und badeten gleichsam in der Menge. Mehr als eineinhalb Millionen junge Menschen füllten diesen „Campo da Graca“. Geduldig grüßte der Papst jeden, an dem er vorbeikam. Und die Heilige Messe begann, die wahre Begegnung mit dem lebendigen Christus.

Für uns alle wird der Weltjugendtag 2023 in Lissabon unauslöschlich in Erinnerung bleiben – bis zum Ende unseres Lebens! Und wir können wie Petrus bekennen: „Wie gut ist es, katholisch zu sein! Verbleiben wir im einzigen Glauben an den Sohn Gottes! Lasst uns unsere Zelte aufschlagen und im Herrn leben!“ Die Aussendung stellte für jeden jungen Menschen auch eine Einladung dar, nachhause zurückzukehren und ein Zeichen der Gegenwart Christi unter anderen jungen Menschen in der Welt zu sein.

Bis zum nächsten Weltjugendtag in Südkorea 2027!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„Danke, dass es euch gibt, dass ihr die Eucharistie zur Mitte macht!“

Wir brauchen geistliche Erneuerung, keine neue Kirche

Am 3. August 2023 hielt der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier auf dem Weltjugendtag in Lissabon für die deutschsprachigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Katechese über die Hochzeit von Kana. Eine riesige Zahl von Jugendlichen hatte sich auf dem Vorplatz der Universität versammelt und die Worte des Bischofs mit Begeisterung aufgenommen. Nach den Vorgaben der Organisatoren sollte die Katechese kurz gefasst sein, eingeleitet durch Zeugnisse von jungen Erwachsenen. Bei der anschließenden heiligen Messe brach Bischof Meier in seiner Predigt eine Lanze für die Priester, die durch nichts zu ersetzen seien. Nachfolgend die Katechese leicht gekürzt.

Von Bischof Bertram Meier, Augsburg  

Hochzeit zu Kana. Vielleicht wisst ihr, dass bei einer jüdischen Hochzeitsfeier der Bräutigam mit dem Fuß auf ein Glas tritt, das zerspringt, und die ganze Hochzeitsgesellschaft ruft: „Masel tov!“ Das bedeutet übersetzt „guter Stern“, im Sinne von: Ich wünsche euch, dem Brautpaar, viel Glück – Masel tov! Und wir sagen ja auch: „Da habe ich wieder mal Massel gehabt!“

Nur, bei der Hochzeit von Kana haben die Hochzeitsleute kein Massel gehabt, nicht viel Glück also, denn da ist was passiert. Die Leute essen und trinken, tolle Stimmung, das Fest steigt und plötzlich stellen sie fest, der Wein geht aus. Das muss man sich mal vorstellen! Der letzte Korken wird bald gezogen. Oder – wie es damals war – der letzte Krug wird geleert. Die Eheleute sitzen im Schlamassel, einem echten Schlamassel. Und das am ersten Tag der neuen Verbindung der Ehe.

Vielleicht könnt ihr mal in euch gehen. Stellt euch die Frage: Wo war ich schon einmal in einem echten Schlamassel?

Es ist – und das haben uns die drei Jugendlichen vorhin bereits gesagt – Maria zu verdanken, dass das Fest nicht gekippt ist. Sie wies Jesus, ihren Sohn, auf den Schlamassel hin mit den Worten: „Sie haben keinen Wein mehr!“ Alles, was wir mitgebracht haben an Getränken, ist leer. Sie haben keinen Wein mehr. Ohne Wein kein Fest. Darauf weist Maria hin.

Und was tut Jesus? Weg von mir, Frau! Was habe ich mit dir zu tun? Eine ganz schön schroffe Abfuhr. Stellt euch mal vor, ihr sprecht so mit eurer Mutter oder eurem Vater: Was habe ich mit dir zu tun? Halt deinen Mund! Misch dich nicht ein!

Aber Maria gibt nicht auf. Im Gegenteil, sie arbeitet im Hintergrund. Sie spricht mit den Hochzeitsorganisatoren und sagt dann: „Was er euch sagt, das tut!“ Was Jesus euch sagt, das tut! Meine lieben Freundinnen und Freunde, das ist doch der gute Rat Mariens bis heute. Das tun, was Jesus sagt. Es gibt heutzutage so viele Ratgeber, gute und schlechte. Wo holen wir uns Rat?

Die meisten von euch haben ein Smartphone. Gut so, denn ohne wäre man aufgeschmissen. Schaut mal her, ich habe ein Senioren-Handy. Tut‘s auch noch. Manche lachen – so wie ihr. Was, der Bischof Meier – anno Tobak! Da kann ich ein bisschen fotografieren, SMS empfangen, aber andere Sachen nicht. Apps? Fehlanzeige! Und trotzdem schlag ich mich durch in Lissabon.

Guter Rat ist teuer. Wo holen wir uns Rat? Hoffentlich nicht allein vom Internet! Sucht euch gute Ratgeberinnen und Ratgeber, denen ihr vertrauen könnt! Auch diese Tage jetzt in Lissabon können eine Chance sein, auf den guten Rat zu hören, den Maria uns gibt. Bis heute! Was er, was Jesus euch sagt, das tut, nicht, was eine Person des öffentlichen Lebens uns einreden will, nicht, was diese oder jene Ratgeber von uns erwarten. Das ist nicht immer guter Rat. Guter Rat ist teuer. Teurer denn je.

Und wenn ihr selber Entscheidungen zu treffen habt, dann beratet euch mit Leuten, die es gut mit euch meinen, die euch wirklich aus Erfahrung, aus gutem Willen einen guten Rat geben. Soll ich mich an diese Freundin binden? An diesen Freund? Wie soll ich meine Intimität, meine Sexualität leben? Man kann Sex nicht auf Probe haben, nicht alles mal ausprobieren, nach Gebrauch wieder weg, Nächste, bitte. Das ist kein guter Rat! Bindung – ganz, ganz wichtig heute: Bindung an einen Menschen, der es wert ist. Bindung an eine Aufgabe, an einen Beruf, der vielleicht – hoffentlich – zur Berufung wird. Bindung an Gott: Was er euch sagt, das tut!

Und was tun dann die Kellermeister? Sie füllen die Krüge mit Wasser, bis zum Rand, bis zum Überlaufen. Sie schütten Wasser in die Krüge. Liebe Jugendliche, wir alle kochen doch bloß mit Wasser. Wie viel, obwohl es nur mit Wasser gekocht ist, nehmen wir an und begnügen uns damit. Jetzt ist die Zeit, in Lissabon beim Weltjugendtag, die Tröge unseres Lebens zu füllen, bis zum Rand, mit unserem Wasser, mit unseren Verbesserungen, Halbherzigkeiten.

Und ich wünsche euch, dass ihr manches an Wasser wegschütten könnt, in Gottes Krüge, die seine Liebe für uns sind. Schüttet es weg! Hier sitzen die Priester. Ihr habt Seelsorger unter euch, die euch begleiten in diesen Tagen, durch den Weltjugendtag. Und auch darüber hinaus sind sie in den Gemeinden, in den Bewegungen für euch da. Dann geschieht das Wunder: sechs steinerne Wasserkrüge, nur mit Wasser gefüllt. Und plötzlich ist aus dem Wasser Wein geworden. Spitzenklasse! Besser als der Festwein zuvor. Das ist mein Wunsch, meine lieben Freundinnen und Freunde, dass ihr euer Wasser weggießt, im Wissen darum, dass der Herr unser Wasser verwandeln kann in den Wein der Freude.

Und das ist der Weltjugendtag, dass wir nicht nur darüber klagen, dass auch die Kirche bloß mit Wasser kocht, da auch Schuld und Sünde bei uns vorkommen. Sonst wären wir keine Menschen. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass der Herr dieses Wasser wandeln kann, in den köstlichen Wein des Festes und der Freude!

Wie viele Liter Wasser passten damals in einen Krug? 100, genau! 600 Liter Wein! Hieronymus, ein alter Kirchenvater, wurde mal gefragt: Wie interpretierst du das? Wenn die Leute vorher schon getrunken haben, dann waren sie ja danach betrunken – 600 Liter Wein für die Hochzeitsgesellschaft. Und Hieronymus gibt die Antwort. Ja, es waren 600 Liter. Aber wir trinken heute noch davon. Und das ist der tiefste Sinn von Kana. Wir trinken heute noch davon und essen noch davon. Jetzt decken wir hier den Tisch des Altares, Brot des Lebens und Wein der Freude. Kana nimmt die Eucharistie voraus. Wir trinken heute noch davon, vom Blut Christi. Und wir kosten vom Leib Christi, dem Brot des Lebens.

Ich danke euch ganz herzlich, dass ihr jeden Tag euer Leben auf die Eucharistie hin ordnet, dass ihr die Eucharistie zur Mitte macht. Manchmal habe ich den Eindruck, wir wollen gerade auch in unserer Heimat die Kirche neu bauen. Meine Lieben, wir brauchen keine neue Kirche, 2000 Jahre danach. Wir brauchen eine Erneuerung der Kirche. Und die wahre Erneuerung der Kirche machen nicht wir, weil wir alle bloß mit Wasser kochen. Die wahre geistliche Erneuerung geschieht aus dem Wort Gottes, aus dem guten Rat Mariens „Was er, Jesus, euch sagt, das tut!“, und von der Feier der Eucharistie, wie wir es jetzt gleich tun werden. Nochmal Danke, dass es euch gibt! Prosit, auf die geistliche Erneuerung der Kirche!  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Eindrücke eines russisch-orthodoxen Priesters vom Weltjugendtag

Brücke zwischen Ost und West

Ein russisch-orthodoxer Priester aus der Permer Region ist mit Erlaubnis seines Bischofs nach Portugal gereist, um am Weltjugendtag teilzunehmen und das Heiligtum Unserer Lieben Frau von Fatima zu besuchen. In seinem Zeugnis schildert er seine Eindrücke und überrascht mit seiner Offenheit und Wertschätzung gegenüber der katholischen Kirche.

Von Jewgenij Krenz  

Mein Name ist Jewgenij (Eugen) Krenz. Wie der Familienname verrät, stamme ich aus einer russlanddeutschen Familie und bin in der Stadt Solikamsk im nördlichen Teil der Permer Region aufgewachsen. Meine Vorfahren gehörten dem lutherischen Glauben an, doch wurde ich in der Russisch-Orthodoxen Kirche getauft. 2010 trat ich in das orthodoxe Priesterseminar der Permer Metropolie ein, studierte aber für die Diözese Kudymkar und Wereschtschagino im Gebiet der Komi westlich von Solikamsk. Vom dortigen Bischof Nikon Mironow wurde ich am 24. August 2016 in Poschwa an der Kama zum Priester geweiht. Die Feier fand in der prächtigen Kirche der „Lebensspendenden Dreifaltigkeit“ statt, welche unter sowjetischer Herrschaft nur von 1930 bis 1946 geschlossen war. Zurzeit bin ich Pfarrer in der Stadt Nytwa und für die Gefangenen-Seelsorge der Diözese Kudymkar verantwortlich.

Auf Einladung des katholischen Priesters Erich Maria Fink und mit Erlaubnis der Permer Metropolie habe ich Anfang August dieses Jahres am Weltjugendtag in Lissabon teilgenommen. Die gesamte Veranstaltung hat mich in ihrem Ausmaß und ihrer unglaublichen Organisation in großes Staunen versetzt, ja, vollkommen überwältigt! Von der Schönheit und geistlichen Tiefe der Gottesdienste war ich zu Tränen gerührt. Auch die Predigten des Papstes haben mich innerlich sehr angesprochen. Er brachte ganz wichtige „Din-ge“ zum Ausdruck, welche für den Glauben an Jesus Christus und das Seelenheil des Menschen entscheidend sind. Für mich war es eine unaussprechliche Freude, so viele gläubige Jugendliche aus den verschiedensten Ländern der Welt zu sehen, die in Christus vereint sind.

Die Reise nach Portugal nützte ich dazu, vor dem Weltjugendtag das Heiligtum von Fatima zu besuchen. Ich hatte schon früher von den Erscheinungen der Gottesmutter gehört, die dort 1917 stattgefunden haben. Und mir sind von Anfang an die Ähnlichkeiten zu einer Marienerscheinung aufgefallen, die sich 1685 in der Permer Region im Gebiet der Komi ereignet hat. Das Dorf, das dieses „Wunder“ in der orthodoxen Kirche beherbergt, heißt Obwinsk. Ausgerechnet in der dortigen Pfarrei war ich das erste halbe Jahr nach meiner Priesterweihe eingesetzt. So bedeuten mir die Ereignisse von Obwinsk sehr viel und ich verehre die Ikone der „Obwinsker Rose“, welche die Erscheinung der Gottesmutter von Obwinsk darstellt, als mein persönliches Heiligtum. Vor zwei Jahren habe ich Pfr. Erich Maria Fink kennengelernt und ihn auf Obwinsk aufmerksam gemacht, das ihm bis dahin unbekannt war. Inzwischen wurde eine Brücke zwischen Obwinsk und Fatima geschlagen, die wir durch unsere Besuche in Fatima stärken konnten. Für mich sind die Erscheinungen von Obwinsk und Fatima wie ein roter Faden, der Ost und West verbindet.

Überhaupt war ich von der Erhabenheit der katholischen Kirchen in Portugal, ihrer altehrwürdigen Architektur und Dekoration zutiefst beeindruckt. Ich glaube, dass es eine sehr wertvolle und wichtige Aufgabe darstellt, diese kulturellen Schätze, Traditionen und Bräuche der katholischen Kirche in Westeuropa zu erhalten.

Auf meiner Reise habe ich wunderbare Gläubige, Priester und Bischöfe der katholischen Kirche kennengelernt. Mit vielen durfte ich trotz der Sprachbarriere herzliche und freundschaftliche Kontakte knüpfen. Ich hoffe, dass einige der Beziehungen bestehen bleiben und sich weiterentwickeln werden.

Immer, wenn auf meinem Weg Probleme aufgetaucht sind, bin ich auf sehr nette und liebenswürdige Menschen gestoßen, die mir in schwierigen Situationen geholfen haben. Besonders für diese Menschen bin ich Gott und der Himmlischen Mutter dankbar. Für die ganze Reise nach Portugal bin ich von tiefster Dankbarkeit erfüllt. Es war ein tolles Erlebnis. Möge Gott und die Allerheiligste Gottesgebärerin alle segnen!  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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„Die Rückkehr zum Evangelium ist die Basis jeglicher Erneuerung“

Die Kirche ist missionarisch

Pfarrer Dr. Richard Kocher, Programmdirektor von Radio Horeb, sieht es als seine Aufgabe, missionarisch zu wirken. Mit Papst Franziskus ist er überzeugt, dass wir die Dinge in unserer Kirche nicht einfach so belassen dürfen, wie sie sind. Wir müssen das gesamte kirchliche Leben ganz neu auf das eine große Ziel hin ausrichten, die Frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen, in den Herzen der Städte das Feuer des Heiligen Geistes neu zu entzünden.

Von Richard Kocher  

In einer Stadt im Oberallgäu hat unsere Jugendredakteurin Passanten nach ihrer Meinung zum Thema der Weitergabe des Glaubens, der Mission, gefragt. Die Antwort war einhellig und unmissverständlich: Glaube ist reine Privatsache. Niemand sprach sich dafür aus, diesen weiterzugeben oder werbend dafür einzutreten. Im Gegenteil: Den Glauben ins Gespräch bringen stand für einige Befragte in der Nähe zur Aufdringlichkeit eines Vertreters an der Haustür, der unbedingt sein Produkt verkaufen möchte. Glaubensweitergabe erscheint in diesem Kontext als etwas, das aus der Zeit gefallen ist und deshalb zu unterbleiben habe.

Ausgerechnet die schrille Punk-Lady Nina Hagen, die mit ihren Auftritten und manchmal durchaus befremdlichen Äußerungen immer wieder für Aufsehen sorgt, schreibt dazu in ihrem Buch „Bekenntnisse“: „Wir müssten es doch in jeder Zelle unseres Körpers, in jeder Faser unseres mitteleuropäischen Nervensystems einprogrammiert haben, dass Jesus sagt: ‚Liebet einander, so wie ich euch geliebt habe!‘ Ich glaube fest daran, dass ich eine mission habe, die ich in die letzten und verlassensten Winkel unserer kalten Welt tragen soll: Glaubt daran, dass Gott euch wirklich liebt! Arbeitet daran, die wahre Liebe Gottes wieder zu errichten! Sucht diese Liebe mit ganzem Herzen. Sucht sie aufrichtig! Zweifelt niemals an ihr! Wir sind geboren, um diese Liebe mit Gottes Hilfe zu erkennen und zu leben!“ Es macht nachdenklich, wenn ausgerechnet Nina Hagen von einer mission spricht, die Liebe Gottes zu verkünden, während man im kirchlichen Sprachgebrauch diesen Begriff bei uns kaum mehr verwendet.

Die Liebe Gottes zu bezeugen und sie den Menschen einladend anzubieten, ist der Sinn jeder Mission, mögen die Hindernisse noch so groß sein: Mission als geschichtlich belasteter und missverständlicher Begriff, eine Allerlösungstheologie, nach der jeder in den Himmel kommt und Mission sich dadurch letztlich erübrigt, ein Konsum-Christentum, das nur nehmen, aber nicht geben will, eine Haltung des Abwartens, bis sich die Kirche endlich reformiert hat, so-wie eine verbreitete Haltung der Resignation und Mutlosigkeit, dass sich ohnehin nichts ändern wird. Ob Gott uns unsere Trägheit und den Mangel an Bekennermut einst durchgehen lässt, wenn er fragen wird, warum wir uns durch Taufe und Firmung zurüsten haben lassen und den Glauben dann trotzdem nicht weitergegeben haben, wage ich zu bezweifeln.

Missionarische Glaubensweitergabe ist nicht etwas Momenthaftes oder auf besondere Events Beschränktes. In dem Buch „Gott und die Welt nach der Pandemie“ führt Papst Franziskus in einem Interview dazu aus: „Die Kirche ist erklärtermaßen missionarisch. Deshalb sind alle Christen Missionare und müssen die Frohe Botschaft des Evangeliums zu allen Menschen tragen, denen sie begegnen. Dies müssen sie nah und fern, zu Hause, bei der Arbeit, beim Sport, in der Erholung immer und überall tun. Die Rückkehr zum Evangelium ist die Basis jeglicher Erneuerung. Erinnern wir uns daran, dass Gott sich an alle und an jeden wendet. Er sagt zu den Aposteln nicht, dass sie eine Elite bilden sollen.“ Mission ist die Aufgabe jedes einzelnen von uns. Wir können uns nicht davon dispensieren.

Alle Sendungen im Missionsmonat Oktober gehen auf diese Thematik ein unter dem Motto „Hören und handeln“. Wer unsere Übertragungen nur hört, aber nie oder kaum versucht hat, andere Hörer zu gewinnen – und sei es auch nur einen einzigen –, gleicht dem Toten Meer im Heiligen Land. Es hat nur einen Zufluss, den Jordan, aber keinen Abfluss. Das Ergebnis ist ein salziges, unfruchtbares Land – ein Bild für die derzeitige Situation der Kirche in unserem Land. Wie sehr würde sich die kirchliche Landschaft verändern, wenn wir endlich umsetzen würden, worum Papst Franziskus in seinem „Brief an das pilgernde Gottesvolk in Deutschland vom 29.06.2019“ und zuvor schon in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ uns gebeten hat: die Mission an die erste Stelle zu setzen, ihr oberste Priorität einzuräumen und alles auf den Prüfstand zu stellen, was dieser Zielsetzung nicht entspricht, das Feuer des Heiligen Geistes in den Herzen der Städte neu zu entzünden und sich endlich von einem schäbigen Pragmatismus zu befreien, der die Dinge so belassen will, wie sie sind.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Ein Hauch von Weltjugendtag in St. Petersburg

Begegnung mit Christus und untereinander

Als Alternative zum Weltjugendtag in Lissabon hatte die katholische Kirche in Russland Ende August ein Gesamtrussisches Jugendtreffen organisiert. Aufgrund der Sanktionen und politischen Spannungen war es für russische Jugendliche fast unmöglich, nach Portugal zu reisen. Insgesamt nahmen dort nur 17 junge Erwachsene aus Russland teil, wobei die meisten von ihnen ausländische Studenten waren. Begleitet wurden sie von Oksana Pimenowa, der Leiterin des bischöflichen Jugendamts in Moskau, welche nun auch die Hauptverantwortliche für das Treffen in Russland war. Im Anschluss an Portugal wurde es zum selben Thema und mit ähnlichen Elementen wie der Weltjugendtag durchgeführt. Die katholischen Bischöfe Russlands hatten schon zu Beginn des Jahres mit Papst Franziskus vereinbart, dass er zu dieser Begegnung in St. Petersburg via Videokonferenz aus Rom live zugeschaltet wird.

Von Oksana Pimenowa  

Vom 23. bis 27. August 2023 fand in St. Petersburg ein Gesamtrussisches Jugendtreffen statt. Es kamen in diesen Tagen etwa 350 junge Menschen aus mehr als 50 Städten Russlands zusammen, von Kaliningrad bis Wladiwostok. Einige Teilnehmer mussten etwa 9.000 km zurücklegen, um die „nördliche Hauptstadt“ des Landes zu erreichen. Ein Treffen dieser Art wurde heuer zum ersten Mal in St. Petersburg durchgeführt, und zwar im Zentrum der Stadt, sodass die Jugendlichen die Möglichkeit hatten, das Leben der katholischen Gemeinden kennenzulernen. Für die jungen Leute, die aus kleinen Pfarreien und Gemeinden kommen, welche oft Hunderte von Kilometern voneinander entfernt liegen, sind solche Veranstaltungen auch eine der wenigen Gelegenheiten, einander kennenzulernen, Glaubenszeugnisse auszutauschen und die Einheit der Kirche zu erleben.

Als Organisationsteam sahen wir unsere Aufgabe darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass es zu echten Begegnungen der jungen Menschen mit Christus und untereinander kommen kann. Es ist im Voraus nicht absehbar, wie sich eine solche Veranstaltung dann entwickelt. Aber mir scheint, dass bei diesem Jugendtreffen tatsächlich viele solche Gelegenheiten zustande gekommen sind. Allein schon das gemeinsame Beten mit so vielen Jugendlichen war ein großartiges Zeugnis.

Für mich als Hauptverantwortliche war es besonders wertvoll, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten, die sich im Geist des Dienens engagieren und die Schönheit dieses Weges entdecken. Ich bin auch den Pfarreien und Familien sehr dankbar, welche die jungen Pilger aufgenommen und verpflegt haben.

Schon im Vorfeld des Weltjugendtags war es klar, dass unter den derzeitigen internationalen Bedingungen für Jugendliche aus Russland die Möglichkeiten zur Teilnahme am Treffen in Lissabon stark eingeschränkt sind. So entstand die Idee, zeitnah ein Gesamtrussisches Jugendtreffen unter demselben Motto abzuhalten: „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg“. Die entsprechenden katechetischen Themen wurden im gleichen Geist behandelt. Eine besondere Freude bestand darin, dass die Teilnehmer nicht nur die Einheit innerhalb der katholischen Ortskirche in Russland, sondern durch die „Anwesenheit“ von Papst Franziskus auch die Einheit mit der Weltkirche erleben konnten.  

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Die Verantwortung des Pontifex für die Kirche

Schlaglicht auf das Petrusamt

Das Gesamtrussische Jugendtreffen vom 23. bis 27. August 2023 stand ganz unter dem Zeichen des Weltjugendtags in Lissabon, der eben zu Ende gegangen war. Es wurden nicht nur dieselben Themen behandelt, sondern die Jugendlichen sollten auch die Anwesenheit des Papstes erleben. Dies geschah durch eine Videokonferenz, in der Papst Franziskus live zugeschaltet wurde. Pfarrer Erich Maria Fink zeigt auf, wie in dieser Begegnung wesentliche Elemente des Petrus-amtes zum Tragen gekommen sind.

Von Erich Maria Fink  

„Pontifex“ bedeutet „Brückenbauer“. Der Titel kam im Römischen Reich auf, wo er zunächst im religiösen Bereich gebräuchlich war und später politisiert wurde. Ursprünglich hatte man wohl den Brückenschlag zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre im Blick. Später sah man darin mehr eine Aufgabe auf horizontaler Ebene, nämlich das gesamte religiöse und sozial-politische Leben unter einer Oberaufsicht zu koordinieren. In diesem Sinn wurde der Titel „Pontifex maximus“ (oberster Brückenbauer) seit Augustus für den römischen Kaiser verwendet. Schließlich ging er von Papst Leo dem Großen (440-461) an in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt auf den Nachfolger des hl. Petrus über.

Bei der Begegnung von Papst Franziskus mit den russischen Jugendlichen am 25. August 2023 via Videokonferenz leuchtete die Verantwortung des Petrusnachfolgers als „oberster Brückenbauer“ in mehrfacher Hinsicht auf.

1. Zeichen der Einheit

Dass sich der Papst für 350 Jugendliche in Russland über eine Stunde Zeit genommen hat, war vor allem ein emotionales Erlebnis. Alle Beteiligten waren sich bewusst, dass Papst Franziskus in diesem Moment seine Aufmerksamkeit ausnahmslos ihnen schenkt. Für ihn, der die ganze Kirche zu „weiden“ hat, gibt es in diesen 70 Minuten „nichts Wichtigeres als das Gespräch mit uns“, so war das Empfinden in der St. Katharinen-Basilika von St. Petersburg. Die Anwesenheit des Papstes brachte die Einheit der katholischen Kirche Russlands mit der Weltkirche auf einzigartige Weise zum Ausdruck. Es hätte durch nichts Anderes ersetzt werden können.

Begrüßt wurde der Papst zunächst von Erzbischof Paul Pezzi, dem Vorsitzenden der Russischen Bischofskonferenz, und anschließend von Oksana Pimenowa, der Verantwortlichen für die Jugendarbeit im Moskauer Erzbistum. Interessanterweise vertreten diese beiden Personen auch die russischen Diözesen bei der Bischofssynode in Rom zur Synodalität der Kirche. Pimenowa hob in ihrem Grußwort vor allem das Geschenk hervor, dass der Papst das Gefühl der Zugehörigkeit zur weltweiten katholischen Kirche vermittelt. Dieses Bewusstsein der Zusammengehörigkeit ist für eine Minderheit von weniger als einem Prozent in Russland etwas ganz Wichtiges.

Einheit braucht einen sichtbaren Ausdruck und nicht zuletzt deshalb hat Jesus Christus selbst das Petrusamt gestiftet. Wie Papst Franziskus dieser Verantwortung für die Einheit nachkommen möchte, hat er durch die Videokonferenz beispielhaft gezeigt. Er versucht, überallhin Brücken zu schlagen, „Pontifex“ zu sein, wo sich die Möglichkeit bietet. Auf geradezu aufsehenerregende Weise stellte er dies nur wenige Tage später erneut unter Beweis, als er auf die Einladung einging, in die Mongolei zu reisen und die kleine Herde von 1400 Katholiken zu besuchen.

2. Offenheit für alle

Auf die Begrüßung folgten zwei Zeugnisse junger Erwachsener. Im ersten schilderte Alexander Baranow, wie ihn die Kirche aus dem tiefsten Abgrund der Verzweiflung und Gottesferne gerettet habe. Sie habe ihm gezeigt, dass Jesus auch dem entferntesten Menschen die Hand entgegenstreckt. Deswegen verspüre er die Berufung zum Priestertum. Er wolle sein ganzes Leben dafür einsetzen, dass die Menschen erkennen: Jeder ist der Erlösung würdig, jeder ist der göttlichen Liebe wert.

Papst Franziskus griff in seiner Ansprache unmittelbar danach dieses Zeugnis auf und betonte: „Gottes Liebe gilt allen, und die Kirche gehört allen.“ Wörtlich sagte er: „Ich bitte Euch, dass die Kirche keine Zollstation ist, welche diejenigen auswählt, die eintreten, und diejenigen, die nicht eintreten dürfen. Nein: Für alle, für alle ist der Eintritt frei. Und dann spürt jeder die Einladung Jesu, ihm nachzufolgen, und sieht sich selbst vor Gott; und für diesen Weg sind Unterweisung und Sakramente erforderlich. Erinnern wir uns an das Evangelium: Wenn der Gastgeber des Hochzeitsmahles seine Diener an die Kreuzungen der Straßen schickt und sagt: ‚Geht und bringt alle mit.‘ Vergesst nicht das Wort: alle. Die Kirche ist für alle da: Jung und Alt, Gesunde, Kranke, Gerechte und Sünder. Das meinte Jesus – für alle, alle, alle!“

Damit knüpfte Papst Franziskus an seine Worte bei der Willkommensfeier am 3. August in Lissabon an. Auch dort erinnerte er an dieses Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl im Matthäus-Evangelium (Mt 22,1-14) und ließ die mehr als 500.000 Jugendlichen, die im Parque Eduardo VII. versammelt waren, mehrere Male wiederholen: alle, alle, alle – todos todos, todos, aber jeder sollte es in seiner Muttersprache rufen.

Es war ein berührender Moment, den ich selbst auf dem Platz miterleben durfte. Die Willkommensfeier ist bei einem Weltjugendtag ja eigentlich dazu gedacht, dass der Papst von den Teilnehmern begrüßt wird. Aber in Lissabon machte er daraus eine Feier, in der er umgekehrt die Jugendlichen begrüßte. Er hieß sie willkommen, und zwar in der Kirche, welche sie einlädt, sich in ihr zuhause zu fühlen. Mit pädagogischem Geschick schlug er eine Brücke in die Herzen der jugendlichen Teilnehmer. Sein Plädoyer für Offenheit entzündete ein Feuer, das eine unglaubliche Atmosphäre des Angenommen-Seins, der Wertschätzung und der Gemeinschaft schuf.

Dass der Papst in Lissabon wie in St. Petersburg die Offenheit der Kirche für alle mit dem Hinweis auf das Gleichnis im Matthäusevangelium verteidigt und sich damit als Brückenbauer erwiesen hat, findet eine wichtige Ergänzung im zweiten Teil des Gleichnisses. Denn dort schließt sich an die umfassende Einladung die strenge Geschichte mit dem Mann an, der ohne Hochzeitskleid erschienen ist.

So fordert Papst Franziskus die Kirche auf, ohne Vorbehalt die Gemeinschaft mit allen, gerade auch mit den Sündern zu suchen, so wie es Jesus getan hat, und sie die bedingungslose Liebe Gottes spüren zu lassen. Gleichzeitig aber, und das betont der Papst genauso deutlich, geht es darum, sie nach dem „Willkommen“ pastoral zu begleiten und zur Gnade hinzuführen, die unser Leben verwandelt.

3. Verwalter eines Erbes

Am Ende der Videokonferenz forderte Papst Franziskus die russischen Jugendlichen dazu auf, das große kulturelle und geistliche Erbe Russlands zu bewahren und weiterzutragen.

Zunächst darf man bei diesen Worten an die große Verantwortung des Papstes für das Erbe der christlichen Offenbarung denken. Er hat die Aufgabe, dieses Erbe zu verwalten, dafür zu sorgen, dass die Schätze des christlichen Glaubens unversehrt bewahrt und weitergegeben werden. Das Bekenntnis des hl. Petrus zum Erlöser, dem Sohn des lebendigen Gottes, bildet das Fundament der Kirche. Und auch in diesem Sinn muss der Papst Brückenbauer sein. Als Garant für die Wahrheit der Verkündigung muss er die Kirche immer wieder an ihre Ursprünge zurückbinden. Gleichzeitig ist er die Garantie dafür, dass die Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte hindurch dieses Erbe in der richtigen Weise zur Entfaltung bringt und für die jeweilige Zeit fruchtbar macht.

Wenn nun Papst Franziskus die Teilnehmer des katholischen Jugendtreffens in St. Petersburg ausdrücklich an die geistlichen Traditionen Russlands mit ihren „Heiligen“ erinnert, so dürfen wir darin auch einen ökumenischen Brückenschlag erkennen. Es erinnert an die Bemühungen des hl. Papstes Johannes Paul II., der vor allem in seiner Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ (25. Mai 1995) dazu ermutigt hat, die Heiligkeit als Frucht des Wirkens des Heiligen Geistes auch in anderen Konfessionen anzuerkennen und durch die Verehrung ihrer Heiligen einen wertvollen Beitrag zur Ökumene zu leisten. Aus den Worten von Papst Franziskus kann man nur schließen, dass er gerade auch die Heiligen der Russisch-Orthodoxen Kirche im Blick hat. Und seine Aufforderung an die Teilnehmer des Gesamtrussischen Jugendtreffens bedeutet, dass die katholische Kirche in Russland ihre Identität nur finden kann, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auch auf dieses große Erbe Russlands richtet. Wenn ein solcher Appell aus dem Mund des „Pontifex“ erfolgt, ist damit auch die Gewissheit verbunden, dass die katholische Kirche mit einer solchen Offenheit das apostolische Erbe nicht verrät, sondern vertiefen kann.

Diese abschließenden Grußworte, die Papst Franziskus zum Abschied frei vorgetragen hatte, lösten innerhalb und außerhalb der Kirche einen riesen Wirbel aus. In Politik und Medien machte man ihm den Vorwurf, er würde dem imperialistischen Gedankengut Russlands einen Freibrief erteilen. Doch er selbst wie die offiziellen Stellen des Vatikans haben seine Äußerungen verteidigt und klargestellt, dass es nicht um Politik, sondern eben um das kulturelle Erbe gehe, das er ausdrücklich angesprochen habe. Ich persönlich sehe in dieser Wortmeldung des Papstes einen positiven Beitrag. Einerseits hat Papst Franziskus damit gezeigt, dass er unabhängig ist und sich die Bewertung der Ereignisse nicht vom herrschenden Mainstream diktieren lässt. Andererseits hat er eine Lanze für das kulturelle Erbe Russlands gebrochen, ganz bewusst auf dem Hintergrund der derzeitigen Ereignisse. Die westliche Welt glaubt, im Namen ihrer Werte und aktuellen Friedensmission dieses Erbe bekämpfen und ausrotten zu müssen. Wenn Papst Franziskus diesem Weg nicht zustimmt, ist er kein unehrlicher Schmeichler, wie es unter anderem heißt, sondern ein echter Brückenbauer, der auch die Zukunft im Blick hat.   

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Ein ehemaliger Satanist findet den Weg ins Priesterseminar

Aus der Finsternis zum Licht

Im Anschluss an den Weltjugendtag in Portugal fand zum selben Thema ein gesamtrussisches katholisches Jugendtreffen in St. Petersburg statt. Papst Franziskus wurde in einer Videokonferenz zugeschaltet. Vor seiner Ansprache legten zwei junge Erwachsene ein Glaubenszeugnis ab. Zunächst schilderte Alexander Baranow seinen Weg, den er unter die Worte stellte: „Christus führt aus der Finsternis zum Licht, aus dem Tod ins Leben!“ Seine ergreifende Geschichte ist ein Zeichen der Hoffnung für unzählige Jugendliche unserer Tage.

Von Alexander Baranow  

Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Brüder und Schwestern, Heiliger Vater! Es ist mir eine große Ehre, hier vor Ihnen sprechen zu dürfen.

Ich heiße Alexander und bin 34 Jahre alt. Noch vor zehn bis zwölf Jahren war ich so weit wie nur denkbar von der Kirche entfernt. Ich war Satanist, nahm an okkulten Ritualen teil und tat und sagte viele nicht unbedingt gute Dinge.

Seit fünf Jahren bin ich nun in der Kirche und bereits das zweite Jahr im Seminar, wo ich versuche, Klarheit über meine Berufung zum Priestertum zu bekommen. Ausgehend von dieser wohl nicht alltäglichen Erfahrung möchte ich einige Worte sagen.

Ich sehe, dass wir viel darüber nachdenken, was die Kirche der Welt, insbesondere der Jugend, anzubieten hat. Wir versuchen, die Kirche attraktiv darzustellen, als „klasse“, als „cool“. Aber mir scheint, dass das alles nichts ist im Vergleich zu dem, was Christus und die Kirche der Welt wirklich zu bieten haben und für sie tun können, nämlich den Menschen aus der Dunkelheit herauszuholen. Jedenfalls war es in meinem Leben so.

Es sind viele verschiedene Dinge, welche die unterschiedlichen Menschen in eine Dunkelheit drängen können: Angst, Schmerz über einen Verlust, die Erfahrung der eigenen Schwäche, erlittene Gewalt, Traumata und anderes. Das bringt im Menschen den Gedanken hervor: „Ich bin unwürdig, weil ich schwach bin“, unwürdig des Glücks, unwürdig der Liebe, unwürdig des Lebens und letztlich der Erlösung. Oder der Mensch fängt einfach an, sich selbst und sein Leben und damit auch Gott zu hassen. Bei vielen, bei sehr vielen beginnt dies bereits in jungen Jahren. Wahrscheinlich haben viele der jungen Leute, die hier sitzen, schon etwas Ähnliches durchgemacht. Das weiß ich, weil es bei mir eben genauso war.

Aber ein solches Denken, eine solche Einstellung zu sich selbst und zum Leben ist eine echte Dunkelheit, in der ein Mensch verharren kann, auch wenn sein Leben nach weltlichen Maßstäben gar nicht schlecht aussieht. Und erst, wenn man sich selbst damit auseinandersetzt, begreift man, wie schrecklich diese Dunkelheit wirklich ist.

Schauen wir uns um: Fast jeder zweite Mensch versucht, sein Leben durch Aberglauben zu kontrollieren – vom roten Faden an der Hand über den bösen Blick bis hin zur Astrologie und noch schlimmeren Dingen. Es sind alles Versuche, ohne Gott auszukommen, aber sich dabei nicht machtlos zu fühlen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wieviele Menschen verfluchen sich selbst und Gott jeden Tag, ohne dass es die anderen merken?! Bei mir hat es wirklich extreme Formen angenommen, aber ich weiß, dass ich leider keine Ausnahme war. Ich kenne Menschen, die dabei so weit gegangen sind, dass es eines echten biblischen Wunders bedarf, damit sie zum Licht zurückkommen.

Und genau aus dieser Dunkelheit führt Christus den Menschen durch die Kirche heraus, wenn er es nur zulässt. Wie Christus die Besessenen aus den Gräbern herausgeholt hat, so hat er mich herausgeführt, so hat er mich befreit und mir einen anderen Weg gezeigt, eine andere Denkweise, eine andere Wahrnehmung meiner selbst.

Christus kann zeigen, dass du trotz der Schwäche, trotz des Schmerzes, trotz aller negativen Erfahrungen des Lebens, der Erlösung und der Liebe würdig bist. Und es lohnt sich, dass wir darüber sprechen, dass wir es verkünden, dass wir es leben. Und das lässt alles verblassen, was wir uns sonst noch ausdenken könnten, um Menschen zu Christus zu führen. Damit sind auch alle unsere Streitigkeiten über die Form der Liturgie, über Gotteshäuser, über Gebäude, über die Rolle dieser oder jener Menschen in der Kirche zunichte gemacht. Denn das alles ist weder anziehend, noch kann es erlösen. Doch Christus ist derjenige, der wirklich heilt, der wirklich aus der Dunkelheit zum Licht führt, vom Tod ins Leben, von Satan zu sich selbst und zum Vater. Wie er mich herausgeführt hat, kann er jeden herausführen.

Wenn wir nur alles tun, damit möglichst viele Menschen von ihm und seiner Kraft erfahren! Danke!   

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Ausstrahlung einer gläubigen kinderreichen Familie

Leuchtturm in der heutigen Zeit

Barbara Molotilowa aus Jekaterinburg hat bei der Videokonferenz mit Papst Franziskus ein berührendes Zeugnis von ihrem Glaubensweg abgelegt. Fundament für ihr geistliches Leben ist ihre Familie, in der sie mit sieben Geschwistern aufgewachsen ist. Besonders geprägt hat sie das Vorbild ihrer Eltern. So stellte sie ihr Zeugnis unter die Worte: „Meine Eltern zeigen mir, wie wichtig der Glaube ist.“

Von Barbara Molotilowa  

Liebe Brüder und Schwestern, Heiliger Vater! Mein Name ist Barbara und ich möchte ein Zeugnis von meinem Glauben ablegen, der auf dem Leben meiner Familie gründet. So hat alles eigentlich schon vor meiner Geburt angefangen, dank des Glaubens meiner Eltern.

Ich bin, wie man sagen könnte, von der Wiege an eine Gläubige, da ich in einer gläubigen Familie geboren und aufgewachsen bin. Meine Eltern jedoch kamen nicht schon als kleine Kinder zur Kirche, sondern erst in einem bewussten Alter, ja, in einem Alter, in dem Sie bereits eine eigene Familie gründen wollten. Alles begann damit, dass meine Mutter eine Freundin Marina hatte, deren Wurzeln katholisch waren. Und man hatte damals darauf gewartet, dass auch bei uns im Ural eine katholische Kirche eröffnet würde. Aber sie selbst schmunzelten darüber und sagten, dass dies sowieso niemals geschehen würde.

Doch dann passierte das Wunder! Als sie in den 90er Jahren eröffnet wurde, brachte Marinas Mutter sie und ihre ältere Schwester in die Kirche. Gleichzeitig setzte sich Marina gleichsam ein missionarisches Ziel und erzählte alles, was sie hörte, auch meiner Mutter. Die beiden waren noch junge Mädchen. Und meine Mama nahm natürlich alles aufmerksam auf, war doch Marina ihre beste Freundin. Aber sie traute sich noch nicht, mit in die Kirche zu kommen. Da heißt es zu Recht: „Jeder hat seinen eigenen Weg.“ Erst als meine Mutter heiraten wollte, geriet sie sozusagen in die Fänge. Zu dieser Zeit gab es den Trend, auf modische und schöne Weise zu heiraten. So wandte sie sich an ihre Freundin. Und Marina, die das als ersten Wink auf dem Weg zu Gott verstand, stellte sie einem jungen Priester vor, der damals im Ural seinen Dienst versah.

Pfarrer Jaroslaw war Dekan in der katholischen Pfarrei der Stadt Jekaterinburg. In dem Augenblick, als sie sich mit dem Priester trafen, hatten meine Eltern bereits einen Hochzeitstermin festgelegt. Sie dachten, sie würden jetzt schnell kommen, alles mit dem Priester vereinbaren und die kirchliche Trauung am selben Tag wie die standesamtliche Hochzeit feiern. Doch als sie mit dem Priester ins Gespräch kamen, lernten sie einen völlig anderen Ansatz kennen. Der junge Priester sagte: „So einfach ist das nicht. Sie müssten sich zuerst vorbereiten und unsere Kirche kennenlernen, damit Sie verstehen, wozu Sie sich kirchlich trauen lassen möchten.“ Und so blieben Mama und Papa schließlich in der Kirche.

Da der Hochzeitstermin bereits festgelegt war, nichts mehr abgesagt werden konnte, die Gäste eingeladen waren usw., führten sie die Hochzeit durch und machten sich gleichzeitig an die Vorbereitung auf die kirchliche Trauung. Auf diesem Hintergrund tauchte für sie ein Problem auf: Pfarrer Jaroslaw erklärte ihnen, wenn sie sich nun auf die kirchliche Hochzeit vorbereiten wollten und wenn sie es ernst meinten, dann bedeute dies, dass sie bis zum Sakrament der Ehe wie Bruder und Schwester zusammenleben müssten, auch wenn sie schon standesamtlich getraut seien. Und gemeinsam trafen sie die Entscheidung, diesen Weg zu gehen, obwohl sie dabei vonseiten ihrer Verwandten und einiger ihrer Freunde keine Unterstützung erfuhren. Die Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe dauerte sechs Monate und danach heirateten sie! Das ist die kleine Geschichte, wie meine Eltern zur Kirche kamen.

Ja, und dann entstand ihre Familie, in der es bis zum jetzigen Zeitpunkt acht Kinder gibt. Ich bin das zweite von ihnen. Als meine ältere Schwester und ich diese Geschichte hörten, waren wir immer inspiriert und erstaunt von der Standhaftigkeit, der Ausdauer und dem Mut, welche unsere modernen Eltern an den Tag legten.

Von meinem Glauben her und was mein Zeugnis vor dem Hintergrund meiner Familie betrifft, bin ich also von der Wiege an in der Kirche. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits kann ich sagen, dass es mir irgendwie leichter gefallen ist, den Glauben und alles, was damit zusammenhängt, zu verstehen und anzunehmen. Ich habe das alles von Beginn meines Lebens an gesehen und bin auch im Kreis so kleiner Kinder gewesen, wie ich es war. Bis ich in den Kindergarten und in die Schule kam, schien dies die einzige Welt zu sein, die nur so sein konnte und nicht anders. Andererseits gab und gibt es aber auch einige Nachteile: Der Kirchenbesuch und das Mitleben in der Gemeinde müssen aufrichtig sein und dürfen nicht einfach nur zur Gewohnheit werden. Die Tatsache, dass wir an allen Feiertagen und jeden Sonntag zusammen in die Kirche gehen, die ganze Familie, ist wiederum ein Plus für meinen Glauben, aber ich bin auch mit Problemen konfrontiert wie Unverständnis und Prüfung meines Glaubens auf Echtheit und Stärke vonseiten derer, die mich umgeben.

Ich werde jetzt nicht darüber sprechen, dass die Welt viele neue Regeln diktiert, die sich vom Glauben unterscheiden, und dass es in der Welt viele Versuchungen gibt. Ich erzähle von dem, was ich erlebt habe. Viele Leute denken, dass ich nur deshalb gläubig bin, weil ich in einer solchen Familie geboren sei und man in diese Richtung geführt habe – ich sei gezwungen worden, wie sie sagen, und hätte keine andere Wahl gehabt. Ja, wenn du klein bist, ist es wahrscheinlich so, du tust das, was deine Eltern und Verwandten tun, aber mit jedem Jahr begreifst du mehr und mehr, dass das auch deine Wahl ist, dass deine Entscheidungen richtig sind, einfach auch deshalb, weil du die Annahme dieser Entscheidungen auf deinen eigenen Glauben gründest und nicht auf die Wahl deiner Eltern.

Ich erinnere mich, dass mir in der Schule nicht nur einmal die Frage gestellt wurde: „Warum haben deine Eltern so viele Kinder?“ Und damals waren wir erst zu fünft, aber niemand hatte Verständnis dafür, alle lachten darüber, doch ich verstand es. Ich habe verstanden, dass es für meine Eltern nichts Besseres und Wichtigeres gibt, als noch ein weiteres Leben auf diese Welt zu bringen und uns alle dazu zu befähigen, eine Familie zu bilden. Und eine so große Familie ist ohne Glauben und Liebe einfach unmöglich. Denkt nicht, dass alles reibungslos gelaufen ist. In der Kindheit gab es Raufereien und Streitigkeiten, aber jetzt werden wir erwachsen und nach und nach wird jedem von uns klar, was uns unsere Eltern vermittelt haben. Wenn ich noch einmal ein Beispiel aus meiner Familie nehme, das Beispiel von Eltern als gläubigem christlichen Ehepaar: ich habe eine enge Beziehung zu meinem Vater und weiß genau, wie ihnen die Kirche in vielen Fällen zu 100% geholfen hat.

Eine lustige Geschichte werde ich nicht vergessen: Papa hatte bei der Arbeit eine Zeit, in der es überhaupt keine finanziellen Möglichkeiten gab. Da höre ich ein Gespräch mit der Mama, dass sie für Papa eine Sache „für zwei Millionen“ habe! Auf diese Weise gab meine Mutter bekannt, dass sie das nächste Baby erwarte, aber nicht eines, sondern zwei. Es schien, als müsste man davonrennen, aber Papa antwortete mit seinem Lieblingssatz: „Gott gibt jedem so viele Prüfungen, wie er ertragen kann!“ Und bei Papas Arbeit begann sich in diesem Moment auch alles zum Besseren zu wenden.

Mama hat mich gebeten darauf hinzuweisen, wir sollten natürlich nicht denken, meine Eltern hätten Kindern nur deshalb das Leben geschenkt, damit bei Papa in der Arbeit alles gut läuft. Aber die Tatsache bleibt bestehen, es war so.

Meine Eltern zeigen mir, wie wichtig für sie ihr Glaube ist. Das zeigt sich an ihren persönlichen Beispielen und daran, wie sie aus schwierigen Situationen einen Ausweg finden. Als Mädchen schaue ich auf meine Mutter, wie sie mit Kränkungen, Unverständnis oder etwas anderem vonseiten ihres Mannes zurechtkommt. Ich glaube, dass ihr gerade der Glaube und die Kirche dabei helfen und sie Demut sowie Geduld lehren, um ihr Kreuz sozusagen mit Würde zu tragen. Ich sehe, wie Papa trotz aller Schwierigkeiten und der Tatsache, dass er allein arbeitet, sich gleichzeitig allen Kindern widmet, an sie glaubt, versucht, ein wenig Güte und Gerechtigkeit einzubringen, Zeit findet, mit ihnen zusammen zu sein.

Für meine Eltern ist es auch von großer Bedeutung, dass sie Kontakt zu ihrem ersten Priester und geistlichen Begleiter, Pfarrer Jaroslaw, halten, zu Familien in den Pfarreien, zu Gläubigen und auch zur „Gemeinschaft für Berufungen“. Jedes Mal, wenn ich in den Anliegen der Gemeinschaft bete, möchte ich glauben, dass es mehr Helfer für junge Familien geben wird, die helfen, wie es meine Eltern erfahren haben, als sie am Scheideweg ihres Lebens gestanden sind.

Wir alle haben bestimmte Probleme, aber mein Vater sagt mit einer 100- und 200-prozentigen Garantie, dass es ohne unseren Glauben noch größere Probleme gäbe, und was am wichtigsten ist, dass er bestimmt nicht in der Lage gewesen wäre, solche Probleme, wie sie bestehen und bestanden haben, zu bewältigen. Und ich glaube ihm, wie ich auch an Gott glaube, dank der Freundin meiner Mutter, Marina, die sie damals in die Kirche gebracht hat. Und übrigens ist sie jetzt meine Taufpatin.   

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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Glaubensstarker Widerstand bis zur Hinrichtung

Maria Terwiel (1910 – 1943)

Studiendirektor Jakob Knab stellt Maria Terwiel, eine tief im katholischen Glauben verwurzelte Widerstandskämpferin gegen das Hitler-Regime, vor. Als Halbjüdin musste sie selbst die politische Repression durch die Nürnberger Rassengesetze erfahren und wurde schließlich mit 33 Jahren von den Nazis hingerichtet. Zusammen mit ihrer polnischen Zellengefährtin Krystyna Wituska bereitete sie sich geistlich auf den Tod vor und konnte im Abschiedsbrief an ihre Geschwister bezeugen: „Ich habe absolut keine Angst vor dem Tod!“

Von Jakob Knab  

Maria Sophia Terwiel kam am 7. Juni 1910 in Boppard am Rhein zur Welt. Ein Jahr zuvor hatten ihre Eltern geheiratet. Ihr Vater war ein rheinischer Katholik, ihre Mutter stammte aus einer jüdischen Familie; kurz vor der Heirat war sie zur katholischen Kirche konvertiert.

Musische Begabung und umfassende Allgemeinbildung

Mit ihren beiden Geschwistern Gerd und Ursel wuchs Maria in einer kirchlich geprägten Frömmigkeit auf. Ihre Liebe gehörte der Musik. Schon mit 14 Jahren spielte sie die Orgel bei Gottesdiensten in der Kirche. Sie verfügte über eine umfassende Allgemeinbildung, denn sie vertiefte sich in die Fragen der Religion, der Philosophie, Kunst, Kultur und Politik. In diesem Umfeld wuchs und reifte ihre Sehnsucht und ihr Verlangen nach Gerechtigkeit. Der Beruf des Vaters – er war hoher Schulbeamter – erforderte häufige Ortswechsel für die Familie. In diesen zerklüfteten Zeiten stiftete das Kirchenjahr Sinn; die Hochfeste im Jahreskreis waren eine Quelle der Freude, sie gaben Halt und Orientierung.

Erste Erfahrungen politischer Repression durch die Nazis

In Stettin (Westpommern) legte Maria das Abitur ab und studierte Rechtswissenschaft in Freiburg i. Br. und in München. Nachdem der Vater wegen seiner SPD-Mitgliedschaft im April 1933 zwangspensioniert wurde, zog die Familie nach Berlin.

Maria stand kurz vor dem Studienabschluss, als 1934 die „arische Abstammung“ zur Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung erklärt wurde. Nach der Rassenideologie der Nazis galt Maria als „Halbjüdin“, da ihre Mutter ja einer jüdischen Familie entstammte.

Im Rettungswiderstand mit ihrem Verlobten Helmut Himpel

Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 und zahlreiche darauffolgende diskriminierende Verfügungen schränkten auch Marias Leben zunehmend ein. Nachdem sie die Universität verlassen musste, nahm sie eine Stellung als Schreibkraft bei einem in Berlin tätigen internationalen Textilkonzern an. Ihren Verlobten Helmut Himpel, ein Zahnarzt und gläubiger Protestant, durfte sie aus „rassischen Gründen“ nicht heiraten.

Doch das Paar blieb zusammen und setzte sich für Verfolgte ein. So versorgten sie untergetauchte Juden mit Lebensmitteln; trotz Verbot betreuten sie jüdische Patienten des Zahnarztes. Die beiden gehörten zum Rettungswiderstand.

Engagement in der Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack

Im Sommer 1941 hielt Clemens von Galen, der Bischof von Münster, drei Predigten, in denen er die Euthanasie-Maßnahmen des NS-Regimes anprangerte. Sie wurden als Kopien in ganz Deutschland verbreitet. Auch Maria Terwiel tippte auf ihrer Schreibmaschine diese Predigten gegen die Euthanasie-Morde ab und brachte sie in vielen hundert Exemplaren in Umlauf.

Aus Sorge um die Zukunft Deutschlands schlossen sich Maria und Helmut einer Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack an. Maria Terwiel vervielfältigte eine Flugschrift dieser Gruppe mit dem Titel „Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch die Welt“, die sie heimlich an in Berlin tätige Korrespondenten verteilte. Kernsätze aus diesem Flugblatt: „Alle, die sich den Sinn für echte Werte bewahrten, sehen schaudernd, wie der deutsche Name im Zeichen des Hakenkreuzes immer mehr in Verruf gerät.“ In allen Ländern würden „heute täglich Hunderte, oft Tausende von Menschen standrechtlich und willkürlich erschossen oder gehenkt“.[1] Der Hass der gequälten Menschheit, so stand es im Flugblatt, belaste das ganze deutsche Volk.

Verhaftung und Bekanntschaft mit Krystyna Wituska

Monatelang konnten Helmut Himpel und Maria Terwiel im Untergrund wirken. Im Verlauf der Verhaftungswelle gegen die Widerstandsgruppe der von den Nazis so genannten „Roten Kapelle“ wurden auch Maria und ihr Verlobter Helmut aufgespürt und am 17. September 1942 verhaftet. Maria kam in die Frauenabteilung des Polizeigefängnisses Berlin am Alexanderplatz. Dort war sie längere Zeit in Einzelhaft, sie erkrankte schwer.

Drei Monate später wurde die polnische Widerstandskämpferin Krystyna Wituska ihre Zellengefährtin. Kassiber, d.h. heimliche Botschaften der polnischen Mitgefangenen Wituska, zeugen davon, wie sehr sich Maria auch in der Haft um die anderen kümmerte. Mit ihrer Zellengefährtin las sie täglich in der Heiligen Schrift. „Das war die schönste Stunde am Tage“, wird Maria kurz vor ihrem Tod in ihrem Abschiedsbrief schreiben. Sie gab juristische Ratschläge und formulierte Gnadengesuche für ihre Mitgefangenen; ihr eigenes wurde von Hitler persönlich abgelehnt.

„Ich habe absolut keine Angst vor dem Tode“

Die Hinrichtung ihres Verlobten Helmut Himpel stürzte sie in eine dunkle Nacht der Seele. In der Todeszelle schrieb sie für Krystyna die Zeilen des Liedes „O Haupt voll Blut und Wunden“ auf, das diese dann für die polnischen Mitgefangenen übersetzte.

„Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir... Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein... Erscheine mir zum Schilde zum Trost in meinem Tod, und lass mich sehen dein Bilde in deiner Kreuzesnot.“

Ihren beiden Geschwistern Gerd und Ursel sandte Maria diese Zeilen voller Gottvertrauen: „Ich habe absolut keine Angst vor dem Tode und schon gar nicht vor der göttlichen Gerechtigkeit.“ Das Todesurteil des Reichskriegsgerichts (RKG) wurde am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee vollstreckt.[2]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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[1] Widerstehen von Christen, in: Peter Steinbach/ Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand in Deutschland 1933-1945, München 1994, S. 267ff.
[2] Johannes Tuchel: Maria Terwiel und Helmut Himpel. Christen in der Roten Kapelle, in: Hans Coppi/Jürgen Danyel/Johannes Tuchel (Hrsg.): Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin 1994, S. 213ff.  

Zum Entwurf eines neuen „Selbstbestimmungsgesetzes“

Transgender-Fragen sachlich angehen

Cornelia Kaminski ist von Beruf Gymnasiallehrerin und engagiert sich ehrenamtlich für Menschenrechte. Der Einsatz für das Recht auf Leben ist der Schwerpunkt ihrer Arbeit. Sie leitet den Verein ALfA (Aktion Lebensrecht für Alle), Deutschlands größte Pro-Life Organisation. Im Interview erklärt sie Hintergründe zu Transgender-Fragen, beleuchtet wissenschaftliche Studien zum Thema Geschlechtsumwandlung und gibt Hilfen im Umgang mit Menschen, die sich im eigenen Körper unwohl fühlen. Das Interview führte Jacinta Fink, die als Volontärin in der Presse- und Medienabteilung des Bistums Regensburg mitarbeitet.

Interview mit Cornelia Kaminski  

Zu Beginn sind ein paar Begriffserklärungen nötig: Was bedeutet Gender? Und was Transgender und Transsexualität?

Die Begriffe Transgender und Transsexualität werden nahezu synonym benutzt. Wichtig ist zu wissen, dass „Gender“ ein Begriff ist, hinter dem die Überzeugung steht, dass das Geschlecht eines Menschen nicht durch seinen Chromosomensatz festgelegt wird (XX-Chromosomen für Frauen, XY-Chromosomen für Männer), sondern durch die gesellschaftliche Prägung entsteht. Mit anderen Worten: Das Geschlecht hängt nicht davon ab, was mein Chromosomensatz definiert und mein Körper signalisiert, sondern davon, was ich empfinde und entscheide – und gegebenenfalls dann ändere. „Trans“ steht genau für diese Änderung. Noch vor wenigen Jahren bezeichnete man den Umstand, dass jemand mit seinem geschlechtsspezifischen Äußeren über Kreuz lag, als Geschlechtsdysphorie: eine sehr seltene, aber mit hohem Leidensdruck verbundene psychische Erkrankung, die jedoch therapiert werden konnte. Das hat sich mit dem neuen ICD 11 Schlüssel der WHO geändert, der Geschlechtsdysphorie nicht mehr als Krankheit definiert.

Gehören Geschlechtsumwandlungen automatisch zur Transsexualität dazu?

Der Entwurf für ein neues Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November 2024 in Kraft treten soll, sieht für die Änderung des Geschlechts weder eine Hormontherapie noch operative Eingriffe vor noch eine Beratung. Wer sein Geschlecht anders definiert, als in den offiziellen Dokumenten steht, kann das durch einfache Erklärung beim Standesamt einmal im Jahr ändern. Bei Minderjährigen unter 14 Jahren ist zwar die Zustimmung der Eltern vorgesehen; wenn diese jedoch nicht zustimmen, kann das Familiengericht stattdessen entscheiden und den Eltern für diesen Fall das Sorgerecht entziehen. Über 14-Jährige können die Erklärung selbst abgeben. Auch hier gilt, dass die Zustimmung der Eltern durch ein Familiengericht ersetzt werden kann. In Analogie zu „Trans“ (auf der anderen Seite, jenseits von etwas) wurde der Begriff „Cis“ (auf dieser Seite, diesseits) für Menschen gewählt, die keine Probleme mit ihrem Chromosomenstatus haben.

Wer sollte definieren, wer ein Mann und wer eine Frau ist?

Fragen, die die Natur des Menschen, der Pflanzen, der Tiere betreffen – also all dessen, was auf dieser Erde lebt – werden in aller Regel von Naturwissenschaftlern beantwortet. Die naturwissenschaftliche Definition dessen, was ein Mann bzw. eine Frau ist, lautet: Ein erwachsener Mensch mit XY-Chromosomen ist ein Mann, ein erwachsener Mensch mit XX-Chromosomen ist eine Frau. Definitionen sollte man nicht von individuellen Gefühlen abhängig machen.

Transgenderpersonen fühlen sich oftmals im falschen Körper geboren. Warum?

Ich halte diese Formulierung für unglücklich, da sie Fragen aufwirft, die dann nicht beantwortet werden können – zum Beispiel, was da in den falschen Körper geboren wurde, oder ob tatsächlich der ganze Körper falsch ist. Manche sprechen vom „Bewusstsein“. Das wird aber nicht in einen Körper geboren, sondern entwickelt und ändert sich stetig. Andere sprechen von einer „Person“, die in den falschen Körper geboren wurde. Auch der Begriff passt nicht, denn eine Person ist immer Körper und Geist. In der Regel handelt es sich – vor allem bei jungen Menschen – um einen gesunden, gut funktionierenden Körper, der genau so ist, wie Gott ihn für den jeweiligen Menschen vorgesehen hatte, dessen biologisches Geschlecht, vor allem mit den äußeren Geschlechtsmerkmalen, aber als das falsche empfunden wird. Dieses Gefühl tritt vor allem auf, wenn sich körperliche Veränderungen einstellen, die mit der Pubertät einhergehen und verständlicherweise besonders von Mädchen oft als unangenehm empfunden werden. Der Leidensdruck kann enorm sein.

Dass Menschen sich in ihrem Körper nicht wohl fühlen, diesen als „falsch“ wahrnehmen, ist nichts Neues. Das erleben wir beispielsweise bei Menschen mit Magersucht, die ihren Körper, egal wie dünn sie sind, als zu dick empfinden – also als falsch. Dabei ist es so, dass der menschliche Körper ein absolutes Wunderwerk ist, das noch lange nicht bis in alle Tiefen erforscht ist. Er ist zweigeschlechtlich angelegt, weil so Fortpflanzung möglich ist, und Kinder das größte Geschenk sind, das Menschen bekommen können. Die Transitionsmedizin hat allerdings zur Folge, dass ein solches Geschenk für immer ausbleibt.

Gibt es bereits wissenschaftliche Studien zum Thema Geschlechtsumwandlung und die Folgen für Patienten?

Es gibt eine Reihe von Studien, u.a. eine sehr gute Langzeitstudie aus den Niederlanden zu diesem Thema, die im deutschen Ärz-teblatt veröffentlicht wurde (Martina Lenzen-Schulte: Geschlechtsangleichung: Transgender haben im Vergleich zu Cisgenderpersonen doppelt so hohe Mortalität (Dtsch Ärztebl 2021; 118 (37): A-1645 / B-1366).

Das Suizidrisiko für Transfrauen war demnach rund dreifach höher als das der Cismänner. Im Vergleich zu Cisfrauen war das Sterberisiko von Transgenderfrauen dreifach höher für Herzinfarkt und Lungenkrebs, 50 mal höher für HIV-assoziierte Erkrankungen und siebenfach höher für Suizid. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen, wie z.B. in Schweden (Long-Term Follow-Up of Transsexual Persons Undergoing Sex Reassignment Surgery: Cohort Study in Sweden).

Es hat einige Aufregung in den Medien um eine Studie aus Schweden gegeben, (Bränstrom & Pachankis, Karolinska Institut 2019), deren Ergebnis zu sein schien, dass operative Geschlechtsumwandlung und Hormontherapie die psychische Gesundheit der Betroffenen verbessern würde. Diese Studie musste jedoch auf Grund gravierender methodischer Mängel zurückgezogen werden. Das Karolinska Institut hat mittlerweile eine korrigierte Version anerkannt. Das Ergebnis: Menschen, die den Wunsch verspüren, ihr körperliches Erscheinungsbild einem anderen Geschlecht anzupassen, haben einen deutlich erhöhten Bedarf an psychiatrischer Betreuung. Das ist auch aus anderen Studien bekannt. Es ist keine Verbesserung der psychischen Gesundheit durch Hormongabe oder operative Eingriffe nachweisbar. Diejenigen, die eine geschlechtsangleichende Operation hinter sich gebracht hatten, wiesen höhere Raten an Krankenhauseinweisungen nach Selbsttötungsversuch auf. Diese Ergebnisse sind die Begründung dafür, dass Schweden – einst Vorreiter im Bereich Transitionsmedizin insbesondere auch bei Heranwachsenden – Pubertätsblocker zur Behandlung von Geschlechtsdysphorie verboten hat.

Warum unterstützt die Politik weiterhin Pubertätsblocker und Geschlechtsumwandlungen, obwohl diese nachgewiesenermaßen für die Jugendlichen und Erwachsenen eine Gefahr bedeuten?

Der Hinweis, dass Jugendliche Pubertätsblocker einnehmen könnten, um so ihre körperliche Entwicklung zu Mann oder Frau aufhalten zu können, wurde mittlerweile von den Seiten des Ministeriums entfernt. Insgesamt wird die Transition von Jugendlichen jedoch recht positiv dargestellt. Über die Gründe hierfür kann man nur spekulieren.

Mit Hormonen lässt sich Geld verdienen. Nachdem die Verkaufszahlen der hormonellen Verhütungsmittel in den letzten Jahren deutlich eingebrochen sind, stellt die Verordnung von Hormonpräparaten für Menschen mit Geschlechtsdysphorie einen neuen Markt dar. Eine Transperson muss, um den optischen Status zu erhalten, lebenslang Hormone einnehmen.

Diejenigen, die sich für Transrechte einsetzen, tun dies zum Teil sehr vehement. Was das bedeutet, sehen wir an vielen Beispielen. So wurde z.B. der Vortrag einer Wissenschaftlerin zum Thema „Geschlechter“ bei der langen Nacht der Wissenschaften an der Humboldt Universität abgesagt, weil sie von nur zwei Geschlechtern ausgeht. Frauen wie Posie Parker, die bei ihren „Lass Frauen sprechen“-Events nur Personen zu Wort kommen lässt, die über den entsprechenden Chromosomensatz verfügen, kann diese nur unter Polizeischutz abhalten – und muss sie manchmal auf Grund der Bedrohungslage abbrechen. Sportlerinnen, die sich dagegen wehren, dass Männer sich zu Frauen erklären und nun in bestimmten Disziplinen Medaillen sammeln, die früher Frauen hätten gewinnen können, sind einem medialen Shitstorm ausgesetzt. Wer sich hingegen für Transrechte einsetzt, kann sich des Zuspruchs der Medien sicher sein. Es ist also sehr viel leichter, dies zu tun, als sich schützend vor die verletzlichen Jugendlichen zu stellen, die nach drei Jahren Homeschooling, Ausgangssperren und Kontaktverlusten seelisch angeschlagen sind und Heilung in einer Transition suchen.

Nicht umsonst heißt das neue Gesetz „Selbstbestimmungsgesetz“. Es suggeriert damit, wir könnten tatsächlich selbst bestimmen, wie unser Körper sein soll. In Wirklichkeit können wir jedoch herzlich wenig selbst bestimmen: unsere Größe nicht, unser Gewicht und Aussehen nur geringfügig und mit viel Aufwand, nicht, ob wir krank werden oder gesund bleiben, und auch nicht, ob wir lebendig bleiben oder sterben. Wir können unserem Körper nicht befehlen, den Geist auszuhauchen, sondern nur versuchen, ihn dazu zu bewegen. Es gilt jedoch: Keine noch so ausgefeilte Operation kann aus einem biologischen Mann eine Person machen, die ein Kind in ihrer Gebärmutter austragen, es zur Welt bringen und stillen könnte. Chirurgen ahmen nach, und auch hier gilt: Die Kopie ist schlechter als das Original. Die vielen Operationen, die zur körperlichen Angleichung notwendig sind, sind zudem schmerzhaft, risikobehaftet und hinterlassen Narben.

Wie kann man Menschen unterstützen, die sich im eigenen Körper unwohl fühlen?

Sehr wichtig ist die familiäre Unterstützung, sind Freunde und verständnisvolle Gesprächspartner und die Botschaft: Wer nimmt schon seinen Körper so an, wie er ist? Wer von uns entspricht seiner eigenen Idealvorstellung? Selbst Menschen, die wir gemeinhin für wunderschön halten, können diesen Status nicht ewig aufrechterhalten: Unser Körper ist keine Statue von Michelangelo, die zeitlos schön bleibt, sondern ändert sich, altert und wird weniger schön werden. Keine Schönheits-OP der Welt kann daran etwas ändern. Wichtig ist, auch zu vermitteln, dass es völlig normal ist, während der Pubertät mit dem eigenen Körper zu hadern. Gerade bei Mädchen, die davon mehr betroffen sind als Jungen, zeigt sich: das Schönheitsideal, das über Tiktok und Instagram vermittelt wird, ist nicht erreichbar, aber der Druck ist immens. Ist es da nicht leichter, man ist ein Junge? Schließlich werden Jungs und Männer viel eher anhand ihres sozialen Status als anhand ihres Äußeren bewertet. Hinter dem Wunsch nach Geschlechtsänderung steckt oft eine viel tiefer sitzende Unsicherheit, ein Mangel an Selbstwertgefühl. Wenn man solche Mechanismen aufdeckt, kann das hilfreich sein. Das Allerwichtigste ist jedoch, jedem Menschen zu vermitteln, dass er geliebt wird. Sofern eine Glaubensgrundlage vorhanden ist, sollte auch darauf verwiesen werden, dass Gott diesen Menschen, so wie er ist, liebt und einen Plan mit ihm hat.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
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„Marias Herz ist uns geöffnet und geschenkt, aber als ein Geheimnis“

Maria will uns Christus schenken

Der belgische Jesuitenpater Jean Galot (1919-2008) war ein herausragender Theologe, der die Ergebnisse seiner Forschungen in einer reichhaltigen spirituellen Literatur fruchtbar werden ließ. Seine Werke sind in viele Sprachen übersetzt und weltweit geschätzt. Er hatte in Rechtswissenschaften an der Katholischen Universität Leuven und in Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom promoviert. Nach seinem Eintritt in den Jesuiten-Orden lehrte er Dogmatik in Leuven und Christologie an der Gregoriana in Rom. Sein Buch über das Herz Mariens ist ein frühes Meisterwerk (1955), das 1962 auf Französisch erschien und nun in deutscher Übersetzung herausgebracht wurde. Es steht in einer Reihe von Betrachtungen über das Vaterherz Gottes und das Erlöserherz Jesu Christi. Als Quellen dienten P. Galot neben den Evangelien die Spiritualität des Alten Testaments sowie die reiche Tradition und spirituelle Lehre der Kirche. Vom Herzen der Gottesmutter her erschließt er den Weg zu Jesus Christus und zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Der Schluss des Buches, S. 313-318.

Von Jean Galot SJ (†)  

Das letzte Magnifikat

Marias erste Regung bei ihrem Eingang in die himmlische Herrlichkeit war ein Aufflammen der Dankbarkeit. Maria richtete, vom Glück überwältigt, ein letztes Magnifikat an die göttliche Güte. Die Schau Gottes ermöglichte ihr, ihm mit einer Hellsicht zu danken, die alle erhaltenen Wohltaten im Einzelnen wie in ihrer Gesamtheit umfasste. Maria sah in Gott den geheimen Plan ihres ganzen Daseins und erkannte, wie die göttliche Weisheit alles ersonnen, alles in die Wege geleitet und alles mit unfehlbarer Meisterschaft vollendet hatte. Die Jungfrau fand sich auf Erden sehr oft Ereignissen gegenüber, die ihre Fassungskraft überstiegen. Sie hatte sich bemüht, durch Gebet und Betrachtung die Rätsel zu entziffern, und der Verlauf der Dinge selbst half ihr, die Bedeutung gewisser Abschnitte ihres Lebens zu begreifen.

So erblickte sie in der wunderbaren Mutterschaft, die ihr der Allmächtige zubestimmt hatte, den Sinn und das Ziel ihrer jungfräulichen Selbsthingabe. Das öffentliche Leben Jesu war in ihren Augen eine Rechtfertigung des verborgenen Lebens in Nazareth mit all seinen Überraschungen. Die Auferstehung des Erlösers vermittelte ihr das Verständnis für das schmerzvolle Ereignis der Passion, das für sie eine so grausame Prüfung gewesen war. Sie hatte den von der Vorsehung beschlossenen Ablauf des Erlösungswerkes mehr und mehr erfasst. Aber trotzdem blieben viele Seiten ihres Lebens unbegreiflich, und in ihrem Unvermögen, den tieferen Grund zu erkennen, überließ sie sich einfach in blindem Vertrauen dem Herrn aller Dinge.

Doch jetzt im Himmel eröffnete ihr die Schau Gottes die geheimnisvollen Beweggründe des Geschehens. Maria war erstaunt, die vollkommene Einheit ihres vom Herrn bis in die geringsten Einzelheiten geplanten Lebens feststellen zu können. Nichts war dem Zufall überlassen. Sie konnte verfolgen, wie die liebevolle Sorge des himmlischen Vaters stets vorhanden war und alles zum Besten gelenkt hatte. Alle Umstände, selbst die seltsamsten und scheinbar beziehungslosesten, hatten einem einzigen Zweck gedient, denn sie alle förderten die der Mutter des Messias übertragene Sendung. Die verschiedensten verblüffenden oder Leid verursachenden Ereignisse hatten sich unter der göttlichen Fügung in ergreifender Harmonie verbunden. Trotz dieser bewunderungswürdigen und unbeugsamen Folgerichtigkeit war ihr Dasein nicht mechanisch starr verlaufen, denn Gott war stets darauf bedacht, die menschliche Freiheit zu achten und jedes Mal die Gesamtheit der Verhältnisse, in denen sich Maria befand, ihren freien Entschlüssen anzupassen. Es war ein Meisterwerk der Treue zum Gesamtplan und der Anpassung in der praktischen Verwirklichung.

Mehr noch als diese überragende Weisheit, der es geglückt war, die Forderungen der Gnade mit dem persönlichen Streben und dem ganzen fließenden Gewebe der Wirklichkeit in Einklang zu bringen, bewunderte Maria die Güte, die das ganze Werk geleitet hatte. Wenn für irdische Augen ein Leben aus Missgeschick und Unglück gewoben zu sein scheint, wenn vielerlei Vorfälle Schrecken und Abscheu hervorrufen, so offenbarte der Blick der Jungfrau, den sie jetzt über ihr Leben gleiten ließ, dass alles, was sie umgeben hatte, sie gestört oder verwirrt hatte, als besondere Aufmerksamkeit der göttlichen Liebe zu werten war. Gewiss, auch sie war von Freveln der Sünde umgeben, für die Gott nicht verantwortlich sein konnte, aber die Vorsehung ordnete alles so, dass diese Sünden für Maria zum Anlass geworden sind, die Liebe zu vermehren. So hatte sie auf die Hassausbrüche der Feinde Jesu mit einer noch festeren Treue geantwortet. Die erlittenen Bosheiten hatten ihr Verzeihen heroischer gemacht und ihren Willen gestärkt, alle Opfer für das Heil der Menschen auf sich zu nehmen. Gott hatte es verstanden, aus dem Bösen, das in ihrer Umgebung geschah, Gutes entstehen zu lassen. Alles, was ihr auf dem Lebensweg zugestoßen war, hatte die göttliche Güte angeordnet. Alles, selbst der Kampf gegen die Mächte des Bösen und die Betrübnis im Leiden, war also ein Geschenk. Und in allen diesen Gaben war die unendliche Liebe des himmlischen Vaters eingeschlossen. Rückblickend erkannte die Jungfrau, wie ihr ganzer Lebenslauf ein Geschenk aus den in der Liebe so verschwenderischen väterlichen Händen war.

Was Maria ebenfalls mit dankbarer Überraschung feststellte, war die Fruchtbarkeit ihres Lebens. Sie hatte an diese Fruchtbarkeit geglaubt, weil sie ihr volles Vertrauen in die Macht und die Hochherzigkeit des himmlischen Vaters gelegt hatte. Aber auf Erden war es ihr nicht möglich, den wirklichen Nutzen ihres Tuns zu erkennen. Ihr Leben verlief unauffällig und in ihrer Demut hielt es die Jungfrau für sehr alltäglich. Umso größer war darum ihr Entzücken, als sie den Erfolg sah, den Gott in einem so verborgenen Dasein reifen ließ. Alle Gebete, die Maria in der Stille ihres Herzens an den Herrn gerichtet hatte und die in der Welt nichts verändert zu haben schienen, hatten in Wirklichkeit in unsichtbaren, vielen Seelen gewährten Gnaden ihre Erhörung gefunden. Und ihre für die Ausbreitung des Gottesreiches gebrachten Opfer hatten auch zu dieser Ausbreitung beigetragen. Die geringsten Akte besaßen ihren Wert und beeinflussten den Verlauf des Heilsgeschehens, weil sie von der göttlichen Liebe eingegeben worden waren. Nichts war unnütz. Gott verlieh jedem menschlichen Akt eine geheimnisvolle Tragweite, sodass Marias Leben viel umfassender und wirksamer gewesen war, als es sein äußerer Rahmen vermuten ließ. Die Jungfrau war erstaunt, mit so bescheidenem Aufwand so reiche Früchte eingebracht zu haben.

Darum erklang das letzte Magnifikat in der Beseelung, in der Maria auf ewig die göttliche Weisheit und Güte bewunderte, die so hoch über jedem menschlichen Fassungsvermögen stehen. Sie pries Gott, weil die Kühnheit ihres Glaubens und ihrer Hoffnung von der Hochherzigkeit der Vorsehung nicht enttäuscht, sondern weit übertroffen worden und ihr Leben viel wertvoller gewesen war, als sie angenommen hatte, denn die Liebe des Allmächtigen hatte sich in ihm maßlos ausgewirkt. Gleichzeitig dankte sie für alle von Gott der Menschheit gewährten Wohltaten, für sein ganzes Schöpfungs- und Erlösungswerk, dessen wunderbare Entfaltung sie jetzt erkannte.

Die Verherrlichung in der Liebe

Die himmlische Herrlichkeit, die die Liebe Mariens zu Gott bis zum Besitz Gottes erweitert hatte, steigerte auch ihre Liebe zu den Menschen in höchstem Maße. Wie die Jungfrau jetzt in ihrer Schau den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist umfasst, so umhüllt sie in einer gemeinsamen Liebe alle Auserwählten, als deren Mutter sie sich betrachtet. Sie besitzt die Herzen aller, wie alle ihr Herz zu eigen haben in der gegenseitigen Zugehörigkeit, welche die Gemeinschaft des Himmels bildet.

Aber diese Gemeinschaft ist noch nicht vollständig. Viele sind noch unterwegs. Maria trägt Sorge dafür, dass sie ihr Ziel erreichen und mit ihr die Glückseligkeit teilen, für die sie erschaffen worden sind. Sie hat das Vorrecht der leiblichen Aufnahme in den Himmel erhalten, um ihnen den Weg zu erleichtern. Sie ist im Himmel, um den Erdenbewohnern zu helfen. Mit Christus bereitet sie ihnen die Wohnungen vor (Joh 14,2). Da sie die Freude in ihrer ganzen Fülle kennt, ist sie umso eifriger bemüht, sie allen zu vermitteln und jedem Lebensschicksal ein glückliches Ende zu sichern.

Ihr Verweilen an der Seite ihres Sohnes ist also nicht einfach eine erquickende Ruhe, sondern es ist eine eifrige Tätigkeit, ein Tun, das die Mühseligkeit der menschlichen Arbeit nicht kennt, aber darum nicht weniger geschäftig ist. Maria lebt unser Leben mit uns, um es zu Gott zu führen. Wie könnte sie, da sie doch mit ganzer Seele und aus allen Kräften an der Vollendung des Heilswerkes beteiligt ist, in ihrer Hingabe nachlassen, wo doch so viele Menschen im Elend der Sündenlast verharren und das Reich Gottes von seinem Endziel noch so weit entfernt ist? Unablässige Kämpfe kennzeichnen das Dasein und den Fortschritt der Kirche und viele Hindernisse müssen überwunden werden! So viele Seelen scheinen hilflos oder dem Verderben preisgegeben zu sein! Maria kennt als Mutter und Königin der Menschheit ihre Verantwortung und ist für uns alle von einer tiefen Zuneigung beseelt.

Die Glorie ermöglicht ihr, sich der mütterlichen Aufgabe restloser zu widmen. Vom Himmel aus kann sie für uns alle wirken, was sie auf Erden nur für wenige zu tun imstande war. Sie kann jedem Einzelnen jederzeit ihre ganz besondere Sorge zuwenden. Ihre Aufnahme in den Himmel hat ihr Herz in gewisser Weise vervielfacht und überall gegenwärtig werden lassen. Sie kennt im göttlichen Licht all unsere Bedürfnisse und unsere menschliche Beschaffenheit. Sie erfährt all unsere Wünsche und die bescheidensten Bitten. Es gibt kein menschliches Leid, das nicht sein Echo in ihr findet und nicht Hilfe oder Trost von ihr empfängt. Sie stellt Gott unablässig das Elend der Welt vor Augen, um seine Barmherzigkeit zu wecken, und bietet ihm das Gebet und die Bitten der Menschen dar, um ihre Erhörung zu gewährleisten. Sie stellt ihre innige Verbundenheit mit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in den Dienst der Kämpfenden und Leidenden. Ihr glorreiches Herz ist durch die Nähe Gottes auch den Menschen nähergerückt.

In diesem, im Ausmaß des Weltalls erweiterten mütterlichen Herzen stoßen alle menschlichen Unternehmen auf größte Anteilnahme und alle Schwierigkeiten finden eine mitfühlende Aufmerksamkeit. Maria greift mit unbeschränktem Wohlwollen in die Leitung des Weltalls mitwirkend ein, wie es Gott ihrer Mutterrolle zugedacht hat. Überall will sie Liebe säen, damit ihre Kinder eine stark geeinte Gemeinschaft bilden. Sie drängt die Kirche zum Fortschreiten in der Einheit und zur täglichen Verwirklichung der Forderungen brüderlicher Liebe. Vor allem aber ist sie bestrebt, den Einfluss des Erlösers in den Seelen zu vermehren, denn ihr ganzes Sehnen ist der Verbreitung der unbeschränkten Herrschaft Christi geweiht. Wenn man sagen darf, dass alles Leid der Menschen in ihrem Herzen Widerhall findet und sich die Freude durch dieses Herz auf die Menschen ergießt, so müssen wir beifügen, dass diese Verfassung des Herzens Mariens in Christus ihren Grund und ihr Ziel hat. Die Jungfrau nimmt die Leiden der Welt und eines jeden Christen auf sich, um sie dem Opfer von Kalvaria einzugliedern und dem Vater darzubringen. Sie stellt jeweils das zermarterte Antlitz des Erlösers dem Himmel vor Augen. Wenn sie aus den göttlichen Händen die Wohltaten und die Freude entgegennimmt, die sie der Erde vermitteln will, so ist es wiederum das Antlitz Christi, aber das des glorreichen und liebevollen Erlösers, das sie den Menschen in allen Gnaden zeigen möchte. Die zahllosen Erweise ihrer Gunst an uns alle verfolgen nur ein Ziel: Christus mehr und mehr zu schenken, denn er ist die Gabe, welche alle anderen enthält. Um dieses Schenkens willen ist sie da; Maria, vom Schöpfer erfunden, um der Welt seinen Sohn als Erlöser zu geben, weiht uns ihre ganze Liebe und himmlische Herrlichkeit, damit wir uns der Gabe öffnen und mit Christus eins werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Über 6.000 Teilnehmer in Berlin und Köln

Erfolgreicher Marsch für das Leben

Von Alexandra Maria Linder  

Bei bestem Wetter begrüßten die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht, Alexandra Linder, in Berlin und die Kölner Moderatorin Martine tausende von gut gelaunten Lebensrechtlern, die aus ganz Deutschland angereist waren.

„In keinem Land der Welt gibt es einen Nachweis, dass Abtreibung für Frauen irgendeinen psychischen, physischen oder emanzipatorischen Nutzen hat.“ Linder sprach in ihrer Eröffnungsrede vor allem über die Missachtung der Frauen und Kinder durch die Abtreibungslobby, denen die Situation der Betroffenen schlicht egal sei. Für eine menschenwürdige Gesellschaft bräuchte es Schutz, Prävention, Emanzipation, nicht Abtreibung. Dasselbe gelte am Ende des Lebens, wo man Lebensoasen statt assistierten Suizid bereitstellen müsse.

In Köln, wo sich etwa 2.800 Teilnehmer versammelten, sprachen Prof. Dr. Paul Cullen, Vorsitzender der Ärzte für das Leben, Susanne Wenzel, Vorsitzende der Christdemokraten für das Leben, und eine Schwangerenberaterin. Berlin mit knapp 4.000 Teilnehmern hatte zwei ausländische Gäste eingeladen, die über Gesetze zur Euthanasie in Kanada und Abtreibung in den Niederlanden referierten. Außerdem berichtete ein betroffener Vater über seine damalige Situation und Beziehung, die zur Abtreibung des gemeinsamen Kindes geführt hätten. Den Schluss gestaltete eine große Gruppe der Jugend für das Leben. Unter den Teilnehmern befanden sich mehrere Bischöfe und Weihbischöfe. Erzbischof Koch spendete in Berlin nach der Demonstration gemeinsam mit Pastor Albrecht Weißbach einen Reisesegen.

Während die Berliner Polizei die Lage routiniert und sicher immer im Griff hatte, war die Kölner Polizei offenbar überrascht über die Gewaltbereitschaft der antidemokratischen Demonstrationsstörer. Mehrfach waren die Einsatzkräfte überfordert, es gab Vandalismus, Durchbruchsversuche, Blockaden und sogar einige tätliche Angriffe, bei denen zum Glück niemand ernsthaft verletzt wurde.

Die Stimmung unter den Teilnehmern blieb gut, friedlich und freundlich, auch als sie während der Kundgebung und auf dem Demonstrationszug auf unflätigste Weise angepöbelt wurden.

Angesichts des großen Erfolges und Zuspruchs zu dem erstmals an zwei Orten durchgeführten Marsch für das Leben wird es im nächsten Jahr, am 21. September 2024, wahrscheinlich erneut mindestens zwei Großveranstaltungen gleichzeitig geben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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