Weihnachten – Gott steigt zu uns herab

Die Nähe Gottes ist unser Heil

Winfried Henze (geb. 1929) ist ein „erfahrener Religionslehrer, Landpfarrer, Stadtpfarrer und Redakteur“, der „vielen geholfen hat, die Schönheit, die Leuchtkraft, das Heilende und Befreiende des christlichen Glaubens neu zu entdecken.“ So schreibt Kardinal Walter Kasper in seinem Geleitwort zum neuen Buch des Hildesheimer Geistlichen, der für seine Beiträge in der Hildesheimer Kirchenzeitung schon zweimal mit dem Journalistenpreis der Deutschen Bischofskonferenz ausgezeichnet worden ist. Nun wagte er das „Abenteuer“, wie er schreibt,  Fragen anzugehen, die sich heute viele praktizierende Christen stellen. Unter anderem widmet er sich in seinem Buch mit dem Titel „Das Prinzip Hingabe. Über Christus, Kirche und priesterliche Existenz“ der Botschaft vom Kreuz.[1]

Von Winfried Henze

Gott sucht den Menschen

Schon auf den ersten Seiten der Bibel begegnet uns der „suchende“ Gott: „Adam, wo bist du?“ ruft er. Der Mensch hat sich aus eigener Schuld ins Unheil, in die Gottesferne gestürzt. Aber Gott lässt ihn nicht einfach darin stecken. Noch während er die Strafe verhängt und die Vertreibung aus dem Paradies vollzieht, wird bereits sichtbar, dass Gott den Menschen nicht aus den Augen lassen wird.

Von dieser Stelle ausgehend, lässt sich die ganze Bibel, zunächst im Alten Testament, unter diesem Gedanken lesen. Manchmal ist es der gewaltige Gott, der Gesetz-Gebende, der Strafende, dem es nicht gleichgültig ist, wenn die Menschen sich von ihm entfernen und Irrwege gehen. Dann wieder ist er der Retter, der dem verzweifelten Elia weiterhilft, damit der auf dem Berg Horeb Gott begegnen kann. Auf immer wieder neue Weise ruft und packt Gott den Menschen, mal als einzelnen, mal in der Gemeinschaft des Volkes Israel. Ihm gilt seine beständige Aufmerksamkeit und Liebe.

Er will das Heil der Menschen – dies aber nicht im Sinne eines ego-zentrischen Sich-Wohlfühlens, nicht in einem von Gott abgelösten Sinn. Immer besteht das eigentliche Heil in der Nähe Gottes. Der Herr gibt dabei gewiss vieles, was das Herz erfreut, Korn und Wein in Fülle, aber vor allem sich selber (Dtn 8). Bei ihm soll die Seele des Menschen zur Ruhe kommen, Halt und Heimat finden. Es ist geradezu das Wesen Gottes, dass er sich dem Menschen zuwendet – und es ist geradezu das Wesen des Menschen, dass er das Heil in der Nähe Gottes erfährt – ein Gedanke, der zum Beispiel in den Psalmen immer wieder anklingt:

Gott nahe zu sein ist mein Glück (Ps 73,28).

Denn du bist nahe, Herr, und all deine Gebote sind Wahrheit (Ps 85,10).

Der Herr ist nahe allen, die ihn rufen (Ps 145,18).

Und Israels Stolz gründet auf der Erfahrung der Nähe Gottes:

Welche Nation hätte Götter, die ihr so nahe sind, wie Jahwe, unser Gott, uns nahe ist, wo immer wir ihn anrufen? (Dtn 4,7).

In der Konsequenz dieser biblischen Linie liegt die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Sie ist Gottes totale Hinwendung zum Menschen. Er wird selbst einer von uns: Intensiver kann die Zuwendung nicht gedacht werden. Und wieder lässt sich die Bibel, jetzt im Neuen Testament, ganz unter diesem Gedanken lesen: Jesus sucht die Menschen auf. Er schaut sie an, er redet sie mit Namen an, er nimmt sie bei der Hand, er spricht ihnen, ganz von Person zu Person, die Vergebung ihrer Sünden zu, er heilt sie, richtet sie auf. „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden“, ruft er dem Zachäus zu, das Heil, das in der Anwesenheit des Herrn besteht (Lk 19,9).

Er schenkt seine Nähe. Er selbst ist das Heil. Und er nimmt es auf sich, dafür seine göttliche Hoheit völlig abzustreifen, sich selbst zu erniedrigen (Phil 2,8). In seiner Hinwendung zu den Verlorenen macht er nirgends Halt. Und das bedeutet in letzter Konsequenz seinen Tod am Kreuz. – Die Kirche drückt dieses Hinabsteigen des Herrn in den Stationen des Kreuzweges aus. Dreimal stürzt er unter der Last, jedes Mal tiefer. Er kommt auch dem völlig Verlassenen nahe. Selbst wer total am Boden liegt, braucht nur zur Seite zu schauen und sieht den Gottessohn neben sich, der in eben diese Tiefe hinabgestiegen ist. Paulus sagt: „… der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,10). Ja, selbst die extremste Erniedrigung, die man denken kann, hat Jesus auf sich genommen, die absolute Verlorenheit, erkennbar in seinem Ruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ So kann der Herr auch den Allerletzten unter den Menschen noch „mitnehmen“. Am Kreuz erhöht, zieht er alle an sich (Joh 12,32) und führt sie seinem Sieg in der Auferstehung entgegen.

Menschwerdung – nur Mittel zum Zweck?

Wir haben so, angeleitet von der Bibel, Gottes Heilswirken ganz als Zuwendung zum Menschen betrachtet, Jesu Erlösungstat in einer beständig absteigenden Linie, von seiner Menschwerdung bis zum Tod am Kreuz. So wird deutlich, dass die Erlösung nicht nur im Kreuzesopfer besteht, sondern dass jeder Schritt auf diesem langen Weg der Selbsterniedrigung dazugehört.

In alten Katechismen und Dogmatik-Lehrbüchern liegt der Akzent noch anders. Da wird festgestellt: Der Herr hat uns (allein) durch seinen Opfertod am Kreuz erlöst. Dort hat er sich dem Vater dargebracht. Seine Menschwerdung war nur die notwendige Voraussetzung. Auch im Katechismus der Katholischen Kirche von 1993 findet man noch den lapidaren Satz: „Seine erlösende Passion ist der Grund seiner Menschwerdung.“[2]

Man hätte die Inkarnation schon immer umfassender verstehen können: nicht nur als Mittel oder Voraussetzung des Eigentlichen, sondern selbst schon als Heilswirken Gottes. Das Credo der heiligen Messe, ein uralter Text der Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) sagt: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel herabgestiegen, hat Fleisch angenommen aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch geworden“. Da wird also in einem hochoffiziellen Text festgestellt, dass die Inkarnation nicht nur zur Vorbereitung des Kreuzesopfers geschehen ist, sondern auch selber schon „zu unserem Heil“. Das Credo bezieht diese Formel hier ganz eindeutig auf die Inkarnation. Von der Kreuzigung spricht es nämlich danach in einem neuen Satz, der durch das Wort „sogar“ abgetrennt ist: „Gekreuzigt wurde er sogar für uns“ (crucifixus etiam pro nobis). Glücklicherweise haben sich in unserer Zeit bedeutende Theologen darum bemüht, hinsichtlich der Erlösung in Christus die einseitige Fixierung auf das Kreuzesopfer zu überwinden. Sie konnten damit durchaus an alte Traditionen anknüpfen. Der Kirchenvater Athanasius stellte schon um 370 lapidar fest: „Der Heiland wurde wirklich und wahrhaft Mensch, und so wurde die Erlösung des ganzen Menschen bewirkt.“[3]

Romano Guardini hat sogar gefragt, ob die Erlösung vielleicht auch ohne den Tod es Herrn möglich gewesen wäre, ob es denn grundsätzlich ausgeschlossen war, dass die Botschaft Jesu von seinem Volk angenommen wurde, er also nicht als Verurteilter am Kreuz hätte sterben müssen.[4]

Von einer anderen Seite herkommend, hat sich Alois Spindeler mit diesem Thema befasst. Er sieht die Sünde, aus der wir befreit werden sollen, als „seinshafte“ Trennung der Schöpfung von Gott. Dieses Auseinander-Brechen gilt es zu heilen, und wenn der Sohn Gottes selber Mensch wird, ist damit das Entscheidende schon geschehen, die Trennung der Schöpfung von dem göttlichen Bereich überwunden. So kann Spindeler kurz sagen: Eigentlich sei mit der Inkarnation die Erlösung schon geschehen.[5]

Diesen – und vielen anderen – Theologen ging es nicht darum, die Bedeutung des Kreuzestodes Christi zu mindern, sondern den Blick auf das Ganze des Erlösungswerkes zu lenken. Darum geht es auch Walter Kasper, wenn er umgekehrt die Bedeutung des Kreuzesopfers betont, ohne das Jesu Erlösungswerk nicht zur Vollendung gekommen wäre: „Der gehorsame Tod Jesu ist also Zusammenfassung, Inbegriff und letzte, alles überbietende Aufgipfelung des gesamten Wirkens Jesu. Die Heilbedeutung Jesu wird damit nicht exklusiv auf seinen Tod beschränkt. Aber sie erfährt im Tod Jesu ihre letzte Eindeutigkeit und Endgültigkeit.“[6]

Das Ganze des Erlösungswerkes darf also nicht aufgeteilt werden. Es geht um die Vermeidung von Einseitigkeit. Ohne die einzigartige Bedeutung des Kreuzesopfers zu mindern, dürfen wir so im gesamten Erlöserleben Christi, angefangen mit seiner Menschwerdung, die Hingabe Gottes an den Menschen erkennen. Und es entspricht dieser Einsicht, wenn die Christen nicht nur Karfreitag und Ostern, sondern auch Weihnachten, den Geburtstag des Herrn, als hohes Ereignis feiern, ja, sogar den Beginn seines Hinabsteigens neun Monate zuvor am Fest der Verkündigung des Herrn (25. März).

Winfried Henze: Das Prinzip Hingabe – Über Christus, Kirche und priesterliche Existenz. Fe-Medienverlag, gebunden, 125 Seiten, ISBN 978-3-86357-055-2.


[1] Buchauszug, Seiten 45-51.
[2] Katechismus der Katholischen Kirche, Seite 188. An anderer Stelle (Seite 147) freilich nennt der Katechismus noch andere Gründe, weshalb Gottes Sohn Mensch wurde: damit wir die Liebe Gottes erkennen: um für uns Vorbild der Heiligkeit zu sein; um uns Anteil an seiner göttlichen Natur zu geben. Merkwürdiger Weise steht dann an dieser Stelle aber nichts vom Erlösungsopfer am Kreuz
[3] Athanasius, Brief an Epiktet, Kap. 7, Köselsche Kirchenväterbibliothek, Kempten und München 1913, Bd. 13, 511.
[4] R. Guardini, Der Herr, Würzburg 1937.
[5] A. Spindeler, Erlösung in Christus, Celle 1947, 44.
[6] W. Kasper, Jesus der Christus, Mainz 1974, 143.

Zur Tragödie auf den Philippinen

„Ich rühme mich des Kreuzes Christi“

Das Ausmaß der Zerstörungen und des menschlichen Leids nach dem verheerenden Taifun auf den Philippinen hält die Welt in Atem. Auch als Christen stehen wir den geheimnisvollen Plänen Gottes fassungslos gegenüber. Eine demütige Haltung ist geboten, die uns davor bewahrt, uns in allzu einfache und schnelle Antworten zu flüchten. Doch wäre es auch ein Fehler, in der Sprachlosigkeit zu verharren, die uns angesichts des unaussprechlichen Elends in Beschlag nimmt. Pfarrer Erich Maria Fink lädt dazu ein, die Ereignisse im Licht der christlichen Offenbarung zu betrachten. Seiner Ansicht nach dürfen wir gerade in solchen Augenblicken das Licht des katholischen Glaubens nicht unter den Scheffel stellen; denn zahlreiche weltanschauliche Gruppen nützen die Situation aus, um mit ihren Erklärungsmustern verunsicherte Menschen vom christlichen Weg abzulenken.

Von Erich Maria Fink

Ein Bild der Verwüstung

Am 7. und 8. November dieses Jahres zog der Taifun „Haiyan“ über die Philippinen hinweg. Seinen Namen erhielt er von der chinesischen Bezeichnung für „Sturmschwalbe“. Es war wohl der stärkste tropische Wirbelsturm, der je beobachtet wurde, seit es wissenschaftliche Untersuchungen und Aufzeichnungen des Wetters gibt. Die Zyklone bewegte sich von Osten nach Westen und entwickelte Böen mit Windgeschwindigkeiten bis zu 380 km/h. Sie überquerte die beiden philippinischen Inseln Samar und Leyte, welche durch die San-Juanico-Brücke der Pan-Philippinischen Autobahn miteinander verbunden sind. Zunächst wurde die Stadt Guiuan an der Südspitze der Insel Samar heimgesucht und völlig zerstört. Sie zählt knapp 50000 Einwohner. Auf ähnlich schlimme Weise traf es später die Stadt Tacloban im Nordosten von Leyte mit über 220000 Einwohnern. Sie ist weltweit zum Inbegriff dieser Taifun-Katastrophe geworden. Doch sind darüber hinaus große Teile des philippinischen Inselreichs betroffen und schwer beschädigt. Mindestens 5000 Menschen kamen ums Leben, bis zu fünf Millionen sind obdachlos. Es mangelt an allem, besonders an Wasser und Nahrung. Das Elend ist unermesslich. Die Bevölkerung steht der Not ohnmächtig und hilflos gegenüber. Unter den Opfern herrschen Angst und Verzweiflung.

Weltweite Aufmerksamkeit und Solidarität

An dieser Katastrophe kommt niemand vorbei. Die ganze Weltöffentlichkeit ist erschüttert von den Bildern und den ständig neuen Nachrichten über das unsägliche Leid. Eine Welle des Mitgefühls und der Solidarität läuft um den ganzen Erdball. Neben der staatlichen Hilfe in Millionenhöhe sind allein in Deutschland Hunderttausende von Einzelspenden an unterschiedlichste Hilfsorganisationen eingegangen. Das ist ein positives Signal und zeigt, dass es auch in unserer Zeit einen Nährboden für das Gute gibt. Diese Anteilnahme schafft eine innere Verbindung zu den Ereignissen und erzeugt eine Offenheit, die über das allgemein verbreitete Interesse für Sensationen hinausgeht. In dieser wachen Aufmerksamkeit hören die Menschen nun davon, dass der größte Teil der betroffenen Bevölkerung katholisch ist. Über 80 Prozent der fast 93 Millionen Philippiner gehören der katholischen Kirche an und üben einen entscheidenden Einfluss auf Staat und Gesellschaft aus. Die Philippinen sind das größte mehrheitlich katholisch geprägte Land Südostasiens. Wie nimmt die Kirche vor Ort die Naturkatastrophe auf? Was haben die Priester nun ihren Gläubigen zu sagen? Jede Äußerung wird von den Journalisten begierig aufgegriffen. Natürlich sind die Seelsorger im Augenblick mit der Koordinierung der Hilfe beschäftigt, die über die kirchlichen Kanäle in die verwüsteten Gebiete gelangt. Zunächst geht es einfach um das nackte Überleben. Doch die Priester ermutigen die Menschen, die Heimsuchung im Geist des Evangeliums zu bewältigen. Der Glaube, den man in guten Zeiten so einfach bekenne, werde nun auf eine harte Probe gestellt und müsse sich bewähren. Aber die Tatsache, dass es gerade die christlichste Oase ganz Asiens getroffen hat, bildet eine besondere Herausforderung für Gläubige wie Ungläubige auf der ganzen Welt.

„Christus lebt in mir“

„Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Diese Worte, die der hl. Apostel Paulus im Galaterbrief (2,19f.) denjenigen zuruft, die sich von den jüdischen Gesetzesvorschriften das Heil erhoffen, meint er nicht nur im übertragenen Sinn oder als geistlichen Vorgang. Nein, Paulus sieht sich mit Christus gekreuzigt, weil er die Todesleiden seines Herrn an seinem eigenen Leib trägt: verfolgt, ausgepeitscht, gesteinigt, aber auch Hunger, Kälte, Sturm und Schiffbruch ausgeliefert. „Ich trage die Zeichen (griechisch: stigma) Jesu an meinem Leib“, betont er am Ende des Briefs (Gal 6,17). Und er ist überzeugt: je mehr er an den Leiden Christi teilhat, umso vollkommener lebt Jesus Christus in ihm, ist Christus durch ihn in dieser Welt gegenwärtig. So kann er das überwältigende Zeugnis ablegen: „Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (Gal 6,14).

Vergegenwärtigung des Sühneleidens Christi

Das Zweite Vatikanische Konzil nimmt diesen Gedanken auf und stellt in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium fest: „Die Kirche erkennt in den Armen und Leidenden das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen.“ Zugleich wird das Geheimnis des Leidens gedeutet: „Während aber Christus heilig, schuldlos, unbefleckt war (Hebr 7,26) und Sünde nicht kannte (2 Kor 5,21), sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist (vgl. Hebr 2,17), umfasst die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoße. Sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung. Die Kirche ‚schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin‘ (14) und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26)“ (Lumen Gentium, Nr. 8). Das Leiden Jesu also ist „Sühne“ für die Sünden der Menschen, das Leiden der Kirche aber ist Verkündigung des Kreuzes Christi, d.h. des Sühneleidens Christi, das in den Leidenden aller Zeiten auf geheimnisvolle Weise gegenwärtig ist.

Gott offenbart sein Vaterherz

Das erste Kapitel von Lumen gentium trägt den Titel „Das Mysterium der Kirche“ und lässt sich in den Worten zusammenfassen: die sichtbare Kirche ist der auf geheimnisvolle Weise durch die Geschichte hindurch fortlebende Christus. Im Licht dieser Wahrheit dürfen wir die Ereignisse auf den Philippinen deuten. In den Leiden der heimgesuchten Menschen ist Christus selbst gegenwärtig. Im schmerzerfüllten Antlitz der Opfer dieser Katastrophe blickt Christus der Welt entgegen. Gott selbst hat dieses zutiefst gläubige Volk auserwählt, um der Menschheit sein Vaterherz zu offenbaren. Wie es in den großen Offenbarungen des göttlichen Herzens Jesu an die hl. Margareta Maria Alacoque (1647-1690) heißt, leidet das göttliche Herz solange und in dem Maß, als es Menschen gibt, die von ihm unendlich geliebt sind, sich jedoch abwenden und seine Liebe verschmähen. Auf den Philippinen hat Christus sein Kreuz aufgerichtet, sichtbar für alle Menschen, um den Schmerz seines Herzens kundzutun, aber auch, um den Zustand der Welt aufzudecken. Wie in einem Spiegel kann die Menschheit durch das Ausmaß der Katastrophe erkennen, wie weit sie sich von Gott und seiner Liebe entfernt hat. Der Verzweiflungsschrei der Menschen im verwüsteten Inselstaat ist der Schrei Gottes, der „den verlorenen Sohn“ wachrufen und in sein Vaterhaus zurückführen möchte.

Sakrament der Welt

Doch die Gegenwart Christi im Leidenden ist nicht nur Offenbarung. Gleichsam auf sakramentale Weise ist in jedem Leiden insbesondere des Unschuldigen das erlösende Leiden Christi gegenwärtig. Jesus hat am Kreuz von Golgatha ein für allemal die Sünden aller Menschen gesühnt. Doch damit dieses Opfer seine erlösende Kraft entfalten kann, muss es immerfort erneuert und sakramental bereitgestellt werden. Dazu hat Jesus das Sakrament der Eucharistie gestiftet, welche die unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers Christi bis ans Ende der Tage verwirklicht und die vollkommene Vereinigung der Glieder des Geheimnisvollen Leibes mit dem Haupt, also der Gläubigen mit Christus, bewirkt. Auf ähnliche Weise dürfen wir das in den Leidenden gegenwärtige Sühneleiden Christi als Sakrament des Heils für die Welt verstehen. Das heißt: Von solchen Menschen kann für diejenigen, die in diesem Augenblick der Erlösung bedürfen, die rettende Gnade ausgehen. Gott wirkt durch leidende Menschen erlösend in die Welt hinein und das umso fruchtbarer, als diese durch die Sakramente geheiligt sind und sich in geistiger Weise bewusst mit dem Leiden Christi vereinigen. Das philippinische Volk, unschuldig getroffen, tief im katholischen Glauben verwurzelt, ist nicht nur zufälliges Opfer entfesselter Naturgewalten oder etwa eines durch Ausbeutung verursachten Klimawandels. Gott überlässt solche Ereignisse nicht dem Zufall. „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand“ (Weish 3,1). Und so dürfen wir hinter all dem grausamen Unheil auch eine echte Berufung sehen: Auf den Philippinen ist eine Quelle der Gnade entsprungen, die über alle Grenzen hinweg den Völkern der Erde zufließt.

Ausblick

Seligsprechungen bedeuten die Erlaubnis, einen Verstorbenen öffentlich anzurufen sowie territorial oder auf kirchliche Gemeinschaften begrenzt liturgisch zu verehren. Die Heiligsprechung geht einen wesentlichen Schritt weiter. Sie ist nicht nur eine unbeschränkte Erlaubnis zur Verehrung, sondern stellt der ganzen Kirche das Leben der betreffenden Heiligen lehramtlich als authentische Verwirklichung des Evangeliums vor Augen. So hat gerade Papst Benedikt XVI. zahlreiche Heiligsprechungen vorgenommen, die den Geist der Berufung zum „Sakrament der Welt“ widerspiegeln. Dazu gehören Sühneseelen wie die hl. Anna Schäffer (1882-1925) aus Bayern, die hl. Sr. Alfonsa von der Unbefleckten Empfängnis (1910-1946) aus Indien oder die hl. Kateri Tekakwitha (1656-1680) aus dem Indianerstamm der Mohawks in Nordamerika. Im Licht, das sie ausstrahlen, sollten wir unseren Weg gehen. Über Leid zu sprechen ist nicht einfach. Doch wenn wir den suchenden Menschen dieses Licht verweigern, werden Zeugen Jehovas und andere Sekten scheinbar plausiblere Antworten geben und sie in die Irre führen. Und erst wenn wir selber in diesem Licht leben, sind wir in der Lage, für das philippinische Volk zu beten, damit es in dieser entscheidenden Stunde seine Berufung annehmen und verwirklichen kann.

Kommentar zum Einsatz von Bernward Büchner

Größtes Lebensschutz-Zentrum der Welt

Mancher wird sich bei einer solchen Überschrift fragen: Wo befindet sich dieses Zentrum? Wurde etwas Neues, Sensationelles ins Leben gerufen? Für Weihbischof Dr. Andreas Laun ist klar: das erste und größte Lebensschutz-Zentrum der Welt ist die katholische Kirche. Aber das müsse die Kirche sichtbar machen und in der Öffentlichkeit zeigen. Dazu sei ein Schulterschluss zwischen den Bischöfen und der Lebensrechtsbewegung notwendig, wie es sich in anderen Ländern bereits entwickelt habe. Außerdem müsse das Zeugnis für das Lebensrecht prophetischen Charakter annehmen. Und die prophetischen Zeichen unserer Tage seien eben die Großveranstaltungen und das Auftreten in den Medien. Bernward Büchner sei ein Vorbild besonders darin, dass er in seinem unermüdlichen Kampf nie aufgegeben habe.

Von Weihbischof Andreas Laun

Bernward Büchner kenne ich schon seit Jahren. Jetzt entdeckte ich seinen Namen in dem ihn ehrenden Artikel von Manfred Spieker in der Tagespost. Bewundernswert sein Standhalten, seine politische Unkorrektheit, sein Weitermachen trotz aller Ablehnung, sein Überwinden der Versuchung zur Resignation, die ihn sicher immer wieder anfiel! Bernward Büchner, ein großer Mann! Nicht nur Deutschland, wir alle sind stolz auf ihn und danken ihm.

Besonders schmerzlich ist es zu erfahren, wie oft er, von Manfred Spieker berichtet, ohne Erfolg versuchte, die Bischöfe zu gewinnen, ins Gespräch mit ihnen zu kommen, sie, man könnte geradezu sagen, zu bekehren!

Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich lehnen alle katholischen Bischöfe Abtreibung ab. Ich habe noch keinen gefunden, der dies nicht täte und der es nicht da und dort auch gesagt hätte. Aber der Punkt ist: Man kann dieses „Nein!“ nur flüstern, man kann es an ein Gremium delegieren, man kann es in einem Hirtenbrief verstecken! Oder man kann es laut rufen, unermüdlich rufen und prophetische Zeichen setzen, so dass es in der Öffentlichkeit nicht mehr überhört werden kann. Darum geht es und dazu wären drei Schritte nötig:

Zusammenarbeit der Bischöfe mit der Lebensrechtsbewegung

Erstens sollten die Bischöfe den Dialog und die Zusammenarbeit mit ebenso leidenschaftlichen wie vernünftigen Pro-Life-Gruppen vorrangig pflegen. Wenn man sich Zeit nimmt für Gremien, in denen nicht selten unkundige Leute über eher unbedeutende Dinge reden, wie viel mehr Zeit sollte man einsetzen, um über Schutz und Rettung der Ungeborenen zu reden mit denen, die das Thema Abtreibung nicht nur intellektuell wirklich kennen, sondern auch auf Grund ihrer persönlichen Erfahrung Wissende sind, erworben im Ringen um jedes Menschenleben. Die Angebote und Bitten um einen solchen Dialog wurden im Fall Bernward Büchners, so lese ich bestürzt, fast immer nur abgelehnt! Aber müsste nicht jeder Christ sozusagen „alles liegen und stehen lassen“, um mitzuhelfen, Menschen zu retten?

Besonders schlimm und ungerecht ist es, sich die Lebensschützer samt und sonders vom Leib zu halten, indem man sie als Fanatiker oder Psychopathen verunglimpft, mit denen man sich besser nicht sehen lässt! Aber sogar wenn der eine oder andere von ihnen wirklich psychisch nicht im Gleichgewicht sein sollte: Wäre es nicht die höchste Zeit, sich selbst zu fragen, ob er oder sie nicht doch „auch recht“ haben? Oder würde man nicht nachschauen gehen, wenn ein solcher „Fanatiker“ „Feuer!“ schreit und es ohnehin schon nach Rauch stinkt? Werden wir nicht später versucht sein zu sagen: „Das haben wir nicht gewusst!“? Wir hätten vielleicht auch auf Leute hören sollen, deren Art uns unangenehm war, dann hätten wir es wissen können! Und: Hat man jemals von „fanatischen Nazi-Gegnern“ oder „psychopathischen Verteidigern der Juden“ gehört, die man, weil krank und fanatisch, ignorieren sollte? Der erste Imperativ wäre: Die Kirche „muss“ sich mit Lebensschützern wie Bernward Büchner solidarisieren und damit zeigen, dass die Kirche das erste und größte Lebensschutz-Zentrum der Welt ist!

Gemeinsame Teilnahme an Pro-Life-Demonstrationen

Zweitens sollten sich die Katholiken, auch alle anderen Christen, alle, die sehen, was „unter ihren geschlossenen Augen“ geschieht, erinnern: Die Propheten haben nicht nur geredet, sondern auch Zeichen gesetzt, die unübersehbar waren und ihre Umwelt zum Denken oder Fragen zwangen. Die prophetischen Zeichen von damals sind für die heutige Welt meist unbrauchbar, aber irgendwie doch ähnlich ist es heute üblich, mit wichtigen Anliegen auf die Straße zu gehen und damit auch in die Medien. Das tun Bischöfe schon jetzt, um an die weltweite Verfolgung von Christen aufmerksam zu machen, oder auch dadurch, dass sie im Fernsehen die Kirche und ihre Lehre verteidigen. Man hat Bischöfe aber auch schon bei Demonstrationen wegen einer neuen Straße gesehen. Aber man fragt sich betroffen: Und warum führen die Bischöfe nicht jene Großveranstaltungen an, die heute auch in Europa „Pro-Life“ abgehalten werden? Und wo sind all jene, die nicht müde werden, an Verbrechen in der Vergangenheit zu erinnern, jene, die sich für Erhaltung des Regenwaldes und der Tiere stark machen, oder die Mitglieder der vielen und zu vielen „Gremien“ in der Kirche und die vielen anderen Organisationen und NGOs, die von sich sagen, sie seien für Frieden und Gerechtigkeit: Wo sind sie, warum helfen sie nicht mit all ihren Kräften, warum gehen sie nicht auf die Straße und fordern den Schutz der Kinder und ihrer Mütter? Wenn bei einer nationalen Großveranstaltung die ganze Bischofskonferenz vorausginge, wäre das ein gewaltiges und wirkungsvolles Zeichen! Ich habe im Ausland mehrfach erlebt, wie dankbar die Menschen sind, wenn ein Bischof, wenigstens aus einem anderen Land, mit ihnen geht, erst recht, wenn der Bischof einer der Ihren ist, wie ich es in Budapest und in Olmütz schon erlebt habe! Und wenn dann auch noch eine größere Zahl der Domkapitulare mitginge, Ordensschwestern, Priester, politische Prominenz und natürlich die Mitglieder der „neuen Bewegungen“ und diejenigen, die oft und gerne auf Wallfahrten gehen – was für ein prophetisches Zeichen wäre dies!

Liturgische Feier der Heilszusage Gottes an den Menschen „von Anfang an“

Drittens sollten die Bischöfe und ihre Theologen nachdenken, ob man das Fest Maria Heimsuchung, also das Fest der Begegnung von Maria und Elisabeth mit den ungeborenen Kindern unter ihrem Herzen, Jesus und Johannes der Täufer, nicht neu, sozusagen „erweitert“ verstehen und liturgisch feiern könnte als die große Heilszusage Gottes an den Menschen „von Anfang an“, noch im Schoß seiner Mutter? Dann hätten wir zwei Feste, um der Kleinsten zu gedenken und für sie zu beten: das Fest der unschuldigen Kinder und Maria Heimsuchung? Wenn ich Gelegenheit haben werde, werde ich Papst Franziskus darum bitten!

Abtreibung hat es immer gegeben, wie den Brudermord seid Kain und Abel, aber vom Gesetz freigegeben, propagiert und mit Steuergeldern finanziert? Wie kann es sein, dass Katholiken, die das Konzil ständig im Mund führen, die Lehre des Konzils, dass Abtreibung Mord ist, ignorieren und, wie schon erlebt, sogar verhöhnen? Ich habe schon von Jugendlichen gehört, die den Mut hatten, das Thema Abtreibung für eine schulische Redeübung zu wählen und von Mord zu sprechen, und mir haben schon muslimische Taxifahrer ohne Zögern gesagt: „Abtreibung ist Mord“. Über andere Massenmorde in der Vergangenheit ist die Welt immer noch, mehr oder weniger, entsetzt. Aber über den Mord an den Ungeborenen heute sollen wir schweigen? Über mangelnden Mut unserer Vorfahren angesichts bestimmter Verbrechen zu ihrer Zeit sind wir „betroffen“ und „schämen uns“, aber obwohl wir heute keine Gestapo zu fürchten haben, bleiben wir mehr oder weniger stumm angesichts dessen, was heute geschieht, ja es beeinflusst nicht einmal unser Verhalten bei der Wahl? Diese Tragödie schreit nicht nur zum Himmel, sie schreit auch nach einem besonderen Einsatz der Kirche, allen voran dem Einsatz der Bischöfe! Wie gut dass wir Menschen wie Bernward Büchner und seine gar nicht so wenigen Freunde unter uns haben! In den Geschichtsbüchern von morgen werden ihre Namen genannt werden. Danke, lieber Bernward!

Unbekannte Seite des Entdeckers der Wasserkur

Kneipp und das Burnout-Syndrom

Seit März 2013 ist Thomas Maria Rimmel der achte Nachfolger von Pfarrer Sebastian Kneipp in Bad Wörishofen. Bei der Beschäftigung mit dem Werk seines Vorgängers ist er auf eine eher unbekannte Seite des weltbekannten Geistlichen gestoßen. Sie könnte auf brisante Weise die Aktualität der von Kneipp entwickelten Anwendungen aufzeigen.

Von Thomas Maria Rimmel

Bis zu meinem Amtsantritt waren mir Kneipp und seine Wasseranwendungen nur landläufig vertraut. Außer, dass ich mich allmorgendlich kalt abdusche, hatte ich auch keine persönlichen Erfahrungen mit seiner Heilmethode. Lediglich war mir die Aussage eines Freundes in Erinnerung, der in seinem Garten ein großes Becken zum Wassertreten angelegt hatte. Jeden Abend steige er ins Wasser und lege sich mit nassen Füßen ins Bett. Er schwört auf die wohltuende Wirkung dieser Anwendung.

In Bad Wörishofen angekommen nahm ich Kneipps Bücher in die Hand, um mich eingehender mit seinem Leben zu beschäftigen. Mit 21 Jahren verlässt der junge Sebastian Anton Kneipp seinen Heimatort Stephansried und will Priester werden. Nach zahlreichen Abfuhren wegen seines doch schon fortgeschrittenen Alters findet er in Grönenbach endlich einen Kaplan, der ihm Privatunterricht erteilt. Sein Tagewerk aber besteht nicht allein aus Studium, auch harte Arbeit bei den Bauern fordert ihn. Nur mit Schwierigkeiten wird er zwei Jahre später am Gymnasium in Dillingen an der Donau aufgenommen. Allmählich wird ihm alles zu viel. „War ich früher an viel schwere körperliche Arbeiten gewöhnt, hatte ich auch die beste, einfachste Landkost, Winter und Sommer viel Bewegung und freie Luft“, schreibt Kneipp in seiner Selbstbiographie „Aus meinem Leben“, „so fühlte ich jetzt eine zunehmende Schlaffheit in meinem ganzen Körper. Gerade so merkte ich auch, dass die Geisteskräfte überladen wurden und so fühlte ich mich von Woche zu Woche müder und abgeschlagener; es schwand Appetit und Schlaf und ich kam soweit, dass ich in der dritten Gymnasialklasse die Hälfte der Zeit im Bett zubringen musste.“ Und weiter: „Ich war so matt, dass ich jeden Morgen nach dem Aufstehen eine halbe Stunde lang auf einem Stuhle sitzen musste, um wieder gehen zu können.“ In seinem anderen Buch mit dem Titel „Meine Wasserkur – So sollt ihr leben“ fasst er seinen Zustand prägnant zusammen: „Nach fünf Jahren der größten Entbehrung und Anstrengung war ich körperlich und geistig gebrochen.“

Obwohl Kneipp durchaus noch den Willen zum Studium besaß, war er völlig kraftlos. Er konnte nicht mehr. Hatte ihn die Zurückweisung zahlreicher Priester, ihm Privatunterricht zu erteilen, doch tief verletzt? War es der Rektor am Gymnasium in Dillingen, der seine Aufnahme drei Mal verweigerte? War es der daraus resultierende Ehrgeiz, es doch allen zeigen zu wollen, der ihn überforderte? Jedenfalls war Kneipp ausgebrannt. Heute würde man sagen: Sein Akku war leer. Auch ein „berühmter Militärarzt“ konnte ihm nicht helfen.

Völlig erschöpft begleitete er eines Tages in München einen Studenten in die Hofbibliothek und fand dort die Schrift „Anleitung zur Wasserheilkunde“ von Hahn. Was er darin las, machte ihm Hoffnung. „So ging ich dann in der Woche dreimal (im Winter) in die Donau hinaus (die Kälte mochte sein wie sie wollte) und habe Halbbäder genommen von 3-4 Sekunden bei 10-15° Kälte. Müde ging ich hinaus, neu aufgefrischt und gestärkt ging ich jedes Mal heim und ich gewann die Überzeugung, wenn es für mich – nachdem alles Angewendete nichts geholfen – ein Heilmittel gibt, so wird es das Wasser sein. Mein Geist wurde denkfähiger, es besserte sich mein Appetit und ich konnte doch schon regelmäßig die Vorlesungen anhören.“ Nach und nach wurde seine Gesundheit wieder hergestellt.

Gewöhnlich wird in den Abhandlungen über Sebastian Kneipp davon berichtet, dass er durch das Baden in der eiskalten Donau von Tuberkulose geheilt worden sei. Betrachtet man jedoch seine eigenen Darstellungen etwas genauer, so wird deutlich, dass er selbst den emotionalen Hintergrund seiner Erschöpfungszustände hervorhebt. Wie er sein Ringen um Leistungsfähigkeit und zugleich seinen Zusammenbruch beschreibt, entspricht genau dem, was heute durch die Beschäftigung mit dem sog. „Burnout-Syndrom“ zutage tritt. Als Ursachen für das Ausgebranntsein werden vor allem mangelnde Wertschätzung oder hochgesteckte Erwartungen und Ziele genannt, die unter lang anhaltender Belastung zu emotionaler und geistiger Erschöpfung führen. Auch bei Kneipp war das Nachlassen der Kräfte ein schleichender Prozess. Ebenso bedurfte die Heilung mit Wasseranwendungen Zeit. Aus dieser eigenen Erfahrung entwickelte er schließlich einen ganzheitlichen Therapie-Ansatz mit fünf Wirkprinzipien: Ernährungstherapie, Kräutertherapie, Bewegung, Wasseranwendungen und Ordnung in der Seele.

Ich bin der Überzeugung, dass die Heilmethode von Sebastian Kneipp im Hinblick auf das Burnout-Syndrom eine besondere Bedeutung gewinnen kann. Sie sollte anhand der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus Medizin, Psychotherapie und Verhaltensforschung vertieft werden. Bedenkt man, dass die betrieblichen Fehlzeiten von Arbeitnehmern in Deutschland wegen psychischen Erkrankungen deutlich steigen, so werden die traditionellen Ansätze ganzheitlicher Therapie auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes höchst aktuell. Eine Prognose der Weltgesundheitsorganisation lautet: 2020 werden Krankheiten wie Burnout zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit zählen (Quelle: WHO „GBD 2004“ weltweit). Das Burnout-Syndrom könnte ein neuerlicher Anlass sein, die klassische und mehrwöchige Kur nach Kneipp wieder wertzuschätzen und durch Anpassung an die heutigen Erfordernisse neu zu beleben.

100 Jahre Speckpater

Pater Werenfried van Straaten OPraem wurde am 17. Januar 1913 geboren und starb am 21. Januar 2003. Zum Abschluss dieses zweifachen Jubiläumsjahres berichtet Peter Zimmermann aus ganz persönlichen Erinnerungen.

Von Peter Zimmermann

Auf der Suche nach den Machttaten Gottes begegnete ich dem großen Wohltäter und Menschenfreund Pater Werenfried van Straaten. Ich fragte ihn, ob er eine Begebenheit erzählen könnte, wie Gott in aussichtslosen Fällen hilft. Er überlegte kurz, dann schilderte er mit einem Lächeln: „Eine Mitarbeiterin hatte ihr Auto mit Bibeln und einem Kopiergerät beladen und fuhr nach Russland. Im Jahre 1988 war das ein schweres Vergehen in den Augen der Kommunisten. Bei der Ankunft an der Grenze wurden sämtliche Autos aus dem Westen schärfstens kontrolliert. Als die Mitarbeiterin an die Reihe kam und ein Grenzbeamter die Decke, die über den Bibeln und dem Kopiergerät ausgebreitet war, wegziehen wollte, platzte die Hosennaht des Beamten. Die Kollegen, die den peinlichen Vorfall beobachtet hatten, brachen in schallendes Gelächter aus. Mühsam versuchte der Kontrolleur, die geplatzte Naht mit den Händen zu bedecken. Er war so irritiert und verlegen, dass er der mutigen Frau zu verstehen gab, sie möge weiterfahren. Diese Mitarbeiterin war eine treue Rosenkranzbeterin. Ihr Gebet wurde auf eine Weise erhört, die uns zeigt, dass Gott auch Humor hat.“

Dann fragte ich ihn, ob Gott ihm einmal in einer besonders gefährlichen Situation geholfen habe. Nach einigem Nachdenken antwortete er: „Ich glaube, es war im Jahre 1976, ich saß damals in einem kleinen zweimotorigen Flugzeug. Sechseinhalb Stunden sollte der Non-Stop-Flug über Afrika dauern. Wir überflogen den Urwald. Plötzlich stellte der Pilot fest, dass das Radargerät nicht mehr funktionierte. Es gab keine Anweisungen mehr vom Kontrollturm. Die Sicht war durch Wolken und Nebel sehr beeinträchtigt. Wir wollten nach Bukavu, das am Kiwu-See liegt. Immer wieder tauchte der Pilot durch die Wolken und suchte den See, aber immer vergebens. Unter uns sahen wir nur Urwald und Berge.“ Ich fragte Pater Werenfried nach seinen Empfindungen. Darauf antwortete er: „Ich hatte zunächst Angst, dann siegte mein Gottvertrauen. Bald hatte ich die Gewissheit, dass ich nicht sterben würde, weil meine Mission noch nicht beendet war. Vertrauensvoll betete ich den Rosenkranz. Als wir wieder durch die Wolken abtauchten, flogen wir nur wenige Meter an einem Berg vorbei. Bei einem erneuten Versuch streiften wir fast eine Hütte. Die Eingeborenen rannten in wilder Panik davon. Nach einem langen Irrflug entdeckte der Pilot endlich den Kiwu-See. Er flog am Ufer entlang und landete auf dem Flughafen von Bukavu. Wir hatten bei der Landung noch sieben Liter Kerosin im Tank.“

Während unseres Gesprächs erwähnte er seine schwere Krankheit: „Ich habe einen schweren Herzinfarkt hinter mir, normalerweise hätte ich bei diesem Infarkt tot sein müssen, aber Gott und Maria haben mir geholfen. Sie haben verhindert, dass ich dabei verblutete. Leider darf ich seitdem nicht mehr predigen, das fällt mir besonders schwer.“

Bei dem Wort „Predigen“ musste ich an die Tausenden von Bettelaufrufen für die Ärmsten der Armen denken. In seinem Hut hat Pater Werenfried unvorstellbare Summen sammeln können. Deshalb fragte ich ihn nach genauen Zahlen, er erwiderte: „Es gibt bei uns keine offiziellen Kollekten. Wir haben ca. 500000 Wohltäter. Die Spenden kommen aus 15 Ländern. Im Jahr 1995 hatten wir nur 72 Millionen Dollar an Spendengeldern. Vorher waren es mehr gewesen. Scherzend erklärte er mir: „Der verstorbene Kardinal Frings von Köln bezeichnete mich als modernen Dschingis-Khan, wo ich gewirkt habe, sei alles radikal abgeerntet.“

Ich wollte in Erfahrung bringen, wie viel Geld bis heute durch seine Predigten und durch die Projekte eingegangen sei. Darauf erwiderte er: „Nach Schätzungen meiner Mitarbeiter wurden zwischen zweieinhalb und drei Milliarden Dollar gespendet.“

Gott allein weiß, wie viel Not und Elend durch diese unvorstellbaren Summen gelindert werden konnten. Nie zuvor war es einem Prediger gelungen, die Herzen der Menschen zu bewegen. Als Pater Werenfried in Essen über die unbeschreibliche Not der Rucksackpriester predigte, geschah ein Wunder. Die Bewohner der Stadt Essen spendeten durch den Appell an die Nächstenliebe 40 Tonnen Lebensmittel und Liebesgaben, 190000 DM Bargeld, vier Autos, 47 Motorräder, zwölf Pfund Gold- und Silberschmuck und 13 Kilogramm alte Silbermünzen für die notleidenden Menschen.

Pater Werenfried ging als Speckpater in die Geschichte ein. Er war es, der nach dem 2. Weltkrieg für die hungernden Menschen Speck- und Schweinefleisch sammelte und viele vor dem Hungertod bewahrte. Seine größte Tat ist die Gründung der „Kirche in Not“, die unermesslichen Segen für die Christen in allen Ländern der Erde brachte und auch heute noch unschätzbare Dienste leistet. Mehr über sein Leben und Wirken habe ich in meinem Buch „Die Macht und Hilfe Gottes“ niedergeschrieben.

 

Peter Zimmermann: Die Macht und Hilfe Gottes in unserer Zeit. 288 Seiten, broschiert. Zu beziehen beim Miriam-Verlag, 79798 Jestetten, Tel. 07745-9298-30, Fax: 07745-9298-59, E-Mail: info@miriam-verlag.de

Mutter Maria Theresia Bonzel OSF – neue Selige aus dem Erzbistum Paderborn

„Er führt, ich gehe“

Am 10. November 2013 wurde im Dom von Paderborn Maria Theresia Bonzel OSF selig gesprochen. Sie hatte in Olpe eine neue Schwestern-Gemeinschaft gegründet, die 1863 als Kongregation der „Franziskanerinnen von der ewigen Anbetung“ anerkannt worden war. Dem Orden, der sich vor allem der Betreuung von Kindern und der Krankenpflege widmet, gehören heute etwa 650 Schwestern an. Sie wirken in Deutschland, Nordamerika, auf den Philippinen und in Brasilien. Dass die Seligsprechung im Jubiläumsjahr, nämlich 150 Jahre nach der Anerkennung des Ordens, stattfinden konnte, verlieh der Feier einen freudigen Glanz. Zur Promulgation des päpstlichen Dekrets kam Angelo Kardinal Amato SDB, der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, nach Paderborn.

Von Werner Schiederer

Deutschland hat eine neue Selige. „Er führt, ich gehe!“ Das war der Wahlspruch von Mutter Maria Theresia Bonzel OSF, die im 19. Jahrhundert ein großartiges Werk der Nächstenliebe aufgebaut hatte. Bereits am 18. September 1961 hatte der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger den Seligsprechungsprozess eröffnet. Doch dieser sollte sich über 50 Jahre hinziehen, bis er nun zu einem glücklichen Abschluss gelangte.

Anerkennung eines Wunders

Was noch fehlte, war die Anerkennung eines Wunders, das sich eindeutig auf die Fürsprache von Mutter Maria Theresia Bonzel ereignete. Am 27. März 2013 konnte Papst Franziskus einen solchen Fall durch ein Dekret bestätigen. Es handelte sich um die Heilung eines vierjährigen Jungen aus den USA, der im Februar 1999 eine lebensbedrohliche Magen-Darm-Erkrankung erlitten hatte. Nachdem die Ärzte das Kind mehrere Wochen lang behandelt hatten und eine drastische Verschlechterung seines Gesundheitszustands eingetreten war, gaben sie die Hoffnung auf und schlossen eine Rettung aus medizinischer Sicht aus. Daraufhin wandten sich die Eltern an die Schwestern vor Ort, die dem von Mutter Maria Theresia Bonzel OSF gegründeten Orden der „Franziskanerinnen von der ewigen Anbetung“ angehörten. Gemeinsam beteten sie zur Gründerin und flehten Gott auf ihre Fürsprache um Hilfe an. Kurz darauf stellte sich eine Besserung ein und das Kind wurde vollkommen gesund.

Bewegte Anfangszeit

Bei der Seligsprechungsfeier im Hohen Dom zu Paderborn am 10. November 2013 trug Sr. Mediatrix Nies OSF eine ausführliche Biographie der Gründerin vor. Eine Zusammenfassung: Mutter Maria Theresia Bonzel OSF wurde am 17. September 1830 in Olpe geboren und kurze Zeit später auf den Namen Regine Wilhelmine Christine getauft. Schon früh hatte sie den Wunsch, sich ganz in den Dienst Gottes zu stellen, ein Vorhaben, das am Widerstand der Mutter zunächst scheiterte.

Im Jahr 1850 wurde sie Mitglied bei den Franziskaner-Terziaren. Neun Jahre später lernte sie Schwester Klara Pfänder kennen, die eine neue franziskanische Gemeinschaft gründen wollte. Nach anfänglichem Zögern beteiligte sie sich an dem Vorhaben und trat 1860 als Schwester Maria Theresia in die Gemeinschaft ein. Ziel war es vor allem, Gott in der eucharistischen Anbetung zu loben und zu ehren. Daraus schöpften die Schwestern die Kraft, Waisen oder in Armut lebende Kinder zu betreuen und zu fördern. Ein besonderes Anliegen war es ihnen, gerade auch Mädchen eine ordentliche Schulbildung zu ermöglichen und überall dort zu helfen, wo ihre Hilfe nötig und möglich war.

1863 wurde das Mutterhaus des neuen Ordens nach Salzkotten verlegt, die erste Niederlassung in Olpe aber wurde beibehalten. Dort blieb Schwester Maria Theresia mit fünf weiteren Schwestern zurück. Die beiden Gruppen lebten sich aufgrund der weiten Entfernung auseinander. Es kam zu Verunsicherungen und Missverständnissen. Schließlich trennte der Paderborner Bischof Konrad Martin im Juli 1863 beide Gruppen per Dekret. Darin wurde festgelegt, dass beide Gemeinschaften nun selbstständig und voneinander unabhängig sein sollten. Seitdem gibt es die Salzkottener und die Olper Franziskanerinnen, die beide zu großen Gemeinschaften wurden, die unendlich viel Gutes in Deutschland und weltweit geleistet haben und leisten.

Übernahme der vollen Verantwortung

Schwester Maria Theresia wurde vom Bischof als Oberin bestätigt und bekam den Auftrag, für die Olper Gemeinschaft neue Statuten zu entwerfen. Nach einigem Zögern sagte sie: „Gott, du hast mich hierhergestellt, nun hilf mir auch, dass ich das kann.“ Die Ordensgemeinschaft wuchs beständig weiter. Viele Olper Familien baten um Hilfe und Unterstützung, und auch die Zahl der in Not geratenen Kinder stieg beständig. Angesichts der vielen Probleme rief Mutter Maria Theresia aus: „Alles, wie Gott es will – ER führt – Ich gehe“. Dieser Satz wurde von nun an zu ihrem Lebensmotto.

Es war ihr ein Anliegen, dass keine Schwester ohne eine Ausbildung einen Dienst an Menschen leistete oder Verantwortung übernahm. In den 70er Jahren begann der Kulturkampf. Die Maigesetze von 1873 und die Klostergesetze zwei Jahre später verboten den Schwestern die Erziehungsarbeit und auch die Aufnahme neuer Mitglieder. Mutter Maria Theresia stellte sich diesen Herausforderungen in dem Bewusstsein und aus ihrem tiefen Glauben heraus, dass Gott auf jeden Fall mitgeht und die nötige Kraft gibt. 1875 entsandte sie sechs Schwestern in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo sie dankbar aufgenommen wurden. Dort übernahmen sie zunächst die Pflege der Kranken und auch sehr schnell die Arbeit in Schulen und Universitäten. Während in der Zeit des Kulturkampfes in den USA die Gemeinschaft wuchs, gab es in Deutschland keine Möglichkeit der Ausbreitung. Mutter Maria Theresia reiste selbst in die USA, um dort den Schwestern bei der Organisation der Gemeinschaft zu helfen. Erst ab 1882 änderte sich auch für die Gemeinschaft in Olpe die Situation wieder. Zwar mussten für jede Neuaufnahme umständliche Anträge gestellt werden, aber bis 1885 waren bereits 60 neue Schwestern in die Gemeinschaft aufgenommen worden.

Für Mutter Maria Theresia galt stets der Satz: „Wir werden nicht gefragt, wie viele Einrichtungen wir haben, aber wir werden gefragt, wie wir mit den Menschen umgegangen sind.“ Deshalb ermahnte sie die Oberinnen, darauf zu achten, dass immer eine gute Balance zwischen Arbeit und Gebet herrsche. Schließlich wurde das Noviziat nach Mülheim an der Möhne verlegt. In den Jahren von 1885 bis 1895 wurden dort 600 junge Frauen auf das Ordensleben vorbereitet – 600 Novizinnen in zehn Jahren!

Mutter Maria Theresia war zeit ihres Lebens nie ganz gesund, und es wurde ihr immer wichtiger, einen Weg zu finden, wie sie für ihre Gemeinschaft mehr Sicherheit für die Zukunft schaffen könne. Aus dieser Überlegung heraus gründete sie 1902 die „Gemeinnützige Gesellschaft für Krankenpflege und Kindererziehung mbH in Olpe“ als zivilrechtliche Absicherung. Hier liegt der Beginn der heutigen GFO, der „Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe mbH“. Als Mutter Maria Theresia Bonzel am 6. Februar 1905 starb, hatte sie in Deutschland ein Werk mit mehr als 70 Einrichtungen geschaffen, 60 weitere gab es in den USA mit insgesamt mehr als 1500 Schwestern.

Erzbischof Becker: Gottes- und Nächstenliebe

Beim Pontifikalamt zur Seligsprechung zeigte der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker die großen Linien auf, die das bleibende Vermächtnis der neuen Seligen darstellen. Vor allem betonte er den Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe: „Nach unserem jüdisch-christlichen Verständnis ist die Geschichte der Menschen an erster Stelle eine Geschichte Gottes mit den Menschen. Gott und Mensch können nie isoliert voneinander gesehen werden – sie stehen stets in Beziehung zueinander. Wir können deshalb auch nie bloß allein von der Nächstenliebe sprechen. Es ist in der Bibel grundgelegt, dass die Liebe zum Nächsten untrennbar verbunden ist mit der Liebe zu Gott. Deswegen reden wir vom Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe. Wer die eine oder die andere Hälfte davon abtrennen will, entzieht dem Ganzen den Wurzelgrund.

Mit unserer ‚neuen‘ Seligen Mutter Maria Theresia Bonzel steht uns eine Gestalt vor Augen, die diese unaufgebbare Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe exemplarisch und vorbildlich in ihrem Leben umgesetzt hat – deshalb wurde sie heute zur Ehre der Altäre erhoben. Es ist schon ein besonderes Charisma, aus dem sie geschöpft und das sie ihrer Schwesterngemeinschaft ins Stammbuch geschrieben hat: die Ewige Anbetung des Allerheiligsten und die Sorge für die Kranken und Hilfsbedürftigen. So hat sie einmal in einem Brief geschrieben: ‚Möge der Heilige Geist das Feuer der Liebe in uns entzünden und uns in neue Menschen umwandeln, gleich wie die Apostel, auf dass wir alle von wahrer Gottesliebe brennen und diese in heiliger Nächstenliebe mehr und mehr zu betätigen wissen.‘

Mutter Maria Theresia wusste und lebte es: Gottes- und Nächstenliebe bedingen einander. Deshalb erscheint uns unsere neue Selige wie die Verwirklichung jener Worte aus der Enzyklika Deus Caritas est von Papst Benedikt XVI. Dort lesen wir: ‚Die Heiligen haben ihre Liebesfähigkeit dem Nächsten gegenüber immer neu aus ihrer Begegnung mit dem eucharistischen Herrn geschöpft, und umgekehrt hat diese Begegnung ihren Realismus und ihre Tiefe eben von ihrem Dienst an den Nächsten her gewonnen. Gottes- und Nächstenliebe sind untrennbar: Es ist nur ein Gebot. Beides aber lebt von der uns zuvorkommenden Liebe Gottes, der uns zuerst geliebt hat‘ (DCE 18).“

Richtlinien des Lateinamerikanischen Bischofsrates

Anregungen zur Familienpastoral

Papst Franziskus hat in diesen Tagen eine breit angelegte Vorbereitung auf die 2015 in Rom stattfindende Bischofssynode über „Familie und Evangelisierung“ in die Wege geleitet. Allen Bischöfen wurde ein Schreiben mit 39 Fragen zugeleitet, welche die Weltkirche in den kommenden Monaten beschäftigen werden. Im Blick auf diese Thematik sind die Richtlinien von großem Interesse, welche die lateinamerikanischen Bischöfe zur Familienpastoral herausgegeben haben. Papst Benedikt XVI. hatte am 13. Mai 2007 im brasilianischen Marienwallfahrtsort Aparecida selbst die 5. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik eröffnet und mit einem Brief vom 29. Juni 2007 das Schlussdokument bestätigt. Die Deutsche Bischofskonferenz gab die Übersetzung des umfangreichen Dokuments in Auftrag und veröffentlichte es in der Reihe „Stimmen der Weltkirche“ als Nr. 41. Nachfolgend der Punkt 437 über die Familienpastoral.

Die lateinamerikanischen Bischöfe

Zum Schutz und zur Unterstützung der Familie kann die Familienpastoral unter anderem folgende Maßnahmen anregen:

a) Die anderen Pastoralbereiche, die Bewegungen und Vereinigungen für Ehe und Familie verpflichten, sich für die Familien einzusetzen und dabei gemeinsam vorzugehen.

b) Projekte anregen und die Familien dabei unterstützen, sich selbst und andere zu evangelisieren.

c) Mit Hinführungen zum Glauben die unmittelbare und die langfristige Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe und das Familienleben erneuern.[1]

d) Im Dialog mit den Regierungen und der Gesellschaft politische Entscheidungen und Gesetze zu Gunsten des Lebens, der Ehe und der Familie fördern.[2]

e) Bei der umfassenden Erziehung der Familienmitglieder speziell jene Mitglieder fördern, die sich in schwierigen Situationen – einschließlich ihrer Liebesbeziehung und der Sexualität – befinden.[3]

f) Pfarr- und Diözesanzentren zu einer Pastoral anregen, die sich ganzheitlich um die Familien kümmert, besonders um solche Familien, die sich in einer schwierigen Lage befinden: junge und allein erziehende Mütter, Witwer und Witwen, alte Menschen, verwahrloste Kinder usw.

g) Programme zur Fortbildung, Betreuung und Begleitung für verantwortete Vaterschaft und Mutterschaft anbieten.

h) Ursachen für Familienkrisen gründlich besprechen, um sie von allen Seiten her zu bearbeiten.

i) Für die Verantwortlichen in der Familienpastoral ständig lehramtliche und pädagogische Weiterbildung anbieten.

j) Mit Sorgfalt, Klugheit und einfühlsamer Nächstenliebe[4] die Paare begleiten, die in einer irregulären Situation leben, und dabei die Orientierungen des Lehramtes beachten, dass wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zugelassen sind.[5] Vermittlungsdienste sind erforderlich, damit die Botschaft von der Erlösung alle Menschen erreicht. Es ist dringend erforderlich, durch eine interdisziplinäre Arbeit von Theologie und Humanwissenschaften kirchliche Maßnahmen anzuregen, damit spezialisiertes Personal auf seinen Pastoraldienst für die Begleitung dieser Geschwister angemessen vorbereitet werden kann.

k) Angesichts der vielen Anträge auf Ehe-Nichtigkeitserklärung dafür sorgen, dass die kirchlichen Gerichte erreichbar sind und korrekt und schnell handeln.[6]

l) Hilfestellung geben, damit Waisenkinder oder verlassene Kinder aus christlicher Nächstenliebe heraus Möglichkeiten der Aufnahme und Adoption finden und in Familien leben können.

m) Für schwangere Kinder und Jugendliche, allein erziehende Mütter und unvollständige Familien Häuser gründen, in denen sie Aufnahme, spezielle Begleitung, Mitgefühl und Solidarität erfahren.

n) Bedenken, dass das Wort Gottes – sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament – uns ermahnt, die Witwen in besonderer Weise zu achten. Sie mit angemessenen Mitteln pastoral so begleiten, dass sie sich der neuen Situation, die für sie oft Verlassenheit und Einsamkeit bedeutet, gewachsen fühlen.


[1] Vgl. Päpstlicher Rat für die Familie, Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe, 13. Mai 1996, 19; Familiaris Consortio, 66.
[2] Vgl. Päpstlicher Rat für die Familie, Charta der Familienrechte, 22. Oktober 1983.
[3] Vgl. Benedikt XVI., Eröffnungsansprache, 5.
[4] Vgl. Familiaris Consortio, 84; Sacramentum Caritatis, 29.
[5] Vgl. Familiaris Consortio, 77.
[6] Vgl. Sacramentum Caritatis, 29.

Geistliche Impulse für die Adventszeit

Wieder einmal hat Dr. Peter Dyckhoff ein Quelle christlicher Spiritualität erschlossen, die uns mit wertvollen Impulsen bereichern und erfrischen kann. Im Herder-Verlag hat er dieses Jahr das Buch „Wege der Freundschaft mit Gott. Geistlich leben nach Franz von Sales“ veröffentlicht. Darin finden sich Anregungen, die sich ideal für die Adventszeit eignen.

Von Peter Dyckhoff

Sakrament der Versöhnung

Der Stich eines großen tropischen Skorpions kann für den Menschen tödlich sein. Ein altes Rezept sagt: Der zerquetschte Leib des Skorpions ist das beste Heilmittel gegen seinen eigenen Stich. Ähnlich verhält es sich mit den Sünden, die wir begehen. Die Beichte und unsere guten Vorsätze wandeln die giftige Substanz in uns um, sodass wir Heil und Heilung erfahren. Das Sakrament vertilgt die Sünde und vertreibt zusätzlich ihre Auswirkungen. Simon, der Pharisäer, in dessen Haus Jesus zu Gast war, bezeichnete Magdalena als Sünderin. Jesus hingegen erwähnte ihre Sünden nicht, sondern sprach nur mehr vom Salböl und der Größe ihrer Liebe (vgl. Lukas 7,44-50). In ihrer Demut und Liebe überwand Magdalena ihre Sündhaftigkeit, sodass der Herr ihre Schuld tilgte.

Wenn wir spüren, dass wir durch bestimmte Verhaltensweisen Gott beleidigt haben, wird es uns leidtun und wir werden ihn um Vergebung bitten. Es bedeutet für uns eine große Erleichterung, wenn wir dem Arzt das Übel nennen, das uns quält. Es ist wichtig, dass wir während der Beichte unser Herz öffnen und uns vorstellen, wie Jesus uns durch sein vergossenes Blut unsere Sünden nimmt. In gleicher Weise wie die Sünden verschwinden, strömt Gottes Segen in unser Herz und erfüllt es mit Liebe.

Sprich alles, was dich belastet, auf einfache und schlichte Weise aus. Damit entlastest du dein Gewissen und bringst deine Innerlichkeit wieder in Ordnung. Höre auf die Weisung, die dir der Diener Gottes gibt, bei dem du beichtest. Die folgende feierliche Erklärung möge dir eine Anregung geben, wie du antworten kannst.

Sich von Unnützem befreien

Spiele, Musik, gutes Essen und Trinken, Reisen, Mode und viele andere Liebhabereien sind von Natur aus gut und man sollte nichts Schlechtes gegen sie sagen. Sie führen in der Regel zur Freude und Entspannung und somit zum Guten. Doch besteht auch die Gefahr, wenn ich eine zu große Liebe zu diesen Dingen entwickle, dass Abhängigkeit eintritt und die Dinge mich eines Tages beherrschen und ich nicht mehr Herr über sie bin. Alles, an dem ich zu sehr hänge, führt in die Abhängigkeit. Ist das, was wir im Eigentlichen sind, nicht zu kostbar, um wahllos vertan zu werden?

Es gibt leider sehr viele Menschen, die abhängig sind. Sie lassen sich nicht nur von den Dingen, sondern auch von anderen Menschen beeinflussen, sodass sie sich kaum noch ihre eigene Identität entfalten können. Indem sie fremden Eindrücken und Einflüssen zu viel Raum gewähren, schwächen sie die eigenen Seelenkräfte, die dann zusammen mit anderen gesunden Lebenskräften mehr und mehr verkümmern. – Ist ein Hirsch zu fett, verbirgt er sich bei Gefahr gern im Gebüsch, anstatt vor seinen Verfolgern beizeiten davon zu laufen. Ähnlich ergeht es auch dem menschlichen Herzen. Belasten wir es mit einer übergroßen Liebe zu letztlich überflüssigen Dingen, verliert es seine Freiheit und die Offenheit zur entgegenkommenden Liebe Gottes. Unser Herz ist schwer und lässt sich immer weniger von der Gnade Gottes berühren und bewegen.

Es ist erheiternd und schön anzusehen, wenn kleine Kinder fasziniert und geschäftig Schmetterlingen nachlaufen. Würde sich ein Erwachsener so verhalten, wirkte es lächerlich. Es sind zwar keine Schmetterlinge, aber ganz unwichtige Kleinigkeiten, für die sich viele Menschen übermäßig engagieren und ereifern. Dieses Tun ist nicht nur unnütz, sondern hinterlässt auch im Menschen Spuren, die ihn aus dem gesunden Gleichgewicht bringen.

Spannkraft der Seele erneuern

Wenn ein Vogel seine Schwingen nicht ständig bewegt, fällt er zu Boden. Wir sollten des Öfteren unseren Entschluss erneuern, Gott zu dienen, unsere Gebetszeiten einzuhalten und regelmäßig die heilige Kommunion zu empfangen. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass sich unser Glaubensleben langsam verwässert und wir in einen früheren Zustand zurückfallen oder gar noch tiefer.

Jeder Mechanismus – wenn er gut funktionieren soll – muss sorgfältig gepflegt werden. Maschinen müssen generalüberholt werden, das heißt, sie werden regelmäßig gereinigt, von Rost befreit, geölt und abgenutzte Teile werden erneuert. Damit unsere Seele ihre Leichtigkeit behält oder sie gewinnt, wenn sie noch zu wenig vom Geist Gottes beflügelt ist, muss ihr zumindest einmal am Morgen und einmal am Abend Zeit und Raum gegeben werden, sich auf ihren Schöpfer hin zu entfalten. Zusätzlich sollte ihr so oft wie möglich die Begegnung mit Jesus Christus im Abendmahl gewährt werden. Außerdem sollte im Innehalten, im Gespräch mit dem geistlichen Begleiter und in der Beichte geklärt werden, was sie eventuell beschwert. Gerade durch den Empfang der Sakramente und durch ein heilbringendes Gespräch kann sie entlastet und wieder aufgerichtet werden.

Viele Christen haben das große Bedürfnis, sich wenigstens einmal im Jahr für ein paar Tage in die Einsamkeit zurückzuziehen, um ihren Glauben zu erneuern. Die Art und Weise solcher Exerzitien sollte mit dem geistlichen Begleiter genau abgesprochen werden. Es ist nicht nur gut, sich beizeiten in die geistige Einsamkeit zurückzuziehen, sondern zusätzlich auch äußere Stille und natürliche Einsamkeit zu suchen.

 

Peter Dyckhoff: Wege der Freundschaft mit Gott. Geistlich leben nach Franz von Sales. Gebunden mit Leseband, 400 Seiten. ISBN 978-3-451-32239-6. Homepage des Autors: www.PeterDyckhoff.de

Vorbild aller Mütter

Unter dem Titel „Maria, die Mutter des Herrn, und andere Mütter“ ist ein neues Buch erschienen. Autor ist der Augsburger Diözesanpriester Prälat Ludwig Gschwind (geb. 1940). In den vergangenen 30 Jahren hat er über 50 Schriften und Bücher veröffentlicht, die seine pastorale Erfahrung und seinen weiten Horizont widerspiegeln. Er ist ein sprühender Geist, ein begnadeter Erzähler, ein Seelsorger mit Leib und Seele. Kreativität und Fleiß verbinden sich mit einem tiefen Glauben. Die Früchte seiner Schaffenskraft sind ein Geschenk für das Reich Gottes, wie jetzt die beiden neuen Bücher über Mütter und Väter. Jeweils etwa 30 Beispiele aus den unterschiedlichsten Lebensumständen zeigen, was Vater- und Muttersein heißt, wie es besser – oder auch weniger gut – gelingen kann. Den Anfang macht Maria, die Mutter des Herrn.

Von Ludwig Gschwind

Die meisten Darstellungen Marias zeigen sie als Mutter mit Jesus, ihrem Sohn: Maria trägt das Jesuskind auf dem Arm. Denken wir an die Gnadenbilder von Altötting, Mariazell oder Einsiedeln. Jede Krippe verkündet das Geheimnis der Menschwerdung Gottes aus Maria, der Jungfrau. Nicht zuletzt ist es die Schmerzensmutter, die den toten Heiland in Händen hält, zu der die Menschen in ihren Nöten kommen. Zahlreiche Wallfahrtsorte verdanken ihren Ursprung einem Bild der schmerzhaften Madonna. In Maria sehen wir auch unsere Mutter und dies zu Recht, denn am Kreuz hat Jesus die Mutter seinem Lieblingsjünger Johannes und damit allen, die an ihn glauben, anvertraut. Maria will nicht, dass wir bei ihr stehen bleiben. Sie will uns zu Jesus führen. Sie will, dass wir das Wort Gottes hören und Jesus nachfolgen. Die Mutter tritt hinter den Sohn.

Maria wird zur Mutter des Herrn

Wir dürfen annehmen, dass in der Lebensplanung Marias kein Kind vorgesehen war. Dies bedeutete einen unvorstellbaren Verzicht. Denn nicht, um sich ihre Schönheit möglichst lange zu erhalten, ist Maria zu dem Entschluss gekommen, jungfräulich zu bleiben, auch nicht, weil sie sich selbst verwirklichen wollte oder ein Kind ihrer Karriere hinderlich gewesen wäre, sondern aus selbstloser Liebe zu Gott. Kinder waren Lebensinhalt und Lebensaufgabe für die Frauen dieser Zeit. Mehr noch: Für eine jüdische Frau erhöhte sich mit jedem Kind die Chance, dass sich in ihrer Familie die Messias-Hoffnung des auserwählten Volkes verwirklichen würde. Dies lässt das Opfer erahnen, das Maria bereit war zu bringen. Einerseits wollte sie sich ganz Gott schenken und zum anderen schied sie damit als mögliche Mutter des Messias aus. Entweder Jungfrau oder Mutter – und Maria wählte die Jungfräulichkeit.

Gottes Gedanken sind freilich nicht menschliche Gedanken, Gottes Pläne übersteigen menschliche Planungen. Gott hat Maria von Anfang an zur Mutter seines eingeborenen Sohnes erwählt. Als der Engel Gabriel in das Haus Marias eintrat, wurde sie mit Gottes Plänen bekannt gemacht. Obwohl sie vor einem Rätsel stand, sagte sie das entscheidungsvolle Ja. Sie sagte ihr Ja zum Willen Gottes. Sie sagte ihr Ja zum Kind. Mit ihrem Ja beginnt sie Mutter des Herrn zu sein.

Wenn wir von der „Mutter des Herrn“ sprechen, dann haben wir ihre hoheitsvolle Gestalt vor Augen, jene Frau, die Gott über alle Engel und Heilige gestellt hat. Wir überspringen dabei die Not, die Armut, das Leid, das Maria, die jungfräuliche Mutter des Herrn, durchmachen musste. Dies begann mit allerlei Verdächtigungen, denen sie in Nazareth ausgesetzt war. Ihr Bräutigam Josef rettete ihre Ehre. Er nahm Maria zu sich. Er sorgte für sie. Er schützte sie. Auf manchen Bildern, die den Besuch Marias bei ihrer Base Elisabeth schildern, kann man im Hintergrund Josef sehen. Obwohl die Heilige Schrift nicht davon spricht, haben die Künstler empfunden, dass ein so weiter und gefährlicher Weg nicht ohne Begleitung zu bewältigen war. Im Hause Elisabeths wird Maria erstmals als „Mutter des Herrn“ begrüßt und Maria preist die Größe des Herrn, der auf seine geringe Magd geschaut hat.

Miteinander gingen Josef und Maria nach Bethlehem. Der Stall war keineswegs die Idylle, die wir beim Anblick unserer schönen Krippen empfinden. Draußen vor der Stadt in der Schutzlosigkeit wurde das Kind geboren. Es fehlte an allem, darüber kann auch der Gesang der Engel nicht hinwegtäuschen. Stellten sich für Maria nicht viele Fragen? Nein, Maria fragte nicht. Sie erfüllte ihre Aufgabe als Mutter, indem sie ganz einfach für ihr Kind da war.

Der Besuch der Hirten im Stall rührte Maria. Die Worte der einfachen Leute, die vom Heiland und Retter, vom ersehnten Messias sprachen, erfüllten die Mutter mit dankbarer Freude, ebenso als der greise Simeon im Tempel Jesus als das Heil der Welt pries. Als freilich Simeon prophezeite, ihr Herz werde das Schwert des Schmerzes durchdringen, dann bestätigte ihr der Greis nur, was sie in der Vergangenheit erlebt hatte und für die Zukunft erahnte. Mit dem Ja zu ihrer Berufung als Mutter des Herrn hat Maria auch ihr Ja zum Leid gesprochen.

Maria, Mutter des Herrn und unsere Mutter

Die Prediger des Barock nannten sieben Schmerzen Mariens, um das Übermaß an Leid, das der Mutter Jesu beschieden war, anzudeuten. Die bittersten Stunden waren ohne Zweifel auf dem Weg nach Golgotha und dort unter dem Kreuz, bis man ihr schließlich den toten Sohn in den Schoß legte. Der Weg Jesu hatte sich vollendet. Der Wille des Vaters war vollbracht. In die Hände des Vaters konnte Jesus seinen Geist empfehlen. Der Weg Marias ging weiter. Sie bleibt die Mutter des Herrn, auch wenn Jesus sie Johannes anvertraut. Sie bleibt die Mutter des Herrn auch nach dem Karfreitag und dem Ostersonntag, aber sie wächst in eine neue Aufgabe hinein. Sie wird zur Mutter der Gläubigen, zur Mutter der Kirche. Mit den Aposteln betet sie nach der Himmelfahrt Christi um das Kommen des Heiligen Geistes, des Trösters und Beistandes. Für die Apostel betet sie, als sie hinausgehen in alle Welt, um die frohe Botschaft von der Erlösung allen Menschen zu verkünden.

Maria, die Mutter des Herrn, lehrt uns beten. Sie lehrt uns glauben. Sie lehrt uns, Ja zu den Plänen Gottes zu sagen, auch wenn wir sie nicht begreifen. Sie lehrt uns, das Wort Gottes zu hören und Jesus nachzufolgen. Wie jede Mutter will sie für ihre Kinder das Beste. Es ist der Himmel. Bei Gott sein zu dürfen, das ist ihre Freude. Diese Freude möchte sie mit uns teilen. Lassen wir uns von Maria an der Hand nehmen! Lassen wir uns von Maria führen! Vertrauen wir uns ihrer Fürsprache an, dann werden auch wir ans Ziel gelangen, das Jesus uns erworben hat.

 

Ludwig Gschwind: Maria, die Mutter des Herrn, und andere Mütter. Gebunden, 128 Seiten, ISBN 978-3-9815943-7-9. Zu bestellen unter Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5 oder via E-Mail an: buch@media-maria.de – www.media-maria.de

Der Pflegevater Jesu

Das Pendant zum Buch über die Mütter trägt den Titel „Der Pflegevater Jesu und andere Väter“. Prälat Ludwig Gschwind stellt Väter aus der Bibel vor, wie die Patriarchen Abraham, Jakob und König David, jedoch auch Väter, denen es nicht gelang, ein gutes Verhältnis zu ihren Kindern aufzubauen, wie der Vater von Franz Kafka, Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Aus all diesen Lebensgeschichten ist ersichtlich, dass Kinder Väter brauchen, die ihnen Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Ein einzigartiges Vorbild dafür ist der hl. Josef, der im Leben Jesu die Rolle des sorgenden Vaters übernahm. Sein Ja zum Willen Gottes zeigt seinen edlen Charakter. Gschwind zeigt, dass sein Vorbild zur Rollenfindung des Vaters in unserer Gesellschaft beitragen kann. Die beiden Beiträge über Maria und Josef passen ideal zur Weihnachtszeit.

Von Ludwig Gschwind

Zum Vater berufen

Wir leben in einer Zeit großer Veränderungen. Nichts kann so bleiben wie es war. Alles muss neu durchdacht werden. Jede Frau, die eine Führungsrolle in der Wirtschaft und Politik übernimmt, wird mit Beifall bedacht. Jeder Mann, der sich für Erziehungsurlaub und Hausarbeit entscheidet, darf damit rechnen, als „fortschrittlich“ bezeichnet zu werden. Während Frauen den Beruf der Mutter zur Nebenbeschäftigung erklären, gibt es Männer, die ihre Vaterrolle zum Hauptberuf machen. Man wird dies als Fortschritt bezeichnen können, wenn Väter ihre Aufgabe in der Erziehung der Kinder wahrnehmen, denn es gab ja Zeiten, in denen Väter dieses Feld völlig den Müttern überließen. Man spricht sogar von einer „vaterlosen Generation“ und meint damit jene Generation, die im Krieg und in den Nachkriegsjahren aufgewachsen ist. Die Psychologen haben den Ausfall der Väter als erhebliches Defizit für den Reifeprozess erkannt. Man kann auf den Vater nicht verzichten. Dies hat auch Gott bei der Menschwerdung seines eingeborenen Sohnes deutlich gemacht.

Gott hat sich nicht für eine alleinerziehende Mutter entschieden, sondern für eine Frau, die an der Seite eines Mannes lebt. Als ledige Mutter wäre Maria ins gesellschaftliche Abseits geraten. Als uneheliches Kind hätte Jesus zeitlebens mit erheblichen Vorurteilen zu kämpfen gehabt. Maria hat ihr Ja zum Willen Gottes ohne jeglichen Vorbehalt ausgesprochen. Maria konnte nicht wissen, wie sich ihr Verlobter Josef entscheiden wird. Die Heilige Schrift lässt keinen Zweifel an seinem edlen Charakter. Josefs Ja zum Willen Gottes zeigt nicht nur einen edlen Charakter, sondern auch einen tiefen Glauben. Das Wort des Engels im Traum genügt ihm, um Maria bei sich aufzunehmen und damit das Kind, das sie unter ihrem Herzen trägt. Josef übernimmt die Rolle des Vaters.

Josef gibt Jesus seinen Namen. Der Evangelist Matthäus macht dies deutlich, wenn er die ganze Geschlechterfolge aufzählt, um nachzuweisen, dass Jesus aus dem Hause und Geschlechte Davids stammt. Damit erfüllt sich die messianische Weissagung an David, die durch die Propheten immer wieder bestätigt wurde. Es wird später heißen, er sei der Sohn Josefs, des Zimmermanns aus Nazareth. Im Auftrag Gottes tritt Josef auf, als es darum geht, dem Kind einen Rufnamen zu geben. Die Begebenheit im Haus des Zacharias, als Elisabeth ihren Sohn Johannes nennt und die Verwandten dagegen Einspruch erheben, ist ein klarer Hinweis, dass im Judentum der Vater den Namen des Kindes bestimmt.

Sorge für die Familie

Die Hl. Schrift zeigt uns Josef als sorgenden Vater, der alles auf sich nimmt, was für das Kind und seinen Schutz wichtig ist. Die Flucht nach Ägypten gehört ebenso dazu wie die Suche nach dem 12-jährigen Jesus. Wenn Jesus später als der Sohn des Zimmermanns bezeichnet wird, dann kommt darin zum Ausdruck, dass er das Handwerk des Vaters gelernt hat. Die hohe Wertschätzung der körperlichen Arbeit unterscheidet das jüdische Volk von all seinen Nachbarvölkern, die dies für unter ihrer Würde ansahen. Jesus ist imstande, sich und eine Familie zu ernähren.

Josef überzeugt durch seine Bescheidenheit. Den Willen Gottes nimmt er an. Seine Lebenspläne ordnet er Gottes Plänen unter. Der Frau an seiner Seite ist er ein verständnisvoller Partner. Dem Kind, das ihm anvertraut wird, ist er Ernährer und Beschützer. Es erlebt einen arbeitenden und betenden Vater. Es erlebt die Ruhe des Sabbats und seine Heiligung. Es erlebt die religiösen Feste und vor allem Pascha. Das Bild dieses Vaters vor Augen, der seiner Aufgabe gerecht wird, könnte zur Rollenfindung des Vaters in unserer Gesellschaft beitragen.

Kinder brauchen Väter. Sie brauchen Väter, die ihnen Geborgenheit und Sicherheit geben. Sie brauchen Väter, die ihnen den Wert der Arbeit vermitteln. Sie brauchen Väter, die ihnen die Kraft des Glaubens vorleben. Sie brauchen Väter, die sie schließlich in die Freiheit entlassen. Nicht die großen Worte sind gefragt, sondern die stillen Taten. So gesehen ist der heilige Josef alles andere als eine Randfigur der Heilsgeschichte.

 

Ludwig Gschwind: Der Pflegevater Jesu und andere Väter. Gebunden, 112 Seiten. ISBN 978-3-9815943-8-6. Zu bestellen unter Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5 oder via E-Mail an: buch@media-maria.de – www.media-maria.de

Über die Arbeit der Kirche in den Ländern am Persischen Golf

Ein Zuhause in der Fremde

In Ländern wie Bahrain, Katar oder Kuwait ist der Islam Staatsreligion. Dennoch kann die katholische Kirche auf den ihr zugewiesenen Territorien vollkommen frei wirken. Hunderttausende von Katholiken finden in diesen „Oasen“ ein Zuhause. Denn fast alle von ihnen sind Migranten, die in den Golf-Staaten für sich und ihre daheimgebliebenen Verwandten Geld verdienen. In die Zusammenhänge gibt uns Stefan Stein, Mitarbeiter von „Kirche in Not“, einen interessanten Einblick.

Von Stefan Stein

Wer an Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten denkt, dem kommen vermutlich zuerst die luxuriösen Hotels wie das Burj al-Arab, die glitzernden Fassaden der Hochhäuser oder die modernen Einkaufspassagen in den Sinn. Viele Touristen, die die Metropole am Persischen Golf besuchen, sehen während ihres Besuchs auch nicht mehr. Manche buchen vielleicht noch bei ihrem Reiseveranstalter einen Ausflug in die Wüste. Dennoch lohnt sich eine Fahrt mit der Metrobahn bis zur Station Oud Metha Street. Nur wenige Meter von der Haltestelle entfernt, gleich neben der großen Moschee, liegt die St. Mary’s Church. Von außen ist es ein eher schmuckloser Betonbau. Doch wenn die Menschen zum Gottesdienst strömen, füllt sich das ganze Gelände, auf dem die Kirche steht, mit Leben. Zum Gottesdienst strömen? Ja, die vielen Gläubigen werden von der Kirche quasi wie von einem riesigen Magneten angezogen. Selbst an einem ganz normalen Werktag kommen 2000 Kirchenbesucher zu einem Gottesdienst, darunter viele Kinder und Jugendliche. Dieses Bild ist in Deutschland leider nicht vorstellbar. Zum einen gibt es kaum Kirchen, die so viele Menschen fassen können, zum anderen gibt es selbst an kirchlichen Hochfesten immer noch freie Plätze.

Doch in den Staaten auf der Südseite des Persischen Golfs sind volle Kirchen ein ganz normales Bild. Die wenigen katholischen Gemeinden, die es in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Bahrain, Katar oder Kuwait gibt, sind viel größer als die Pfarreien hierzulande. Allein in der Pfarrei in Dubai leben schätzungsweise so viele Katholiken wie im gesamten Erzbistum Hamburg – knapp 400.000. Genaue Statistiken, wie viele Katholiken in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder anderen arabischen Ländern leben, gibt es nicht. Obwohl in den genannten Ländern der Islam Staatsreligion ist, den Alltag bestimmt und Moscheen fast an jeder Ecke zu finden sind, können Katholiken völlig frei einen Gottesdienst besuchen. Den Pfarreien ist vom jeweiligen Herrscher, also Emir oder König, ein Stück Land gegeben worden, auf dem sie eine Kirche bauen konnten. Innerhalb dieses Pfarreigeländes können die Priester ihrer pastoralen Arbeit nachgehen und die Gläubigen beten und Gottesdienste feiern. In Saudi-Arabien ist dagegen ein öffentliches Bekenntnis zum Christentum verboten. Aber auch dort leben über eine Million Katholiken.

Die Kirche in den arabischen Staaten ist eine Kirche der Migranten. Einheimische Christen gibt es fast gar nicht. Daher finden sich unter den Katholiken vorwiegend Philippiner und Inder. Allein in den Vereinigten Arabischen Emiraten leben 400000 Philippiner! Sie sind aber nicht dorthin gezogen, weil es dort besonders schön ist, sondern aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Hier finden viele Menschen Arbeit: die Männer häufig auf Baustellen, die Frauen in Krankenhäusern oder als Hausmädchen. Viele der Einwanderer leben alleine und einsam in den Golfstaaten, während ihre Familien in ihren Heimatländern geblieben sind. Jeden Monat schicken sie einen Teil ihres Lohnes an ihre Lieben daheim, um die Bildung für die Kinder zu garantieren, die Familien zu unterstützen oder für ein Haus zu sparen. Einmal im Jahr fahren sie dann in ihre Heimatländer, um sie zu besuchen. Es kommt aber auch vor, dass die Arbeitgeber nur alle zwei Jahre einen Heimatbesuch erlauben.

Doch es gibt etwas, das alle Einwanderer  – egal, ob sie aus Indien, Philippinen oder Pakistan kommen – verbindet und ein Zuhause in der Fremde gibt: der christliche Glaube und die Pfarrei. Hier erfahren sie Stärkung im Glauben. Hier erleben sie Gemeinschaft. Hier können sie ihre bekannten Traditionen pflegen. Hier können sie für einige Zeit ihre Einsamkeit in einem fremden Land vergessen. Hier kommen die Menschen mit ähnlichen Schicksalen zusammen. Hier können sie Freunde und Gleichgesinnte treffen. Hier können sie in ihrer Muttersprache beten, mit anderen Gläubigen sprechen und werden verstanden. Hier erfahren sie Hilfe bei finanziellen oder gesundheitlichen Problemen oder bei Schwierigkeiten auf der Arbeitsstelle.

Diese Pfarreien, diese Zentren des katholischen Glaubens inmitten einer muslimisch geprägten Gesellschaft, werden immer wichtiger, denn immer mehr Menschen aus christlich geprägten Ländern werden in den nächsten Jahren in die arabischen Länder ziehen. Und immer mehr und immer größere Bauprojekte brauchen immer mehr Arbeiter: seien es Wolkenkratzer, künstliche Palmeninseln für Luxuswohnungen oder Fußball-Stadien, wie sie derzeit in Katar für die Weltmeisterschaft 2022 entstehen. Der Größenwahn kennt kein Ende: bisher steht in Dubai mit 828 Metern das höchste Haus der Welt, in Kuwait und Saudi-Arabien sind Türme von über 1000 Metern Höhe geplant.

Doch davon haben die Arbeiter aus Indien und von den Philippinen nicht viel, denn sie können sich eine Luxuswohnung oder einen Einkaufsbummel in den zahlreichen Einkaufspassagen nicht leisten. Bei einem durchschnittlichen Gehalt von ungefähr 300 Euro im Monat sind für einen Arbeiter keine großen Sprünge möglich. Die Kirche kann diese finanziellen Schwierigkeiten zwar nicht lösen, aber sie bemüht sich, diese Lebensumstände für die Einwanderer erträglicher und leichter zu machen. Es gibt zum Beispiel Schulen in kirchlicher Trägerschaft, an denen die Schulgebühren wesentlich niedriger sind als an staatlichen Schulen. Oder in Bahrain geht der Großteil der Gebühr für die Katechese in Form von Geschenken wieder an die Kinder zurück.

Ohne die Hilfe von tausenden Freiwilligen könnten die Priester die Arbeit in den Pfarreien nicht bewältigen. Die Katechese in den Vereinigten Arabischen Ländern, in Bahrain, Katar und Kuwait liegt in den Händen der Laien. Sie opfern ihre Freizeit, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Glauben zu unterweisen. Dafür werden sie regelmäßig geschult. Für die Katechese wird immer wieder geeignetes Material benötigt, besonders für Kinder. Mehrmals im Jahr treffen sich die Katecheten aus mehreren Ländern, um sich zu beraten und neue Ideen für die Katechese auszutauschen. In Zukunft werden sich viele von ihnen in dem kleinen Inselstaat Bahrain treffen. Das Land ist flächenmäßig ungefähr so groß wie Hamburg. Dort entsteht demnächst ein neues geistliches Zentrum für das Apostolische Vikariat Nördliches Arabien, zu dem neben Bahrain auch die Länder Katar, Kuwait und Saudi-Arabien gehören. Die Planungen dafür sind bereits in vollem Gange, und „Kirche in Not“ wird dieses Zentrum voraussichtlich finanziell unterstützen. Anfang 2014 soll der Grundstein dafür gelegt werden. Ab 2016 kommen hier Priester und Katecheten zu Tagungen, Gesprächen und Treffen zusammen. Außerdem wird eine neue Kathedrale mit knapp 2000 Sitzplätzen errichtet. Das hört sich für deutsche Ohren möglicherweise viel an, aber wer mit eigenen Augen gesehen hat, dass wirklich so viele Menschen in die Gottesdienste und zu den Katechesen kommen, der erkennt, dass dieser Platz tatsächlich gebraucht wird. Und auch diese neue Pfarrei wird für viele Einwanderer und Katholiken ein neues Zuhause in der Fremde sein.

Hirntod – Organspende

Leben retten durch Töten ist absurd

Nach der Änderung des Transplantationsgesetzes 2012 soll jeder Bürger in Deutschland in regelmäßigen Abständen von seiner Krankenkasse nach seiner Bereitschaft zur Organspende befragt werden. Der Gesetzgeber schreibt auch eine breite Aufklärung der Bevölkerung vor. Prof. Dr. Wolfgang Waldstein ist der Ansicht, dass diese Pflicht nicht zureichend erfüllt wird. Vor allen Dingen müsste bekannt gegeben werden, dass ein Mensch, dessen Organe für eine Transplantation entnommen werden, noch lebe. Er sterbe erst auf dem Operationstisch durch die Organentnahme. Die Tatsache der Tötung werfe juristische Fragen auf und fordere sowohl den Rechtsstaat als auch die Kirche heraus. Nachfolgend aufsehenerregende Auszüge aus einem Interview, das die Ärztin Dr. Regina Breul mit Prof. Waldstein geführt und in dem Buch „Hirntod – Organspende … brisant und ehrlich“ veröffentlicht hat.

Von Wolfgang Waldstein

Die eigentliche Absicht des Harvard Reports

Im Jahr 1987 hatte ich in den Vereinigten Staaten die Gelegenheit, Prof. Alan Shewmon zu treffen. Durch die klinische Praxis hatte er zunehmend erkannt, dass der Hirntod einfach nicht den Tod des Menschen bedeuten kann. Die Patienten, denen die Organe entnommen wurden, waren offensichtlich nicht tot. Erst durch die Organentnahme trat definitiv der Tod ein.

Damals bin ich überhaupt zum ersten Mal mit diesem Problem in Berührung gekommen. Es hat mich dann doch sehr beschäftigt, dass hier eine weltweite Organisation entstanden ist, in der einfach Organe nach dem Hirntod-Kriterium entnommen werden. Erst dann habe ich, um mich genauer zu informieren, den Text dieses Harvard-Reports gelesen und gesehen, dass dieser als Hauptzweck erklärt, dass eine Möglichkeit gefunden werden musste, vitale Organe entnehmen zu können, und dass dafür eine neue Todesdefinition notwendig war.

Dazu wird dann noch weiter gesagt, dass auch die Erfahrung gezeigt habe, dass Menschen, die an Hirntod gelitten haben und dann zwar durch Behandlung wieder einigermaßen hergestellt werden konnten, meistens irgendwie hirngeschädigt geblieben sind und dann oft schwer behindert waren, was für die Angehörigen und für die Betroffenen selbst sehr unangenehm ist. Diese Argumente waren mir schon irgendwie bekannt. Es waren eigentlich die Argumente, die auch bei der Euthanasie-Diskussion in der NS-Zeit gebraucht wurden. Dies war sozusagen das zweite Argument für den Hirntod. Diese beiden Argumente sind publiziert, sind bekannt und es ist keine Rede davon und kann keine Rede davon sein, dass es dem Harvard-Report darum ging, den wirklichen Todeszeitpunkt des Menschen festzustellen.

Es war eine zweckgerichtete Feststellung – zum Zweck, vitale Organe erhalten zu können. Diese können jedoch nur von einem noch lebenden Körper gewonnen werden.

In der Tagespost vom 4.9.2012 wurde auf S. 3 ein ganzseitiger Beitrag der Soziologin Alexandra Manzei veröffentlicht, in dem sie auf die Probleme von „Organspende und Hirntod“ einging. Ich kann in diesem Zusammenhang nur folgende Aussagen wiedergeben: „Seit zwanzig und mehr Jahren wird den Menschen gesagt, dass es sich bei Hirntoten um ganz normale Leichen handle. Das ist aber nicht der Fall. Um es einmal sehr einfach auszudrücken: Leichenteile kann man nicht verpflanzen; Leichenteile würden den Empfänger vergiften. Verpflanzen kann man nur Organe von einem lebenden Organismus.“

Als Mitglied der „Päpstlichen Akademie für das Leben“

In der weiteren Entwicklung wurde ich Mitglied der von Papst Johannes Paul II. neu gegründeten „Päpstlichen Akademie für das Leben“. Dort habe ich feststellen müssen, dass der Präsident und der damalige Vizepräsident beide vollkommen für das Hirntod-Kriterium eingestellt waren.

Als im Jahr 2000 die „Päpstliche Akademie für das Leben“ gebeten wurde, die Ansprache des Papstes vor dem „Internationalen Kongress für Organverpflanzung“ im Jahr 2000 vorzubereiten, wurde ein Text ausgearbeitet, der mit sehr schlauen und vorsichtigen, aber im Effekt doch klaren Formulierungen erreichen sollte, dass der Papst bei dieser Ansprache das Hirntod-Kriterium als vonseiten der Kirche gerechtfertigt und anerkannt erklären sollte.

Zunächst wurde dieser Text der Glaubenskongregation vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt war Kardinal Ratzinger, der damalige Präfekt dieser Kongregation, nicht in Rom, sondern in Südamerika.

Die Glaubenskongregation hat den Text überprüft und noch Präzisionen eingefügt; aber letzten Endes wurde er dem Papst zugeleitet und die Ansprache wurde gehalten. Sie wurde dann sofort als kirchliche Anerkennung des Hirntod-Kriteriums interpretiert.[1]

Hochrangige amerikanische Wissenschaftler haben jedoch, als diese Erklärung bekannt wurde, an den Papst geschrieben und ihm ihre schweren Bedenken zu dieser Ansprache vorgetragen. Diese Briefe sind auch der „Päpstlichen Akademie für das Leben“ zur Kenntnis gebracht worden. Es herrschte bei den Vertretern des Hirntod-Kriteriums im Consiglio direttivo der „Päpstlichen Akademie für das Leben“, dem ich damals angehörte, Empörung über diese Briefe der amerikanischen Wissenschaftler. Es wurde erklärt: „Sie verweigern dem Papst den Gehorsam.“ Nun, Gehorsam wurde hier für etwas verlangt, dem man bei besserem Wissen gar nicht gehorchen durfte.

Dass der Papst durch den Text, der von der „Päpstlichen Akademie für das Leben“ stammte, tatsächlich irregeführt wurde, hat er dann selbst erkannt. Daher hatte er den Wunsch, dass diese Erklärung aus dem Jahre 2000 durch einen neuen Kongress überprüft und korrigiert werden sollte.

Kongress „Zeichen des Lebens“ im Jahr 2005

Dieser Kongress „Signs of Life“ fand im Februar 2005 statt und ist zu dem ganz klaren Ergebnis gekommen, dass der Hirntod nicht den Tod des Menschen bedeutet. Der Tod des Menschen wird dann, wenn man das Hirntod-Kriterium anwendet, erst durch die Organentnahme herbeigeführt. Ich kann aus den Conclusions dieses Kongresses nur die entscheidenden Nummern 10 und 11 wiedergeben. Sie lauten:

„10. Es gibt einen überwältigenden medizinischen und wissenschaftlichen Befund, dass das vollständige und unwiderrufliche Ende aller Gehirntätigkeit (im Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm) kein Beweis für den Tod ist. Der vollkommene Stillstand von Gehirnaktivität kann nicht hinreichend festgestellt werden. Irreversibilität ist eine Prognose und nicht eine medizinisch feststellbare Tatsache. Wir behandeln heute viele Patienten mit Erfolg, die in der jüngsten Vergangenheit als hoffnungslose Fälle betrachtet worden waren.

11. Eine Diagnose des Todes durch neurologische Kriterien allein ist Theorie, keine wissenschaftliche Tatsache. Sie reicht nicht aus, die Lebensvermutung zu überwinden.“

Der Kongress 2005 fand in der „Päpstlichen Akademie der Wissenschaften“ statt. Der damalige Kanzler der Akademie, Bischof Marcélo Sánchez Sorondo, war über das Ergebnis dieses Kongresses dermaßen schockiert, dass er die Publikation der Akten verbot. Das, was Papst Johannes Paul II. gewünscht hatte, die Klarstellung, dass der Hirntod nicht den Tod des Menschen bedeutet, durfte nicht publiziert werden. Dies ordnete der Kanzler der „Päpstlichen Akademie der Wissenschaften“ an. Dem schloss sich wohl auch die „Päpstliche Akademie für das Leben“ an. Das war eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, denn damit wurde verhindert, dass die vom Papst gewünschte Korrektur der Ansprache von 2000 bekannt gemacht werden konnte.

Das Ergebnis dieses Kongresses war eindeutig. Bekannt gemacht werden konnte diese Korrektur dann leider nur durch Publikationen, unabhängig von der „Päpstlichen Akademie der Wissenschaften“. Die bei diesem Kongress gehaltenen Vorträge sowie Texte von Vortragenden, die zum Kongress eingeladen waren, aber wegen ihres Textes nicht zugelassen wurden, wie ich selbst, wurden vom Vizepräsidenten des Consiglio Nazionale delle Ricerche, Roberto de Mattei, 2006 in englischer Sprache unter dem Titel Finis Vitae, Is Brain Death Still Life?[2] veröffentlicht. Meine Erfahrung ist, dass von dem Kongress im Jahr 2005 praktisch niemand, der nicht zufällig damit zu tun hatte, Kenntnis bekam.

Das Töten des Organspenders wird zugegeben

Inzwischen hat der Medizinethiker Prof. Robert Truog, ein Anästhesist und Kinderarzt, in einem Artikel mit dem Titel Is It Time To Abandon Brain Death?[3] gewagt, einen Schritt in Richtung Wahrheit zu gehen, indem er sagte: The most difficult challenge for this proposal would be to gain acceptance of the view that killing may sometimes be a justifiable necessity for procuring transplantable organs („Die schwierigste Herausforderung für diesen Vorschlag würde sein, die Akzeptanz für die Auffassung zu gewinnen, dass Töten manchmal eine zu rechtfertigende Notwendigkeit sein kann, um übertragbare Organe zu beschaffen“). Das ist zumindest ehrlich.

Auch diejenigen, von denen die „Neudefinition“ des Todes eingeführt wurde, haben inzwischen selbst öffentlich erklärt, dass die Anwendung des Hirntod-Kriteriums die Tötung des Spenders mit sich bringt. Im Hastings Center Report veröffentlichte Prof. Robert Truog gemeinsam mit Prof. Franklin Miller, National Institutes of Health, einen Artikel mit dem Titel: Rethinking the Ethics of Vital Organ Donation („Überdenken der ethischen Normen bei vitalen Organspenden“).[4] Sie geben zu, dass the practice of brain death in fact involves killing the donor („das Verfahren des Gehirntodes schließt das Töten des Spenders ein“). Daher müsste die dead donor rule[5] aufgegeben werden. Das Töten des Patienten durch Organentnahme sollte als justified killing („gerechtfertigtes Töten“) angesehen werden. Wer kann aber diese Tötung rechtfertigen? Es ist eine Tötung, mit der das Lebensrecht des Spenders schlicht missachtet wird. Es ist eine Tötung, die gegen das Tötungsverbot und gegen den Lebensschutz, der ja auch international in den Menschenrechtserklärungen festgehalten ist, verstößt. Das alles wird einfach missachtet, wenn es darum geht, Organe für Transplantationen zu erlangen und die Tötung im Schutz des weißen Mantels erfolgt. Sie ist deswegen nicht weniger eine Tötung und ist deswegen nicht weniger ein Unrecht und ist einfach ein Verbrechen, das bis jetzt als solches kaum zur Kenntnis genommen wird. Diese Tötungen kann niemand rechtfertigen. Der Zweck der Heilung eines anderen Menschen kann das Unrecht der Tötung des Organspenders nicht rechtfertigen.

Papst Johannes Paul II. hatte bereits in einer Stellungnahme am 14.12.1989[6] für einen von der „Päpstlichen Akademie der Wissenschaften“ veranstalteten Kongress über die Bestimmung des Todeszeitpunktes erklärt:

„Es scheint sich tatsächlich ein tragisches Dilemma aufzutun: Einerseits sieht man die dringende Notwendigkeit, Ersatzorgane für Kranke zu finden, die in ihrer Schwäche sterben würden oder zumindest nicht wieder genesen können. Mit anderen Worten, es ist verständlich, dass ein Kranker, um dem sicheren oder drohenden Tod zu entgehen, das Bedürfnis hat, ein Organ zu empfangen, welches von einem anderen Kranken bereitgestellt werden könnte. In dieser Situation zeigt sich jedoch die Gefahr, dass man einem menschlichen Leben ein Ende setzt und endgültig die psychosomatische Einheit einer Person zerstört. Genauer, es besteht eine wirkliche Wahrscheinlichkeit, dass jenes Leben, dessen Fortsetzung mit der Entnahme eines lebenswichtigen Organs unmöglich gemacht wird, das einer lebendigen Person ist, während doch der dem menschlichen Leben geschuldete Respekt es absolut verbietet, dieses direkt und positiv zu opfern, auch wenn dies zum Vorteil eines anderen Menschen wäre, bei dem man es für berechtigt hält, ihn derart zu bevorzugen.“

Unzählige Heilungen nach Feststellung des Hirntods

Wenn man sagt, es ist ein Dienst der Liebe, dem Empfänger das Organ zu spenden, ist es dann ein Dienst der Liebe für den Spender, dass man ihm das Organ nimmt und ihn für seinen Dienst der Liebe tötet? Es wird hier offenbar mit zweierlei Maß gearbeitet.

Zahlreiche Fälle, in denen Menschen nach der Erklärung des Hirntods bei richtiger Behandlung völlig geheilt wurden, sind inzwischen bekannt. Sie sind keine Erfindungen. Es wird trotzdem offiziell bestritten, dass so etwas überhaupt möglich sei, dass nach Feststellung des Hirntodes jemand geheilt werden könnte. Aber die Realität beweist das Gegenteil. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen. Ich kann nur einige bezeugte Fälle anführen, die mir bekannt geworden sind:

Der Professor für Kinderheilkunde an der Medizinischen Universität in Ohio /USA, Dr. Paul Byrne, machte bereits 1975 eine Erfahrung, die ihm die Problematik des Hirntod-Kriteriums vor Augen führte. Ein Kind, Patient Joseph, war bereits sechs Wochen (ja, wirklich sechs Wochen) künstlich beatmet worden und das EEG wurde als dem Hirntod entsprechend interpretiert. Prof. Byrne entnahm aber die Organe nicht, obwohl er mehrfach dazu gedrängt wurde, und setzte die Behandlung fort. Das Kind wurde gerettet.

Prof. Byrne hat bei dem von der „Päpstlichen Akademie der Wissenschaften“ veranstalteten Kongress 2005 über diesen Fall berichtet. Zu diesem Zeitpunkt war Joseph verheiratet und Vater von zwei Kindern. Beruflich war er Feuerwehrmann mit medizinischen Interessen. Hätte Prof. Byrne nach den Kriterien der Hirntod-Diagnose gehandelt, wäre dieses Leben definitiv zerstört worden. Diese klinische Erfahrung gab ihm bereits 1975 die Gewissheit, dass der Hirntod nicht den Tod des Menschen bedeuten kann. Der Bericht von Prof. Byrne über den Fall ist im Band Finis Vitae, S. 65, zu finden.

Ein 1995 vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlter Fernsehfilm Tot oder lebendig[7] setzte sich eingehend mit dem Problem des Hirntods auseinander. In diesem Film wurde unter anderem der Fall von Jan Kerkhoffs berichtet, bei dem nach einem Autounfall mit Schädel-Hirn-Trauma der Hirntod diagnostiziert wurde. Seine Frau wurde gebeten, die Organentnahme zu erlauben. Die Frau aber war aufgrund der Tatsache, dass Herzfunktion, Blutdruck und alle anderen Lebensfunktionen normal waren, der Überzeugung, dass ihr Mann lebe. Daher gab sie nicht die Zustimmung zur Organentnahme. Tatsächlich erwachte der Mann wieder aus der Bewusstlosigkeit, wurde geheilt und lebt wieder gesund. Er konnte in dem Fernsehfilm mit seiner Frau gemeinsam über die Vorgänge um diese Hirntod-Erklärung berichten. Vonseiten der Transplantationsmedizin kam es zu empörten Reaktionen. Jan Kerkhoffs bekam eine Aufforderung, nie mehr über diese Fehldiagnose in der Öffentlichkeit zu sprechen, da dies der Organspendebereitschaft schaden würde. Man darf solche, für die Transplantationsmedizin unangenehmen Tatsachen nicht über das Fernsehen bekannt machen.

In Kirche heute, 3/2013, S. 22, prangert Anton Graf von Wengersky vor allem die Art an, wie die Öffentlichkeit bewusst ungenügend informiert wird, und zitiert Prof. Dr. Robert Pichlmayr, den Nestor der deutschen Transplantationsmedizin: „Wenn wir die Gesellschaft aufklären, bekommen wir keine Organe mehr!“ Also soll die Gesellschaft nicht wissen, was wirklich geschieht. Die Organbeschaffung hat Vorrang und darf über Leichen gehen.

Besonders dramatisch war der Fall des Priesters Don Vittorio Mazzucchelli vom Institut Christus König und Hoher Priester. Nach einem schweren Autounfall wurde er für hirntot erklärt und bereits für die Organentnahme vorbereitet. Es war die normale, in einer angesehenen Klinik in Florenz durchgeführte Hirntod-Diagnose, die dann zur Vorbereitung der Organentnahme führte. Eine „Fehldiagnose“ war es aber schon deswegen, weil, wie bei dem Kongress von 2005 klargestellt wurde, der „Hirntod“ als solcher nicht den Tod des Menschen bedeutet. Der Generalobere des Instituts konnte jedoch noch rechtzeitig gegen die Organentnahme protestieren und die Verlegung in ein anderes Krankenhaus verlangen. Das ist wichtig. Denn nur wenn eine Verlegung des Patienten in ein anderes Krankenhaus durchgeführt wird, kann man auf Rettung hoffen. In dem Krankenhaus, in dem man die Organentnahme verweigert hat, kann man keine Bereitschaft für lebenserhaltende Maßnahmen für den als hirntot erklärten Menschen erwarten. Durch die im anderen Krankenhaus erfolgte Pflege kam Don Vittorio wieder zum Bewusstsein und wurde schließlich vollständig geheilt. Er kann wieder seinem priesterlichen Dienst uneingeschränkt nachgehen. Niemand wird bestreiten können, dass er durch die vorgesehene und bereits vorbereitete Organentnahme getötet worden wäre. Aber sein Oberer konnte sein Leben sozusagen im letzten Augenblick retten. Und solche Fälle sind inzwischen zahlreich bezeugt. Ich habe über mehrere solcher Fälle, an denen auch junge Menschen beteiligt waren, immer wieder berichtet.

Ich möchte hier noch zwei Beispiele anführen, in denen zwei Jugendliche nach Motorradunfällen mit Schädel-Hirn-Traumata bei unterschiedlicher Reaktion der behandelnden Ärzte unterschiedliche Schicksale erlitten. Den einen ließ der im betreffenden Krankenhaus arbeitende Transplantationsbeauftragte nach Feststellung des Hirntods sofort mit dem Hubschrauber in das Allgemeine Krankenhaus (AKH) in Wien transportieren, wo ihm die Organe entnommen wurden. Beim anderen konnte es der behandelnde Arzt im gleichen Krankenhaus verhindern, dass er abtransportiert wurde. Sein Unfall geschah gerade kurz vor seiner Matura im Sommer. Er wurde in der Intensivstation behandelt und wurde gerettet. Im Herbst konnte er seine Matura nachholen. Wäre er auch ins AKH nach Wien geflogen worden, wie es der Transplantationsbeauftragte wollte und den Hubschrauber bereits bestellt hatte, hätte es die Matura nicht mehr gegeben, sondern nur die Beerdigung einer entleerten Leiche.

Der brasilianische Arzt Cicero G. Coimbra hat nachgewiesen, dass gerade bei Kindern und Jugendlichen bestimmte Behandlungsmethoden bei einem Schädel-Hirn-Trauma die Rettung bewirken können, dass aber gerade bei diesen das Interesse an den wertvollen Organen dermaßen überwiegt, dass die Rettung meist gar nicht erst versucht wird. So zeigt sich, dass die Transplantationsmedizin dazu geführt hat, dass man bei Kopfverletzungen mit Hirntrauma vom Krankenhaus nicht mehr den Versuch der Rettung des Patienten erwarten darf. Krankenhäuser haben sich weithin in Einrichtungen zur Organbeschaffung verwandelt. Dies hat zweifellos bei vielen Ärzten zu einem Umbruch in ihrem ärztlichen Ethos geführt. Es kann daher schwierig sein, im Falle der Notwendigkeit der Verlegung des Patienten ein Krankenhaus zu finden, in dem das Wohl und das Leben des Patienten im Vordergrund steht und mit einer lebenserhaltenden Behandlung gerechnet werden kann.

In Polen hatte der Arzt Dr. Jan Talar eine eigene Klinik gegründet, um Koma-Patienten zu behandeln. Er zog sich damit heftige Angriffe vonseiten der Transplantationsmedizin zu, die seine Klinik zu vernichten versuchte. Hier zeigen sich bei den Akteuren der Transplantationsmedizin mafiöse Züge. Aber Dr. Talar hat es bis jetzt durchgestanden. Inzwischen konnte er 250 Patienten retten, bei denen Hirntod festgestellt worden war und um Organspende angefragt wurde. Darüber hinaus konnte er nochmals so viele Patienten retten, die im Koma lagen und bei denen es nicht um Hirntod ging.

Für mich als Jurist ist das natürlich eine ganz entscheidende und schwerwiegende Frage, wie es möglich ist, dass unzählige nachweisliche Tötungen in einem Rechtsstaat unter dem Vorwand des Hirntods vorgenommen werden können, ohne dass der Staat darauf reagiert, ohne dass für den Schutz dieser Menschen etwas getan wird. Es ist ein himmelschreiendes Unrecht, das hier seitens des Staates geduldet wird, nur weil man glaubt, der Hirntod mache es möglich, andere durch die Entnahme von Organen zu retten. Aber das gibt doch nicht das Recht, dafür den Organspender zu töten. Die Formel „Leben retten durch Töten“ ist eine Absurdität und man muss endlich einmal erkennen, dass das so ist.

 

Regina Breul im Gespräch mit Wolfgang Waldstein: Hirntod – Organspende … brisant und ehrlich. Broschiert, 158 Seiten. ISBN 978-3-9815943-5-5. Zu bestellen unter Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5 oder via E-Mail an: buch@media-maria.de – www.media-maria.de


[1] Ansprache von Papst Johannes Paul II. an den „Internationalen Kongress für Organverpflanzung“, Rom, Palazzo die Congressi, Dienstag, 29.8.2000.
[2] Roberto de Mattei, Finis Vitae. Is Brain Death Still Life?, Rubbettino 2007.
[3] Robert Truog, Is it time to abandon brain death?, in: Hastings Center Report, 1997.
[4] Franklin G. Miller, Robert D. Truog, Rethinking the ethics of vital organ donations, in: Hastings Center Report, 2008, Nov-Dec, 38, 6, 38-46.
[5] Die „Tote-Spender-Regel“ (Dead Donor Rule) beinhaltet zwei ethische Normen: Lebenswichtige Organe dürfen nur von toten Patienten entnommen werden, lebende Patienten dürfen nicht für oder durch eine Organentnahme getötet werden.
[6] An die Teilnehmer eines Treffens der „Päpstlichen Akademie der Wissenschaften“ zum Thema „Bestimmung des Todesmomentes“ am 14.12.1989.
[7] Silvia Matthies, Tot oder lebendig. Hirntoddiskussion, Bayerisches Fernsehen, September 1995.

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