Liebe Leser

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Das Land Brandenburg ist stolz auf das Kloster Neuzelle an der Oder und betrachtet es als eines seiner größten kulturellen Schätze. Bereits im Jahr 1268, also vor 750 Jahren, hatte es Heinrich III., Markgraf von Meißen, als Zisterzienserkloster gestiftet. Ab 1650 wurde die spätgotische Anlage in prachtvollem Barockstil umgestaltet. 1817 löste die Regierung Preußens im Zug der Säkularisierung das Kloster allerdings auf.

Neuzelle gilt als „künstlerisches und geistiges Gesamtkunstwerk“, als das „Barockwunder in Brandenburg“. Als noch größeres Wunder aber kann die Wiederbesiedelung des Klosters in unseren Tagen betrachtet werden. Die Initiative dazu ergriff der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt. Er wandte sich mit dem Wunsch, in Neuzelle eine „Spiritualität der Stellvertretung“ und einen „Raum der Gottesbegegnung“ zu schaffen, an das Kloster Heiligenkreuz bei Wien. Die Entscheidung fiel positiv aus und so kehrten genau 200 Jahre nach der Aufhebung des Klosters Zisterzienser nach Neuzelle zurück.

Auf dem Titelbild ist Abt Dr. Maximilian Heim zu sehen, wie er während des Hochamts am 2. September 2018 in Neuzelle die Gründungsurkunde des Klosters Neuzelle, Priorat des Stifts Heiligenkreuz, hochhält und den Mitfeiernden zeigt. Sein großes Anliegen ist die Neuevangelisierung, zu dem die letzten Päpste unentwegt aufgerufen haben. Dieser Auftrag war auch die ausschlaggebende Motivation, in der heutigen Zeit das Wagnis einer Neugründung einzugehen. Das Priorat soll nach alter klösterlicher Tradition ein Missionszentrum mit überregionaler Ausstrahlung werden, ein katholischer Wallfahrtsort in der ostdeutschen Diaspora, eine Oase für Menschen, die Gott suchen.

Zunächst war kein Neubau geplant, denn die noch vollständig erhaltene Klosteranlage bietet viel Platz. Doch wird sie vom Land Brandenburg nicht nur intensiv gepflegt, sondern auch vielfältig genützt. Dass die neue Unterkunft im nahegelegenen Wald von Treppeln anstelle eines Erholungsheims der Staatssicherheit (STASI) der DDR errichtet wird, ist zeichenhaft. Daran erinnerte auch der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterović, bei einem Besuch in Neuzelle am 6. Oktober 2022. Er rief die Mönche dazu auf, „die Dynamik des christlichen Glaubens den Menschen näherzubringen“.

Das neue Priorat wird den Namen „Maria, Mutter, Friedenshort“ tragen. An der Hand der Gottesmutter und unter ihrem mächtigen Schutz wollen sich die Zisterzienser von Neuzelle auf den Weg machen und in den Dienst der Neuevangelisierung treten. So ist mitten in einer von Krisen geschüttelten Kirche der Aufbruch von Neuzelle ein starkes Zeichen der Hoffnung.

Tatsächlich hat die mutige Entscheidung zum Neuanfang in Neuzelle bereits junge Männer dazu veranlasst, über eine Berufung nachzudenken und sich der jungen Gruppe monastischer Missionare anzuschließen. Aktueller Anlass, dem Kloster Neuzelle unsere Aufmerksamkeit zu schenken, ist auch der Adoratio-Kongress, zu dem die dortigen Zisterzienser vom 19. bis 20. August 2023 einladen. Zum Sonntagsgottesdienst wird der Bischof von Liegnitz (Legnica), Andrzej Siemieniewski, erwartet. Passend zur Anbetung wird er seine Predigt über das eucharistische Wunder halten, das sich in Liegnitz am 25. Dezember 2013 ereignet hat.

Liebe Leser, Aufbrüche sind nicht das Ergebnis von mutiger Planung, sondern von Gebet und Opfer, vom Vertrauen auf Gottes Gnade. Mit einem aufrichtigen Vergelt’s Gott für Ihre Treue und Großherzigkeit wünschen wir Ihnen von ganzem Herzen eine gesegnete Zeit der Erholung und besonders ein gnadenreiches Hochfest Mariä Himmelfahrt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Neubelebung des Klosters Neuzelle auf Initiative des Görlitzer Bischofs

Zisterzienser im Dienst der Neuevangelisierung

Während in Europa ein Kloster nach dem anderen seine Pforten schließen muss, wird an der Ostgrenze Deutschlands zu Polen ein vor 200 Jahren aufgehobenes Kloster neubelebt. Den Schritt wagen die Zisterzienser aus Heiligenkreuz bei Wien. Die Wiederbesiedelung von Neuzelle hat missionarischen Charakter und will einen Beitrag zur Neuevangelisierung leisten. Die Initiative ging vom Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt aus, der im 750-jährigen Jubiläum der Klostergründung 2018 einen geistesgeschichtlichen Kairos erblickte. Abt Dr. Maximilian Heim OCist von Heiligkreuz schildert die Entstehungsgeschichte und blickt auf die geplante Weiterentwicklung voraus. Vor allem hebt er die geistliche Motivation für den Aufbruch in Ostdeutschland hervor. Das Wagnis von Neuzelle ist ein Zeichen der Hoffnung für unsere Zeit.

Von Abt Maximilian Heim OCist

Es begann mit einem Telefonat am 11. Februar 2014: Bischof Wolfgang Ipolt äußerte den Wunsch einer Neubelebung von Kloster Neuzelle, einer früheren Zisterzienserabtei, die 1268 gestiftet und 1817 vom preußischen Staat aufgelöst wurde. Sie befindet sich am nordöstlichen Rand der Diözese Görlitz, fünf Kilometer südlich von Eisenhüttenstadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Neuzelle ein überregional ausstrahlender Wallfahrtsort für die Katholiken in der ostdeutschen Diaspora. Bis 1993 befanden sich im früheren Kanzleigebäude unter anderem das Priesterseminar der ostdeutschen Diözesen und die Verwaltung der Apostolischen Administratur Görlitz, während das ehemalige Konventgebäude jahrzehntelang Sitz einer SED-nahen Lehrerausbildungsstätte war. Mit der Erhebung der Apostolischen Administratur zur Diözese Görlitz im Jahre 1994 wurde Neuzelle zum Diözesanwallfahrtsort des jüngsten und kleinsten Bistums in Deutschland. Seit 2011 wird die Diözese von ihrem nunmehr dritten Bischof, Wolfgang Ipolt, geleitet.

Offene Ohren für die Anfrage des Görlitzer Bischofs

Am 16. Dezember 2014 formulierte Bischof Ipolt in einem Brief an mich sein geistliches Anliegen, nämlich in Neuzelle eine „Spiritualität der Stellvertretung“ und einen „Raum der Gottesbegegnung“ zu schaffen. Beides habe er bei seinen Exerzitien in Heiligenkreuz erlebt, wo er den Gebetsdienst der Mönche zugleich als missionarischen Auftrag erkannte. Denn hier geht es nicht nur um persönliche Heiligung, sondern um die Ausstrahlung auf Menschen, die Gott suchen.

In einem zweiten Schreiben vom Juli 2015 stellte der Bischof seine konkrete Anfrage, Neuzelle mit einer kleinen Gruppe von drei bis vier Mönchen neu zu besiedeln. Ihre Aufgabe sollte sein, in der Klosterkirche die monastische Liturgie zu feiern, in der Pfarrseelsorge zu wirken und zugleich Touristen und Wallfahrer zu betreuen. Außerdem äußerte er damals schon den Wunsch eines pastoralen Engagements der Mönche in der Region.

Nach unserem anfänglichen Zögern stieß die Anfrage im Abtrat schließlich auf offene Ohren. So kam der Bischof mit seinem Generalvikar und dem Pastoralamtsleiter in der Osteroktav 2016 nach Heiligenkreuz, um sein Vorhaben näher zu erläutern. Dabei erschien uns das bevorstehende 750. Gründungsjubiläum des Klosters im Jahr 2018 als Kairos für eine eventuelle Wiederbesiedelung. Wir einigten uns schließlich auf einen ersten Besuch des Klosters Neuzelle im Mai 2016 sowie einen zweiwöchigen Probeaufenthalt von fünf Mitbrüdern im Juli desselben Jahres.

Neustart im Kairos der Jubiläen

Das Kloster Neuzelle stellt eine Besonderheit dar: Es wird als das Barockwunder Brandenburgs bezeichnet. Die Zugehörigkeit der Niederlausitz zu katholischen Herrscherhäusern bis zum Wiener Kongress 1815 verhinderte die Auflösung des Klosters in der Reformationszeit. So entstand rund um Neuzelle eine kleine katholische Enklave. Das Stift Neuzelle gehörte zur böhmischen Ordensprovinz der Zisterzienser. Während des 30-jährigen Krieges wurde die ursprünglich gotische Klosteranlage schwer beschädigt. Die barocke Ausstattung, die heute noch bewundert werden kann, stammt vor allem aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Als die sächsische Niederlausitz nach dem Wiener Kongress zu Preußen kam, wurde das Kloster am 26. Februar 1817 aufgehoben – „gegen das vorher gegebene Versprechen des Königs, alle geistlichen Stiftungen zu erhalten“.[1]

So ging dem Gründungsjubiläum im Jahr 2018 der 200. Jahrestag der Aufhebung des Klosters voraus, dessen Schatten vom Licht der Initiative der Wiederbesiedelung des Klosters durchbrochen wurde. Dafür wurde von Bischof Wolfgang Ipolt ein eigenes Gebet formuliert, das sowohl in der Diözese als auch im Stift Heiligenkreuz täglich verrichtet wurde.[2]

In diesem Gebet wurden neben der Gottesmutter Maria, Unserer Lieben Frau von Neuzelle, auch die hl. Hedwig als Bistumspatronin von Görlitz, der hl. Benedikt und der hl. Bernhard als Ordensväter der Zisterzienser sowie die verehrungswürdigen Märtyrer von Neuzelle angerufen. Letztere haben im Jahr 1429 mit ihrem Abt Petrus ihr Leben für den Glauben hingegeben, weil sie sich weigerten, die Lehre des Reformators Jan Hus anzunehmen. Die Heiligen sind die Fürsprecher für diese Initiative, deren Sinnhaftigkeit sich nur erschließen lässt aus der unzerstörbaren Hoffnung, dass auch heute der Auftrag Jesu gilt, das Evangelium allen Menschen zu verkünden. Im Sinn von Papst Franziskus soll es in unserer Zeit vor allem an die Peripherie des Glaubens gebracht werden.

Ein prophetisches Gedicht von Robert Krause aus dem 19. Jahrhundert über die aufgehobenen Zisterzienserklöster Brandenburgs Lehnin und Chorin wie auch Neuzelle entdeckte der Kenner der Geschichte von Neuzelle, Dr. Winfried Töpler. Er veröffentlichte es auf dem Buchrücken seiner Neuzeller Studien 5 in lateinischer Sprache mit deutscher Übersetzung:[3]

Wann erheben sich wieder die Dächer von Lehnin und Chorin?
Wann erhebt sich ebenso der glänzende Stern Neuzelle?
In Deinen Händen, Herr, liegen die künftigen Geschicke,
die Stunden sind bestimmt, in denen alles wiederhergestellt sein wird.
Uneingeschränktes Willkommen auch von evangelischer Seite

War es in der Regel im Mittelalter üblich, dass ein Landesherr den Orden um eine Klostergründung bat und der Bischof der jeweiligen Diözese seine Zustimmung zu geben hatte, so haben wir in Neuzelle eine umgekehrte Situation: Die Bitte um die Gründung sprach der Diözesanbischof aus und das Land wurde um die notwendige Zustimmung gebeten, ähnlich wie bei der Heiligenkreuzer Tochtergründung vor ca. 30 Jahren im Ruhrgebiet. Das Willkommen in Neuzelle vonseiten der katholischen und evangelischen Christen, der Bevölkerung, der Medien und auch der politisch Verantwortlichen war von Anfang an uneingeschränkt gegeben. Die katholische Pfarrgemeinde vor Ort empfand unser Kommen, wie uns Pfarrer Ansgar Florian bekundete, als eine Art Gebetserhörung. Vor allem müssen wir dem Bischof von Görlitz und den Verantwortlichen der Diözese danken für ihre tatkräftige Wegbereitung.

Auch die Vertreter der evangelischen Kirche, Bischof Dr. Markus Dröge von Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Pfarrer Martin Groß von Neuzelle, unterstrichen ihre Freude über das erneute Kommen der Zisterzienser. Beide besuchten unabhängig voneinander Heiligenkreuz, um die Mutterabtei kennenzulernen. Im Rückblick auf das denkwürdige Reformationsfest am 31. Oktober 2017 sagte der evangelische Pfarrer wörtlich: „Natürlich sind die Mönche für die Ökumene eine riesige Chance. Wo wird schon Ökumene so stark praktiziert wie hier in Neuzelle? Am 500. Jahrestag des Reformationsbeginns hielt mit Pater Kilian wieder ein Zisterziensermönch in der evangelischen Leutekirche die Predigt und Pater Prior Simeon spielte dort die Orgel – und das, nachdem ihre Vorgänger vor 200 Jahren aus dem Kloster Neuzelle verjagt wurden […]."[4]

Brückenfunktion der Mönche als „frohe Gefährten“

Schließlich erwies sich auch Brandenburgs Kulturministerin Dr. Martina Münch als eine lösungsorientierte Dialogpartnerin für diese neue Initiative einer Wiederbelebung des ehemaligen Zisterzienserklosters. Sie verstand es, anfängliche Irritationen der staatlichen Stiftung Neuzelle zu überwinden, die dadurch entstanden waren, dass die Verwaltung der Stiftung erst durch die Medien vom Kommen der Mönche erfuhr. Für Ministerin Münch ist aber Neuzelle sowohl ein kultureller als auch ein spiritueller Ort, der ihr besonders am Herzen liegt.[5] In einem Interview sagte sie: „Ich glaube auch, dass es kein Zufall ist, dass hier am äußersten Ostzipfel Deutschlands wieder mönchisches Leben entsteht, nahe am katholischen Polen. Es geht sicher auch um Brückenfunktionen ins Nachbarland, die gerade Menschen in Ostdeutschland gut meistern können, weil sie durch die erlebten Umbruchsituationen vielleicht etwas offener sind als andere. Die Mehrzahl der Ostdeutschen musste nach der Wende einen neuen Beruf ergreifen und neu lernen. Offen für neue Ideen zu sein, nicht in starren, konventionellen, administrativen Strukturen stecken zu bleiben, gehörte für fast alle zu den Herausforderungen der vergangenen Jahrzehnte."[6] – Bischof Wolfang Ipolt sagte in seiner Predigt zu den Mönchen: „Seien Sie frohe Gefährten für die Menschen, die hierher nach Neuzelle kommen und nach Antworten für ihr Leben suchen.“

Verkündigung an der Peripherie

Wie der Nationaldirektor von Missio Austria, Pater Karl Wallner, betont, braucht die Mission der Kirche geistliche Zentren.[7] Von alters her sind neben der biblisch verankerten Gemeindestruktur seit dem 4. Jahrhundert Klöster entstanden, die als Oasen der christlichen Spiritualität nicht nur Rückzugsorte waren, um neue Kraft zu schöpfen, sondern zugleich Missionszentren mit überregionaler Ausstrahlung.

Papst Franziskus weist in seinen Predigten und Ansprachen oft darauf hin, dass die Kirche wieder an die Peripherie der Gesellschaft gehen müsse. Ihre Kernaufgabe ist es, nicht allein soziale Dienste zu übernehmen, sondern das Evangelium zu verkünden. Wenn sie diesen Auftrag Jesu ernst nimmt, dann werden die Menschen ihr nicht den Rücken zuwenden, sondern von der Attraktivität des Wortes Gottes angezogen werden. Christus, der Auferstandene, gibt den Auftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20).

Auch heute ist es notwendig, Kirche im Aufbruch zu sein, um keine „Sofa-Christen“ zu werden, wie Papst Franziskus sich gegen eine „sitzende Kirche“ beim Weltjugendtag in Krakau aussprach. In Evangelii Gaudium verweist er auf die Vorbilder im Alten Testament: „Abraham folgte dem Aufruf, zu einem neuen Land aufzubrechen (vgl. Gen 12, 1-3). Mose gehorchte dem Ruf Gottes: ,Geh! Ich sende dich‘ (Ex 3,10) und führte das Volk hinaus, dem verheißenen Land entgegen (vgl. Ex 3,17). Zu Jeremia sagte Gott: ,Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen‘ (Jer 1,7). Heute sind in diesem ,Geht‘ Jesu die immer neuen Situationen und Herausforderungen des Evangelisierungsauftrags der Kirche gegenwärtig, und wir alle sind zu diesem neuen missionarischen ,Aufbruch‘ berufen. Jeder Christ und jede Gemeinschaft soll unterscheiden, welches der Weg ist, den der Herr verlangt, doch alle sind wir aufgefordert, diesen Ruf anzunehmen: hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit und den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen."[8]

Geistliches Zentrum mit Ausstrahlung

Von diesem Auftrag des Papstes angezogen, hat das Stift Heiligenkreuz die Anfrage des Bischofs von Görlitz ernst genommen, eine Klosterneugründung an einem historischen Ort zu wagen, der jahrhundertelang zisterziensisch geprägt war und der vor 200 Jahren durch die Säkularisation seine Mönche verlor. Neuzelle spiegelt wie wenige Orte in Deutschland die geistig-geistliche Dramatik der vergangenen 200 Jahre wieder: Säkularismus, Liberalismus, Nationalismus, Kommunismus, Kirche in der Diaspora. Das Faszinierende an diesem Ort ist, dass trotz aller antikirchlich oder atheistisch geprägten Systeme der Glaube der „einfachen Christen“ Bestand hat. Ihr Bekenntnis hat selbst diktatorische Systeme überlebt und ist auch heute die Kraft einer lebendigen Pfarrgemeinde in einem Gebiet, das nach einer Studie der Universität Chicago soziologisch als das atheistischste der Welt bezeichnet wird.[9]

In dieser nachchristlichen Gesellschaft sind 80% ohne Bekenntnis, 16% gehören zur evangelischen Kirche und nur 4% zu den Katholiken. Dennoch wird diese Dramatik in Neuzelle entschärft durch das geweckte Interesse vieler sogenannter Atheisten an der Klosterneugründung. Dies soll folgendes Beispiel illustrieren: Als P. Kilian Müller OCist, der Subprior des Klosters, von jemandem angesprochen wurde, dass er sich so über das Kommen der Mönche freue, bat P. Kilian um das Gebet, damit die Neugründung gelinge würde. Dieser antwortete: „Das kann ich nicht, denn ich bin Atheist! Aber ich freue mich trotzdem.“

Missionarischer Aufbruch und Medienpräsenz

Nicht nur die persönliche Begegnung, sondern auch der Kontakt über das Internet ist heute von entscheidender Bedeutung. Denn mittlerweile wird das virtuelle Internetportal der Homepage des Klosters zuerst durchschritten, bevor man sich tatsächlich auf den Weg macht, um das Kloster in Neuzelle und die historische Stiftskirche zu besuchen. Die barocke Klosteranlage zählt mit der barockisierten gotischen Stiftskirche zu den bedeutendsten Kunstschätzen des Landes Brandenburg und ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Neben einer Reihe von Pilgern, die die Kirche als Marienwallfahrtsheiligtum besuchen, kommen viele Touristen, nicht zuletzt aus dem benachbarten Berlin, um hier Erholung in der idyllischen Landschaft an Oder und Schlaube zu finden.

Wie für den Tourismus so ist auch für die Glaubensverkündigung die Medienpräsenz von entscheidender Bedeutung. Die Mönche von Neuzelle haben durch Heiligenkreuz bereits eine gute Schulung (STUDIO1133) bekommen, das Evangelium in zeitgemäßer Weise zu verkünden.

Die Hoffnung ist begründet, dass der Same des Wortes Gottes in dieser Region, die über viele Jahrzehnte den Regen der Gnade entbehrte, aufgehen kann, wenn er auf vielfältige Weise und sorgsam bestellt wird. Oft scheint es mir in Ländern christlicher Prägung heute schwerer zu sein, den Glauben zu vermitteln, da viele Getaufte durch Gleichgültigkeit wie auch durch tiefe Verletzungen und Enttäuschungen in den Kirchen, nicht zuletzt durch den vielschichtigen Missbrauch der vergangenen Jahrzehnte, ihre Herzen verhärtet haben. Deshalb ist, wie Papst Benedikt sagt, „eine ständige Erneuerung im Inneren“ Voraussetzung für die Neuevangelisierung, „sozusagen ein ständiges Fortschreiten von der evangelisierten hin zur evangelisierenden Kirche“.[10]

Wo Sünde und Vergehen das Zeugnis des Glaubens verdunkelt haben, ist es umso notwendiger, dass wir uns dem „Licht Christi aussetzen und es fertigbringen, uns der Gnade zu öffnen, die uns zu neuen Menschen macht“.[11] Es kann als Zeichen unserer Zeit gelten, wenn durch Dialog Menschen wieder zueinander finden, indem sie in einer Gesellschaft, die von einem kulturellen Pluralismus geprägt ist, erkennen, dass der Heilige Geist der Beistand ist, der alle Menschen guten Willens Schritt um Schritt in die ganze Wahrheit einführen möchte (vgl. Joh 16,13) und so auch einander verstehen lehrt. Auf diese Weise stellen Dialog und Mission keinen Widerspruch dar, sondern fördern die Achtung und die Ehrfurcht vor dem Gewissen und vor der Freiheit des Einzelnen.

Klosterneubau als symbolträchtiges Zeichen

Wer die alte Klosteranlage von Neuzelle betritt, durchschreitet zunächst das westliche Eingangsportal, auf dessen barockem Torbogen ein Steinrelief der Emmausjünger zu erkennen ist. Dieses Thema findet in der barockisierten Klosterkirche seine Fortsetzung und schließlich seinen Höhepunkt im Tabernakel auf der Mensa des barocken Hochaltars. Der Tabernakel ist wie ein ovaler Tisch geformt, an dem Jesus und die Jünger von Emmaus sitzen. Jesus bricht das Brot und spricht den Segen. Die Gestik der beiden Jünger drückt Überraschung und Anbetung aus.

Inspiriert von diesem Thema entschieden sich die Mönche nach langen Verhandlungen dafür, ein neues Kloster zu bauen, das einen Emmausweg von Neuzelle entfernt sein sollte. Grund dafür war, dass die Zisterzienser allen Institutionen, die in den letzten Jahrzehnten den Gebäudekomplex von Neuzelle belebten, keinen Raum wegnehmen wollten. Das Emmaus-Thema hingegen konnte so zu einem sprechenden Symbol werden für das gemeinsame Unterwegssein.

Als geeigneter Standort für das künftige Kloster erwies sich eine ehemalige Stasi-Liegenschaft in der Nähe des Neuzeller Ortsteils Treppeln. P. Kilian sagte dazu: „Es wäre eine spannende Aufgabe und ein bewegendes Zeichen, einen solch verwundeten und historisch symbolträchtigen Ort in einen Ort des Gotteslobs, der Schönheit und Offenheit für Gäste und Besucher zu transformieren – ganz im Sinne eines biblischen ,Kommt und seht‘."[12] Dass zwischen dem historischen Klosterkomplex und dem künftigen Kloster ein uralter Weg verläuft, das sogenannte Treppelpflaster, kann als Symbol verstanden werden. Auf steinigem Weg, umgeben von der Schönheit der Schöpfung, ist eine Mönchsgemeinschaft mit dem Auferstandenen brennenden Herzens unterwegs, indem Christus in der Kraft seines Geistes selbst ihnen das Wort Gottes auslegt und am Ort der Ruhe und der Stille das Brot des Lebens bricht. Von hier aus soll das Kloster ausstrahlen auf die Menschen, die diese Oase aufsuchen werden. Zugleich werden die Mönche, getragen von der Begegnung mit Christus im Wort und Sakrament, hinausgehen, um als Seelsorger sowohl in Neuzelle als auch in Eisenhüttenstadt jederzeit bereit zu sein, ein authentisches Zeugnis abzulegen für die Hoffnung, die sie erfüllt.[13]

Die Menschen brauchen solche Orte, wie Papst Benedikt in Freiburg sagte, „wo sie ihr inneres Heimweh zur Sprache bringen können. Und hier sind wir gerufen, neue Wege der Evangelisierung zu finden. […] Wichtig bleibt die Rückbindung an den Kraftstrom der Eucharistie, denn getrennt von Christus können wir nichts vollbringen (vgl. Joh 15,5)“.

Der Artikel ist eine gekürzte und leicht bearbeitete Fassung eines Beitrags in: Barbara Stühlmeyer (Hg.): Auf Christus getauft. Glauben leben und verkünden im 21. Jahrhundert, Kevelaer 2019, 233-245.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
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[1] Winfried Töpler: Kloster Neuzelle. Ehemalige Zisterzienserabtei, Regensburg 122016, 6.
[2] Gebet in: Winfried Töpler: Neuzeller Studien 5, Görlitz 2017, 4.
[3] Ebd., 216.
[4] Rocco Thiede: Die Mönche kommen... Neuzelle. Wiederbesiedelung eines Klosters, Leipzig 2018, 155.
[5] Vgl. ebd., 20.
[6] Ebd., 23.
[7] Vgl. Pater Karl Wallner OCist: Mission braucht geistliche Zentren. Das Beispiel des Stiftes Heiligenkreuz, in: Kirche heute. Aufbruch der Kirche in eine neue Zeit, Nr. 4/April 2019, 4.
[8] Papst Franziskus: Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, Nr. 20.
[9] Vgl. Gunda Bartels: Das Himmelfahrtskommando. Zisterzienser in Neuzelle, in: Sonnabend, 30. Juni 2018, Die dritte Seite, 3.
[10] Apostolisches Schreiben in Form eines „Motu proprio“ Ubicumque et semper von Papst Benedikt XVI., mit dem der Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung errichtet wird, Nr. 3.
[11] Johannes Paul II.: Schreiben Novo millennio ineunte zum Abschluss des großen Jubiläums des Jahres 2000, Nr. 54.
[12] https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/kloster-neuzelle-neuanfang-unter-teilweise-schwierigen-bedingungen
[13] Vgl. 1 Petr 3,15.

Grußwort von Nuntius Eterovic beim Besuch des Zisterzienserpriorats Neuzelle

Ein neues Kloster entsteht

Am 6. Oktober 2022, dem Fest des hl. Bruno, folgte der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterović (geb. 1951), einer Einladung des neuen Zisterzienser-Priorats in Neuzelle. Er überbrachte Grüße von Papst Franziskus und spendete als dessen Vertreter den Apostolischen Segen für den Neubau des Klosters Maria, Mutter, Friedenshort. In seinem Grußwort ermutigte er die Mönche, glaubwürdige Zeugen des Evangeliums zu sein.

Von Erzbischof Nikola Eterovic

Verehrter Pater Prior! Liebe Zisterzienser-Mönche! Mit Freude habe ich die Einladung angenommen, Euch am heutigen Tag zu besuchen und Euch die Grüße des Heiligen Vaters Franziskus zu überbringen und vor allem als Vertreter des Bischofs von Rom und Hirten der Universalkirche den Apostolischen Segen für den Neubau des Klosters Maria, Mutter, Friedenshort zu spenden. Dieser Neubau wird sinnenfällig machen, dass das einstige Kloster Neuzelle wieder lebt und seit 2018 mit Mönchen aus dem verehrten Kloster Heiligenkreuz in Österreich nach 200 Jahren wiederbegründet wurde.

Am Gedenktag des hl. Bruno, der heute im Jahre 1101 in Kalabrien gestorben ist, erinnern wir uns nicht nur der Mitbrüder aus dem ehrwürdigen Kartäuserorden, dessen Gründer er war, sondern wir sehen die Verbindung Eures Klosterwappens mit dem heiligen Kreuz mit dem Wahlspruch der Kartäuser: „Stat crux dum volvitur orbis – Das Kreuz steht, solange sich die Erde weiterdreht“. Das Wappenkreuz von Neuzelle nimmt sodann die Muschel als Zeichen der christlichen Pilgerschaft auf und positioniert es in die Mitte, wo sich die Kreuzbalken verbinden. Somit symbolisiert es die Herzmitte Eures Glaubens, die im heutigen Evangelium ins Wort gebraucht ist: „Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst“ (Lk 9,57).

Jeder von Euch, verehrte Zisterzienser, ist dem Herrn Jesus bis hierher nachgefolgt und jeder hat dafür nicht nur das Elternhaus verlassen, sondern auch die Heimat und das Mutterkloster. In der Nachfolge Jesu gibt es eben die äußere Pilgerschaft des Gehens, wohin der Herr uns führt, und die innere Pilgerschaft des Bleibens, der stabilitas loci, und des apostolischen Wirkens als Mönch: „Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben“ (Apg 6,4). Und so bitte ich Euch im Namen des Heiligen Vaters Franziskus um das Gebet für seine so wichtige Mission in Kirche und Welt. Schon der hl. Paulus bittet die Gemeinde darum und sagt: „Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam und dankbar“ (Kol 4,2).

Mit Blick auf die hll. Benedikt, Bernhard und auch Bruno zeigt sich, dass das Ideal des monastischen Lebens diese beiden Elemente der inneren Beweglichkeit, die sie in ihrem Leben immer wieder an verschiedene Orte Europas führte, und der äußeren Stabilität nötig sind, um die Dynamik des christlichen Glaubens den Menschen näherzubringen und um glaubwürdige Zeugen Jesu Christi und seines Evangeliums zu sein. Das Zeichen unseres Erlösers ist das Kreuz, in dem auch heute noch die Menschen durch Euer Vorbild das Heil, Leben und Hoffnung finden mögen. Gerade in dieser Gegend im Osten Deutschlands wird Euer missionarisches Wirken gebraucht. Und so gilt für dieses wichtige Werk Jesu Wort: „Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes“ (Lk 9,62).

Liebe Zisterzienser, Ihr seid die lebendigen Steine, die in der Taufe und durch die Gelübde Christus, dem lebendigen Stein, nachfolgen, um ein geistiges Haus zu bauen (vgl. 1 Petr 2,5). Euer neues Kloster wird nun an einem Ort aufgebaut, wo es vorher ein Erholungsheim der Staatssicherheit (STASI) der DDR gegeben hat. Nunmehr soll im Wald von Treppeln ein Kloster entstehen, das für die Menschen aus nah und fern zum Orientierungspunkt und zum Ruhepol werden möge. Vor allem aber sei es Euch eine neue Heimat, von wo aus Ihr Eure Berufung leben könnt.

Hierzu segne Euch der dreieine Gott auf die mächtige Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, Jesu und unsere Mutter, die der Hort des Friedens ist. Amen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
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Zum Arbeitspapier für die Bischofssynode über Synodalität in Rom

Dem Heiligen Geist Raum geben

„Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“, so lautet das Thema der XVI. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode in Rom. Nach dem Wunsch von Papst Franziskus wird diese Synode seit 2021 als vierjähriger, weltweiter Prozess durchgeführt. Die Ergebnisse des sog. Synodalen Prozesses auf Ortsebene sind nun in ein Arbeitspapier (Instrumentum laboris) eingeflossen, das am 20. Juni 2023 veröffentlicht wurde. Es bildet die Grundlage für die Beratungen auf Weltebene, nämlich auf zwei Sitzungen der Bischofssynode in Rom, vom 4. bis 29. Oktober 2023 und im Oktober 2024. Seinen Impuls sieht Papst Franziskus als Aufgabe der Kirche für das dritte Jahrtausend, die viel Geduld und Weitsicht erfordert. Mit dieser Überzeugung geht Bischof Christian Carlassare MCCJ an das Arbeitspapier heran und versucht, eine erste Bewertung und Einordnung vorzunehmen. Carlassare (geb. 1977) ist ein italienischer Ordensgeistlicher, der am 25. März 2022 zum Bischof von Rumbek im Südsudan geweiht wurde.

Kirche-heute-Interview mit Bischof Christian Carlassare MCCJ

Kirche heute: Papst Franziskus bezeichnet die Synodalität als eine entscheidende Aufgabe der Kirche für das dritte Jahrtausend. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Synodalen Prozess auf Ortsebene gemacht?

Als die Synode zum Thema Synodalität eröffnet wurde, befand sich die Diözese Rumbek in Bischof Carlassare: einer sehr prekären Lage. Nach zehn Jahren ohne eigenen Diözesanbischof wurde ich als der eben ernannte Bischof bei einem Schussattentat schwer verletzt und musste vor meinem Amtsantritt eine fast einjährige Rehabilitation durchlaufen. In der Zwischenzeit übernahm der Bischof einer benachbarten Diözese als Apostolischer Administrator die Leitung des Bistums, während sich ein Ad-hoc-Komitee aus Geistlichen, Ordensleuten und Laien um die laufende Verwaltung kümmerte. Im März 2022 kehrte ich zurück und wurde kurze Zeit später zum Bischof geweiht.

Nachdem ich mich mit der Situation der Diözese einigermaßen vertraut gemacht hatte, richteten wir einen Workshop für Geistliche und Ordensmissionare zum Thema Synodalität ein. Wir widmeten uns den Fragen, die auf diözesaner Ebene hinsichtlich des Synodalen Prozesses gestellt worden waren. Es war auch die Gelegenheit, einen Priesterrat einzurichten und das Beraterkollegium zu erneuern. Wir bildeten vier Ausschüsse, die sich mit verschiedenen Bereichen befassten: Seelsorge, Schulpastoral, Jugend und ganzheitliche Bildung. Die Ergebnisse dieser vier Ausschüsse dienten zur Vorbereitung einer Pastoralversammlung auf Diözesanebene (Diözesansynode) im Februar 2023.

Nach dieser Versammlung setzten die vier Ausschüsse ihre Arbeit fort. Daneben bildeten wir einen zusätzlichen Ausschuss für strategische Planung, um einen umfassenden pastoralen Plan für unsere Diözese zu entwickeln.

Der Synodale Prozess war für die Diözese Rumbek eine Gelegenheit, zusammenzukommen, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam zu planen. Dabei ging es nicht um das Konzept der Synodalität als solches, sondern darum, durch Dynamiken und Prozesse eine Erfahrung von Synodalität zu machen, die uns alle in die Mitverantwortung für die Sendung der Kirche zur Evangelisierung einbezieht. Wir hatten nicht die Zeit, mit unseren Gedanken einen Beitrag zum umfassenderen synodalen Prozess zu leisten, aber ich denke, wir durchlaufen auf diese Weise eine positive Erfahrung, die auch andere dazu inspirieren kann, eine offene und einladende Kirche zu sein.

Findet die Initiative des Papstes in Afrika Anklang? Besteht für dieses Anliegen Verständnis und Interesse? Sind damit Hoffnungen für den Aufbau des Reiches Gottes verbunden?

Die Kirche in Afrika ist sowohl jung als auch dynamisch. Sie steht vor ganz anderen Herausforderungen als die europäische Kirche. Sie ist offen für Dialog und Neuorganisation, aber ihr fällt die Kommunikation mit der Kirche in anderen Kontinenten nicht immer leicht. Die Umstände sind so verschieden, die Werte und Gedanken so unterschiedlich. Dennoch sind wir dieselbe Kirche, dieselbe Gemeinschaft von Gläubigen. Daher ist der Dialog sehr wichtig.

Der Dialog beginnt mit der Demut, einander zuzuhören und voneinander zu lernen. Die Synodalität ermöglicht es der Kirche, alle in ihre Arme zu schließen, und zwar durch ein tieferes Verständnis dafür, dass die Einheit auf unserem Glauben an Jesus Christus basiert und nicht auf einheitlichen Strukturen und Praktiken. Es ist unser Glaube an Jesus Christus, der uns hilft, dass wir uns gemeinsam auf die Reise machen und dass nicht jede Gruppe ihren eigenen Weg geht. Nur Jesus Christus kann Brüderlichkeit innerhalb der Kirche und Freundschaft mit allen menschlichen Geschöpfen aufbauen, die auch Kinder Gottes sind. Was ist das Reich Gottes anderes, als zusammenzuführen und Vielfalt als ein Geschenk anzunehmen, das es uns ermöglicht, auf die volle Wahrheit hin zu wachsen?

Inzwischen wurde das Arbeitspapier (Instrumentum laboris) für die Bischofssynode in Rom veröffentlicht. Können Sie die inhaltlichen Schwerpunkte kurz skizzieren?

Die Synode weist darauf hin, dass die Identität und Berufung der Kirche darin besteht, eine zunehmend synodale Gemeinschaft zu werden. Das bedeutet, dass die Weltkirche und die Ortskirche einander begegnen und eine einzige Identität bilden müssen. Bei diesem Prozess nehmen die Ortskirchen eine herausragende Rolle ein, nämlich dadurch, dass sie ihre Erfahrungen an die Gesamtkirche weitergeben. Denn sie sind der theologische Ort, an dem die Getauften das christliche Zusammenleben als Gemeinschaften praktisch erleben. In diesem Sinn geht die primäre Bewegung nicht von universal zu lokal, sondern von lokal zu universal, und so wird die Kirche wahrhaft katholisch. Es ist ein herausfordernder Prozess, der Zuhören und Dialog erfordert, der verlangt, dass wir dem Heiligen Geist Platz einräumen, dass wir für andere und ihre Erfahrungen Raum schaffen und dass wir die Gemeinschaft der Kirche als Frucht einer missionarischen Dynamik aufbauen, die immer mehr die gesamte Kirche durchdringt.

Der zweite Teil des Dokuments sowie das Arbeitsblatt der Synode regen sodann zum Nachdenken über drei große Themen an. Das erste ist „Gemeinschaft“: Wie können wir ein noch stärkeres Zeichen und Instrument der Einheit mit Gott und der Einheit der gesamten Menschheit sein? Das zweite ist „Mitverantwortung in der Mission“: Wie können wir Gaben und Aufgaben im Dienst des Evangeliums besser teilen? Das dritte ist „Teilhabe“ und spricht von „Führung und Autorität“: Welche Prozesse, Strukturen und Institutionen sind in einer missionarischen synodalen Kirche erforderlich?

Wie bewerten Sie diese Grundlage für die weiteren Überlegungen über die Ausformung einer synodalen Kultur in der Kirche?

Ich finde, dass die Themen der Synode für die Kirche heute auf allen Breitengraden der Welt sehr relevant sind. Dieses neue Bewusstsein wird in der Zukunft vielfältige Wege eröffnen. Während es früher einfacher war, zu trennen und Mauern zu bauen, so sind wir in Zukunft aufgerufen, Brücken zu bauen und zusammenzukommen. Wenn die Mission in der Vergangenheit das Vorrecht spezieller Gruppen war, so werden wir uns heute klar, dass die Kirche entweder durch und durch missionarisch oder überhaupt nicht Kirche ist. Daher geht es nicht so sehr darum, einige brennende Themen zu diskutieren, bis eine Einigung erzielt wird, die dann eher unwahrscheinlich ist. Es geht mehr darum, wie wir zusammenkommen und was wir an die erste Stelle setzen und wovon wir uns leiten lassen.

Mit anderen Worten: Ist Jesus Christus das Band, das uns verbindet? Oder suchen wir nach anderen Elementen der Gemeinschaft? Wie üben wir Führung und Autorität in der Kirche aus? Diese Fragen sind der Schlüssel zu einer neuen Art, Kirche zu sein: mitfühlend und barmherzig, und bereit, das Evangelium Jesu Christi und seinen Ruf zur Umkehr zu verkünden.

Was dürfen wir aus Ihrer Sicht auf dem Hintergrund dieses Ausgangspunktes von der bevorstehenden Bischofsversammlung in Rom erwarten?

Ich denke, dass die Synodalversammlung in Rom eine Erfahrung des tiefen Zuhörens sein wird und im Einklang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Weg für eine neue Dynamik innerhalb der Kirche eröffnen wird: Wir werden nach dem suchen, was uns verbindet, und nicht nach dem, was uns trennt. Und wir werden besser in der Lage sein, glaubwürdig zur Welt zu sprechen. Der Glaube macht uns zu Gläubigen, aber nur Mitgefühl und Liebe können uns zu glaubwürdigen Menschen machen.

Teilen Sie die Bedenken, die in manchen Ländern gegen die Bischofssynode und die Thematik vorgebracht werden?

Ich nehme einige Ergebnisse des Synodalen Prozesses vonseiten verschiedener Bischofskonferenzen mit Sorge wahr, insbesondere wenn solche Beiträge, die von einer bestimmten Kirche kommen, energisch als Entscheidungen geltend gemacht werden, die von allen angenommen werden müssen. Die Communio sollte das Band aller Gläubigen in Christus sein. Die Synodalität zielt nicht so sehr auf die Lösung fragwürdiger Themen ab. Es geht vielmehr darum, sie an die Oberfläche kommen zu lassen und eine neue Art zu entwickeln, sich mit ihnen im Licht des Glaubens gemeinsam auseinanderzusetzen.

Worin sehen Sie unsere Aufgabe, um die Initiative des Papstes für die Zukunft der Kirche fruchtbar werden zu lassen?

Wir müssen engagiert zuhören und urteilen, „stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt“. Ich glaube, dass wir nicht länger an illusorischen Sicherheiten festhalten, sondern dem Heiligen Geist erlauben sollten, den Weg der Kirche in dieser Welt zu beleben. Wir gehören nicht zur Welt, aber sie ist der Ort, wo wir leben, um Zeugnis für Jesus Christus abzulegen.

Welche Chancen sehen Sie persönlich in der Ausformung einer umfassenden Synodalität im Leben der Kirche für ihre weltweite Mission?

In vielen Teilen der Welt sehe ich das Ende der massenhaften, zahlenmäßigen Zugehörigkeit zur Kirche eher als eine Chance. Ich sehe, dass nur diejenigen, die einen persönlichen geistlichen Weg eingeschlagen haben und die Erfahrung machen, dass Jesus in ihrem Leben lebendig ist und wirkt, tatsächlich Christen bleiben und verantwortungsvoll die Gemeinschaft der Kirche bilden. Mehr als in der Vergangenheit sehen wir die Übernahme von großer Verantwortung durch gläubige Laien im Leben der christlichen Gemeinschaften. Viele von ihnen verfügen über eine tiefe Spiritualität und eine starke religiöse Bildung. Es ist schön zu sehen, dass es eine gegenseitige Bereicherung zwischen Laien, Geistlichen und Ordensleuten gibt. Während die meisten Geistlichen ihre Spiritualität auf den Erfolg in ihrem pastoralen Einsatz gründen, sind Laien oft durch schwierige Lebenserfahrungen gestärkt, durch den Glauben, dass Gott uns niemals verlässt und dass es immer eine Chance gibt, aufzustehen und die Erlösung zu erben.

In Afrika hingegen ist viel geistliche Energie und Jugendlichkeit zu finden. Es ist der Kontinent, auf dem noch alles möglich ist, der Kontinent von Tausenden von Chancen. Die große Gelegenheit für Afrika besteht darin, dass es nicht an Vorbilder der Vergangenheit gebunden ist, sondern offen ist, eine Gemeinschaft der Kirche zu akzeptieren, die frei von weltlichen Interessen, elitärem Bewusstsein, Klerikalismus und Autoritarismus ist.

Welche Bedeutung könnte der synodale Aufbruch für den ökumenischen Auftrag der Kirche und die Einheit der Christen haben?

Neben der ökumenischen Bewegung sehen wir, wie die protestantische Welt im Augenblick am Auseinanderbrechen ist: mit der Entstehung Tausender unabhängiger Kirchen, die sich jeweils um eine Idee oder eine Persönlichkeit drehen. Meiner Meinung nach erfüllt die katholische Kirche gerade mit der Synode zum Thema Synodalität ihre Sendung, die Einheit und Gemeinschaft aller, die an Christus glauben, zu fördern.

Der Weg, den Papst Franziskus eingeschlagen hat, erfordert sicherlich viel Geduld und Weitsicht. Was muss Ihrer Ansicht nach geschehen, damit sein Impuls nicht versandet, sondern tatsächlich eine Dynamik über lange Zeit hinweg entfaltet?

Wenn es das Werk Gottes ist, wird es von anderen aufgegriffen. Papst Franziskus wird kein isolierter Prophet sein. Synodalität wird als konstitutives Element der Kirche zur Geltung kommen, als eine Praxis des mitfühlenden Umgangs mit der Welt in all ihrer Komplexität.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Marsch für das Leben am 15. September 2023 in Berlin und Köln

Über Lebensoasen und Menschenwürde

Jedem stehe das Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu. Mit dieser Begründung hob das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der sogenannten geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Strafgesetzbuch auf. Nun wollte die Bundesregierung die Sterbehilfe neu regeln. Doch beide Gesetzesentwürfe, die dazu vorgelegt wurden, verfehlten am 6. Juli 2023 im Bundestag die Mehrheit. Alexandra Maria Linder M.A., Vorsitzende des Bundesverband Lebensrecht e.V., geht von diesem Ergebnis aus und erkennt das im Gegenzug beschlossene Gesetz zur Suizidprävention als richtigen Ansatz an. Gleichzeitig deckt sie die Widersprüchlichkeit im gesellschaftspolitischen Umgang mit der Menschenwürde auf und lädt zum Marsch für das Leben ein, der am 16. September 2023 sowohl in Berlin als auch in Köln stattfinden wird. Linder sieht in diesem öffentlichen Zeugnis einen äußerst wichtigen Beitrag zum Schutz des Lebens.

Von Alexandra Maria Linder

Unbegreifliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Gerade ist im Bundestag die Neuregelung der begleiteten Selbsttötung, des assistierten Suizides, gescheitert. Nachdem sie zunächst gesetzlich verboten worden war, wurde dieses Verbot im Frühjahr 2020 durch eine unbegreifliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wieder aufgehoben. Denn, so das Gericht, die Autonomie des Menschen stehe letztendlich über allem. Unbegreiflich unter anderem deshalb, weil sich dadurch die abstruse Situation ergibt, dass der Mensch eine autonome Entscheidung treffen können soll, die ihm die Grundlage seiner Autonomie, nämlich seine eigene Existenz, nimmt. Abgesehen davon, dass wirkliche Autonomie in schwierigen menschlichen Lebenslagen meist blanke Theorie ist.

Aktuell ist also der assistierte Suizid weiterhin nicht geregelt, was bedeutet, dass jede Organisation, die Menschen zum Sterben verhelfen will, ihrem tödlichen Handwerk nachgehen darf. Das bedeutet aber auch, dass es kein Gesetz gibt, das diese Form der Mitwirkung an einer Tötung ausdrücklich erlaubt.

Richtiger Ansatz: Suizidprävention

Gleichzeitig wurde im Bundestag ein Gesetz mit großer Mehrheit verabschiedet, das vor allem auf die Suizidprävention setzt, also verhindern will, dass Menschen überhaupt in die Situation kommen, wo sie über Selbsttötung nachdenken müssen. Das ist der richtige Ansatz: Prävention einerseits und Stärkung von Hospizen, palliativer Versorgung und Zuwendung andererseits. Und es ist die Chance für alle, die auf der Basis der Menschenwürde arbeiten, langfristige, solide Lebensoasen zu schaffen – vom Pflegeheim über Krankenhäuser bis zu Schulen und Kindergärten. „Lebensoase“ heißt nicht nur, keine menschenunwürdigen Ideologien zuzulassen, keine menschenfeindlichen Organisationen einzulassen, nicht auf Gewinnmaximierung zu setzen, sondern ein Konzept zu entwickeln, das Menschenwürde, entsprechende Bildung und Behandlung an oberste Stelle setzt.

Prävention bedeutet, einer Sache zuvorzukommen, am besten weit im Voraus dafür zu sorgen, dass jeder Mensch die Zuwendung erhält, auf die er ein Recht hat. Nach christlichem Verständnis gilt das für jeden Menschen von seiner Zeugung bis zu seinem Tod. Denn jeder Mensch ist eine einzigartige Person, ein Geschenk. Ein großes, ambitioniertes, großartiges Programm, zu dem jeder beitragen kann: durch persönliche Zuwendung, durch Stärkung von Familie und Bindung, durch ehrenamtliche und berufliche Tätigkeiten, durch Unterstützung von Organisationen und vieles mehr.

Widersprüchliche Signale der Politik im Umgang mit Behinderten

Die Politik jedoch setzt widersprüchliche Signale. Ein Beispiel ist der Umgang mit Menschen mit Behinderung: Vor der Geburt sind diese Kinder dem Gesetzgeber so wenig wert, dass man sie aufspüren und bis zur Geburt abtreiben darf, wenn ihre Besonderheit für die Mutter „unzumutbar“ ist. Nach der Geburt wird mit dem Begriff der Inklusion angeblich alles versucht, um diesen Menschen und ihren Familien eine Lebensperspektive zu bieten.

Dem ist aber nicht so: Familien mit solchen Kindern werden wichtige Hilfsmittel, Umbauten in der Wohnung und weiteres verweigert. Besondere Bildungseinrichtungen für besondere Kinder werden geschlossen, alle Kinder unter dem Deckmantel der „Inklusion“ in Regelschulen gegeben – was für manche dieser Kinder ebenso falsch ist wie für Kinder, die aus anderen Gründen besondere Förderung brauchen. Eine Einheitseinrichtung für alle Kinder wird letztendlich keinem Kind gerecht.

Kinderreiche Familien immer stärker unter finanziellem Druck

Auch wird es für Familien mit mehreren Kindern immer schwieriger, finanziell über die Runden zu kommen, was in einem der reichsten Staaten der Welt schlicht eine politische Kapitulation ist. Wer Staatsgelder für ideologische Projekte, die Versorgung von Bekannten und Verwandten oder zum Löcherstopfen falscher politischer Entscheidungen – im Fall der Rentenkasse mit dreistelligen Milliardenbeträgen jährlich – einsetzt, muss sich fragen lassen, wie wichtig ihm eigentlich die Menschen sind, deren politische Vertretung er wahrnehmen soll.

Ungeborene der willkürlichen Tötung preisgegeben

Auch in anderen Bereichen stimmt die politische Agenda nicht mit dem gesunden Menschenverstand der Wähler überein: Während gemäß einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Mai die Mehrheit der deutschen Bevölkerung immer noch nicht möchte, dass Abtreibung zur Privatsache, also der § 218 StGB abgeschafft wird, kommen aus der Politik andere Forderungen: Die Bundesregierung hat entsprechend dem Koalitionsvertrag eine Kommission eingesetzt, die „prüfen“ soll, wie man Abtreibung außerhalb des Strafgesetzbuches regeln könnte.

Aktuell verlangen die Grünen erneut die Abschaffung des § 218, denn durch die strafrechtliche Regelung würden Frauen „kriminalisiert“. Doch das ist eine dreiste Lüge: Das Strafgesetzbuch kriminalisiert niemanden. Es ist dafür zuständig, Tötungsdelikte gegenüber unschuldigen Menschen zu erfassen, zu bewerten und sachgemäß zu bestrafen. Es dient dem Schutz der Menschen und, ja, es soll natürlich auch von solchen Handlungen abschrecken. Jeder Mensch, der eine Handlung gegen das Leben eines anderen Menschen begeht, kriminalisiert sich dadurch selbst. Der Druck, unter dem dieser Mensch dabei vielleicht stand, wird berücksichtigt: Nötigung von außen, Gefahren für den Menschen selbst, besondere Lebenssituation etc.

Nähme man § 218 aus dem Strafgesetzbuch heraus, würde dies bedeuten, dass eine ganze Gruppe von Menschen, nämlich alle Menschen vor der Geburt, keinen gesetzlichen Schutz mehr hätte und einer möglichen, willkürlichen, privaten, von Krankenkassen bezahlten Tötung überlassen würde.

Vollkommene Entmenschlichung der Kinder vor der Geburt

Des weiteren würden im Zuge dessen auch die Hilfsbereitschaft für Frauen im Schwangerschaftskonflikt, Hilfsangebote und der Schutz vor Nötigung und Druck weiter sinken. Und immer mehr wird nachgewiesen: Die meisten Frauen gehen aufgrund von Beziehungskonflikten zur Abtreibung, nicht, weil sie sie selbst wollen. Eine Abtreibung hat keinerlei physischen oder psychischen Nutzen für eine Frau.

Die Grausamkeit dieses politischen Vorhabens liest sich von selbst. Um alldem zu entgehen, wird versucht, Abtreibung zur „Gesundheitsversorgung“ und „Selbstbestimmung“ zu deklarieren und das Kind vor der Geburt zu entmenschlichen: Man nennt es Gebärmutterinhalt, Schwangerschaftsgewebe, Zellhaufen, begleitet von gefälschten Fotos, die nur die halbe Wahrheit, nämlich das Schwangerschaftsgewebe um das Kind herum, zeigen. Jede Praxisangestellte, die die Teile des Kindes nach der Abtreibung zusammensetzen muss, um zu sehen, ob sie „gelungen“ ist, weiß es besser.

Faszinierende Erkenntnisse der Embryologie

Wer diese Lügen verbreitet, ist entweder Ideologe oder Ignorant. Die Wissenschaft der Embryologie weist mit immer neuen faszinierenden Erkenntnissen seit Jahrzehnten zweifelsfrei nach, dass der Mensch vom Augenblick seiner Entstehung an nichts anderes ist als ein vollständiger Mensch mit Potential – und definitiv kein potentieller Mensch.

Das wusste man auch vorher schon, selbst in einer besonders desolaten und dekadenten Zeit in Berlin, wie Alfred Döblin in seinem Buch „Berlin Alexanderplatz“ für das Jahr 1928 so beschreibt: „Gehen auch Frauen und Mädchen über die Alexanderstraße und den Platz, die tragen einen Fötus im Bauch, der ist gesetzlich geschützt. Und während draußen die Frauen und Mädel schwitzen bei der Hitze, sitzt der Fötus ruhig in seinem Winkel, bei ihm ist alles richtig temperiert, er spaziert über den Alexanderplatz, aber manchem Fötus wird es nachher schlecht gehen, soll nicht zu früh lachen.“

Aufdeckung der Schizophrenie durch die Lebensrechtsbewegung

Das weiß auch die Bundesregierung. Sonst könnte man nicht erklären, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach jetzt ein Rauchverbot im Auto fordert, wenn Schwangere darin sitzen. Oder dass auf Zigarettenpackungen grausige Bilder mit Kindersarg zu finden sind: Rauchen kann Ihr ungeborenes Kind töten.

Wenn ein Kind erwünscht ist, ist es ein Kind, wenn nicht, ist es ein Zellhaufen? Diese Schizophrenie gilt es aufzudecken und zu überwinden. Die Verbreitung der Wahrheit über das Menschsein des Kindes und die wirkliche Lage von Schwangeren im Konflikt, die tätige Hilfe für Betroffene, die Aufklärung, das Wachhalten in der Öffentlichkeit ist das, was die Lebensrechtsbewegung seit über vierzig Jahren tut.

Einladung zum Marsch für das Leben am 16. September

Der Marsch für das Leben im September ist der öffentliche Höhepunkt dieser ganzjährigen Arbeit. Die Veranstaltung wird sehr aufmerksam beobachtet: Wie viele Menschen gehen hin, wer tritt auf der Bühne auf, was wird dort gesagt, welche Unterstützung erfährt sie?

Dieses Jahr gehen wir wieder einen neuen, großen Schritt: Zum ersten Mal in seiner Geschichte gibt es zwei Märsche für das Leben gleichzeitig – in Berlin und in Köln. Damit noch mehr Menschen teilnehmen können. Damit das Lebensrecht noch sichtbarer wird. Damit Deutschland sich in der Wahrung der Menschenwürde weiterhin von einigen anderen Staaten abhebt und ein positives Beispiel geben kann. Damit wir der Politik einmal mehr zeigen können, dass die Menschen weder die Aufgabe des Embryonenschutzes oder die Ausbeutung von Frauen als „Leih“-Mütter noch die Kapitulation vor schwierigen Lebenssituationen durch Tötungs- statt Lebensperspektiven für gut halten. Wir freuen uns auf zwei große, lebensbejahende Demonstrationen am 15. September.

Weitere Informationen unter: www.bundesverband-lebensrecht.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Der Sexualität den rechten Platz in der Schöpfungsordnung Gottes geben

Der „Synodale Weg“ auf falschem Fuß

Der „Synodale Weg“ in Deutschland fordert in seinen Beschlüssen die vorbehaltlose Annahme geschlechtlicher Vielfalt. In ihrem neuen Buch mit dem Titel „Fürchte dich nicht du kleine Herde, wenn die Hirten mit den Wölfen tanzen"[1] analysiert Gabriele Kuby dieses Ansinnen, das im Namen der biblischen Botschaft und der bischöflichen Autorität vorgetragen wird. Sie stellt nüchtern fest, die katholische Kirche in Deutschland habe das Kreuz Christi als Zentrum des Glaubens durch die Regenbogenflagge ersetzt. Treffend entlarvt sie die irreführenden Verdrehungen des Wortes Gottes und nennt den Verrat des „Synodalen Wegs“ am Auftrag der Kirche beim Namen. Es ist an der Zeit, Klartext zu sprechen und diejenigen, die der göttlichen Offenbarung und dem christlichen Menschenbild treu bleiben wollen, durch klare Orientierung zu stärken und zum furchtlosen Zeugnis zu ermutigen. Nachfolgend einige Auszüge aus dem aufrüttelnden Buch, das zweifellos Beachtung verdient.[2]

Von Gabriele Kuby

Als Hauptmotiv für die vorbehaltlose Annahme geschlechtlicher Vielfalt wird immer wieder das Leid der Betroffenen angeführt. „Unterstellungen“ wie jene, dass der Geschlechterdualismus in der menschlichen Natur verankert sei, gelte es aufzulösen, denn „sie verursachen und vertiefen Leid und tragen für manche sogar nachhaltig dazu bei, die Voraussetzung für eine liebende Gottes- und Selbstbeziehung zu beeinträchtigen ... Sie legitimieren und befördern Ausgrenzung, Gewalt und Verfolgung, vor denen die Kirche eigentlich schützen sollte ... Dies setzt sie in kirchlichen Räumen verstärkt missbräuchlichen Täterstrategien aus, die oftmals auf besonders verletzliche Menschen abzielen ... Ihre prekäre Stellung führt zu Minderheitenstress, der nachweislich das Risiko physischer und psychischer Erkrankung wie etwa Depression erhöht. Die Suizidalität ist bei trans- und intergeschlechtlichen Personen signifikant erhöht“ (Beschluss „Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt“).

Falsches Mitleid und propagandistische Mär

Diese Sätze sind manipulative, ideologische Irreführungen. Unserer Zeit ist es vorbehalten, durch eine Ideologie, welche die gesamte Gesellschaft durchsäuert hat, an der Geschlechterdualität zu rütteln und auf diese Weise die anthropologischen Grundlagen von Ehe und Familie ins Wanken zu bringen.

Das Problem des Missbrauchs ist nicht, dass homosexuelle und transsexuelle Knaben Priester zum sexuellen Missbrauch verführt haben, sondern dass (überwiegend) homosexuelle Priester sich über gutgläubige Knaben hergemacht haben. Die propagandistische Mär, dass alle psychischen und sozialen Probleme der Homosexualität und Transsexualität ihre Ursache in der Nicht-Akzeptanz der Gesellschaft haben, wird bruchlos übernommen. Ohne explizit die Kausalität zwischen „Minderheitenstress“ und Suizid zu behaupten, wird sie insinuiert.

Tatsächlich ist die Selbstmordrate bei Menschen, die ihr Geschlecht operativ umwandeln ließen, 19-mal höher als im Bevölkerungsdurchschnitt.[3] Zuerst wird die Transition als Befreiung empfunden, dann kommen die untergründigen Probleme zum Vorschein, die überhaupt zur Geschlechtsdysphorie geführt haben. Nun aber steht die Person vor den schlimmen, unwiderruflichen Konsequenzen der versuchten Geschlechtsumwandlung.

Verantwortungslose Schnelldiagnosen und Verstümmelung gesunder Teenager

Sind den Synodalen die erschütternden Zeugnisse von jungen Menschen gänzlich unbekannt, die bereuen, dass sie sich ihre Brüste oder ihren Penis abschneiden ließen, oder sich durch pubertätsblockierende Hormone lebenslang unfruchtbar gemacht und ihre Gesundheit schweren Risiken ausgesetzt haben? Bereits Ende Juli 2022 wurde bekannt, dass die Geschlechtsumwandlungsklinik Travistock in England schließen musste. Gegen deren verantwortungslose Schnelldiagnosen und Verstümmelung gesunder Teenager klagen inzwischen 1000 Opfer. Sie stellten fest, dass die Transition ihre Persönlichkeitsprobleme, welche die tiefere Ursache der Störung ihrer Geschlechts-identität waren, nicht lösen konnten. Elon Musk, der nicht fürchten muss, dass sein Twitter-Account gelöscht wird, twitterte deutliche Worte: „Jeder Elternteil oder Arzt, der ein Kind sterilisiert, bevor es ein Erwachsener ist und einwilligen kann, sollte lebenslang ins Gefängnis."[4]

Nicht nur die Jugendlichen werden durch Geschlechtsumwandlung traumatisiert, sondern auch deren Eltern. Sie werden von Medizinern und Therapeuten mit der Aussage erpresst, entweder Zustimmung zur Geschlechtsumwandlung oder Suizid ihres Kindes. Auch die Geschwister und das gesamte Familiensystem werden in unauflösliche Konflikte gestürzt, sind ratlos und orientierungslos und werden bis in die Grundfesten erschüttert – über Generationen hinweg.[5]

Wer sind heute die Ausgegrenzten und Diskriminierten?

Ja, die Kirche soll sich der Ausgegrenzten und Diskriminierten annehmen. Aber wer sind heute die Ausgegrenzten und Diskriminierten? Sind es die Homosexuellen, die ihre sexuellen Vorlieben auf Märschen durch die Hauptstädte der westlichen Welt öffentlich zur Schau stellen? Deren Flagge mit dem missbrauchten Logo des Regenbogens (1 Gen 9,13-16) über öffentlichen Gebäuden flattert, ja sogar in der Heiligen Messe eines bayerischen Kardinals die Altarstufen bedeckt? Oder sind es jene homosexuell empfindenden Menschen, die unter großen Kämpfen nach den Geboten Gottes leben wollen; oder jene, die aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt, mit Geld- und Gefängnisstrafen verfolgt werden, ihre berufliche Existenz verlieren und deren Accounts im Internet gelöscht werden, wenn sie ihre Sichtweisen oder auch nur wissenschaftliche Erkenntnisse verbreiten, welche der LGBTIQ-Agenda nicht genehm sind? Oder jene Christen, Priester und Bischöfe, die von den Medien gejagt werden, wenn sie an den biblischen Geboten festhalten und sich nicht korrumpieren lassen?

Warum lässt die Kirche die Opfer der sexuellen Revolution außer Acht?

Warum schlägt sich die Kirche auf die Seite von kleinen und kleinsten Minderheiten und lässt das Leid der Massen von Opfern der sexuellen Revolution außer Acht, etwa der Millionen von Scheidungskindern?

Warum steht die Kirche nicht mit dem Licht ihrer Lehre an der Seite von Ehe und Familie, dem immer noch bevorzugten Lebensmodell der Mehrheit der Gesellschaft?

Warum kämpft die Kirche nicht für das Lebensrecht der Ungeborenen, anstatt passiv zuzuschauen, wie Millionen von Kindern im Mutterleib zerstückelt werden?

Warum steht die Kirche nicht kompromisslos gegen die hormonalen und operativen Geschlechtsumwandlungen von unmündigen Jugendlichen auf, deren Leben und Gesundheit dadurch schwerster Schaden zugefügt wird?

Warum setzt die Kirche sich nicht entschieden für das Recht der Alten auf den natürlichen Tod ein? Wer soll die Alten schützen, wenn der assistierte Suizid angesichts des schleichenden demographischen Selbstmords der westlichen Welt zur „Tugend“ erklärt wird, wenn nicht die Kirche?

Warum kämpft die Kirche nicht gegen die staatliche Zwangssexualisierung der Kinder ab dem Kindergarten, anstatt diese in „katholischen“ Kindergärten und Schulen selbst zu betreiben?

Zum letzten Punkt ein paar wenige Anmerkungen: Jede Revolution, die den neuen Menschen schaffen will, bemächtigt sich der Kinder, so auch die sexuelle Revolution. Das Konzept der Sexualerziehung wurde in den 1970er Jahren von dem homosexuellen Kinderschänder Professor Helmut Kentler entwickelt und von seinem Ziehsohn Professor Uwe Sielert über das Institut für Sexualpädagogik flächendeckend in Kindergärten und Schulen etabliert. Eltern, die bei der Kirche Unterstützung suchten, wurden und werden im Regen stehengelassen.

Haarsträubende „sexualpädagogische Leitlinien für kirchliche Einrichtungen“

Mittlerweile ist aus der jahrzehntelangen passiven Duldung der Kentler/Sielert-Agenda aktive Durchsetzung geworden. Bischof Bätzing hat im Bistum Limburg „sexual-pädagogische Leitlinien für kirchliche Einrichtungen“ erlassen, die von Holger Dörnemann, Religions- und Sexualpädagoge und LSBTI-Beauftragter des Bistums Limburg, formuliert wurden. Er meint: „Ein Mangel an sexueller Reife und qualifizierter Bildung sind Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt und Grenzverletzung."[6] Deswegen sollen Kinder in den KiTas dazu angeleitet werden, „selbstkompetent“ über die „positive Lebenskraft Sexualität“ zu verfügen. Im Klartext heißt das: Zeigt ihnen, wie man masturbiert und gebt ihnen abgeschirmte Kuschelecken zum sexuellen Kompetenzerwerb. Das führt zu einer ganz neuen Tätergruppe von sexuellem Missbrauch: Sechsjährige, die Vierjährige zu sexuellen Handlungen nötigen. Derartige Präventionsprogramme dienen nicht der Prävention, sondern dem „Grooming“ von Kindern, dem Gefügigmachen für sexuellen Missbrauch.

Warum wendet die Kirche ihre Barmherzigkeit nicht den Millionen von Kindern und Jugendlichen zu, die depressiv sind und unter psychischen und physischen Störungen leiden, weil ihre Familien zerbrochen sind, sie als Kleinkinder von der Mutter getrennt und kollektiver Fremdbetreuung übergeben werden, in Kindergarten und Schule sexualisiert und den Social Media und der Pornographie ausgeliefert werden?

Labyrinth geistiger Verwirrung und geistlicher Desorientierung

Wenn je das Wort „schwurbeln“ zugetroffen hat, dann für diese Texte. Schwurbeln wird auf das mittelhochdeutsche Wort Swerben zurückgeführt und bedeutet „taumeln, schwindlig werden, sich im Kreise drehen“. Schwindelig wird einem zum Beispiel beim Gebrauch des Begriffes „Würde“, der sich besonderer Beliebtheit erfreut. Im Text „Liebe, Sexualität und Partnerschaft“ (LSP) kommt er 39-mal vor. Hier einige Kostproben:

„Die Würde des gottebenbildlichen Menschen erweist sich in der Freiheit bewusster und moralisch verantworteter Entscheidung über die Handlungsoptionen der eigenen Lebensführung.“

„Der Würde [der menschlichen Person] entspricht es, auch in der sexuellen Kommunikation einen vollpersonalen Selbstausdruck zu vollziehen und den der anderen Person empfangen zu können.“

„Für alle Sexualität gilt: Sie muss immer die Würde der betroffenen Personen als Ausdruck der Ebenbildlichkeit Gottes achten. Zur Würde gehört das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Sie zu unterstützen und in ihrer Bindung an das moralisch Gute zu stärken gehört ebenso zum Grundauftrag der Kirche wie die Achtung der sexuellen Identität – unabhängig des Alters oder der jeweiligen sexuellen Orientierung.“

Wieder so ein Oxymoron: das moralisch Gute stärken und jede sexuelle Orientierung gutheißen. Richtig ist, dass der Mensch Würde besitzt, weil Gott jeden Menschen aus Liebe als sein Ebenbild geschaffen hat. Daraus folgt: Diese ontologisch gegebene Würde verpflichtet ihn danach zu streben, dem Ebenbild Gottes ähnlich zu werden. Das geschieht dadurch, dass er die Sünde meidet, in der Tugend wächst und sich, „wenn er dennoch sündigt, wie der verlorene Sohn dem Erbarmen des himmlischen Vaters anheim gibt“ (KKK, Nr. 1700).

Das aber sehen die Synodalen anders: Die freie Entscheidung der Person über ihre eigene Lebensführung, welche „moralisch verantwortet“ wird, soll Kriterium der Würde sein. Welche Moral? Verantwortet vor wem? Niemals wird auf die Bibel und die Lehre der Kirche als Quelle der Moral Bezug genommen, und niemals wird von der Verantwortung vor Gott gesprochen, gar vom Gericht, dem sich jeder Mensch wird stellen müssen. Der „vollpersonale Selbstausdruck“ macht die „Würde“ in der „sexuellen Kommunikation“ aus, sei diese schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell.

Die Freiheit des Ich wird zum Götzen gemacht

Hier wird die Freiheit des Ich zum Götzen gemacht. Theologischer Advokat eines solchen Freiheitsbegriffs und Ideengeber des Synodalen Wegs ist der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet.[7] Er setzt den Menschen, der seine Willensfreiheit zum obersten Gesetz erhebt, auf den Thron Gottes.

Dazu sagt Bernhard Meuser: „Was der Mensch sich in Freiheit zur Maxime seines Handelns macht, ist göttliches Gesetz. Der darin sich manifestierende Autonomismus[8] führt dazu, dass der Mensch im Selbstentwurf und freien Gebrauch seiner Freiheit aus sich heraus schon moralisch handelt und eigentlich keine Weisung und kein Gebot braucht, ja dergleichen nicht einmal akzeptieren darf, um gut zu sein."[9]

Da Gott die Liebe ist und also ganz gut, ganz wahr, ganz frei ist, der Mensch hingegen von der Erbsünde belastet ist und seine Freiheit nur in der Abkehr von der Sünde und der Zustimmung zu Gottes Willen verwirklichen kann, bedeutet ein autonomer Freiheitsbegriff den Abfall von Gott.

Keine Satire, sondern Schlussfolgerung aus den Beschlüssen des Synodalen Wegs

Gar lustig wird es im Pfarrhaus zugehen, wenn die Vorstellungen der Synodalen verwirklicht werden: Priester und Priesterin und all ihre Mitarbeiter*innen können miteinander verheiratet sein, mit einer Frau oder einem Mann oder auch gar nicht, sie können geschieden und wiederverheiratet oder single sein und ihre homosexuelle, bisexuelle, nicht-binäre oder transsexuelle Identität und Orientierung vor der Gemeinde ausleben. In Einzelfällen kann auch eine Frau, die sich als Mann fühlt, zum Priester geweiht werden, sozusagen als Vorhut der allgemeinen Priesterweihe der Frauen. Jeder wird dann mit der sexuellen Identität und Orientierung seiner Wahl in Priestergewändern am Altar stehen, das Evangelium verkünden – und die Wandlung vollziehen.

Das ist keine Satire, sondern die Schlussfolgerung aus den Beschlüssen des Synodalen Wegs. Der einzige „Trost“ in der Trauer: Es wird wahrscheinlich niemand mehr in der Kirche sein, der der gotteslästerlichen Maskerade beiwohnen wird.

Innerkirchliche Zerstörung des Glaubens

Vielleicht ist das der Grund, warum Weihbischof Puff sich ernsthaft die Frage stellt, ob er „Ausgetretenen“ die heilige Eucharistie nicht mehr verweigern soll in der Annahme, sie hätten „meistens ihren Glauben doch nicht verloren“.[10] Diese Frage stellt sich für die „kleine Herde“ der Gläubigen, von der eine wachsende Zahl nicht mehr bereit ist, Kirchensteuern für die innerkirchliche Zerstörung des Glaubens zu bezahlen und ihren staatlich eingetriebenen Obolus gerne freiwillig an Initiativen spenden würde, die aus einer lebendigen Beziehung zu Jesus Christus leben.

Glauben denn die Bischöfe wirklich, dass die Überwindung „des Bruchs zwischen Lehramt und Gläubigen“ durch Verkauf des katholischen Tafelsilbers überwunden werden kann? Man braucht keine Meinungsforschungsinstitute anzustellen, um zu sehen, dass katholische Orden, Priesterseminare, Hochschulen und Gemeinden nur dort blühen, wo der Glaube unverkürzt gelehrt und gelebt wird. Wo sie den Glauben der Welt anpassen und von homosexuellen Netzwerken unterwandert sind, gehen sie kaputt.

Sehen wir denn nicht, dass der Zug der Zeit an die Wand fährt?

Ein Zweites nimmt wunder: Es scheint, als fürchteten die Bischöfe gänzlich irrelevant zu werden, wenn sie nicht auf den Zug der Zeit aufspringen. Aber sehen sie denn nicht, dass dieser Zug an die Wand fährt? Es gibt keinen Bereich der Gesellschaft mehr, der nicht in der Krise wäre: Kriege, Naturkatastrophen, Klimawandel, Energiekrise, eine nie da gewesene Konzentration von Reichtum in den Händen von Privatpersonen, 73 Millionen Abtreibungen pro Jahr weltweit, schleichender demographischer Selbstmord der westlichen Welt, riesige Migrationsströme, Ausbreitung des Islams in einst christlichen Kulturen, Arbeitskräftemangel, Bildungsverfall, Auflösung der Familie, Korruption und Lüge, wohin man schaut, wetterleuchtend am Horizont der Transhumanismus und der totale Überwachungsstaat, und – vielleicht der gravierendste Punkt – eine junge Generation, deren dominierende Emotion Angst ist und die zu großen Teilen depressiv und psychisch und physisch krank ist.[11] Sie soll die Zukunft bewältigen, die globale Krise überwinden, die Freiheit verteidigen – mit welcher Kraft?

Eine solche Welt braucht die Botschaft: „Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat!“ Sie braucht Menschen, die ein Licht auf dem Schemel sind, eine Kirche, die eine Stadt auf dem Berge ist, in der die Menschen Identität, Heimat, Zuflucht und Hoffnung finden. Sie kann es nur wieder werden, wenn sie sich reinigt, wie klein auch immer sie dann werden mag.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Gabriele Kuby: Fürchte dich nicht, du kleine Herde – wenn die Hirten mit den Wölfen tanzen, TB, 100 S., ISBN 978-3-86357-384-3, Euro 8,95 – Tel.: 07563 608 998-0 – E-Mail: info@fe-medien.de – Internet: www.fe-medien.de
[2] Die Auszüge sind den Seiten 50 bis 71 entnommen.
[3] Cecilia Dhejne: Long-Term Follow-Up of Transsexual Persons Undergoing Sex Reassignment Surgery: Co-hort Study in Sweden, February 2011. https://journals.plos.org
[4] kath.net, 21.04.2023.
[5] Miriam Grossmann, Interview mit Jordan Peterson: Parental Trauma in a World of Gender Insanity. www.youtube.com/watch – Veröffentlichung als Buch im Sommer 2023.
[6] Hedwig von Beverfoerde: Das unheilvolle Erbe Kentlers, in: Die Tagespost v. 13.04.2023.
[7] Magnus Striet: Für eine Kirche der Freiheit – Den Syodalen Weg konsequent weitergehen, Herder Verlag, München 2022.
[8] Das eigene Ich ist die höchste, normgebende Instanz.
[9] Bernhard Meuser: Das synodale Dilemma, in: Die Tagespost v. 10.11.2022. https://www.die-tagespost.de/kirche/synodaler-weg/das-synodale-dilemma-art-233512
[10] https://www.kath.net/news/81399
[11] B]arna Group: The Connected Generation, 2019. Internationale Studie mit 15.000 Probanden zwischen 18-35 Jahren: www.barna.com anxiety/; Gabriele Kuby: Die verlassene Generation, Fe-Medienverlag, Kißlegg 2020.

Zur Hinrichtung von Leutnant Michael Kitzelmann (1916-1942)

Sieg der Wahrhaftigkeit

„Daheim reißen sie die Kreuze aus den Schulen, und hier macht man uns vor, gegen den gottlosen Bolschewismus zu kämpfen!“ Dieser Satz wurde Leutnant Michael Kitzelmann zum Verhängnis. Immer offener hatte er auch vor seinen Soldaten seine Empörung über den von Hitler angeordneten Vernichtungskrieg im Osten zum Ausdruck gebracht. Nach der Denunzierung durch einen Untergebenen wurde er vom Feldgericht seiner Division am Karfreitag, den 3. April 1942, zum Tod verurteilt und am 11. Juni bei Orel zwischen Charkow und Moskau hingerichtet. Seine Aufrichtigkeit, die in seinem mutigen Glauben und christlich erleuchteten Gewissen gründete, ließ ihn nach heftigen inneren Kämpfen den Unrechtscharakter des NS-Regimes klar erkennen und in der Todeszelle zu einer tiefen Dankbarkeit für seine „gnadenvolle Todesstunde“ gelangen. Studiendirektor Jakob Knab stellt die entscheidenden Lebenslinien dieses christlichen Zeitzeugen heraus.

Von Jakob Knab

Im Januar 1916 erblickte Michael Kitzelmann im Westallgäuer Weiler Horben das Licht der Welt; in der Pfarrkirche St. Gallus in Gestratz wurde er getauft. In jenen Jahren war für begabte Buben aus dem ländlich-katholischen Milieu von Schwaben, Allgäu und Altbayern der Besuch des Humanistischen Gymnasiums und des Bischöflichen Knabenseminars in Dillingen an der Donau eine der wenigen Möglichkeiten, zu einer höheren Schulbildung zu gelangen. Voraussetzung war, dass man vom Heimatpfarrer als „würdig und geeignet“ empfohlen wurde.

Religiöse Strenge und Klarheit im Bischöflichen Knabenseminar

So verbrachte Kitzelmann die Jahre 1928 bis 1936 in Dillingen; und dieser Lebensabschnitt ist somit Teil eines sehr exemplarischen Lebenslaufes. Auf gleiche Weise sind jahrhundertelang begabte katholische Buben zur Welt des Geistes hingeführt worden. Denn es gab in jener Ständegesellschaft nur eine Institution, die eine Aufstiegschance ermöglichte: die Kirche. Sie bot den gescheiten Söhnen von Landwirten und Handwerkern die Gelegenheit, ihr dörfliches Milieu zu verlassen und ihre Begabung zu entfalten.

Wenn man die Statuten des Bischöflichen Knabenseminars in Dillingen liest, sieht man die eindeutig religiöse Ausrichtung: „Der Besuch der täglichen heiligen Messe ist dem Seminaristen weniger Sache des Gehorsams als Bedürfnis des Herzens. (...) Leichtfertiges oder gar abfälliges Reden über Wahrheiten des Glaubens oder Einrichtungen der Kirche und überhaupt jedes Ärgernis religiöser oder sittlicher Art, sei es in Wort oder Werk, widerspricht dem Geist und Ziel unseres Hauses. Schon ein stillschweigendes Zusehen ist nicht zu verantworten.“ Der Zögling Kitzelmann war empfänglich für diese religiöse Strenge und Klarheit. Weggefährten erinnern sich an sein impulsives Temperament: „Wenn sein Gerechtigkeitsgefühl verletzt wurde, konnte er jähzornig reagieren."[1] Und ein Schulkamerad beteuerte: „Der Kitzelmann hatte einen sturen, hitzigen Allgäuer Bauernschädel."[2]

Zunehmender Einfluss der NS-Weltanschauung

Ab 1933 lebte auch Michael Kitzelmann im Spannungsfeld zwischen katholischer Weltanschauung und dem totalitären Anspruch der NS-Ideologie. Auch in Dillingen erlitten die traditionelle Lebenswelt und die katholisch-religiöse Weltanschauung Einbrüche: So gehörten im Schuljahr 1935/36, also im Abiturjahrgang von Michael Kitzelmann, Schriften von Hanns Johst, der in seinen Schriften ein Bekenntnis zur NS-Weltanschauung ablegte, sowie von Walter Flex zur Pflichtlektüre. Schon kurz nach der Machtübernahme der NS-Bewegung hatte Johst gefordert: „Das kommende Theater wird Kult werden müssen. Die Not, die Verzweiflung, das Elend unseres Volkes braucht Hilfe. Und Hilfe kommt letzten Endes ... aus der Wiedergeburt einer Glaubensgemeinschaft.“ Auch die Erzählung von Walter Flex „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ (1917) zählte zur verbindlichen Lektüre. Autor Flex idealisierte die Frontkameradschaft; er verknüpfte sie mit der Lebensanschauung der Jugendbewegung. Das Buch wurde in Millionenhöhe aufgelegt. Der Heldentod wurde verklärt; die Schrecken des Krieges wurden ausgeblendet: „Aber wenn ein Mann den tödlichen Schuß, der ihm die Eingeweide zerreißt, empfangen hat, dann soll keiner mehr hinsehen. Denn was dann kommt, ist häßlich und gehört nicht mehr zu ihm. Das Große und Schöne, das heldische Leben ist vorüber.“ Und weiter Walter Flex in seinem Pathos: „Großen Seelen ist der Tod das größte Erleben. Wenn der Erdentag zur Rüste geht und sich die Fenster der Seele, die farbenfrohen Menschenaugen verdunkeln wie Kirchenfenster am Abend, blüht in dem verdämmernden Gottestempel des sterbenden Leibes die Seele wie das Allerheiligste am Altar unter der ewigen Lampe in dunkler Glut auf und füllt sich mit dem tiefen Glanze der Ewigkeit.“ Schließlich stößt man im Dillinger Jahresbericht 1935/36 auf den Satz: „Die Zukunft des deutschen Volkes fordert Krieg und Opfer, das Streben der deutschen Nation ist gottgewollt.“

Zweifel an der Berufung zum zölibatären Priester

Nach dem Abitur rang Kitzelmann um die Berufswahl. Er litt unter der Unsicherheit, ob er zum zölibatären Priester berufen sei. Zunächst aber wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen; er leistete ihn in Pfronten-Ried bei Füssen ab. Hier erlebte er eine kirchenferne Umwelt. Ab Herbst 1936 studierte er Philosophie bei St. Stephan in Augsburg. Sein Gesuch um Aufnahme in die Lehrerfortbildungsanstalt Pasing bei München wurde abgelehnt, weil er sich weigerte, in eine NS-Organisation einzutreten. Um weitere Zeit für die Berufswahl zu gewinnen, folgte Kitzelmann dem Rat seines Heimatpfarrers und meldete sich mit Ende des Sommersemesters 1937 freiwillig zur Wehrmacht. Seinen Grundwehrdienst leistete er beim Inf.Rgt. 91 in der Luitpold-Kaserne in Lindau am Bodensee ab. Er klagte über den unerträglichen Druck und das „Joch des abstumpfenden preußischen Militärdrills.“

Im März 1938 nahm Kitzelmann am Einmarsch nach Österreich teil. Der Volksmund sprach seinerzeit vom „Blumenkrieg“; Kitzelmann von einem „lustigen Feldzug“. Über das Unrecht dieses „Anschlusses“ machte er sich keinerlei Gedanken. Eineinhalb Jahre später, am 1. September 1939, war seine Einheit beim Überfall auf Polen dabei. An diesem Tag richtete Feldbischof Franz Justus Rarkowski diesen „Heimatgruß“ an die katholischen Soldaten: „Kameraden! Jeder von euch muß jetzt Kämpfer sein, nicht nur mit der Waffe in der Hand, sondern auch mit einem starken, tapferen und gläubigen Herzen.“ Im Gegensatz dazu begann Kitzelmann angesichts der –  wie er schrieb – „unzähligen Karawanen unglücklicher, heimatloser Flüchtlinge“ in Polen zu zweifeln, ob dies ein gerechter Krieg zum Schutz der Heimat sei. Am 9. bis 11. September wurde seine Einheit in schwere Kämpfe verwickelt. 24 Soldaten seiner Kompanie fielen. Auf eigene Verantwortung zog er seinen Zug zurück, um das Leben seiner Soldaten nicht zu gefährden.

Beförderung zum Leutnant und Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz

Wenige Tage darauf dürfte der katholische Leutnant Kitzelmann dieses „Gemeinsame Wort der Deutschen Bischöfe“ vom 17. September 1939 vernommen haben: „In dieser entscheidungsvollen Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, in Gehorsam gegen den Führer, opferwillig unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun.“ Am 9. Mai 1940 wurde Kitzelmann zum Leutnant befördert. Am Tag darauf griff die Wehrmacht Frankreich und die Benelux-Länder an; Kitzelmann war dabei. Die Begeisterung des jungen Offiziers und sein religiöser Eifer gingen eine unheilige Allianz ein, wenn er am 2. Juni 1940 nach Hause schrieb: „Ich habe unsern Herrn nicht gebeten, er möge mich vom Tode verschonen; ich habe ihn aber sehr um Kraft gebeten, ohne Angst dem Totentanz entgegenzutreten und mit wahrer Männlichkeit meine Kriegsarbeit zu verrichten.“ Als nach der kampflosen Besetzung der Stadt Paris Wehrmachtseinheiten eine Siegesparade veranstalteten, zog am 14. Juni 1940 auch der stolze Leutnant Kitzelmann an der Spitze seiner Kompanie in Paris ein. Kurz vorher war ihm das Eiserne Kreuz verliehen worden.

Am 22. Juni 1940 wurde der Waffenstillstand von Compiègne unterzeichnet; es war der Tag von Hitlers Freudentanz. Nach dem Sieg über Frankreich läuteten in Deutschland die Kirchenglocken. Die kriegerischen Erfolge Hitlers verstellten auch Kitzelmann den Blick. So schrieb er am 13. Juli 1940 an seinen Vater: „Die Schärfe unseres Schwertes wird allen hinreichend bekannt sein. Man muß doch, ohne voreingenommen zu sein, Adolf Hitler bewundern, wie er in so kurzer Zeit ein solches Heer aufgestellt hat und alles so fein ausgeklügelt hat.“

Waches Gespür für Gerechtigkeit und Mut zur Wahrhaftigkeit

In einer Zeit, da auch geschulte Offiziere des Generalstabes an das „Feldherrngenie des Führers“ glaubten, erhielt er nun den Auftrag, die militärischen Ereignisse innerhalb seines Kampfabschnittes für das Kriegsarchiv niederzuschreiben. Er stellte die Vorgänge wirklichkeitsgetreu dar und verschwieg auch Misserfolge nicht. Als man ihn aufforderte, das Negative zu streichen und ein Loblied auf das „Feldherrngenie des Führers“ einzufügen, lehnte er dieses Ansinnen ab und zog sein Manuskript zurück. Sein waches Gespür für Gerechtigkeit und sein Mut zur Wahrhaftigkeit waren stärker.

Im Kreise der Offiziere machte er sich durch seine regelmäßigen Besuche der Sonntagsgottesdienste zum Außenseiter. Am kirchlichen Fest Fronleichnam nahm er in Uniform an der Prozession teil. Dabei entrüstete er sich über den Widersinn, dass ihm der Besuch eines Gottesdienstes als Verbrüderung mit dem Feind ausgelegt wurde, während zur gleichen Zeit Soldaten mit Omnibussen in französische Bordelle gebracht wurden.

Anbahnung eines unausweichlichen Konflikts mit „diesem Reich“

Der Konflikt des Michael Kitzelmann bahnte sich an: Die Außenwelt änderte sich; doch seine Innenwelt, die sich aus seinem tief verwurzelten Gottvertrauen und aus einem katholischen Lebensgefühl speiste, blieb unverändert. Schritt für Schritt drang er tiefer ein in die ihm seit Kindheit vertraute katholische Lebenswelt. Ein ehemaliger Soldat aus seinem Zug erzählte: „Wenn er Zeit hatte, dann hat der Herr Leutnant Dorfkirchen in Frankreich aufgesucht. Bei den Feldgottesdiensten sangen wir beide zusammen Kirchenlieder; denn er hatte eine schöne, kräftige Stimme. Und er kümmerte sich auch um die verwundeten Soldaten.“ Und mit tränenerstickter Stimme: „Der Herr Leutnant hat ein so gutes Herz gehabt."[3]

Am 30. März 1941 hatte Hitler in einer Rede vor Generalen und Admiralen der Wehrmacht angekündigt, dass er einen Vernichtungskampf gegen die Sowjetunion führen werde. In seinem Aufruf an die „Soldaten der Ostfront“ vom 22. Juni 1941 tat er kund: „Deutsche Soldaten! Damit tretet Ihr in einen harten und verantwortungsschweren Kampf ein. Denn: Das Schicksal Europas, die Zukunft des Deutschen Reiches, das Dasein unseres Volkes, liegen nunmehr allein in Eurer Hand. Möge uns allen in diesem Kampf der Herrgott helfen!“ Einen Tag nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion hielt Kitzelmann fest: „Ich habe absolut nicht mehr den Willen, für dieses Reich auch nur einen weiteren Schweißtropfen zu vergießen – komme, was kommen mag.“

Weltbewegender Kampf gegen den bolschewistischen Antichrist

Ganz anders die deutschen Bischöfe: „In schwerster Zeit des Vaterlandes, das auf weiten Fronten einen Krieg von nie gekannten Ausmaße zu führen hat, mahnen wir euch zu treuer Pflichterfüllung, tapferem Ausharren, opferwilligem Arbeiten und Kämpfen im Dienst unseres Volkes. Von euch allen fordert der Krieg Anstrengungen und Opfer."[4] Auch bei Kitzelmann hinterließen diese Worte Spuren. In einem „Kreuzzugsbrief“ vom 30. Juli 1941 an eine Hauptlehrerin in Krumbach (Schwaben) bekannte er: „Gar manchmal möchte einem der Mut sinken, aber dann tröste und ermuntere ich mich wieder in dem Gedanken, daß wir ausgezogen sind in einem weltbewegenden Kampf gegen den bolschewistischen Antichrist. Um dieser Idee willen kann kein Opfer zu groß sein.“ Kitzelmann glaubte seinerzeit, dass die Wehrmacht berufen sei, das „bolschewistische“ NS-Regime zu stürzen: „Unsere ruhmreiche Armee wird nach diesem hl. Kampf genügend Ansehen und Macht sich erworben haben vor den Augen der Welt und des deutschen Volkes, um auch den wühlenden Bolschewismus im eigenen Volkskörper mit Stumpf und Stiel ausmerzen zu können.“

Am 27. Juni 1941 hatten sich die sowjetischen Truppen aus dem Raum Lemberg zurückgezogen; drei Tage später, am 30. Juni 1941, war Lemberg, die Hauptstadt von Ostgalizien, von Verbänden der Wehrmacht eingenommen worden. Zu dieser Zeit befand sich Kitzelmann noch in der Karfreit-Kaserne in Brannenburg (Bayern). In seinen Briefen nach Hause erzählte er erstmals von Maria aus Oberaudorf und vom „Glück der jungen Liebe“.

Schuldgefühle aufgrund der ungezügelten Raubzüge der Wehrmacht

Nach seinem Eintreffen in Lemberg machte er in einem Brief an seinen Vater vom 3. August 1941 seinem Ärger Luft: „In diesem Lemberg sieht man so viele Etappenschweine herumlaufen, daß einem ehrlichen Krieger die Wut bis an den Hals steigt. (...) Wie lange noch werden wir dieses Hundeleben in Ketten und Unfreiheit führen müssen!“ Nach dem Fall von Lemberg wich die Rote Armee um etwa 200 km zurück und baute eine neue Verteidigungslinie Nowgorod – Proskurow auf. Leutnant Kitzelmann wurde an die neue Kriegsfront nach Proskurow in der Ukraine versetzt.

Das Oberkommando der Wehrmacht und die Wirtschaft waren davon ausgegangen, dass es in der Sowjetunion möglich sein werde, die Wehrmacht weitgehend aus dem Lande zu ernähren, um den Nachschub zu entlasten. Angesichts der sich daraus ergebenden Raubzüge wurde der Allgäuer Bauernsohn Kitzelmann von Schuldgefühlen geplagt: „Wir sind ein ewig wandernder, raubender Heerhaufen geworden, den man mit einem Heuschreckenschwarm vergleichen kann. Wo wir uns niedergelassen haben, hört man nach unserm Abzug keine Gans mehr schnattern und kein Schwein mehr grunzen.“

„Russland wird das Massengrab des deutschen Volkes werden“

Es war der erste Kriegswinter an der Ostfront, da der Vormarsch der Wehrmacht zum Erliegen kam und der aufgrund der bitteren Kälte allen Soldaten in schlimmer Erinnerung ist. Am 2. Januar 1942 musste Leutnant Kitzelmann die 7. Kompanie der 262. Inf.Division übernehmen. Bei eisigen Schneestürmen bauten die Soldaten Unterstände. Es war die Zeit, da die Wehrmacht nach mehreren sowjetischen Offensiven den Rückzug in die „Winterstellung“ begann. Kitzelmann schrieb nach Hause: „... die allergrößte Mehrzahl hat immer noch nicht begriffen, dass der Kampf gegen die Russen mit ihrem riesigen Hinterland nie zu einem Ende kommen und Rußland das Massengrab des deutschen Volkes werden wird.“ Und Ende Februar 1942 klagte er: „Nicht zu beschreiben ist die Not und Armseligkeit, die sich der Gebiete um uns bemächtigt hat. Die Zivilisten, die hier im Kriegsgebiet verblieben sind, stehen vor dem Hungertod. Sie fristen ihr Leben jetzt noch mit gefrorenen Kartoffeln sowie mit Fleisch von herumliegenden Pferdekadavern. (…) O dieses Rußland! Es ist mir der Inbegriff aller Schrecken geworden.“

Leutnant Kitzelmann wurde verstrickt in Hitlers Vernichtungskrieg; es war ein Krieg, der sich nicht nur gegen gegnerische Streitkräfte richtete. Die Wehrmacht war das Schwert in Hitlers Händen, um Lebensraum im Osten zu erkämpfen. So genannte Rassenfeinde und Untermenschen sollten vernichtet werden, Zivilisten durch Hunger und Terror dezimiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt werden. Schließlich sollte eine totalitäre Besatzungsherrschaft in Europa errichtet werden.

Anklageverfahren wegen Zersetzung der Wehrkraft

Nicht nur in den Briefen an seinen Vater, auch in Gesprächen mit Soldaten seiner Kompanie machte Kitzelmann seiner Empörung Luft; angesichts der Ausweglosigkeit seiner Lage und seiner körperlichen Erschöpfung erkrankte er. Anfang März 1942 musste Kitzelmann das Lazarett in Orel (zwischen Moskau und Charkow gelegen) wegen Nervenschmerzen in beiden Beinen aufsuchen. Zu dieser Zeit lief bei seiner Division bereits das Anklageverfahren gegen ihn, das ein Denunziant ausgelöst hatte.

Als Kitzelmann zu seiner Division zurückkam, wurde er sofort verhaftet. Im Tätigkeitsbericht des Gerichtes der 262. Inf.Division vom 1. April 1942 heißt es: „Als Straftat von besonderer Bedeutung ist ein Verfahren gegen einen Leutnant d. Reserve wegen Zersetzung der Wehrkraft zu erwähnen. Er machte staats- und wehrmachtfeindliche Äußerungen zu seinen Soldaten, und zwar über einen sehr langen Zeitraum, so dass die Widerstandskraft der Soldaten gelähmt wurde.“

Verurteilung zum Tod am Karfreitag 1942

Das Feldgericht der Division trat am 3. April 1942 zusammen. Es war der Karfreitag. Die Gerichtsakten sind nicht überliefert. Kitzelmann hatte immer wieder von den „braunen Hunden“ gesprochen und geschimpft: „Wenn diese Lumpen siegen, dann kann und will ich nicht mehr leben.“ In seinem heiligen Zorn hatte er gegen die Doppelzüngigkeit der Nationalsozialisten gewettert: „Daheim reißen sie die Kreuze aus den Schulen, und hier macht man uns vor, gegen den gottlosen Bolschewismus zu kämpfen!“ Gerade dieser Satz sollte ihm vor dem Fronttruppengericht zum Verhängnis werden. Kitzelmann wurde wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ vom Feldgericht der 262. Inf.Div. zum Tode und zum Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt.

Kitzelmann litt in seiner Todeszelle: „Wer vermöchte meine Seelenqualen ermessen? Wie furchtbare Gespenster verfolgen sie mich Tag und Nacht. Und dabei diese entsetzliche Verlassenheit, dieses Eingesperrtsein, diese erdrückende Stille. Stundenlang schreite ich in der Zelle rundum, um meine Schritte zu hören, ich heize den Ofen, nur um das Knistern des Feuers zu hören, ich fange an, laut zu beten, um meine eigene Stimme zu vernehmen. Und ich schreie empor zum Himmel, zu Gott um Hilfe in meiner gewaltigen Seelennot.“ Seine Briefe aus der Haft sowie sein Tagebuch zeugen von seiner tiefen religiösen Verwurzelung; er betritt Räume der Erinnerung und schaut Bilder der Hoffnung.

In seinem Brief vom 24. Mai 1942 schrieb er an seine Verlobte, an die „liebe, treue Maria“: „Wenn meine Gedanken die verflossenen Lebensjahre zurückeilen, so verweilen sie am allerliebsten bei jenen Stunden, die ich in der Nähe Gottes verbringen durfte, im Heimatkirchlein, in der prächtigen Studienkirche am Donaustrand (Dillingen) und noch in manch anderm herrlichen Gotteshaus.“

„Gott hat mir das große Glück einer gnadenvollen Todesstunde bereitet“

Der letzte Eintrag in sein Tagebuch, bevor das Todesurteil am 11. Juni 1942 in Orel vollstreckt wurde, lautet: „Gott hat mir das große Glück einer gnadenvollen Todesstunde bereitet.“

Am Tag der Hinrichtung sandte Kriegsgerichtsrat Platz den Eltern ein Einschreiben mit folgendem Wortlaut: „Ihr Sohn, der ehemalige Leutnant der Reserve Michael Kitzelmann, geboren am 29. 1. 1916 in Gestratz, lähmte in der Zeit von Januar – Februar 1942 durch wehrmacht- und staatsfeindliche Äußerungen den Widerstandswillen der ihm anvertrauten Kompanie bzw. seines Zuges. Er wurde daraufhin durch Feldurteil obigen Kriegsgerichtes vom 3. 4. 1942 wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode und Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt. Dieses Urteil wurde vom Führer und obersten Befehlshaber der Wehrmacht bestätigt. Ein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Das Urteil wurde heute vollstreckt.“

Bleibende Herausforderung für Kirche und Gesellschaft

Es gibt ein Lebensbild von Michael Kitzelmann, das Hans Hümmeler, der Autor des katholischen Volksbuches „Helden und Heilige“, unter dem Titel „Michael Kitzelmann – Mensch. Soldat. Christ“ verfasst hat. Als Quelle dienten ihm neben Gesprächen mit Schulfreunden und Zeitzeugen die zahlreichen Briefe Kitzelmanns und sein Tagebuch aus dem Gefängnis, das von Kriegspfarrer Heinrich Schmittner gerettet worden war. Dieses Lebensbild wurde 1962 von einem Dorfpfarrer im Bayerischen Wald verlegt. Die Auflagenziffern des Büchleins waren für einen Privatverlag ohne kommerziellen Vertrieb überwältigend; einer der Leser bestellte gleich 400 Stück.

Wie erklärt sich dieser Erfolg? Das Buch erschien zu einer Zeit, da der Rechtshistoriker Ernst-Wolfgang Böckenförde ein Jahr zuvor mit seinem in der Zeitschrift „Hochland“ veröffentlichten Beitrag „Kirchliches Amt und politische Entscheidung im Jahre 1933 und danach“ im kirchlichen Umfeld nachhaltigen Zorn und Unmut erregt hatte.

Lebenszeugnis für die Freiheit des Denkens und Glaubens

Aufsätze zu Michael Kitzelmann und seiner glaubenstreuen Haltung finden sich auch in den Lebensbildern aus dem deutschen Widerstand „Das Gewissen steht auf"[5] sowie im „Deutschen Martyrologium des 20. Jahrhunderts"[6] Auch Kitzelmanns ehemalige Schule, das Johann-Michael-Sailer-Gymnasium in Dillingen, würdigte ihn, als im Mai 1986 das Ehrenmal eingeweiht und die Gedenktafel enthüllt wurde:

Michael Kitzelmann
Abiturient des Jahrgangs 1936
Hingerichtet am 11. Juni 1942
Er starb für die Freiheit des Denkens und Glaubens

In der Wanderausstellung der Bundeswehr „Aufstand des Gewissens“ wird ein Bild von Leutnant Michael Kitzelmann gezeigt. Im Katalog wird diese empörte Äußerung Kitzelmanns zitiert: „Wenn diese Verbrecher siegen, mag ich nicht mehr leben."[7]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Helmut Witetschek: Michael Kitzelmann, in: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Helmut Moll im Auftrag der DBK, Bd. I, Paderborn 1999, 58.
[2] Gespräch des Autors mit Dr. Karl Hörmann, Dillingen an der Donau am 25. Januar 2002.
[3] Gespräch des Autors mit Hans Menhofer, Buchloe am 10. Oktober 2001.
[4] Gemeinsamer Hirtenbrief der am Grabe des hl. Bonifatius versammelten Oberhirten der Diözesen Deutschlands: Die Bedrückung der Kirche in Deutschland, 26. Juni 1941.
[5] Das Gewissen steht auf: Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand, 1933-1945, gesammelt und hrsg. von Annedore Leber; neu hrsg. von Karl Dieter Bracher, Mainz 1984, 21-24.
[6] Helmut Witetschek: Michael Kitzelmann (s. Fn. 1).
[7] Aufstand des Gewissens: militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945; Katalog zur Wanderausstellung, hrsg. im Auftrag des MGFA von Heinrich Walle, 4. Auflage, Berlin 1994, 128.

„Kirche in Not“ stellt neuen Bericht zur Religionsfreiheit vor

„Religionen sind nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“

„Religionsfreiheit weltweit“ – so lautet der Titel einer Studie, die das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ (ACN) im Juni veröffentlicht hat.[1] Der Bericht nimmt die Lage der Religionsfreiheit in 196 Ländern und für alle Länder in den Blick. „Kirche in Not“ ist die einzige katholische Institution, die eine derart umfassende Untersuchung vorlegt. Florian Ripka, der Geschäftsführer von „Kirche in Not“ Deutschland, stellt im Gespräch die zentralen Ergebnisse vor.

Interview mit Florian Ripka

Herr Ripka, was motiviert „Kirche in Not“, sich mit der Religionsfreiheit weltweit zu beschäftigen? Verwässert das nicht den Einsatz für verfolgte Christen?

Ganz im Gegenteil. Wir können unsere Mission nur dann erfüllen, wenn wir uns für das allgemeine Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit stark machen. Von Verletzungen der Religionsfreiheit sind ja nicht nur Christen betroffen, sondern alle religiösen Gruppen. Es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, auch diesen Menschen eine Stimme zu geben.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse von „Religionsfreiheit weltweit 2023“?

Die Lage ist und bleibt ernst. Der Bericht stellt fest, dass in einem Drittel aller Länder weltweit die Religionsfreiheit verletzt wird. Nur in neun Staaten hat sich die Lage für Gläubige zaghaft verbessert, zum Beispiel in Ägypten, Jordanien oder Katar. In 47 Ländern dagegen hat sich die Situation in den vergangenen zwei Jahren verschlimmert, darunter in großen Nationen wie Indien, China, Pakistan, aber auch in zahlreichen afrikanischen Ländern.

Was bringt Menschen dazu, andere Religionen oder Weltanschauungen zu verfolgen?

Hauptursachen sind nach wie vor ein ethno-religiöser Nationalismus wie in Indien oder Myanmar, der islamistische Extremismus, der vor allem weite Teile Afrikas erfasst, und autoritäre Systeme wie China, Nordkorea, Iran oder Vietnam. Wir stellen fest, dass Autokraten, also Alleinherrscher, weltweit ihren Machtbereich ausbauen konnten. Diesen Autokraten gelten Religionen als vermeintliche Gefahr, da sie den Menschen Orientierung jenseits des staatlichen Einflusses bieten und oft international vernetzt sind. Gerade in Staaten wie China baut die kommunistische Partei die flächendeckende Überwachung immer weiter aus. Wer religiös ist, gilt als verdächtig.

Schauen wir mal genauer hin: In Afrika stellt der Bericht vor allem die Region südlich der Sahara in den Mittelpunkt. Welche Probleme gibt es dort?

Länder wie Mali, Burkina Faso, Tschad oder Nigeria sind ganz oder teilweise in der Hand von Islamisten. Sie gehen nicht nur gegen religiöse Minderheiten, sondern auch gegen die eigenen Glaubensgeschwister vor. Der Staat steht diesem Treiben machtlos gegenüber. Es hat sich auch die Taktik der Extremisten geändert: Sie erobern und beherrschen nicht nur ganze Landstriche, sondern führen vermehrt Überraschungsangriffe auf rohstoffreiche Gebiete durch. So sichern sie ihre Einnahmequellen. Es entsteht in den betroffenen Ländern immer mehr ein „Staat im Staat“.

Der Nahe Osten und Nordafrika standen lange Zeit im Fadenkreuz islamistischer Gruppen. Wie ist die Situation in der Region aktuell?

Gruppen wie der IS konnten zerschlagen und zurückgedrängt werden. Gleichzeitig verzeichnen andere radikale religiöse oder nationalistische Regierungen Zulauf. Religiöse Minderheiten finden sich in einer Art „Ghetto-Situation“ wieder, es gibt Diskriminierungen von gesellschaftlicher wie staatlicher Seite. Das führt dazu, dass immer mehr gut ausgebildete junge Leute auswandern. Mit der jahrtausendealten religiösen Vielfalt stirbt aber auch der Dialog und gesellschaftliche Frieden.

Lateinamerika gilt allgemein als sehr religiöse Region. Dennoch gibt es dort besorgniserregende Entwicklungen. Worum geht es?

In Ländern wie Chile, Argentinien und Mexiko nehmen Vandalismus gegen religiöse Gebäude oder Angriffe auf Gläubige leider zu. Der Hass geht von radikalen Gruppen oder von kriminellen Banden aus. Von einer regelrechten religiösen Verfolgung muss man in Nicaragua sprechen. Das sandinistische Regime unter Präsident Ortega geht mit blinder Wut vor allem gegen die katholische Kirche im Land vor, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes die Türen für verfolgte Systemkritiker geöffnet hat.

Einen Schwerpunkt legt der Bericht auch auf einige Phänomene in den westlichen Ländern, wie beispielsweise die sog. „Cancel Culture“. Dabei geht es darum, Minderheiten zu schützen, indem diskriminierende Äußerungen verboten oder zumindest nicht mehr verbreitet werden sollen. Inwiefern bedroht das die Religionsfreiheit?

Selbstverständlich müssen Minderheiten geschützt werden vor Äußerungen oder Handlungen, die sie in ihrer Würde verletzen. Das muss aber auch für religiöse Gruppen gelten. Auch deren Gewissens- und Meinungsfreiheit muss geschützt sein. Ich denke da zum Beispiel an die Mitwirkung an „heißen Eisen“ wie Sterbehilfe oder Abtreibung. Es gibt keine Menschenrechte erster und zweiter Klasse. Genauso wie Meinungsfreiheit gilt, muss auch die Freiheit der Religion oder Weltanschauung gelten.

Schauen wir in die Zukunft. Welche Prognose geben Sie in Sachen Religionsfreiheit für die nächsten Jahre ab?

Die Religionsfreiheit hat einen schweren Stand. Ich habe den Eindruck, dass die westlichen Länder manchmal lieber nicht so genau hinschauen, wenn es um die Menschenrechtslage bei wichtigen Wirtschaftspartnern wie China oder Indien geht. Doch gerade hier sind die meisten Menschen von Übertretungen der Religionsfreiheit betroffen. Die Studie „Religionsfreiheit weltweit“ ist eine Einladung in dreifacher Hinsicht: Hinschauen, sich informieren und diese Informationen teilen. Den eigenen Glauben so leben, dass er wahrgenommen wird. Und: den bedrängten Brüdern und Schwestern helfen – mit Gebet und tatkräftiger Unterstützung. Wo es religiösen Dialog gibt, gibt es weniger Hass und Krieg. Religionen sind nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 8/9 August/September 2023
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] "Religionsfreiheit weltweit 2023“ – diesen ausführlichen Bericht mit allen Länderporträts finden Sie unter: www.religionsfreiheit-weltweit.de – KIRCHE IN NOT bietet eine Zusammenfassung des Berichts als gedruckte oder Download-Version an. Diese können Sie bestellen unter: www.kirche-in-not.de/shop oder bei: KIRCHE IN NOT, Lorenzonistr. 62, 81545 München, Tel. 089 6424 888-0, Fax 089 6424 888-50 oder E-Mail an: kontakt@kirche-in-not.de

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