Ostersieg am Ende eines Priesterlebens

Heinz Rinderspacher war 13 Jahre lang Pfarrer der Gemeinde St. Petrus Canisius in Friedrichshafen. Am 4. Oktober 2004 ist er im Alter von 63 Jahren an Krebs gestorben. Kurz vor seinem Tod veröffentlichte er im Pfarrbrief nachfolgenden Abschiedsbrief an seine Gemeinde. Ein bewegendes Glaubenszeugnis eines Priesters am Ende seines seelsorglichen Wirkens. Rinderspacher hat mit seinem Schicksal gerungen. In Anbetracht seiner schweren Krankheit klingt jedes seiner Worte wohl überlegt. Kein Gedanke ist leichtfertig ausgesprochen. Doch am Ende steht ein wunderbares Bekenntnis zur Liebe Gottes und seinem geheimnisvollen Plan der Erlösung. Ein tief beeindruckender Sieg des Auferstehungsglaubens, ein Ostersieg, der ein demütiges Herz offenbart, das sich in vollkommener und vertrauensvoller Hingabe dem Ratschluss seines Herrn überlässt.

Von Heinz Rinderspacher (†)

Viele mögen sich fragen, warum eine schreckliche Krankheit gerade diesen oder jenen Menschen treffen musste; warum ein Tumor unseren Pfarrer heimsucht und ihn von einem Tag auf den anderen aus dem Dienst und Alltag reißt. Wollte es sein Schicksal so? Oder: Ist es gar Gottes Strafe – für dies oder jenes? Weder ein festgelegtes Schicksal noch ein strafender Gott sind Fundament meines Glaubens und Erfahrung meines Lebens. Nicht wenige Menschen finden auch nach längerem Nachdenken – vielleicht aufgrund eigener Erfahrung mit dem Leid – keine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ und der Frage „Warum gerade ich?!“ Unter der Last der Krankheit suche auch ich eine Antwort, um zu verstehen und meine Tage sinnerfüllt zu erleben. Folgendes Märchen von Dell Britt hilft mir dabei:

Das Märchen vom Bambus

Es war einmal ein wunderschöner Garten, der lag im Westen des Landes, mitten in einem großen Königreich. Dort pflegte der Herr des Gartens in der Hitze des Tages spazieren zu gehen. Ein edler Bambusbaum war ihm der schönste und liebste von allen Bäumen, Pflanzen und Gewächsen im Garten. Jahr für Jahr wuchs dieser Bambus und wurde immer anmutiger. Er wusste wohl, dass der Herr ihn liebte und seine Freude an ihm hatte.

Eines Tages näherte sich der Herr nachdenklich seinem geliebten Bambus, und in einem Gefühl großer Verehrung neigte sich der Bambus zur Erde. Der Herr sprach zu ihm: „Lieber Bambus, ich brauche dich.“ Es schien, als sei der Tag aller Tage gekommen, der Tag, für den der Bambus geschaffen worden war. Der Bambus antwortete leise: „Herr, ich bin bereit. Gebrauche mich, wie du willst.“

„Bambus“, die Stimme des Herrn war ernst, „um dich zu gebrauchen, muss ich dich beschneiden!“ „Mich beschneiden? Mich – den du, Herr, zum Schönsten in deinem Garten gemacht hast! Nein, das bitte nicht! Verwende mich doch zu deiner Freude, Herr, aber bitte beschneide mich nicht!“

„Mein geliebter Bambus“, die Stimme des Herrn wurde noch ernster, „wenn ich dich nicht beschneide, kann ich dich nicht gebrauchen.“ Im Garten wurde es still. Der Wind hielt den Atem an. Langsam beugte sich der Bambus. Dann flüsterte er: „Herr, wenn du mich nicht gebrauchen kannst, ohne mich zu beschneiden, dann – tu mit mir, wie du willst und beschneide mich.“

„Mein geliebter Bambus, ich muss dir aber auch deine Blätter und Äste abschneiden.“ „Ach Herr, davor bewahre mich! Zerstöre meine Schönheit – aber lass mir doch bitte meine Blätter und Äste!“ Der Herr antwortete: „Wenn ich sie dir nicht abschneide, kann ich dich nicht gebrauchen.“ Die Sonne versteckte ihr Gesicht. Ein Schmetterling flog ängstlich davon. Und der Bambus, zitternd vor dem, was auf ihn zukam, sagte leise: „Herr, schlage sie ab.“

„Mein Bambus, ich muss dir noch mehr antun. Ich muss deinen Stamm teilen. Wenn ich das nicht tue, kann ich dich nicht gebrauchen.“ Da neigte sich der Bambus zur Erde: „Herr, schneide und teile.“ So beschnitt der Herr des Gartens den Bambus, hieb seine Äste ab, streifte seine Blätter ab, teilte ihn in zwei Teile, drang bis ins Mark. Dann trug er ihn dahin, wo schon aus einer Quelle frisches, sprudelndes Wasser sprang, mitten in die trockenen Felder. Dort legte der Herr vorsichtig seinen geliebten Bambus auf den Boden. Das eine Ende des abgeschlagenen Stammes verband er mit der Quelle, das andere führte er zu der Wasserrinne ins Feld. Die Quelle sang ein Willkommen, und das klare, glitzernde Wasser schoss freudig durch den zerschlagenen Körper des Bambus in den Kanal und floss auf die dürren Felder, die so darauf gewartet hatten. Dann wurde der Reis gepflanzt, und die Tage vergingen, die Saat ging auf, wuchs, und die Erntezeit kam.

So wurde der einst so herrliche Bambus zum großen Segen. Als er noch groß und schön war, wuchs er nur für sich selbst und freute sich an der eigenen Schönheit, aber als er sich hingegeben hatte, wurde er zum Kanal, den der Herr gebrauchte, um sein Land fruchtbar zu machen.

„Er wusste wohl, dass der Herr ihn liebte und seine Freude an ihm hatte!“

Halten wir uns die Zusage von Gottes Liebe vor Augen, dann stimmt uns die Tatsache nachdenklich, dass der Bambus – der für uns Menschen steht – ins Leid der Zerstörung einwilligt. Und so fragen wir uns: „Wie kann Gott einen Menschen mit Leid und Zerstörung überschütten?“

Glauben wir an Gott, der Güte ist, der Barmherzigkeit ist, der vollkommene Liebe ist, dann sind wir aufgerufen – gerade in der Erfahrung menschlichen Leids –, zwischen zwei Perspektiven zu unterscheiden: Da gibt es einerseits unseren menschlichen, eigenen Plan. Andererseits glauben wir an den Plan Gottes für jeden einzelnen von uns. Nicht immer stimmen diese beiden überein – weil uns Gottes Wille hier und dort fremd bleibt. Diese Kluft zu überwinden, diesen Spagat im Konkreten auszuhalten, ist kräfteraubend und zermürbend.

Dies aber ist meine Erfahrung: Immer dann, wenn wir den göttlichen Plan für uns erkennen und uns ihm überlassen, immer dann scheint der Tag gekommen zu sein, für den wir geschaffen wurden; so wie für den Bambus, der nur deswegen sagen kann:

„Herr, ich bin bereit! Gebrauche mich, wie du willst!“

Zu dieser Einsicht komme ich nur in der Stille des Gebets vor Gottes Angesicht. Diese Worte geben meine Einsicht wieder, zu der ich in meinem inneren Kampf mit Gott gelange. Sie lassen mich Blut schwitzen... Aber sie führen mich zur Erkenntnis, dass Gottes Plan weitreichender ist als mein eigener.

„Es scheint der Tag aller meiner Tage gekommen zu sein, der Tag für den ich geschaffen worden bin.“

Überraschend ist, dass die Bereitschaft für Gottes „eigenartiges“ Handeln am Menschen nur im Leid wachsen kann – so scheint es mir zumindest. „Herr, ich bin bereit, in deinem Plan den Platz und die Aufgabe anzunehmen, die Du mir zuweist. Ich habe das verstanden und angenommen. Erst dann kann Deine Freude in mir Funken schlagen, mich entfachen und zu neuem Leben verwandeln. Erst darin erkenne und spüre ich, wie tief Du, mein Gott, mich liebst.“

„Wenn ich dich nicht beschneide, kann ich dich nicht gebrauchen!“

Dennoch: Es tut weh, alles aus der Hand geben zu müssen, um mich in die Hände anderer zu geben. Es tut weh, dass ich nicht mehr kann. Es tut weh, so kahl wie der abgeschlagene und geteilte Bambus dazuliegen. Es tut weh, einfach nur sein zu müssen. Und ich frage mich, was Gott mit mir vorhat.

Ich erinnere mich aber: Gott, der Herr, braucht mich als Werkzeug für seinen Plan, als Zeichen für die Vielen, als Akt seiner Liebe für die Welt. Diesen Spagat nicht nur auszuhalten, sondern auch zu verinnerlichen, fällt auch mir nicht leicht.

Doch erst dann kann das glitzernde Wasser zu den dürren Feldern fließen und sprudeln. Wasser, das neues Leben bringt, für den Samen, der im Dunkeln der Erde auf seinen Aufbruch wartet. Wie dieses Leben für mich und dich aussehen wird, weiß ich nicht. Aber ich vertraue auf Gott, den Schöpfer des Guten.

So sind ich und du – im Kreislauf des Lebens eingegliedert. Und auf diese Weise trage ich zum neuen Leben auch für andere bei.

„Wieso gerade ich?“

Auf ähnliche Weise bewegt diese Frage auch Jesus im Angesicht seines Todes. Gott aber lässt ihn nur eines wissen: „Mein Sohn, weil ich dich liebe. Durch dich fließt meine Liebe zu allen Menschen, die in deinem Herzen wohnen. Sie sind die dürren Felder; in ihnen soll die neue Saat aufgehen. Ich möchte, dass sie durch dich und dein Leben zu Menschen meiner Gnade werden.“

So bete ich: „Mein Herr und Gott, ich danke dir, dass Du mir diese tiefe Herzenseinsicht schenkst. So sterbe ich nach Deinem göttlichen Plan zum ewigen Leben in dem Wissen, dass Du mich liebst.“ Auch Du, lieber Leser dieser Zeilen, sollst inmitten von Freude, Leid und Tod ein neuer Mensch werden – weil Gott dich genauso liebt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Papst weist der Menschheit den Weg in die Zukunft

Erzbischof Prof. Dr. Ludwig Schick von Bamberg betrachtet das neue Buch von Papst Johannes Paul II. als großartige Wegweisung an die Menschheit. „Erinnerung und Identität“ beschreiben den Weg, wie wir als Christen der Völkerfamilie helfen können, die Weichen für eine friedliche und bessere Zukunft zu stellen. In erster Linie geht es darum, aus der Vergangenheit zu lernen und durch Erinnerung seine Identität zu finden, das heißt die Wahrheit über den Menschen zu entdecken. Auf diesem Weg gelangen wir zu der fundamentalen Einsicht, dass der Mensch sich selbst ohne Gott nicht verstehen und die Probleme der heutigen Zeit nicht lösen kann.

Von Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg

Vision der Hoffnung

Das neue Buch von Papst Johannes Paul II. „Erinnerung und Identität. Gespräche an der Schwelle zwischen den Jahrtausenden“ strahlt Hoffnung aus. In allen geschichtlichen Entwicklungen sieht der Papst den Finger des guten Gottes am Wirken. Immer geht Johannes Paul II. von der Überzeugung aus, dass Gott den einzelnen Menschen zum Himmel und die Menschheit, die Geschichte und die Schöpfung zur Vollendung führen wird. Diese vertrauensvolle Sichtweise schenkt die nötige Kraft, um an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken. Papst Johannes Paul II. möchte den Menschen Mut machen, sich im 21. Jahrhundert bzw. im 3. Jahrtausend engagiert für eine bessere Gesellschaft einzusetzen und die Probleme anzugehen, die zu lösen uns aufgetragen sind.

 Im 26. Abschnitt seines Buches macht Papst Johannes Paul II. diese positiv-optimistische Einstellung an seinem eigenen Leben deutlich. Er beschreibt das fehlgeschlagene Attentat auf sein Leben am 13. Mai 1981 als einen Beweis, dass er selbst, seine Sendung, die Kirche und auch die Geschichte von Gottes gütiger Hand geleitet werden und deshalb das Böse niemals endgültig siegen kann.

„Ideologien des Bösen“

Leider sind in der öffentlichen Diskussion bisher meist nur Marginalien genannt worden, wie z.B. ein angeblicher Vergleich zwischen dem Holocaust am jüdischen Volk und anderen Verbrechen an Völkern und Gruppen sowie der Tötung ungeborener Kinder durch Abtreibung. Oder es wird die Ablehnung der Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit der Ehe per Gesetz kritisiert, womit der Papst nichts Neues sagt. Doch geht es dem Papst in keinster Weise darum, einfach nur den Holocaust mit der Abtreibung zu vergleichen. Vielmehr will er darauf aufmerksam machen, welche Einstellungen, Verhaltensweisen und Praktiken sich entwickeln, wenn Menschen leben, als ob es Gott nicht gäbe („Et si deus non daretur“). Auf diesem Hintergrund fasst der Papst diese Phänomene im 2. Abschnitt seines Buches unter der Überschrift „Ideologien des Bösen“ zusammen. Er legt dar, dass allein Gott und sein Gesetz die Menschenwürde und die damit verbundenen Menschenrechte garantieren. Ohne Verantwortung vor Gott fallen sowohl der einzelne Mensch als auch Gesellschaften allzu leicht in Unmenschlichkeiten, wie es die Geschichte mannigfach beweist.

Schicksal der Menschheit

In seinem Buch blickt der Papst auf die Geschichte insbesondere des 20. Jahrhunderts zurück, die er persönlich miterlebt hat, und zieht daraus Konsequenzen für die Zukunft. In 25 Abschnitten setzt er sich mit den großen Themen auseinander, die nach seiner Ansicht für das Schicksal der Menschheit im dritten Jahrtausend von entscheidender Bedeutung sind. Verbunden damit gibt er Anregungen, wie das Böse durch das Gute im öffentlichen und privaten Leben überwunden werden kann, wie die Freiheit verantwortungsvoll zu nutzen ist, wie der Mensch seine Kultur achten und sein Vaterland lieben soll, wie die Demokratie gelebt werden muss und welche Aufgaben die Kirche heute zu erfüllen hat.

Schlüsselfunktion des Konzils

Sehr häufig zitiert der Papst dabei die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Gaudium et Spes“ (Freude und Hoffnung), deren Schätze noch längst nicht alle gehoben sind. Er legt dieses wichtige Konzilsdokument den Verantwortlichen in Kirche und Gesellschaft ans Herz. In den einzelnen Aussagen erblickt er den Schlüssel zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts. Zusammen mit „Gaudium et Spes“ nennt er auch die ersten drei Enzykliken seines Pontifikates „Redemptor hominis“ (Erlöser des Menschen), „Dives in misericordiae“ (Reich an Barmherzigkeit) und „Dominum et vivificantem“ (Herr und Lebensspender), die er als ein „Triptychon“ bezeichnet.

Der einzelne Mensch im Mittelpunkt

Letztlich geht es dem Papst in seinem Buch erneut um den einzelnen Menschen sowie um dessen Verhältnis zu Gott und zum Mitmenschen. Im Reden und Denken Johannes Pauls II. hat der einzelne Mensch absolute Priorität. Er ist Geschöpf des barmherzigen und lebensspendenden Gottes und für das ewige Leben bei Gott bestimmt. Jedem Menschen kommt eine unveräußerliche und unverletzliche Würde zu. Vor allem muss er sich in Freiheit entfalten können. Mehrfach kommt der Heilige Vater in seinem Buch „Erinnerung und Identität“ auf das bekannte Diktum des hl. Irenäus von Lyon zurück. Es lautet: „Gloria Dei vivens homo” – „die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch“. Darin sieht der Papst seinen Grundansatz zusammengefasst.

Demokratie als beste Staatsform

Familie, Kultur und Vaterland sowie auch Europa und die internationale Staatengemeinschaft haben ihren Wert und müssen dem einzelnen Menschen dienen. Jede Form von Totalitarismus, Absolutismus, Rassismus, Nationalismus und Kommunismus, die die Freiheit des Einzelnen, von Ethnien und Nationen begrenzen, lehnt Johannes Paul II. strikt ab. Die Demokratie sei die beste Staatsform. In ihr müssten sich aber die Bürgerinnen und Bürger dem Gesetz Gottes unterwerfen. Demokratie ohne Verantwortung vor Gott könne z.B. Nationalismus, Rassismus, Legalisierung von Abtreibung und Gleichsetzung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit der Ehe bewirken. Vor solchen Entwicklungen warnt der Papst eindringlich.

Staat und Kirche

In diesem Zusammenhang geht der Papst auch auf das Verhältnis von Staat und Kirche ein. Die Kirche sei dazu da, das Evangelium, letztlich die Person Jesu Christi selbst, den Menschen als Weg zu ihrer Befreiung und Erlösung vor Augen zu halten. Deshalb muss der Staat die Kirche im gesellschaftlichen Bereich wirken lassen. Wie der Papst unterstreicht, sind dabei vor allem die Laien wichtig. Bereits das Zweite Vatikanische Konzil habe dies deutlich gemacht. – Als Fazit möchte ich festhalten: „Erinnerung und Identität“ von Papst Johannes Paul II. ist ein sehr lesenswertes und noch mehr ein überaus bedenkenswertes Buch.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Auschwitz und Abtreibung – ein verbotener Vergleich?

Das neue Buch des Papstes „Erinnerung und Identität – Gespräche an der Schwelle zwischen den Jahrtausenden“ war noch nicht auf dem Markt, als ein unglaublicher Aufschrei durch die deutsche Öffentlichkeit ging. Anlass war die Aussage, ein rechtmäßig gewähltes Parlament habe die Wahl Adolf Hitlers in den 30er Jahren ermöglicht und ihn mit der Macht ausgestattet, die der Einrichtung von Konzentrationslagern und der sog. Endlösung den Weg bereitet hätten. Die Vernichtung der Juden habe nach dem Sturz des Nazi-Regimes aufgehört. „Was jedoch fortdauert, ist die legale Vernichtung gezeugter, aber noch ungeborener Wesen.“ Heutzutage müssten die gesetzlichen Regelungen zur Abtreibung in Frage gestellt werden. „Parlamente, die solche Gesetze schaffen und verkünden, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie ihre Machtbefugnisse überschreiten und in einem offenen Konflikt mit dem Gesetz Gottes und dem Gesetz der Natur verharren“, so der Papst. Weihbischof Prof. Dr. Andreas Laun geht der Frage nach, ob nicht umgekehrt die heftige Empörung über diesen Vergleich offenlegt, was seine Kritiker über Abtreibung letztlich denken.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Der Holocaust ist einzigartig

Immer wieder erheben Juden Einspruch gegen jedweden Vergleich irgendeines Verbrechens mit dem Holocaust, also mit dem, was in Auschwitz Juden angetan wurde. Ihr Argument: Der Holocaust ist einzigartig, jeder Vergleich hat die Tendenz, ihn zu verharmlosen, ihn zu einem Verbrechen unter vielen anderen zu machen und ihn damit herunterzustufen. Das aber, so das Argument, wäre erstens eine Beleidigung der Opfer und würde zweitens die Gefahr, die vom Antisemitismus ausgeht, verharmlosen. Darum habe jedes Vergleichen des Holocaust mit anderen Untaten zu unterbleiben, ja man sollte ihn nicht einmal in einem Atemzug mit anderen Verbrechen nennen.

Liebe jüdische Freunde, kein anständiger Mensch und erst recht kein Katholik, der diese Bezeichnung verdient, will das Grauenhafte, das man Eurem Volk angetan hat, durch einen dummen oder auch nur gedankenlosen Vergleich relativieren, dem Antisemitismus neue Nahrung geben oder die Opfer verhöhnen – niemand kann das wollen, wirklich niemand! Wenn ihr aufmerksam wacht, dass dies nicht geschieht, habt ihr ebenso recht, wie wenn ihr auf dem „Niemals vergessen!“ besteht.

Niemals das Gute vergessen

Wichtig ist freilich, das „Niemals das Böse vergessen“ zu ergänzen durch ein „Niemals das Gute vergessen“, das Gute nämlich, das die Propheten wider den Ungeist verkündet und die Märtyrer mit ihrem Blut besiegelt haben. Die Erinnerung an das Licht ist es, die die Erinnerung an die Nacht erträglich macht. „Hört doch endlich auf damit“, sagen heute manche Spätgeborene, die keineswegs Nazis sind und auch keinerlei Sympathie für sie haben. Sie werden so nicht mehr reden, wenn man sie nicht nur in die Hölle von Auschwitz schauen lässt, sondern sie weiterführt, hinein in die Begegnung mit jenen Frauen und Männern, die durch ihr Wort und ihr Zeugnis den Weg ins Licht gewiesen haben. Ich denke an Namen wie Domprobst Bernhard Lichtenberg, die Geschwister Scholl, den Bischof Clemens Graf von Galen, den Philosophen Dietrich von Hildebrand, die Wiener Katholikin Irene Harand, Prälat Johannes Österreicher, den bayrischen Kapuziner Ingbert Naab, den Tiroler Landpfarrer Otto Neururer ... und viele, viele andere.

„Leuchtend wie die Sonne“

Aber haben gerade in letzter Zeit nicht doch manche Kirchenvertreter den Holocaust mit der Abtreibung „verglichen“? Ja, das ist geschehen. Die Frage ist nur: Wird der Holocaust dadurch „relativiert“, die Opfer beleidigt und dem Antisemitismus damit der Weg gebahnt? Was die gestellte Frage betrifft, ist zunächst das Wesen des Vergleichs zu bedenken:

• Erstens hat jeder Vergleich die Absicht, etwas nicht hinreichend Bekanntes klarer zu machen, und zwar durch den Vergleich mit etwas anderem, das dabei als dem Hörer bekannt vorausgesetzt wird: Wenn Matthäus berichtet, das Gesicht Jesu „leuchtete wie die Sonne“, will er dem Leser sagen, wie stark dieses Licht war, und er sagt es, indem er den Leser an das ihm vertraute Licht der Sonne erinnert. Bekannt ist die Sonne, unbekannt das Licht, das die Apostel auf dem Antlitz Jesu gesehen haben. Es geht darum, das Unbekannte durch das Bekannte zu erklären; eine Aussage über die Sonne ist weder beabsichtigt noch enthalten, vielmehr ist eine undiskutierbare Erfahrung mit ihr vorausgesetzt. In diesem Sinn hat jeder Vergleich eine „Richtung“, die zugleich die Absicht des Vergleichenden anzeigt.

• Zweitens „hinkt“ bekanntlich jeder Vergleich, sehr oft gerade auch im „Punkt“ des Vergleiches: Wenn man einen Mann „stark wie einen Bär“ nennt, ist das ein legitimer Vergleich, auch wenn der Vergleich hinkt, insofern der Verglichene natürlich nicht wirklich „so“ stark ist wie der Bär. Erst recht kann man nicht einwenden, dass der Mann doch kein Tier und also der Vergleich eine Beleidigung sei. Der Vergleichspunkt ist nur die Kraft des Bären und nichts anderes.

Entsetzlichkeit der Abtreibung verstehen

Angewandt auf den „Vergleich“ Holocaust und Abtreibung: Derjenige, der so vergleicht, setzt voraus, dass der Hörer weiß, wie schrecklich der Holocaust war. Seine Absicht ist nicht, den Holocaust irgendwie zu „verkleinern“, sondern die Abtreibung zu „vergrößern“. Es geht ihm auch nicht darum zu behaupten, das Schreckliche beim Holocaust und bei Abtreibung sei schlechthin „gleich“. Er will den Hörer nur dazu bringen, die Abtreibung als etwas viel Grauenhafteres anzusehen, als er bisher dachte, und er tut es, indem er an etwas erinnert, dessen Entsetzlichkeit außer Zweifel steht. Die „Richtung“ des Vergleiches geht vom Holocaust zur Abtreibung, nicht umgekehrt. Der Hörer des Vergleichs soll nicht über den Holocaust anders denken lernen, sondern über die Abtreibung. Der Vergleich würde sein Ziel gerade dann verfehlen, wenn dabei der Holocaust irgendwie verharmlost würde: Wenn der Holocaust nicht „so schlimm“ gewesen wäre, wäre ja auch die Abtreibung „nicht so schlimm“ – aber die Absicht dessen, der vergleicht, ist ja das Gegenteil, er will zeigen: Abtreibung ist schlimm, ganz schlimm, so schlimm, dass es sogar Vergleichspunkte mit dem Holocaust gibt.

Streit um die Vergleichbarkeit

Selbstverständlich wird sich jeder an dem Vergleich stoßen, der meint, bei der Abtreibung würde nur ein „Zellhaufen“ entfernt. Wäre es so, dann wäre der Vergleich tatsächlich empörend. Aber ist er es auch dann, wenn es um die absichtliche, millionenfache Tötung von Menschen geht? Natürlich, in vieler Hinsicht bleibt der Holocaust auch in diesem Fall noch immer „unvergleichlich“. In vieler Hinsicht unvergleichlich, aber in jeder? Man denke an das, was bei Spätabtreibungen geschieht, und stelle dann die Frage, wieso der genannte Vergleich beleidigend sein soll! Es scheint, als verberge sich hinter dem Streit um die Vergleichbarkeit des Holocausts mit der Abtreibung ein Streit um das, was Abtreibung wirklich ist. Die Kritiker des Vergleiches sollten offenlegen, was sie über Abtreibung denken; und sie sollten sich fragen, ob sie den Vergleich auch dann für Unrecht hielten, wenn die Prämisse der von ihnen Kritisierten stimmte, nämlich dass Abtreibung wirklich Mord ist? Der Vergleich eines Mordes mit einem anderen, noch schlimmeren ist in keinem denkbaren Sinn eine Verharmlosung des Mordens.

Liebe jüdische Freunde

Unsere jüdischen Brüder und Schwestern sollten auch bedenken:

• Wer heute das Lebensrecht der Kinder verteidigt, verteidigt mit innerer Notwendigkeit auch das Recht der Juden und jedes Menschen, dem Unrecht geschieht. Pro-Lifer sind die logischen Verbündeten der Juden.

• Im Sinn der „politischen Korrektheit“ produziert man ein Denkverbot nach dem anderen. Statt Fragen sachlich zu beantworten, wertet man die Fragenden moralisch ab. Aber dabei setzt man die Freiheit aufs Spiel!

Zwei Gründe sprechen dennoch dafür, sich des Vergleiches Holocaust und Abtreibung bis auf weiteres zu enthalten: Erstens sollten Christen ihren „älteren Brüdern“ entgegenkommen und deren Gefühle nach dem Holocaust achten, auch wenn sie nicht in jeder Hinsicht zu verstehen sind. Zudem lässt sich, zweitens, auch mit anderen Vergleichen sagen, wie schlimm Abtreibung ist. Diejenigen, die nicht einsehen wollen und im biblischen Sinn ihr Herz verhärten, lassen ihre Vorurteile ohnehin durch nichts erschüttern. Sie werden ungerührt den Holocaust weiter verharmlosen und die Abtreibung für eine Kleinigkeit halten, oder nur das eine tun und nicht das andere, sich aber auf jeden Fall für moralisch halten. So oder so, für sie gilt: „Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen“ (Jes 5,20).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
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„Der wahre Überflieger ist der Papst“

Wieder einmal ist es Günther Nenning, der unter der Rubrik „Anders gesehen“ in der weit verbreiteten Kronenzeitung zum Stichwort „Intensivstation“ eine einzigartige Deutung des derzeitigen Erscheinungsbilds unseres Papstes liefert. Nenning setzt seine Kunst des Wortes ein, um einen leuchtenden Lichtstrahl in die Oberflächlichkeit heutigen Lebensgefühls zu senden. Vielleicht muss jemand tatsächlich zuerst eine Distanz zu Glaube und Kirche durchlaufen haben wie Günther Nenning, um in reifem Alter das Leiden des Papstes so treffend kommentieren zu können. Für gläubige Menschen ist sein erfrischendes Zeugnis eine frohmachende Ermutigung.

Von Günther Nenning

Irgendwo stand: Der Vatikan ist eine Intensivstation. Ach diese Journalisten. Ich kann mich mit einer solchen Respektlosigkeit nicht befreunden. Es ist doch eigentlich das Gegenteil wahr: Die Regierung des Papstes funktioniert – mit ihm, dem Leiden, an der Spitze – auf eine wirksame, geräuschlose, geschmeidige Art und Weise. Man würde sich diese Effizienz von so mancher anderen Regierung wünschen.

Jeder alte und ältere Mensch kennt von sich selber die Differenz zwischen körperlichem Leiden und fortdauernder geistiger Regsamkeit. Das gehört zum Glück des Alters: dass man noch voll da ist, dass aber der Bruder Leib sich verabschiedet ins weite Reich der zunehmenden Leiden. Weil das so ist, verlieren auch die journalistischen Spekulationen – Tritt er zurück? Bleibt er am Ruder? – viel von ihrer ohnehin nicht großen Bedeutung. In den Vordergrund tritt das wirklich Wesentliche, das freilich journalistisch schwer fassbar ist.

Das weite, sehr weite Reich des Leidens: Es ist unterbelichtet, im Vergleich zur Flut der Neuigkeiten, die immer die gleichen sind; und zur Sensation und zum Skandal, die das tägliche Brot des beklagenswerten Medienbetriebs sind. Dazu die täglichen unerfüllbaren Versprechen des Journalismus: So wirst du reich! So bleibst du fit! So hast du ständig Spaß, vor allem: Sex! Und so bleibst du jung und schön, du bist quasi unsterblich.

Dieser große Papst entwirft uns zu all diesem billigen Unfug ein grandioses, kostbares Gegenbild! Das Leiden als unentrinnbarer Bestandteil des Menschen, die Verhängung von Krankheit und Sterben durch Gott, den wir nicht begreifen, weil er zugleich Gott des Lebens, Gott des Leidens, Gott der Barmherzigkeit ist. Indem dieser Papst lebt und leidet, führt er der Welt das Schauspiel der Ergebung in Gott vor. Kurze Inhaltsangabe: Ein Mensch ergibt sich in Gott und bleibt auf seinem Posten. Woran sich kein Journalismus herantraut, genau das lebt der Papst vor. Von daher seine ungeheure Wirkung. Er ist ein einzigartiges Massenmedium.

Alles, was man für oder gegen diesen Papst sagen kann, wird unwichtig vor dem, was sich nun im Vatikan abspielt. Durch seine Existenz im Leiden, durch sein öffentliches Dahinsterben sprengt Johannes Paul die Begrenzungen der Katholischen Weltkirche. Mit dieser seiner tagtäglichen Praxis überspringt der Papst alle Theorie, wie sie uns von den Theologen vorgetragen wird. Schwer krank, kaum bewegungsfähig, an den Rollstuhl gefesselt, in den Händen einer ganzen Schar von Ärzten, die alle Wunder der modernen Medizin an ihm erproben: Das zählt doch alles nicht vor der geheimnisvollen Leichtigkeit, mit der dieser Mann die Schranken seiner leiblichen Gebrechlichkeiten kühn hinter sich lässt, schon zu Zeiten seines irdischen Daseins: seines kaum noch vorhandenen, nur mehr medizinisch erhaltbaren Lebens. Da kommt keiner mit, auch nicht der schöne Mut und Übermut unserer jungen Heldinnen und Helden von der Piste und von der Flugschanze. Der wahre Überflieger ist der Papst.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
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Meditationen zum Jahr der Eucharistie

Persönliche Erfahrungen verbinden Thomas Maria Rimmel, den Direktor der Gebetsstätte Wigratzbad, mit einem Betrachtungsbüchlein über die Heilige Messe. Er sieht es als wertvollen Beitrag zum Eucharistischen Jahr an, dass diese Sammlung von Meditationen neu aufgelegt worden ist und kostenlos verbreitet wird.

Von Thomas Maria Rimmel

Eucharistie als Liebesfest der Kirche

Während meines Studiums begegnete ich einem Meditationsbüchlein über die hl. Messe mit dem Titel „Die Feier der heiligen Eucharistie als Liebesfest der Kirche“.[1] Schon damals entdeckte ich in diesen Meditationen einen echten Schatz für mein eigenes religiöses Leben. Die frühere Äbtissin der Balsbacher Clarissen-Kapuzinerinnen in der Erzdiözese Freiburg, Mutter Gabriele, hatte darin ihre Vorträge über das Geheimnis der Eucharistie zusammengefasst, die sie für die Novizinnen gehalten hatte. Ich konnte die Verfasserin sogar persönlich kennen lernen. Die geistlichen Gespräche mit Mutter Gabriele im Besprechungszimmer des Klosters sind mir unvergessen. Auf einer Wandtafel waren die Schriftworte zu lesen: „Die Freude am Herrn ist unsere Kraft“ (Neh 8,10). Eben diesen Geist atmet das schon tausendfach verteilte Büchlein über die Eucharistie.

Im Angesicht Gottes

Jede Zeile lässt erspüren, dass der Inhalt nicht einfach erdacht ist. Die Gedanken, die von einer tiefen Liebe zu Christus und der Kirche zeugen, sind alleine und in Gemeinschaft erbetet und sicherlich auch erlitten. Letztlich stellen sie eine Frucht der eigentlichen Berufung dieser streng klausurierten Ordensfrauen dar – des Stehens vor dem Angesicht Gottes. Um das Büchlein gewinnbringend zu lesen und an diesen „eucharistischen Erfahrungen“ teilhaben zu können, müssen die einzelnen Abschnitte verinnerlicht werden. Betrachtend wurden sie geschenkt, in der Betrachtung werden sie wieder zur sprudelnden Quelle.

Geschenk zum Eucharistischen Jahr

Mutter Ancilla Fischer, die Nachfolgerin im Amt der Äbtissin von Balsbach, hat sich nun entschlossen, das Buch neu aufzulegen und kostenlos zu verteilen. Sie möchte mit ihren Schwestern damit einen besonderen Beitrag zum Jahr der Eucharistie leisten. Im Nachwort der Schrift heißt es: „Wir Schwestern im kontemplativen Orden der hl. Clara leben mit der Kirche aus dem unerhört großen und wunderbaren Geheimnis der Eucharistie. Die heilige Messe ist die größte Stunde unseres Tages, unseres Lebens“ (S. 71). Und: Die heilige Messe ist „die Stunde der Liebe. Hier strömt der unausschöpfliche Quell der Gnade. An uns liegt es, zu diesem Fest der Hingabe und der Erlösung zu kommen. Dabei will unser Büchlein eine Hilfe sein“ (S. 72).

Pflege einer „liturgischen Spiritualität“

Mit diesen Worten treffen die Schwestern das Hauptanliegen des Eucharistischen Jahres, nämlich immer tiefer aus dem Geheimnis der Eucharistie zu schöpfen. Papst Johannes Paul II. spricht von der Notwendigkeit einer „liturgischen Spiritualität“. „Ohne die Pflege der ‚liturgischen Spiritualität‘ wird die Liturgie leicht zu einem ‚Ritual‘, und die Gnade, die aus dieser Feier hervorgeht, bleibt ohne Frucht."[2] Das gilt insbesondere für die heilige Messe. Wir können nur lieben, was wir wirklich kennen. Daher ist diese Hinführung, die nunmehr in 7. Auflage erschienen ist, ein echter apostolischer Beitrag zum „Jahr der Eucharistie“, zumal sie kostenlos abgegeben wird. Bestärkt wurden die Schwestern in diesem Vorhaben von der großherzigen Spende eines Wohltäters, welcher die Drucklegung von 10.000 Heftlein ermöglichte. Offensichtlich hat Gott das Vertrauen dieser Schwestern in seine Vorsehung gesegnet. Es ist zu wünschen, dass nun die Initiative eifrige Mitarbeiter findet, die auf den verschiedensten Ebenen an der Verbreitung der Schrift mitwirken. Die Gläubigen werden dankbar sein.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
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[1] Interessierte können sich direkt an das Kloster St. Clara (Klosterstr. 36, D-74838 Limbach-Balsbach, Tel. 06287-297) wenden. Dort ist das Büchlein auch in größerer Stückzahl – etwa zum Verteilen in Pfarrgemeinden – erhältlich.
[2] Das Jahr der Eucharistie. Empfehlungen und Vorschläge, Nr. 4.

„Freude am Glauben“ verbreiten

Vom 10. bis 12. Juni 2005 findet nun schon zum fünften Mal der Kongress „Freude am Glauben“ statt. Er wird wie vergangenes Jahr wieder in der Donau-Arena in Regensburg durchgeführt. Die Geschichte dieser Veranstaltung, die uns Prof. Dr. Hubert Gindert vorstellt, ist selbst ein Zeichen der Hoffnung und wird von ranghohen Vertretern der Kirche tatkräftig unterstützt. So steht auch über dem diesjährigen Treffen das programmatische General-Thema: „Kirche – die Hoffnung der Menschen“. Der vom „Forum Deutscher Katholiken“ veranstaltete Kongress hat bewiesen, dass er mehr ist, als nur eine Nische Traditionellem verhafteter Grüppchen, wie es manche Berichterstatter zunächst einzuordnen versuchten. Er hat sich als ausstrahlendes Element der Neuevangelisierung entwickelt. Die Teilnehmer schöpfen aus der begeisterten Atmosphäre dieser Tagungen entscheidende Stärkung im Glauben.

Von Hubert Gindert

Gründung des „Forums Deutscher Katholiken“

Die Geschichte der Kongresse „Freude am Glauben“ beginnt mit einem Gespräch an einem Juni-Abend 2000 in Fulda. Dort trafen sich Vertreter verschiedener katholischer Gemeinschaften, um zu überlegen, was in der heutigen Situation der Kirche in Deutschland zu tun wäre. An dem Treffen nahm auch Erzbischof Johannes Dyba teil. Wenige Wochen darauf starb der Bischof von Fulda. Er war ein Hoffnungsträger für viele kirchen- und papsttreuen Katholiken in Deutschland gewesen.

Die Teilnehmer dieses ersten Gesprächs vereinbarten eine weitere Zusammenkunft für den 30. September in Fulda. Das Ergebnis dieses Tages war die Gründung des „Forums Deutscher Katholiken“. In den Statuten ist festgehalten: „Ziel des Forums Deutscher Katholiken ist die Förderung der Verkündigung des katholischen Glaubens nach der Lehre der Kirche, entsprechend dem Katechismus der Katholischen Kirche (Weltkatechismus) von 1992. Dieses Ziel soll erreicht werden durch die Sammlung und Aktivierung aller Gruppierungen und Einzelpersönlichkeiten und durch Kongresse und andere Veranstaltungen.“

Zielsetzung: Einheit mit der Weltkirche

Die Gründungsmitglieder waren sich bewusst, dass Papiere die Welt nicht verändern. Was Kirche und Gesellschaft brauchen, sind „Burning People“, also Menschen mit einem inneren Feuer. Nur sie können die Situation verändern. Entsprechend haben die Statuten auf einer DIN A4-Seite und die Botschaft des „Forums Deutscher Katholiken“ auf einem ein-seitigen Prospekt Platz. Neben dem Ziel, das bereits in den Statuten genannt ist, sollen einige Passagen aus dem Prospekt aufgeführt werden, weil sie den Geist zeigen, der hinter den Kongressen und den anderen Initiativen steht. So heißt es:

„Das Forum Deutscher Katholiken will den Aufruf des Heiligen Vaters zur Neuevangelisierung aufgreifen und dazu einen Beitrag in Deutschland leisten.

Unser Logo mit der Peterskuppel bringt unsere Treue zum Heiligen Vater und zu Rom als Mittelpunkt der Weltkirche zum Ausdruck.

Die Freude über den empfangenen Glauben und die Dankbarkeit, der katholischen Kirche anzugehören, drängt uns, das Geschenk des Glaubens weiterzugeben.

Wir sehen einen Neuanfang in persönlicher Umkehr, in religiöser Erneuerung, in Glaubensgehorsam und in der Loyalität gegenüber dem Heiligen Vater und den mit ihm verbundenen Bischöfen.

Ein religiöser Neuaufbruch kann nicht herbeiorganisiert oder „gemacht werden“, er muss vielmehr erbetet werden. Deshalb bitten wir die geistlichen Gemeinschaften, die Gebetskreise und alle gläubigen Menschen in unserem Land, dieses Anliegen durch Gebet und Opfergeist mitzutragen.

Das Forum Deutscher Katholiken leistet seinen Beitrag zur Neuevangelisierung durch Kongresse und durch die Sammlung und Aktivierung katholischer Vereinigungen und Einzelpersönlichkeiten.

Heute geht es darum, diese bleischwere Decke von Resignation und Müdigkeit, die auf unserem Land liegt und jeden Neuaufbruch erstickt, ein wenig zu lüften und der Hoffnung wieder Raum zu geben.“

Ein gelungener Start

Mit dieser Geisteshaltung, viel Mut, aber wenig Geld begann die Vorbereitung für den ersten Kongress in Fulda. Vor den Organisatoren stand ein Meer von Schwierigkeiten. Vielleicht war es ein Vorteil, dass das Organisationsteam klein war, welches das Programm beriet, Referenten gewann und finanzielle Mittel sammelte. In der Person von Alois Konstantin Fürst zu Löwenstein wurde der richtige Mann für die Kongressleitung gefunden.

Als der erste Kongress stattfand, hatte die Diözese Fulda noch keinen Bischof. Das erschwerte die Organisation vor Ort. Der Eröffnungsgottesdienst fand im Hotel Maritim, dem Tagungszentrum, nicht im Dom statt. Die Teilnahme von Kurienkardinal Paul Augustin Mayer und Leo Kardinal Scheffczyk war in dieser Situation eine große Hilfe. Ihre Anwesenheit öffnete viele Türen. Der Schlussgottesdienst konnte im Dom gefeiert werden. Der Kongress bekam durch die beiden Kardinäle seinen besonderen Stellenwert aus der Sicht der Teilnehmer, der Öffentlichkeit und der Medien, die ein waches Auge auf diesen ersten Schritt richteten. Vertreter großer Zeitungen wie „Die Welt“, die „Süddeutsche Zeitung“ etc. und das ZDF waren vertreten und berichteten über den Kongress. Die Organisatoren hofften auf vier- bis fünfhundert Teilnehmer. Tatsächlich kamen achthundertfünfzig bis neunhundert Teilnehmer. Die Referate von Christa Meves, Pfarrer Winfried Abel, Gabriele Kuby und Jörg Müller fanden begeisterte Zustimmung. Die Podiumsgespräche mit den Themen „Die Frau im dritten Jahrtausend“, „Aktuelle Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft“ sorgten für große Nachdenklichkeit. Der Start war gelungen.

„Neue Gemeinschaften – Hoffnungsträger der Kirche“

Der zweite Kongress „Freude am Glauben“ fand am 21. und 22. Juni 2002 in der Richthalle in Fulda statt. Das Kongresszentrum, eine schmucklose Halle, in der früher Eisenbahnwägen repariert wurden, war mit einem Podium ausgestattet, von dem aus ein Spruchband mit der Aufschrift „Freude am Glauben“ und einem Bild von Papst Johannes Paul II. die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf sich zog. Eine Ausstellung mit 32 Glaubenszeugen war ein weiterer Blickfang.

Die Diözese Fulda hatte inzwischen als Bischof Heinz-Josef Algermissen zum Nachfolger von Erzbischof Johannes Dyba bekommen. Der neue Bischof stand dem Kongress wohlwollend gegenüber. Er hielt den Anfangsgottesdienst, begrüßte anschließend die Teilnehmer in der Kongresshalle und verlas das Grußwort, das der Hl. Vater an die Teilnehmer richtete. Auf diesem Kongress fanden die Vertreter neuer geistlicher Gemeinschaften auf dem Podium „Neue Gemeinschaften – Hoffnungsträger der Kirche“ das große Interesse der Zuhörer. Vertreten waren die Legionäre Christi, die Gemeinschaft St. Egidio, die geistliche Familie „Das Werk“, die Gemeinschaft der Seligpreisungen und die Jugend 2000. Das von Professor Dr. Gerhard Ludwig Müller, dem heutigen Bischof von Regensburg, moderierte Podium „Katholische Ökumene: Sichtbare Einheit der Kirche“ griff ein „heißes Eisen“ auf. Christa Meves, Gabriele Kuby und Prof. Ockenfels bekamen bei ihrem Referat „Standing Ovations“. Unvergessen ist bei den Teilnehmern das Schlussreferat von Pater Bennet Thierney von den Legionären Christi, wie er den Leuten zurief: „Die Kirche braucht heute nicht brave Leute. Gute Absichten reichen nicht aus!“ Ein Glanz- und Höhepunkt des zweiten Kongresses waren der Abschlussgottesdienst und die Predigt von Kardinal Ratzinger im überfüllten Fuldaer Dom. Die Teilnehmerzahl war mit dem zweiten Kongress von rund 900 auf etwa 1600 angestiegen. Der Kongress war inzwischen zu einem festen Begriff im katholischen Deutschland geworden.

Eucharistische Anbetung im Kongresszentrum

Der dritte Kongress „Freude am Glauben“ vom 20.-22. Juni 2003 in Fulda hatte die Eucharistie, die Sonntagskultur sowie Ehe und Familie als Schwerpunktthemen. Das wird durch Referate unterstrichen wie „Eucharistie – Mitte und Quelle christlichen Lebens“ (Bischof Klaus Küng, Feldkirch), „Die Eucharistie als Mitte des Sonntags“ (Prof. Anton Ziegenaus), „Der Sonntag – das Fest der Christen“ (Prof. Klaus Berger), „Die Eucharistie als gestaltende und vollendende Kraft des Ehebundes“ (Leo Kardi-nal Scheffczyk), „Die Ehe im Würgegriff des Staates“ (Prof. Wolfgang Ockenfels). Auch die Podiumsgespräche „Sonntagskultur in der Familie“, moderiert von Prof. Jörg Splett, und „Vorbereitung zur Ehe“, geleitet von Pfarrer Winfried Abel, zeigen thematisch diese Richtung an. Aus Rom war Erzbischof Paul Josef Cordes, der Präsident des Päpstlichen Rates „Cor unum“, anwesend. Den Abschlussgottesdienst mit Predigt hielt Kardinal Jean-Marie Lustiger von Paris. Wie bereits in den vorausgehenden Kongressen gab es auch auf dem dritten Kongress die ganze Zeit über Gelegenheit zur Beichte. Während der Vorträge wurden Kinder und Jugendliche betreut. Es gab Workshops und Führungen durch die Ausstellung mit den Glaubenszeugen und erstmals „Eucharistische Anbetung“ im Kongresszentrum.

„Dieser Kongress ist ein Segen für Deutschland!“

Die alte Richthalle in Fulda stand für den Kongress 2004 nicht mehr zur Verfügung. Das neue Kongresszentrum war noch im Rohbau, als die Planungen für den Kongress 2004 konkrete Formen annahmen. Eine Anfrage an den neuen Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, den Kongress in der geschichtsträchtigen Donaustadt durchzuführen, wurde positiv beantwortet. Der Diözesanbischof übernahm den Eröffnungsgottesdienst des vierten Kongresses „Freude am Glauben“. Gloria Fürstin von Thurn und Taxis wurde als Schirmherrin für den Kongress gewonnen. Für die Veranstaltung wurde die Donau-Arena gemietet. Sie liegt am Rand der Stadt und wird hauptsächlich für Sportveranstaltungen genutzt. Der Regensburger Kongress hatte den Untertitel „Lebe Deine Berufung!“ Sich seiner Berufung durch Gott bewusst zu werden und diese Berufung zu leben, war das Leitthema, das sich wie ein roter Faden durch Predigten, Referate und Podiumsgespräche zog. Erwähnt seien Vorträge wie „Ich habe dich beim Namen gerufen – der Mensch im Blick Gottes“ (Prof. Karl J. Wallner), „Meine Berufung als Jugendlicher“ (Christian Hartl), „Mitarbeiterin in Jesus Christus – die Rolle der Frauen in der Evangelisierung der Völker“ (Martine Liminski), „Gebenedeit unter den Frauen“ (Leo Kardinal Scheffczyk) und die Podiumsgespräche „Zu sich selbst kommen – die Annahme seiner selbst“, moderiert von Martin Lohmann und „Alleinsein muss nicht Einsamkeit bedeuten“, geleitet vom Nachrichtensprecher im Bayerischen Rundfunk Alex Dorow. Neben dem Generalthema brachte das Programm Glaubenszeugnisse und weitere Themen wie „Schön, katholisch zu sein“ mit Prof. Jörg Splett und „Gott als Quelle von Schönheit“ mit Otto von Habsburg als Referenten. Der Schriftsteller Peter Seewald legte mit leidenschaftlichem Engagement dar, dass Religion und Christentum keine Privatangelegenheiten sind. In den Pausen drängten sich die Teilnehmer um die mehr als 40 Infostände. Alle Workshops hatten ihr interessiertes Publikum. Als Joachim Kardinal Meisner Sonntagvormittag in der Donau-Arena eintraf und zu den Teilnehmern sprach, erreichte die Stimmung den Höhepunkt. Er wurde nur durch den Abschlussgottesdienst mit der temperamentvollen Predigt des Kardinals überboten, als er den Versammelten zurief: „Dieser Kongress ist ein Segen für Deutschland!“

Der fünfte Kongress „Freude am Glauben“ findet vom 10.-12. Juni 2005 noch einmal in der Donau-Arena in Regensburg statt. Das Generalthema lautet: „Kirche – die Hoffnung der Menschen“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Charismatiker predigt Liebe zum Leiden

Vom 6. bis 29. Mai 2005 wird der bekannte indische Priester P. Joseph Vadakkel MCBS wieder verschiedene Exerzitienkurse in Deutschland anbieten. Er ist einer von zahlreichen Missionaren aus Indien, die in unseren Tagen eine segensreiche Neuevangelisierung betreiben. Fast alle haben einen charismatischen Hintergrund und setzen bei ihrem Apostolat die Geistesgaben ein. Manchmal scheint das Charisma der körperlichen Heilung so im Vordergrund zu stehen, dass in den Menschen ungesunde Erwartungen geweckt werden. Da stellt P. Joseph eine Besonderheit dar. Er möchte die Gläubigen bewusst zur Annahme des Leidens hinführen und ihnen die großartige Hoffnung des christlichen Glaubens vermitteln.

Von Werner Schiederer

Jesus wischt deine Tränen ab

Pater Joseph Vadakkel MCBS stammt aus Südindien und gehört der Kongregation des Allerheiligsten Sakraments an. Er wurde 1965 geboren und ist mit seinen 40 Jahren der jüngste indische Priester, der Europa bereist. Schon seit 1997 hält er hier Exerzitien, die sich ganz an der Heiligen Schrift orientieren. Zur Zeit promoviert er in Manila und tritt dort jeden Sonntag als Prediger im Fernsehen auf. Inzwischen ist ein Buch von ihm erschienen, das den Titel trägt: „Jesus wischt deine Tränen ab“. Darin zeigt er auf, wie wir durch Jesus Christus und den Heiligen Geist in schweren Stunden des Lebens Kraft finden und Mut- und Hoffnungslosigkeit überwinden können.

Haltung der hl. Theresia v. Lisieux

Im Juli 2002 pilgerte P. Joseph nach Lisieux, um das Gelingen sowie die Verbreitung dieses Buches unter den Schutz der hl. Theresia zu stellen. Die Haltung, die sie zum Leiden eingenommen hat, möchte er auch seinen Lesern vermitteln. Sie schrieb einmal: „Ich fühlte in meinem Herzen ein großes Verlangen nach dem Leiden erwachen und zugleich die innere Gewissheit, dass Jesus für mich zahlreiche Kreuze bereit hielt; da überströmten mich so große Tröstungen, dass ich sie als eine der größten Gnaden meines Lebens betrachtete. Das Leiden wurde das, was mich anzog, es besaß Schönheiten, die mich hinrissen, ohne dass ich sie recht kannte. Bis dahin hatte ich gelitten, ohne das Leiden zu lieben; aber von diesem Tag an empfand ich eine wahre Liebe dafür. Ich empfand auch das Verlangen, einzig den lieben Gott zu lieben, Freude nur in Ihm zu finden.“

Charismatische Erneuerung

P. Joseph ist von der Charismatischen Erneuerung geprägt. Lebendig und nah verkündet er die ungeheure Sprengkraft des Wortes Gottes. Er will die Gläubigen dazu befähigen, Jesus in die Welt hinauszutragen, d.h. für sein Evangelium einzustehen und ihn durch eine klare Lebensführung zu bezeugen. Für ein dauerhaft wirksames Apostolat allerdings müssen wir zu Mitarbeitern des Heiligen Geistes werden und ihm die Führungsposition überlassen. Dabei betont P. Joseph, dass der Heilige Geist seine Gaben verleiht, wann er will, wie er will und wem er will. Wir sind Tempel des Heiligen Geistes. Doch an uns liegt es, für sein Wirken und seine Gnadengaben offen zu sein. Daraus können wir die Kraft zur Bewältigung des Alltags schöpfen und nach dem Vorbild der hl. Theresia in unseren Herzen eine bedingungslose Opferbereitschaft entfachen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Christen in Istanbul

Durch die Perspektive des EU-Beitritts der Türkei ist die Diskussion um die Christen in der Türkei neu entfacht worden. Um die vielfältigen Hintergründe zu beleuchten, berichtete Prof. Dr. Rudolf Grulich bereits in der Januar-Ausgabe über die letzten Christen in Kleinasien. Nun stellt er uns insbesondere die Situation der Christen in Istanbul vor. Hier, in der größten Stadt der Türkei, ist das Christentum noch zahlreicher vertreten als im Rest des Landes. Im alten Konstantinopel, dem Neuen Rom, befinden sich heute etwa 150 Kirchen. Papst Johannes Paul II. besuchte die Stadt 1979. Er konnte an die historische Visite seines Vorgängers Pauls VI. im Jahr 1967 anknüpfen.

Von Rudolf Grulich

Altchristliche orientalische Welt

Auch 550 Jahre seit der Eroberung durch die Türken hat die alte Kaiser- und Sultansstadt noch 150 Kirchen, in denen Christen verschiedener Konfessionen und Nationen bis heute das Opfer Christi feiern. Millionen Touristen kommen Jahr für Jahr in die Stadt am Bosporus mit ihren heute 14 Millionen Einwohnern. Aber sie sehen meist nur die einmalige Lage der Stadt auf zwei Kontinenten, ihren orientalischen Zauber zwischen Orient und Okzident und die vielen prächtigen Moscheen. Das alte Byzanz und Konstantinopel erscheint nur in Ruinen oder als Museum. Ein solches Museum ist seit 1935 auch die Hagia Sophia, einst die größte Kirche der Welt.

Immer noch gilt, was der protestantische Theologe Heinrich Gelzer um die Jahrhundertwende 1900 in seinem Buch „Geistliches und Weltliches aus dem türkischen Orient“ schrieb: „… Neben der offiziellen Türkenwelt … existiert noch ein zweites, das christliche Konstantinopel, von dem der gewöhnliche Orientreisende wenig oder gar keine Notiz nimmt. Das Phanar, das Griechenquartier, oder Kum-Kapi, den Sitz der Armenier, betritt der Reisende gar nicht oder durcheilt sie flüchtig, und doch zeigt sich hier neben der offiziellen türkischen Welt eine altchristlich orientalische von kaum minderem Interesse und zweifellos größerer Zukunft.“

Vertrag von Lausanne 1923

Gelzer irrte sich in der Prognose: Die Zukunft brachte wenige Jahre nach Gelzers Worten keine bessere Zukunft, sondern Tod und Verderben, Exodus und Ausweisung für Hunderttausende von christlichen Griechen und Armeniern während und nach dem Ersten Weltkrieg.

Nach dem Baedeker-Reiseführer von 1914 lebten in Konstantinopel neben fast 500.000 muslimischen Türken noch über 200.000 Griechen, ebenso viele Armenier und 80.000 weitere Christen. Während die Christen Kleinasiens den Armeniermassakern 1915 und der Umsiedlung nach dem kleinasiatischen Krieg bis zum Vertrag von Lausanne 1923 zum Opfer fielen, durften nach dem Vertrag von Lausanne in Istanbul und auf den Prinzeninseln sowie auf den Inseln Imbros und Tenedos Angehörige der griechischen Minderheit bleiben, als Faustpfand für die türkische Minderheit im griechischen Ost-Thrazien, ebenso Armenier und Juden.

Griechisch-orthodoxes Ökumenisches Patriarchat

Die Christen Istanbuls gehören den verschiedensten Glaubensrichtungen an: von den alten orientalischen Gemeinschaften der ersten christlichen Jahrhunderte bis hin zu modernen Sekten und Freikirchen. An erster Stelle steht natürlich das griechisch-orthodoxe Ökumenische Patriarchat, der Vatikan der Ostkirche, der im Phanar, einem ärmlichen Viertel am Goldenen Horn, seinen Sitz hat und wo über 20 Bischöfe dem Patriarchen zur Seite stehen. Neben dieser Kurie gibt es im alten Stadtgebiet Istanbuls noch ein griechisches Erzbistum Konstantinopel mit 37 Gemeinden, in denen in 42 Kirchen die byzantinische Liturgie gefeiert wird, manchmal allerdings nur an den hohen Feiertagen. Außerdem existieren noch 4 griechische Gymnasien, 12 Volksschulen, 8 caritative Bruderschaften und 13 kirchliche Vereine. Noch vor wenigen Jahren hatte jede Gemeinde ihre eigene griechische Schule und ihre sozialen Einrichtungen, doch sank infolge von Auswanderung die Gläubigenzahl stetig.

Die asiatische Seite Istanbuls bildet immer noch ein eigenes griechisch-orthodoxes Bistum, dem ein Metropolit vorsteht. Es trägt den Titel des alten Chalzedon, der Stätte des 4. Ökumenischen Konzils vom Jahre 451. Sitz des Metropoliten ist Kadiköy. Er verfügt noch über 10 Gemeinden, eine Schule, eine Bruderschaft und einen Bildungsverein. Eine eigene Metropolie besteht auch auf der europäischen Seite außerhalb der alten Mauern der Stadt mit dem Titel von Derkoi und dem Sitz in Yesilköy, dem alten San Stefano des Friedens von 1878. Dieses Bistum umfasst nur 5 Gemeinden mit ebenso vielen Kirchen, zu denen zwei griechische Volksschulen gehören. Eine dritte Diözese liegt vor den Toren der Stadt auf den Prinzeninseln mit dem Sitz in Chalki, wo sich auch bis 1971 die damals von der Türkischen Regierung geschlossene Theologische Hochschule befand. Es existieren noch vier Pfarreien mit zwei Schulen und einigen Klöstern. Wer diese griechischen Kirchen aufsuchen will, tut sich oft schwer, sie zu finden. Kein Reiseführer erwähnt sie, nur einige wenige Kirchen sind auf den Stadtplänen eingezeichnet. Oft sind sie auch in der islamischen Nachbarschaft kaum bekannt. Aber sie tragen immer noch Kreuze und die Glocken läuten.

Armenische Kirchen

Das gilt auch von den armenischen Kirchen der Stadt. Heute schätzt man die Zahl der Armenier in Istanbul noch auf etwa 60.000. Ihr Patriarch residiert im Stadtteil Kum-Kapi, wo ihn Papst Paul VI. 1967 und Johannes Paul II. 1979 besuchten. Über das Stadtgebiet verstreut, auch nördlich des Goldenen Horns und am Bosporus, gibt es rund 35 armenische gregorianische Gotteshäuser sowie einige Schulen und caritative Einrichtungen. Dazu kommen 12 Kirchen der katholischen mit Rom unierten Armenier, die in Istanbul einen Erzbischof haben, der im Stadtteil Beyoglu residiert. Bis 1928 war die Stadt auch Sitz des katholischen Patriarchen der Armenier, bis dieser seinen Sitz nach Beirut verlegte. Die Zahl der armenischen Katholiken soll 4000 betragen, betreut von Weltpriestern und Mechitaristen, einem armenischen Orden nach der Regel des hl. Benedikt mit zwei Mutterklöstern in Wien und auf der Insel San Lazaro vor Venedig. Von den vier katholischen armenischen Schulen in Istanbul werden zwei von den Mechitaristen geführt. Es gibt außerdem ein katholisches armenisches Krankenhaus.

Ökumenische Vielfalt

Mannigfach sind die Kirchen- und Liturgiesprachen der übrigen christlichen Kirchen Istanbuls. Die Anglikaner sind ebenso vertreten wie eine Dutch Chapel und eine United Church. An den Krimkrieg, der vor 150 Jahren die Türken mit Franzosen, Engländern und Piemontesen gegen die Russen verbündet sah, erinnert die Krimkriegs-Gedächtnis-Kirche.

Es gibt noch bulgarische orthodoxe Kirchen, während die katholische bulgarische Gemeinde erloschen ist. Die griechischen Katholiken des byzantinischen Ritus haben zwar noch zwei Kirchen, aber kaum Gläubige. Ebenso gibt es kaum mehr georgische Katholiken. Dabei war einmal im 19. Jahrhundert unter dem Sultan Konstantinopel Ausbildungsstätte für die georgischen kath. Priester, als dies der russische Zar in Georgien nicht erlaubte.

Nationalkirchen

Der katholische Apostolische Vikar des Lateinischen Ritus verfügt über 12 Pfarreien, die zum Teil Nationalkirchen sind. Die deutschsprachigen Katholiken scharen sich um die österreichische Kirche St. Georg, wo auch das „St. Georgsblatt“ als ein Pfarrblatt in deutscher Sprache erscheint, und um die deutsche St. Paulus-Gemeinde.

Die Franzosen haben ihre Kirchen St. Benoît und St. Louis, die Italiener die große Basilika des hl. Antonius in Pera, wo die Gottesdienste am Sonntag auch spanisch, englisch, polnisch und am Abend türkisch gehalten werden. Eine polnische Kirche U. L. Frau von Tschenstochau gibt es noch in Polonezköy (Polendorf), einer polnischen Gründung des 19. Jahrhunderts auf der asiatischen Seite Istanbuls.

An katholischen Orden sind die Dominikaner, Franziskaner, Minoriten, Kapuziner, Assumptionisten, Lazaristen, Salesianer und die Christlichen Schulbrüder neben den bereits erwähnten Mechitaristen vertreten, unter den Ordensfrauen die Notre-Dame-Schwestern, die Filles de la Charité aus Österreich und Frankreich sowie italienische und andere Schwesterngemeinschaften. Die katholischen Orden führen in Istanbul neun Schulen, vier Krankenhäuser, ein Altersheim und ein Kinderheim.

Katholische Gotteshäuser

Spricht man mit Touristen, die Istanbul besucht haben, so kennt kaum einer diese vielen Kirchen. Dabei sind einige wichtige Adressen in der Zwischenzeit auch auf modernen Stadtplänen verzeichnet, seit dem letzten Jahr sogar in Bordzeitschriften einiger türkischer Fluglinien. Die meisten katholischen Kirchen findet man nördlich des Goldenen Horns in Galata und Pera. Einige von ihnen sind sehenswert wie die Kirche Maria Draperis in der Unabhängigkeitsstraße (Istiklal Caddesi Nr. 429) oder die Antonius-Kirche in der gleichen Straße Nr. 325. In der Nähe des Galata-Turmes liegt die österreichische Georgskirche, die in der Neuzeit von Jesuiten und Kapuzinern und seit 1882 von den Lazaristen betreut wird. Französische Könige wie Ludwig XIV. haben nach Bränden die Mittel zur Wiederherstellung gegeben. In der Kirche sind Gräber französischer Botschafter bei der Hohen Pforte und das Grab der Großmutter des französischen Dichters Andre Chenier, der 1762 in Konstantinopel geboren wurde und während der Französischen Revolution umkam. Beim Galata-Turm betreuen die Dominikaner die St. Peter und Paul-Kirche. Sie war einst die Nationalkirche der Kauf- und Seeleute aus Malta und beherbergt interessante lateinische und italienische Grabsteine reicher Kapitäne. Im Inneren birgt die Kirche als Kostbarkeit das silberbeschlagene Bild der „Madonna von Konstantinopel“, das die Genuesen 1475 von der Krim brachten. Den heutigen Bau erstellte Gaspare Frossati 1841, der mit seinem Bruder auch die Hagia Sophia restaurierte und Pläne für die alten Botschaftsgebäude in Galata erstellte.

Toleranz und Dialog

Papst Johannes Paul II. hat 1979 Istanbul und Ephesus besucht. Beim Ad-Limina-Besuch der katholischen Bischöfe der Türkei des lateinischen, armenischen, syrischen, byzantinischen und chaldäischen Ritus 1994 nannte er die Türkei ein „wahrhaft heiliges Land der Urkirche“. Er ermunterte „in einem Geist des Friedens, der Toleranz und der Religionsfreiheit, wie ihn das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat“, zum Dialog. Diesen Dialog wollen heute auch viele Türken. Das Reisebüro Topkatours in Istanbul hat bereits 1998 eine Aktion zum Dialog gestartet, um Christen Istanbul als Neues Rom und als Wallfahrtsort nahezubringen. Seine gut ausgebildeten Reiseführer sind meist Absolventen des Deutschen oder Österreichischen Gymnasiums in Istanbul, die auch das Christentum gut kennen. „Wir wollen nicht nur touristische Reisen anbieten, sondern Christen auch Wallfahrten ermöglichen“, betont Ahmet Sezgin, der das Reisebüro leitet. „Bereits 1996 und 1997 haben wir ersten Gruppen von Theologiestudenten und Lehrern aus Gießen und Hessen auch Besuchs- und Gesprächstermine im Ökumenischen Patriarchat und im Armenischen Patriarchat ermöglicht. Gruppen mit Priestern könnten im Rahmen unserer Programme hl. Messen oder andere Gottesdienste in Istanbul, Izmir oder Ephesus feiern. Christen des Westens werden so die Vielfalt östlichen Christentums in griechischen, armenischen, syrischen oder italienischen Kirchen erfahren.“

Roncalli-Straße in Istanbul

Wer weiß noch im Westen, dass Papst Johannes XXIII. als Nuntius in Ankara und Bulgarien oft in Istanbul war? Nach seiner Seligsprechung wurde nach ihm eine Roncalli-Straße in Istanbul benannt. Bei der lateinischen Kathedrale gibt es auch ein Denkmal für den Friedenspapst Benedikt XV., dessen auch vom Sultan unterstützte Friedensinitiative 1917 leider keinen Erfolg hatte.

Die ökumenischen Kontakte in Istanbul können auch auf das Judentum ausgeweitet werden, meint Ahmet Sezgin, da es in Istanbul noch über 20 Synagogen gibt. Es sind meist sephardische Juden, die nach ihrer Vertreibung 1492 aus Spanien im Osmanischen Reich aufgenommen wurden, aber es gibt auch aschkenasische Synagogen und sogar solche der Karäer und Dönme, das sind alte jüdische Splittergruppen, die sonst kaum bekannt sind.

Auch das Gespräch mit dem Islam ist Reisenden in Istanbul möglich und notwendig, betrachtet doch das Zweite Vatikanum „ die Muslime mit Hochachtung“ und ermahnt alle, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verständnis zu bemühen“.

Es liegt auch an den Christen des Westens, wie die Zukunft des Christentums in Istanbul aussehen wird. Millionen von Touristen besuchen vor allem die Badeorte Kleinasiens an der West- und Südküste des Landes. Zehntausende von Bildungstouristen reisen auf den Spuren des Völkerapostels Paulus durch das Innere der Türkei. Aber wer interessiert sich für die noch existierenden Kirchen Istanbuls?[1]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Mehr über Konstantinopel erfahren Sie in dem Buch von Rudolf Grulich: Konstantinopel.
Ein Reiseführer für Christen.
Mit einem Geleitwort von Otto von Habsburg (= Texte zum Ost-West-­Dialog 14), Gerhard Hess Verlag, Ulm, 287 S., mit zahlr. Abb., ISBN 3-87336-271-6.

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