Wo war Gott am Tag der Tsunami-Katastrophe?

Als Christen dürfen und müssen wir zur Katastrophe in Südostasien Stellung nehmen. Was sich ereignet hat, ist und bleibt zwar ein abgrundtiefes Geheimnis. Doch hat Christus mit seiner Frohen Botschaft auch in diese Finsternis Licht gebracht. Weihbischof Dr. Andreas Laun zeigt auf, wie das Evangelium die unzähligen Fragen erhellen kann, die das Unglück weltweit aufgeworfen hat. Seine Überlegungen helfen uns, trotz aller Ratlosigkeit am Gott der Liebe festzuhalten und auf die Pläne seiner Barmherzigkeit zu vertrauen. Gleichzeitig können sie uns davor bewahren, in vorschnelle und banale Antworten abzugleiten. Der Beitrag von Weihbischof Laun spricht sich aber auch dagegen aus, alle moralischen und erlösungstheologischen Deutungen schlichtweg zu tabuisieren. Denn, wie schon der hl. Apostel Paulus bezeugt, „liegt die gesamte Schöpfung in Geburtswehen“ und „wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ (vgl. Röm 8,19-22).

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Von Fachleuten abgesehen wusste bis vor kurzem bei uns in Europa niemand, was ein Tsunami ist. Jetzt wissen wir es: Tödlich wie eine Lawine, nur viel, viel gefährlicher: „Konnte oder wollte Gott diese Katastrophe nicht verhindern? Wenn er es nicht konnte, ist er nicht allmächtig. Wenn er es nicht wollte, ist er grausam“, schrieb mir ein Mann und meinte wie schon Voltaire und viele andere vor ihm, er könne diejenigen, die an den Gott der Liebe glauben, damit in eine unentrinnbare Zwickmühle bringen: Nicht allmächtig oder grausam, so oder so, Gott ist nicht Gott – ätsch, ihr dummen Christen!

Etwas milder, aber immer noch herausfordernd und anklagend fragen andere: Strafe für die Sünde? Wenn ja, für welche Sünden und von wem begangen? Und dann die Frage, die den Glauben an Gott und seine Rechtfertigung endgültig erledigen soll: Was ist mit den „unschuldigen Kindern“?

Von solchen Überlegungen unbeeindruckt meinte Fawzan Al-Fawzan, Professor an der Al-Imam Universität, in einem Interview mit MEMRI-TV, das Seebeben in Südostasien und der nachfolgende Tsunami seien Strafen von Allah. Denn die Badestrände seien Orte der sexuellen Sünde, besonders schlimm seien Homosexualität und Unzucht. Auch der Zeitpunkt des Unglücks weise es als Zeichen Allahs aus: Es geschah ausgerechnet zu Weihnachten, als Unzüchtige und korrupte Menschen aus der ganzen Welt nach Asien gekommen waren, um sich der Unzucht und sexuellen Perversionen hinzugeben. Al-Fawzan rief die Muslime der Länder auf, für diese Vergehen Buße zu tun.

Gemeinsamer Nenner beider Auffassungen ist: Der Tsunami stellt die Gottesfrage:

• Die einen sagen: Der Tsunami beweist, dass es den Gott der Juden und Christen nicht gibt. Aus der Verantwortung Gottes für den Tsunami wird der Beweis für seine Nicht-Existenz.

• Andere meinen geradezu im Gegenteil: Doch, Gott existiert, der Tsunami beweist es, in ihm erscheint der Richter über die Sünder, insbesondere der Richter über die sexuell Enthemmten.

Also, was ist der Tsunami für Gott? Beweis dafür, dass es ihn nicht gibt, oder Gottesbeweis? Weder das eine noch das andere, der Tsunami belässt Gott so, wie er ihn vorgefunden hat: Gott ist die Liebe, aber er bleibt ein Geheimnis. Was man sagen kann, ist dies:

1. Der Tsunami als Anklage Gottes?

Seltsam, jeden Tag sterben unzählige Menschen an Hunger, durch Krankheiten und Krieg. „Man“ weiß es, aber es bewegt die Menschen kaum. Zudem töten jeden Tag viele Menschen viele andere Menschen, sie treiben jedes Jahr Millionen Kinder ab, töten alte Menschen und experimentieren mit menschlichen Embryonen für die Wissenschaft, die ihnen längst gesagt hat, dass „das“ Menschen sind – aber niemand scheint das aufzuregen.

Gott hingegen darf nicht sterben lassen? Als ob wir nicht wüssten, dass jeden Tag viele Tausende sterben und letztlich wir alle. Ist das nicht auch ein Skandal? Oder nur, wenn die Ursache so ungewöhnlich ist wie ein Tsunami, wenn die Opfer fast gleichzeitig sterben, es viele sind, und vor allem, wenn darunter auch zahlreiche Europäer sind? Die bange Frage, wie die Reaktion der Welt gewesen wäre, wenn der Tsunami „nur“ Arme und namenlose Farbige getroffen hätte, wage ich nicht zu beantworten.

Demjenigen, der sagt, dieser Tod durch den Tsunami stelle die Frage nach Gott, möchte ich antworten: Der Tod eines einzigen Menschen genügt, um diese Frage zu stellen: Wer ist der Mensch angesichts des sicheren Todes, der alle trifft, die Klugen und Dummen, die Guten und Bösen, die Reichen und Armen?

Der Tsunami hat mit suggestiver Kraft daran erinnert, dass der Tod den Menschen jederzeit ereilen kann, unerwartet und unentrinnbar. So hat er wenigstens für kurze Zeit die Tabuisierung und Verdrängung des Todes aufgehoben. Wenn aber viele Menschen „aufgewacht“ sind und sich endlich auf die Suche nach der Wahrheit machen, wenn sie umkehren – dann war der Tsunami trotz des Leidens so vieler Betroffener heilsam für die Welt – und nicht nur Unglück.

Freilich, das ist eine Betrachtungsweise, die den Glauben voraussetzt. Für den Ungläubigen ist der „gute“ Tod der schnelle, unerwartete und möglichst schmerzfreie Tod. Für den Gläubigen hingegen ist der gute Tod derjenige, für den er bereit ist. Darum beten Christen, Gott möge sie vor „jähem Tod“ bewahren.

2. Der Tsunami als Beweis für die Nicht-Existenz Gottes?

Beweist der Tsunami, dass Gott lieblos ist und also nicht existieren kann, zumindest nicht so, wie ihn die Juden und dann vor allem die Christen beschreiben, nämlich als einen Gott der Menschen, einen Vater, der seine „Kinder“ liebt? Auch im Argument, wenn er den Tsunami nicht verhindern „konnte“, ist er nicht allmächtig, ist enthalten: „Wenn er es verhindern hätte können, hätte er es verhindern müssen, also...“

Wenn dieses irdische Leben „alles“ ist, könnte man geneigt sein, so zu denken, aber die Frage ist mit aller Entschiedenheit mit einem „Nein“ zu beantworten, wenn man bedenkt, dass in ihr immer eine Unbekannte als bekannt behauptet wird: nämlich die Behauptung, dass der Tod ein Übel und darum mit der Liebe Gottes auf jeden Fall unvereinbar ist? Aber eben diese Behauptung stimmt nicht, weil wir weder den Seelenzustand der Opfer kennen noch deren ewiges Schicksal.

In einer seiner Geschichten relativiert Mark Twain die Wertung menschlicher Schicksale etwa so: „Herr Müller ist mit dem Auto tödlich verunglückt. Traurig? Nein, gut für ihn, denn zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass er in Kürze an Magenkrebs erkrankt und unter grässlichen Schmerzen gestorben wäre.“ Ähnlich auch hier: Wir wissen: Der Tod ist ein „normaler“ Vorgang. Wir glauben: Beim Sterben fallen die Menschen in die Hände Gottes – und Er allein weiß, in welcher Verfassung ihre Seelen zu diesem Zeitpunkt waren, warum Er sie so und warum Er sie jetzt geholt hat. Gewiss ist: Der Gott, der uns ruft, zu ihm zu kommen, ist der Gott, der uns liebt. In Erinnerung an Petrus, der von Jesus gerufen über das Wasser geht, könnte man den Tod christlich so beschreiben: Auch die Opfer des Tsunami können den Schritt über den „Bootsrand des Lebens“ hinaus wagen und über das „Meer der Verzweiflung“ gehen, weil der Tsunami sie zwar tötet, aber zugleich zu Gott bringt.

Vor und nach dem Tsunami bleibt die Welt, wie sie ist. Gott liebt die Menschen, auch diejenigen, die durch ein Unglück ums Leben kommen. So erschütternd das Unglück ist, daraus zu schließen, es könne einen guten Gott nicht geben, ist falsch. Jeden Tag ruft Gott Menschen zu sich, er ruft alle, er ruft sie durch den Tod hindurch zu sich und er ruft sie auf unterschiedliche Weise, manchmal durch einen Tsunami. Ein Beweis gegen seine Existenz ist weder der Tod in der Flut noch der Tod im Bett.

3. Der Tsunami als Strafe Gottes?

„Ist der Tsunami eine Strafe Gottes für die Sünden, besonders die sexuellen?“ So die Frage des zitierten muslimischen Professors – und nicht wenige Christen fragen auch in diese Richtung.

Gegenfrage: Was ist eine „Strafe“ und was ist vor allem eine „Strafe Gottes“? Die Antwort setzt sich aus mehreren Gesichtspunkten zusammen:

Der heilige Thomas lehrt: Abgesehen von der Höllen„strafe“ ist Strafe immer ein Übel, aber sie ist zugleich etwas Gutes, weil sie dem Sünder ermöglicht, das begangene Böse zu sühnen und damit zu verbüßen – so, dass er nach „Abbüßung“ der Strafe in die Gemeinschaft der Menschen zurückkehren kann. Unter anderem dadurch unterscheidet sich Strafe von der Rache: Derjenige, der sich rächt, will seinem Opfer nichts Gutes, sondern nur seine Rache kühlen. Der gerechte Richter hingegen ist nicht der Feind des Täters, sondern er will ihm – so paradox es klingen mag – sogar wohl: durch die Sühne soll er wieder frei werden vom Bösen.

In der Geschichte vom Blindgeborenen lehnt Jesus die Folgerung von einem Übel (Blindheit) auf eine bestimmte Sünde des Betroffenen oder der unmittelbaren Angehörigen kategorisch ab. Die Gleichung „Kleine Sünde – Strafe durch Schnupfen“, „Große Sünde – Strafe durch Lungenentzündung“ oder „Homosexualität – Bestrafung mit AIDS“ stimmt nicht.

Aber wenn man das alles gesagt hat, ist auch wahr: Die „Tsunamis“ jeder Art sind „irgendwie“ eine Folge der Sünde, so wie der Tod ja überhaupt durch die Sünde in die Welt kam (sagt Paulus). Wie nimmt der Christ Tod und Leiden an? In der Nachfolge Christi, also „wie“ Christus selbst. Wie hat Jesus gelitten? Zur Vergebung der Sünden. Wie leiden Christen? Sie ergänzen mit ihrem Leiden, was am Leiden Christi fehlt (wieder Paulus), also auch „zur Vergebung der Sünden“, zur Sühne. Leiden Christen nur für die Sünden anderer – wie Christus, der ohne Sünde war – oder leiden sie auch für die eigenen? Natürlich auch und sogar zuerst für die eigenen. Dabei haben sie auch für die eigenen Leiden und für die eigenen Sünden keine Waage und kein Metermaß, um Sünden und Leiden miteinander zu verrechnen, zu messen oder abzuwägen. Was sie tun können und sollen ist aber: Sie legen ihre Leiden in die Hände Gottes „zur Vergebung“ der Sünden der ganzen Welt. Konkret gesprochen: Warum sollte ein Mensch, der seine Leber mit Schnaps ruiniert hat, seine daraus folgenden Leiden nicht demütig annehmen als „Sühne“ für seine Hemmungslosigkeit? Es leidet sich viel leichter, wenn der Leidende in seinem Leiden einen Sinn erkennen kann.

Übrigens, es gibt eine Gruppe von Opfern, bezüglich derer viele Menschen sehr rasch bereit sind, ihren Tod als Strafe zu verstehen: Es sind jene Touristen, die tatsächlich nach Asien gefahren sind, um ihre abartigen Wünsche zu befriedigen, und jene dort, die vor Ort das Geschäft mit Kindersex und besonders billigen Frauen organisieren.

4. Die Frage der Überlebenden – die Hiobs des Tsunami

Dennoch, es gibt Menschen, die ein gewisses, menschlich verständliches „Recht“ haben, Gott und Seine Liebe in Frage zu stellen: jene Opfer in den betroffenen Ländern, die nicht in ihren europäischen Wohlstand zurückfliegen können und die buchstäblich alles verloren haben. Sie könnten wie Jossel Rakover in der berührenden Erzählung Zwi Kolitz sagen: „Gott, Du hast alles getan, dass ich an dir irre werde, dass ich nicht an dich glaube.“ Angesichts ihres Leidens kann man ihnen nur wünschen, dass sie erstens Hilfe finden und dass sie zweitens hinfinden zu dem, was der Autor seinen Jossel weiter sagen lässt: „Ich glaube an den Gott Israels, auch wenn er alles getan hat, dass ich nicht an ihn glauben soll.“ Und: Ich lebe und „sterbe aber gerade so, wie ich gelebt habe, als unbeirrbar an dich Glaubender. Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist Einer. In deine Hände, o Herr, empfehle ich meinen Geist.“

5. Der Tsunami als Katalysator des Guten

Den Bildern der Flutwelle und der Verwüstung stehen zwei Arten von Berichten gegenüber:

• Die einen erzählen uns von den Abgründen der menschlichen Gemeinheit, von Menschen, die Hilfsgüter abzweigen und für sich zu Geld machen, u. anderen, die, viel schlimmer noch, sich verwaister Kinder bemächtigen, um sie dann pädophilen Netzwerken zuzuführen oder als Kindersoldaten abzurichten. Ist es angesichts solcher Ungeheuerlichkeiten immer noch schwierig, an den Teufel zu glauben und die Sünde, die in die Hölle führt?

• Die anderen Berichte hingegen sind voller Licht. Sie erzählen von Liebe und weltweiter Solidarität. „Not lehrt nicht nur beten, sondern auch helfen“, schreiben die Präsidenten von missio Aachen und missio München, und sie haben recht. Der tödlichen Welle des Meeres ist eine wohltätige Welle der Liebe gefolgt: Menschen, die bereit sind zu helfen. Den guten Folgen des Unglücks zuzurechnen ist auch die Entscheidung der Rebellen, zumindest bis auf weiteres die Waffen schweigen zu lassen.

Ohne falschen Stolz darf man sagen: Es sind vor allem die Christen, die sich mit den Opfern solidarisch zeigen. Wahrscheinlich begreifen mehr Menschen, als man für gewöhnlich glaubt: Der Gedanke weltweiter Solidarität mit der Not anderer hat seinen Ursprung in der jüdisch-christlichen Tradition. Weil das so ist, versteht man auch den Abwehr-Reflex: In Indonesien hätten, so hört man, muslimische Autoritäten (nur einige?, alle?, die wichtigsten?) ihre Anhänger dazu aufgerufen, die Hilfe der Christen nicht anzunehmen – mit der Begründung, das könne ihren muslimischen Glauben gefährden.

Als der Tsunami die ersten Strände verwüstete, waren wir alle erschüttert. Zu fragen, warum Gott dieses Unglück zugelassen hat, ist sinnlos. Es gibt keine Antwort, keine „Erklärung“, angesichts derer wir erleichtert sagen könnten: „Natürlich, jetzt verstehen wir warum!“. Sicher ist aber auch: Der Tsunami bringt den Glauben an Gott nicht ins Wanken. Diejenigen, die glauben, werden sich an die Worte Jesu erinnern, der sagt: „Lasst euch nicht erschrecken“, wenn ihr von Kriegen und Erdbeben hört, und bleibt „wachsam“! Daher gehen sie nach einem „Tsunami“ (welcher Art auch immer dieser „Tsunami“ sein mag) ihren Weg noch „wachsamer“ weiter, wissend, dass er zu Gott führt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Das Bild vom „leidenden Gottesknecht“

Zur weltweiten philosophischen Debatte über die Tragödie und die damit verbundene Gottesfrage äußerte sich Kardinal George Pell, Erzbischof von Sydney, in einem Beitrag, den der Fidesdienst am 13.1.2005 veröffentlichte. Nachfolgend ein kurzer Auszug.

Von George Kardinal Pell

Die Christen betrachten das Bild vom „leidenden Gottesknecht“ beim jüdischen Propheten Jesaja als Bild für den heilbringenden Tod Jesu und dessen Auferstehung. Den Christen wirft man sogar vor, dass sie dem Leiden Christi, dessen Tod am Kreuz und dem Kreuz als Symbol zu viel Bedeutung beimessen. Gott ist allmächtig, doch in der Krippe von Bethlehem und am Kreuz ist der Sohn Gottes machtlos. Die Christen glauben, dass die Menschen vor allem durch die Art und Weise das Heil erlangen, in der sie auf das Leid reagieren. Im Matthäus-Evangelium heißt es sogar: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“

Es ist nicht richtig, wenn man sagt, der Tsunami sei ein Werk Gottes, denn es war nicht Gott, der diese Katastrophe bewirkt hat. Doch wir können uns fragen, weshalb Gott nicht eine vollkommenere Welt geschaffen hat, weshalb er so viel Leid zulässt. Wir wissen es nicht. Das Übel bleibt ein Geheimnis, doch wir sind berufen, es zu überwinden und das Übel ist nur ein Teil unserer Geschichte.

Es ist auch nicht richtig, wenn man den Tsunami mit dem Jüngsten Gericht Gottes vergleicht, weil der Tsunami auf willkürliche Weise und unterschiedslos getötet hat. Beim Jüngsten Gericht Gottes wird Gerechtigkeit und Barmherzigkeit herrschen und es werden nur die reuelosen Bösen bestraft werden.

Für Atheisten gibt es keine Erklärung. Für sie ist das Leben ein reiner Zufall, ohne jegliches Ziel. Nur ein guter Gott verlangt und schenkt den Sinn für die universale Liebe und kann das menschliche Leid im nächsten Leben kompensieren. Unsere Aufgabe besteht nun darin, diese Liebe, zu der wir uns bekennen, umzusetzen, und den Überlebenden unsere Hilfe anzubieten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Grenzfragen am Lebensende – Beiträge der Medizin

Für einen gläubigen Christen sind die allgemein gültigen Prinzipien zur sittlichen Beurteilung der Sterbehilfe klar. Doch wenn es darum geht, diese Prinzipien auf konkrete Einzelfragen anzuwenden, wie sie im Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden tagtäglich vorkommen, wird es wesentlich komplizierter. Um ein differenziertes und treffendes Urteil fällen zu können, sind wir auf detaillierte Kenntnisse aus der Medizin angewiesen. Im letzten Heft antwortete Weihbischof Dr. Andreas Laun auf verschiedene Anfragen, die zum Artikel „Christliche Sterbehilfe aus ärztlicher Sicht“ von Ch. Probst und G. Fantacci (Kirche heute 11/2004) eingegangen waren. Dazu möchte sich nun auch einer der Autoren, nämlich der Neurochirurg Univ.-Professor Dr. med. Dr. h.c. Charles Probst, noch einmal zu Wort melden. Wir können nur dankbar dafür sein, dass sich Fachleute auf dem Gebiet der Medizin die Mühe machen, in diese Grenzfragen Licht hineinzubringen, und moralisch verantwortbare Wege aufzeigen.

Von Charles Probst

Verschiedene Probleme der Sterbehilfe können in guten Treuen unterschiedlich beurteilt werden. Für eine optimale Beurteilung sind zusätzlich zu den ethisch-moralischen Aspekten Kenntnisse von relevanten medizinischen Zusammenhängen unerlässlich. Dazu zwei zur Diskussion stehende Beispiele.

1. Hirntod/Organtransplantation

Die Entnahme von lebenswichtigen Organen bei Hirntoten zur Transplantation darf nicht mit der direkt aktiven Euthanasie (Patiententötung) gleichgesetzt werden.

Wir alle sind uns einig darüber, dass diese Organentnahme niemals bei einem lebenden Menschen erfolgen darf. Entscheidend ist daher, ob ein Hirntoter auch als Mensch tot ist, d.h. ob sich die Seele bereits vom Leib getrennt hat.

Bei einem Hirntoten ist das ganze Gehirn inkl. Hirnstamm definitiv und irreversibel ausgefallen; die Blutzufuhr zum Gehirn ist unterbrochen. Sofern in diesem Zustand maschinell weiter beatmet wird, können für eine beschränkte Zeit Herzaktion und weitere organische Funktionen aufrechterhalten werden. Im Anschluss an die klassische, seit altersher bekannten Todesdiagnose können gewisse Lebensvorgänge zwar auch über den festgelegten Todeseintritt hinaus über längere Zeit andauern, aber sie sind weniger effizient und augenfällig. Der organische Sterbevorgang verläuft jedoch immer dissoziiert, d.h. nicht überall im Körper gleichzeitig.

Jede Todesdiagnose beruht grundsätzlich auf Indizien, weil die Trennung der Seele vom Leib empirisch nicht direkt feststellbar ist. Zu diesen Indizien gehört beim Hirntod neben den entscheidenden spezifisch-klinischen Zeichen und ergänzenden Untersuchungsbefunden die pathophysiologische Analyse jener Restfunktionen, die eine Zeitlang andauern, sofern der Hirntote maschinell beatmet wird mit Zufuhr des notwendigen Sauerstoffs. All diese Organfunktionen beruhen auf dem jeweils isoliert-organeigenen Nervengewebe (z.B. Herz-Schrittmacher), auf Rückenmarksreflexen oder auf hormonellen Restfunktionen. Ganz klar zeigt sich, dass hier die übergeordnete Steuerung und Koordination zu Gunsten des ganzen Individuums völlig fehlen; es fehlt das so genannte „Einende Prinzip“. Dazu hat mir bereits am 19.1.1996 Msgr. Dr. J. Clemens im Auftrag von Joseph Kardinal Ratzinger geschrieben: „Die von den meisten Fachleuten vertretene Auffassung lautet, dass der mit Sicherheit eingetretene Ganztod des gesamten Gehirns (also auch des Hirnstamms) ein sicheres Kriterium für den schon erfolgten Tod des Menschen ist. Wenn nämlich das gesamte Gehirn abgestorben ist, sind die verschiedenen Funktionen des menschlichen Organismus nicht mehr verbunden; es fehlt das einende Prinzip, die Seele.“

Für die Praxis hilfreich sind für uns zum Beispiel die Stellungnahme der nordischen Bischöfe (Hirtenbrief vom 11.2.2002, in: Kirche heute 12/2004), ferner die Ausführungen von Weihbischof Andreas Laun: „Die Annahme, der Mensch als Ganzer ist wirklich tot, wenn sein Hirn wirklich tot ist, ist mit der katholischen Lehre vereinbar, zumal das Lehramt der Kirche über die medizinischen Sachverhalte, die hier zur Bewertung anstehen, nicht urteilen kann.“ (Kirche heute 1/2005) – Es ist für uns somit erlaubt, einem Hirntoten Organe zur Transplantation zu entnehmen: Dies sieht auch Papst Johannes Paul II. so, indem er beim Internationalen Kongress für Organtransplantation in Rom am 29.8.2000 in diesem Zusammenhang von einer moralischen Gewissheit sprach. Er sagte u.a.: „Diese moralische Gewissheit gilt als notwendige und ausreichende Grundlage für eine aus ethischer Sicht korrekte Handlungsweise.“

Für jene, die dennoch aus Gewissensgründen die „Hirntodthese“ ablehnen, können fernab von rein irdischem Nützlichkeitsdenken noch folgende Überlegungen ins Feld geführt werden, die der katholische Theologe Prof. Dr. H. Dobiosch macht, und zwar im Zusammenhang mit der Transplantationsmedizin: „Um einem anderen zu helfen und ihn zu retten, darf ich zwar mein ewiges Heil nicht aufs Spiel setzen. Ich bin aber gehalten, materielle Güter, unter Umständen bis zum höchsten Gut  – mein Leben – einzusetzen.“ Wenn dies sogar für einen Gesunden gilt, wieviel eher für einen Hirntoten. Diese Überlegung zeigt abschließend auch, wie wichtig die Zustimmung zur Organentnahme ist, durch den Spender oder durch dessen rechtmäßigen Vertreter.

2. Basistherapie/Nahrungszufuhr

Es ist ethisch-moralisch erlaubt, bei Sterbenden und unheilbar Schwerkranken auf medizinische Maßnahmen zur Lebensverlängerung zu verzichten oder diese sekundär abzubrechen. Sterbenlassen bedeutet hier nicht zielbewusstes Töten: Die maßgebliche Absicht ist eine andere. Sterbenlassen heißt Verzicht auf Verlängerung des Leidens mit unverhältnismäßigen Mitteln. Dieser Verzicht betrifft medizinische Behandlungen wie künstliche Beatmung, Bluttransfusionen, Dialyse, Operationen und Medikamente.

Die Basistherapie aber wird in jedem Fall weitergeführt. Dazu gehören Schmerzbekämpfung, Freihalten der Atemwege, Pflege u.a.m. – Wie steht es mit der Ernährung? Mehrheitlich wird die Flüssigkeitszufuhr auch terminal befürwortet. Ausnahmen bezüglich der Nahrung sind anerkannterweise nicht so selten. Aus diesen Gründen hat die Bundesärztekammer in ihren Grundsätzen zur Sterbebegeleitung 1998 bei der Formulierung der Basisbehandlung bewusst auf den Begriff der Ernährung verzichtet.

Konkret möchte ich kurz einzelne Beispiele aufzeigen. Für alte und todkranke Menschen ist nicht selten die Nahrungszufuhr eine unzumutbare Belastung. Manche verweigern schließlich Essen und Trinken. Hunger und Durst werden unter diesen Umständen oft nicht mehr empfunden. Eine Zwangsernährung (z.B. Magensonde, allenfalls perkutan-endoskopische Gastrostomie) wäre hier eine unnötige, zusätzliche Plage. – Wie steht es bei Patienten mit beeinträchtigtem Bewusstsein? Bei Aussicht auf Besserung oder gar Heilung ist eine volle Ernährung selbstverständlich. In aussichtsloser Lage aber, zum Beispiel bei einem bösartigen Hirntumor (Glioblastom), ist es sicher menschlicher, auf eine forcierte Ernährung zu verzichten.

Eine optimale Betreuung der Patienten setzt auch in Bezug auf die Ernährung ein differenziertes, individuell angepasstes Vorgehen voraus – durchaus möglich im Rahmen einer vernünftigen Ethik und Moral.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Bruder Elia – Begegnung mit einem Stigmatisierten

Das Leben von Fra’ Elia erinnert daran, wie Jesus den himmlischen Vater dafür preist, dass er seine Geheimnisse den Weisen und Klugen verborgen, den Einfältigen aber offenbart hat. Die außergewöhnlichen Gnadengaben, die den einfachen Bruder Elia auszeichnen, verlangen wie jedes Charisma behutsamen Umgang und eine eingehende Prüfung durch die Kirche. Wie Ingrid Malzahn in ihrem Beitrag aufzeigt, entwickeln sich diese Gaben unter der Aufsicht verschiedener Verantwortlicher der Kirche. Was an ihnen so überzeugt, ist einerseits die Fülle echter Bekehrungen, die sich durch die Begegnung mit Bruder Elia ereignen. Andererseits aber ist es vor allem der Schwerpunkt seiner Sendung. Fra’ Elia hat eine neue religiöse Familie ins Leben gerufen, die sog. „Apostel Gottes“. Die Gemeinschaft nimmt sich Jugendlicher an, welche aufgrund mangelnder Liebe gescheitert sind und keine Zukunftsperspektive haben.

Von Ingrid Malzahn

Der „Paradiesduft“

Als mir der Zufall ein Buch über einen jungen stigmatisierten Mönch in Italien in die Hände spielte, der mit den gleichen Charismen begnadet sein soll wie einst der hl. Pater Pio, war meine journalistische Neugierde geweckt. Ich kontaktierte die italienische Autorin Fiorella Turolli und Mitte Mai 2003 hatte ich die große Freude, beim Mittagessen in ihrem Haus in Bergamo Bruder „Elia von den Aposteln Gottes“ persönlich kennenzulernen. Der junge Mönch mit seinem rundlichen Gesicht und großen dunklen Augen wirkte bescheiden, fast schüchtern. Wären da nicht seine mit elastischen Halbhandschuhen bekleideten zierlichen Hände gewesen, die seine Wundmale verbargen, hätte man ihn für einen typischen Süditaliener halten können. Während des Essens wehte die ganze Zeit ein feiner Rosenduft in meine Nase, der dem Körper des jungen Mönchs zu entströmen schien. Als Autorin eines Buches über Pater Pio hatte ich mich mit Duftphänomenen zwar auseinandergesetzt; es hier nun jedoch „live“ erleben zu dürfen, empfand ich als beglückend. Als ich Frau Turolli später darauf ansprach, erklärte sie mir lächelnd: „Ingrid, der Duft kommt von seinen Wundmalen…“

Auch Pater Pios Wundmalen war dieser liebliche Wohlgeruch entströmt, wie unzählige seiner Anhänger, Freunde und Feinde, skeptische Mediziner und Journalisten bezeugt haben. Pater Pios Mitbrüder bezeichneten dieses geheimnisvolle Charisma als „Paradiesduft“. Er selbst nannte es den „Duft der Heiligkeit“, vielleicht um anzudeuten, dass eine reine, gottverwirklichte Seele für Gott so angenehm „wie eine Rose“ duftet. Duftphänomene sind auch von dem in Italien bekannten Charismatiker Fratel Cosimo bezeugt, dem die Madonna mehrfach in einer Grotte auf dem Hügel „Scoglio“ erschienen sein soll.

Charismen bereichern das Leben der Kirche

Das griechische Wort charisma bedeutet im theologischen Sinn eine vom Menschen selbst weder herbeizuführende, noch durch Sakramente zu vermittelnde Einwirkung des göttlichen Geistes, wie ekstatisches Stammeln, Zungenrede und nach Paulus (1 Kor 12-14) Weisheit, Erkenntnis, Heilungsgabe, prophetische Rede und die Unterscheidung der Geister. Charismen treten oft auf oder verstärken sich mit einer Stigmatisierung, also dem Erscheinen der Kreuzeswunden Christi auf einem lebenden Körper, die sich mit periodischer Regelmäßigkeit schmerzhaft öffnen, jedoch nie entzünden, nie eitern und sich jeder medizinischen Therapie entziehen. Vieles davon trifft auch auf Fra’ Elia zu. Pater Massimo Fatato Fusarelli, Lehrbeauftragter für Dogmatische Christologie, schreibt im Hinblick auf den stigmatisierten Fra’ Elia, den der Herr offensichtlich als einfachen Mönch und nicht als Priester gewollt hat: „Es ist gut, in dieser schwierigen Zeit Klarheit zu schaffen bezüglich der Realität einiger auserwählter Seelen, die Gott dazu berufen hat, mit ihren Gnadengaben den immensen Schatz und die Vielfalt unserer Mutter Kirche zu bereichern und zu stärken.“

Die Anfänge der Stigmatisation

Fra’ Elia Maria wurde am 20. Februar 1962 in Apulien als Sohn von Anna Argentieri und Carmelo Elia geboren. Schon in früher Jugend trat er in ein lombardisches Kapuzinerkloster ein, wo er während seines Noviziats die Stigmata empfing, deren Echtheit von dem berühmten Neurophysiologen Professor Marco Margnelli bestätigt und seit Jahren wissenschaftlich verfolgt und regelmäßig überprüft werden. Seitdem erlebt Elia jedes Jahr während der Osterzeit, der ein vierzigtägiges Fasten vorausgeht, immer wieder aufs Neue die Passion Christi, wobei sein ganzer Körper ein angenehm duftendes Serum absondert. Jeden Freitag öffnen sich seine fünf Wundmale unter furchtbaren Schmerzen und beginnen nach ein paar Tagen wieder zu verheilen, deutlich erkennbare Narben hinterlassend. Obwohl sich diese Phänomene kontinuierlich wiederholten, hat sich Fra’ Elia zunächst nur einigen Mitbrüdern anvertraut, sodass er seinen Glaubensweg bis zum Ablegen der vorläufigen Ordensgelübde weitergehen konnte. Als ihm klar wurde, dass seine Wundmale keine „Form von Herpes“, wie er zunächst dachte, sondern dauerhafter Natur waren, geriet er in eine Lebenskrise, da er sich der Verantwortung dieser Auszeichnung nicht gewachsen fühlte. Nach langem inneren Ringen verließ er deshalb 1994 sein geliebtes Kloster, in der Hoffnung, dass sich mit der Rückkehr ins weltliche Leben alles wieder in die „Normalität“ zurückentwickeln würde. Seinem Wesen entsprechend verdiente er sich in Bergamo seinen Lebensunterhalt abwechselnd als Kranken- bzw. Altenpfleger und in einem Gefängnis. Da es ihm nicht gelang, seinen gewohnten Lebensstil zu ändern, erneuerte er jedes Jahr seine Ordensgelübde in privater Form in die Hand seines Ex-Priors, Fra’ Eugenio Perolini ofmcap. Seine Zeit teilte er zwischen Arbeit, Kirche und Hilfe für den Nächsten.

Gründung einer neuen religiösen Familie

Während seine Wundmale ihm lebendiger denn je blieben, setzte ihm sein Heimweh nach dem Klosterleben immer mehr zu. Er erkannte, dass es ihm nicht gelang, seinen Herrn zu verlassen. Sich vollkommen seiner Barmherzigkeit anvertrauend, zog er sich im Herbst 2000 für eine längere Zeit der Meditation in ein Kloster in der Toskana zurück, wo ihn niemand kannte, um sich einer letzten Prüfung zu unterziehen und den Herrn zu bitten, ihn wissen zu lassen, was er von ihm wollte. Von seinem Schutzengel angeleitet, der ihm angeblich schon seit der Stigmatisierung in Visionen erschien, wurde ihm klar, dass es seine Aufgabe war, als Pilger in der Welt und für die Welt zu leben und gleichzeitig eine neue religiöse Familie ins Leben zu rufen, die sich der Aufnahme der Ärmsten, Schwächsten und Ausgegrenztesten widmen sollte. Im Besonderen sollte diese Berufung Jugendlichen gelten, die aufgrund fehlender sozialer und familiärer Bindungen an einem Scheideweg ihres Lebens stehen, ohne Liebe, Führung und Zukunft. Elia vertraute sich seinem Ex-Prior an, der ihn ermutigte, seiner Berufung zu folgen.

Entwicklung unter kirchlicher Aufsicht

Mit Hilfe der göttlichen Vorsehung traf Elia Menschen, die seine Visionen unterstützten. Sie riefen eine Stiftung ins Leben, um für den Kauf und die Renovierung eines alten und baufälligen, bereits 250 Jahre nicht mehr genutzten Klosters in Calvi dell’ Umbria, Provinz Terni, das dem hl. Franziskus von Calvi geweiht ist, ein Darlehen aufnehmen zu können. Seit September 2003 wohnt Fra’ Elia dort mit seinen Mitbrüdern und einer Schwester nach den Regeln des neu gegründeten Ordens „von den Aposteln Gottes“. Bis zur offiziellen Anerkennung durch den Diözesanbischof legt Fra’ Elia seine Ordensgelübde in privater Form ab, wie am 28. Dezember 2003, am Fest der Madonna des Göttlichen Beistands, bei seinem Freund Mons. Eugenio Martorano, einem Mitarbeiter der Kurie am Kirchlichen Gericht des Vikariats Rom, der ihm auch bei seiner Passion in der Karwoche 2003 in Rom beistand.

Der zuständige Bischof von Terni und Narni, Mons. Vincenzo Paglia, ist vom gottgesandten Wirken Bruder Elias überzeugt. Am 28. Oktober 2004 beauftragte er P. Paolo Bini ofm von Assisi mit der Betreuung von Fra’ Elia und der Beobachtung der neuen Kongregation „von den Aposteln Gottes“. In die Hände von P. Bini erneuerte Bruder Elia am 28. Dezember 2004 seine Gelübde. Im Rahmen dieser Feier wurde zudem Bruder Sergius, ein Postulant des Ordens, ins Noviziat aufgenommen. Als Konzelebrant nahm auch P. Oronzo Saponaro ofm von Trevi, der Spiritual Bruder Elias, teil. Grundsätzlich ist der Bischof der neuen Gemeinschaft gewogen, allerdings wird eine offizielle Anerkennung noch nicht in absehbarer Zeit erfolgen.

Prüfung durch Experten

Schon bei der Passion im Jahr 2003 erhielt der Fernsehjournalist Dr. Piero Vigorelli die Erlaubnis, Fra’ Elias Ekstasen zu filmen, was später im italienischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. In der Karwoche 2004 waren während der gesamten Zeit seiner Ekstasen der Neurophysiologe Prof. Marco Margnelli sowie der Theologe Dr. Gino Cadeggianini anwesend. Cadeggianini hat ein Studium an der bayerischen Filmakademie in München mit dem Diplom absolviert und ist Spezialist für kulturelle, religiöse und übernatürliche Themen. Unter anderem drehte er einen preisgekrönten Film über den hl. Franziskus. Nun bereitet er einen Dokumentarfilm über Fra’ Elia vor. Außerdem erschienen am Karfreitag 2004 unangemeldet zwei weitere Fachleute aus dem Vatikan, L. M., ein Konsultor für Heiligsprechungsverfahren und Sachverständiger für „res mystica“ bzw. Experte für Neurowissenschaften, sowie F. S., ein Psychotherapeut und Psychiater.

Im Lauf des Tages kamen auch Bruder Sergio und Sr. Domenica ins Zimmer von Bruder Elia. Sie alle wurden Zeugen, wie er nach 15.00 Uhr mit klarer und profunder Stimme, die nicht nach seiner klang, ein Bittgebet auf Aramäisch sprach. Die Invokation mit Pausen und Intonationen dauerte etwa 30 Minuten lang und erinnerte die Anwesenden an Mel Gibsons Film über die Passion Christi. Fra’ Elia schlug sich dabei immer wieder mit der rechten Hand auf die Brust, hielt den Rosenkranz umklammert, weinte und schwitzte blutige Tropfen.

Missionarische Ausstrahlung

Seither wurde Fra’ Elia von vielen Pfarrgemeinden zu Gebetszusammenkünften eingeladen, mit unzähligen Gläubigen, die aus ganz Italien anreisten. Durch seine Fürsprache ereigneten sich wunderbare Heilungen, plötzliche Bekehrungen, Befreiung von Dämonen und andere von der heutigen Wissenschaft nicht erklärbare Manifestationen, denen die katholische Kirche – ihrem Auftrag folgend – beobachtend gegenübersteht. Charismatische Phänomene zählen zum Bereich der Privatoffenbarungen, sind also keine zwingenden Glaubensinhalte. Viele Menschen, die damit konfrontiert werden, gestehen jedoch erschüttert, dass sie durch sie wieder zum Glauben zurückgefunden haben oder ihr Glaube sich vertieft und konsolidiert hat. Fra’ Elia selbst sagt, dass Stigmen und Charismen einen missionarischen Charakter hätten und Gott als Werkzeug dienen, um die Menschen wieder zu ihm zurückzuführen.

P. Massimo Fatato Fusarelli schreibt in Bezug auf das zahlreiche Vorhandensein Stigmatisierter, deren Zahl in letzter Zeit immer mehr zuzunehmen scheint: „Wenn der Herr eine Seele ruft, um mit ihr seine Passion zu teilen, so tut er das niemals auf deren Wunsch hin, noch um ihr besondere spirituelle Wohltaten zu erweisen. Er allein bereitet eine Seele auf einen solchen Dienst vor und manifestiert sich in ihr in dem für ihn geeignetsten Augenblick. Wenn die dafür auserwählte Person die Gnadengabe erhält, wie es mit Fra’ Elia oder früher mit dem hl. Franziskus und dem hl. Pater Pio geschah, so bleibt diese erschüttert und verwirrt zurück, hält sich selbst dieser Auszeichnung für unwürdig und kämpft mit sich selbst, bevor sie allmählich anfängt, in heiterer Gelassenheit den Willen Gottes zu begreifen und zu akzeptieren, zu verstehen als innigste Kenntnis der Liebe und des Leidens unseres Herrn Jesus Christus, zum Heil so vieler Seelen ... Bewertet man im Hinblick auf Fra’ Elia die unzähligen Gnaden, Bekehrungen, Heilungen und Exorzismen, die aufgrund seiner Fürsprache in so kurzer Zeit erfolgt sind, so kann man leicht ahnen, dass Gott ihn im Dienst der gesamten heiligen Mutter Kirche – verstreut auf dem ganzen Planeten – haben will.“

Die Zeichen der Zeit erkennen

P. Massimo Fatato Fusarelli rät uns deshalb, auf solche Gnadengaben ohne Vorurteile zuzugehen. Vielmehr erinnert er uns an verschiedene Worte Jesu aus der Heiligen Schrift: Wenn ihr die Jahreszeiten erkennen könnt, wieso gelingt es euch dann nicht, die Zeichen dieser Zeit zu erkennen? Urteilt selbst: Ein Baum, der gesund ist, kann keine schlechten Früchte tragen ... Bleibt vereint und liebt einander, um meinem Vater Ehre zu erweisen. Daran wird man erkennen, dass ihr meine Brüder seid…

Als Fra’ Elia nach seiner Passion Ostern 2003 andauernd von den Ärzten gefragt wurde, mit wem er in seinen Ekstasen spreche, flehte er eines Tages im Gebet den Herrn an, ihm kundzutun, was er ihnen denn sagen sollte. Da hörte er plötzlich ganz deutlich eine Stimme: „Geh’ mit einem Freund in eine Kirche und mache ein Foto vor einer weißen Wand!“ Fra’ Elia, der mir die Geschichte persönlich bestätigt hat, ging mit einem befreundeten Mediziner in eine Kirche und verschoss einen ganzen Film vor einer weißen Wand. Beim Entwickeln war ein einziges Negativ belichtet: ein Jesus-Bild von einprägsamer Schönheit, das inzwischen in Tausenden von Häusern in ganz Italien hängt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2005
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Das eucharistische Opfer

Als Beitrag zum Eucharistischen Jahr setzt sich Jorge A. Kardinal Medina Estévez mit dem Opfercharakter der Heiligen Messe auseinander. Indem er auf die ursprüngliche Bedeutung des Opferakts zurückgeht, erschließt er die verschiedenen Dimensionen, die auch dem eucharistischen Opfer zu Grunde liegen. Seine Hauptaussage lautet: Die Dimension des Opfers ist der primäre Wesenszug des eucharistischen Geheimnisses. Denn die Eucharistie ist der tiefste Ausdruck der Selbsthingabe Jesu Christi an die Menschheit. In diese Hingabe wird die ganze Kirche und jeder einzelne Gläubige insbesondere durch die eucharistische Feier einbezogen. Nach Kardinal Medina kann es keinen Gegensatz zwischen „Opfercharakter“ und „Mahlcharakter“ der Heiligen Messe geben, vielmehr bilden in seinem Ansatz beide Dimensionen eine untrennbare Einheit. Die Texte des kirchlichen Lehramts, die er seinem hier erstmals veröffentlichten Artikel voranstellt, sollen die Lektüre seiner wertvollen Überlegungen nicht behindern sondern bekräftigen.

Von Jorge Arturo Kardinal Medina Estévez

I. Einleitung

Das Geheimnis der Eucharistie kennt drei Aspekte bzw. Dimensionen, die untrennbar miteinander verbunden sind:

1) der Aspekt des Opfers, der besonders in den Einsetzungsberichten hervorgehoben wird;

2) der Aspekt des Mahles bzw. der Gemeinschaft mit Christus, der sowohl in der Rede von Kafarnaum als auch in den Einsetzungsberichten enthalten ist;

3) und schließlich der Aspekt der substantiellen Gegenwart Christi, der ebenfalls aus den Einsetzungsberichten wie aus der Rede von Kafarnaum hervorgeht. Eine besondere Betonung findet er im Einsetzungsbericht von 1 Kor 11,27.

Einen Aspekt herauszulösen und von den übrigen zu isolieren, würde zu einer Verarmung des lebendigen Gesamtinhalts des eucharistischen Mysteriums führen. Eine theoretische oder auch nur praktische Verneinung eines dieser Aspekte bedeutet den Verlust des wahren Glaubens der Kirche. Welche dieser drei Dimensionen hat ontologisch gesehen den Vorrang? Wie folgende Texte des kirchlichen Lehramts zeigen, ist die ursprüngliche Dimension die des Opfers.

Das Konzil von Trient lehrt: „Unser Gott und Herr wollte sich zwar selbst auf dem Altar des Kreuzes durch den Tod ein für allemal Gott, dem Vater, als Opfer darbringen (vgl. Hebr 7,27), um für jene (die Menschen) die ewige Erlösung zu wirken. Weil aber durch den Tod sein Priestertum nicht ausgelöscht werden sollte (vgl. Hebr 7,24.27), hinterließ er seiner geliebten Braut, der Kirche, ein sichtbares Opfer (wie es die Menschennatur erfordert), durch das jenes blutige Opfer, das einmal am Kreuz dargebracht werden sollte, vergegenwärtigt wird und in dem sein Gedächtnis bis zum Ende der Zeit fortdauert und dessen heilbringende Kraft zur Vergebung der Sünden, die wir täglich begehen, zugewandt wird. Dazu brachte er beim letzten Abendmahl ,in der Nacht, da er verraten wurde‘ (1 Kor 11,23), während er erklärte, dass er auf ewig zum Priester nach der Ordnung des Melchisedek (vgl. Ps 110,4; Hebr 5,6; 7,17) bestellt sei, seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein Gott, dem Vater, dar und reichte sie unter denselben Zeichen den Aposteln (die er damals als Priester des neuen Bundes einsetzte) zum Genuss. Gleichzeitig gebot er ihnen und ihren Nachfolgern im Priestertum mit folgenden Worten, dieses Opfer darzubringen: ‚Tut dies zu meinem Gedächtnis‘, usw. (Lk 22,19; 1 Kor 11,24). So hat es die katholische Kirche immer verstanden und gelehrt."[1]

Ähnlich heißt es in der Liturgie-Konstitution des II. Vatikanischen Konzils: „Unser Erlöser hat beim Letzten Abendmahl in der Nacht, da er überliefert wurde, das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, um dadurch das Opfer des Kreuzes durch die Zeiten hindurch bis zu seiner Wiederkunft fortdauern zu lassen und so der Kirche, seiner geliebten Braut, eine Gedächtnisfeier seines Todes und seiner Auferstehung anzuvertrauen: das Sakrament huldvollen Erbarmens, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe, das Ostermahl, in dem Christus genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird."[2]

Und Johannes Paul II. schreibt in seiner Eucharistie-Enzyklika: „Wenn die Kirche die heilige Eucharistie, das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung ihres Herrn, feiert, wird dieses zentrale Mysterium des Heils wirklich gegenwärtig und ‚vollzieht sich das Werk unserer Erlösung‘. Dieses Opfer ist für die Erlösung des Menschengeschlechts so entscheidend, dass Jesus Christus es vollbrachte und erst dann zum Vater zurückkehrte, nachdem es uns das Mittel hinterlassen hatte, damit wir so daran teilnehmen können, als ob wir selbst dabei gewesen wären."[3]

„Bisweilen wird ein stark verkürzendes Verständnis des eucharistischen Mysteriums sichtbar. Es wird seines Opfercharakters beraubt und in einer Weise vollzogen, als ob es den Sinn und den Wert einer brüderlichen Mahlgemeinschaft nicht übersteigen würde."[4]

„Die Kirche lebt unaufhörlich vom Erlösungsopfer. Ihm nähert sie sich nicht nur durch ein gläubiges Gedenken, sie tritt mit ihm auch wirklich in Kontakt. Denn dieses Opfer wird gegenwärtig und dauert auf sakramentale Weise in jeder Gemeinschaft fort, in der es durch die Hände des geweihten Priesters dargebracht wird. Auf diese Weise wendet die Eucharistie den Menschen von heute die Versöhnung zu, die Christus ein für allemal für die Menschen aller Zeiten erworben hat. In der Tat: ‚Das Opfer Christi und das Opfer der Eucharistie sind ein einziges Opfer‘… Die Messe macht das Opfer des Kreuzes gegenwärtig, sie fügt ihm nichts hinzu und vervielfältigt es auch nicht. Was sich wiederholt, ist die Gedächtnisfeier, seine ‚gedenkende Darstellung‘ (memorialis demonstratio), durch die das einzige und endgültige Erlösungsopfer Christi in der Zeit gegenwärtig wird. Der Opfercharakter des eucharistischen Mysteriums kann deswegen nicht als etwas in sich Stehendes verstanden werden, unabhängig vom Kreuz oder nur mit einem indirekten Bezug zum Opfer von Kalvaria."[5]

„Kraft ihrer innigen Beziehung mit dem Opfer von Golgota ist die Eucharistie Opfer im eigentlichen Sinn, und nicht nur in einem allgemeinen Sinn, als ob es sich um eine bloße Hingabe Christi als geistliche Speise an die Gläubigen handelte.[6]

Die Instruktion Redemptionis Sacramentum der Gottesdienstkongregation vom 19. März 2004 unterstreicht ebenfalls: „Die beständige Lehre der Kirche über das Wesen der Eucharistie, die nicht nur ein Gastmahl, sondern auch und vor allem ein Opfer ist, muss mit Recht zu den grundlegenden Kriterien für eine volle Teilnahme aller Gläubigen an diesem so großen Sakrament gezählt werden."[7]

II. Der Opfer-Begriff

Was ist unter „Opfer“ zu verstehen? Ein Opfer ist ein ritueller symbolischer Akt, in dem der Opfernde – durch eine Opfergabe – seine Anbetungshaltung Gott gegenüber zum Ausdruck bringt. Dabei erkennt er Gott als den einzig Absoluten und Notwendigen an, als denjenigen, in welchem der Opfernde seinen Ursprung und den Seinsgrund der eigenen geschöpflichen Existenz hat.

Ein Opfer ist also eine rituelle Handlung. Ein symbolischer Ritus muss, um echt zu sein, die innere Haltung des Opfernden ausdrücken. Wenn keine Innerlichkeit vorhanden ist, wird der äußere Ritus leer und kann Gott nicht mehr gefallen.

Ein symbolischer, zeichenhafter Ritus entfaltet immer auch eine pädagogische Wirkung. Er läutert die unvollkommene innere Haltung des Opfernden und fördert in ihm den Geist der Anbetung gegenüber Gott.

Der Opferritus verwirklicht sich durch eine Opfergabe, also durch einen materiellen Gegenstand, der im Zusammenhang mit unserem menschlichen Leben steht. Durch diese Gabe erkennt der Opfernde an, dass sein Leben allein in Gott ruht: in Ihm hat er seinen Ursprung, für Ihn muss er sich entscheiden, in Ihm erkennt er sein Ziel und seine endgültige Bestimmung.

Die völlige Zerstörung der Opfergabe, wie sie bei manchen Formen des Opfers üblich ist, hat den Zweck, die absolute Herrschaft Gottes und seine unvergleichbare Transzendenz aufzuzeigen. Der Vollzug des Opfers ist wie ein Kommentar zu den Worten „Ich-bin-der-Ich-bin“ (Ex 3,14). Daneben gibt es Opfer, in denen ein Teil der Opfergabe dem Opfernden zurückgegeben wird und zwar als Ausdruck dafür, dass Gott die anbetende Ehrenbezeugung des Opfernden annimmt und ihm Teilnahme am göttlichen Leben gewährt. Wenn der Mensch einen Teil der Opfergabe isst, bekräftigt er die Absicht, zur Ehre Gottes zu leben: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn“ (Röm 14,8).

III. Die Eucharistie als Opfer

Die Eucharistiefeier kann als relatives Opfer bezeichnet werden, insofern sie das einzige Opfer Christi am Kreuz gegenwärtig setzt. Das Opfer Christi auf dem Kalvarienberg vervielfältigt sich nicht: in der Eucharistiefeier vermehrt sich lediglich seine Gegenwart, es „aktualisiert sich“, es wird neu gegenwärtig.

Im Opfer Christi am Kreuz ist Er der Opfernde, der Priester und die Opfergabe. Sind der Opfernde und das Opfer identisch, so entspricht der äußere Ausdruck eindeutig der inneren Haltung des Opfernden.

Christus hat der Kirche aufgetragen, dieses Opfer rituell zu feiern. Dazu setzte er einen Ritus ein, bei dem er ebenfalls selbst die Opfergabe ist, wahr, echt und in den eucharistischen Gestalten substantiell gegenwärtig. Außerdem haben die Gaben in ihrer doppelten Gestalt von Brot und Wein einen eindeutigen Bezug zum Kreuzesopfer. So ist das dauerhafte Opfer Christi in jeder Eucharistiefeier selbst gegenwärtig. Aus diesem Grund kann die Heilige Messe nie „leer“ oder unecht sein. Hier wird sichtbar, wie die Realpräsenz in die Opfernatur der Eucharistiefeier eingefügt ist.

Auch die Dimension des „Mahles“ bzw. der „Gemeinschaft“ (Mahlcharakter) ist auf die Opfernatur der Eucharistie bezogen: die Opfernden essen die Opfergabe zum Zeichen ihrer Bereitschaft, dieselbe Gesinnung wie Christus anzunehmen (vgl. Phil 2,5), für Gott zu leben (vgl. Röm 14,8), ja Christus selbst in sich leben zu lassen, der sich für sie hingegeben hat (vgl. Gal 2,20). Durch das sakramentale Essen der eucharistischen Gabe, verwandelt Christus den, der Ihn isst, in seine eigene Gestalt, nämlich so, wie Er die Sendung des Vaters verwirklicht hat (vgl. Joh 6, 57). Wer Ihn isst, lebt durch Ihn, bleibt in Ihm und hat das ewige Leben (vgl. Joh 6,53-58).

Es ist richtig, Christus in den eucharistischen Gestalten auch über die Feier der Heiligen Messe hinaus anzubeten. Denn solange die Gestalten fortbestehen, bleibt Christus wahrhaft, wirklich und wesentlich (Realpräsenz) im Sakrament gegenwärtig. Auch diese Gegenwart ist innig mit der Opferpräsenz Christi verbunden, mit seinem Opfer am Kreuz. Umgekehrt kommen wir in der Anbetung unserer Bestimmung nach, in Ihm und für Ihn zu leben, seinem Erlösungswerk geweiht zur Ehre des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (vgl. Eph 1,4.6).

Dabei dürfen wir den marianischen Aspekt nicht vernachlässigen. Unsere Opfergabe, Christus, ist die Frucht des Leibes Mariens. Sie hat auf einzigartige Weise die Opfergabe des Kreuzes dargebracht. Denn diese Opfergabe war Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut.

IV. Verschiedene Dimensionen des Opfers

Anbetung

Das erste Ziel aller Opfer besteht darin, der göttlichen Majestät die geschuldete Anbetung entgegenzubringen, das bedeutet, in Gott den Ursprung alles Guten und den absoluten Bezugspunkt der gesamten Schöpfung anzuerkennen. Anbetung ist das Bekenntnis zu Gott als dem einzig Notwendigen, dem Seinsgrund aller Geschöpfe, dem Unermesslichen, Transzendenten, Allgegenwärtigen, dem Gipfel und der innersten Tiefe allen Seins. Eine solche Anbetung kann sich physisch in der Körperhaltung der Prostratio, des Sich-Niederwerfens ausdrücken.[8] Sie stellt eine Art Ver-Nichtung dar, im Angesicht dessen, der allein sagen kann: „Ich-bin-der-Ich-bin“. Im Akt der Anbetung erfahren wir die Gnade, mit Freude akzeptieren zu können, dass unsere Existenz nur den einen Sinn hat, nämlich „in Gott und für Gott“ zu leben, in welchem konkreten Rahmen wir uns auch immer bewegen. Wahre Anbetung schließt immer die Haltung des demütigen Dienens und des kindlichen Vertrauens mit ein.

Lobpreis

Aus der Anbetung ergibt sich der Lobpreis. Er ist ein Ausdruck rückhaltloser Bewunderung der Größe, Majestät, Macht, Schönheit, Güte, Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Im Lobpreis zeigt sich die Freude des Geschöpfs über die Vollkommenheit seines Schöpfers. Selbstlos und ohne jeden Neid erkennt es die Vollkommenheit, Schönheit, Wahrheit und Güte Gottes an. So steckt in dem Wort für „lobpreisen“ auch die Bedeutung „segnen“ bzw. „gut sagen“. Wer Gott preist, dessen Herz wird mit Freude und Jubel erfüllt. Der Lobpreis schenkt dem Lobpreisenden geistliches Wachstum und versetzt ihn in einen Zustand geistlicher Trunkenheit. Auf friedvolle und unaussprechlich beseligende Weise schaut er Gott wie ein unendliches Meer von Licht, Harmonie, Schönheit und Vollkommenheit.

Danksagung

Gott teilt sich dem Menschen auf verschiedene Weise mit: Er gibt uns das natürliche Sein, er gewährt uns die Gnade, er schenkt uns Verzeihung, er erhält uns am Leben, er fügt uns in ein soziales Umfeld ein, er gibt uns die Möglichkeit zu arbeiten, er sendet uns seinen eigenen Sohn, er sammelt uns in seiner Kirche, er ruft uns zur Heiligkeit und – nach der Pilgerschaft dieses Lebens – nimmt er uns in seine ewige Seligkeit auf. Gerade darauf bezieht sich die Dankbarkeit, eine weitere Dimension des Opfers. Wenn Anbetung und Lobpreis auf Gott ausgerichtet sind, wie er in sich selbst ist, dann betrachtet die Dankbarkeit Gott als Quelle der Güte, die sich mitteilt  – absichtslos und ohne Notwendigkeit, allein aus dem inneren göttlichen Bedürfnis heraus, das ihn dazu drängt, uns Menschen an seiner Fülle teilhaben zu lassen, sich vollkommen an uns zu verschenken. Alles, was wir sind und haben, ist reines und selbstloses Geschenk Gottes, ein Geschenk, das wir nicht verdient und auf das wir kein „Anrecht“ haben. Die Dankbarkeit, die sich im Opfer ausdrückt, spiegelt die Erkenntnis der eigenen geschöpflichen Armseligkeit und zugleich der Großzügigkeit Gottes wider, der sich schenkt, ohne arm zu werden, und der viel mehr gibt, als was wir zu erbitten und zu erhoffen wagen.

Wiedergutmachung

Doch kommt es in der Beziehung zwischen Gott und Mensch zu einem tragischen Bruch, nämlich durch die Sünde. Jede schwere Sünde enthält eine dreifache Bosheit: Diese besteht zum einen im Stolz, der einen Gegensatz zur Anbetung darstellt, zum anderen im Götzendienst, der an die Stelle Gottes jemanden oder etwas anderes setzt, und schließlich im Ehebruch, der darin besteht, dass wir jemanden anderen lieben bzw. diesem eine Liebe schenken, die unsere Gottesliebe übersteigt. Die Sünde ist damit eine Verweigerung der Anbetung, eine Unfähigkeit zum Lobpreis und schließlich Ausdruck einer großen Undankbarkeit. In diesem Zusammenhang nun hat das Opfer eine versöhnende oder wiedergutmachende Dimension, insofern sie durch Anbetung, Lobpreis und Danksagung die geziemende Ordnung in der Beziehung zwischen Mensch und Gott wiederherstellt, und zwar nicht nur auf theoretische Weise, sondern durch das Leben. Versöhnung und Wiedergutmachung führen den Sünder zu seiner „Wahrheit“ zurück, nämlich zu der Haltung, „im Geist und in der Wahrheit anzubeten“ (Joh 4,24). Sie ist eine Frucht der „Bekehrung“ und „Rückbesinnung“ auf das „einzig Notwendige“ (vgl. Lk 10,42). Das Opfer „bringt“ Gott den Platz zurück, der ihm im Herzen des Menschen zusteht. In diesem Sinn kann das Opfer als Akt echter und tiefer „Wahrheit“ bezeichnet werden. Die „wiedergutmachende“ Dimension des Opfers bedeutet also, dass Gott der Lobpreis dargebracht wird, der ihm für seine Barmherzigkeit gebührt. Diese ist Ausfluss seiner Liebe, die dem Geschöpf verzeiht, dass es den tragischen Irrtum begangen hat, die Freude und die eigene Verwirklichung dort zu suchen, wo sie niemals zu finden sind. Umgekehrt ist die Bitte um Vergebung eine besondere Form des Anbetens, Lobens und Dankens gegenüber Gott. Unter einem neuen Vorzeichen nimmt der Schöpfer die demütige Haltung seines Geschöpfs gerne an, das dem Beispiel des Zöllners im Evangelium folgt. Dieser wagte nicht, die Augen zu erheben. Er warf sich nieder und wiederholte die Worte: Habe Erbarmen mit mir, o Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch! (vgl. Lk 18,13). Das Opfer Christi – am Kreuz wie im eucharistischen Opfer – weist diese Dimension der Wiedergutmachung auf. Denn Er, der nie eine Sünde beging (vgl. Joh 8,46; Hebr 4,15), „machte sich zur Sünde“ (2 Kor 5,21), zum Haupt der sündigen Menschheit.

Reinigung

Die versöhnende bzw. wiedergutmachende Wirkung des Opfers Christi kann sowohl den Menschen zu Gute kommen, die sich noch auf der irdischen Pilgerschaft befinden, als auch den Seelen, die noch im Fegefeuer vollkommen gereinigt werden müssen, bevor sie in den endgültigen Besitz der ewigen Seligkeit gelangen. Wir vollziehen ein Werk der barmherzigen Liebe, wenn wir das eucharistische Opfer mit seinem versöhnenden Charakter für die Armen Seelen darbringen, die noch der Läuterung bedürfen. Sie können gereinigt werden, indem die Verdienste Christi für sie in Anspruch genommen werden. Er hat uns am Kreuz „ausgelöst“ und aus den Ketten bzw. aus der Macht des Bösen befreit, der als Fürst dieser Welt die Anbetung durch den Menschen beanspruchte (vgl. Mt 4,9 und Parallelen), indem er ihn zu der irrigen Annahme verführte, wie Gott zu sein, Richter zu sein über Gut und Böse (vgl. Gen 3,5).

Bitte

Der Mensch ist radikal arm. Er ist bedürftig in materiellem, geistigem und übernatürlichem Sinn. Der zweite Teil des Vaterunsers geht auf diese unsere Grundmängel ein. Sicherlich ist das Opfer eine Danksagung für schon empfangene Güter, es ist aber auch eine Bitte oder ein Flehen um das, was uns noch fehlt. In gewissem Sinn geht auch das Flehen aus der Anbetung hervor; denn in ihr erkennt der Mensch an, dass allein Gott der Ursprung alles Guten ist und nur Er die Armseligkeit des Menschen heilen kann. Was wir am meisten brauchen und im Tiefsten ersehnen, sind die übernatürlichen Güter. Erst wenn sich der heilende Erlöserwille Gottes an uns erfüllt, erlangen wir Anteil an seinem ewigen Reich. Zwar haben wir auch zeitliche Bedürfnisse, diese dürfen aber den geistigen oder übernatürlichen nicht widersprechen, vielmehr müssen sie auf solche Güter ausgerichtet sein, die auf der Suche nach dem Reich Gottes hilfreich sind. Der Himmlische Vater weiß, was wir brauchen. Aber er wird geehrt und verherrlicht, wenn wir ihm mit kindlichem Vertrauen unsere Bitten vortragen. Dadurch erkennen wir an, dass wir uns selber nicht genügen können, sondern allein Gott unsere gerechten Ansprüche erfüllen kann, bis Er selbst in unseren Herzen wohnt. Bitten ist also ein Akt der Demut und des Vertrauens. Beim eucharistischen Opfer fügen sich unsere Bitten in das Opfer Christi ein, durch das uns der Himmlische Vater alles Gute gewährt.

V. Die Eucharistie – Mittelpunkt des christlichen Lebens

Die Eucharistie ist das wahre Opfer des Neuen Bundes. Sie ist die wirkliche und lebendige Vergegenwärtigung des Opfers Christi am Kreuz, die vollkommene Anbetung des Vaters, die dem Herzen Christi, des Gottmenschen, entströmt, der Lobpreis der Kirche, der in den immer aktuellen Lobpreis Christi eingebettet ist, die Danksagung in Christus für alles, was wir umsonst empfangen haben, die vollkommene Wiedergutmachung für alle unsere Sünden, durch die wir den Vater in seiner unendlichen Majestät beleidigt haben. Um der Verdienste willen, die Christus durch sein Opfer am Kreuz erworben hat, ist er immer bereit, uns zu vergeben. Durch die Eucharistie können wir unsere Bitten zum Vater emporreichen, damit Er uns in unserer radikalen Armseligkeit zu Hilfe komme.

Die Eucharistiefeier ist das Zentrum des christlichen Lebens, weil wir in ihr durch den Empfang des Leibes und Blutes Christi in Ihn umgewandelt werden. Die sakramentale Gnade der Eucharistie befähigt uns, die Taufgnade zu verwirklichen und unser Leben zur Ehre Gottes zu gestalten, d.h. als Kinder des Vaters, als Glieder Christi, als Tempel des Heiligen Geistes zu leben. Die Wandlungskraft der Eucharistie bewirkt in uns, dass nicht wir leben, sondern dass Christus in uns lebt (vgl. Gal 2,20).

Solange die eucharistischen Gestalten bestehen, dauert die reale, wahre und substantielle Gegenwart Christi im Sakrament an. Ihm, der sakramental gegenwärtig ist, bringen wir unsere Anbetung entgegen, und zwar in den Dimensionen und Intentionen der Opferfeier. Äußerlich wird der Zustand des Opfers symbolisch durch die Trennung der Zeichen für den Leib und das Blut des Erlösers dargestellt.

Damit wird deutlich, dass alle Aspekte des eucharistischen Mysteriums in der Dimension und in der Natur des Opfers kulminieren und darin eine wunderbare und organische Einheit finden. Aus dieser Mitte der Eucharistie empfangen wir immerfort die Gnaden, die uns unsere Berufung zur Heiligkeit von Tag zu Tag mehr erkennen und tiefer verwirklichen lassen – zur Ehre und Verherrlichung Gottes (Eph 1,4.6).

VI. Ist das Opfer eine individuelle oder gemeinschaftliche Handlung?

Die Heilige Schrift erwähnt verschiedene Arten von Opfern. Sie beschreibt solche, die von Einzelpersonen, von Familiengruppen oder von größeren Gemeinschaften dargebracht werden. Als Beispiele für Opfer von Einzelpersonen wären diejenigen von Kain und Abel, von Abraham und von Job zu nennen. Zu den Opfern von Familiengruppen gehören das Opfer des Noah, das Paschalamm, das Opfer des Vaters von Samuel sowie die sog. „Heilsopfer“. Als Opfer einer ganzen Gemeinschaft gilt an erster Stelle das Opfer, das Mose am Fuß des Sinai dargebracht hat. Desweiteren zählen dazu das jährlich am Sühnetag dargebrachte Opfer sowie die Opfer, die David bei der Überführung der Bundeslade oder Salomo bei der Tempelweihe in Jerusalem darbringen ließ.

Jede Gemeinschaft wird von einzelnen Personen gebildet. Umgekehrt lebt jeder in einer Gemeinschaft, durch die er in seinen Gedanken, Wünschen und Entscheidungen – positiv oder negativ – beeinflusst wird. Dies gilt insbesondere für unsere Beziehung zu Gott. Deutlich wird die gegenseitige Abhängigkeit im Neuen Bund zum Ausdruck gebracht, wenn die Gläubigen als „Glieder Christi“ bezeichnet werden. Im katholischen Glauben gibt es den Begriff der „Gemeinschaft der Heiligen“, um die Beziehung untereinander zu beschreiben. Darin ist angedeutet, dass sich die guten Handlungen des Einzelnen positiv auf die ganze Gemeinschaft auswirken, während schlechte Entscheidungen dem ganzen Leib der Kirche schaden, sei es durch das schlechte Beispiel oder durch den Verlust von Gnaden, den Entzug von Kräften des Guten und der Heiligkeit, aus denen alle Nutzen ziehen könnten.

So macht es keinen Sinn, in Bezug auf das Opfer die Kategorie des Persönlichen gegen die des Gemeinschaftlichen auszuspielen. In gewissem Sinn hat jedes Opfer eine gemeinschaftliche Dimension; denn die menschliche Person ist unwiderruflich in eine Gemeinschaft eingefügt, von der sie getragen wird und in die sie ihren Beitrag einbringt.

Das Opfer hat somit immer eine soziale Komponente. Doch im Fall der Eucharistie ist diese Dimension dem Opfer zuinnerst wesentlich. Denn Jesus Christus hat am Kreuz sein Leben zur Erlösung aller Menschen dargebracht. Gleichzeitig konstituierte sich in diesem Opferakt die Kirche als geheimnisvoller Leib Christi mit Christus als Haupt und den Gläubigen als Gliedern. Zwar ist die Eucharistiefeier die Vergegenwärtigung des Opfers Christi, doch ist sie auch wahres Opfer der Kirche. Als Leib Christi opfert sich die Kirche mit Ihm, durch Ihn und in Ihm dem himmlischen Vater auf und zwar in den Haltungen der Anbetung, des Lobpreises, der Danksagung, der Wiedergutmachung und des Bittens.

Daher ist die Heilige Messe nie „privater“ Natur, selbst wenn man sie zuweilen im Privaten feiert. In jede Zelebration ist die gesamte Kirche einbezogen. Auch wenn man zurecht besondere persönliche Intentionen einschließt, so hat doch die Opferhandlung vor allem eine universale Dimension, dieselbe, die auch das Opfer auf Kalvaria inne hatte.

In diesem Zusammenhang hat es eine besondere Bedeutung, wenn weltliche Autoritäten offiziell am Gottesdienst teilnehmen. Es ist zunächst Ausdruck des persönlichen Glaubens der Betreffenden, zugleich aber bezeugt es auch die öffentliche Anerkennung der universalen Gottesherrschaft und des allgemeinen Erlöserwerks Jesu Christi. Die Gnadenwirkung der Eucharistiefeier erstreckt sich – unabhängig von einer solchen Teilnahme – immer auch auf die Belange der Gesellschaft, welche einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Erlösung bilden.

VII. Schlussfolgerung

Die Überlegungen wollten nicht die unerschöpflichen und unsagbaren Reichtümer des eucharistischen Geheimnisses darstellen, sondern die einheitliche und durchgängige Struktur aufzeigen, die diesem Mysterium innewohnt. Die Eucharistie bildet den Mittelpunkt und den Gipfel sowohl des persönlichen Lebens des Christen als auch der ganzen kirchlichen Gemeinschaft. Die verschiedenen Aspekte des eucharistischen Geheimnisses sind nicht nur voneinander abhängig, sondern unlösbar miteinander verbunden: Sie sind Quelle und Garantie der inneren Einheit des christlichen Lebens, das sich im Rahmen und in der Gemeinschaft der Kirche entfaltet, das in Christus eingefügt, dem mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria anvertraut und auf die Vollendung in der himmlischen Glorie hingeordnet ist, wo „Gott alles in allem“ (1 Kor 15,28) sein wird.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Konzil von Trient, 22. Sitzung: Lehre und Kanones über das Messopfer, DS 1740; vgl. dt. Text in: Denzinger Heinrich: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchliche Lehrentscheidungen, lateinisch-deutsch, hg. von Peter Hünermann, Freiburg-Basel-Rom-Wien 1991, 561f.; vgl. Josef Neuner-Heinrich Roos: Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, 12. Auflage, Regensburg 1971, 393f.
[2] II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die Liturgie, Nr. 47; dt. Text in: Das Zweite Vatikanische Konzil, Anhang zum LThK, Bd. I, Freiburg 1966, hier 49.
[3] Johannes Paul II.: Enzyklika Ecclesia de Eucharistia, Nr. 11; dt. Text in: Papst Johannes Paul II.: Enzyklika Ecclesia de Eucharistia, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 159, hg. v. Sekretariat der Dt. Bischofskonferenz, Bonn 2003, 13.
[4] Ebd. Nr. 10; a.a.O., 11.
[5] Ebd. Nr. 12; a.a.O., 14.
[6] Ebd. Nr. 13; a.a.O., 14.
[7] Instruktion Redemptionis Sacramentum der Gottesdienstkongregation, vom 19.3.2004, Nr. 38; dt. Text in: Tagespost, Nr. 50, vom 27.4.2004, Dokumentation, 12.
[8] In der Liturgie wird die Körperhaltung des Sich-Niederwerfens z.B. bei der Kreuzverehrung am Karfreitag, bei der Priesterweihe oder bei der Mönchsweihe gepflegt.

Das Herz der Weltjugendtage: „Kultur des Lebens“

„Haltet den Geist der Weltjugendtage lebendig!“ Mit diesen Worten hat Papst Johannes Paul II. zur Vorbereitung des bevorstehenden Weltjugendtags in Köln aufgerufen. Das Jugendtreffen kann nur gelingen, wenn wir uns auf die Bedeutung der Weltjugendtage besinnen, die der Papst 1985 gestiftet hat. Eine wertvolle Hilfe dazu kann ein 10-Punkte-Programm von Direktor Thomas Maria Rimmel und Pfarrer Erich Maria Fink bieten, das die geistigen Grundlagen der Weltjugendtage zusammenfasst. Seit November 2002 haben wir neun dieser Punkte in Form von ausgearbeiteten Artikeln veröffentlicht. Dabei bilden jeweils drei dieser Punkte für sich eine Einheit. Der zehnte Punkt nun steht für sich allein wie der Schlussstein eines Gewölbes, der den ganzen Bau zusammenhält. Es geht um das „Ja zum Leben“, an dem sich nach Papst Johannes Paul II. die Zukunft der Menschheit entscheidet.

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Das Programm, das Papst Johannes Paul II. für die Jugend der Welt entwickelt hat, lebt von seiner „Vision der Hoffnung“. Er erwartet für die Menschheit einen neuen Frühling, eine im Frieden vereinte Völkerfamilie. „Wahre Freiheit und dauernden Frieden“ aber kann die Welt nach seiner Überzeugung nur finden, wenn sie jedem Menschen „das Recht auf Leben garantiert und die menschliche Person schützt“.[1] Der Papst, der die jungen Menschen durch die Weltjugendtage zu Baumeistern der neuen Zeit heranbilden möchte, fordert sie deshalb auf, zu kompromisslosen Kämpfern für das Leben zu werden. Der Pilgerweg der Weltjugendtage ist im Letzten ein großer gemeinsamer „Pfad des Lebens“.[2]

Der neue Mensch

Johannes Paul II. nennt die Aufgabe, die sich der Menschheit heute stellt, „Aufbau einer neuen Zivilisation der Liebe“. Er ist davon überzeugt, dass dazu das Charisma der Jugend notwendig ist. Damit eine in Solidarität geeinte Menschheitsfamilie entstehen kann, muss ein neuer Mensch geformt werden. Der Enthusiasmus und die Offenheit von jungen Menschen sind die beste Voraussetzung dafür, die Mauern zu überwinden, die zwischen Rassen, Nationen und Kulturen bestehen.

Der junge Mensch ist auf der Suche nach Partnerschaft und nach erfüllter Gemeinschaft. Wenn sich dieser Aufbruch des jugendlichen Herzens mit der Sehnsucht nach universalem Frieden verbindet, kann er die Kräfte freisetzen, die für eine Umgestaltung der menschlichen Gesellschaft notwendig sind. Belastungen aus der Vergangenheit treten in den Hintergrund und der Weg zum Dialog mit Menschen anderer Art tut sich auf. In dem Augenblick, als einzelne Menschen, Gruppen und Völker einen gegenseitigen Austausch beginnen und diesen als Bereicherung erleben, bildet sich eine neue Gemeinschaft, eine neue Zivilisation der Liebe.

Das Geheimnis Christi

Papst Johannes Paul II. gibt dazu den jungen Menschen einen „Schlüssel“ in die Hand. Er sagt zu ihnen: Was der junge Mensch in Freundschaft und partnerschaftlicher Liebe entdeckt, ist bereits ein Funke Gottes. Ja es ist Christus selbst, der uns begegnet, wo immer wir die Erfahrung echten Vertrauens und selbstloser Hingabe machen. Gleichzeitig aber spüren wir, dass in allen Beziehungen eine Sehnsucht bestehen bleibt, die ein menschliches Du nicht erfüllen kann. Wir erwarten mehr.[3]

Darin offenbart sich nach den Worten des Papstes an die Jugend das tiefste Geheimnis des Menschen. Er wird zu der Erkenntnis geführt, dass er auf Christus hin geschaffen ist. Christus allein kann die Sehnsucht seines Herzens stillen. Nur in ihm findet der Mensch eine Antwort auf seine letzten Fragen. Durch seinen Sohn hat Gott die Menschheit ins Dasein gerufen und durch die Menschwerdung seines Sohnes hat sich Gott mit allen Menschen untrennbar verbunden. So bildet Christus gleichsam die geheimnisvolle Seele der ganzen Menschheit, die in jedem Menschenherzen lebt.[4]

Der Wert des Menschen

Sobald wir Christus im Glauben annehmen, erkennen wir erst, wer wir selber sind. In Christus und seinem Erlösungswerk erscheint der Mensch in einem neuen Licht. Die Menschwerdung Gottes bestätigt nicht nur, dass wir nach dem Bild Gottes geschaffen sind, sondern zeigt uns auch, wie sehr sich Gott für uns Menschen interessiert. In seinem Kreuzestod wird seine unendliche und bedingungslose Liebe zu uns Menschen sichtbar, die bereit ist, sein göttliches Leben vollkommen an uns zu verschenken. Damit offenbart uns Christus den unendlichen Wert, ja die göttliche Würde eines jeden Menschen.[5]

So schreibt der Papst in der Botschaft zum III. Weltjugendtag 1988: „Für den Menschen, besonders für den jungen Menschen, ist es wesentlich, sich selbst zu erkennen, um seinen Wert zu wissen, seinen wahren Wert, die Bedeutung seines Daseins, seines Lebens zu kennen, zu wissen, was seine Berufung ist. Nur so kann er den Sinn seines eigenen Lebens bestimmen.“ Dazu erklärt er: „Nur vom Geheimnis Christi her kann der Mensch seine göttliche Berufung begreifen und sein letztes und endgültiges Ziel erreichen."[6]

Dienst am Frieden

Zugleich gilt: Nur derjenige, der um den göttlichen Wert des Menschen weiß, kann wirklich dem Frieden dienen. Jeder Versuch, den Frieden ohne diese Grundhaltung aufbauen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Wer dem menschlichen Leben seinen göttlichen Charakter nicht zuerkennt, wird auch die Unantastbarkeit seiner Würde früher oder später aufgeben.[7] Von dem Grundsatz aber, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, hängen alle Menschenrechte ab. Mit der allgemeinen Gültigkeit der Menschenrechte steht und fällt das Fundament, auf dem ein friedliches Miteinander auf der Erde möglich ist.[8]

Und so formuliert der Papst seine Erwartung an die jungen Menschen. Er fordert sie auf, durch die Begegnung mit Christus zunächst die göttliche Würde des Menschen zu entdecken und schließlich davon Zeugnis abzulegen. Bei der Vigilfeier in Manila 1995 rief er den jungen Menschen zu: „Jesus sagt euch: ‚Ich sende euch in eure Familien, in eure Pfarreien, in eure Bewegungen und Verbände, in eure Länder, in die alten Kulturen und in die moderne Zivilisation, damit ihr dort die Würde eines jeden menschlichen Wesens verkündet, wie sie von mir, dem Menschensohn, offenbart worden ist.‘"[9] Papst Johannes Paul II. hätte seinen Worten keinen größeren Nachdruck verleihen können, als sie Jesus selbst in den Mund zu legen.

In der Kraft des Heiligen Geistes

Die Offenbarung der göttlichen Würde des Menschen allein reicht nicht aus. Es ist unser Auftrag, entsprechend dieser Würde zu handeln. Nur dann dienen wir dem Frieden wirklich. Aufgrund unserer gebrochenen Natur aber reicht dazu unsere eigene Kraft nicht aus. Wir sind auf den Beistand des Heiligen Geistes angewiesen, der uns in der Begegnung und Glaubensgemeinschaft mit Christus geschenkt wird. Nachdem wir unsere Berufung zur Vergöttlichung erkennen, müssen wir uns den Gaben des Geistes öffnen und das Werk der Heiligung annehmen.[10] Ohne diesen zweiten Schritt bleibt der Einsatz für den Wert und die Würde des Menschen nur ein informativer oder intellektueller Vorgang. Doch nicht die Worte schaffen den Frieden, sondern die Werke der Liebe.[11]

So betont der Papst: „Allein sind wir nicht fähig, das zu verwirklichen, wozu wir geschaffen worden sind. Es gibt ein Erbe in uns, durch dessen Auswirkung wir uns als unfähig erfahren. Aber der Sohn Gottes, der unter die Menschen gekommen ist, hat versichert: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ (Joh 14,6). Nach einem eindrucksvollen Ausspruch des hl. Augustinus hat Christus ‚einen Ort schaffen wollen, wo es jedem Menschen möglich ist, dem wahren Leben zu begegnen‘. Dieser ‚Ort‘ ist sein Leib und sein Geist, wo die ganze menschliche Wirklichkeit, die erlöst und der vergeben ist, erneuert und vergöttlicht wird."[12]

Schlüssel zur Neuevangelisierung

Damit wird deutlich, dass für Papst Johannes Paul II. die göttliche Würde des Menschen der Dreh- und Angelpunkt der Sendung darstellt, die er den jungen Menschen im Rahmen der Weltjugendtage mit auf den Weg gibt. Er formt sie zu „Baumeistern einer neuen Zivilisation der Liebe“, indem er ihnen die Augen für den Wert des Menschen im Licht Christi öffnet und sie auffordert, sich für diesen Wert in der Kraft des Heiligen Geistes einzusetzen. Gleichzeitig sendet er sie aus, als die ersten und entscheidensten „Apostel der Neuevangelisierung“ Christus und sein Evangelium in die Welt zu tragen.

Dabei geht er nun den umgekehrten Weg. Er verspricht den jungen Leuten: „Wenn ihr die unveräußerliche Würde eines jeden menschlichen Wesens verteidigt, werdet ihr der Welt zugleich das echte Antlitz Jesu Christi offenbaren, der mit jedem Menschen eine einzige Sache bildet, mit jeder Frau und jedem Kind, egal wie arm, wie schwach oder bedroht sie sind."[13] Es ist also gerade das Zeugnis und der Einsatz für die göttliche Würde des Menschen, mit dem die Jugendlichen das Evangelium verkünden und den Glauben an Jesus Christus weitergeben können.

„Pfad des Lebens“

Die Weltjugendtage sind so organisiert, dass sie mit dem Kreuzweg, der Vigilfeier und der abschließenden Eucharistiefeier das Pascha-Mysterium nachzeichnen, also dem Weg Jesu Christi bis zur Auferstehung folgen. Jesus hat den Sieg über den Tod errungen. Die Erwartung eines österlichen Sieges bildet auch den großen Horizont des Pilgerwegs der Weltjugendtage. Es geht um den Sieg der „Kultur des Lebens“ über die „Kultur des Todes“: „Baut mit eurem Enthusiasmus einen Damm gegen die Kultur des Todes, und entfaltet die Kultur des Lebens!"[14]

Unsere Zeit erlebt eine globale Auseinandersetzung zwischen dem „Pfad des Lebens"[15] und dem „Pfad des Todes“, wie es Papst Johannes Paul II. nennt. Im „Griff nach dem Leben“, der sich z.B. in der Abtreibung, Euthanasie oder verbrauchenden Embryonenforschung zeigt, sieht der Papst den apokalyptischen Kampf verwirklicht, der im 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes beschrieben wird. Für Johannes Paul II. entscheidet sich an der Frage des Lebens die Zukunft der Menschheit. Den neuen Frühling gibt es nur, wenn die Menschheit auf den Pfad des Lebens zurückkehrt.

Das Herz der Weltjugendtage

Mit den Weltjugendtagen möchte sich Papst Johannes Paul II. auf einen Weg machen, der in den jungen Menschen alle Kräfte für das Leben mobilisiert. Er will in ihnen Phantasie und Bereitschaft wecken, sich für das Leben und seine göttliche Würde vollkommen hinzugeben. Dazu ist es notwendig, den eigenen Egoismus zu überwinden, den Verführungen unserer Zeit eine Absage zu erteilen und „gegen den Strom zu schwimmen“.[16]

In den Seligpreisungen der Bergpredigt erkennt der Papst den Weg, den die Jugendlichen zum Aufbau einer neuen Kultur des Lebens gehen müssen: „Die Kirche schaut heute voll Zuversicht auf euch und erwartet, dass ihr das Volk der Seligpreisungen werdet!"[17] Nur in dieser Haltung können Ehe und Familie neu erblühen, kann ein kompromissloses und „begeistertes ‚Ja‘ zum Leben"[18] gesprochen werden. Den Kampf um das Leben kann niemand allein gewinnen. Er verlangt gegenseitige Unterstützung und weltweite Verbundenheit aller, die vom „Evangelium des Lebens“ ergriffen sind. Darin besteht das eigentliche Zeugnis und die große Chance der Weltjugendtage.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. Papst Johannes Paul II.: Ansprache bei der Ankunft auf dem internationalen Flughafen von Denver, 12.8.1993, Nr. 4; vgl. Abschiedswort in Detroit, 19.9.1987, in: O.R. dt., 13.11.1987.
[2] Vgl. Botschaft zum XVI. Weltjugendtag 2001, Nr. 6.
[3] Vgl. Johannes Paul II.: Die Schwelle der Hoffnung überschreiten, Hamburg 1994, 151 f.
[4] Vgl. Enzyklika Redemptor hominis, 4.3.1979, Nr. 10.
[5] Vgl. ebd.
[6] Predigt beim II. Weltjugendtag in Buenos Aires, 12.4.1987, Nr. 9.
[7] Enzyklika Evangelium vitae, 25.3.1995, Nr. 2.
[8] Ansprache auf dem Flughafen in Santiago de Compostela, 19.8.1989; vgl. Ansprache auf dem Flughafen in Denver, 12.8.1993, Nr. 4.
[9] Ansprache bei der Vigil des X. Weltjugendtages in Manila 1995, Nr. 16.
[10] Vgl. Apostolisches Schreiben Orientale Lumen, 25.5.1995, Nr. 6, 14f.
[11] Vgl. Predigt beim II. Weltjugendtag in Buenos Aires, 12.4.1987, Nr. 8; vgl. Botschaft zum XVIII. Weltjugendtag 2003, Nr. 4.
[12] Botschaft zum VIII. Weltjugendtag 1993 in Denver, Nr. 3.
[13] Ansprache bei der Vigil des X. Weltjugendtages  in Manila 1995, Nr. 16.
[14] Angelus, Rom, 9.4.1995.
[15] Botschaft zum XVI. Weltjugendtag 2001, Nr. 6.
[16] Vigil, Rom, 19.8.2000, Nr. 4.
[17] Ansprache bei der Begrüßungsfeier, Toronto, 25.7.2003, Nr. 6.
[18] Angelus, Rom, 9.4.1995.

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