Papst Benedikt XVI. – die freudige Überraschung

Unser geschätzter Mitherausgeber Weihbischof Dr. Andreas Laun und unser neuer Papst stehen sich – vor allem inhaltlich – sehr nahe. Weihbischof Laun betrachtete den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation seit jeher als großes Zeichen der Hoffnung für die Kirche. In seinem Einsatz für das Leben und für eine glaubenstreue Verkündigung konnte er stets auf den deutschen Kardinal in Rom bauen. Nun bringt Laun in einem Beitrag, den er unmittelbar nach der Papstwahl verfasst hat, seine große Freude über Papst Benedikt XVI. zum Ausdruck und beschreibt offenherzig, welche Erwartungen er mit dem neuen Pontifikat verknüpft.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

„Ich weiß, warum ich mich freue!“

Ich halte mich nicht für den Geeignetsten, um den Professor Joseph Ratzinger, den Bischof Joseph Ratzinger und jenen Joseph Kardinal Ratzinger zu beurteilen, der die Glaubenskongregation leitete. Andere haben ihn auf diesen Stationen seines Lebens begleitet und ihn aus viel größerer Nähe erlebt als ich. Erst recht bin ich kein Prophet und kann nicht aus eigener Intuition sagen, wie Kardinal J. Ratzinger als Papst Benedikt XVI. die Kirche leiten wird. Dennoch weiß ich, warum ich Joseph Kardinal Ratzinger schon seit vielen Jahren verehre und warum ich mich über seine Wahl zum Papst Benedikt XVI. freue:

Papst Benedikt XVI. ist im besten Sinn des Wortes katholisch und er hat jene Klarsicht, die ein Papst in unserer Zeit unbedingt haben sollte. Gott behüte, ich spreche den anderen Kandidaten für das Papstamt, die es gegeben hätte, weder den Glauben noch die Klarsicht ab. Was bei J. Ratzinger aber so beeindruckend ist: Sein „katholischer Glaube“ ruht auf einer durch und durch gesunden, „katholischen Natur“. Was ich damit sagen will, ist dies: „Die Gnade setzt die Natur voraus, sie heilt sie und bringt sie zu ihrer Vollendung“, sagt ein altes Axiom der kath. Theologie. Das heißt, die Gnade wirkt keine Schöpfungswunder, sie „braucht“ die vorgegebene „Natur“, um ihre Wirkung entfalten zu können. In diesem Sinn belässt sie den Menschen so, wie er „von Natur aus“ ist und heilt und vollendet sie nur insoweit, als die Natur das Potential dazu in sich birgt und der Gnade anbietet. Konkret gesprochen: Wer vor seiner Bekehrung ein brennendes Interesse an der Wahrheit hatte, wird sie auch als Christ mit Leidenschaft lieben. Natürlich macht umgekehrt auch ein tiefer Glaube aus einem geistig beschränkten Menschen keinen großen Theologen.

Zeichenhafte Schönheit und Sanftmut der Sprache

Gott hat dem Menschen J. Ratzinger eine reiche, groß angelegte „Natur“ mitgegeben, seine intellektuellen Fähigkeiten werden nicht einmal von seinen unerbittlichsten Gegnern bestritten. Dennoch ist Joseph Ratzinger nicht der typische „Intellektuelle“ mit all der bekannten Einseitigkeit bestimmter Professoren-Typen. Er hat sich seine tiefe Menschlichkeit bewahrt und ebenso seinen Sinn für Schönheit und all das, was man nicht definieren und nicht „getrost nach Hause tragen“ kann. Ein Zeichen dafür scheint mir auch die Schönheit und Sanftmut seiner Sprache zu sein: J. Ratzingers Art, sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen, ist niemals grob, sie lässt immer die alte Unterscheidung erkennen zwischen dem Irrtum, den es zu widerlegen gilt, und dem Irrenden, den J. Ratzinger nicht aufhört zu achten, weil er ihn ja nicht besiegen, sondern für die Wahrheit Jesu Christi gewinnen will.

Darin besteht, so scheint mir, die „Natur“ unseres neuen Papstes, auf der die Gnade seines tiefen Glaubens aufbaut: eine „katholische“ Natur, das heißt eine Natur, die für alles Seiende, für alle „gloria mundi“, für alles Menschliche offen ist und das Allzu-Menschliche mit einer Geste der verstehenden Barmherzigkeit zu umfangen weiß.

„Moralische Keule“ der Kritiker trifft nicht

Die Gegner Papst Benedikts XVI. sind augenblicklich, sofort, nachdem seine Wahl bekannt geworden war, aus ihren Schützengräben gekommen. Den Tag seiner Wahl haben sie den „schwärzesten Tag“ der deutschen Kirchengeschichte genannt und haben begonnen, sich auf ihn einzuschießen, freilich nur mit ihrem veralteten „Waffenarsenal“, das niemand überrascht, aber dennoch verwundet und, biblisch gesprochen, ahnungslose „Schafe zerstreut“. Man hätte voraussagen können, worüber sie vorwurfsvoll reden werden: von AIDS-Prävention durch Kondome, von Bischofsernennungen und Strukturen, von Zölibat und Priesterweihe der Frau. Oder sie sprechen – weil es nur ein verschwindend kleines Frauengrüppchen gibt, das wirklich selbst geweiht werden will – nur enigmatisch-ungenau von „den Frauen“ und ihrer „Missachtung“ in der katholischen Kirche. Ein anderer Vorwurf lautet: „Die Amtskirche“ verschließe die Augen vor „der“ Realität. Fragt man, was denn diese übersehene „Realität“ sei, die die Kirche nicht, die Kritiker hingegen sehr wohl zu kennen scheinen, erfährt man, es sei „die“ Sexualmoral der Kirche, und dieses „Pudels Kern“ ist, so man nachforscht, das Nein der Kirche gegen gelebte Homosexualität und Empfängnisverhütung. Und überhaupt: Lehr-Entscheidungen werden bei diesen Angriffen nicht gemessen an der Tradition der Kirche und der Art, wie sie zustande gekommen sind, sondern ausschließlich daran, ob sie den eigenen Überzeugungen entsprechen oder nicht. Im ersten Fall sind sie gut, im zweiten sind nicht nur die Entscheidungen schlecht, sondern auch diejenigen unmoralisch, die sie gefällt haben, und werden darum mit der moralischen Keule bedroht: „Wenn du nicht denkst wie wir, bist du ein schlechter Mensch; deine Überzeugung ist nicht Folge von Argumenten, sondern Ausfluss deiner Schlechtigkeit; sie bedürfen keiner Widerlegung mehr, es genügt, dich auszugrenzen.“ Nur Tage nach seinem Tod warfen die Vertreter der österreichischen „Wir-sind-Kirche“-Bewegung Johannes Paul II. vor, er sei „unbarmherzig“ gewesen und seine Amtsführung hätte den „Stempel kalter Autorität“ getragen – ausgerechnet ihm, der den „Barmherzigkeits-Sonntag“ in die Liturgie der Kirche eingefügt hat. Vom neuen Papst sagen die Kritiker ähnlich: Er ist „konservativ“, ein „Fundamentalist“, ein „Inquisitor“, ein „Panzerkardinal“. Der Beweis dafür? Wie bei Johannes Paul II.: Seine „Meinung“ zu ... und dann zählt man nach Belieben die schon genannten Stichworte auf. Unbemerkt bleibt, auf welcher Ebene man sich dabei bewegt: als ob es in der Kirche um die persönlichen „Meinungen“ ginge und nicht um die Wahrheit, die von Gott kommt!

Innere Spaltung der Kirche überwinden

Die Kritiker lassen erleben, was Benedikt XVI. als typische Gefahr und Not unserer Zeit erkannt hat: Neben der sog. „Religionstheologie“ ist eines der großen, drängenden Probleme der Kirche von heute, sagte Kardinal Ratzinger erst vor zwei Jahren im Gespräch mit Guido Horst (DT 4.10.2003), der „Zerfall des Kirchenbewusstseins“, die „innere Spaltung der Kirche“ und „dass wir sie wohl noch nicht ernst genug ins Auge fassen“. Mit dem „wir“ der Menschen, die das Problem zu wenig im Auge haben, sind wohl in erster Linie die Bischöfe gemeint.

Joseph Kardinal Ratzinger sieht die Probleme schon seit langem. Gerade darum hat er, so scheint mir, im Einverständnis mit Papst Johannes Paul II., „Dominus Jesus“ geschrieben: um den Katholiken bei der Unterscheidung zu helfen zwischen dem, was katholisch ist, und dem, was es nicht ist. Das freilich setzt eine – noch dazu, wie das Dokument betont – „sichere“ Erkenntnis der Wahrheit voraus. Aber gerade deren Möglichkeit wird heute grundsätzlich in Abrede gestellt und dann, wenn sie jemand behauptet, als Anmaßung, also moralisierend, gedeutet. So stand denn auch folgerichtig ganz oben auf der Liste der ersten Angriffe auf den neuen Papst: Wie konnte er in „Dominus Jesus“ behaupten, die katholische Kirche stehe „über“ allen anderen Religionen und die anderen christlichen Gemeinschaften seien keine „Kirchen“ im Vollsinn des Wortes? Ja, sie haben recht, die Kritiker, J. Ratzinger hat das behauptet, aber nicht als „seine persönliche Meinung“, sondern als biblische und darum katholische Wahrheit. Die Kritiker übersehen, dass dieser Vorrang der katholischen Kirche nicht eine Frage der Moral ist, sondern der Logik des Glaubens selbst entspringt, die auch ein Ungläubiger hypothetisch verstehen kann: Wenn Jesus wirklich der Sohn Gottes war, wie könnte eine andere Religion dieser einen Religion, die Gottes Sohn selbst gegründet und mit der er sich identifiziert hat, das Wasser reichen können? Wie könnte sie eine Gemeinschaft, die wesentliche Strukturen bestreitet, als ganz und gar „gleichwertig“ anerkennen können? Aus dem Glauben an die Menschwerdung Gottes und Seinem Willen ergeben sich alle Ansprüche der katholischen Kirche von selbst und haben, wohlbemerkt, nichts mit der persönlichen Haltung, sei es Demut oder Hochmut, von katholischen Christen zu tun. An das Credo der Kirche zu glauben und gleichzeitig zu behaupten, alle Religionen seien in etwa „gleich“, ist nicht nur ein Glaubensmangel, sondern auch ein innerer, logischer Widerspruch.

Hirte, der sich den Wölfen stellt

Als Präfekt der Glaubenskongregation hat Joseph Kardinal Ratzinger schon bisher viele „heiße Eisen“ in die Hand nehmen müssen und sich dabei nicht nur einmal die Hand verbrannt. Er hat sich nicht beklagt, sondern, so darf man vermuten, er hat sich im Sinn von Matthäus 5,12 darüber „gefreut“ und zum nächsten „Eisen“, wieder einem „heißen“, gegriffen. Es sind wohl auch die so entstandenen Narben, die ihn auszeichnen und für das hohe Amt des Papstes geeignet scheinen lassen.

Die Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum Papst erscheint mir eine glückliche Stunde für die Christenheit zu sein, weil er wie kein anderer die Lage der Kirche, insbesondere in Deutschland und überhaupt in Mitteleuropa, versteht und weil er wiederum wie kein anderer berufen ist, die Antwort auf die dort bestehenden Nöte zu geben: Wer, wenn nicht er, sollte das können? „Man“ hat auf seinen Vorgänger vielfach nicht gehört, und es ist zu befürchten, dass man auch ihn oft und oft missachten wird, sogar wenn er mit „Engelszungen“ redet. Das wird er dennoch tun, mit „Engelszungen“ reden: Dieser Papst Benedikt XVI. wird niemals grob oder autoritär vorgehen. Er wird, wie er es bisher ja auch gemacht hat, den Anspruch der Wahrheit selbst in den Vordergrund stellen, jener Wahrheit, „die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt“, wie es in dem Konzilsdokument „Dignitatis humanae“ heißt.

Freilich, das schließt nicht aus, sondern sogar ein, dass er (wie seinerzeit etwa gegen Hans Küng) manchmal auch „harte“ Entscheidungen wird fällen müssen, weil er in der Nachfolge Jesu steht, der von den von Ihm bestellten Hirten verlangt, sich den Wölfen zu stellen und nicht davon zu laufen. Aber dabei wird Benedikt XVI. der erste sein, der unter dieser notwendigen „Härte“ leidet, und sein Motiv dabei wird der Gehorsam gegenüber Christus sein und die brennende Liebe zu den Brüdern und Schwestern, die er vor dem Irrtum bewahren will – sicher nicht der Wille zur „Macht“.

Schwerpunkte des neuen Pontifikats

Joseph Kardinal Ratzinger war, so sagen Insider des Vatikans, der engste Vertraute des verstorbenen Papstes. Er wird dort weitermachen, wo Johannes Paul II. aufgehört hat, zunächst beim Welt-Jugendtag in Köln und dann in allen anderen Bereichen, auf seine neue Art und Weise, aber im „alten“ Sinn. Er hat es bereits angekündigt und versprochen. Man braucht nur zu hören, was der neue Papst in seiner ersten Predigt sagte und wie bewusst er an seinen Vorgänger anschließen will: „Ich fühle seine starke Hand, die meine hält. Ich spüre seine lächelnden Augen, glaube sie zu sehen und seine Worte zu hören, in diesem besonderen Moment wie an mich gerichtet: Hab keine Angst.“ Benedikt XVI. wird, er sagt es ausdrücklich, sich um die Feierlichkeit und Richtigkeit (!) der Liturgie bemühen, er wird die Ökumene weiterführen, der Jugend gilt seine besondere Liebe, und er will mit allen Menschen guten Willens den Dialog führen – wie man sieht, es ist der Weg Johannes Pauls II., den er weitergeht.

Mit den Kritikern kann man sagen: Ja, es gibt in der Kirche einen gewaltigen „Reformstau“, aber nicht in ihrem Sinne, sondern in Hinblick auf die „innere Spaltung“ der Kirche, die die Glaubens-Lehre betrifft, wichtige Fragen der Moral und in jüngster Zeit sogar die Liturgie, das Heiligste der Kirche. Papst Benedikt XVI. sieht die Not dieser Spaltung, und er sieht, was zu tun ist. Alle Christen sollten mit ihm zusammen den Herrn der Kirche bitten, dem neuen Papst die Kraft für diese Reformen zu geben und die Mitarbeiter, die er dazu brauchen wird.

Ein großer Theologe und klein wie ein Kind

Papst Benedikt XVI. ist intelligent, er ist ein großer Theologe und einer, der sich im Dialog mit jedem Gegenüber messen kann. Aber er ist vor allem auch ein Mann des Glaubens. Ist das nicht selbstverständlich? Doch, das ist es, aber auch wieder nicht. Denn der Glaube Papst Benedikts XVI. ist so groß und so gefestigt, dass er geradezu kindliche Züge annehmen kann, ohne sich etwas zu vergeben. In seiner Predigt in der Totenmesse – oder war es eine Auferstehungsfeier oder beides? – für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. scheute sich der große Theologe Kardinal Joseph Ratzinger nicht zu sagen: „Wir können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster im Hause des Vaters steht, uns sieht und uns segnet. Ja, segnen Sie uns, Heiliger Vater!“ Ein Papst des Glaubens, der Güte und der Wissenschaft, ein großer Theologe und dabei klein wie ein Kind – der richtige Papst für die Kirche des 21. Jahrhunderts und für die ganze Welt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Lehre über die Kirche im Denken Joseph Ratzingers

Der Zisterzienserpater Maximilian Heim hat 2003 eine Doktorarbeit vorgelegt, in der er die Lehre über die Kirche bei Joseph Kardinal Ratzinger beschreibt und sie mit den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils vergleicht. Schon im Herbst 2004 war die erste Auflage vergriffen, so dass eine überarbeitete Neuauflage vorbereitet wurde. Dazu verfasste der Kardinal selbst ein umfangreiches Geleitwort. Durch seine Wahl zum Papst erlangte nun das Buch von P. Dr. Maximilian Heim OCist. eine besondere Brisanz.

Von Werner Schiederer

„Spannende Lektüre“

Die Dissertation von P. Maximilian Heinrich Heim OCist über die Lehre der Kirche im Denken Kardinal Ratzingers ist ein ähnlicher Glücksfall wie unsere Zeitschrift. Auch er ist nun im Besitz eines aktuellen Geleitworts des neuen Papstes. Bereits vor seiner ersten Veröffentlichung durfte Pater Heim OCist bei einer persönlichen Begegnung im Vatikan dem Kardinal ein Exemplar seiner Arbeit übergeben. Wie das Geleitwort zur zweiten Auflage zeigt, hat sich Kardinal Ratzinger tatsächlich intensiv mit dem Buch beschäftigt. Zum Versuch von P. Maximilian Heim OCist, seine Aussagen über das Geheimnis der Kirche mit den Konzilsdokumenten zu vergleichen, schreibt der Kardinal: „Er tut dies, indem er meine theologischen Arbeiten aus den vier Jahrzehnten untersucht, die seit dem Konzil vergangen sind, und sie mit den Konzilstexten konfrontiert. Ich brauche nicht eigens zu sagen, dass es für mich eine spannende Lektüre war, mein eigenes Denken in seinen Wegen und Umwegen, in seiner Kontinuität und in seinen Verwandlungen hier aufmerksam durchleuchtet und mit dem Maßstab des Konzils konfrontiert zu sehen. Aber das eigentliche Ziel des Buches reicht doch weit über die Interpretation und Zusammenschau meiner theologischen Versuche hinaus: Es geht ihm letztlich immer darum, das Vaticanum II und damit die Kirche selbst besser zu verstehen und so das tiefer zu erfassen, was uns alle im Letzten angeht – unabhängig von individuellen Theologien.“

„Kirchliche Existenz und existenzielle Theologie“

Die Dissertation erschien im Frühjahr 2004 als 22. Band der Bamberger Theologischen Studien im Peter Lang Verlag. Noch im selben Jahr wurde dem Zisterzienserpater für seine Arbeit der Kardinal-Innitzer-Förderungspreis in Wien durch Christoph Kardinal Schönborn und in seiner Heimatstadt Kronach der Johann-Kaspar-Zeuß-Preis durch den 1. Bürgermeister Manfred Raum verliehen. Als Doktorvater betreute ihn Prof. Dr. Bernhard Körner, der Dekan der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Graz. P. Heim OCist hatte sein Promotionsstudium an der Ruhr-Universität in Bochum begonnen, wo er als Gründermönch des neuen Zisterzienserklosters in Bochum-Stiepel am Aufbau eines geistlichen Zentrums mitwirkte. Kurze Zeit später wurde er zum Novizenmeister in seinem Mutterkloster, dem Stift Heiligenkreuz, bestellt. Nach einer Unterbrechung des Studiums konnte er dort seine Arbeit zu Ende führen und wurde nun als Prior des Zisterzienserklosters Stiepel eingesetzt. Wenn er seine Studie über Kardinal Ratzinger „Kirchliche Existenz und existenzielle Theologie“ nennt, so spiegelt sie nicht nur den Weg des Kardinals, sondern auch die ganzen Fragen und Auseinandersetzungen wider, die er selbst als junger Geistlicher in der nachkonziliaren Kirche erlebt hat.

Bewegte Geschichte des Kardinals

„Die Motivation für seine Arbeit“ entnimmt P. Maximilian Heim OCist, wie Pfr. Stefan Hartmann in seiner Buchbesprechung formuliert, „den von der Erklärung ‚Dominus Jesus‘ ausgelösten ökumenischen Irritationen, die durch eine gewissenhafte relecture von ‚Lumen gentium‘ (Erster Teil) und die sich daran anschließende Interpretation der ekklesiologischen Schritte und Stellungnahmen Ratzingers (Zweiter Teil) aufgefangen und geklärt werden, um sodann in eine organische ‚Zusammenschau‘ (Dritter Teil) einzumünden.“ Im zweiten Teil (Seite 137-449) wird biographisch und werkgeschichtlich dem Werden der Ekklesiologie Ratzingers nachgegangen. Pater Heim OCist schildert besonders seine Herkunft und akademische Laufbahn, seine Mitwirkung am Konzilsgeschehen und seine Erfahrungen als Universitätsprofessor in Münster, Tübingen und Regensburg bis zum Bruch mit der Zeitschrift „Concilium“ (1972). Dabei könne man nicht von einer „Wende“ im Denken Ratzingers sprechen, wohl aber von „unterschiedlichen Akzentuierungen“ theologischer Erkenntnisse und „Korrekturen durch Veränderung der  Perspektive“ (Seite 178). Knapp behandelt werden auch die Zeit als Erzbischof von München und Freising und Schwerpunkte im römischen Amt: die Entstehung des Weltkatechismus, die  Auseinandersetzung mit der lateinamerikanischen „Theologie der Befreiung“ und dem  „Traditionalismus“ des Erzbischof Lefebvre. Besonders geht P. Heim OCist auf die oft missverstandene und von Ratzinger mehrfach erörterte Differenz zwischen „subsistit“ und „est“ bei der Definition der Kirche (LG 8) ein und setzt sich mit der jüngsten Interpretation A. von Teuffenbachs (München 2002) kritisch auseinander (Seite 211-301). Ein eigenes Kapitel behandelt dann „Kirche als Volk Gottes“ (Seite 302-389), wo auch ausführlich auf die im Heiligen Jahr 2000 ausgetragenen Dispute mit Kardinal Walter Kasper über die „Vorgängigkeit der Gesamtkirche vor den Ortskirchen“ eingegangen (Seite 325-345) und schließlich Ratzingers Kritik der politischen Missverständnisse der „Volk-Gottes-Theologie“ aufgezeigt wird. „Die gemeinsame Berufung zur Heiligkeit“ (Seite 359-389) ist sodann der Hauptgrund für die Integration der Mariologie in die Kirchenlehre, wie sie von „Lumen gentium“ vorgenommen wurde. Ein Schlusskapitel über „hierarchische Verfassung und bischöfliche Kollegialität“ (Seite 390-449) schildert auch Ratzingers wachsende Sorge um die Entstehung bürokratischer und apersonaler Zwischeninstanzen zwischen dem einzelnen Bischof und dem Bischof von Rom als Nachfolger Petri. Grundanliegen ist Ratzinger immer wieder die Einheit der Kirche in der Wahrheit des Glaubens. In „Zusammenschau und Resümee“ (Seite 450-471) versucht P. Heim OCist abschließend, eine differenzierte Antwort auf die Problematik der Kontinuität bzw. Diskontinuität im Denken Ratzingers zu geben. „Die von Heim ohne Scheu angesprochenen Akzentverschiebungen“, so Stefan Hartmann, „machen aus dem Theologen und Kirchenmann Joseph Ratzinger eben eine ‚kirchliche Existenz‘ und aus seinem Denken eine ‚existentielle Theologie‘. Ihr Anliegen mündet zuletzt in die Liturgie als ‚Ausdruck des Universalen‘ und ‚actio des Ganz-Anderen‘ (Seite 469f).“

Ratzinger: Eucharistie – Kern der Kirchenverfassung

In seinem Geleitwort, datiert am „Fest Maria Lichtmess 2005“, schreibt Kardinal Ratzinger wörtlich: „Meiner Überzeugung nach ist Pater Heim eine überzeugende Interpretation der Ekklesiologie des II. Vaticanums gelungen. In der Konstitution Lumen Gentium redet die Kirche letztlich nicht von sich selbst, bespiegelt nicht sich selber, wie man bei einer oberflächlichen Lektüre meinen könnte. Der erste Satz des Textes lautet: ‚Christus ist das Licht der Völker‘. Dieses Licht spiegelt sich auf dem Antlitz der Kirche. Sie ist – wie die Väter sagen – der Mond, der sein ganzes Licht von der Sonne, von Christus, nimmt. Die Kirche hat, recht verstanden, ihr Wesen nicht in sich selbst, sondern im Verwiesensein und im Verweisen über sich hinaus. Pater Heim zeigt diese christologische Struktur der Kirchenlehre des Konzils auf, die notwendigerweise eine theologische Struktur ist: In Christus ist der Mensch, die menschliche Natur, mit Gott vereint. Das Menschsein ist durch ihn hineingenommen in die trinitarische Dynamik: Der Sohn führt zum Vater im Heiligen Geist. Es geht um Gott, und nur so handeln wir recht vom Menschen.

Aber ging es nicht doch in dem leidenschaftlich geführten Streit um die bischöfliche Kollegialität und ihr Verhältnis zum Primat um Sozialstrukturen in der Kirche, um Machtverteilung? Das mag im Denken und Reden vieler durchaus ein wesentliches Element gewesen sein und wird es, wie nun einmal die menschliche Natur beschaffen ist, immer wieder werden. Pater Heim macht aber deutlich, dass der Text selbst, der natürlich auf die konkreten Strukturen der Kirche eingeht und wesentliche Entscheidungen fällen musste, dabei die theologische Mitte nicht verliert: Christologische Zentrierung der Ekklesiologie bedeutet Verstehen der Kirche vom Sakrament her, bedeutet näherhin eucharistische Ekklesiologie, bedeutet die Einordnung und Unterordnung menschlicher soziologischer Systeme und Formen in die Grundordnung der communio, wie sie sich von der Eucharistie her entfaltet. Christus ist für den Glauben nicht eine Gestalt der Vergangenheit, auch nicht weit von uns in den Himmel entrückt: Durch sein Wort und seine leibhaftige Gegenwart in der Eucharistie ist er uns immer gleichzeitig. In der Eucharistie wird die Kirche immer neu aus dem geöffneten Herzen des Herrn geboren. Und in der Eucharistie ist auch der Kern der Kirchenverfassung, ihre Verschränkung von Einheit und Vielheit, von Universalität und konkreter Verankerung hier und jetzt, an diesem Ort und in dieser Stunde gegeben. Denn Eucharistie wird einerseits immer ‚am Ort‘ gefeiert. Hier ist der Herr ganz, nicht bloß ein Teil von ihm; daher ist in der Eucharistiefeier auch immer die Kirche ganz, die ganze Kirche gegeben. Aber so wie der Herr immer nur ganz ist, so ist er immer auch nur einer, und daher bilden die vielen Eucharistien immer nur eine Eucharistie; nur im Mitsein aller mit allen feiern wir sie recht. Ihr Subjekt ist eine Gemeinde nur, insofern und insoweit sie von innen her eins ist mit der Gesamtkirche, soweit diese in ihr lebt und wirkt. Nur von diesem Ansatz her können dann die Fragen nach der Beziehung von Primat und Episkopat recht verstanden werden.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die wichtige Rolle der „Bewegungen“

Jorge Arturo Kardinal Medina Estévez plädiert für einen gesunden „Realismus“. Er hält nichts davon, wenn Menschen durch Etiketten wie „Optimismus“ oder „Pessimismus“ gleichsam „stigmatisiert“ werden. Nach seiner Überzeugung kommen wir in unserer Zeit nur weiter, wenn wir der tatsächlichen Situation ehrlich ins Auge blicken. Zu einem christlichen „Realismus“ aber gehört auch das absolute Vertrauen auf den Sieg Christi und seine unbegrenzte Macht. Kardinal Medina sieht in den neuen „Bewegungen“ eine entscheidende Hilfe, in unserer entchristlichten Gesellschaft den Weg eines starken und befreienden Glaubens zu finden.

Von Jorge Arturo Kardinal Medina Estévez, Rom

Die Fröhlichkeit der Christen

Für einen Christen gibt es gute Gründe, Optimist zu sein: Christus, unser Herr, hat den Widersacher besiegt und am Ende der Zeit wird er endgültig über ihn triumphieren. Mit Freude sehen wir, wie Maria und die Heiligen in voller Ergebenheit gegenüber dem Willen Gottes ihre Erfüllung und ihr Glück gefunden haben. Bereits auf dieser Welt wurde ihr Leben zu einem Lobpreis auf die unerschöpfliche Güte Gottes, der uns mit seinen Gaben krönt. Schließlich steht über allen Dingen die Hoffnung auf das ewige Leben und die nie endende Freude im Himmel, die uns inmitten der Prüfungen und Anfechtungen unserer irdischen Pilgerschaft bestärkt. Ein Christ darf kein Miesmacher sein. Denn der Triumph Christi ist gewiss und seine Verheißungen stehen fester als Felsen. Gott ist allmächtig. Er kann aus Steinen „Söhne Abrahams“ erstehen lassen. Und wie der hl. Augustinus sagt, gereicht denen, die Gott lieben, alles zum Heil. Deshalb konnte der hl. Paulus den Christen seiner Zeit empfehlen, immer fröhlich zu sein, nämlich fröhlich im Herrn. In seinen Seligpreisungen ist die wahre Freude zu finden.

Die Gegenwart des Bösen in der Welt

Nichts kann uns der Liebe Gottes entreißen außer der Sünde, die das größte und einzig wirkliche Unheil ist. Es wäre naiv, die vielen Missstände zu übersehen, die uns umgeben. Die furchtbare Gegenwart des Bösen in der Welt mit all seinen Facetten ist nicht zu leugnen: Groll und Hass, Gewalt und Kriege, Verachtung der menschlichen Würde, Korruption und unersättliches Verlangen nach Reichtum, Verantwortungslosigkeit und ungebremster Egoismus, Lüge und Betrug als gängige Mittel im Zusammenleben, Erotik und Wollust als Bestandteil der täglichen Werbung. Zugleich werden diese Haltungen zu Werten erhoben, die zum angeblichen Schutz der Gesellschaft eingefordert werden. Doch diese wird dadurch von innen her aufgelöst. Jedes Jahr werden 50 bis 100 Millionen Menschen umgebracht, noch bevor sie zur Welt kommen, eine ungeheuere Zahl, die wesentlich höher ist als die der Opfer der Kriege. Aber sie stellt eine Realität dar, die von menschlichen Gesetzen gedeckt wird und zwar so, als ob man sich darauf wie auf ein authentisches Recht berufen könnte. Außerdem wird die Ausübung der Homosexualität durch die Titulierung der Verbindung von Personen gleichen Geschlechts als „Ehe“ salonfähig gemacht. Ehebruch wird nicht mehr als Irrweg oder Widerspruch zum Gesetz Gottes gesehen, vielmehr gelten „Lebenspartnerschaften“ als echte Alternative, die nicht mehr hinterfragt werden darf. Von der Öffentlichkeit werden „Lebensmodelle“ zur Schau gestellt, die der menschlichen Natur und dem Evangelium widersprechen. Es ist nicht verwunderlich, dass der Verfassungsentwurf der Europäischen Union weder Gott noch die christlichen Wurzeln der abendländischen Kultur erwähnt. Das ist die traurige, aber harte Realität der „stillen Apostasie“, die Papst Johannes Paul II. anspricht: „Wie kann man nicht an die Worte des Apostels Johannes denken, wenn er am Ende seines ersten Briefes sagt: die ganze Welt liege im Machtbereich des Bösen?“ Das Evangelium bezeichnet den Teufel als „Vater der Lüge“, als „Mörder von Anfang an“ und als „Fürst dieser Welt“. Wir Christen befinden uns in der Lage von Pilgern und Fremden inmitten einer Gesellschaft, die scheinbar einige christliche Merkmale bewahrt, aber sich des Glaubens entleert hat. Wie Recht hatte Papst Johannes Paul II., als er die Jugendlichen aufforderte, „gegen den Strom zu schwimmen!“

Die „kleine Herde“

Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken, wie es die Strauße tun, welche die Gefahr nicht sehen möchten. Geben wir uns keiner Illusion hin: Wenn es eine Zeit gab, in der die Christen durch ihre Überzahl das Umfeld prägten, dann ist es heute nicht mehr so: Wir sind eine Minderheit, eine „kleine Herde“, wie das Evangelium sagt. Wir sollten uns nicht vom Morphium juridischer, diplomatischer, ökonomischer oder sozialer Betrachtungen betäuben lassen. Die Welt wird nicht mehr durch das Evangelium zusammengehalten. Selbst Menschen, die sich für Christen halten, nehmen oft Verhaltensweisen an, die dem Evangelium radikal widersprechen. Das Wirken des „Vaters der Lüge“ und der „Macht der Finsternis“ bringt eine unglaubliche Verwirrung hervor, Zweideutigkeiten, fehlende Kohärenz und Relativismus. Jesus sagt klar, dass wir nicht „aus der Welt genommen werden (Joh 17,15)“, d.h. wir können uns nicht von der uns umgebenden Realität isolieren. Andererseits aber dürfen wir uns auch nicht der Welt angleichen. So wird es immer schwieriger, unsere christliche und katholische Identität zu bewahren. Wir müssen es ertragen, als töricht zu gelten bzw. als Moralapostel und Fundamentalisten bezeichnet zu werden. Oft aber erleben wir, dass die Gesellschaft unseren Glauben nicht einmal angreift, sondern einfach auf ihn verzichtet. So gleicht unsere Situation einer „verdünnten“ Atmosphäre, die für die Atmung schädlich ist.

„Bewegungen“ als entscheidende Hilfe

Es wäre abträglich, gegenüber dieser diffus feindlichen Umwelt eine aggressive Haltung einzunehmen. Zugleich dürfen wir uns auf keine Kompromisse einlassen, die der Wahrheit entgegenstehen. Was in den Augen Gottes gut ist, können wir nur durch die Gaben des Hl. Geistes erkennen und verwirklichen. Sie werden uns durch die Lektüre der Bibel und anderer geistlicher Schriften, das Gebet und die Sakramente, die Liturgie und besonders die hl. Eucharistie zuteil. Gleichzeitig helfen uns die Beispiele echter Christen sowie die Ratschläge von Leuten, die gemäß dem Evangelium weise sind. Ich bin überzeugt, dass in den schwierigen Situationen, die der Kirche bevorstehen, die „Bewegungen“ eine sehr wichtige Rolle spielen werden. Diese sind durch ein ausgeprägtes gemeinschaftliches Leben und eine tiefe Verbindung mit den rechtmäßigen Hirten gekennzeichnet. Sie haben ihre je eigene Spiritualität und schöpfen ihre geistige Nahrung aus den Intuitionen ihrer Gründer. Dabei weisen sie eine besondere Beziehung zur eigenen Persönlichkeit sowie zu ihrer spezifischen Nuance der christlichen Berufung zur Heiligkeit auf. Die „Bewegungen“ dürfen jedoch nicht zu einem obligatorischen und noch weniger zum einzigen Weg werden. Auch müssen sie sich vor dem Anspruch hüten, besser zu sein als die anderen. Aber es ist leichter, den Weg des Glaubens gemeinsam zu gehen und zu erfahren, wie der Einzelne gibt und empfängt. Zudem stärkt eine Gemeinschaft die Abwehr gegenüber allem Ungünstigen und erlaubt, Momente der Freude und der Genugtuung über das Erreichte miteinander zu teilen. Wer aus Freiheit heraus einer „Bewegung“ angehört, soll sich jedoch nicht von den anderen Gläubigen absondern, sondern der Gnade entsprechen, die der Hl. Geist auf unterschiedliche Weise den Mitgliedern des einen Leibes Christi schenkt, der die Kirche ist.

Evangelisation – Aufruf zur Bekehrung

Einerseits sind wir der festen Überzeugung, dass der Herr allmächtig ist und dass die Kräfte des Bösen die Gnade Gottes nicht besiegen werden. Jesus sitzt auferstanden und verherrlicht zur Rechten des Vaters und bereitet uns den Weg, so dass wir eines Tages an seinem Triumph im Reich des Himmels teilhaben werden. Der Hl. Geist steht uns als Paraklet – als Beschützer und Tröster – zur Seite. Seine Gnade kommt uns zuvor und begleitet uns. Andererseits wäre es schädlich, die Realität des Bösen zu ignorieren oder abzumildern. Ich sehe darin die Wirkung des Handelns Satans, der uns einreden möchte, dass das, was passiert, „normal“ oder nicht „ganz so arg“ sei, dass wir uns über gewisse negative Tatsachen nicht beunruhigen sollten, da es noch Schlimmeres gebe. Die Heiligen jedoch weinten über die Sünden, mit denen Gott täglich beleidigt wird. Und das Herz Mariens wurde vom Schwert des Schmerzes durchdrungen, damit „die Gedanken Vieler offenbar“ würden. Dem heutigen Menschen gefällt es nicht, wenn von Sünde gesprochen, und noch weniger, wenn sie beim Namen genannt wird. Doch die christliche Botschaft, die die Botschaft der Wahrheit ist, kann nicht darauf verzichten, ohne Zweideutigkeiten und Beschönigungen anzusprechen, was gegen das Gesetz Gottes gerichtet ist und deswegen zum Verderben führt bzw. dem wirklichen Gut des Menschen schadet. Ein wesentliches Element der Evangelisation ist der Aufruf zur Bekehrung. Er darf aber nicht mit der Entlarvung der Sünde enden, sondern muss den Menschen hinführen zum neuen Leben in Christus. Durch die Gnade Gottes schließlich können wir dem Herrn gehören, „ob wir leben oder ob wir sterben“.

Auf dieser Pilgerschaft steht uns die Jungfrau Maria bei, da sie die Mutter der Gnade und Barmherzigkeit ist. Denn ihr Herz, das vom Schmerz durchbohrt wurde, als sie mit heroischer Standhaftigkeit unter dem Kreuz aushielt, ist nun mit der Fülle der himmlischen Herrlichkeit überflutet.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
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Die „Frohbotschaft vom Leiden“ – Vermächtnis Johannes Pauls II.

Eines der großen Vermächtnisse Papst Johannes Pauls II. lautet: „Nur das Leiden rettet die Welt.“ Noch haben wir in lebendiger Erinnerung, wie er vor den Augen der ganzen Welt den Weg seines Leidens mit heroischer Hingabe bis zum Ende gegangen ist. Erzbischof Dr. Georg Eder betrachtet das persönliche Zeugnis Johannes Pauls II. als eines der wichtigsten Botschaften dieses einzigartigen Pontifikats.

Von Georg Eder, em. Erzbischof von Salzburg

So viel hat Johannes Paul II. der Kirche und der Welt „vermacht“, dass es schwer fällt, das „Vermächtnis“ des Papstes zu benennen. Und doch sind zwei Dinge unübersehbar: das Apostolische Schreiben „Mane nobiscum, Domine“ und – sein eigenes Leiden, sein persönlicher Kreuzweg. Dieser reißt die uralte Frage nach dem Leiden neu auf.

Sinnloses Leiden?

Über Sinn und Unsinn des menschlichen Leidens ist unermesslich viel geschrieben und gedichtet worden und man wird weiter darüber schreiben werden, denn ein Ende des Leidens ist nicht in Sicht. Alle leiden: Gläubige und Ungläubige, Unschuldige und Schuldige, Gesunde und Kranke. „Das Leiden ist etwas noch viel Umfassenderes als die Krankheit; es ist noch vielschichtiger und zugleich noch tiefer im Menschsein selbst verwurzelt“ (Johannes Paul II.: Salvifici doloris, Nr. 5). Und ich möchte hinzufügen: Das Leiden ist ganz persönlich und individuell. Der Schmerz (vor allem der Seele) ist nicht messbar. Daher ist es nicht übertrieben, wenn man denkt: „Niemand leidet so wie ich.“

Ich möchte hier aber doch ein philosophisches Dogma in Frage stellen: Leiden und Schmerz ausschließlich als etwas Negatives zu sehen. Und natürlich erfahren wir das Leiden, den Schmerz, als etwas, das nicht sein sollte – wie den Tod, gegen den sich alles Lebendige wehrt. Aber im Leiden waltet auch ein Sinn. Und im moralischen Leiden kann sogar ein großer Wert verborgen sein: der Schmerz der Seele – die Reue. Dem Wort und dem Bild des „sinnlosen Leidens“ begegnen wir jeden Tag. Die Welt wird immer wieder von einer Flut des Leidens überspült – aber auch von einer Flut von Sünden. Da gibt es schon einen Zusammenhang.

„Die heilbringende Kraft des Leidens“

Über den „christlichen Sinn des menschlichen Leidens“ hat Johannes Paul II. am 11. Februar 1982 geschrieben. „Salvifici doloris – die heilbringende Kraft des Leidens.“ Für den Menschen ohne Gottes- und Christus-Erkennmis wird das Leiden freilich sinnlos bleiben und auch skandalös. „Denn wenn es einen guten, allmächtigen Gott gäbe…“

„Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten; für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,23.24). Ein leidender und gekreuzigter Gott  – das ist der größte denkbare Nonsens. (So gibt es ein Spottbild aus der ersten Christenverfolgung in Rom, wo der Gekreuzigte mit einem Eselskopf dargestellt wurde.) Ja, dieser leidende Gott ist ein Esel – Nietzsche dachte auch so. Aber durch das Kreuz Christi dreht Gott die Werte um. Aus Schwachheit wird Kraft. „Das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen“ (1 Kor 25). Aus Krankheit wird Gesundheit. „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5). Aus dem Schmerz wird Freude. „Selig seid ihr … freut euch und frohlocket, denn euer Lohn im Himmel wird groß sein“ (Mt 5,11). Und aus dem Tod kommt das Leben. ,,Durch sein Sterben hat er unseren Tod vernichtet, und durch seine Auferstehung das Leben neu geschaffen“ (1. Präfation von Ostern).

Gott hat das Kreuz seines Sohnes zum Instrument und Werkzeug unserer Erlösung gemacht. Zweifellos hätte Gott in seiner Allmacht noch andere Wege zum Heil finden können. Er aber wollte die größtmögliche Liebe zu uns offenbaren. „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15, 13). Im Apostolischen Schreiben „Salvifici doloris“ hat Johannes Paul II. dargelegt, wie aus dem schrecklichen Leiden des Herren eine „beata passio“ geworden ist, ein heilendes und heilbringendes Leiden. In Nr. 25 des genannten Schreibens wagt es nun der Papst tatsächlich, das „Evangelium vom Leiden“ zu verkünden. „Die Zeugen des Kreuzes und der Auferstehung Christi haben der Kirche und der Menschheit ein besonderes Evangelium vom Leiden überliefert.“ Eine „Frohbotschaft vom Leiden“ – wer kann da noch mit!? Nur wer bereit ist mitzuleiden. So unmöglich sollte das auch wieder nicht sein. Wenn ohnehin jeder leidet, wenn kein Mensch dem Leiden entfliehen kann – warum sollte ich nicht versuchen, meinem Leiden einen Sinn zu geben auf das Kreuz hin? Menschen entwickeln oft eine große Leidenskraft, wenn sie wissen, für wen, wofür sie leiden.

Der persönliche Kreuzweg Papst Johannes Pauls II.

Das Leiden des Papstes in den letzten Jahren wurde zur Herausforderung, ja zu einer Glaubensprüfung in der Kirche. Ein leidender, behinderter Papst, der kaum mehr imstande ist, sein Amt auszuüben – sollte der nicht selber das Petrusamt abgeben? Auch ich dachte mir zuletzt manchmal: Gott verlangt doch nichts Unmögliches! Es ist doch unmöglich, ein so schweres Leid zu tragen und dazu die Last des Amtes? Der Papst wusste es besser, dass er den Willen Jesu dadurch erfüllt, wenn er seinen Kreuzweg mit dem Herrn zu Ende geht.

Hatte Johannes Paul II. vielleicht durch seine Passion noch eine besondere Botschaft an die Kirche? Ich könnte mir das gut denken. Vielleicht lautet sie: Vergesst nicht: das Leiden erlöst die Welt – nicht die Tat(en)! Nicht die Aktivitäten sind es und schon gar nicht der Aktivismus. Ein deutliches Beispiel dafür ist die Liturgie. Da herrscht Stillstand, wenn nicht Rückgang. Oft habe ich als Bischof gesagt, dass meiner Ansicht nach noch nie so viel in der Kirche gearbeitet wurde als nach dem 2. Vatikanischen Konzil. Aber jetzt sind viele müde geworden, weil der Acker der Kirche – wenigstens in unseren Ländern – durch Jahrzehnte hindurch immer weniger Früchte trägt. Was haben wir falsch gemacht?

Der leidende Papst, ein Mann der Schmerzen, gab ein Beispiel. Johannes Paul II. hätte zwar mit Paulus sagen können: „Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht – aber nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir“ (1 Kor 15,10). Doch der eilende, rastlos arbeitende Papst war kein „Aktivist“, sondern der große Beter! Noch in seinem letzten Schreiben („Mane nobiscum, Domine“), drängt der Papst: „Verweilen wir lange auf den Knien vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn…“ Und ich persönlich bin der Überzeugung, dass nur hier, bei der Anbetung, das Elend unserer Liturgie geheilt werden kann.

„Nur das Leiden rettet die Welt“

Die Welt sah den Papst leiden und sterben. Der Papst im Rollstuhl, sich abquälend, nur einige verständliche Worte hervorzubringen – ein Bild des Elends. Und war dieses Schauspiel überhaupt noch mit der Würde des Amtes verträglich? Doch auch hier wurde eine Umkehrung der Kräfte sichtbar: je mehr die körperlichen Kräfte des Papstes abnahmen, desto stärker wurde die Kraft, die von ihm ausging; je hinfälliger der Leib wurde, um so stärker wurde seine Seele. Erinnern wir uns: Als sein Meister am schwächsten war – am Kreuz – vollbrachte er das schwerste Werk – die Erlösung der Menschen… Das alles geschah vor den Augen der gesamten Welt. Der Papst konnte kein Wort mehr sprechen und wollte doch noch immer etwas sagen. Doch was? Sein Leiden und Sterben sagen es deutlicher als jedes gesprochene Wort: Nur das Leiden rettet die Welt. Nur das Leiden – nicht die Lust. Wir leben in einer Zeit und Gesellschaft, in der die größtmögliche Lust an der Spitze aller Werte steht. Immer noch versucht man das Unmögliche: das Leiden aus der Welt zu schaffen und – wenn auch nur auf unserer Hälfte der Erde – ein Paradies aller Sinnesfreuden zu verwirklichen. Mit dem Erfolg, dass sie im selbstgeschaffenen Fun-Bad zu ertrinken drohen.

Nur durch Leiden wird der Mensch reif. ,,Der Schmerz ist ein heiliger Engel, und durch ihn sind die Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt“ (A. Stifter). Für C. Gustav Jung ist jeder Schritt auf dem Weg zur Bewusstwerdung nur durch Leiden zu erkaufen. Der Mensch ist voller Gegensätze, er ist nicht eindeutig, er ist nicht nur gut, nicht nur böse, sondern immer beides zugleich. „Jeder, der auch nur annähernd seine eigene Ganzheit sein möchte, weiß genau, dass sie eine Kreuztragung bedeutet.“

Wir brauchen deshalb nicht nach Leiden zu suchen. Es ist ohnehin allgegenwärtig – es ist in jedem Menschenleben genug da. Wir müssen es nur annehmen aus der Hand Gottes, wie Christus den Kelch des Leidens aus den Händen seines Vaters angenommen hat und so die Welt erlöst hat. Solches Leiden ist heilend, befreiend, erlösend. Als Johannes Paul II. auf der Höhe seines Kalvarienberges angekommen war, schrieb er: „Wenn wir auf Christus schauen und ihm mit geduldigem Vertrauen folgen, werden wir erkennen, dass jede Form menschlichen Leidens eine göttliche Verheißung des Heiles und der Freude beinhaltet“ (27.2.2005). Das „Evangelium vom Leiden“ wurde vom Papst verkündet und gelebt. Nur das Leiden hat die Welt gerettet. Nur durch Leiden kann unsere Welt gerettet werden. Durch Leiden – und Mitleid. Johannes Paul II. ist diesen Weg, den der Herr vorangegangen ist, bis zum Ende gegangen. „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.“ Nur im Kreuz. In Seinem Kreuz und in unserem Kreuz.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Der Tod Johannes Pauls II. im Licht seines Testaments

Bereits im ersten Jahr seines Pontifikats verfasste Johannes Paul II. ein Testament. Seit seiner Wahl zum Papst waren kaum fünf Monate vergangen, als er sich während der geistlichen Exerzitien vor Ostern über seinen Tod Gedanken machte. Immer wieder waren es diese Exerzitientage, die ihn zu weiteren Hinzufügungen veranlassten, insbesondere im Jubeljahr 2000. Pfarrer Erich Maria Fink zeigt eindrucksvolle Zusammenhänge zwischen den Gedanken des Papstes in seinem Testament, dem Attentat vom 13. Mai 1981 und seinem Tod im April 2005 auf.

Von Erich Maria Fink

Vor dem Herrn und Richter

Jedem muss die Perspektive des Todes klar sein“, so schreibt Johannes Paul II. 1980 in seinem Testament, „und er muss bereit sein, vor dem Herrn und Richter – und gleichzeitig Erlöser und Vater zu stehen.“ Mit dieser Klarheit bereitete er sich auch selbst auf den Tod vor. Dies bekennt er, wenn er mit den Worten fortfährt: „So denke auch ich ständig daran!“ Gleichzeitig wird eine ungeheure Zielstrebigkeit spürbar, die er bereits am 6.3.1979 mit den Worten zum Ausdruck bringt: „Ich wünsche, dass alles, was Teil meines irdischen Lebens ist, mich auf diesen Moment vorbereiten möge“, nämlich den „Augenblick“, in dem „mich der letzte Ruf ereilen wird“. Bei aller Wachsamkeit, mit der er den Tag es Herrn erwartet, setzt er sein ganzes Vertrauen auf „die Barmherzigkeit Gottes“, die sich „größer erweisen möge“ als seine „Schwächen und Unwürdigkeiten“. Dazu ergänzt er auf einem undatierten Blatt: „Ich drücke mein tiefstes Vertrauen aus, dass der Herr mir trotz all meiner Schwäche jede nötige Gnade verleihen wird, um seinem Willen entsprechend jeder Aufgabe, Prüfung und Leiden zu begegnen, die er von seinem Diener im Laufe des Lebens wird fordern wollen. Ich vertraue auch darauf, dass er nie zulassen wird, dass ich durch meine Haltung in Worten, Gedanken oder Werken meine Pflichten auf diesem Heiligen Stuhl des Petrus verraten könnte.“

Gewinnbringendes Sterben

Soweit entsprechen die Gedanken Papst Johannes Pauls II. durchaus einer allgemein gültigen Betrachtung zur Vorbereitung auf einen guten Tod. Doch dann wird man plötzlich von einer ungewöhnlichen Bitte an Gott überrascht. Zunächst bringt Johannes Paul II., und zwar im Frühjahr 1980, zum Ausdruck, dass er den Tod ganz so annehmen will, wie Gott es für ihn bestimmt: „Er selbst wird entscheiden, wann und wie ich mein irdisches Leben und den Hirtendienst beenden soll“, und er betont: „Ich akzeptiere schon jetzt diesen Tod!“ Damit verbindet er schließlich die Bitte an Christus, seinen Tod „gewinnbringend“ zu machen. Johannes Paul II. schreibt: „Ich hoffe auch, dass er ihn auch für diese wichtigere Sache gewinnbringend machen wird, der ich zu dienen versuche: das Heil der Menschen, die Bewahrung der Menschheitsfamilie, und darin aller Nationen und Völker (unter ihnen wende ich mich auch in besonderer Weise an mein irdisches Vaterland), gewinnbringend für die Personen, die er mir besonders anvertraut hat, für die Frage der Kirche, für die Ehre Gottes selbst.“ Wie kommt Johannes Paul II. dazu, seinen eigenen Tod als Ereignis zu verstehen, das Gott für die Kirche und die ganze Völkerfamilie gewinnbringend einsetzen kann? Gewiss, bedenken wir im Nachhinein sein Sterben vor Millionen und Milliarden von aufmerksamen Augen, so sehen wir, dass Gott die außergewöhnliche Hoffnung Johannes Pauls II. auf einzigartige Weise erfüllt hat. Hätte Gott das Sterben „gewinnbringender“ ausnützen können? Ganz zu schweigen vom gewaltigen Effekt der Beerdigungsfeier, die zu einem weltumspannenden Ereignis der Versöhnung und der Evangelisierung wurde!

Vorahnung des Attentats

Die Worte im Testament des Papstes haben sich offensichtlich als prophetisch erwiesen. Aber verlangen sie nicht nach einer noch unmittelbareren Deutung? Johannes Paul II. scheint, und das ist das Frappierende, das auf ihn verübte Attentat vorausgeahnt zu haben. Vielleicht hat er sogar fest damit gerechnet, dass sich an ihm die Vision erfüllt, die in dem bis dahin unveröffentlichten Dritten Teil des Geheimnisses von Fatima enthalten ist. Darin hatten die Kinder vorausgesehen, wie der Papst von Kugeln getroffen wird, niedersinkt und stirbt. Einerseits würden auf diesem Hintergrund die Formulierungen im Testament Johannes Pauls II. plötzlich verständlich. Andererseits gibt es eine ganze Fülle von Hinweisen für eine solche Deutung im Testament selbst. Unmittelbar bevor Johannes Paul II. seine eigentümliche Hoffnung über die Fruchtbarkeit seines Todes zum Ausdruck bringt, bedenkt er die Zeitsituation. Er schreibt: „Die Zeiten, in denen wir leben, sind unsagbar schwierig und beunruhigend. Schwierig und angespannt ist auch der Weg der Kirche geworden, eine charakteristische Prüfung dieser Zeit – für die Gläubigen wie für die Hirten. In einigen Ländern (…) erlebt die Kirche eine derartige Epoche der Verfolgung, dass sie jener der ersten Jahrhunderte in nichts zurücksteht, ja sie im Grad der Erbarmungslosigkeit und des Hasses sogar noch in den Schatten stellt. Sanguis martyrum – semen christianorum. Und dann – wie viele unschuldige Personen verschwinden, auch in diesem Land, in dem wir leben...“ In einem Nachtrag zum Testament vom 5.3.1982 heißt es schließlich: „Das Attentat auf mein Leben vom 13.V.1981 hat in gewisser Weise bestätigt, dass die während der geistlichen Exerzitien von 1980 geschriebenen Worte (24.II.-1.III.) zutreffend waren. Umso tiefer fühle ich, dass ich völlig in den Händen Gottes bin – und ich bleibe ständig zur Verfügung meines Herrn, dem ich mich auch in seiner unbefleckten Mutter (Totus Tuus) anvertraue.“

Wunderbar vor dem Tod bewahrt

Damit liefert Johannes Paul II. im Grunde selbst die Bestätigung dafür, dass er bei der Niederschrift im Jahr 1980 bereits das Attentat im Blick hatte. Zugleich ist die Betrachtung über das Sterben bei Johannes Paul II. immer eingebettet in die vollkommene Hingabe an die Gottesmutter. Über den Augenblick, da ihn der Herr rufen wird, schreibt er gleich zu Beginn des Testaments: „Ich will ihm folgen, und ich weiß nicht, wann er kommen wird, aber wie alles andere lege ich auch diesen Moment in die Hände der Mutter meines Meisters: Totus Tuus. In den gleichen mütterlichen Händen lasse ich alles und alle, mit denen mich mein Leben und meine Berufung in Kontakt gebracht haben. In diesen Händen lasse ich vor allem die Kirche und auch meine Nation und die ganze Menschheit.“ Ähnlich fügt er in den Nachtrag aus dem Jahr 1980 ein: „Diesen entscheidenden Moment vertraue ich der Mutter Christi und der Kirche an – der Mutter meiner Hoffnung. … Im Leben wie im Tod Totus Tuus durch die Unbefleckt Empfangene.“ Und im Rückblick, mit dem er im Jubeljahr 2000 sein Testament ergänzt, kommt er noch einmal ausdrücklich auf das Attentat zu sprechen: „Am 13. Mai 1981, dem Tag des Attentats auf den Papst während der Generalaudienz auf dem Petersplatz, hat mich die Göttliche Barmherzigkeit auf wunderbare Weise vor dem Tode bewahrt. Er, der der einzige Herr des Lebens und des Todes ist, hat mir dieses Leben verlängert, in gewisser Weise hat er es mir neu geschenkt. Seit diesem Augenblick gehört es ihm noch mehr. Ich hoffe, er wird mir helfen, zu erkennen, bis wann ich diesen Dienst fortführen soll, zu dem er mich am 16. Oktober 1978 berufen hat. Ich bitte ihn, mich zurückzurufen, wann er selbst es will.“

Sieg durch Maria

Johannes Paul II. erinnert in seinem Testament daran: „Als am 16. Oktober 1978 das Kardinals-Konklave Johannes Paul II. wählte, sagte mir der polnische Primas, Kardinal Stefan Wyszynski: ‚Die Aufgabe des neuen Papstes wird es sein, die Kirche ins dritte Jahrtausend zu führen.‘ Ich weiß nicht, ob ich den Satz genau wiedergebe, aber das war zumindest der Sinn dessen, was ich damals hörte. Das sagte der Mann, der als der Primas des Millenniums in die Geschichte eingegangen ist. Ein großer Primas. Ich war Zeuge seiner Mission, seiner totalen Hingabe. Seiner Kämpfe: seiner Siege. ‚Wenn der Sieg kommt, wird er ein Sieg sein durch Maria‘ – diese Worte seines Vorgängers, des Kardinals August Hlond, pflegte der Primas des Millenniums zu wiederholen.“ Johannes Paul II. war davon überzeugt, dass Maria auch für ihn einen großen Sieg errungen hatte. Unsere Liebe Frau von Fatima, so schrieb er immer wieder, habe mit ihrer mütterlichen Hand die Kugel gelenkt und sein Leben gerettet. Der eigentliche Sieg aber habe bei dieser Rettung darin bestanden, dass Maria ihm die Möglichkeit gegeben habe, seine besondere Sendung zu erfüllen und die Kirche ins neue Jahrtausend zu führen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
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Priester-Exerzitien beim „barmherzigen Jesus“

„Barmherzigkeit, einzige Hoffnung für die Welt“, so lautet das Thema von Internationalen Exerzitien für Priester und für die Mitglieder ihrer Pastoralteams, die vom Mittwoch 20. Juli (abends) bis Sonntag 24. Juli (mittags) 2005 in Krakau-Lagiewniki (Polen) veranstaltet werden.

Von Thomas Maria Rimmel

Heiligtum der Göttlichen Barmherzigkeit

Am 17. August 2002 weihte Papst Johannes Paul II. in Lagiewniki am Rande der Stadt Krakau das neue Heiligtum der Göttlichen Barmherzigkeit ein, das jährlich von über zwei Millionen Pilgern besucht wird. Die Basilika wurde in der Nähe des Klosters der Kongregation Unserer Lieben Frau der Barmherzigkeit errichtet, in dem sich die Kapelle mit dem berühmten Bild des „barmherzigen Jesus“ und den Reliquien der heiligen Schwester Faustina (1905-1938) befindet. An diesem Ort verbrachte Schwester Faustina den letzten Teil ihres Lebens. Hier empfing sie von Jesus die Offenbarungen der barmherzige Liebe Gottes, des Vaters.

Funken einer neuen Zivilisation

„Die Stunde ist gekommen, in der die Botschaft vom Erbarmen Gottes die Herzen mit Hoffnung erfüllt und zum Funken einer neuen Zivilisation – der Zivilisation der Liebe – wird“, so sagte Johannes Paul II. in Lagiewniki. Und er forderte alle Menschen auf, sich der barmherzigen Liebe Gottes anzuvertrauen, diesen Rettungsanker für unsere Zeit zu ergreifen. „Wie dringend braucht die heutige Welt das Erbarmen Gottes! Aus der Tiefe des menschlichen Leids erhebt sich in allen Erdteilen der Ruf nach Erbarmen. Wo Hass und Rachsucht vorherrschen, wo Krieg den Tod und das Leid unschuldiger Menschen verursacht, überall dort ist die Gnade des Erbarmens notwendig, um den Geist und das Herz der Menschen zu versöhnen und Frieden herbeizuführen. Wo das Leben und die Würde des Menschen nicht geachtet werden, ist die erbarmende Liebe Gottes nötig, in deren Licht der unfassbare Wert jedes Menschen zum Ausdruck kommt. Wir bedürfen der Barmherzigkeit, damit jede Ungerechtigkeit in der Welt im Glanz der Wahrheit ein Ende findet.“

Der junge Mann in Holzpantoffel

Als Karol Wojtyla noch ein junger Arbeiter in der Fabrik Solvay war, die nur einige hundert Meter vom Heiligtum entfernt lag, machte er regelmäßig bei der alten Kapelle Halt. Während der Einweihungsfeier rief er aus: „Wer hätte es gedacht, dass der junge Mann mit Holzpantoffeln an den Füßen, der auf dem Heimweg von der Arbeit jeden Abend in der Kapelle der göttlichen Barmherzigkeit für ein Gebet einkehrte – wer hätte es gedacht, dass dieser junge Mann eines Tages als Papst dieses Heiligtum einweihen würde?“ Von dieser Szene wurde Bischof Renato Boccardo tief berührt. Er gab seinen Eindruck mit den Worten wieder: „Geheimnisvoll schreibt sich die göttliche Vorsehung in das Leben der Menschen ein. Das waren intensive Momente mit großen Emotionen.“

Pastoralplan der Barmherzigkeit

Als schließlich der Papst am nächsten Tag die Bischöfe ermutigte, „einen Pastoralplan der Barmherzigkeit zu schaffen und ihn umzusetzen“, damit „dieser Plan ein Engagement hervorruft, zuallererst in der Kirche und, wo es notwendig und opportun ist, ebenfalls auch im sozialen und politischen Leben des Staates, Europas und der Welt“, beschloss Bischof Renato Boccardo zusammen mit anderen anwesenden Bischöfen und Kardinälen, am Heiligtum der Göttlichen Barmherzigkeit internationale Priesterexerzitien zu organisieren, damit von hier aus „Wellen der Verehrung für die göttliche Barmherzigkeit durch die ganze Welt laufen“. Denn, so ist er nun überzeugt, „dort gibt es einen großen Reichtum an Gnade und an Segen, der für die Teilnehmer an den internationalen Einkehrtagen im Juli offen steht, und der durch sie auch die ganze Kirche bereichern wird“.

Internationale Exerzitien werden Wirklichkeit

Damit Priester und die Mitglieder ihrer Pastoralteams aus allen Ländern teilnehmen können, werden die Exerzitien, die vom 20. bis 24. Juli in Lagiewniki durchgeführt werden, in verschiedene Sprachen übersetzt. Vorträge halten unter anderem der Wiener Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn, der Lyoner Erzbischof, Philippe Kardinal Barbarin, Bischof Renato Boccardo aus dem Vatikan sowie Bischof Albert-Marie de Monléon von Meaux. Thematisch geht es zunächst um eine biblische und theologische Grundlegung der Botschaft von der göttlichen Barmherzigkeit, schließlich um deren heilsgeschichtliche Bedeutung für unsere Zeit und um die Möglichkeiten ihrer Umsetzung in der Verkündigung und Pastoral.

Gleichzeitig möchten die Exerzitien den Priestern die Möglichkeit bieten, „Dank zu sagen“ für alle Zeichen der Barmherzigkeit, die sie in ihrem Leben erfahren haben. Der Austausch mit ihren Mitbrüdern soll ihnen helfen, die Freuden und Schwierigkeiten ihres Dienstes zu teilen. Vorranges Ziel der Exerzitien ist nicht die Weitergabe von Information, sondern die Priester in ihren „immer schwierigeren pastoralen Aufgaben“ zu stärken und Wunden zu heilen.

Mit ihrem einzigartigen Angebot haben die geplanten Exerzitien tatsächlich weltkirchliche Bedeutung. Es ist zu wünschen, dass sie breiten Anklang finden und von vielen Seelsorgern genützt werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
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K-TV – Mit Freude katholisch sein

Für deutschsprachige Katholiken ist es noch ungewohnt – ein katholisches Fernsehprogramm! In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Fernsehsender mit der Bezeichnung „K-TV“ zu einer bedeutenden apostolischen Kraft entwickelt. Dass dieser Initiative der Durchbruch gelungen ist, gleicht einem Wunder. Aber dieses Wunder muss sich täglich neu ereignen; denn der Sender lebt allein von Spenden und vom Engagement idealgesinnter Mitarbeiter. Als Zeitschrift Kirche heute unterstützen wir dieses Apostolat mit ganzer Kraft – in erster Linie durch unseren Programm-Service. Das gemeinsame Fundament bilden die kirchliche Gesinnung und das Gottvertrauen, die bei der Zusammenarbeit mit K-TV in allem spürbar werden.

Vollprogramm mit lebhafter Resonanz

Obwohl das Fernsehen das Leitmedium schlechthin ist, gab es bis vor fünf Jahren kein deutschsprachiges Vollprogramm, das sich an der Lehre der katholischen Kirche orientiert hätte. Es war im September 1999, als das erste Mal K-TV am Bildschirm erschien: die Frohe Botschaft in einer säkularen, ja gottlos gewordenen Welt zu verkünden und ein Bindeglied für all jene zu sein, die nicht mehr zur Kirche gehen oder ihren Gott und seine Gebote vergessen haben. Zahlreiche Reaktionen geben mittlerweile lebhaftes Zeugnis von der Suche der Menschen nach Heil und Sinn im Leben und sind dankbar für das Angebot, besonders wenn sie in Verhältnissen leben, die den Kontakt zur Kirche schwer machen (Krankheit, Diaspora).

Meisterwerk der Improvisation

Fernsehen zu machen sieht leichter aus, als es tatsächlich ist. Der Pionier und Motor, der dieses ungewöhnliche Kunststück fertiggebracht hat, ist nicht nur Priester, sondern auch Techniker und Regisseur zugleich. Pfarrer Hans Buschor, geboren 1933 in Altstätten, langjähriger Pfarrer der Diözese St. Gallen (CH) und mittlerweile im „Ruhestand“, hat schon 1968 einen Film über den nunmehr zur Ehre der Altäre erhobenen Kapuzinermönch Pater Pio („Vater von Millionen“) gedreht. Mit dem finanziellen Erlös baute Pfarrer Buschor schließlich eine Medienstelle auf, die dem heiligen Erzengel Michael geweiht wurde. Ein umgebauter Holzschuppen diente als Studio, ein Meisterwerk der Improvisation. Schließlich entwickelte sich daraus, mit viel Einsatz und Gottvertrauen, K-TV. „K“ steht für Kephas, den Fels, den der Papst als Nachfolger des heiligen Petrus darstellt.

Segen der modernen Technik

Per Satellit ist K-TV seit 2002 über das ASTRA-Satellitensystem digital und frei empfangbar. Theoretisch könnte jeder Haushalt mit einer „Satellitenschüssel“ (kleinere Anpassungen sind manchmal nötig) und einem (neuen) „digitalen“ Receiver das Programm empfangen. Diese sind schon ab 50,-- Euro (auch über K-TV selbst) erhältlich. Nachdem immer mehr Kabelfirmen aufgrund der häufigen Anfragen ihrer Kunden K-TV aufschalten, ist die Erreichbarkeit über Kabel auch in vielen Ballungsräumen (wenigstens digital) vorhanden, mittlerweile schon in großen digitalen Kabelnetzen Deutschlands (ISH in Nordrhein-Westfalen, Kabel Deutschland etc.), Österreichs und der Schweiz. Ein Anruf bei seiner Kabelfirma kann diesbzgl. Fragen klären und sollte K-TV noch nicht enthalten sein, hilft jeder Anruf mit, dieses schon bald empfangen zu können.

Ständige Weiterentwicklung des Programms

Das Programm besteht aus Glaubensthemen, Gebet, Lebenshilfe, Kultur und Musik. Eine Besonderheit des Senders ist, dass nicht nur täglich die Heilige Messe, sondern Woche für Woche live aus Rom die Generalaudienz und das Angelusgebet mit dem Papst übertragen wird, mit einem deutschen Papst nun doppelt interessant. K-TV sendet täglich 24 Stunden, 15 Stunden Programm, in der Nacht ist derzeit nur eine Programmvorschau zu sehen. Die einzelnen Sendungen werden mehrmals pro Woche zu unterschiedlichen Zeiten wiederholt. Wenn auch das Angebot noch nicht so reichhaltig ist, wie bei anderen Sendern – eine beachtliche Leistung ist es schon, haben doch viele andere Sender für die Produktion einer einzelnen Sendestunde mehr Geld zur Verfügung als K-TV für den gesamten Monat! Immerhin hat es K-TV nun durch die Hilfe einiger Sponsoren geschafft, einen eigenen Übertragungswagen auszubauen, der es ermöglicht, aus Kirchen und Wallfahrtsorten live zu übertragen. Die 15 festen Mitarbeiter, die derzeit in Produktion und Verwaltung arbeiten, schaffen es, ein Programm auf die Beine zu stellen, das zwar noch verbesserungsfähig ist, das aber inhaltlich keinen Vergleich mit anderen Sendern zu scheuen braucht.

Finanzierung grenzt an ein Wunder

Obwohl Medienleute der Initiative keinerlei Überlebenschance gaben, hat es K-TV seit mehr als fünf Jahren geschafft, sich Monat für Monat das nötige Geld zusammenzubetteln – eine Tatsache, die an ein Wunder grenzt. Offensichtlich gefällt dem Himmel dieses Unternehmen. Dabei wird auf kommerzielle Werbung verzichtet, was bei den meisten Sendern die Haupteinnahmequelle darstellt. Der monatliche Aufwand beläuft sich auf etwa 120.000 Euro. Der größte Posten ist der Satellit, der 70.000 Euro kostet, monatlich versteht sich. Wenn manchmal die Spenden, vor allem in den Sommermonaten, so knapp werden wie der Regen, gelingt es doch immer wieder, großherzige Spender zu finden. Vermächtnisse haben schon in letzter Sekunde geholfen. Vielleicht, so bleibt zu hoffen, kommt einmal eine größere Summe, die es ermöglicht, bessere Technik anzuschaffen und ein brauchbares Studio zu bauen.

Viel Sympathie bei den Bischöfen

Die „Amtskirche“ zeigt sich bisher sehr zurückhaltend, dennoch ist bei Bischöfen viel Sympathie zu spüren. Mehrere waren schon zu Gast bei K-TV. Da der Sender kein Geld für große Werbeaktionen hat, baut er auf die Mithilfe seiner Zuseher, die durch Mundpropaganda zur Verbreitung beitragen. „Ein gutes Programm ist die beste Werbung“, so ein geflügeltes Wort von Pfarrer Buschor. Die Kooperation mit anderen katholischen Medien wird von K-TV gesucht – macht es doch Sinn, sich gegenseitig zu helfen. Die Mitarbeiter von K-TV bauen auf jeden Fall auf das Gebet ihrer Zuseher, denn auch die Medienwelt ist sehr fordernd und braucht viel Idealismus: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“. Dieses Wort Christi gilt auch fürs Fernsehen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
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Weisheitssprüche der Wüstenmütter

Buchbesprechung von Prof. Dr. Manfred Hauke

Spruchsammlung für die Tochter des byzantinischen Kaisers

Aus der Geschichte des geistlichen Lebens sind die „Wüstenväter“ bestens bekannt, allen voran der heilige Einsiedler Antonius. Dessen von Athanasius verfasste Lebensbeschreibung war nach der Bibel die meistverbreitete Schrift der christlichen Antike (vgl. S. 11). Weniger geläufig ist das Wirken der Frauen, die sich in der gleichen Zeit zu einem Leben des Gebetes und der Buße in die Einsamkeit zurückgezogen haben. Die Herausgeber des vorliegenden Werkes nennen sie nicht zu Unrecht „Wüstenmütter“, anknüpfend an den monastischen Sprachgebrauch, der in den Gemeinschaften der Asketen „Väter“ und „Mütter“ kannte (vgl. S. 22). Den Kern des Büchleins bilden ausgewählte Weisheitssprüche (Apophthegmata) „der heiligen Asketinnen, die von Abba Jesaja für die ehrwürdige Nonne Theodora gesammelt wurden“ (S. 41-94). Die Sammlung wurde erstellt von einem Mönch namens Jesaja für die Asketin Theodora, der älteren Tochter des byzantinischen Kaisers Isaak II. Angelos (S. 23; also Ende des 12. bzw. Anfang des 13. Jahrhunderts: vgl. Lexikon des Mittelalters 5, 1999, 666f). Noch umfangreicher als die Apophthegmata selbst sind die Unterweisungen Jesajas für Theodora, die ebenfalls mit abgedruckt sind (S. 27-40; 95-156).

Russische Fassung als Vorlage für deutsche Übersetzung

Die Sammlung dieser Texte trägt den griechischen Titel „Meterìkon“,[1] was sich (frei übersetzt) als „Aussprüche der Mütter“ wiedergeben lässt. Die deutsche Übersetzung ist nicht nach einem kritischen griechischen Text erstellt (obgleich mehrere Manuskripte vorhanden sind: S. 24), sondern nach einer russischen Übersetzung aus dem 19. Jahrhundert (S. 25). Die Herausgeber und Übersetzer des Werkes sind der aus Russland stammende Martirij Bagin,[2] Spiritual des Collegium Orientale in Eichstätt, sowie Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer,[3] Rektor des gleichen Collegiums. Von Thiermeyer stammt die Einleitung zum „Meterìkon“ (S. 1-26). Behandelt wird dabei in aller Kürze das Werden der monastischen Tradition und die Bedeutung der Frauen in dieser Bewegung. Keine Zustimmung verdient die Darstellung der Paulusbriefe, worin der Autor die gleiche Würde der Geschlechter (Gal 3,28) gegen das Lehrverbot in der Liturgie ausspielt (1 Kor 14,34) (S. 18f; dazu M. Hauke, Das Weihesakrament für die Frau – eine Forderung der Zeit? Verlag Franz Schmitt: Siegburg 2004, 41-49).

Erstes Buch für Frauen?

Schon der Mönch Jesaja selbst war sich bewusst, eine literarische Rarität verfasst zu haben, wie der Epilog zu den „Apophthegmata“ zeigt: „Nur Gott weiß, unter welcher großen Mühe ich all dieses für dich gesammelt und verfasst habe. Ich befürchte, dass sich Menschen finden, die mich verurteilen werden: Seitdem die Welt steht, hat noch niemand ein Buch für die Frauen verfasst“ (S. 93). Die zitierte Meinung ist einzuschränken: schon in der heidnischen Antike wurden Bücher als solche in aller Regel weder für Männer noch für Frauen verfasst, auch wenn männliche Leser und Verfasser in der Überzahl waren; im lateinischen Westen (wo die Frauen im öffentlichen Leben im Allgemeinen eine größere Freiheit besaßen als im Orient) zirkulierten schon seit dem Altertum etwa die ausführlichen Lehrbriefe des Hieronymus, die sich dezidiert an monastisch lebende Frauen richteten und auf das weibliche Ordensleben einen wohltätigen Einfluss hatten, zumal was die Betonung der fraulichen Bildung und Lesekultur angeht (dies konnte freilich der Byzantiner Jesaja nicht wissen). Thiermeyer verweist außerdem zu Recht auf die erste Klosterordnung speziell für Frauen aus der Feder des Caesarius von Arles (534) (S. 21).

Umgang mit dem anderen Geschlecht

Die in 138 Nummern geordneten Weisheitssprüche bieten einen guten Einblick in die mönchische Spiritualität des Orients. Betont werden Gebet, Stille, Maßhalten in Speise und Trank, Fasten, Zurückgezogenheit und Vorsicht im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Zitiert seien einige markante Beispiele:

„Man soll das Gemach seiner Seele immer mit dem Weihrauch des Gebetes ausräuchern“ (S. 69). „Wie man Ungeziefer durch einen starken Giftstoff vertreibt, so vertreiben das Gebet, die Stille und das Fasten auch die unreinen Gedanken“. „Der Mönch braucht das Fasten, wie ein Pferd das Zaumzeug. Wer das Fasten verlässt, wird wie ein lüsternes Pferd in seinem Stall“ (S. 50). „Vermeidet es, euch mit den Männern zu unterhalten …“ (S. 52).

Unterbewertung der Arbeit gegenüber dem Gebet

Die Mehrzahl der Weisheitssprüche enthält geistliche Lehren, die eine allgemein gültige Erfahrung ausdrücken und sich ähnlich auch in der monastischen Spiritualität des Westens finden. Es gibt freilich einige befremdliche Elemente, so insbesondere eine Erzählung, die das ständige Gebet betont und die Arbeit als Abfall vom mönchischen Ideal erscheinen lässt (S. 70f). Die Regeln des hl. Basilius (und im Westen erst recht die des hl. Benedikt) betonen dagegen die wichtige Rolle der Arbeit; deren Ablehnung ist ein Zeichen für eine unausgeglichene Situation im älteren Mönchtum und für den (auf dem Konzil von Ephesus verurteilten) Messalianismus (vgl. etwa K. Fitschen, Messalianismus und Antimessalianismus, Göttingen 1998, 12. 22. 26. 53. 134-138 und passim). Die Bedeutung der Handarbeit wird allerdings auch von Jesaja erwähnt (S. 36). Es scheint freilich, dass in dessen Milieu anstelle der Handarbeit eher eine andere körperliche Übung im Vordergrund stand, die keinen ökonomischen und sozialen Nutzen brachte: Über den Tag verteilt, soll Theodora weit über 1000 Metanien machen, also tiefe Verneigungen als Zeichen der Demut und des Sündenbekenntnisses (S. 35f und passim).

Verurteilung des Lachens

Fremdartig für eine philosophisch reflektierte Tugendlehre scheint die undifferenzierte Verurteilung des Lachens: „Lach nicht, meine Schwester! Dadurch verjagst du die Gottesfurcht und erlaubst dem Teufel, dich auszulachen“ (S. 44). „Das Lachen verjagt das beseligende Weinen … verjagt den Heiligen Geist und lässt den bösen Geist in die Seele einziehen“ (S. 47). „Deine schwarze Kleidung bringe dich zum Weinen und errege Sehnsucht nach den Tugenden, denn die schwarze Kleidung ist die Kleidung derer, die den Toten beweinen und begraben“ (S. 156).

Geschlechtsspezifische Weisheit der „Wüstenmütter“?

Eine interessante Frage, der sich die theologische Einleitung zum Büchlein leider nicht stellt, wäre die nach der weiblichen Prägung der Weisheitssprüche. Finden sich bei den „Wüstenmüttern“ Elemente, die sich nicht auch in den Aussprüchen der „Wüstenväter“ finden? Nach dem ersten Eindruck des Rezensenten ist dies nicht der Fall. Die wesentlichen Faktoren des geistlichen Lebens sind eben beiden Geschlechtern gemeinsam. Es gibt freilich Stellen, die eine besondere geschlechtsspezifische Sensibilität verraten, sowohl bei den „Vätern“ als auch bei den „Müttern“. Ein Gleichnis, das eher dem weiblichen Erfahrungsbereich entstammt, ist etwa der Vergleich des irdischen Lebens mit „einer Art Mutterschoß, um für das himmlische Leben geboren zu werden“ (S. 73). Auf der anderen Seite finden sich Aussprüche, in denen die „Wüstenmütter“ ihr Frausein wenig freundlich kommentieren, indem sie ihre weibliche Schwachheit betonen (z.B. S. 91) oder stolz darauf sind, wie ein Mann zu denken (S. 61). Zur begrüßenswerten Förderung des weiblichen Selbstbewusstseins eignet sich das byzantinische „Meterìkon“ nur sehr bedingt.

Unterweisungen des Mönchs Jesaja empfehlenswert

Die „Apophthegmata“ der Wüstenmütter sind mit den „Apophthegmata patrum“ vergleichbar, die ebenfalls ohne strenge logische Ordnung mit unzähligen Variationen die gleichen Themen umkreisen. Das gleiche gilt vielleicht noch mehr für die „Unterweisungen“ des Mönches Jesaja, die mit den Mäandern eines freilaufenden Flusses vergleichbar sind. In dieser für westliche Geradlinigkeit eher ungewöhnlichen Form findet sich freilich ein kostbarer Inhalt, auch wenn für dessen Beurteilung in manchen Einzelpunkten eine kritische Unterscheidung gefordert ist. Den Herausgebern ist für die verdienstvolle Erschließung der „Weisheit der Wüstenmütter“ zu danken.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 6/Juni 2005
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Meterìkon – Die Weisheit der Wüstenmütter, hrsg. und übersetzt von Martirij Bagin und Andreas-Abraham Thiermeyer, Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2004, 160 S., geb., ISBN 3-936484-32-5.
[2] Martirij Bagin, 1956 geboren, wurde 1977 zum Diakon und 1986 zum russisch-orthodoxen Priester geweiht. Er beschloss 1990 seine Studien an der Geistlichen Akademie in Moskau mit dem akademischen Grad eines Kandidaten der Theologie. Als Pfarrer war er ökumenisch sehr aktiv. 1998 wurde er in die römisch-katholische Kirche aufgenommen. Seit 2000 ist er als Spiritual des Collegium Orientale in Eichstätt tätig.
[3] Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer, geboren 1949, wurde 1977 in Eichstätt zum Priester geweiht. Seine weiterführenden Studien beschloss er am Pontificium Institutum Orientale in Rom mit dem Lizenziat und dem Doktorat. Seit der Gründung des Collegium Orientale 1998 ist er dessen Rektor. 2002 wurde er zum Erzpriester und Mitrat geweiht.

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