Ergreifende Glaubenszeugnisse aus Kasachstan

Heute möchte ich Sie, liebe Leser, den Weihnachtsbrief von P. Athanasius Schneider, eines lieben Freundes, der in Kasachstan arbeitet, lesen lassen und, wenn meine Gedanken schon in dieses Land der Erde gehen, auch noch die Bekehrungsgeschichte eines jungen kasachischen Priesters, der vor Jahren in Heiligenkreuz meine Vorlesungen hörte – und damals kannte ich die berührende Geschichte seines Weges noch nicht.

Von Weihbischof Andreas Laun, P. Athanasius Schneider und Pfr. Alexander Fix

I. Der Weihnachtsbrief von P. Athanasius

Liebe Brüder und Schwestern! In diesem Weihnachtsbrief möchte ich mit Ihnen einige Eindrücke teilen aus meiner Tätigkeit im verflossenen Jahr in der Mission im Kasachstan. An Weihnachten feiern wir das Geheimnis der Liebe und der Menschenfreundlichkeit Gottes. Diese Wahrheit kann man immer wieder von neuem und in beeindruckender Weise an Einzelfällen erleben in diesem Land, das einstens zur Zeit Stalins ein einziges riesiges Straf- und Arbeitslager war.“

Hier möchte ich P. Athanasius unterbrechen und einfügen: Ich war dort, und man zeigte mir die endlos sich ausdehnende Steppe. Hier unter dem Gras, erklärte man mir, liegen rd. 500.000 Tote, Opfer des „GULAG“. Ich war auch bei der großen Opfer-Gedenkstätte in Astana, und irgendjemand erzählte mir eine der vielen schrecklichen Geschichten: Einmal ließ man einen Zug in die Steppe hinausfahren. Weit draußen mussten alle Gefangenen aussteigen, weit und breit kein Haus. Dann fuhr der Zug weiter. Es war Winter, und die Temperaturen liegen in Kasachstan zu dieser Zeit bei minus 30 Grad … P. Athanasius fährt fort:

„Auch die Wahrheit der Worte der Hl. Schrift ,Selbst wenn eine Mutter ihr Kind vergessen würde, so vergesse ich dich doch nicht‘ (Jes 49,15) leuchtet einem immer wieder an konkreten Fällen auf:

Lebendige Sakramente

Vor kurzem kam eine ältere Frau zur Hl. Messe in einer meiner Gemeinden in der Steppe. Nach der Hl. Messe kam sie auf mich zu und sagte mir: „Vater, ich kam, damit Sie mich heute taufen. Mein kranker bettlägeriger Mann ist ein Pole, ein Katholik. Weil ich aber noch nicht getauft bin, schickte er mich zu Ihnen und trug mir auf, ich solle heute nicht ungetauft nach Hause zurückkommen. Hier bin ich und ich habe meine Dokumente gebracht: Personalausweise, Zeugnis der standesamtlichen Trauung.“ Ich antwortete ihr: „Meine liebe Frau, ich werde Sie taufen, aber vorher werden wir Sie wenigstens eine gewisse Zeit vorbereiten, dann wird die Tauffeier auch schöner. Das ist bei uns in der katholischen Kirche so üblich.“ Darauf begann die Frau zu weinen. Ich umarmte sie und sagte: „Seien Sie nicht besorgt, Sie werden getauft, jedoch nicht heute. Ich begleite Sie nach Hause und werde Ihren kranken Mann besuchen. Und er wird sich sicherlich freuen.“ Die Frau war einverstanden und in ihrem Gesicht strahlte Freude. Sie fühlte sich ungemein geehrt, dass der Priester selbst in ihr Haus kommt.

Als wir ihre armselige Stube betraten, rief sie laut zu ihrem Mann, der im Bett lag: „Vikentij, ich habe den lieben Gott mitgebracht!“ Ich trat an das Bett des Kranken, nahm seine Hand und sagte: „Ich bin ein katholischer Priester.“ Der Kranke machte seine Augen auf, und als er mich sah, begann er laut zu weinen und konnte sich nicht beruhigen. Er sagte: „Meine Eltern waren tief fromme Katholiken. Wir lebten in Weißrussland und waren elf Kinder. Das letzte Mal habe ich vor mehr als 50 Jahren gebeichtet. O wer hätte das geglaubt, dass Sie selbst zu mir kommen!“ Ich gab ihm darauf eine kurze Beichtvorbereitung und er beichtete. Dann spendete ich ihm das Sakrament der Krankensalbung. Als ich ihm gemäß dem Ritus Stirn und Hände salbte, bat mich seine Frau inständig, ich möge doch noch seinen gelähmten linken Fuß salben. Ich tat es, auch wenn es im Ritus nicht vorgesehen ist. Und ich denke, ich habe hier kein großes Vergehen begangen. Die große Sorge des Mannes war, dass seine Frau noch nicht getauft sei, und er möchte nicht sterben, sie ungetauft zu sehen. Ich tröstete ihn und versicherte ihn, dass ich sie taufen und dann sie beide noch trauen werde.

Darauf begann der Mann vor Rührung wieder laut zu weinen. Ich sagte ihm, dass ich ihm nächsten Sonntag die Hl. Kommunion bringen werde. Der Mann sagte mir, dass auch noch seine Kinder und Enkel getauft werden sollten. Ich erkundigte mich nach den Kindern. Eine Tochter sei mit einem Litauer verheiratet und sie haben drei Kinder. „Niemand von ihnen ist getauft und sie leben in Schanaarka.“ Als ich diesen Ortsnamen hörte, wurde ich aufmerksam. Denn einige Tage vor diesem Ereignis besuchte ich eine Pfarrei unserer Diözese, die 530 km entfernt ist. Auf dem halben Weg dorthin fuhr ich durch eine größere Ortschaft namens Schanaarka. In meinem damaligen Gespräch mit dem Pfarrer sagte ich, dass man in Schanaarka doch einen Stützpunkt aufmachen sollte. Doch der Pfarrer sagte mir, er kenne dort niemanden. Ich habe dann später dem Pfarrer die Namen und die Adresse der Tochter dieses kranken Mannes vermittelt, so dass jetzt dort mit der Taufe der Familie eine Hauskirche entstehen kann.

Die Bischofssynode und die Eucharistie

Ein anderes Ereignis war meine Teilnahme an der Bischofssynode in Rom. Ein Ereignis, äußerlich gesehen, von einem ganz anderen Ausmaß. Aber im Grunde führte einen auch dieses Ereignis im Zentrum der Weltkirche wieder auf die Schönheit und den Reichtum unseres Glaubenslebens zurück, das eben in den einfachsten und verlassensten Menschenseelen oft klarer aufstrahlt als in manchen gelehrten Theologen.

Einer der beeindruckendsten Momente der vergangenen Bischofssynode war für mich die Anbetungsstunde in der Petersbasilika am 17. Oktober. An der Anbetung nahm der Hl. Vater selbst teil, ebenso alle Mitglieder der Bischofssynode. Am Papstaltar war das Allerheiligste in einer großen und schönen Monstranz ausgesetzt. Zu Füßen des Altars knieten am Betschemel der Hl. Vater und ca. 240 Bischöfe aus allen Teilen der Welt und beteten den unter dem Schleier des gewandelten Brotes gegenwärtigen Herrn an. Ebenso rührend war es zu sehen, wie die kleine Kapelle vor dem Eingang in die Synodenaula schon eine Stunde vor den Sitzungen jeweils am Morgen und am Nachmittag mit Bischöfen gefüllt war, die vor dem dort eigens ausgesetzten Allerheiligsten stille Anbetung hielten. Das waren für mich die wichtigsten Augenblicke der Synode. Denn die Kirche zeigt ihre eigentliche Kraft in erster Linie dann, wann sie betet, und nicht dann, wann sie Diskussionen führt.

Andere Lichtblicke während der Synode waren jene Reden von Bischöfen, die sehr konkret und tiefsinnig von der Erhabenheit des Geheimnisses der Eucharistie Zeugnis ablegten. Solche Worte brachten gleichsam frischen Wind in den Saal hinein und erhöhten die Hörbereitschaft der Anwesenden. Eine der beeindruckendsten Gestalten war für mich Kardinal Janis Pujats, Erzbischof von Riga in Lettland. Er hatte jahrzehntelang als Priester unter der Verfolgung und den Schikanen des Sowjetregimes zu leiden. Er hatte ein von Leiden gezeichnetes Gesicht und dennoch haben seine Augen eine tiefe Glaubensfreude ausgestrahlt. Seine Worte waren ganz einfach, wasserklar und doch sehr würdevoll. In seinen Reden, die er immer in Latein hielt, auch bei der freien Diskussion, flehte er gleichsam wehmütig die Bischöfe an, die bewährten jahrhundertealten Ehrfurchtszeichen gegenüber dem eucharistischen Herrn zu schützen und wo sie verloren gingen, sie wieder einzuführen. Er bat inständig, dass der Tabernakel im Zentrum der Kirche ein würdiger Thron sei, der dem eucharistischen Herrn und dem König aller Könige gebührt. Ferner bat er um die Kommunionbank, die er „Tisch des Herrn“ bezeichnete, wodurch die Geste der Anbetung und der persönlichen Sammlung beim Kommunionempfang erleichtert würde. Mir schien, dass solche und ähnliche Reden mancher Bischöfe (darunter auch des Erzbischofs Lenga von Karaganda und des Erzbischofs von Moskau) zum Ausdruck bringen wollten: „Bedenke, o Kirche, welch große Gabe dir zur Verfügung steht, und behandle sie mit der größtmöglichen Behutsamkeit und Liebe.“

Ich hatte den Eindruck, dass viele Synodenväter sagen wollten: Vertiefen wir unseren Glauben in das Geheimnis der Eucharistie und beweisen wir das an konkreten Taten. Eine dieser konkreten Taten könnte der Vorschlag eines Synodenvaters sein (das war der Kardinal von Bombay), der sich meinem Gedächtnis einprägte: „Es wäre gut, wenn jeder Bischof und Priester täglich eine Stunde in Anbetung vor dem Allerheiligsten verbringen würde. Das würde zweifellos der echten Erneuerung der Kirche dienen, zum Nutzen so vieler Seelen.“

Der Bau der Kathedrale für Karaganda

Was unsere Kirchenbauten angeht, so können wir Fortschritte sehen, wenn wir auch mit mancherlei Hindernissen zu kämpfen haben. Oft ist Mangel an Baumaterial und an Fachkräften. Die Kirche des Seligen Paters Alexius soll am 24. September 2006 eingeweiht werden (früher war es das Fest „Maria Loskauf der Gefangenen“). Diese Kirche wird die erste Kirche zu Ehren des Protomärtyrers von Kasachstan sein. Ich hoffe auf die gütige Vorsehung Gottes, dass ich noch die Mittel erhalten werde, um sie rechtzeitig fertigstellen zu können. Das Dach ist schon gedeckt, innen ist schon verputzt, es stehen schon Fenster und Türen. Was noch fehlt, ist die Heizungsanlage, die im Frühjahr eingebaut werden soll, und auch Kirchenbänke und der Fußboden. Für dies habe ich leider noch keine Mittel.

Der Bau des Heiligtums „Unsere Liebe Frau von Fatima – Mutter aller Nationen“ geht gut voran. Man ist zur Zeit daran, das Dach zu montieren. Vor kurzem hat uns die Bauaufsichtsbehörde wegen eines Formfehlers bei der Anstellung der Arbeiter bestraft. Die Strafe war zunächst auf einige tausend Euro angesetzt, Tarif für eine juristische Person. Nachdem ich in einem längeren Gespräch beim Chef der Behörde protestiert hatte, bestrafte mich dieser als natürliche Person, wobei der Tarif der Strafe lediglich 150 Euro betrug. Er fügte hinzu, dass es ganz ohne Strafe doch nicht ginge und er anders nicht handeln könne. Ich sagte zu ihm: „Diese Strafe bezahle ich schon. Aber seien Sie doch unser Freund und behindern Sie uns in Zukunft nicht mehr. Denn ich will Sie ja bei der Einweihung der Kirche den internationalen Gästen vorstellen.“ Am Schluss fügte er, ein Kasache, im Scherz hinzu: „Wenn ich Ihren Bau weiter intensiver begleiten werde, werde ich vermutlich noch katholisch.“

Liebe Brüder und Schwestern, möge unser Herr und Heiland Sie und alle Ihre Anliegen mit Seiner Göttlichen Liebe segnen und Ihnen alles Gute und all Ihre Opfer reichlich vergelten und Sie durch die Fürsprache Mariens, der hl. Engel und Ihrer Schutzpatrone im Neuen Jahr stets schützen und führen.

P. Athanasius Schneider

Mir scheint, dieser Brief ersetzt einen theologischen Artikel – und mehr als das! Er ergänzt außerdem sehr gut meine Gedanken zur Liturgie.

II. Die Bekehrung von Pfarrer Alexander Fix

Pfarrer Alexander Fix aus Astana, der Hauptstadt v. Kasachstan, sprach am Weltjugendtag in Köln beim Zusammentreffen der Seminaristen mit Papst Benedikt XVI.:

Eure Heiligkeit, sehr geehrte Mitbrüder im Priesterstand, sehr geehrte Seminaristen, ich wurde ausgewählt, um über meine persönliche Berufung zum Priestertum zu sprechen. – Jede Berufung ist einzigartig und besonders! –

Ich wurde in einem kleinen Dorf in Kasachstan im Jahre 1971 geboren. Aufgewachsen bin ich bei meinen Eltern und Großeltern. Meine Großeltern – vor allem meine Großmutter – bewahrten einen tiefen und festen Glauben, trotz der schwersten Verfolgungen. Als ich klein war, hörte ich von meiner Großmutter von Jesus. Ich lernte von ihr einige Gebete, aber in der Schule verlor ich meinen Glauben. Es war zu der Zeit des kommunistischen Regimes in der Sowjetunion. Die Lehrer pflegten mich zu fragen: „Wie viele Schuljahre hat deine Großmutter absolviert?“ Ich antwortete: „Zwei.“ Da sagten sie: „Schau, du hast jetzt mehr Schuljahre hinter dir als deine Großmutter. Du weißt viel mehr und du brauchst nicht an Gott zu glauben.“ Und die Autorität der Lehrer zerstörte meinen Glauben. So wuchs ich als Atheist auf.

Wie viele andere Jugendliche in der Sowjetunion überlegte ich nach meiner Schulzeit, welchen Weg ich für die Zukunft wählen sollte. Ich entschloss mich, in die Militärschule einzutreten, um Offizier zu werden. Ich kam in die Militärschule nach Sibirien und verbrachte dort zwei Jahre. In dieser Zeit sah ich, wie korrupt und böse das ganze System war, besonders bei der Armee. Dort herrschte Hass unter den Soldaten und zwischen den Soldaten und Offizieren. Eine ganze Reihe der Offiziere verfolgte ihre Karriere ohne jede Rücksicht. Ich verstand, dass dies nicht mein Weg war.

Ich erkannte, dass es zwei verschiedene Dinge sind, die Rote Armee im Fernsehen zu sehen und selber dabei zu sein. Ich entschloss mich, die Armee zu verlassen. Zu der Zeit aber machte man bei der Armee den Kadetten, die austreten wollten, viele Schwierigkeiten, mit dem Ziel, andere möglichst mit der Angst vom Austritt abzuhalten.

Als ich meine Großeltern besuchte, erzählte ich meiner Großmutter von meiner ganzen Situation und auch von den Schwierigkeiten. Da sagte sie: „Mein Kind, du sollst beten – und der liebe Gott wird dir helfen.“ Diese einfachen Worte meiner Großmutter, ausgesprochen in der Situation, in der ich mich befand, waren wie ein „Gnadenstoß“ für mich. Ich schrieb die Gebete, das „Vaterunser“ und „Gegrüßet seist du, Maria“ ab und fing an zu beten. Als ich meine Nachtwache beim Militär hielt, betete ich und ich spürte die Gegenwart Gottes so intensiv, dass ich zu mir selbst sagte: „Wie dumm ich war, dass ich nicht an Gott glaubte.“ Ich beendete meine Militärzeit glücklich und kam nach Hause. Schritt für Schritt kam ich dann tiefer und tiefer in den Glauben hinein, indem ich den Rosenkranz betete und die Hl. Schrift las. Nach zwei Jahren fühlte ich in meinem Herzen den Ruf zum Priestertum.

Ich wurde 2001 in Astana, der Hauptstadt von Kasachstan, zum Priester geweiht. Ich bin glücklich, dass mein Erzbischof, Seine Exzellenz Tomash Peta, der mich geweiht hat, auch an diesem Weltjugendtreffen zusammen mit einer Jugendgruppe aus ganz Kasachstan teilnimmt. Im Namen aller unserer Gläubigen bitte ich Eure Heiligkeit, für Kasachstan zu beten und uns zu segnen. Danke schön.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Der Glanz des priesterlichen Zölibats

Der ägyptische Jesuitenpater Henri Boulad ist weit über seine Landesgrenzen hinaus bekannt. In seiner Heimat hat er einen gewaltigen Hörerkreis, der seine Worte wie lebensspendendes Wasser aufnimmt. Seine Gedanken trägt Boulad, der als großer Mystiker unserer Zeit gilt, stets in freier, glühender Rede vor. Von begeisterten Anhängern sind seine Betrachtungen in zahlreichen Büchern veröffentlicht und bereits in 13 Sprachen übersetzt worden. Der 1931 in Alexandria geborene Theologe hat auch Psychologie studiert und verbindet mit seiner apostolischen Tätigkeit ein umfangreiches Sozialengagement. Unter anderem war er von 1984 bis 1995 Leiter der Caritas Ägypten und gleichzeitig von 1991 bis 1995 Vizepräsident der Welt-Caritas. Vor etwa 25 Jahren hielt er einen Vortrag für Geistliche über den priesterlichen Zölibat. Diesen höchstaktuellen und anregenden Beitrag haben wir für Kirche heute neu bearbeitet. Grundlage für den Artikel bildet die Publikation mit dem Titel „Im Licht der Hinwendung. 9 Vorträge vor Geistlichen, die uns alle angehen“.

Von Henri Boulad

Welche Bedeutung hat die Jungfräulichkeit für unser geistliches Leben als Priester? In welcher Beziehung steht unser priesterlicher Zölibat zur Jungfräulichkeit Mariens?

Die Jungfrau Maria ist für uns eine Idealgestalt, ein Leitstern für unsere Seele. Aber ist es nicht anachronistisch, wenn wir in unserer Zeit über Jungfräulichkeit sprechen, in einer vom Eros durchtränkten Welt, inmitten einer Menschheit, die Wert und Ausmaß ihrer Sexualität kolossal überspannt, in einer Zeit, in der viele Priester und Ordensleute den Sinn ihres Zölibats insgeheim oder offenkundig in Frage stellen? Sind Jungfräulichkeit und Zölibat nicht längst überholte Begriffswerte? Oder aber haben sie im Gegenteil eine zukunftsweisende, zeichenhafte Bedeutung?

Ich persönlich bin der Ansicht, dass wir als Geistliche Bahnbrecher und Wegbereiter für eine neue Zeit sind. Wir bilden die Pioniere einer neuen Möglichkeit, die zu entdecken unsere moderne Menschheit eingeladen ist. Ich glaube, dass unser Keuschheitsgelübde der heutigen Welt eine besondere Botschaft bringt, nicht nur irgendeine gute und wertvolle, sondern eine sehr wesentliche. Und ich bin überzeugt, dass unsere Welt diese Botschaft dringend braucht.

Die Jungfräulichkeit Mariens ist vor allem eine innere, also geistige Wirklichkeit. Was ist der eigentliche Sinninhalt des Wortes „Jungfräulichkeit“?

Dialektik von Verlangen und Sättigung

Ich möchte die Bedeutung der Jungfräulichkeit aus einer Perspektive erklären, die ich als Dialektik von Verlangen und Sättigung (désir et plaisir) bezeichne. Dabei meint Sättigung das ausgelebte Vergnügen. Der Mensch ist ein Wesen der Sehnsucht. Jedes geistige Geschöpf ist seinem Wesen nach Sehnsucht, ist starkes Verlangen nach etwas, ist in ständiger Bewegungstendenz hin zu einer Sache oder zu einer Person. Gott selbst ist reines Verlangen, er ist unendliches Verlangen, das sich in der Dreifaltigkeitsbeziehung vollendet, im Zustand einer unaufhörlichen Erneuerung, im Zustand einer unversiegbaren Quelle.

Der Mensch, als Abbild Gottes erschaffen, ist ebenfalls Verlangen, ist Tendenz zu etwas anderem hin. Seit dem Tag seiner Geburt strebt der Säugling in intensiver Bewegung zur Mutter, was sich zunächst biologisch manifestiert, indem sich seine winzigen Lippen fortwährend der Mutterbrust entgegenstrecken. Doch einmal gesättigt, ist sein Verlangen gestillt und beseitigt, da es aufgezehrt wurde im „irdischen Vergnügen“ des Trinkens. Das Kind schläft ein.

Fast denselben Prozess beobachten wir später beim Sexualakt. Mann und Frau werden durch ein heftiges Verlangen zueinander geführt. Indem der eine vom andern erhält, was er wünscht, erfahren beide eine tiefe Befriedigung, die in einer Sättigung kulminiert. Auf diesem Höhepunkt erlischt jedoch schnell das Verlangen, beide ziehen sich voneinander zurück, der Durst ist gestillt.

Der Geistliche, der sich zu freiwilliger Keuschheit verpflichtet hat, weist diese Aufhebung seines Verlangens zurück, er möchte es bewahren. Seine Sehnsucht soll nicht in der Befriedigung absorbiert und vernichtet werden. Er will sie um jeden Preis aufrechterhalten, und das nenne ich den Zustand des reinen Verlangens (l'état de désir pur). Entweder werde ich diesen Zustand als unerträgliche Spannung erleiden, oder ich erfahre – im Gegenteil – eine wahre Ekstase. Und in diese Ekstase investiert sich mein ganzes Wesen.

Übernatürlicher Zustand des ungesättigten Verlangens

Selbstverständlich ist mir bewusst, dass dieser Zustand in gewisser Weise unnormal und unnatürlich ist; denn natürlicherweise strebt jedes Verlangen nach Sättigung und Befriedigung und somit nach der Beseitigung dieses Verlangens. Doch der Geistliche, der freiwillig auf seine persönliche Wunschbefriedigung verzichtet, hält damit bewusst sein Verlangen wach und verpflichtet dieses, nach einem anderen Ausweg zu suchen als nach dem des rein materiell-sinnlichen Genusses.

Dies zeigt auch, inwiefern sich die christliche Jungfräulichkeit grundlegend von der Jungfräulichkeit fernöstlicher Denkweise unterscheidet. In der asiatischen Spiritualität haben wir nicht nur den stillen Verzicht auf ein solches Verlangen, sondern dort wird die Unterdrückung geübt, um „wunschlos glücklich“ zu werden. Alles menschliche Sehnen nach irdischen Objekten und Genüssen soll bis in seine Wurzeln vernichtet werden. Das Christentum wendet sich entschieden gegen eine solche Doktrin. Der christliche Geistliche lässt das Verlangen, das er verspürt, eher wachsen. Er nährt und entwickelt es sogar, anstatt es zu unterdrücken und abzudrosseln; er erlaubt dem Verlangen, sich bis zum Höchstmaß zu verdichten, ohne eine Befriedigung und damit eine Aufhebung desselben zuzulassen.

Indem ich das Verlangen töte, töte ich den Menschen. Ich lösche ein Licht in ihm aus, ich zerstöre einen wesentlichen Teil seines Wesens und stelle ihn damit zurück ins Nichts, in den Tod. Ich entziehe ihm seine Existenz. Ich weiß nichts über das wahre Leben eines Menschen im Zustand der Wunschlosigkeit, den man Nirwana nennt, ich weiß jedoch, dass dies nicht jenen „fruchtbaren Tod“ im christlichen Sinn bedeuten kann. Das Nirwana ist nicht unsere erstrebte „Ekstase“, sondern eine „Enstase“, wie man es heute definiert. Unser christlicher „Tod“, d.h. unsere vollkommene Selbstbesiegung, ist tief ins Innerste unseres Keuschheitsgelübdes eingeschrieben, so wie der Tod im Herzen allen Lebens steht, ein Tod, der nicht lebensvernichtend ist, sondern der das Leben erst auf seinen höchsten Stand bringen wird. So erhebt das entsagende Leben den christlichen Geistlichen gleichsam auf „Himalaja-Höhen“.

Ich wiederhole noch einmal, dass dieser Zustand reinen, verharrenden Verlangens unnormal ist, ich wage zu sagen: unmenschlich. Als die Apostel gegen manche „unmögliche“ Verhaltensweisen Einspruch erhoben, gab ihnen Jesus Antworten wie diese: „Wer es fassen kann, der fasse es ... Bei den Menschen ist es freilich unmöglich, doch bei Gott ist alles möglich“ (Mt 19,12b.26).

Christus selbst also räumt ein, dass gewisse Dinge, wie der Zustand der Jungfräulichkeit, „menschenunmöglich“ sind, also ohne göttliches Gnadenwirken nicht gelebt werden können. Der Zustand gelebter Jungfräulichkeit überfordert den Menschen grundsätzlich, da er nicht natürlich ist. Wer demnach argumentiert und sagt, dass das Keuschheitsgelübde eine „unmenschliche“ Forderung sei, hat im Grunde genommen recht. Dass dieser Zustand unnatürlich ist, heißt jedoch nicht, dass er auch widernatürlich sein muss. Ich nenne ihn übernatürlich.

Öffnung des Menschen für eine höhere Sphäre

Übernatürliches Verhalten zeigt zwei Dinge an: Es kann nur im Glauben verstanden und nur in der Gnade gelebt werden. Aus irdischer Sicht, nach rein menschlichem Ermessen ist die Keuschheit geradezu eine Ungeheuerlichkeit. Sie erscheint absurd und vielen Menschen als purer Unsinn. Weil der heutige Mensch seine Augen nach unten richtet anstatt nach oben, nach außen anstatt nach innen, weil er nur auf die irdischen Dinge schaut, ist es geradezu logisch, dass unser Gelübde weit und breit nicht mehr verstanden wird. Besonders im Westen hat sich auch für viele Geistliche der Sinn ihrer Keuschheit verdunkelt. Der Zeitgeist, der moderne Strom, der alles mitreißt und in Frage stellt, hat auch sie erfasst und vielfach ihren Glauben geschwächt. Doch ohne das reine Auge des Glaubens, d. h. ohne jenen besonderen Blick, der die Erscheinungswelt in ihrer zeitlichen Begrenzung, an die wir als Geschöpfe gekettet sind, zu erkennen vermag, kann man das Mysterium geistlicher Keuschheit in seiner wahren Dimension nicht erfassen.

Die Keuschheit wird allein im Glauben verstanden und kann nur im Hineingenommensein in die göttliche Gnade gelebt werden. Ohne Gnadenwirkung und ohne die Anwesenheit des göttlichen Geistes könnten wir diese Forderung unter keinen Umständen erfüllen. Daher besteht die Gefahr, dass die Keuschheit Neurosen, Psychosen oder Komplexe schafft, wenn sie weder im Licht des Glaubens, noch in der Gnade gelebt, aber dennoch eisern durchgehalten wird. Gleichzeitig ist ein solcher Zustand geistlich unfruchtbar. Das Ergebnis ist eine sehr unglückliche Priesterseele. Wird hingegen die unendliche spirituelle Dimension der Keuschheit im Kontext des Evangeliums erkannt, verpflichtet sie den Menschen geradezu zur Selbstüberwindung und treibt ihn auf seinem persönlichen Weg zur Vollkommenheit voran. Sie führt ihn jenseits seiner selbst und fördert ihn in seiner übernatürlichen Berufung als Gottessohn, als Gottestochter.

Gut gelebte Keuschheit sprengt alle Definitionen, „Begrenzungen“ des Menschen. Sie führt uns dazu, uns zu „entkorken“, ganz zu entleeren und zu befreien, um uns einer anderen, stärkeren, helleren Sphäre zu öffnen, der Sphäre des höheren Menschen. Doch nicht im Sinn von Nietzsches „Übermenschen“, der sich mit Eigengewalt selbst befreien und aufbauen will! Keineswegs ist bei uns von diesem Übermenschen die Rede, sondern von dem höheren Menschen des Evangeliums, vom Übermenschen Jesus Christus, in dessen Nachfolge wir stehen. Der geistige Übermensch empfindet sein höheres, inneres Menschsein als reine Gabe, die er demütig als Ergebnis der persönlichen Zuwendung Gottes, als Gnadenspende erlebt. Er weiß sehr genau, dass etwas Anderes als er selbst, etwas Stärkeres und etwas Größeres in ihm Wurzel gefasst hat und zur Blüte gekommen ist.

Sehnsucht nach dem Absoluten

„Der Mensch übersteigt den Menschen unendlich“, sagt Pascal. Der Mensch ist ein Anruf, ein Appell, er hat eine Berufung zu erfüllen, die ihn über ihn hinausführen will. Thomas von Aquin macht gleich zu Beginn seiner „Summa theologica“ die außergewöhnliche Behauptung: „Das natürliche Ende des Menschen ist ein übernatürliches.“

Es muss dem Menschen gesagt werden, dass er nicht ein Wesen der Natur ist, sondern dass sein irdisches Ende einer höheren Ordnung angehört, einer Ordnung, die seine Natur weit, weit übersteigt! Der Baum endet auf natürliche Weise, auch der kleine Vogel in seinen Zweigen. Des Menschen Ziel und Ende ist jedoch ein geistiges, obgleich er wie alle Kreaturen vorübergehend ein Objekt der vergänglichen Natur ist. Sein Ende ist aber nicht Zerfall, sondern Vollendung im höheren Sinn. Doch durch sich selbst vollendet sich der Mensch nicht, sondern nur durch Etwas, das größer ist als er selbst.

Die Jungfräulichkeit ist Zeichen dieser Transzendenz. Sie ist in unserer Berufung der Weg zur Menschwerdung im höheren Sinn. Diese Möglichkeit der Transzendenz lebt jedoch im Herzen eines jeden Menschen als eine stille Bejahung, dass der Mensch den Menschen unendlich übersteigt. Aus seinem tiefsten Innern drängt der Mensch unaufhörlich zum Absoluten. Seine Seele zielt das Unendliche an, sie lebt im Grenzenlosen.

Protest gegen den Glücksbetrug der Konsumgesellschaft

Unsere traurige Konsumgesellschaft hat uns den Horizont menschlichen Lebens verengt. Sie setzt dem Menschen irdisch-alltägliche Ziele, die schnell zu erreichen sind. Wir leben in einer Zivilisation, die dem Menschen ohne Punkt und Komma pausenlos wiederholt: „Mach es Dir bequem – noch bequemer – noch einfacher! Iss, trink und sättige Dich! – Greif zu und genieße! Nimm und verzehre! – Lebe Dich aus! …“

Unser geistliches Leben ist ein lebendiger Protest gegen diese Veräußerlichung und Verfremdung des menschlichen Lebens, gegen diese Glücksillusion, diesen Glücksbetrug. Wir leben im Widerspruch und radikalen Widerstand gegen jenes sündhafte Reduzieren des Menschlichen auf ein reines Verbraucher-Niveau. Das geistliche Leben ist eine Proklamation, dass der Mensch – jeder Mensch – unendlich viel mehr ist als ein leicht zu füllender Leib, dass er unendlich viel mehr braucht, als ihm die animalische Schnellsättigung bringt. Ein Feuer lodert weiter in seiner Seele, ein Durst brennt weiter, den nichts Irdisches zu stillen vermag. Jesus sagt in dem fantastischen Gespräch mit der wasserschöpfenden Samariterin am Jakobsbrunnen: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird es wieder dürsten. Wer aber von dem Wasser trinkt, das Ich ihm gebe, den wird es in Ewigkeit nicht dürsten“ (Joh 4,13-14a).

Rasch und mit Regelmäßigkeit wird sich dein Durst wieder melden, wenn du ihn mit den Wassern der Konsumgesellschaft hinunterspülst. Er wird dich quälen und immer heftiger brennen. Aber von neuem wird er dich dazu verführen, dein Verlangen nach dem Unendlichen mit endlichen Gütern zu betäuben: durch wiederholte Kauf-Euphorien, durch gesteigerte Sex-Befriedigungen, durch noch fernere Reiseziele. Immer wirst du vorübergehend glauben, jetzt deinen Durst gelöscht zu haben und glücklich zu sein. Aber du scheiterst. Der Prozess deiner Enttäuschung nimmt kein Ende, wenn du deinen Blick nicht in die wahre und einzige Richtung lenkst, sondern der Lust die Chance gibst, die Oberhand zu gewinnen.

Der Zölibat dagegen ist der Zustand desjenigen, der seinen immerwährenden Durst akzeptiert und bewusst zu leben versteht. Er weiß, dass sein irdischer Durst nur ein Abbild eines völlig anderen Durstes ist, der nicht mit einem irdischen und damit endlichen Objekt gestillt werden kann. So beschleunigt der Zölibat, der um des kommenden Gottesreiches willen gelebt und zeitweise auch erlitten wird, unser Hineinwachsen in dieses Reich.

Der Glückswert des Zölibats

Manche glauben, dass Gott das Herz eines geistlichen Menschen durch seine himmlische Gegenwart ganz erfüllen und befriedigen werde. Ich glaube nicht daran. Ich möchte hier an einen starken Text des deutschen protestantischen Theologen Dietrich Bonhoeffer erinnern. Er stammt aus seinen Briefen, die er 1943/44 im Gefängnis geschrieben hat: „Es ist nichts, was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann, und man soll das auch gar nicht versuchen; man muss es einfach aushaken und durchhalten; das klingt zunächst sehr hart, aber es ist doch zugleich ein großer Trost; denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden. Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus; er füllt sie gar nicht aus, sondern er hält sie vielmehr gerade unausgefüllt und hilft uns dadurch, unsere alte Gemeinschaft miteinander – wenn auch unter Schmerzen – zu bewahren“ (Dietrich Bonhoeffer: „Widerstand und Ergebung“).

Man täuscht einen jungen Novizen sehr, wenn man ihm beschwichtigend sagt, das Keuschheitsgelübde sei gar kein Problem, denn die Trostspenden Gottes würden bald sein Herz erfüllen, so dass er nichts mehr entbehre … O nein, meine Brüder, die Keuschheit ist schwer zu leben, sehr schwer! Gott füllt unser Herz nicht aus in einer entsprechenden „Gegenleistung“, sondern er belässt es in seiner Leere. Doch müssen wir gut verstehen lernen, dass diese Leere gerade seine Anwesenheit in unserer Wesenstiefe bedeutet; denn sie hat Raum für ihn geschaffen. Die Art und Weise, in der Gott unser Herz erfüllt, ist keineswegs von der Art und Weise einer Frau, die das Herz eines Mannes, den sie liebt, wirklich auszufüllen versteht. Vielmehr höhlt die Gegenwart Gottes den Menschen aus. Indem sie in ihn eindringt, entleert sie ihn ganz und macht ihn frei. Das Glück, das uns Gott zuteil werden lässt, ist von ganz anderer Art, als die Liebe einer Frau, die Trost spendet und unser Herz zum Blühen bringt.

In unseren Tagen hört man viele Begriffe von Glück. Dabei wird es immer in Beziehung gesetzt zur Freiheit der Person und ihrer Entfaltungsmöglichkeit. So fragt man sich verständlicherweise, ob das geistliche Leben und insbesondere das Ordensleben für den Menschen ein Weg zum Glück sein kann, oder ob es durch all diese Verdrängungen eine Wesensverzerrung zur Folge hat. Sind die Priester und Ordensleute glückstrahlende Menschenwesen, oder bei näherer Betrachtung eher trockene Seelen oder gar kranke?

Die Antwort ist einfach. Der Glückswert, den uns das geistliche Leben verschafft, ist von einer vollkommen anderen Ordnung als jener, den wir aus der natürlichen und hedonistischen Weltsicht kennen. Die christliche Freude kann man nicht gleichsetzen mit Freude und Zufriedenheit nach weltlicher Art. Sie bringt uns gerade das Gegenteil, nämlich eine Vertiefung des Verlangens nach Gott. Gott füllt das Menschenherz nicht nach Menschenart, um dessen Verlangen nach ihm zu stillen und jenes wichtige Sehnen zu löschen, sondern um es wachzuhalten! Daher lässt er es leer, er mag die Leere sogar schmerzlich vergrößern, denn er sehnt sich seinerseits danach, dass der Mensch aus dieser Leere ihm entgegenwachse, entgegenreife. In Wahrheit können wir behaupten, dass wir dort, wo wahre Keuschheit gelebt wird, einen Ort des Wunders haben. Da die Keuschheit, von gesunden Männern und Frauen erfolgreich gelebt, menschlich gesehen eine Unmöglichkeit ist, daher ist sie ein Wunder! Gott hat hier Geist und Hand im Spiel und kennt seine Gründe.

Zölibat, Fasten und Gebet

Hier können wir eine Brücke zum Phänomen des religiösen Fastens schlagen. Zwischen dem Fasten und der Erfüllung des Keuschheitsgelübdes besteht eine sehr enge Beziehung. Wer sich eine Fastenzeit auferlegt, akzeptiert einen unbefriedigten Zustand. Er bleibt hungrig und will es bleiben. Er zieht der Sättigung ein gewisses Leid vor, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass es mehr zu suchen gilt, „etwas Anderes“; denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Mt 4,4).

Jedes unerfüllte Sehnen bedeutet für den Menschen Leiden. Doch ist das Wort Leiden ein zu verallgemeinernder Begriff. Besser sollten wir sagen, dieses Sehnen schafft in uns eine bedeutsame Leere und hält uns offen. Wie das Fasten höhlt der Zölibat den geistlichen Menschen aus, er macht sein Herz frei und erweitert seine Seele zum Unendlichen hin. So ist letztlich das Ziel der Keuschheit ein Wachstum unserer Liebesfähigkeit. Das Herz eines keuschen Menschen unterliegt der Berufung zu wachsen, das ist die Folge, und nicht, wie mancher glauben möchte, seine Schrumpfung oder Verhärtung. Würde sich unser Herz durch die gelebte Keuschheit verengen, wäre dies verhängnisvoll. Wir wären verpflichtet, uns so bald als möglich zu verheiraten! … Ist aber die Keuschheit eine Lebensart, durch die sich unser Verlangen und Sehnen vertieft, indem es unser Herz empfänglicher und empfindsamer macht, dann weitet sich auch unser Gesamtwesen aus zum wahren Liebesspender. Das ist das Kriterium. Wir werden die Liebe immer tiefer empfangen und sie immer reicher geben können und uns dabei Schritt für Schritt selbst verwirklichen. Der Geistliche vollendet sich in seiner Selbstüberschreitung, durch den Verzicht und die Entsagung.

Eine weitere Beziehung besteht zwischen Keuschheit und Gebet. „Das Gebet ist die beste Liebesübung, denn es bleibt ohne Antwort“, sagt Saint-Exupery. Sicherlich, denn das Gebet ist reine Ekstase vor einem schweigenden, scheinbar abwesenden Gott. Hier treffen sich der betende und der keusch lebende Mensch im zentralen Punkt – beide üben sich in der entsagenden Liebe. Ich entwickle in mir die Fähigkeit reiner Aufmerksamkeit und wachen Zuhörens. Ich verschenke mich, erwarte aber kein Echo, keinen Dank und keine Erfüllung. Ich versuche, meine Lust nach irdischem Gut zu meistern und meine Sympathien und Antipathien zu überschreiten.

Die Leere, in die wir glaubend hineinbeten, ist der Leere des Fastens und der Keuschheit gleich. Der Betende vollzieht denselben Akt der Selbsthingabe wie der Fastende und wie der keusch lebende Mensch. Auch er akzeptiert eine innere Leere, die sich im Fortlauf der Jahre noch vergrößert. Auch er versteht, dass er ganz zum Gefäß für die göttliche Gnade werden muss, er erfährt und erlebt es. Das wahre Gebet besteht nicht im Auffüllen einer anfänglichen Leere durch interessanten Meditationsstoff oder tiefe Emotionen, sondern ganz im Gegenteil, das Gebet soll im Menschen einen Hohlraum schaffen. Wie oft glauben wir, dass das Gebet den Menschen „erfüllen“ soll, demnach muss man es „anreichern“ mit vielen hohen Gedanken. Welch ein Irrtum! Nein, strecken wir nicht die Hand nach der Frucht der Erkenntnis aus und sättigen wir uns nicht an ihr! Bleiben wir auch hier im Zustand der Erwartung und der Leere, bleiben wir hungrig, offen und arm.

Und hier trifft sich nun alles: Das Phänomen des Gebetes, des Fastens und der Keuschheit. Nennen wir es Armut oder Gehorsam oder Keuschheit, nennen wir es Fasten oder Gebet, denn im Grunde finden wir hier ein und dieselbe Wirklichkeit. Es ist die der vollständigen Entäußerung, und das ist die rechtmäßige Haltung der Kreatur gegenüber dem Schöpfer, gegenüber dem Absoluten. Der Mensch behält sich im wachen Zustand vollständiger Armut und Offenheit gegenüber seinem Schöpfer. Hier findet unser Leben seine innere Einheit, denn all das, wofür wir verschiedene Begriffe gebrauchen und was wir in verschiedenen Weisen leben, drückt nur eine einzige Wahrheit aus: Sie ist einfach und zugleich sehr tief, ich nenne sie den Tod, den Tod unseres „Ego“. Der Tod ist tatsächlich „das Herzstück“ unseres Lebens, er ist unser Kreuz- und Wendepunkt, die Pforte zum höheren Menschsein. Priester und Ordensleute sind gekreuzigte und sich selbst gegenüber abgestorbene Menschenwesen. Sie haben die Todeserfahrung bereits gemacht, indem sie auf ein „erfülltes Leben“ verzichtet haben. Durch ihren freiwilligen Tod leben sie jenseits des Todes, jenseits aller weltlichen Existenz, sie leben schon im Gottesreich und geben davon Zeugnis. In der Nachfolge Christi sagen sie: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36). Seien wir uns bewusst, dass wir durch unsere Lebensweise Zeugnis von der kommenden Welt geben. Man muss noch weiter gehen und sagen, dass der Zustand der Jungfräulichkeit nicht nur das kommende Reich ankündigt, sondern es praktisch vorbereitet und zeitlich sein Kommen beschleunigt.

Die Fruchtbarkeit der Jungfräulichkeit Mariens

Wir nennen Maria „Gottesmutter“. Aber klingt es nicht blasphemisch, ein Geschöpf die Mutter ihres Schöpfers zu nennen?

Gerade hier offenbart sich uns eine fundamentale Wahrheit. Die Beharrlichkeit, mit der die Kirche seit dem Konzil von Ephesus den Titel „Gottesmutter“ verteidigt hat, lässt uns erahnen, dass es sich hier um ein sehr wesentliches Dogma innerhalb der christlichen Mysterien handeln muss. Maria war sich als kreatürliches, d.h. erschaffenes Wesen ihrer Nichtigkeit neben dem Schöpfer vollkommen bewusst. Sie hatte die tiefste Form der Demut erreicht, so dass Gott selbst in ihrem Innersten gezeugt werden und real aus ihrem Wesen heraustreten konnte: „Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lk l,47-49a).

Diese Brunnentiefe innerer Leere und Armut steht in direkter Beziehung zu ihrer Jungfräulichkeit. Maria verwirklichte in ihrer Person den Zustand der Jungfräulichkeit im wahrsten und reinsten Sinn, im höchsten und umfassendsten Maß, so dass sich in ihr ein unbegrenzter Raum bilden konnte, der sie schließlich zum Empfangsgefäß werden ließ – weit und tief genug für die Gottheit selbst. Dann konnte sie der Welt Gott in Menschengestalt gebären. Weil Maria Jungfrau war, deshalb ist sie Gottesmutter.

Wie eng ist doch die Jungfräulichkeit mit dem Fruchtbarkeitsbegriff verbunden! Jungfräulichkeit bedeutet jenen Zustand, in dem sich das reine Verlangen zu solcher Intensität verdichten kann, dass es am Ende sein Objekt „erschafft“. Ein Wunschobjekt tiefster Sehnsucht wird Wirklichkeit, wird gezeugt aus den Tiefen eines sich sehnenden Wesens. Dies geschah bei Maria. Gott ist aus dem tiefsten Grund eines sich sehnenden jungfräulichen Herzens heraufgeblüht – als eine Antwort. Jedes echte Sehnen hat Schöpfermacht. Wahre Sehnsucht bildet an ihrem Objekt, sie schafft, gestaltet und verwirklicht es. Das ist das Wunder des reinen Verlangens, dass es fruchtbar ist!

In der Geschichte Israels beobachten wir dasselbe Phänomen. Die ganze Geschichte des israelitischen Volkes ist nichts anderes als ein langer Weg sehnsuchtsvoller Erwartung. Diese konzentrierte, zielgerichtete, geistige Sehnsucht wuchs und stieg und verdichtete sich bis zur tatsächlichen physischen Ankunft des Messias. Der gesamte Psalmenschatz sowie alle Prophetenvisionen liegen auf dieser Linie. Sie spiegeln die Erwartung wider, die sich während des babylonischen Exils noch einmal verstärkte. Damals brachte das Volk Israel das Geschlecht der „Armen Jahwes“, die Anawim, hervor.

Eines Tages erreichte deren Sehnsucht ihren Höhepunkt – sie konzentrierte sich in der reinen, schlichten Seele der kleinen Maria, der Letzten im Geschlecht der „Armen Jahwes“, Erbin einer tausendfachen Erwartung! Die Menschheit hatte sich im Herzen Mariens einen Hohlraum geschaffen, der groß, tief und rein genug war, um Gott „magnetisch anzuziehen“. Er beantwortete diese Vollkommenheit reinen Verlangens. Er selbst, seine Gegenwart, kam und nahm Raum ein in diesem kleinen Menschenkind Maria: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Ergebnis der Armut, der Leere, des reinen Verlangens! In dem jungen Mädchen Maria hatte sich das irdische Gefäß für die göttliche Anwesenheit in unserer Welt herangebildet. Nichts anderes hätte dieses Verlangen stillen können als nur Gott allein. Unwiderstehlich angezogen von einem jungfräulichen Herzen trat Gott bei uns ein. Das ist das Wunder der Inkarnation, das ist das Wunder unserer Menschheit, die sich in einem Mädchen Raum geschaffen hatte durch das reine Verlangen nach dem Unendlichen, nach dem Absoluten, nach dem Einzigen.

Wegbereiter der Parusie

Gelebte Jungfräulichkeit ist ein ständiger Anruf an Gott. In Maria finden wir diese existentielle und intime Beziehung von Ursache und Wirkung, d.h. von der Jungfräulichkeit eines Menschen und der Inkarnation Gottes in ihm. Für uns Geistliche heute gilt nichts Geringeres. Wir sind das neue Gottesvolk, die neuen „Armen Jahwes“, in denen die Menschheit fortfährt, ihren Brunnen zu graben. Denn eines Tages wird sie an der Quelle ihres wahren Verlangens stehen und Erkenntnis gewinnen.

Maria ist Symbol und Vorbild dessen, was wir „Kirche“ nennen und was wir als deren Vollendung glaubend erhoffen:

1. Maria ist Jungfrau. Auch die Kirche nennen wir Jungfrau.

2. Maria wurde Gemahlin des Heiligen Geistes am Tage der Verkündigung. Auch die Kirche wurde Gemahlin des Heiligen Geistes am ersten Pfingsttag.

3. Maria wurde Gottesmutter durch die Inkarnation. Ist nicht auch die Kirche im tiefsten Sinn dazu berufen, Gottesmutter zu werden – in der Parusie?

Wir Geistliche verwirklichen durch unsere Berufung als Gottgeweihte auf bevorzugte Weise die Wesensessenz der Kirche und ihre Mission. Durch unsere Lebensart verkünden und prophezeien wir das kommende Reich und bereiten die Wiederkehr Jesu vor, den Tag seiner zweiten und letzen Inkarnation „am Ende der Zeiten“. Dann wird Jesus Christus „alles in allem“ sein.

Sehen wir die Parallele zum Geschlecht der „Armen des Jahwe“, dessen reines Verlangen über Generationen herangereift war, um schließlich in der Inkarnation Jesu zu erblühen und sich zu erfüllen? Jesus Christus hinterließ uns den Geist der Kirche, und wir Gottgeweihte, die wir in seinem Dienst stehen, sind das zweite Geschlecht, das sich über Generationen in seinem reinen Verlangen entwickelt, um eines Tages aufzubrechen und alle Menschen mitzunehmen in die Parusie. Unser geistliches Leben muss durch sein Beispiel in der Menschheit jenen notwendigen Hohlraum schaffen, von dessen Grund her Gott erneut hervorbrechen kann. Die Menschheit muss ein Gefäß der Armut werden und des reinen Verlangens. Unsere Funktion als Geistliche besteht darin, der Menschheit diesen steilen Weg zu bahnen, sie in ihrer geistigen Sehnsucht zu unterweisen und ihr das reine Verlangen vorzuleben, so dass derjenige, der uns versprach wiederzukommen, endgültig aus dem Menschengeschlecht hervortreten kann, diesmal aus dem Leib der Gesamtmenschheit. Das ist gemeint mit dem Begriff „die Erfüllung der Zeiten“. Die Jungfräulichkeit Mariens war der Grund der ersten Inkarnation, die Jungfräulichkeit der Kirche wird der Grund der zweiten und endgültigen Inkarnation sein, „wenn sich alles erfüllt“.

Die Logik des Neuen Testaments

Die hl. Katharina von Siena fragte: „Ist uns die unbegrenzte Wirkkraft der Sehnsucht bewusst?“ Und von Teilhard de Chardin stammt das Wort: „Durch eine Akkumulation der Weltsehnsucht wird die Parusie zum Durchbruch kommen.“ Wenn eines Tages die menschliche Demut siegt, indem sich die Menschen endlich ihre Ohnmacht gegenüber dem Göttlichen eingestehen und diese bekennen, wenn die notwendige Armut und Leere des menschlichen Herzens sich im reinen Verlangen zum Höchstmaß verdichtet hat, dann wird Gott „unwiderstehlich“ von uns angezogen werden, er wird „gezwungen“ werden zu handeln und dann wird er kommen! Darin erfüllt sich das spirituelle Gesetz: Ohnmacht und Schwäche wandeln sich in Allmacht, Armut und Leere in Reichtum. „Selig die Armen ..., selig die Trauernden ..., selig, die hungern und dürsten ... selig, die ihr jetzt weinet...!“ (Bergpredigt, Mt 5, vgl. Lk 6).

Wenn wir all das bisher Gesagte mit unserem Verstand und mit unserem Herzen durchdenken, dann geht uns die tiefe Logik des Neuen Testaments auf wie ein herrliches Licht! Das Magnifikat Mariens (Lk 1), die Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5, Lk 6), das Gespräch zwischen Jesus und der Samariterin am Brunnen (Joh 4) sowie alle parabolischen Lehrstücke Jesu fließen zu einer Einheit zusammen, zu einem logischen Ganzen, wo immer die Leere und Armut im menschlichen Bereich die Fülle Gottes herbeirufen. Das ist die Dialektik von Leere und Fülle, von Armut und Reichtum, von Ohnmacht und Allmacht.

Auch wir Priester und Ordensleute verharren in der Haltung der ausgebreiteten Arme und des verlangenden Herzens durch unsere Schwäche im weltlichen Sinn. Wir verzichten darauf, uns zu sättigen und zu genießen, zu umarmen und besitzen zu wollen. Wir alle wissen, wie schwer dies zu gegebener Stunde und auch im Allgemeinen ist. Diese Haltung steht im krassen Gegensatz zu allem weltlichen Tun und Treiben und zu jener natürlichen Glücksvorstellung, die ja gerade darin besteht, mit beiden Händen nach einem Schatz zu greifen oder mit beiden Armen eine Frau an sich zu ziehen. Wir entsagen. Wir wollen auf diesen Besitz verzichten. Wie unser Meister am Kreuz halten wir unsere Arme ausgebreitet, geben wir uns preis wie er, opfern und warten.

Diese seelische Einstellung ist der Kern unseres geistlichen Lebens und ein Teil der Welt hat unsere Botschaft recht gut verstanden. Es gibt nicht wenige, die unsere Lebensweise dankbar willkommen heißen als eine Kampfansage an die Übersättigung der heutigen Gesellschaft und deren sinnlose Vergötterung von Besitz und Genuss.

Der Gottgeweihte ist dazu berufen, ein Mensch für alle zu werden, ein Mensch, der es versteht, seine Subjektivität, seinen natürlichen Egoismus und sein allzu persönliches Interesse langsam abzubauen, und der sich stattdessen hingibt und opfert. Nur so kann er sich in der wahren Güte und Empfindsamkeit und in der wahren Kommunion mit den Menschen vervollkommnen. In dem Maß, als wir es fertig bringen, in uns einen solchen Zustand zu schaffen, den ich „die Blume der Liebe“ nenne, legen wir Zeugnis ab vom Reich, das kommen wird. Durch unser Beispiel bringen wir die geistige Menschheitsentwicklung voran und bahnen ihr den Weg zum Endziel. Dieses Wunder der Entsagung bedarf unsererseits einer radikalen Selbstbesinnung und unserer immerwährenden Neubekehrung. Bitten wir im Bewusstsein unserer Demut den Herrn, uns dabei zu helfen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Problematik der Homosexualität bei Priestern

Am 4. November 2005 veröffentlichte die Kongregation für das Katholische Bildungswesen ein Dokument zum Thema „Homosexualität und Weiheamt“, das hohe Wellen schlug. Darin wird „mit aller Klarheit festgestellt“, „dass die Kirche – bei aller Achtung der betroffenen Personen – jene nicht für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zulassen kann, die Homosexualität praktizieren, tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine so genannte homosexuelle Kultur unterstützen“. Am 22.11.2005 erschien dazu ein umfangreicher Kommentar des niederländischen Psychologen Dr. Gerard J.M. van den Aardweg. Nachfolgend eine gekürzte Fassung dieser Ausführungen eines Psychotherapeuten, der uns als ausgewiesener Fachmann und Autor mehrerer Publikationen einen aufschlussreichen Einblick in die Problematik gewährt und mit der derzeitigen Situation der Kirche hart ins Gericht geht.[1]

Von Gerard J.M. van den Aardweg

Letztendlich konnten die amerikanischen Skandalfälle, in denen Priester Jugendliche und sogar Kinder missbrauchten – zur Erinnerung: in 20 Prozent der Fälle waren die Opfer im Kindesalter, vorwiegend Burschen – nicht mehr verheimlicht werden; es ist offensichtlich ein Gesetz der heutigen sozio-psychologischen Situation, dass solche Praktiken unbeirrt und ungehindert fortgesetzt werden können, bis die kirchlichen Autoritäten angesichts des Drucks der öffentlichen Meinung schließlich handeln müssen. Das ist aber kein spezifisch amerikanisches Phänomen; wir mussten es mehrmals in Holland und anderen europäischen Staaten beobachten, betroffen waren mehrere prominente Priester und einige Male sogar Bischöfe.

Problem nicht mit dem Mantel der Nächstenliebe zudecken

Tatsächlich wussten alle Beteiligten schon lange Zeit, was vor sich ging und wie es irgendwann einmal enden würde, aber jene Priester, die ihre Bischöfe diskret warnten, oder jene Seminaristen, die in ihren Seminaren darauf hinwiesen, wurden für gewöhnlich zum Schweigen gebracht, selbst verdächtigt oder eingeschüchtert. Auch heute noch werden die Aufarbeitungen solcher Fälle meist nur halbherzig betrieben und gleichzeitig von den Medien hochgespielt; dabei wird – mit wenigen lobenswerten Ausnahmen – eine generelle Pflichtverletzung der Bischöfe und ihrer Berater offensichtlich. Aber leider, leider... hier steht viel mehr auf dem Spiel – als bloße Pflichtverletzung bzgl. der ominösen „Homosexualisierung“ in der Kirche.

Daher darf dieses Problem nicht mit dem Mantel der Nächstenliebe zugedeckt werden. Je früher diese Fäulnis in ihrem ganzen Umfang und mit all ihren Hintergründen offengelegt ist, desto eher kann ein Erneuerungsprozess einsetzen. Natürlich sind diese Skandale Wasser auf die Mühlen der antikatholischen Medien, und natürlich wird auch viel Unsinn berichtet. Der Zölibat wird dafür verantwortlich gemacht, oder das offizielle Verbot „natürlicher“ homosexueller Beziehungen, wodurch homosexuelle Priester quasi beinahe dazu gezwungen würden, ihren unnatürlich aufgestauten Emotionen auf diese Art einen Ausgleich zu verschaffen. Völliger Unsinn! Ein normaler Mann, der den Zölibat nicht ertragen kann, sucht sich eine Frau seines Alters, nicht Jugendliche oder gar Kinder (und auch nicht viel jüngere oder ältere Frauen, wie es manchmal vorkommt und was ebenfalls Zeichen einer psychologischen Unreife ist). Auch stimmt es nicht, dass Homo-Priester außer diesen angeblichen „Notkontakten“ mit ihren Missbrauchsopfern keine weiteren sexuellen Kontakte innerhalb kirchlicher Kreise oder in der Gay-Subkultur suchen.

Die unverkürzte kirchliche Sexuallehre einfordern

Für die meisten Mitglieder der Kirchenhierarchie gibt es keine Entschuldigung. Sie zogen es vor, die Warnzeichen zu ignorieren, die wirklich offensichtlich waren, und vielleicht erschien einigen von ihnen die Sache auch einfach nicht wichtig genug. Diese Apathie entstand, weil die Mehrheit der westlichen Bischöfe jahrelang versäumte, die unverkürzte kirchliche Sexuallehre zu verkünden, zu ihr zu stehen und ihre Befolgung auch konsequent einzufordern. Wie konnten sie, die für die Ausbildung der Priester und auch für deren Supervision („Episkopat“ kommt von griech. „epi-skopein“, inspizieren) verantwortlich sind, die Situation rund um homosexuelle Priester und Seminaristen ordentlich in den Griff bekommen, wenn sie selbst die moralische Wahrheit zu Ehe und Sexualität nur in Einzelfällen und ohne große Begeisterung verkündeten; wenn sie oftmals nur vage und ambivalente Worte zur Abtreibung fanden; wenn sie handelten und handeln, als ob Humanae Vitae und Evangelium Vitae für einen anderen Planeten gemeint wären? Tatsächlich trifft das auch auf viele zu, die als rechtgläubig angesehen werden. Und das, obwohl Paul VI. mit seiner Enzyklika allen Bischöfen auftrug: „Setzt euch, an der Spitze eurer Mitarbeiter, der Priester, und eurer Gläubigen restlos und unverzüglich ein für Schutz und Heiligkeit der Ehe; dafür, dass damit das Leben in der Ehe zu menschlicher und christlicher Vollendung kommt. Das sollt ihr als die größte und verantwortungsvollste Aufgabe ansehen, die euch heute anvertraut ist“ (aus: HV 30).

Hier geht es nicht um Kleinigkeiten: Die Lehre über die Geburtenregelung, ein Eckpfeiler der christlichen Ehe, ist göttliches Gesetz (HV 20: Möglichkeit der Beobachtung des göttlichen Gesetzes). Viele, vor allem westliche Bischöfe, Ordensleiter und Moraltheologen interessierten sich nicht besonders für das göttliche Gesetz, aber dafür umso mehr für den humanistischen Zeitgeist. Anstatt die Ehe zu schützen, die Menschen von der künstlichen Verhütung abzubringen und ihnen mit aller Kraft beizustehen, ihr Ehe- und Sexualleben nach Gottes Willen zu gestalten, ließen sie jedermann nach seinem Willen handeln; ihre Herde, ihre Seminaristen und ihre Priester. Vermutlich lehren die meisten rechtgläubigen westeuropäischen Seminare den Buchstaben der kirchlichen Ehemorallehre korrekt, aber dennoch ohne feste Überzeugung; und falls ein Priester mit dieser Ausbildung in seiner Pfarre diese Lehren konsequent vertritt, wird er kaum ernst genommen. Für die Mehrzahl von ihnen ist das aber gar kein relevantes Thema.

Die Vergangenheit zeigt, dass die Einführung der künstlichen Geburtenregelung mit einem erhöhten Auftreten von homosexuellem Verhalten eng gekoppelt ist. Als vor ca. 50 Jahren mit der Einführung der „Pille“ die Trennung von normaler heterosexueller Aktivität und dem Ideal ehelicher Treue und Offenheit für Kinder möglich, legitim und schließlich sogar zu einer Art von Verpflichtung wurde, kam plötzlich die Homosexualität groß heraus. Der gleiche Prozess fand auch innerhalb der Kirche statt; als die Priester und Bischöfe künstliche Verhütungsmethoden tolerierten und implizit sogar verteidigten, eröffneten sie damit einen Weg für eine schnelle Homosexualisierung des Klerus. Skandale um homosexuelle Priester sind tatsächlich vor allem in Diözesen mit einem überdurchschnittlich hohen Grad an offener oder verborgener Ablehnung von Humanae Vitae festzustellen.

Aber lehramtstreue Bischöfe können inzwischen Skandale dieser Art nicht mehr verhindern, wenn sie passiv bleiben und nicht sicherstellen, dass ihre Priester die gottgegebene Sexuallehre vertreten, sie selbst befolgen, sie predigen und zu allen Gelegenheiten konsistent lehren. Die bekannten Beispiele sollten eine Warnung vor der Illusion sein, dass in als rechtgläubig bekannten Diözesen alles in Ordnung ist. Die humanistische Ideologie macht schließlich nicht an den Pforten rechtgläubiger Institutionen halt.

Eine sehr vorsichtige Schätzung lautet, dass 10 Prozent der westeuropäischen Priester in irgendeiner Form homosexuell orientiert sind, aber an manchen Orten sind es vermutlich doppelt so viele. In der gesamten erwachsenen Bevölkerung sind es kaum mehr als 2 Prozent. Hier ist ohne Zweifel etwas falsch gelaufen.

Problematischer Einfluss homosexueller Priester

Na schön – was ist denn nun so problematisch mit homosexuellen Priestern und Mönchen, mit Homo-Diakonen, homosexuellen und lesbischen Laien in zentralen kirchlichen Funktionen, und lesbischen Nonnen (wobei letztere derzeit kaum Teil der Debatte sind, aber durchaus adressiert werden müssten)? Priester und andere geweihte Personen mit dieser Neigung können einen moralisch verwerflichen Einfluss ausüben, manchmal offensichtlich, manchmal verborgen, nicht selten sehr subtil; sei es in bester Absicht oder nicht, naiv oder nicht.

Sobald einmal ein Priester oder Seminarist für sich selbst festgelegt hat, dass Homosexualität in Ordnung ist, kann man erwarten, dass er diesen homosexuellen Lebensstil verteidigt und oftmals mit missionarischem Eifer für berechtigt erklärt, offen oder verborgen. Es ist offensichtlich, dass er damit die ganze Lehre von gesunder Sexualität und Ehemoral in Frage stellt. Das bedeutet aber nicht, dass ein Priester oder Kirchenfürst mit homosexueller Neigung, wenn sie auf jeglichen homosexuellen Kontakt verzichten und ganz rechtgläubig sein wollen, in der Lage wären, Humanae Vitae und alles damit verbundene wirklich zu verstehen oder tief in ihrem Inneren dieser Lehre voll zuzustimmen.

In der Praxis wird ein solcher – ehrlich um Treue zur Lehre bemühter, aber homosexuell orientierter – Geistlicher zumindest gelegentlich ein gewisses Maß an Ambivalenz bezüglich (der kirchlichen Lehre widersprechendem) sexuellem Verhalten zeigen, einschließlich homosexuellen Beziehungen. Viele rechtgläubige holländische Katholiken mussten kürzlich mit Schmerz ein Zeitungsinterview von P. Antoine Bodar zur Kenntnis nehmen, in dem dieser rechtgläubige Priester von nationalem Ansehen erkennen ließ, wie ein Priester von diesen Gefühlen in seinem Inneren gespalten sein kann. Einerseits erklärte er, dass Homosexualität eine Abweichung von der Normalität sei und er selbst es bevorzugen würde, normal zu sein. Andererseits erzählte er ohne Bedauern von seinen früheren Liebesbeziehungen; sie seien ehrlich und ernst gewesen, und als er seine letzte Beziehung abbrach, um Priester zu werden, war es für ihn weder eine Konversion noch ein Bruch mit der Sünde. (Man vergleiche das mit den Aussagen des hl. Augustin nach seinen heterosexuellen Affären!)

Daher, so P. Bodar: „Wenn wir einander lieben – also auch dann, wenn wir einander umarmen und mehr – kann ich nicht sehen, was daran falsch sein soll.“ Einem Homo-Paar, das niemanden provoziert, würde er zweifelsohne die heilige Kommunion spenden. Wie meint er weiter: „Gott ist kein Geizkragen.“ Wie kann jemand mit solchen seltsamen und widersprüchlichen Ideen beispielsweise katholische Ehemoral lehren oder Gewohnheiten im Einklang mit Humanae Vitae im Eheleben und bei der Ehevorbereitung seiner Schäfchen aufbauen? Wie will er den wahren Wert von Keuschheit darstellen und erklären? Dieses Beispiel zeigt, wie respektierte und teils sogar bewunderte Priester mit homosexuellen Neigungen ohne Absicht die Gläubigen in die Irre führen können; dieser Mann hat sich zu seiner Haltung bekannt, viele andere tun das nicht.

Mangel an Einfühlungsvermögen für Verheiratete

Die moralische Rechtgläubigkeit dieser Priester, Diakone, Pfarrer, protestantischen Pastoren, Moraltheologen und führenden Laien ist vordergründig und intellektuell, ohne jedoch vollständig in ihre Persönlichkeit und ihr Gefühlsleben integriert zu sein. Oft haben sie nur ein oberflächliches Verständnis der Liebe zwischen Mann und Frau und ihrer erotischen Dimension. Es handelt sich also um einen Defekt. Gewiss, heterosexuelles Empfinden impliziert nicht notwendigerweise psychologische Reife in nichtsexuellen Belangen; aber im Allgemeinen haben heterosexuelle Männer und Frauen (ohne heterosexuelle Anomalien) normale Männlichkeit respektive Weiblichkeit, haben normale männliche und weibliche Identifikation.

Von Homosexualität betroffene Personen können diese volle Männlichkeit oder Weiblichkeit nicht erreichen, sie bleibt auch im besten Fall unvollständig. Daher führt eine rein sexuelle Betrachtung der Homosexualität zu Fehleinschätzungen, wenn man sie auf Priesterschaft und andere kirchliche Funktionen bezieht. Es geht nicht nur darum, ob der Priesteramtsanwärter ein Leben in Enthaltsamkeit führen könnte.

Auch wenn diese letztgenannte Bedingung wichtig ist – auch in Anbetracht der Tatsache, dass homosexuelle Empfindungen tendenziell deutlich stärker obsessiv und dominierend wirken als heterosexuelle Empfindungen – muss man einiges mehr bedenken. Homosexuelle Sehnsüchte sind keine isolierten Triebe, sondern Symptome eines Gesamtdefizits in der emotionalen Entfaltung einer Person zu voller Männlich- bzw. Weiblichkeit. Das ist kein untergeordneter oder nebensächlicher Aspekt der Psyche. Mann oder Frau zu sein ist Teil der Substanz unserer geistigen Natur, Teil unserer persönlichen Identität. Aus dieser essentiellen Dimension des Daseins entstehen Beziehungen der eigenen Person zu anderen: zu Erwachsenen des eigenen und des anderen Geschlechts und zu Kindern.

Ein Mann, der sich nicht wie einer der anderen Männer fühlen kann oder Frauen nicht aus seiner psychologischen Männlichkeit heraus verstehen und zu ihnen Beziehungen aufbauen kann, der leidet an einer ernsthaften Blockade in der Mensch-Mensch-Kommunikation. Das kann man nicht zufriedenstellend durch einfühlsames oder freundliches Benehmen kompensieren, ebenso wenig durch verschiedene Rollen wie mitfühlendes Auftreten, oder – recht beliebt – das Darstellen des „lieben kleinen Jungen für seine Mutter“ in der Begegnung mit Frauen.

Ich stimme der Formulierung von Bischof Andreas Laun (Salzburg/Österreich) zu, einem Mann, der Menschen mit homosexuellen Problemen liebevoll und realistisch zu helfen versucht: „Kandidaten für das Priesteramt sollen ausgeglichene heterosexuelle Männer sein. Das ist eine unverzichtbare Bedingung für einen sehr guten Kontakt mit Verheirateten und jenen, die sich auf die Ehe vorbereiten.“

Defizit an Belastbarkeit und väterlicher Führungskraft

Unreife Männlichkeit manifestiert sich auch in der Vaterschaft, in der Rolle des Vaters. Ein durchschnittlicher Homo-Priester ist charakterologisch zu schwach, um die stärkeren und härteren Aspekte der Vaterschaft zu verkörpern: wenn nötig, eine feste, konsequente Führungsrolle zu übernehmen, zu korrigieren, zu erziehen und seine Autorität einzusetzen. Es scheint, dass Priester und Bischöfe, die zugleich eine freundliche und väterliche Haltung und auch noch maskuline und feste Züge haben, in der Minderheit sind. Umso mehr sollte man diesen Punkt stärker bei der Auswahl von Priesterstudenten und sicherlich Bischöfen berücksichtigen.

Die genannten Persönlichkeitsdefizite sind eng verbunden mit der inhärenten emotionalen Instabilität oder neurotischen Natur einer homosexuellen Orientierung. Wir können hier nur einige zentrale Wahrheiten über Homosexualität aufzeigen: Sie ist ein geschlechtlicher Minderwertigkeitskomplex, eine Art neurotischer Unreife oder psychischen Infantilismus/Puerismus aus einem unbalancierten Verhältnis zwischen Eltern und Kind oder zwischen Geschwistern und aus einer fehlgeschlagenen Anpassung an die Welt der gleichgeschlechtlichen Altersgenossen. Sie stammt aus Kindheitstraumata ebenso wie aus defektiven Verhaltens- und emotionalen Gewohnheiten.

Homosexuelle Anziehung bleibt bestehen, solange die betroffene Person sich nicht vollständig von den tiefsitzenden Neigungen zu kindlichen und juvenilen Gefühlen, Ansichten und Gewohnheiten befreien kann (so wie mit anderen neurotischen Zuständen). Seit einigen Jahrzehnten gilt es als unmoralisch, das Kind beim Namen zu nennen, d.h. auf die offensichtliche inhärente neurotische Natur einer sexuellen Devianz wie Homosexualität hinzuweisen. Diese neurotische Natur der Homo-Neigung hat wichtige Auswirkungen sowohl auf das private als auch berufliche Umfeld der Betroffenen.

Eine solide holländische Studie (Universität Utrecht, 2001) z.B. zeigt auf, dass zwei Drittel der Homosexuellen – viel mehr als Heterosexuelle – Phasen von mentalen Zusammenbrüchen und Depressionen erleben, Angstzustände zeigen, psychosomatische Probleme haben, usw. Dieses Bild erkennt man bei Homo-Priester wieder. Offiziell sollen wir glauben, dass alles, was dem sozialen Image von Homosexuellen irgendwie schaden könnte, als Diskriminierung zu verurteilen sei. Dennoch müssen jene, die diese oberflächlichen Erklärungen glauben, zur Kenntnis nehmen, dass Menschen mit homosexuellen Tendenzen ein größeres Risiko von Problemen im Beruf und in ihren sozialen Kontakten haben – emotionale Unruhe, Unreife, Neigung zu Depressionen, paranoide Tendenzen, Übersensibilität oder exzessive Selbstzentriertheit.

Homosexuelle Netzwerke und Hierarchien

Priester, Diakone und andere Geistliche mit homosexuellen Neigungen sind hier keine Ausnahme. Oft machen ihre inneren Spannungen und Frustrationen sie unfähig, die Anstrengungen des pastoralen Dienstes, die Feindseligkeiten, Enttäuschungen und Einsamkeit zu ertragen.

Diese Gefahr ist umso größer, wenn ein Mann diese erotische Neigung als Ausdruck einer besonderen Fähigkeit zur Sensibilität seiner speziellen Natur oder emotionalen Veranlagung versteht; oder wenn er frustriert oder in innerer Rebellion den Kampf aufgibt. Unverbesserliche Homosexuelle haben manchmal ein besonderes Charisma, mit dem sie in der Gesellschaft rasch aufsteigen; ähnliches gilt auch für die Kirche. Wie überall bilden auch in der Kirche jene, die ihre homosexuellen Tendenzen nicht bekämpfen, kleine oder größere informelle Netzwerke, „Cliquen“. Die Mitglieder solcher Cliquen helfen sich dann gegenseitig, z.B. mit Privilegien oder Jobs.

Vor einem Jahr veröffentlichte der Jesuit Stefan Kiechle, ein Novizenmeister in Nürnberg, seine diesbezüglichen Erfahrungen. Er sagte, dass in mehreren deutschen Seminaren und Orden homosexuelle Hierarchien existieren, die wie alle lichtscheuen geschlossenen Gesellschaften die anderen in ihrer Gemeinschaft von sich abhängig machen.

Das sind Tumore, die eine echte Gemeinschaft vereiteln und normale Männer abstoßen. Abgesehen davon werden manchmal normal heterosexuelle Priesterstudenten in so einer Gemeinschaft ausgegrenzt. Das, was Kiechle beim Namen nannte, ist trotz gewisser Maßnahmen der letzten Zeit immer noch keine seltene Ausnahme. Mir stehen zuverlässige Informationen zur Verfügung, denen zufolge die Situation in gewissen europäischen Klöstern genauso aussieht. Und es gibt Diözesen, wo das schattenhafte homosexuelle Netzwerk seine Fäden bei der Bestellung und Ernennung ziehen kann; die Entfernung einzelner Personen aus ihrer Verantwortungsposition bedeutet nicht unbedingt, dass damit schon die Strukturen ausreichend bereinigt sind.

Zwischen Karrierestreben und Flucht vor pastoraler Mühe

Der brasilianische Priester Gino Nasini schrieb seine Doktorarbeit in Pastoralpsychologie (2001) über das Verhalten von offen homosexuell lebenden Priestern. Seine Beobachtungen könnten auch aus Europa stammen. „Normalerweise,“ so meint ein von Nasini zitierter brasilianischer Priester und Psychologe, „werden diese Priester von ihren Kollegen als intelligent, sehr kreativ und effektiv beschrieben. Sie beeindrucken die Leute. Sie wissen, wie man andere für sich gewinnt, denn sie sind meistens einfühlsam und unterwürfig. Andererseits agieren sie unehrlich, selten ohne versteckte Intentionen, und ihre innere Unzufriedenheit, ihre emotionale Frustration und fehlende Selbstkontrolle sind offensichtlich. Durch ihr sexuelles Verhalten wollen sie eine innere Leere füllen.“ Nasini fasst zusammen: „Sie beeindrucken in ihrer spirituellen und meditativen Art, mit femininen Gesten und einer Tendenz zur Passivität... Sie sind sehr gut informiert und sehr einflussreich. Sie hofieren gern die Mächtigen, spielen ihrer Umgebung etwas vor, und täuschen.“

Und: „Mehr von Impulsen als von Vernunft geleitet, setzen manche ihre homosexuellen Beziehungen unter den Augen ihres Bischofs fort, bis sie an AIDS sterben. Unter den Homo-Priestern gibt es eine zunehmende Gruppenbildung, die vom Streben nach kirchlichen Karrieren und wirtschaftlicher Macht gekennzeichnet ist: reiche Pfarren.“ Nasini beschönigt nicht, aber zu Recht, denn die Augen jener, die sie lieber geschlossen halten würden, müssen geöffnet werden. Besonders kritisch ist es, wenn Homosexuelle in der Kirche Karrieren anstreben, denn manchmal gelingt dieses Unterfangen, und es tauchen homosexuelle Bischöfe oder andere zentrale Figuren in hohen kirchlichen Positionen auf. Solche Ambitionen stammen aus einem neurotischen Bedürfnis nach Selbstbestätigung, Narzissmus, und von einer Flucht vor den Mühen und Plagen der täglichen pastoralen Arbeit, der sich einige dieser Männer aufgrund ihrer Persönlichkeitsdefekte und Charakterschwächen nicht gewachsen fühlen.

Die von Nasini studierten Homo-Priester gehören freilich zu der „schlimmsten“ Kategorie, und von Mitgliedern dieser Gruppe darf man nicht auf jene Priester schließen, die in Enthaltsamkeit zu leben versuchen. Allerdings gibt es aufgrund der oben erwähnten Erfahrungen kaum Gewissheit, dass diese bemühten Männer auf Dauer bestehen können. Man hört selten, wenn überhaupt, von einem Homo-Priester oder Seminaristen, der in der Nachfolge des hl. Augustin offen und demütig seine früheren homosexuellen Aktivitäten bereut und seine innere Umkehr bezeugt, selbst wenn seine homosexuelle Vorgeschichte ein offenes Geheimnis gewesen ist.

Ernsthafte Prüfung der Echtheit von Berufungen

Meine Schlussfolgerung ist daher, dass es höchst ungünstig wäre, Männer mit homosexuellen Gefühlen in das Priesterseminar, das Priesteramt oder andere kirchliche Funktionen zuzulassen. Das Risiko, der Kirche und den Gläubigen zu schaden, ist einfach zu groß, und die betroffenen Personen setzen sich großen inneren Gefahren und Konflikten aus, aus denen sie nicht mehr entkommen könnten.

Welche Kriterien kann man bezüglich Homosexualität anwenden, um eine echte Berufung zur Priesterschaft, zu niedrigeren kirchlichen Funktionen, oder zum gottgeweihten Leben zu erkennen? So wie es echte und falsche Mystik gibt, gibt es auch echte und falsche Berufungen. Persönlichkeitsdefekte oder Behinderungen sind bekannte Gründe, die Echtheit einer Berufung in Frage zu stellen. Was einer solchen Person oftmals den subjektiven Eindruck einer Berufung vermittelt, dürfte in Wahrheit aus der Unfähigkeit stammen, das Leben zu meistern, oder aus anderen Formen von Unreife oder unausgeglichener Persönlichkeit. Weiche, „sanftmütige“ oder feminine Männer mit unterentwickelter Maskulinität können sich besonders von der Priesterschaft angezogen fühlen und sind dort daher unbestreitbar überrepräsentiert. Männer mit homoerotischen Empfindungen (und mit anderen infantilen erotischen Fixierungen wie Pädophilie) müssen dieser generischen Kategorie zugerechnet werden. Der beste praktische Leitfaden scheint zu sein, homosexuelle Tendenzen als Zeichen für eine unechte Berufung zu betrachten und diese Annahme nur beim Vorliegen überzeugender Beweise des Gegenteils aufzugeben.

Männer mit homoerotischen Gefühlen neigen dazu, religiöse Empfindungen – echte oder eingebildete – mit selbstzentrierten Motiven wie dem Wunsch nach Angenommen-Sein und Sicherheit in einer geschützten, unaggressiven Umgebung zu verwechseln; weiters der Wunsch, unter nicht-kompetitiven Personen des eigenen Geschlechts zu leben; sich mit einer zentralen, bewunderten, „schönen“ Rolle zu identifizieren, die keine Virilität (Männlichkeit) voraussetzt. Priester (bzw. Diakon, Mönch etc.) zu sein, bietet sich als Lösung für die sozialen und emotionalen Mängel und Handicaps an. Tatsächlich waren Priesteramt und ähnliche hierarchische Rollen und Berufe für Männer mit Homo-Tendenzen zu allen Zeiten und in allen Kulturen ein Anziehungspunkt. Aus diesen Rollen beziehen sie die Befriedigung einer geschätzten und respektierten Person, dem normalen Mann überlegen (elitistische Einstellung) und ausgenommen von der Verpflichtung, sich als Mann zu bewähren und mit anderen Männern im Wettstreit zu stehen.

Plädoyer für ein striktes Auswahlverfahren

Eine Zeitschrift der holländischen Dominikaner – die im Bezug auf das Thema eine zweifelhafte Reputation haben – vertrat vor zehn Jahren die Ansicht, dass das Priestertum ein spezifisch homosexueller Beruf sei. Und soweit man das Interesse vieler Homosexueller – Männer und Frauen – betrachtet, ist aus ihrer Sicht etwas dran. Objektiv betrachtet aber ist die Ansicht freilich im Wesen pervers.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass es im Hinblick auf die nicht religiös motivierten, sondern aus einer verzerrten Geschlechtsidentifikation stammenden Affinitäten homosexuell veranlagter Personen zum Priesteramt und vergleichbaren Funktionen falsch wäre, diese als Seminarstudenten, Diakone oder für anderen Funktionen mit religiöser Führungsrolle zuzulassen. Nicht einmal milde und nicht ausgelebte homoerotische Empfindungen sollten als harmlos erachtet werden.

Was aber, wenn der Kandidat beste Absichten hat und dazu bereit ist, sich mit therapeutischer Hilfe dieser Neigung zu entledigen? Glücklicherweise haben manche bereits erfolgreich ihre Orientierung überwunden, einige zumindest zu einem hohen Grad, andere (leider aber die wenigsten) vollständig und permanent. Aber dennoch gebietet die Vernunft, solche Männer nicht in der Hoffnung, dass sie sich im Lauf der Zeit radikal ändern würden, in das Seminar oder zur Priesterschaft zuzulassen – das hieße, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen. Ein Beweis für eine radikale und gänzliche Wandlung (zur normalen Heterosexualität, normaler maskuliner Identifikation und emotionaler Stabilität) sollte vorgelegt werden, bevor man sich im Seminar anmeldet, und ein Teil des Beweises wäre eine mehrjährige Phase von dauerhaft geändertem Verhalten und inneren Gefühlen (mein Vorschlag wären fünf Jahre Minimum). Vorhersagen in Einzelfällen sind unzuverlässig. Wenn aber eine solche radikale und stabile Änderung erreicht wird, ist es nicht undenkbar, dass die Gefühle, eine Berufung zu haben, zur gleichen Zeit verschwinden: Vielleicht war die zuvor gefühlte Berufung nicht wirklich übernatürlich.

Ein weiterer Vorteil eines derart strikten Auswahlverfahrens ist die reduzierte Attraktivität des Priestertums für Männer mit homoerotischen Empfindungen. Die Kirche von heute in den meisten westeuropäischen Staaten braucht Männer mit Charakterstärke und Durchhaltevermögen, um sie wieder aufzubauen, fast von Null weg. Diese gigantische Aufgabe braucht normale, männliche Priester, keine sexuell infantilen Männer und keine Softies. Wenn es um die Auswahl der Kandidaten für kirchliche Ämter geht, soll man sich um so mehr für die sichere Seite entscheiden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Deutsche Bücher von Gerard J.M. van den Aardweg: Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen. Analyse und Therapie, Taschenbuch 1995, ISBN: 3-7751-0983-8, 536 S.; Selbsttherapie von Homosexualität. Leitfaden für Betroffene und Berater, Taschenbuch 1999, ISBN: 3-7751-2469-1, 208 S. – Bestellservice: Hänssler Versand, Postfach, D-71087 Holzgerlingen, Tel. 0180-4262255, Fax 08000-329426.

Vatikan-Dokument zur Homosexualität

Nachfolgend ein kurzer Auszug aus der „Instruktion über Kriterien zur Berufsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen“. Der Text beschränkt sich jeweils auf das Ergebnis und verzichtet auch auf die Anmerkungen.

Kongregation für das katholische Bildungswesen  

Einleitung

… Es geht darum, ob Kandidaten, die tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben, für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zugelassen werden sollen oder nicht.

1. Affektive Reife und geistliche Vaterschaft

… Der Kandidat für das Weiheamt muss … zur affektiven Reife gelangen. Eine solche Reife wird ihn befähigen, eine korrekte Beziehung zu Männern und zu Frauen zu pflegen, und in ihm einen wahren Sinn für die geistliche Vaterschaft gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft, die ihm anvertraut wird, entwickeln.

2. Homosexualität und Weiheamt

… Im Licht dieser Lehre hält es dieses Dikasterium im Einverständnis mit der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung für notwendig, mit aller Klarheit festzustellen, dass die Kirche – bei aller Achtung der betroffenen Personen – jene nicht für das Priesterseminar und zu den heiligen Weihen zulassen kann, die Homosexualität praktizieren, tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sog. homosexuelle Kultur unterstützen.

Die genannten Personen befinden sich nämlich in einer Situation, die in schwerwiegender Weise daran hindert, korrekte Beziehungen zu Männern und Frauen aufzubauen. Die negativen Folgen, die aus der Weihe von Personen mit tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen erwachsen können, sind nicht zu übersehen.

Falls es sich jedoch um homosexuelle Tendenzen handelt, die bloß Ausdruck eines vorübergehenden Problems, wie etwa eine noch nicht abgeschlossene Adoleszenz sind, so müssen sie wenigstens drei Jahre vor der Diakonenweihe eindeutig überwunden sein.

3. Die Feststellung der Eignung der Kandidaten durch die Kirche

… Der Ruf zu den Weihen liegt in der persönlichen Verantwortung des Bischofs oder des höheren Oberen. Unter Berücksichtigung des Gutachtens jener, denen sie die Verantwortung für die Ausbildung anvertraut haben, müssen der Bischof oder der höhere Obere vor der Zulassung eines Kandidaten zur Weihe zu einem moralisch sicheren Urteil über seine Eignung gelangen. Im Fall eines ernsten Zweifels daran dürfen sie ihn nicht zur Weihe zulassen. …

Der vollständige Text ist einzusehen unter: www.vatican.va/roman_curia/congregations/ccatheduc/

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2/Februar 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Neuen Kommentar schreiben

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder! Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare gegebenenfalls nicht für die Veröffentlichung freizugeben oder in Abstimmung mit den jeweiligen Autoren zu kürzen.