Petrus auf dem Tabor

Am Beginn dieses Jahres überraschte Paul Badde mit der Nachricht von einer bevorstehenden Reise Papst Benedikts XVI. nach Manoppello. Daraufhin veröffentlichten wir einen engagierten Beitrag des bekannten Journalisten und stellten das ganze Heft unter das Leitthema „Der Weg des Papstes nach Manoppello“. Tatsächlich besuchte nun der Heilige Vater am 1. September 2006 die geheimnisvolle Schleier-Ikone. Was dieses Ereignis, das Paul Badde als „Verklärung des Göttlichen Gesichts von Manoppello“ bezeichnet, für die Kirche bedeutet, fasste er auf spannende Weise in Worte. Das Interview mit Kirche heute ist zudem ein Zeugnis für den Feuereifer, mit dem sich Paul Badde für das „Antlitz Gottes“ einsetzt.

Interview mit Paul Badde

Kirche heute: Herr Badde, wir können uns vorstellen, dass der 1. September 2006 für Sie ein großer Tag war. Papst Benedikt XVI. besuchte die Schleier-Ikone von Manoppello. Sie hatten durch Ihre Publikationen wesentlich dazu beigetragen, dass diese Pilgerreise zustande kam. Bereits vor Monaten machten Sie eine erste Ankündigung, nachdem Ihnen der Papst einen baldigen Besuch versprochen hatte. Nun löste er – wenn wir so sagen dürfen – sein Wort ein. Was bedeutet für Sie und Ihre journalistische Tätigkeit dieses Ereignis?

Paul Badde: Als Journalist und Autor lässt sich von der eigenen Arbeit nicht mehr erwarten. Es ist ein Geschenk, Leser bewegen zu können. Den Nachfolger Petri bewegen zu dürfen, war hingegen pure Gnade. So wurde der Tag auch zu einem Tabor meines Lebens – mit dieser unglaublichen Verklärung des Göttlichen Gesichts auf dem alten Schleier von Manoppello durch den Besuch des Papstes. Es war ein Triumph der Madonna, die doch immer nur auf den Sohn hinweist, der ihr aus dem Gesicht geschnitten wurde. Wäre das Ereignis früher gemalt worden, hätten Künstler es mit Wolken von Engeln und Scharen von Heiligen umrahmt.

Kirche heute: Sie sind in Manoppello dem Papst auch persönlich begegnet. Können Sie uns ein wenig daran teilhaben lassen und uns schildern, wie Sie dieses Treffen erleben durften?

Paul Badde: Von allen Beteiligten wurde es als eine Art Traum wahrgenommen, ebenso flüchtig wie unfassbar. Denn als Benedikt XVI. in der Sakristei des Heiligtums Schwester Blandina, Pater Pfeiffer, Pater Resch, den italienischen Kollegen Saverio Gaeta und mich empfing, trug er immer noch die liturgische päpstliche Stola. Es war also durchaus keine private Begegnung mit dem Papst, sondern wirklich eine Begegnung mit Petrus. Es war eine unerhörte Bestätigung unserer Arbeit.

Kirche heute: Welchen Eindruck hatten Sie von den Augenblicken, in denen der Papst vor dem „Antlitz Gottes“ verweilte?

Paul Badde: Er erinnerte mich sehr an jene Momente in Ausschwitz, als er vor dem Hungerblock Maximilian Kolbes stand, vor der grauenhaften Erschießungsmauer, in seinem Ernst und in seiner Erschütterung. Was da aber unfassbar war, stand ihm hier sichtbar vor den Augen. Nach Ausschwitz „musste“ er kommen, sagte er damals, und das ist ja auch ganz klar. Hierhin aber, nach Manoppello, „wollte“ er dringend kommen. Das war auch zu sehen. Fotos, die ihn mit Pater Carmine und Erzbischof Forte von hinten vor dem Antlitz Christi zeigen, erinnern deshalb auch eher an alte Darstellungen der Anbetung des Kindes durch die Hirten – wo das Kind in der Krippe aufstrahlt wie eine kosmische Lampe, deren Licht sich in den ungläubig, liebevoll staunenden Gesichtern der Hirten spiegelt. Auch hier waren es ja drei Hirten.

Kirche heute: Was waren Ihrer Meinung nach die besonderen Akzente, die der Papst mit seinem Besuch und insbesondere mit seiner Ansprache setzte?

Paul Badde: Der wichtigste Akzent war die Ankunft an sich, mit der Benedikt XVI. das Göttliche Gesicht aus dem unbekannten Winkel der Abruzzen in wenigen Minuten weltweit bekannt gemacht hat. BBC World zeigte die Bilder, im Grunde alle großen Fernsehsender. Das war ein „point of no return“ in der Geschichte dieses Bildes. In seiner Ansprache verstand der Papst es dann wunderbar, auf den Prozess des Erkennens von Gottes Gesicht im Gesicht Jesu einzugehen. Er tat dies am Beispiel der Apostel, die Jesus – wie Philippus – sofort als Messias erkannt hatten und sich drei Jahre später dennoch fragen lassen mussten: „Kennt ihr mich denn immer noch nicht?“ Was der Papst da begonnen hat, führt er sehr deutlich immer weiter aus. Schon jetzt lässt sich sehen, wie das „menschliche Gesicht Gottes“ zum Siegel seines Pontifikats wird. Um das Paradox der Fleischwerdung Gottes entsprechend auszudrücken, sagte er nur sechs Tage nach dem Besuch in Manoppello auf dem Petersplatz, „können wir sehr wohl sagen, dass Gott sich ein menschliches Antlitz gegeben hat, das Antlitz Jesu. Folglich haben wir jetzt, wollen wir wirklich das Antlitz Gottes erkennen, nichts anderes zu tun, als das Antlitz Jesu zu betrachten. In seinem Antlitz sehen wir wirklich, wer Gott ist und wie Gott ist!“

Kirche heute: Im Vorfeld des Papstbesuchs in Manoppello sprachen Sie davon, dass sich durch diese Pilgerreise ein Paradigmenwechsel in der Geistesgeschichte Europas ankündige. Was möchten Sie damit zum Ausdruck bringen?

Paul Badde: Die Wiederentdeckung des alten „Wahren Bildes“ der Christenheit kann nur eine allmähliche völlige Neubewertung der Bilder durch die Christenheit in allen Kirchen und Konfessionen zur Folge haben, wo Bilder seit Jahrhunderten gewissermaßen unter die Räuber gefallen sind.

Der ungeheuerliche Dokument- und Schriftcharakter aller Bilder ist dadurch nachhaltig diskreditiert worden. Außerhalb der Kirche hat das zu einer allgemeinen Schizophrenie der Wahrnehmung zwischen Bild und Schrift geführt, die – an einem harmlosen Beispiel – jeder beobachten kann, der sich ein Marlboro-Plakat mit diesen riesigen gesunden Cowboys anschaut, und der gesetzlich vorgeschriebenen Warnung darunter, dass Rauchen schädlich für die Gesundheit ist. Diese Schizophrenie ist aber darum so fatal, weil gerade den Christen zwischen den anderen monotheistischen Buchreligionen das „wahre Bild“ als einer ihrer kostbaren Schätze anvertraut worden war. Dieses Bild gehört zu jener Gattung „nicht von Menschenhand gemachter“ mythischer Originale, „von denen sich keines erhalten hat“, wie Hans Belting, der deutsche „Bilderpapst“, letztes Jahr in einem Standardwerk über „Das echte Bild“ noch nebenbei vermerkte.

Schon diesem unverdächtigen Gelehrten war eine Art Paradigmenwechsel aufgefallen, als im 16. Jahrhundert alle neuen Abbildungen des „wahren Bildes“ Christus plötzlich mit geschlossenen Augen und einem völlig anderen Ausdruck zeigten. Da kann ein ähnlicher Paradigmenwechsel für das Gottesbild der Christenheit mit der Wiederentdeckung dieses Bildes nicht ausbleiben. Denn dieses Bild sperrt sich nachhaltig gegen jede Ideologisierung, an der gerade die Kirche des Westens seit Jahrzehnten so schrecklich leidet. Dafür war der schweigende Papst vor dem Heiligen Gesicht das bisher vornehmste Indiz.

Kirche heute: Gab es innerhalb der Kirche Widerstände gegen die Pilgerreise des Papstes nach Manoppello?

Paul Badde: Ja, es gab starke Widerstände gegen diese Reise innerhalb und außerhalb des Vatikans, aus allen möglichen Richtungen und Motiven. Darüber ließe sich schon fast ein neues eigenes Buch schreiben, als nächstes Kapitel einer „Göttlichen Komödie“, die wir bei dieser Entdeckungsgeschichte oft beobachten durften. Der Papst hat sich aber entschlossen gegen alle Widerstände mit dem Machtwort durchgesetzt, dass er sich für diese Reise entschieden habe. Die Reise nach Manoppello war ein besonders mutiger Schritt seiner bisherigen Amtszeit.

Kirche heute: Immer wieder stellen Sie einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Schleier-Ikone und Dantes „Göttlicher Komödie“ her. Sie gehen sogar davon aus, dass Benedikt XVI. selbst schon vor Monaten in der „Göttlichen Komödie“ das Gesicht wieder entdeckt habe, nämlich im 33. Gesang, Verse 130–132. Diese drei visionären Zeilen hätten ihn zu seiner ersten Enzyklika über den Gott der Liebe inspiriert. War sich der Papst wohl seiner Entdeckung bewusst, als er mit dem Dante-Zitat an die Öffentlichkeit trat? Sieht er tatsächlich eine Verbindung zwischen Dante und der Ikone von Manoppello?

Paul Badde: Daran ist kaum zu zweifeln. Denn Dante hat sich ja auch an anderen Stellen sehr dezidiert zum Schleier der Veronika in Rom geäußert. Sicher kannte er das Bild vom Augenschein. An einer Identifizierung seiner Gottesvision mit diesem Schleier ist kein vernünftiger Zweifel möglich. All dies ist dem Papst als aufmerksamer Leser nicht verborgen geblieben; und dass ihn das „Menschliche Gesicht Gottes“ im 33. Gesang der „Göttlichen Komödie“ zu seiner ersten Enzyklika bewegte, hat er ausdrücklich selbst gesagt. Als letzter „link“ ist mir dazu erst vor kurzem eine wundervolle Handschrift aus Venedig unter die Augen gekommen, die im Jahr 1390 genau diese Verse 130-132 sehr schön illustriert. In einer Wolke von Engeln begegnet uns da – recht ungelenk und dennoch im gleichen Ton in Ton der Byssusfarben – exakt jenes Gesicht wieder, das wir heute in Manoppello sehen können. Diese Darstellung gleicht dem Volto Santo nicht wie ein Steckbrief, sondern schon fast wie ein frühes Passbild. Benedikt XVI. hat auch diese alte Handschrift vor seiner Reise in die Abruzzen gesehen.

Kirche heute: In einem Artikel zitieren Sie Erzbischof Forte, den zuständigen Oberhirten aus Chieti. Er sei überzeugt, dass das „Heilige Gesicht“ aus Manoppello „mit moralischer Gewissheit“ aus dem leeren Grab Christi stamme. Geht diese Überzeugung des Erzbischofs auch auf Ihren Einfluss zurück?

Paul Badde: Wohl eher – wie bei mir und bei Schwester Blandina und anderen, die in diese Geschichte verwickelt sind – auf den Einfluss der Madonna, um ganz ehrlich zu sein. Bemerkenswert ist aber, dass Erzbischof Forte eine rasant schnelle Entwicklung seiner Bewertung jenes Schatzes gemacht hat, der ihm und den Kapuzinern von Manoppello anvertraut worden ist. Bei einem Interview vor zwei Jahren, als er das Bild gerade kennen gelernt hatte, war er noch eher skeptisch – obwohl er mir auch damals schon sagte, dass es „Schmerz und Licht so dicht in sich vereint, wie es nur die Liebe kann“. Inzwischen hat er mit dem Kapuzinerpater Carmine Cucinelli, dem Guardian des Heiligtums, das Bild jedoch offensichtlich so beherzt und klug und umfassend angenommen, wie es vom heiligen Joseph berichtet wird, als er das Kind annahm, das Maria erwartete.

Kirche heute: „Es kam nun auch Simon Petrus und sah das Schweißtuch, das auf dem Haupt gelegen hatte!“ Diesen Satz aus dem Auferstehungsbericht des Johannes ließ der Erzbischof auf Griechisch auf den Rand einer Christus-Ikone schreiben, die er dem Nachfolger Petri als Geschenk mitgab. Waren Sie an der Gestaltung dieses Geschenks für den Papst beteiligt?

Paul Badde: Nein, das war ganz und gar die Initiative Erzbischof Fortes, der diese große Ikone bei Schwester Blandina in Auftrag gegeben hatte. Bis hin zu dem verwandten Zitat aus dem Johannes-Evangelium war es ganz sein Wunsch. Im Herbst 2005 hatte ich Schwester Blandina allerdings geraten, dem Heiligen Vater doch eine kleine Ikone im Postkartenformat „zu schreiben“. Das hat sie damals auch getan. Am 1. Dezember 2005 schickte sie diesen „Brief“ schon mit einer Einladung an den Papst, er möge doch bitte nach Manoppello kommen, um sich das Muschelseidentuch anzuschauen.

Kirche heute: In Ihren Veröffentlichungen zeigen Sie auf, dass es sich beim Schleiertuch von Manoppello um das Tuch aus dem Grab Christi handelt, das nach dem Bericht im Johannes-Evangelium auf dem Gesicht des Leichnams Jesu gelegen hatte.[1] Bedeutet dies, dass es sich definitiv nicht um das Schweißtuch handelt, das nach der Tradition eine Frau namens Veronika Jesus auf dem Kreuzweg gereicht hatte? Und ist es vielleicht so zu verstehen, dass sich die Tradition der Veronika erst auf dem Hintergrund dieser geheimnisvollen Schleier-Ikone und ihrer Bezeichnung als „Vera Ikon“ – „Wahres Bild“ im Lauf der Geschichte überhaupt erst als Legende gebildet hat?

Paul Badde: Ja, davon darf man ausgehen. Das Christusbild in Manoppello muss vor allem als das alte „wahre Bild“ der Christen verstanden werden. Es war immer schon so rätselhaft, dass Menschen versucht haben, sich seine Entstehung immer neu zu erklären. Das erklärt auch die vielen verschiedenen Namen, die das Bild im Lauf der Zeit angenommen hat. Alle Namen dürfen dabei vor allem als immer neue Erklärungsmodelle dieses unerklärlichen Bildwunders begriffen werden.

Kirche heute: Sie haben durch Ihren journalistischen Einsatz in besonderer Weise die Untersuchungsergebnisse des deutschen Professors Heinrich Pfeiffer von der Gregoriana-Universität zur Geltung gebracht. Bereits vor Jahren zeigte er die Übereinstimmung des Schleiertuchs von Manoppello mit dem sog. Grabtuch von Turin auf und entdeckte gleichzeitig alle Merkmale, mit denen die Kronreliquie des Petersdoms in Rom in alten Quellen abgebildet wurde. Gehen Sie davon aus, dass das ursprüngliche Bild in den Wirren des „Sacco di Roma“ verschwunden und schließlich nach Manoppello gelangt ist?

Paul Badde: Der Wahrheit halber muss man festhalten, dass in Deutschland zuerst Schwester Blandina 1979 die Entdeckungsgeschichte angestoßen hat, nach der Lektüre eines entsprechenden Artikels des italienischen Journalisten Renzo Allegri. Danach hat sie die Technik der Sopraposition entwickelt und verfeinert, des Übereinanderlegens der beiden Bilder aus Manoppello und Turin, mit der sie schließlich Professor Pfeiffer zu seiner Entdeckung der Identität des Manoppello-Schleiers mit dem so genannten Veronika-Schleier aus Rom inspirierte. In letzter Zeit hat dann vor allem der italienische Journalist Saverio Gaeta viele Argumente dafür zusammengetragen, dass das Original wohl im Sacco di Roma im Jahr 1527 verschwand.

Kirche heute: Sie schreiben bspw.: „Der Verlust wurde auf geniale Weise vertuscht.“ Es gibt Stimmen, die Ihnen vorhalten, sie würden mit Ihren Äußerungen die Kirche zu ungeschützt kritisieren. Können Sie dazu Stellung nehmen?

Paul Badde: Verglichen mit dem, welchen Reißer man aus der Geschichte hätte fabrizieren können, ist mein Buch eher fromm wie ein Gesangbuch. Es bleiben dennoch viele unglaubliche Details darin, die manchen sicher die Haare sträuben. Die habe ich aber nicht erfunden, sondern nur vorgefunden – zum Teil aus dem an kleinen und großen Schurkereien so reichen Zeitalter Machiavellis, für die sich heute keiner mehr rechtfertigen muss. Viel wichtiger scheint mir aber, sich den unschätzbaren Gewinn der Wiederentdeckung des „wahren Bildes“ vor Augen zu halten. Demgegenüber ist der Verlust der alten Täuschung nur ein weiterer Gewinn, aber kein weiterer Schaden. Die Veronika-Reliquie aus dem Vatikan kann nur als Ersatz verstanden werden, um es einmal vornehm zu sagen. Johannes Paul II. hat sie schon im Jahr 2000 zu sich in den Palast bringen lassen und danach entschieden, dass man ihren Anblick keinem Gläubigen mehr zumuten könne. Leider kannte er damals das Bild in Manoppello nicht, später hat er mich dann noch einmal ausführlich zu meinen Nachforschungen ermutigt.

Kirche heute: Sie gehen davon aus, dass der erste Pfeiler unter der Peterskuppel, der von den Päpsten Julius II. bis zu Urban VIII. als Tresor für das so genannte „Schweißtuch der Veronika“ ausgebaut wurde, eigentlich für das Tuch bestimmt war, das sich jetzt in Manoppello befindet. Ist es nicht eine gewisse Irreführung der Kunst- und Kulturgeschichte, wenn auf dem Hintergrund der überdimensionalen Figur der hl. Veronika von ihrem Schweißtuch die Rede ist? Müsste nicht diese Geschichte neu geschrieben und der Unterschied deutlicher hervorgehoben werden?

Paul Badde: Ja, wie viele andere Details dieser Geschichte auch, die nach einer Reinigung der Erinnerung verlangen. Dazu wird der Besuch des Papstes gewiss nun bald viele neue Türen öffnen.

Kirche heute: Noch bevor Benedikt XVI. in Manoppello angekommen war, deuteten Sie seine Reise mit den Worten: „In der Geschichte von der Rückkehr der Veronika schlägt er nun ein neues Kapitel auf, in dem von dem „wahren Bild“ gesprochen werden wird wie seit 400 Jahren nicht mehr.“ Möchten Sie damit die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass das Bild baldmöglichst in den Petersdom zurückkehrt? Halten Sie die Rückführung der Ikone für ein vorrangiges Ziel Ihres Engagements rund um das Schleierbild von Manoppello?

Paul Badde: Nein, gewiss nicht. Mit dem gleichen Recht könnte das Bild ja auch wieder nach Jerusalem zurück, auf den Zionsberg, wo die Muttergottes es zuletzt wohl hatte, als sie starb. Oder nach Istanbul, wo es war, bevor es nach Rom kam. Dass es nach Rom zurückkommt, könnte ich mir nur dann vorstellen, wenn die Manoppelleser selbst es zurück nach Rom bringen würden, die es die letzten 400 Jahre so wunderbar beschützt haben. Das ist aber eher unwahrscheinlich.

Kirche heute: Verstehen Sie sich als den Wegbereiter der Heimkehr des „Antlitzes Gottes“, das sich in Petrus seinen Betrachter gesucht hat?

Paul Badde: Ja, gern, auf den Schultern von vielen anderen. Es ist ein unbegreifliches Geschenk, in diesem wunderbaren Roman als Instrument benutzt worden zu sein. Denn zum einen ist es ja wirklich eine Heimkehr des so lange verborgenen und verschollenen Antlitzes zurück in die Kirche und Christenheit. Im Zeitalter der Globalisierung ist es heute aber auch gleichzeitig eine erste Ankunft von diesem „menschlichen Gesicht Gottes“ vor die Augen der ganzen Menschheit.

Kirche heute: Herr Badde, wir danken Ihnen ganz herzlich für dieses außerordentliche Interview.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2006
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[1] Aktuellstes Buch von Paul Badde zu Manoppello: Das Göttliche Gesicht. Die abenteuerliche Suche nach dem wahren Antlitz Jesu, Pattloch, 336 S., ISBN 3-629-02149-2.

Benedikt XVI. – der Ästhet des Glaubens

In seinem Beitrag blickt Martin Lohmann auf den Papstbesuch in Bayern zurück und versucht ein Fazit zu ziehen. Dies ist ihm auf faszinierende Weise gelungen. Sein Kommentar erschöpft sich nicht in einer äußerlichen Beschreibung. Er hebt die Perlen ans Licht und bringt das Zeugnis des obersten Hirten der Kirche noch einmal auf eine ganz neue Weise zur Geltung. Lohmann erweist damit der Verkündigung des Papstes einen außerordentlichen Dienst. Wir freuen uns, auf diese Weise die Schönheit unseres Glaubens vermitteln zu dürfen.

Von Martin Lohmann

Eines steht fest: Der Himmel hatte sichtlich seine Freude am Besuch des Papstes in Bayern. Und sollte Petrus, den man ja gemeinhin fürs Wetter verantwortlich macht, wirklich etwas damit zu tun haben, dann war nicht zu übersehen, dass der erste Papst kräftig mitgeholfen hat, den Heimatbesuch seines aktuellen Nachfolgers ins beste Licht zu rücken. Denn es herrschte durchgehend Papstwetter. Alles war glanz- und sonnenreich, schien von Anfang an perfekt – so wie bestellt.

Klischees zerplatzen

Aber nicht nur das Wetter war schön. Selbst Kritikern, die sonst keine Gelegenheit auslassen, ihr Leiden an und mit der Kirche und ihrem irdischen Steuermann schwungvoll und mediengerecht zum Ausdruck zu bringen, fiel es schwer, in diesen Tagen das aus ihrer Sicht richtige und notwendige Wort zu finden und mit selbigem überhaupt durchzukommen. Das mag daran liegen, dass bei einer beinahe lückenlosen Rundumberichterstattung und der selbst am so genannten privaten Tag des Papstes pausenlosen Kameraeinstellung eigentlich gar kein Platz mehr blieb für anderes als eben diese Papstreise. Aber es liegt vor allem wohl auch daran, dass auf dieser Pilgerfahrt des Heiligen Vaters der aus Bayern stammende Petrusnachfolger für viele stärker als sonst zeigte, dass sich Benedikt XVI. ebenso wenig in kleinformatige Schubladen sperren lässt wie einst Joseph Kardinal Ratzinger – obwohl genau dies über Jahrzehnte vor allem in Deutschland versucht wurde.

An diesem Benedikt zerplatzen halt all jene Klischees, unter die er vor seiner Wahl zum Pontifex unkritisch und reflexartig häufig von jenen gepresst wurde, die heute geradezu erstaunt der Öffentlichkeit den gewandelten Ratzinger erklären. Dabei gibt es für alle, die sich dem Diktat der Scheuklappen auch zu früheren Zeiten nicht unterwarfen und sich stattdessen den Luxus des aufgeklärten Blickes auf den Kurienkardinal aus Bayern leisteten, wahrlich keine zwei Personen. Denn in Benedikt XVI. steckt, wenn man das so sagen darf, nichts als der ganze Joseph Ratzinger. Der freilich entfaltet als Papst – endlich – seine ganze Wesenskraft und Charakterstärke.

Erster Katechet aller Katecheten

Dazu gehört in erster Linie die auch früher schon erkennbare Schönheit eines ganz in Gott verankerten Glaubens, dessen Merkmale tiefes Vertrauen und die Konzentration auf das Wahre und Klare sind. Irgendwie fasziniert der große Theologe auf der Cathedra Petri als Nachfolger des großen Philosophen auf der Cathedra immer wieder durch seine Fähigkeit, filigran, bildreich, verständlich und intelligent einfach das Wesentliche dessen, was Christsein bedeutet, zu beschreiben. Gerade auf seiner Reise an die Orte seiner Heimat zeigte sich der Mozart der Theologie als Meister der Erzählung, als erster Katechet aller Katecheten. Es ist, als erzähle er von Gott, der niemals fern ist und der alles Menschliche versteht. Dieser Stellvertreter Christi auf Erden berichtet vertraut und voll Vertrauen von einem Vertrauten, den er wie einst Romano Guardini ganz selbstverständlich immer wieder den „Herrn“ nennt. Ferne scheint es für ihn, der in seinem langen Leben auch schon dunklere und zweifelreichere Zeiten durchlebt hat, nicht mehr zu geben.

So gibt es inzwischen eine ganze Reihe schlichtweg nur schöne Zitate, Sätze und Formulierungen von Papst Benedikt, die alle für sich genommen trostreich und ermutigend sind und in der Summe das Bild von einem geradezu ästhetisch feinen Glauben zeichnen. Das vielleicht bekannteste Wort des Papstes stand wie die Sonne selbst über seiner Reise und wurde täglich neu bestätigt – durch den Papst und die Menschen: Wer glaubt, ist nie allein. Mitten in eine trotz aller medialen Vernetzung mit viel Einsamkeit gequälten Welt ist diese Wahrheit hineingesprochen mit der Gewissheit, dass die personale Begegnung durch nichts zu ersetzen ist – und dass trotz vielfach erlebter und erlittener Einsamkeit und Vergessenheit eben dieser Herr niemanden vergisst und in der Einsamkeit ertrinken lässt.

Seelenspeisende Schönheit

Mit vermeintlich einfacher Selbstverständlichkeit verbindet dieser Papst Glaubenstiefe und poetische Klangfülle zu einer seelenspeisenden Schönheit, die offenbar auf zahlreiche Sehnsüchte vieler Menschen zu antworten versteht. Nicht selten sind die Worte Minikatechesen, denen das Herz beim Hören ein kräftiges Ja zurufen möchte. „Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“ Es ist, als setze dieser aktuelle Petrus den häufig schweren und lichtarmen Lebenserfahrungen mancher Menschen fast schon trotzig einen belastbaren Lichtgedanken entgegen. Benedikt macht Mut. Benedikt zeigt Schönes. Benedikt will Großes.

Und zu diesem Großen, das jedem geschenkt wird und jeder entdecken kann, zählen Formulierungen wie diese: „Erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist.“ Und weil es „nichts Schöneres gibt als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden“, hat sich dieser Apostelnachfolger offenbar zum Programm gemacht, als Benedictus, also als Gesegneter zum erklärten Träger des Segens und Vermittler dieses Segens zu werden. Längst ist er zu einer sympathischen und liebevollen Einladung geworden, diesen Christus, diesen Herrn zu entdecken – ohne jede Angst, aber voller Freude. Denn: „Er nimmt nichts, und er gibt alles.“ Benedikt XVI. will einen angstfreien und aufgeklärten Glauben und ist davon überzeugt, dass dieser „erwachsen und reif ist“, wenn er „tief in der Freundschaft mit Christus verwurzelt ist“.

Stärkung im Glauben mit Charme

Zu dieser Freundschaft gehört für ihn unbedingt die Freiheit. „Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen“, sagt er und beschwört zugleich die Toleranz. Freilich schließt für ihn die Toleranz, „die wir dringend brauchen“, die Ehrfurcht vor Gott ein – und damit auch die Ehrfurcht vor dem, was anderen heilig ist. Und ganz selbstverständlich gehört zu dieser Toleranz auch die Fähigkeit und der Mut zum unverkrampften Bekenntnis des eigenen Glaubens und damit das Ablegen jeder Ängstlichkeit: „Wir verletzen nicht den Respekt vor anderen Religionen und Kulturen, die Ehrfurcht vor ihrem Glauben, wenn wir uns laut und eindeutig zu dem Gott bekennen, der der Gewalt sein Leiden entgegenstellt; der dem Bösen und seiner Macht gegenüber als Grenze und Überwindung sein Erbarmen aufrichtet.“

Benedikt XVI. nimmt den Herrenauftrag an Petrus sehr ernst: Du aber stärke deine Brüder! Seine Reise nach München, Altötting, Regensburg und Freising war durchgehend nichts anderes, als genau das zu tun. Und dabei macht er dies mit freundlichem Charme, mit der Güte eines Weltenpastors und mit der Präzision eines hochbegabten Analytikers. Er markiert eine „Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden“, weil wir ihn „einfach nicht mehr hören“ können und zu viele „andere Frequenzen im Ohr haben“. So aber fehle eine entscheidende Wahrnehmung und die „inneren Sinne drohen abzusterben“. Die schleichende Schwerhörigkeit oder gar Taubheit gegenüber Gott führe schließlich zu einer drastischen Gefährdung des Radius unserer Beziehung zur Wirklichkeit und reduziere in bedrohlicher Weise den Raum unseres Lebens. Eine dieser Auswirkungen sei der Verlust der Erkenntnis, dass das Soziale und das Evangelium nicht zu trennen seien. Caritas, so könnte man sagen, speist sich aus der Spiritualität – und nicht umgekehrt. Angesichts eines kirchensteuerfinanzierten Aktivismus gerade in Deutschland steckt hier auch der Versuch einer Neujustierung drin, die verbunden mit der Frage ist: Was ist ureigenste Aufgabe der Kirche, was nicht? Wo müssen wann welche Schwerpunkte gesetzt werden, was ist wichtiger als anderes, was ist Ursache kirchlichen Handelns und kirchlichen Profils, was ist Folge? Gerade in dieser Predigt, die der Papst in München hielt, schlummert noch viel Diskussionsstoff.

Unängstlichkeit gegenüber jeder Diskussion

Ein anderer päpstlicher Versuch, zum scheuklappenfreien und aufgeklärten Dialog einzuladen, fiel bei Teilen der angesprochenen Religionsgemeinschaft offenbar nicht auf fruchtbaren Boden, sondern wurde in absurder Weise instrumentalisiert, um statt Toleranz Hass zu säen. In seiner Vorlesung in der Regensburger Universität malte der Theologe und Wissenschaftler, der seinen Lehrstuhl an einer Hochschule mit dem Lehrstuhl der Universalkirche tauschen musste, ein intelligentes und gedankenstarkes Bild von Glaube und Vernunft. Schon früher hatte er gesagt, Glaube und Vernunft gehörten zusammen, und dem Wort Gottes zu folgen, also mit Christus, dem fleischgewordenen Logos, zu gehen, bedeute für den Menschen, sich selbst zu verwirklichen. Nun entfaltet der Lehrer im weißen Gewand vor dem staunenden Weltenpublikum, dass Gott mit Logos handelt. Und dieser Logos „ist Vernunft und Wort zugleich – eine Vernunft, die schöpferisch ist und sich mitteilen kann, aber eben als Vernunft.“ Nicht mit dem Logos, also unvernünftig handeln, sei dem Wesen Gottes zuwider. Letztlich sei, bei Licht betrachtet, die Krönung einer aufgeklärten Vernunft der Glaube an Gott, der nichts Unvernünftiges in sich trägt und den Menschen das beinahe unglaubliche Angebot macht, teilzuhaben an der göttlichen Vernunft. Da erscheint es dann nur logisch, wenn der oberste Brückenbauer zum Dialog der Kulturen aufruft und entfaltet, dass „eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt“, „unfähig“ ist „zum Dialog der Kulturen“.

Trotz dieser fairen und intellektuell redlichen Einladung zum Dialog und der damit verbundenen Frage nach Gewaltanwendung kam es zu ebenso hässlichen wie böswilligen Irritationen aufgrund eines Mohammed-kritischen Zitats aus dem Mittelalter, das der Papst benutzte, sich aber keineswegs zueigen gemacht hatte. Dabei geht es um die Frage, wie der islamische Glaube verbreitet werden darf, wo doch in Sure 2,256 klar gesagt wird: Kein Zwang in Glaubenssachen. Mohammed hat das später „ergänzt“, weshalb heute einige Strömungen im Islam meinen, der Heilige Krieg gegen die Andersgläubigen, die allesamt als Ungläubige bezeichnet werden, sei nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten. Freiheit? Toleranz? Respekt vor Gewissen? Oder: Gewalt. Der Papst, dessen Unängstlichkeit gegenüber jeder Diskussion bekannt ist, wäre froh, es käme zu einem ehrlichen Gespräch über Frieden und Religion, über Gewissensfreiheit und Toleranz, über Gott und seine Logik.

Der Logos braucht kein Schwert

Wie dringend notwendig dieses Gespräch ist, zeigen auf tragische Weise vor allem jene unaufgeklärten Massen, die von fanatischen Islamisten verführt werden und mit ihren Hasstiraden aufgrund eines mittelalterlichen Zitats die aktuelle Gültigkeit dieses Zitats und seines Inhalts zu beweisen scheinen. Aber genau damit erweisen sie ihrer Religion und der überfälligen Auseinandersetzung des Islam mit einer bisher nicht erfahrenen Aufklärung einen denkbar schlechten Dienst. „Die Wut auf den Papst ist eine Projektion eigener Unzulänglichkeiten und Unterlegenheitsängste“, kommentiert die „Welt“. Das Problem sei, dass der Islam heute „von einfallslosen Theokraten und fanatischen Religionskommissaren pervertiert“ werde und längst die „Lebendigkeit, die Frische, die Toleranz und den Pluralismus verloren“ habe, „die ihn einmal stark gemacht haben“.

Da ist es ein nicht zu unterschätzendes Zeichen der Hoffnung, wenn aufgeschlossene führende Vertreter des Islam sich nicht in die Irre der gewaltbereiten Fanatiker führen lassen und anders als viele andere die Rede des Papstes genau lesen, um hernach Verständnis für dieses berechtigte Anliegen zu äußern. Vielleicht wird man eines Tages einmal erkennen können, dass in dieser Rede eine unglaubliche Chance für friedvolles und friedensstiftendes Verhalten verschiedener Religionen lag, das – so wäre zu wünschen – mutig genutzt wurde zu einem neuen Miteinander. Dem Papst jedenfalls mangelt es nicht an Respekt vor anderen Religionen, erst recht nicht, wenn sie den Anspruch auf Frieden im Namen tragen. Auch hier könnte und sollte er Vorbild sein für andere. Mag sein, dass gerade dann der Respekt wächst, wenn der Nähe zum „Herrn“ mehr Raum und weniger Schwerhörigkeit geboten werden. Wer glaubt, ist nie allein, Wer wirklich glaubt, braucht auch keine Angst zu haben. Und wer Gott zulässt, weiß, wie kostbar die Freiheit ist. Weil der Glaube stets auch eine Frucht der Freiheit sein muss, verbietet sich jede Gewaltanwendung. Der Logos braucht kein Schwert.

Neues Bild einer Heimat schenkenden Kirche

Was also ist das Fazit dieser Papstreise in seine bayerische Heimat, in der Benedikt XVI. gleichsam wie in einem Intensivkurs das Profil seines Pontifikates aufgezeigt hat? Vor allem dies: Dieser Petrusnachfolger steht für einen Petrusdienst in Klarheit und Wahrheit und für Wahrheit in Klarheit. Der aus Deutschland stammende Pontifex veredelt nicht nur das Bild vom Deutschen in der Welt durch gelebte Klugheit und Güte, sondern malt farbenfroh und unverkrampft mit froher Zuversicht ein neues Bild einer schönen und Heimat schenkenden Kirche, in der ein ästhetischer und feiner wie menschengerechter Glaube lebt und immer lebendiger werden soll. Die Botschaft ist unverkennbar: Der Glaube ist schön. Der Glaube ist einfach. Der Glaube macht stark. Der Glaube schafft Horizont. Der Glaube ist vernünftig. Der Glaube nährt die Seele. Warum? Weil Gott nicht fern, sondern nah, weil Gott nicht Angst machend, sondern Heil schenkend ist. Und weil sein Mensch gewordener Logos als Herr immer da ist, immer mitgeht. Wer glaubt, ist nie allein. Papst Benedikt XVI. lebt diese Wahrheit – und lädt alle ein, mit ihm gemeinsam cooperatores veritatis, Mitarbeiter der Wahrheit zu sein. So gesehen war die Papstreise nicht nur vom Wetter her ein lichtreiches Ereignis.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Tage in Regensburg: „Ein Gesamtkunstwerk!“

Die Wahlheimat Regensburg hat ihrem Papst Benedikt einen großartigen Empfang bereitet. Die Menschen haben gezeigt, dass sie auf den Heiligen Vater wirklich stolz sind. In einem kurzen Interview fasst der Regensburger Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller seine Eindrücke zusammen.

Interview mit Bischof Gerhard Ludwig Müller, Regensburg

Kirche heute: Exzellenz, was waren aus Ihrer Sicht die Höhepunkte?

Bischof Müller: Die Feier der Eucharistie auf dem Islinger Feld stellte sicherlich einen herausragenden Höhepunkt dar, aber ebenso wichtig war die Begegnung mit der Wissenschaft an der Universität, wo Papst Benedikt XVI. das Verhältnis von Glaube und Vernunft auf höchstem wissenschaftlichen Niveau erläutert hat.

Das gemeinsame christliche Abendlob mit Vertretern der evangelischen und orthodoxen Christen sowie weiteren Repräsentanten anderer christlicher Konfessionen hatte das große Ziel, den gemeinsamen Glauben an Jesus Christus zu bezeugen.

Die Tage in Regensburg waren, wenn man so möchte, ein Gesamtkunstwerk, das die Menschen angesprochen hat, ihnen wieder Mut zum eigenen Bekenntnis geschenkt hat und ihnen die Freude des Glaubens wieder vor Augen gestellt hat.

Kirche heute: Sie haben die Vorlesung des Papstes an der Universität Regensburg angesprochen. War es ein Risiko, die heikelste Frage im Dialog mit dem Islam, nämlich die nach Gewalt und „heiligem Krieg“, so ungeschützt anzugehen?

Bischof Müller: Leider wurde der Sinn seiner Worte nicht verstanden. Aber wer dafür eintritt, dass die Religion nicht als Alibi für Gewalt verwendet werden kann, hat auf dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrung – auch im Bereich der eigenen christlichen Tradition – ein Zeugnis abgelegt für den Frieden. Vernunft, Glaube und der daraus sich ableitende Frieden ist dauerhafter als die politischen Aktionen.

Kirche heute: Was bedeuten die Auseinandersetzungen für die bevorstehende Türkeireise?

Bischof Müller: Die Reise des Heiligen Vaters in die Türkei wird sicherlich eine Herausforderung besonderer Art. Aber auch dort sind Brüder und Schwestern im Glauben an Jesus Christus, die er, gemäß dem Auftrag Jesu, im Glauben stärken will.

Kirche heute: Abgesehen vom Wirbel um die Islam-Äußerungen wurde die Rede des Papstes weitgehend mit größter Bewunderung aufgenommen. Was wollte der Papst mit seinen Überlegungen zur Frage Vernunft und Religion der Welt von heute sagen?

Bischof Müller: Benedikt XVI. hat sich in seinem ganzen Leben mit der Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft beschäftigt. Wir können unseren Glauben nicht einseitig auflösen in das reine Denken – dann bliebe nur ein positivistischer Glaube übrig. Und wenn wir nur eine vernunftgemäße Beschäftigung gelten lassen, dann fehlt ebenso ein wesentlicher Bestandteil, nämlich die innere Annahme des Glaubens hinein in den Willen und das Herz. Das ist das Schöne am Christentum: Es spricht den ganzen Menschen an. Trennen wir die beiden Flügel, so trennen wir auch den Menschen.

Kirche heute: Auch die protestantische Seite reagierte auf eine entsprechende Anmerkung des Papstes empfindlich. Wie könnten die Impulse der Vorlesung auch für die Ökumene fruchtbar gemacht werden?

Bischof Müller: Für die ökumenischen Gespräche ist es wichtig, die Einheit auf der Basis der Wahrheit zu finden. Erst dann ist sie tragfähig und zukunftsweisend. Und zur Wahrheit komme ich nur, wenn ich mit meiner Vernunft, mit dem Verstand als Werkzeug die einzelnen Aspekte zu einem Ganzen zusammenfüge.

Kirche heute: Was erwarten Sie von diesem Besuch für das kirchliche Leben in Ihrem Bistum?

Bischof Müller: Der Papstbesuch wird den begonnenen Aufbruch sicherlich noch verstärken. Unser Engagement gerade bei den jungen Menschen – ich denke dabei an die vielen Schulen in kirchlicher Trägerschaft – erhält dabei einen neuen Schwung. Die Themen Glaube und Kirche sind präsenter denn je und die persönliche Identifikation mit Jesus Christus hat auch die Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz beantwortet. Ein Signal ist aber auch darin zu sehen, dass das Christentum innerhalb der Gesellschaft, die sich oft so gerne als reine säkulare Ordnung verstehen möchte, wieder zu einer erfahrbaren Stimme geworden ist. Der Glaube gehört in die Öffentlichkeit und muss wirklich mitreden bei den drängenden Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft.

Kirche heute: Welche Anregungen des Papstes sollten wir uns alle zu Herzen nehmen?

Bischof Müller: Da möchte ich noch einmal das Motto des Pastoralbesuches aufgreifen: „Wer glaubt, ist nie allein“. Hunderttausende haben mit dem Papst gebetet, haben ihn freudig empfangen und begrüßt. Tausende waren zum Großteil ehrenamtlich im Einsatz, damit ein reibungsloser Ablauf garantiert wurde. Nimmt man dazu die ermunternden und bewegenden Worte des Papstes und seine Gesten hinzu, dann wurde deutlich, dass uns der Glaube wieder klar gemacht hat, was es heißt, Mensch zu sein und eingebunden zu sein in die Liebe des dreifaltigen Gottes. Der Papst hat seine Brüder und Schwestern im Glauben gestärkt – und dafür dürfen wir aus ganzem Herzen dankbar sein.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2006
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Zur Islam-Kritik des Papstes

Weihbischof Dr. Andreas Laun ist überzeugt, dass Papst Benedikt XVI. dem Dialog mit dem Islam nicht geschadet, sondern einem „offenen und notwendigen Dialog wieder den Raum des freien Wortes zurückgegeben hat, ohne den er nicht gedeihen kann“. Laun betrachtet die Überlegungen des Papstes gleichsam als „Steilvorlage“ für das weitere Gespräch. In aller Ruhe und Sachlichkeit zeigt er auf, wie es die neue Möglichkeit nun zu nutzen gilt. Er benennt die Aufgaben sowohl der christlichen als auch der muslimischen Gesprächspartner, damit der anstehende Dialog gelingen kann.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Papst Benedikt XVI. sprach in seinem Vortrag vom 12.09.06 an der Universität Regensburg über das Verhältnis von Gottesglaube und Vernunft. Dabei ging er von einem Islam-kritischen Zitat aus, in dem Gewalt im Namen der Religion zwar angesprochen wird, aber nur, um über das Gottesbild des Islam zu sprechen. Für den Papst selbst hingegen ist die zitierte Diskussion nur Einleitung, um über sein Thema, eben über den christlichen – nicht den islamischen! – Gottesglauben im Verhältnis zur Vernunft zu sprechen, und zwar so, wie sich die Frage in der europäischen Geistesgeschichte darstellt.

Die  Reaktionen auf die päpstlichen Gedanken erschütterten die Welt:

„Islamische Welt tobt über den Papst“, lautete die Überschrift einer großen Wiener Zeitung, die Reaktionen reichten von „Zorn“ über „Empörung“ bis „Befremden“, der Papst wurde einer „Kreuzfahrer-Mentalität“ und einer „feindseligen Haltung“ beschuldigt, man sagte, er habe „den Islam beleidigt“, er sei ein „Lügner“, und man forderte eine Entschuldigung des Papstes.

Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, drehte gegenüber dem Berliner „Tagesspiegel“ den Spieß einfach um: Es falle ihm „schwer zu glauben, dass der Papst gerade im Verhältnis zur Gewalt die Grenze zwischen Islam und Christentum sieht“. Schließlich sei auch die Geschichte des Christentums blutig gewesen. „Man denke nur an die Kreuzzüge oder die Zwangsbekehrungen von Juden und Muslimen in Spanien“, so Mazyek.

Aber es blieb nicht bei Gefühlen und Worten, bald schon wurde der Ruf nach Rache laut: In Italien strahlte ein Privatsender ein Video der Terrororganisation El Kaida aus, in dem die Organisation zur Ermordung von Papst Benedikt XVI. aufrief. Das Video ist an den „Affen im Vatikan“ gerichtet, als Antwort auf die Aussagen des Papstes zum Islam. Gezeigt wird dabei ein islamisches Schwert, das ein christliches Kreuz entzweischlägt. Auch im Internet kursieren in Islamisten-Foren Aufrufe zur Ermordung von Papst Benedikt XVI., und scheußliche Karikaturen von ihm werden gezeigt, viel schlimmer als die Mohammed-Karikaturen, die die muslimische Öffentlichkeit erst vor kurzem erregt haben. Im Gaza-Streifen brannte schon bald eine Kirche, und in Indien zündeten Muslime eine Puppe an, die den Papst darstellen sollte. Der stellvertretende Vorsitzende der türkischen Regierungspartei Salih Kapusuz verglich den Papst mit Hitler und Mussolini und meinte, entweder kenne der Papst den Islam nicht oder er verdrehe absichtlich die Tatsachen. Wie auch immer, er müsse sich entschuldigen.

Es ist eigenartig zu beobachten, wie sich bestimmte Gruppen selbst widersprechen: Mit Beschimpfungen und Androhung von brutalster Gewalt fordern sie, den Islam für eine friedfertige Religion zu halten. Gut zu hören, dass diese Reaktionen auch von besonnenen Muslimen als überzogen eingestuft wurden. Zugeben muss man auch: Legten die Christen die gleichen Maßstäbe an wie die protestierenden Muslime, hätten sie angesichts von Vergleichen des Papstes mit Hitler und anderen Beschimpfungen viel mehr Recht, beleidigt zu sein und aggressiv zu reagieren, als jene, die mit ihrer Wut beweisen, was sie bestreiten wollen.

Die Sache erscheint noch eigenartiger, wenn man bei genauer Lektüre feststellt: Über die Frage, wie gewalttätig der Islam ist oder nicht ist, hat der Papst gar nicht gesprochen. Wie anders und wie schön wäre es gewesen, hätte die Mehrheit der führenden Muslime den Text sorgfältig gelesen und mit einer gründlichen, argumentativen Auseinandersetzung auf die Worte des Papstes geantwortet! Für einen Christen ist es selbstverständlich, dass sie sachliche Einwände jeder Art gegen die Gedanken des Papstes hätten erheben dürfen – die Christen hätten mit Bestimmtheit nicht beleidigt reagiert.

Angesichts all der heftigen Anschuldigungen und Forderungen bedauerte der Papst öffentlich die Reaktionen auf seine Rede und stellte klar: „Dieser Passus wird als Beleidigung der religiösen Gefühle von islamischen Gläubigen empfunden, während es sich doch um das Zitat eines mittelalterlichen Textes handelte, der in keiner Weise mein persönliches Denken ausdrückt.“ Natürlich wollte der Papst niemand beleidigen, im Gegenteil: „Die Rede war und ist in ihrer Ganzheit eine Einladung zum offenen und ehrlichen Dialog, mit großem gegenseitigem Respekt.“

Natürlich kann man zu diesem Ereignis nicht leicht Stellung nehmen, solange die Emotionen hoch gehen, ähnlich, wie Ärzte, die wissen, dass sie nicht in entzündetes Gewebe schneiden dürfen, wenn sie das Übel nicht vergrößern wollen. Die Erfahrung zeigt, mit wütenden Menschen diskutieren zu wollen, ist zwecklos. Wut ist, sagen die Psychologen, häufig Ausdruck argumentativer Hilflosigkeit – ist es das auch in diesem Fall? „The day after“ ist es gut, ein solches Ereignis zu analysieren und zu versuchen, die wahren Zusammenhänge zu verstehen.

Freiheit oder Selbstzensur?

Manche sagen, der Papst hätte wissen müssen, dass die Muslime empfindlich reagieren werden, er hätte sich seine Äußerungen besser überlegen und auf die Gefühle der Betroffenen Rücksicht nehmen sollen.

Das klingt plausibel, aber dabei geht ein Aspekt unter, der für die Beziehungen der westlichen Kultur mit dem Islam von größter Wichtigkeit ist: So richtig es ist, dass der Dialog nur im „gegenseitigen Respekt“ geführt werden kann, so wahr ist es aber auch, dass zu eben diesem Dialog die Möglichkeit gehört, Kritik an der Position des jeweils anderen zu äußern. Natürlich tut Kritik auch weh. Aber wer darauf jeweils mit Beleidigt-Sein statt mit Argumenten reagiert, macht das Gespräch unmöglich. Auch eine sachliche und faire Auseinandersetzung muss manchmal mit einer argumentativen Härte geführt werden. Um der Wahrheit willen ist das notwendig. Im Gespräch mit dem Islam bedarf es natürlich der Liebe, aber nicht wahrheitswidriger Liebeserklärungen. Im Gegenteil, zur Liebe gehört es, auch Einwände zu erheben, die zunächst einmal schmerzen. Eine Rücksichtnahme, die bereit ist, alle kritischen Punkte durch Selbstzensur von vornherein zum Verschwinden zu bringen, ist das Ende eines wahren Dialoges, hoch gefährlich, weil sie den Geist der Freiheit und der Wahrhaftigkeit zerstört.

Sollten Muslime diese Grundsätze bestreiten, müsste man ihnen empfehlen, mit diesem Maßstab vor Augen ihre Kritik am Christentum oder gar an den Juden zu prüfen: Sie ist normalerweise in Inhalt und Form viel schärfer als die Kritik der Christen am Islam.

Natürlich werden christliche Autoren nach diesem „Crash“ noch sorgfältiger als bisher überlegen, wie sie sich im Gespräch mit Muslimen verhalten sollen. Aber zugleich müssen sie alles tun, um ihre Gesprächspartner zu jener Gesprächskultur hinzuführen, auf Grund derer man wirklich frei auch heikle Punkte ansprechen kann. In dieser Richtung müssen die Europäer drängen, sanft, aber stetig und beharrlich. Denn damit verteidigen sie die so kostbare Freiheit des Wortes und der Rede. Sie ist unverzichtbar, sie ist kein „europäischer Wert“, der austauschbar wäre, sie gehört vielmehr zum Wesen eines guten Dialogs, ist conditio sine qua non!

Bei diesem Kampf um die Freiheit des Wortes gibt es auch viele muslimische Verbündete (wie zum Beispiel Irshad Manji), viel mehr, als man meinen könnte. Der Grund dafür, dass sie dennoch schweigen, ist vor allem der Mangel an jener Freiheit, die es in Europa zu verteidigen und in manch anderen Ländern zu erkämpfen gilt.

Sich aus Angst vor den Gefühlen bestimmter muslimischer Gruppen durch Selbstzensur der Freiheit des Wortes mitten in Europa zu berauben, wäre nicht nur eine Selbstverstümmelung, sondern auch der denkbar schlechteste Dienst an den Menschen, die sich zum Islam bekennen und sich nach der Freiheit sehnen.

Was hat der Papst über den Islam wirklich gesagt?

Zu einem guten Dialog gehört die wohlwollende Sorgfalt, mit der man sich die Position des jeweils anderen aneignet: Wohlwollend, weil man an sie mit dem Willen herangehen sollte, sie zunächst einmal im Sinn des anderen zu verstehen, bevor man sie auf Fehler abzuklopfen versucht.

Sieht man die kritischen Wortmeldungen der muslimischen Kritiker durch, hat man den Eindruck: Mit eben dieser notwendigen Sorgfalt hat man den Text des Papstes nicht gelesen. Umso nötiger ist es herauszuarbeiten, ob und in welchen Punkten der Papst tatsächlich Kritik am Islam geübt hat und ob diese Kritik, wie muslimische Kritiker behaupten, nicht doch auf Unkenntnis oder Missverstehen des Islam beruht. Daher die Frage: Was hat der Papst wirklich gesagt?

Thema seines Vortrags war das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Um die Frage, die ihn bewegt, gut verständlich zu machen, zitierte der Papst das Streitgespräch des gelehrten Kaisers Manuel II. Paleologus mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam, das im Jahr 1391 stattgefunden hat. Dabei sprach der Kaiser auch den „heiligen Krieg“ an, aber nur, um eine andere, ihm wichtige Frage nach Gott zu stellen. Papst Benedikt XVI. führte aus:

„Der Kaiser wusste sicher, dass in Sure 2,256 steht: Kein Zwang in Glaubenssachen – es ist eine der frühen Suren aus der Zeit, in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war. Aber der Kaiser kannte natürlich auch die im Koran niedergelegten – später entstandenen – Bestimmungen über den ,heiligen Krieg‘.

Ohne sich auf Einzelheiten wie die unterschiedliche Behandlung von ,Schriftbesitzern‘ und ,Ungläubigen‘ einzulassen, wendet er sich in erstaunlich schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner. Er sagt: ,Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.‘

Der Kaiser begründet dann eingehend, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Sie steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. ,Gott hat kein Gefallen am Blut, und nicht vernunftgemäß (sy logo) zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Glaube ist Frucht der Seele, nicht des Körpers.

Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung. … Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann…‘ Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Der Herausgeber (dieses alten Textes), Theodor Khoury, kommentiert dazu: Für den Kaiser als einen in griechischer Philosophie aufgewachsenen Byzantiner ist dieser Satz evident. Für die moslemische Lehre hingegen ist Gott absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit. Khoury zitiert dazu eine Arbeit des bekannten französischen Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, dass Ibn Hazn so weit gehe zu erklären, dass Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und dass nichts ihn verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Idolatrie (Verehrung von Götzenbildern) treiben.

Hier tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten Verwirklichung von Religion auf, der uns heute ganz unmittelbar herausfordert. Ist es nur griechisch zu glauben, dass vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist, oder gilt das immer und in sich selbst?“

Soweit der anstößige Text. Im Anschluss daran setzte sich der Papst im Kernbereich seines Vortrags nur noch mit der europäischen Geistesgeschichte auseinander, ohne nochmals auf den Islam Bezug zu nehmen. Das Ergebnis seiner Überlegungen ist eine scharfe Kritik an dem eingeengten, positivistischen Vernunftbegriff der modernen, westlichen Welt. Seine Sorge gilt nicht nur dem Islam, sondern allen „uns bedrohenden Pathologien der Religion und der Vernunft“ in welcher Form auch immer: sei es als Ablehnung der Vernunft durch die Religion, sei es als Ausgrenzung der Religion durch die Vernunft. Den Finger auf die Wunde legt der Papst deutlicher auf die Pathologie der westlichen Vernunft, die sich der Religion verschließt, als auf die der Religionen, die die Vernunft ablehnen. Außerdem diagnostiziert er die religiöse Pathologie nicht nur im Islam, sondern da und dort auch im Christentum. Sorgen bereitet sie ihm in jeder Form und wo auch immer.

Indem der Papst die Notwendigkeit betonte, die Vernunft für die Gottesfrage wieder zu öffnen, verteidigte er die Weltreligionen und damit natürlich auch den Islam, indem er sagte:

„Nur so“ – mit einer neuen Verbindung von Vernunft und Glaube – „werden wir auch zum wirklichen Dialog der Kulturen und Religionen fähig, dessen wir so dringend bedürfen. In der westlichen Welt herrscht weithin die Meinung, allein die positivistische Vernunft und die ihr zugehörigen Formen der Philosophie seien universal. Aber von den tief religiösen Kulturen der Welt wird gerade dieser Ausschluss des Göttlichen aus der Universalität der Vernunft als Verstoß gegen ihre innersten Überzeugungen angesehen.“

Bewertung der Papstkritik

Eine aufmerksame Lektüre des Textes im Hinblick auf Kritik am Islam ergibt folgendes Bild:

1. Der Papst nimmt als gegeben an, das es „im Koran niedergelegte Bestimmungen über den heiligen Krieg“ gibt.

2. Der Papst zitiert Kaiser Manuel, der sagt, der Islam setze Gewalt zur Verbreitung des Glaubens ein, und dies sei unmenschlich und unsinnig. Aber der Kaiser bezieht sich auf die behauptete Gewalt lediglich deswegen, um über das Wesen Gottes und das der menschlichen Seele nachzudenken. Auch der Papst zitiert die Aussagen des Kaisers nur, um den für ihn und den Kaiser „entscheidenden Satz“ beleuchten zu können: „Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.“ Nur um diesen Satz geht es dem Papst, diesen verteidigt er in seinen folgenden Ausführungen als genuin christlich und stellt ihm die islamische Vorstellung von Gott gegenüber: Gott ist jenseits unserer Begriffe, auch erhaben über den Anspruch der Vernunft, er kann beschließen und befehlen, was immer er will, er muss nicht einmal die Versprechen halten, die er uns gibt.

Für diese Auslegung des Islam beruft sich der Papst auf zwei anerkannte Fachleute der Islamkunde und auch auf einen muslimischen Autor.

Was ist von dieser „Islamkritik“ zu halten? Ist sie zutreffend, ist sie beleidigend?

• Der Papst setzt die Existenz der Lehre vom „heiligen Krieg“ lediglich als dem Kaiser Manuel II. bekannt voraus. Er stellt sie weder dar noch analysiert oder kritisiert er sie. Man kann unmöglich behaupten, der Papst „kritisiere“ damit den Islam, und schon gar nicht, dass er dies in einer irgendwie beleidigenden Art und Weise getan hätte.

• Was das ganze Zitat des Kaisers betrifft, hat der Papst – da es offenbar nötig ist – längst klargestellt, dass es sich „um das Zitat eines mittelalterlichen Textes handelte, der in keiner Weise mein persönliches Denken ausdrückt.“ Das einzige, was man dem Papst vorhalten könnte, wäre, dass er sich überhaupt eines solchen Zitates bediente, das ein ungenauer oder ungebildeter Leser leicht missverstehen und das ein Fanatiker daher besonders leicht missbrauchen kann. Dagegen ist allerdings zu sagen: Erstens hat der Papst an der Universität gesprochen, einem Ort größter Freiheit, um alles und jedes zu diskutieren. Zweitens hat er sich sogar im Vortrag selbst vom Zitat als ganzem distanziert durch die Bemerkung, der Kaiser habe seinen Einwand gegen den Islam „in erstaunlich schroffer Form“ ausgedrückt.

Ganz ausgeräumt ist der Vorwurf damit nicht. Vermutlich würde sich der Papst, wenn er diese Reaktionen vorausgesehen hätte, heute für sein Thema einen anderen Einstieg suchen. Aber gleichzeitig müsste man den verantwortlichen Muslimen sagen: Auch der „einfache Mann der muslimischen Straße“ hat den Text nicht missverstanden, weil er ihn nicht gelesen hat und nicht verstanden hätte. Seine Empörung ist die Folge der Indoktrination durch bestimmte Leute, die den Papst-Text entweder selbst gröblich missverstanden haben oder missverstehen wollten. Die besonnenen und verständigen Muslime aber hätten die Pflicht gehabt, denen, die das Zitat missbräuchlich verwendeten, entgegenzutreten – statt noch mehr Öl in das Feuer der aggressiven Ideologen zu gießen.

• Bleibt der islamische Gottesbegriff, an dem Muslime Anstoß nehmen könnten – vorausgesetzt, sie denken bezüglich der Vernunft wie Christen: Nur wenn man die Vernunft hoch schätzt, kann man die Idee eines Gottes, der sich über die Vernunft hinwegsetzt, als anstößig empfinden. Das heißt aber: Anstoß an der Kritik des Papstes am muslimischen Gottesbegriff kann nur derjenige nehmen, der über das Verhältnis Gottes zur Vernunft – im Sinn des Kaisers Manuel und des Papstes Benedikt XVI. – christlich denkt. Dann und nur unter dieser Voraussetzung ist das, was der Papst gesagt hat, wohl ein schwerwiegender Kritikpunkt am Islam, aber deswegen noch lange keine Beleidigung.

Aufgabe der muslimischen Gesprächspartner

Angesichts der These des Papstes und seiner Gewährsleute bezüglich der Gottesidee des Islam hätten die muslimischen Gelehrten die Aufgabe, entweder zu zeigen, dass die Islam-Deutung des Papstes und der von ihm zitierten Fachleute falsch ist, oder zu beweisen, dass Gott tatsächlich über der Vernunft steht und warum der vom Papst so geschätzte Satz des Kaisers Manuel II. falsch ist.

Auch wenn der Papst das Gottesbild des Islam falsch verstanden haben sollte und also auch für die Muslime gilt: „Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider“, wäre ein solcher päpstlicher Irrtum alles andere gewesen als ein Grund für die Muslime, beleidigt zu sein und zu reagieren, wie sie reagiert haben. Sie hätten dem Papst mitteilen können, er irre sich und die von ihm genannten Gewährsleute seien ebenso im Irrtum, die zitierte muslimische Meinung sei nur die einer islamischen Splittergruppe, die nicht für „den Islam“ stehe. Vor allem aber hätten sie sehen sollen: Für alle am Dialog Beteiligten, besonders für Papst Benedikt XVI., wäre der behauptete Auslegungsirrtum eine große Freude gewesen. Denn er würde ja bedeuten, dass es in der für alle Religionen zentralen Gottesfrage eine große Übereinstimmung zwischen Christen und Muslimen gibt.

Wenn aber die Auslegung stimmt, dass Gott  im Islam tatsächlich für erhaben über die Vernunft gehalten wird und so gesehen ein Willkür-Gott wäre, so wäre dies tatsächlich höchst beunruhigend und, am christlichen Maßstab gemessen, eine schwerwiegende Kritik am Islam, aber nicht ein Grund, beleidigt zu sein. Diese Frage müsste nur dringend zum Gegenstand jenes „offenen und ehrlichen Dialoges“ werden, zu dem der Papst eingeladen hat, eines Dialoges, der gerade wegen seiner Bedeutung „mit großem gegenseitigem Respekt“ geführt werden müsste. Denn die fragliche These des Islam wäre, wenn sie stimmt, tatsächlich ein schmerzlicher „Scheideweg“ (Papst Benedikt XVI.), der Christen und Muslime auseinanderführt. Aber wenn es dem zitierten Aiman Mazyek schwer fällt zu „glauben, dass der Papst gerade im Verhältnis zur Gewalt die Grenze zwischen Islam und Christentum sieht“, hat er recht: Der Papst hat von dieser Grenze auch gar nicht gesprochen, sondern von einer anderen, nämlich der Grenze, die sich aus der Gottesfrage ergibt – immer vorausgesetzt, seine Islamdeutung trifft zu.

Im Dialog über diese Frage würden sich die Vertreter der beiden Religionen vielleicht nicht einigen können, aber möglicherweise entdecken, dass sie natürliche Verbündete in einer anderen Auseinandersetzung sind: nämlich derjenigen mit der säkularen, den Glauben ausschließenden Vernunft. Auf dieser Grundlage könnten sie geschwisterlich über das sprechen, was sie zu trennen scheint, aber beiden, Christen und Muslimen, das wichtigste Thema der Welt ist: über Gott.

Dem Papst ist trotz aller Missverständnisse und Proteste zu danken, weil er dem offenen und notwendigen Dialog wieder den Raum des freien Wortes zurückgegeben hat, ohne den er nicht gedeihen kann.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2006
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Im Licht Johannes Pauls II.

„Das wäre Johannes Paul II. nicht passiert“, auf diese Weise soll sich angeblich ein Vatikan-Insider über die Vorlesung des Papstes in Regensburg geäußert haben. So sehr es stimmen mag, dass sich Johannes Paul II. anders ausgedrückt hätte, so abwegig ist es, den Vorstoß Benedikts XVI. als ein kirchenpolitisches Ungeschick zu deuten, das dem Dialoggedanken Johannes Pauls II. zuwiderläuft. Deshalb erscheint es hilfreich, die derzeitigen Ereignisse im Licht Johannes Pauls II. zu betrachten. Daraus entwickelt sich auch eine Perspektive, wie der Dialog nach dem „Regensburger Ereignis“ weitergeführt werden kann.

Von Erich Maria Fink und Thomas Maria Rimmel

Religionsfreiheit und Mission

Papst Johannes Paul II. hatte eine sehr dezidierte Vorstellung vom Zusammenleben der Religionen und dem Auftrag, den das Christentum dabei spielt. Die wichtigste Aufgabe als Pontifex sah er darin, die Religions- und Gewissensfreiheit auf der ganzen Welt einzufordern. Er stellte sie neben dem Recht auf Leben als zentrales Menschenrecht heraus. Dabei bedeutet für ihn Religionsfreiheit sowohl das Recht, seine religiöse Überzeugung frei zu wählen, als auch das Recht, für seinen Glauben öffentlich Zeugnis abzulegen. In diesem gesellschaftspolitischen Rahmen einer freiheitlichen Atmosphäre, so betonte Johannes Paul II. unermüdlich, wird sich die Wahrheit kraft ihrer selbst durchsetzen. Alle sozialen und politischen Stützen sind letztlich nicht förderlich, sondern stellen für den Aufbau des Reiches Gottes eher ein Hindernis dar. Diese feste Grundüberzeugung bildete das Fundament seines Denkens und seines öffentlichen Wirkens. Es spiegelte sich besonders in den Ansprachen seiner vielen Auslandsreisen wider. Je freier die Menschen über Religion miteinander ins Gespräch kommen, so Johannes Paul II., umso schneller werden sie die Wahrheit über Gott und den Menschen finden, umso leichter werden sie sich für Christus als den einzigen Weg zum Vater entscheiden. Ohne diesen missionarischen Hintergrund ist der Einsatz Johannes Pauls II. für Gewissens- und Religionsfreiheit nicht zu verstehen. Er ist mehr als nur das Bemühen, einen Beitrag zum friedlichen Miteinander verschiedener Kulturen und Religionen zu leisten. Johannes Paul II. sah ein „neues Missionszeitalter heraufdämmern“, das mit der Möglichkeit des freien Zeugnisses steht und fällt. Dafür kämpfte er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.

Der Friede in Christus

Zugleich brachte Johannes Paul II. bei jeder denkbaren Gelegenheit zum Ausdruck, dass Gott allein den Frieden schaffen kann. Deshalb lud er beispielsweise Vertreter der verschiedenen Religionen zu Gebetstreffen um den Frieden nach Assisi ein. Gleichzeitig bezeugte er gerade auch vor den Anhängern anderer Religionen seinen eigenen Glauben, dass Gott dazu seinen Sohn in die Welt gesandt hat und dass ohne Jesus Christus die Völker keinen wahren Frieden finden können. Ein friedliches Zusammenleben wird es nach Johannes Paul II. nicht als Frucht der politischen Bemühungen einer UNO oder eines Gesprächs zwischen den Religionen geben, bei denen alle als „gleichgültig“ angesehen werden. Vielmehr ist der Friede allein Frucht der Versöhnung in Christus. Je mehr Menschen ihn als Erlöser annehmen, umso tragfähiger und dauerhafter kann der Friede unter den Völkern wachsen. Diese Botschaft war bei Johannes Paul II. aber immer eingebettet in das neu ins Bewusstsein gelangte Selbstverständnis der Kirche durch das II. Vatikanische Konzil. Die Christen verstehen sich danach als „Sakrament“ der Einheit und des Friedens in die Welt. Sie sind überzeugt, dass die Kirche in der Hand Gottes das Instrument darstellt, durch das Gott seine Liebe, seine Vergebung und seinen Frieden allen Völkern zukommen lassen kann. So nachdrücklich diese Sicht die unersetzliche Rolle des Christentums betont, so eindeutig ermöglicht sie den Christen ein missionarisches Wirken im Geist der Freiheit. Denn wenn auch Menschen anderer Religionen grundsätzlich Anteil an der Gnade Christi erlangen können, brauchen die Christen niemanden durch gewaltsame Bekehrungsversuche zum Glück und ewigen Heil zwingen. Diese Überzeugung ist für Johannes Paul II. der Grundpfeiler für einen entspannten und zugleich zielbewussten Dialog zwischen den Religionen. Deshalb kommt dem Christentum aus seiner Sicht auch die Funktion eines Katalysators für Dialog und Frieden in der Welt zu. Die Christen wirken sowohl mit ihrer Botschaft als auch mit ihrer gnadenhaften Gabe der Versöhnung in die Welt hinein.

Heutige Formen der „Gewalttätigkeit“ des Islam

Ist die Vorstellung von Johannes Paul II. eine Illusion, dass sich ein freies und friedliches Miteinander von Christen und Muslimen herbeiführen lässt? Kann dieser Balance-Akt überhaupt gelingen? Was den Erfolg all dieser Bemühungen am meisten gefährdet, ist ein unehrlicher Dialog, der die Verletzungen der Freiheit insbesondere durch den Islam um des Friedens willen nicht beim Namen nennt. Ein noch so gut gemeinter Versuch, die Wogen zu glätten und die Anhänger des Islam nicht unnötig zu reizen, wird sich als Bumerang erweisen. Und hier wird deutlich: Papst Benedikt XVI. will sich eine solche „political correctness“ nicht nachsagen lassen. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch einen offenen Dialog für den Freiraum zu kämpfen, den Johannes Paul II. auf seine Weise gefordert hat. Dieses Ziel aber kann nur erreicht werden, wenn wir ohne Angst den Finger auf die wirkliche Wunde legen. Dazu hat Walter Kardinal Kasper in diesen Tagen Klartext gesprochen. Er warnte vor „zu hohen Erwartungen an den interreligiösen Dialog“. Denn der Islam verstehe sich als dem Christentum überlegen und verhalte sich bisher nur dort tolerant, wo er in der Minderheit sei. „Wo er die Mehrheit hat, kennt er keine Religionsfreiheit in unserem Sinn“, so Kasper. Es ist an der Zeit, darauf hinzuweisen, dass sich heute in erster Linie darin die „Gewalttätigkeit“ des Islam zeigt. Die Anwendung von Gewalt durch islamistische Gruppen ist eine logische Konsequenz dieser gesetzlichen Verfasstheit muslimischer Staaten. Und hier stellt Karl Kardinal Lehmann fest: „Ohne falsche Anklagen, Besserwisserei und Dünkel müssen wir unsere muslimischen Gesprächspartner dann aber auch damit konfrontieren, dass in der heutigen Weltsituation vorgeblich religiös motivierte und religiös legitimierte Gewalt ein Phänomen darstellt, das sich vorwiegend – wenngleich nicht ausschließlich – am Islam festmacht.“ Denn für Lehmann ist es eine nicht zu übersehende Tatsache, dass „Gewaltanwendung vielfach religiös begründet wird und dies auch Widerhall in Teilen der muslimischen Gesellschaften findet“. Deshalb muss gefragt werden, so Lehmann, „inwieweit in der heutigen Gewaltproblematik der muslimischen Religion die theologische Tradition des kämpfenden und herrschenden Islam, die mit einer gewissen Ungebrochenheit die Zeiten überdauert zu haben scheint, eine Rolle spielt. Und inwieweit erschwert – auch dies muss man fragen – die Grundgeschichte des Islam, die den Propheten Mohammed nicht nur als Religionsstifter, sondern auch als Feldherrn und Herrscher zeigt, bis heute eine Entfaltung gewaltkritischer Tendenzen des Islam?“

Dienst Benedikts XVI. an der Menschheit

Wenn wir den Ansatz Johannes Pauls II. ernst nehmen, müssen wir das Problem der heutigen Formen der Gewalttätigkeit des Islam offensiv angehen. Auch Johannes Paul II. hat klar gesehen, dass ein ständiges Ausbalancieren die islamistischen Kräfte nur stärkt. Und er suchte den Mittelweg: Einerseits, so war Johannes Paul II. überzeugt, kann und darf das Problem nicht militärisch gelöst werden, andererseits bliebe den immer mehr zurückgedrängten Christen irgendwann nur noch die eine Perspektive, nämlich den islamischen Extremismus durch das eigene Martyrerblut zu überwinden. Papst Benedikt XVI. wird in die Geschichte eingehen, als eine Autorität, die den Mut hatte, gegen einen blinden Integralismus der Europäischen Union aufzustehen. Mit den Waffen der Vernunft fordert er Religion und Politik gleichermaßen heraus. Sein Vorstoß ist ein Dienst am Islam wie am Christentum, letztlich an der Menschheit zum Aufbau einer neuen Zivilisation der Liebe.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2006
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Ein Papstbuch ohne Verfallsdatum

Kurz vor dem Besuch Benedikts XVI. in Bayern erschien ein eindrucksvolles Papstbuch unter dem Titel „Mit den Augen des Heiligen Vaters“.[1] In einem großformatigen Bildband machen der Fotograf Hans-Günther Kaufmann und der Journalist Martin Lohmann die tiefe Verwurzelung des Heiligen Vaters in seiner Heimat sichtbar und begreifbar.

Von Werner Schiederer

„Mit den Augen des Heiligen Vaters“

Der Untertitel „Benedikt XVI. – was er sah, was ihn prägte“ verrät, dass es dabei nicht um die touristischen Sehenswürdigkeiten Bayerns geht, sondern um ein in Kultur und Traditionen noch immer weitgehend durch den katholischen Glauben tief geprägtes Land, das dem Kind und Jugendlichen, später auch dem jungen Erwachsenen Joseph Ratzinger in der auf diese Weise alltäglich erfahrbaren Religion eine geistige und seelische Beheimatung gegeben hat, die seinen gesamten weiteren Lebensweg geprägt hat.

Komplimente aus aller Welt

Stanislaw Kardinal Dziwisz, der ehemalige Privatsekretär und Freund von Papst Johannes Paul II. und heutige Erzbischof von Krakau, schreibt an Martin Lohmann: „Ich bedanke mich sehr persönlich für Ihr Buch, das dem Leser die Welt erschließt, in der der Papst sich als Kind und Erwachsener bewegte, lebte und arbeitete. Vielen Dank für Ihre Mühe, uns den tiefen Glauben Benedikts XVI. zu zeigen.“ Eine der zahlreichen anerkennenden Reaktionen auf dieses außergewöhnliche wie auch außergewöhnlich authentische Buch über den Heiligen Vater.

Benedikt XVI.: „Das war goldrichtig!“

„Ich bin froh und dankbar“, sagte Papst Benedikt XVI. während der Generalaudienz vom 5. Juli 2006 zu den Autoren, „dass Sie das Buch gemacht haben“. Aus Zeitgründen habe er es leider nicht geschafft, selbst Texte beizusteuern. Daher sei er dem Textautor Martin Lohmann besonders dankbar, dass er für ihn „eingesprungen“ sei. „Das war goldrichtig, zumal wir uns schon so lange kennen“. Auch für die Bilder des Fotografen Kaufmann fand der Papst anerkennende Worte. Sie seien „mit den Augen der Seele gesucht und gefunden“, so schrieb er in einem persönlichen Brief.

Von Marktl bis Rom

Die Kombination aus Bild und Text, in die auch zahlreiche Zitate aus seinen eigenen Werken aufgenommen sind, eröffnet einen sehr persönlichen Zugang zum Papst. Zusammen mit den einführenden Beiträgen des Liturgieexperten Dr. Rupert Berger, der mit Joseph Ratzinger studierte, und des Abtprimas der Benediktiner, Dr. Notker Wolf, nimmt das Buch den Leser mit auf eine Reise zu den Lebensstationen des Heiligen Vaters – von Marktl am Inn bis nach Rom.

Im Anschluss an den Papstbesuch konnte Kirche heute dem Textautor einige Fragen stellen:

Kirche heute: Herr Lohmann, worauf sind Sie an Ihrem neuen Buch besonders stolz?

Martin Lohmann: Stolz ist vielleicht der falsche Ausdruck, aber ich bin besonders dankbar für die Herausforderung, mit meditativen Texten, von denen jemand sagte, sie seien jeder für sich eine spirituelle Miniatur, die Brücke zum Papst zu bauen. Das scheint gelungen. Und darüber bin ich froh. Ein Geschenk der ganz kostbaren Art hat mir der Papst selbst gemacht, denn während seines Bayernbesuches kam ein Exemplar meines Buches zu mir zurück mit einer handschriftlichen Widmung von ihm. Ausdrücklich bedankt er sich „herzlich“ für meine „schönen Texte“. Auch hier bin ich nicht stolz, aber unglaublich glücklich und dankbar.

Kirche heute: Fühlen Sie sich durch den Papstbesuch bestätigt in der Art, wie Sie Papst Benedikt XVI. vorgestellt haben?

Lohmann: Ja, sehr sogar. Weil ich ihn schon lange kenne, war das ja auch keine Überraschung. Benedikt XVI. ist sensibel, filigran, edel und stark. Er hat mehrfach fast wörtlich Formulierungen gebraucht, die so auch in dem Buch zu finden sind. Und zwar über seine Heimat ebenso wie über den Glauben, den ich versuche zu beschreiben. Sein Besuch in der bayerischen Heimat hat dieses Buch in Form und Inhalt – wenn ich so sagen darf – voll bestätigt. Ist doch schön, oder?

Kirche heute: Was ist Ihnen durch diese Pastoralreise neu aufgegangen?

Lohmann: Nicht neu, aber erneut aufgegangen ist mir seine unendliche Güte, seine Milde, die er zu verbinden versteht mit einer menschenfreundlichen und tief verwurzelten Glaubensstärke. Benedikt XVI. veredelt nicht nur das Bild vom Deutschen, er veredelt auch die Sicht von Kirche. Er ist durch und durch ein Ästhet, und er hat uns allen mit viel Ästhetik die Schönheit des Glaubens gezeigt und gleichsam farbenfroh gemalt. Dieser Petrus tut einfach nur gut.

Kirche heute: Gibt es Gesichtspunkte, die Sie nun stärker hervorheben würden?

Lohmann: Alles Wichtige ist hervorgehoben. Es steht alles in diesem Buch drin. Wer Benedikt mit Herz und Seele begegnen will, kann das mit Hilfe dieses Buches tun. Erst recht nach diesem Besuch des Papstes.

Kirche heute: Ist es nicht ein bisschen schade, dass die großartigen Eindrücke dieses Papstbesuchs nicht durch Bilder in Ihrem Buch dokumentiert sind?

Lohmann: Nein, denn dieses Buches geht gleichsam tiefer und ist und bleibt auch später noch aktuell, weil es auf die aktuellen Fotos vom Papst verzichtet und stattdessen die einmalige Chance bietet, mit den Augen des Heiligen Vaters zu suchen und zu finden. Bei diesem Buch gibt es – im Unterschied zu anderen – kein Verfallsdatum.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2006
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[1] Hans-Günther Kaufmann/Martin Lohmann: Mit den Augen des Heiligen Vaters. Benedikt XVI. – was er sah, was ihn prägte, Weltbild, 96 S., ISBN 3-89897-475-8.

Zur Vorlesung des Papstes über Glaube und Vernunft

Eines der bedrückendsten Probleme, mit denen sich die Menschheit in den letzten Jahren konfrontiert sieht, ist die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt. Keiner hatte bisher den Mut oder auch die Kompetenz, diese Frage von ihrer Mitte her zu beantworten. Der Versuch, dieses Thema um Gottes und der Menschen willen mit angemessener Gründlichkeit zu behandeln, wird einmal zu den großen Taten Papst Benedikts XVI. gezählt werden.

Von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner, Köln

Wer meint, der Papst habe den Islam verunglimpfen wollen, hat seine Worte überhaupt nicht verstanden. Es geht nicht um Gewalt und Islam, sondern ganz grundsätzlich um Gewalt und Religion. Zwar wird das Thema an einem Zitat des Kaisers Manuel II. Palaeologos aufgehängt: Schroff kritisierte dieser am Ende des 14. Jahrhunderts die Gewalt, die seiner Meinung nach durch Mohammed in die Welt gekommen war. Papst Benedikt XVI. jedoch beruft sich im Folgenden nicht auf die Kritik des Kaisers, sondern auf dessen Überzeugung, es sei dem Wesen Gottes zuwider, nicht vernunftgemäß zu handeln. „Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung.“ Gut 500 Jahre später hat das Zweite Vatikanische Konzil etwas Ähnliches gelehrt: dass nämlich „die Wahrheit nicht anders Anspruch erhebt als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt“ (Erklärung über die Religionsfreiheit, n. 1).

Der Papst ruft nun zum Gespräch über Religion und Gewalt im Spannungsfeld von Glaube und Vernunft auf. Wörtlich sagt er am Ende seiner Vorlesung: „In diese Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein.“ Die einzige wirkliche Kritik, die Benedikt äußert, richtet sich gerade nicht gegen den Islam, sondern gegen den verkürzten, einseitig naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftsbegriff der Postmoderne; in letzter Konsequenz lässt dieser die menschliche Sinn- und Wertegemeinschaft in eine Vielzahl individueller, subjektiver Überzeugungen zerfallen. Diese Mahnung Benedikts weist sogar eine gewisse Nähe zur muslimischen Skepsis gegenüber der westlichen Gesellschaft auf.

Wenn solchen negativen Entwicklungen der Gegenwart weltweit Einhalt geboten werden soll, dann bedarf es einer Verständigung unter den Religionen bezüglich ihres Verhältnisses zur Gewalt; Vernunft und Glaube müssen zu einem neuen, tragfähigen Miteinander finden. Als gastgebender Bischof des vergangenen Weltjugendtages mache ich darauf aufmerksam, dass der Papst schon vor einem Jahr in Köln Muslime und Christen zum gemeinsamen Einsatz im Dienst an den moralischen Grundwerten aufgerufen hat. Damals fügte er hinzu: „Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden. Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zum großen Teil unsere Zukunft abhängt.“

Ein solcher Dialog setzt voraus, dass sich der Islam als Religion und eminent kulturbildender Faktor zugleich mit seinem Verhältnis zur Gewalt auseinandersetzt. Diese Aufgabe stellt sich mehr oder weniger allen Religionen: Auch die katholische Kirche entzieht sich ihr nicht, wie das große Schuldbekenntnis Johannes Pauls II. im Jubiläumsjahr 2000 eindrucksvoll demonstriert hat. Die führenden Vertreter des Islam ermutige ich nachdrücklich dazu, den Gedankengang Benedikts XVI. im Originaltext zu lesen und sein Anliegen besonnen zu bedenken. Gemeinsam mit unserem Heiligen Vater hoffe ich darauf, dass sie seine Einladung zum Gespräch annehmen und die ausgestreckten Hände ergreifen werden, statt diese als geballte Fäuste zu missverstehen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 10/Oktober 2006
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