Dein Leben ist wertvoll

Über den Wert des Lebens ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden, vor allem um die Ungeborenen zu verteidigen. Wenig, so scheint es Weihbischof Dr. Andreas Laun, ist darüber gesagt worden, wie jeder Einzelne den Wert seines eigenen Lebens begreifen sollte. Entscheidend ist für Weihbischof Laun: Wer sich von Gott geliebt und angenommen weiß, der kann gar nicht anders, als sich über sich selbst und sein Leben zu freuen.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Was ist der „Wert deines Lebens“? Was sollte jemand denken, wenn er an sich selbst denkt? Sozusagen: Was denken Sie vor dem Spiegel, also über sich selbst? Ich richte diese Frage nicht nur an Frauen, die ihr Gesicht unter dem Aspekt der Schönheit begutachten, sondern an jeden Menschen, unabhängig von Geschlecht und Aussehen. Ich frage auch mich selbst: Was denke ich über mich? Vielleicht ruft mir ein Frommer zu: „Denk über dich nach, über deine Sünden, erforsche dein Gewissen!“ Kann vielleicht nicht schaden, aber die Frage bleibt: Was soll ich mir nach der Beichte denken – ich über mich? Soll ich an die chemische Zusammensetzung“ meines Körpers denken oder mir von dem wissenschaftlichen Genie Venter zurufen lassen, ich sei ja doch nur eine „biologische Maschine“ wie Ameise und Fledermaus auch, nur mit einem leicht anderen „genetischen Programm“, das er, der Herr Venter, gerne umschreiben würde? Ist das mein „wahres Sein“? Oder soll ich in meinem Gesicht die Ähnlichkeit zum Affen suchen, von dem ich, laut Evolutionisten, doch irgendwie abstamme?

 Offen gesagt, all diese Versuchungen zur eher traurig stimmenden „Selbst-Erkenntnis“ und dabei zur „Selbst-Entwertung“ habe ich nicht, geschweige denn, dass ich solche Abwertungen meiner Person für wahr und besonders tugendhaft hielte! Ich mag mich eigentlich ziemlich gern und ich denke an die Liebe, die ich zuerst von meinen Eltern empfangen habe und später noch von vielen anderen Menschen: Niemals würde ich auf die Idee kommen, mir selbst einzuräumen, alle diese Menschen „hätten sich geirrt“ und jemanden, nämlich mich, geliebt, der „eigentlich keine Liebe verdient, weil nichts an ihm dran ist“. Damit würde ich sie doch beleidigen, oder etwa nicht?

Jeder, der liebt, weiß: Wer den oder die Geliebte/n heruntermacht und beleidigt, verletzt auch den Liebenden! Angewandt auf Gott selbst: Gott, sagt mein Glaube, hat mich aus Liebe geschaffen und auch aus Liebe erlöst und freut sich schon auf mich, wenn ich in den Himmel komme. Wer will angesichts dieser Liebe sagen, ich sei nicht liebenswert, sondern ein Haufen Dreck etc.?

Kurz gesagt: Wer mich beschimpft,  trifft mich, aber zugleich den, der mich liebt! Das ist auch so, wenn ich mich selbst heruntermache. Darum halte ich mich an Papst Leo den Großen, der uns zuruft: „Christ, erkenne deine Würde“, und an den hl. Franz von Sales, der auch dem Sünder rät, sich selbst „liebevoll zuzureden, sich zu bessern“, aber nicht, sich selbst zu beschimpfen. Ich denke auch an die hl. Theresia von Lisieux, die gesagt hat: Auch wenn ihre Sünden rot wie Scharlach wären, auch dann würde sie keine Sekunde zögern, sich in die Arme Gottes zu werfen.

Tut das jemand, der sich selbst verachtet und für einen Haufen wertloser Zellen hält? Na also, und darum denke ich: Sich als Sünder bekennen ist eine gute Sache, aber sich selbst „Runtermachen“ und sich selbst die Würde zu nehmen, ist eine andere, nämlich eine sehr schlechte Sache, eine List des Teufels und eine Versuchung. Versuchung in welcher Richtung? Ganz klar: Ein Geschöpf, das zur Liebe berufen ist, das schlecht von sich denkt, handelt gegen die eigene Natur, weil es sich nicht für liebenswert hält. Dann bleibt nur noch die Verzweiflung, die laut Katharina von Siena die typische Versuchung der Sünder beim Sterben ist: Verzweiflung am eigenen Wert und an der Liebe Gottes.

Übrigens hat auch Jesus von der Liebe „zu sich selbst“ gesprochen als Maß für die Nächstenliebe. Da diese aber groß sein soll, dann doch auch die Selbstliebe? Also, was sollte der Christ „vor dem Spiegel“ denken? Das: Was für eine wunderbare Schönheit und Würde hat mir Gott gegeben, als er mich schuf! Ja, aber meine Sünden? Er ist ans Kreuz gegangen dafür, sie mir abzunehmen, für so liebenswert hält er mich, also tue ich es auch – und schaue auf die große Würde, die mir Gott geschenkt hat und die ich nicht „runtermachen“ lasse!

Darüber soll ich mich nicht freuen? Ich denke nicht daran, mich darüber nicht zu freuen, im Gegenteil, ich freue mich sehr! Daraus folgt: Vor dem Spiegel stehend kann ich vielleicht ein Wimmerl entdecken, Frauen mögen nach ihren ersten grauen Haaren suchen und jeder kann und soll durchaus selbstkritisch auch an seine Sünden denken und sie sich selbst „ins Angesicht hinein vorhalten“ – aber bitte nicht dabei stehen bleiben! Mein letztes Wort zu mir selbst lautet: Wunderbar, lieber, großer Vater im Himmel, hast du mich erschaffen, und noch wunderbarer erneuert. Ich bin so glücklich, dass du mich erschaffen hast und mich mit den Engeln und Heiligen voll Freude erwartest, wie sie Jesus ausdrücklich für gerettete Sünder vorausgesagt hat. Ich freue mich auch schon! In der Sprache der heutigen Jugend: Wie du mich gemacht hast, lieber Gott, ist voll super!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Wallfahrt im Aufwind

Msgr. Günther Mandl ist Stadtpfarrer, Stiftspropst und stellvertretender Wallfahrtsdirektor von Altötting, dem größten Marienwallfahrtsort im deutschen Sprachraum. Er macht die Erfahrung, dass die Pilger immer jünger und immer internationaler werden. Den inneren Grund für diese Entwicklung sieht er darin, dass junge Menschen den Zusammenhang zwischen Leben und Wallfahrt, zwischen Sehnsucht und Erfüllung besonders unverstellt, gleichsam unmittelbar spüren. Sein Beitrag zeigt kurz und treffend den Sinn von Wallfahrten in der heutigen Zeit auf.

Von Günther Mandl

Im Rahmen meiner pastoralen Verantwortung für die Pilger in Altötting konnte ich während der letzten Jahre folgenden Trend feststellen: Die Wallfahrt nimmt deutlich zu in quantitativer, aber auch in spiritueller Hinsicht; sie wird immer jugendlicher und internationaler. Dafür lassen sich viele Gründe benennen.

Irdische Befriedigung kann die letzte Sehnsucht nicht stillen

Zum einen: Die Sehnsucht gerade auch des modernen Menschen nach transzendentalen, religiösen, spirituellen und mystischen Erfahrungen; die säkularisierte Lebensweise von heute überlagert zwar den religiösen Hunger und Durst des Menschen, kann ihn aber nicht auslöschen; denn nach wie vor gilt die augustinische Grundwahrheit: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, o Herr.“ Die irdischen Freuden, Genüsse und Besitztümer können nur oberflächlich Erfüllung bieten; sie verlangen aber nach rascher Wiederholung und nach ständiger Steigerung der „Dosis“; sie machen letztlich süchtig.

Nur Gott, der in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden ist, ist das „Wasser des Lebens“, das unseren existenziellen Durst letztendlich stillt, und er ist das „Brot vom Himmel“, das uns ewiges Leben gibt; das heißt, nur ER kann eine Befriedigung geben, welche bis zum Grund unserer Seele und unserer Existenz reicht: Ruhe, Frieden, Geborgenheit, Sinn, Perspektive über den Tod hinaus, Zuversicht, Optimismus und eine unverlierbare und unbesiegbare Freude.

An Gnadenstätte berühren sich Himmel und Erde

Wallfahren, Pilgern heißt: Aufbrechen, sich auf den Weg machen, auf Sinnsuche, ja auf Schatzsuche gehen, im Wissen und Vertrauen, dass es heilige Orte, Gnadenstätten gibt, an denen sich „Himmel und Erde berühren“, an denen Gott, mehr als anderswo, nahe ist, erfahrbar, fühlbar.

Vorbilder der authentischen Wallfahrt sind die „Weisen aus dem Morgenland“, denen „ein Stern aufgegangen“ ist, der Stern der Sehnsucht nach Wahrheit und letzter Sinngebung. Dieser Stern führte sie zum Stall von Bethlehem, zu Maria und durch sie zum göttlichen Kind, zum Heiland und Erlöser der Welt: „Sie wurden“, so heißt es im Text, „von sehr großer Freude erfüllt“; sie sind angekommen, zu Hause, am Ziel ihrer tiefsten Sehnsucht. Die gleiche Erfahrung dürfen alle Wallfahrer machen: Die innere Sehnsucht, die aus der Unzufriedenheit mit den irdischen Dingen und Genüssen erwächst, ist der Stern, der uns aufbrechen lässt und uns zu Maria führt und durch sie zum göttlichen Kind, zum Heiland und Erlöser. Die ungezählten Pilger, welche in der 500-jährigen Wallfahrtsgeschichte in die Gnadenkapelle von Altötting gekommen sind, zur „lieben Frau“, werden nicht selten bis zu Tränen gerührt, im tief innerlichen Gefühl, angekommen zu sein, nicht irgendwo, sondern am Lebensziel, bei der Gnadenmutter und über sie bei „Jesus Christus, dem Sohn des lebendigen Gottes“. Die Gegenwart Jesu erleben wir in besonders dichter Form in der Feier der Heiligen Eucharistie, dem tiefsten und schönsten Geheimnis des Glaubens, und in der Adoratio coram Sanctissimum, seit dem Papstbesuch am 11. September 2006 in Altötting besonders ausgewiesen in der „Schatzkammer“, welche nicht mehr die bisherigen Weihegaben, sondern den eigentlichen Schatz der Kirche, den anwesenden Herrn im allerheiligsten Altarsakrament den Pilgern darbietet.

Zu einer Altötting-Wallfahrt gehört außerdem eine gute Beichte, die uns von falschen und nutzlosen Wegen wieder zurückführt zum Herrn, der in Person „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist. Ein abschließender Besuch in der Kirche, am Wirkungsort und am Grab des heiligen Bruder Konrad zeigt uns ein überzeugendes Modell der authentischen Christusnachfolge, der Ganzhingabe in den liebenden Dienst an Gott und an den Menschen.

Maria zeigt für jedes Problem eine Lösung auf

Meine Erfahrung ist, dass die Wallfahrer Altötting anders verlassen, als sie es betreten gaben: Alle haben die Gewissheit, dass ihr Leben einen tiefen Sinn hat, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, eine Lösung, die Maria, „die Mutter des guten Rates“, die „Knotenlöserin“, wie sie auch genannt wird, aufzeigt und die letztlich in Jesus Christus, dem Erlöser und Heiland, begründet ist. „Wer mein Jünger sein will, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“, sagt Jesus liebevoll zu uns allen; diese Kreuzesnachfolge, welche untrennbar zu jedem (Christen-) Leben gehört, ist nach einer vollzogenen Wallfahrt wieder möglich. Viele sehen auch deutlicher als bisher ihre besondere Verantwortung, welche sie vor Gott haben in ihrer Ehe und Familie, in ihrem Beruf und in verschiedenen Lebensbereichen. Andere, besonders junge Menschen, sehen deutlich den Plan, den Gott mit ihnen hat, ihre Berufung, vielleicht zum Dienst als Priester, Diakon oder Ordenschrist: So kann eine Wallfahrt zur Lebens- und Glaubenklärung führen, zu einer neuen Ausrichtung und Weichenstellung und zu einer neuen Perspektive, die über den Tod hinausreicht.

Das Leben ist eine Pilgerreise zur ewigen Heimat

Eine Pilgerfahrt ist letztendlich ein Abbild des menschlichen Lebens insgesamt, unserer Wegstrecke und Zeitdauer zwischen Geburt und Tod. Sehr erhellend heißt es in einem alten Kirchenlied: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh, mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.“ Ja, niemand ist auf dieser Erde zu Hause und darf sich zu häuslich einrichten; irgendwann müssen wir alles loslassen und aufgeben. Das irdische Leben ist eine Wanderung, eine Pilgerreise, die über angenehme Etappen, oft aber auch über „Kreuzwegstationen“, über “mancherlei Beschwerden“ zur „ewigen Heimat“ führt. Die ewige Heimat ist im „Vaterhaus des Himmels“, wo, wie es in der Schrift heißt, „Christus für uns alle eine Wohnung bereitet hat“. Auf der irdischen Pilgerfahrt haben wir uns zu bewähren in unserer Qualität als Menschen und als Christen „in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und in Krankheit“. In jeder Wallfahrt, die wir in gläubiger Bereitschaft und Entschlossenheit durchführen, erleben wir, gleichsam im Zeitraffer, die Struktur, die Dramatik, die Verantwortung und auch die Freude und Erfüllung unseres Lebens. Wir erfahren existenziell den Weg und auch das Ziel, den Aufbruch und den Neubeginn und die Gewissheit, nicht an der Oberfläche, sondern im Zentrum, in der Mitte und in der Tiefe des Lebens angekommen zu sein. Junge Menschen spüren besonders unverstellt, gleichsam unmittelbar den Zusammenhang zwischen Leben und Wallfahrt, zwischen Sehnsucht und Erfüllung. Das ist nach meiner Einschätzung der innere Grund, warum die Wallfahrer immer jünger und immer internationaler werden: Es geht um „den Schatz im Acker“ und um „die kostbare Perle“, für die es sich lohnt, alles auf eine Karte zu setzen. Wallfahrt ist, wie ich schon sagte, „Schatzsuche“, Suche nach dem alles überragenden Schatz, der Jesus Christus selber ist: Ihn finden, heißt alles finden, heißt Gott finden; denn „unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Gott.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2008
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„Altöttinger Mirakelbilder“ in neuem Glanz

Als Krönung einer fast fünfjährigen Restaurierungsarbeit (2001-2006) erschien Ende vergangenen Jahres ein beachtenswerter Bildband über die sog. „Altöttinger Mirakelbilder“.[1] In kunstgeschichtlicher Sicht stellen sie nach dem berühmten „Goldenen Rössl“ den bedeutendsten Schatz der Altöttinger Wallfahrt dar. Gleichzeitig sind sie ein kirchengeschichtliches Dokument. Sie werfen ein aufschlussreiches Licht auf die Wirren der Reformationszeit, von denen auch Bayern nicht verschont geblieben ist. Peter Becker, der langjährige Chefredakteur des „Altöttinger Liebfrauenboten“ und Mitautor des genannten Bildbandes, zeigt in seinem Beitrag auf lebendige Weise die Zeitumstände und Ursachen der Entstehung der Mirakelbilder auf.

Von Peter Becker

50.000 Votivtafeln

Sie zählen zu den eindrucksvollen Zeugen des gläubigen Vertrauens, das Altötting-Wallfahrer in fünf Jahrhunderten auf die Fürsprache der Gottesmutter gesetzt haben, und des Dankes für erlangte Hilfe: die Bilder, die zu Tausenden den Umgang der Gnadenkapelle und die Wände des Langhauses im Inneren der Heiligen Kapelle auskleiden. Dem aufmerksamen Betrachter dieser mit Gottvertrauen getäfelten Wände fällt auf, dass es hier zwei Arten von Bildern gibt, die sich sowohl in ihrer Größe und Gestalt, als auch in ihrer Aussage deutlich voneinander unterscheiden. Da ist zunächst die Vielzahl der kleineren „Votivtafeln“. Votiv – das Wort leitet sich her vom lateinischen „vovere“ und „votum“. Das bedeutet auf Deutsch: etwas versprechen, ein Gelöbnis ablegen. Mit diesen gemalten Taferln danken Menschen, die sich in ihrer Not an die Gottesmutter gewendet und für den Fall der Erhörung ihrer Anliegen die Stiftung einer solchen Tafel versprochen haben, ganz persönlich und in öffentlicher Weise für die Hilfe, die ihnen zuteil wurde. Diese Tafeln, die älteste stammt aus dem Jahr 1501, sind aus künstlerischer Sicht zumeist bescheiden und anspruchslos, aber sie berühren den Betrachter oft gerade in ihrer Unbeholfenheit. Rund 50.000 solcher Votivbilder sind in den fünf Jahrhunderten Wallfahrtsgeschichte gestiftet worden.

Die Mirakelbilder

Ganz anders verhält es sich mit den 56 Altöttinger „Mirakelbildern“, die ebenfalls im Umgang der Heiligen Kapelle angebracht sind. Dazu können noch sechs weitere ähnliche Bilder gerechnet werden, die nicht zum Zyklus der Mirakelbilder gehören. Während es sich bei den „Votivbildern“ vorwiegend um Dokumente der Volksfrömmigkeit und Volkskunst handelt, repräsentieren die großen, jeweils ca. 2 m hohen „Mirakelbilder“ Werke hoher Kunst, die in der Zeit zwischen 1520 und 1540 von der damaligen Wallfahrtsleitung zum Zwecke der Wallfahrtswerbung bei beachtlichen Malern jener Zeit in Auftrag gegeben worden sind. Die Identität der Maler ist bis heute ungeklärt, da gerade aus jenen Jahren im Archiv der Heiligen Kapelle Rechnungsnachweise fehlen. Unter stilkritischen Aspekten lässt sich feststellen, dass es sich wenigstens um drei Maler, vermutlich zu verschiedenen Zeiten etwa zwischen 1520 und 1540, gehandelt hat. Weiterhin kann man sagen, dass diese Maler aus dem Umkreis der „Donauschule“ kamen, bzw. von dieser beeinflusst waren. In den Werken dieser süddeutsch-donauländischen Kunstrichtung an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert treten hierzulande erstmals die Landschaft und das Alltagsleben der Menschen ins Bild, und wird auch die zentralperspektivische Darstellungsweise beherrscht.

Der Bilderzyklus ist nicht nur von religiöser und spiritueller Bedeutung, sondern er stellt auch ein beträchtliches kulturgeschichtliches Zeitdokument der Ära um 1500 dar. Die Gemälde geben dem aufmerksamen Betrachter u.a. Aufschluss über Krankheiten und die medizinische Kunst jener Zeit; sie geben Hinweise auf gesellschaftliche Schichtung, auf Recht und Rechtspflege; sie zeigen, wie die Menschen sich damals kleideten, wie sie im Alltag lebten, in welchen Berufen sie ihr Brot verdienten und vieles andere mehr, nicht zuletzt die Tatsache, welch ungemein weite geographische Ausstrahlung, nahezu über den ganzen mitteleuropäischen Raum, die Wallfahrt Altötting schon in den ersten Jahren und Jahrzehnten ihres Bestehens gefunden hatte.

Werbung für die Wallfahrt

Schon in den frühesten Zeiten der Wallfahrt vor fünf Jahrhunderten haben Pilger, die in schweren Notlagen und Unglücksfällen nach Anrufung der Muttergottes von Altötting wunderbare Hilfe erlangten, dies bei den Verantwortlichen der Wallfahrt in Altötting angezeigt. Ihre Berichte wurden sorgsam in den „Mirakelbüchern“ niedergeschrieben, deren erstes bereits 1494 im Druck erschienen ist.

Doch viele Menschen jener Zeit waren noch nicht des Schreibens und Lesens kundig. Um sie dennoch teilhaben zu lassen an den wunderbaren Ereignissen, hat man über drei Jahrzehnte nach dem Beginn der Wallfahrt beschlossen, eine Auswahl von Berichten aus den Aufzeichnungen der Mirakelbücher im Bild darstellen zu lassen. Die Schaffung der Mirakelbilder war somit auch und vor allem eine Maßnahme der „Wallfahrtspropaganda“.

Da stellt sich nun die Frage: Warum musste damals, im frühen 16. Jahrhundert, für die Wallfahrt geworben werden? Aus der Altöttinger Geschichte wissen wir, dass die Wallfahrt, beginnend wohl mit dem Jahr 1489, einen stürmischen Aufschwung erlebte, der auch in reichen Votivspenden seinen Niederschlag fand. Schon 1499, zehn Jahre nach dem Beginn der Wallfahrt, konnte aus dem „goczbrat“ der Heiligen Kapelle, d.h. aus den Mitteln der Opfergaben, der Bau der großmächtigen spätgotischen Stiftskirche in Angriff genommen werden, und das, obwohl u.a. der Herzog Georg der Reiche große Beträge aus dem Kapellvermögen als Darlehen entnommen hatte. Dieser ersten Blüte sollte aber bereits nach eineinhalb Jahrzehnten der Landshuter Erbfolgekrieg (1503-1505) empfindlichen, aber nur vorübergehenden Eintrag tun.

Die Wirren der Reformationszeit

Als schwerwiegender und dauerhafter sollten sich Beeinträchtigungen erweisen, die ab dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts eintraten. Da ist einmal eine nicht sehr vorbildliche seelsorgliche Situation zu nennen, unter der die Kirche ganz allgemein und auch die Verhältnisse am Wallfahrtsort Altötting litten. Welcher Art diese Missstände waren, ist im Detail unschwer der neuen Altöttinger Kapellordnung zu entnehmen, zu deren Erlassung sich der Landesherr, es war Herzog Wilhelm IV., im Herbst 1517 genötigt sah. Da wurde unter anderem die Hebung der Sitten, des Umganges, des Lebenswandels und des geistlichen Lebens der „Chorherren und anderen des stüfts Caplanen“, die Einhaltung des Zölibates und weiterhin die Beachtung der Satzungen und Dekrete des Konzils von Basel (1431-1437) gefordert, „damit hierinn den layen und frembden kirchfahtern kein böß exempl vorgetragen“ werde. Es ging also um die Förderung der Moral sowohl des damaligen Klerus als auch der Laien. Und es ging um die gewissenhafte Erfüllung der gottesdienstlichen Pflichten des Klerus, die offenkundig im Argen lag.

In diesen Mahnungen spiegeln sich die Zeitumstände wider. Es waren rohe und wirre Zeiten des Aufruhrs, damals, im zweiten und dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, in der Welt und in der Kirche. In der Kirche sollten sie wenige Jahre später zur Spaltung im Gefolge der Reformation führen. Auch im Erzbistum Salzburg, dem Altötting zugehörte, und im Herzogtum Bayern gab es zunächst rege Sympathien für Luther und seine neue Lehre, gegen welche sowohl die kirchliche als auch die weltliche Obrigkeit mit mehreren Religionsmandaten vorzugehen trachteten.

In der Gegend um Altötting und Burghausen versuchte der ausgetretene Mönch Mattias Seydenatter, mit Büchse und Seitengewehr bewaffnet und von einigen handfesten Bauern geschützt, das Landvolk für die Reformation zu begeistern und rief zum Vernichtungskampf gegen alles Römisch-Katholische und gegen die Wallfahrtszüge nach Altötting auf, und in Altötting selbst standen 1522/23 der Gesellpriester Wolfgang Ruß, ein gebürtiger Ulmer, und nach ihm Konrad Pirkheimer als Reformatoren auf und eiferten gegen den „heidnischen Kult der schwarzen Madonna von Altötting“.

Die Folgen blieben nicht aus. So griffen im nahen Mörmoosen aufgewiegelte Bauern durchziehende Pilger tätlich an, und der Pfarrer von Tacherting bei Trostberg, der mit seiner Gemeinde nach Altötting wallfahrtete, wurde auf dem Pilgerweg vom verhetzten Volk mit Spott überschüttet und tödlich misshandelt. In der Folge erfuhr die Wallfahrt einen radikalen Niedergang. Über vier Jahrzehnte sollte es sehr still werden am Wallfahrtsort, bis etwa ab 1570 der rührige und angesehene Stiftspropst Martin Eisengrein und der nachmals heilige Petrus Canisius, der erste „deutsche“ Jesuit, angeleitet von den Maßgaben des Konzils von Trient, Zeichen für eine neue Blüte setzten, die sich dann gegen Ende des Jahrhunderts mit dem Wirken der Jesuiten in Altötting voll entfalten sollte.

Der geschilderte Niedergang des Wallfahrtslebens etwa zwischen 1520 und 1540, verursacht durch politische und religiöse Wirren, war es, der den für die Wallfahrt Verantwortlichen Anlass gab, auf Abhilfe zu sinnen, und zweifellos ist der damals erteilte Auftrag für die Schaffung der Mirakeltafeln als Werbemittel für die Wallfahrt in diesem Zusammenhang zu sehen.

Gelungene Restaurierung

Seit fast 500 Jahren existiert dieser Gemäldeschatz. Fast ein halbes Jahrtausend lang ist er nun schon – zwar durch das Umgangsdach geschützt – Wind und Wetter ausgesetzt, ständig wechselnder Temperatur und Luftfeuchtigkeit, nicht zuletzt dem Staub der Straßen. Schon im Jahr 1661 musste der Bilderzyklus erstmals renoviert werden. Eine zweite Renovierung folgte 1858. Vor knapp einem Jahrzehnt ergab eine eingehende Untersuchung, dass die Tafeln bzw. die knapp 60 Gemälde sich in teilweise Existenz bedrohendem Zustand befanden. So wurden, beginnend im Jahr 2001, die Tafelgemälde sukzessiv abgenommen und den Werkstätten zweier Diplomrestauratoren in Altötting und Burghausen anvertraut. Die Restauratoren haben exzellente Arbeit geleistet. Im Frühjahr 2006 konnten die letzten Tafeln renoviert und in alter Schönheit wieder an ihrem Platz angebracht werden.

Die jüngste Abnahme und Restaurierung hatte auch einen erfreulichen Nebeneffekt: Zum ersten Mal in seiner fast fünfhundertjährigen Geschichte konnte dieser einmalige Zyklus der „Mirakelbilder“, der „in situ“ photographisch nicht recht „zugänglich“ ist, insgesamt und mit exakten und zufrieden stellenden Farbaufnahmen photographisch dokumentiert werden. Die Farbwiedergaben sämtlicher 62 Gemälde liegen nun in einem Bildband vor, der im Herbst 2007 vom Altöttinger Wallfahrtsrektor Prälat Alois Furtner herausgegeben worden ist. Es handelt sich um die erste monographische Darstellung über den Zyklus der Altöttinger Mirakelbilder. Neben dem umfangreichen Bildteil enthält der Band vor allem einen profunden Aufsatz des früheren Kapell-Administrators Prälat DDr. Robert Bauer († 2001) über die Altöttinger Mirakelbilder und ihre kultur-, sozial- und religionsgeschichtliche Bedeutung sowie einen eingehenden und reich illustrierten Arbeitsbericht der Restauratoren.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2008
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[1] Administration der Hl. Kapelle (Hrsg.): Die Mirakelbilder der Hl. Kapelle in Altötting, Bildband (über 100 meist großformatige Farbbilder), Altötting 2007, Hardcover, 102 S., Euro 19.80, ISBN: 978-3-9807228-3-4

Die ungeahnte Renaissance der Jakobuswallfahrt

Das Pilgern auf dem traditionellen Jakobusweg erlebt in unseren Tagen einen regelrechten Boom. Noch vor 30 Jahren konnte sich niemand eine solche Entwicklung vorstellen. Die Wallfahrt zum Grab des hl. Apostels Jakobus in Santiago de Compostela findet vor allem auch unter Menschen Interesse, die der Kirche und dem Glauben fern stehen. Direktor Thomas Maria Rimmel ließ sich von der ungeahnten Renaissance der Jakobuswallfahrt anstecken und machte sich vergangenes Jahr selbst auf den Weg. Überwältigt von den Eindrücken, möchte er in einer Reihe von mehreren Artikeln das Geheimnis der Jakobuswallfahrt beleuchten. Der nachfolgende Einstieg geht vor allem auf die geschichtliche Entwicklung ein.

Von Thomas Maria Rimmel

„Ultreija!“ –  „Auf nach Santiago de Compostela!“

Ende Mai 2007 machte ich mich auf den Weg nach Santiago de Compostela. Ganz allein mischte ich mich unter die Pilger und legte auf dem sog. „Camino“ zu Fuß etwa 400 km durch den Norden Spaniens zurück. Es war überwältigend! Meine Erfahrungen haben alle Erwartungen übertroffen. Ich bin überzeugt, dass der Jakobusweg als symbolischer Ausdruck für den Aufbruch der Kirche überhaupt betrachtet werden kann. Seit mehr als tausend Jahren pilgern Menschen auf dem Jakobusweg an die Westküste Spaniens zum Grab des hl. Apostels Jakobus. Auch wenn sich die Pilger heute „Buen camino“ zurufen, so ist doch der altehrwürdige Ruf „Ultreija“ bis heute nicht verstummt. Er bedeutet so viel wie „Auf nach Santiago de Compostela“ – „Auf! Weiter zum heiligen Jakobus!“

Der hl. Apostel Jakobus, der Ältere

Im Neuen Testament kommen mehrere Personen vor, die den Namen Jakobus tragen: einer der Brüder Jesu – „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und ein Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon?“ (Mk 6,3), ein Apostel Jakobus, der Jüngere – „Jakobus der Sohn des Alphäus“ (Mk 1,18) und schließlich der Apostel Jakobus, der Ältere, der Bruder des Johannes, dessen Grab in Santiago de Compostela verehrt wird. Zuerst hatte Jesus die beiden Brüder Petrus und Andreas zu Aposteln berufen, dann die Söhne des Zebedäus, eben Jakobus und Johannes. Wie erstere waren auch diese beiden Fischer. Am Ufer des Sees Genezareth rief sie Jesus von ihren Netzen weg: „Sofort verließen sie das Boot und ihren Vater und folgten ihm“ (Mt 4, 22).

In entscheidenden Momenten des Wirkens Jesu durfte auch der hl. Jakobus mit dabei sein: bei der Verklärung auf dem Berg Tabor, als er den Herrn mit Mose und Elia sprechen sah (Mt 17,1-2), oder bei der Agonie im Garten Getsemani, als der Herr die drei Jünger Petrus, Johannes und Jakobus aufforderte: „Wachet und betet“ (Mt 26, 36). Jakobus also gehörte zu den drei von Jesus in besonderer Weise bevorzugten Jüngern.

Märtyrertod und Begräbnis

Sein Martyrium im Jahr 44 wird in der Apostelgeschichte erwähnt: „Um jene Zeit ließ König Herodes einige aus der Gemeinde verhaften und misshandeln. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er mit dem Schwert hinrichten“ (Apg 12,1-2). „Eine spätere Überlieferung, die mindestens bis zu Isidor von Sevilla zurückreicht, berichtet, dass sich Jakobus in Spanien aufgehalten habe, um in jener wichtigen Region des Römischen Reiches das Evangelium zu verkünden."[1] Auf das Wort Jesu hin: „Ihr werdet meine Zeugen sein … bis an die Grenzen der Erde!“ (Apg 1,8), ging er tatsächlich an das Ende der damals bekannten Welt. Noch heute nennt man das galizische Kap „Finisterre“ – „Ende der Welt“. Jakobus soll dann vor allem in Aragonien gewirkt haben. Mit dieser Missionstätigkeit um das Jahr 40 verbindet sich die Überlieferung einer ersten Erscheinung der Gottesmutter Maria. Vor seiner Abreise aus dem Heiligen Land habe sie ihm bereits versprochen, ihn zu besuchen, wo immer er sich aufhalten werde. Die 53jährige, in Jerusalem oder Ephesus lebende Mutter des Erlösers, soll ihm damals durch Bilokation in Saragossa auf einer Säule erschienen sein und ihm aufgetragen haben, ein Gotteshaus zu errichten, in dem diese Säule verehrt wird. Tatsächlich führt die Tradition den Ursprung der Kathedrale in Saragossa auf die Kapelle Santa María del Pilar (Maria von der Säule) zurück.[2] Später soll er nach Jerusalem zurückgekehrt sein und die dortige christliche Gemeinde geleitet haben.

„Einer anderen Überlieferung zufolge soll sein Leichnam hingegen nach Spanien gebracht worden sein, in die Stadt Santiago de Compostela."[3] Nach dem Märtyrertod hätten sich seine beiden Schüler Athanasius und Theodorus um den Apostelleichnam gekümmert, diesen in ein Boot gelegt und ohne Rudermannschaft das Ziel der göttlichen Vorsehung überlassen. Nach sieben Tagen sei das Boot in Galizien gelandet, im Reich der heidnischen Herrscherin „Lupa“ – „Wölfin“. Die missgünstige Fürstin habe den beiden Jüngern eine Karre und zwei Rinder überlassen. In Wirklichkeit seien die Tiere wilde Stiere gewesen. Denn sie habe gehofft, die Stiere würden durchgehen und die beiden Jünger den Tod finden. Doch diese hätten das Kreuzzeichen über die Tiere geschlagen und den Wagen in aller Ruhe zum Palast der Herrscherin gelenkt. Zutiefst beeindruckt habe sie daraufhin unverzüglich den christlichen Glauben angenommen. Zunächst wurde der Leichnam in Iria Flavia aufgebahrt, dem heutigen Padrón. Nach einigen Tagen wurden die sterblichen Überreste nach Santiago de Compostela gebracht und dort bestattet.

Entdeckung des Grabes im 9. Jahrhundert

Aufgrund von Christenverfolgungen waren der hl. Jakobus und sein Grab bald in Vergessenheit geraten. Erst im 9. Jahrhundert wurden die Reliquien wieder aufgefunden. Im Jahr 829 hatte ein Einsiedler, ein gewisser Pelagius, eine Erscheinung. Wunderbare Klänge machten ihn auf das Grab aufmerksam. Der zuständige Bischof von Iria Flavia ließ das Grab öffnen und identifizierte die Gebeine als jene des hl. Apostels Jakobus.

Dass die Jakobuswallfahrt im Mittelalter einen so enormen Aufschwung erlebte, hängt mit der im Jahr 711 beginnenden Eroberung der Iberischen Halbinsel durch die Muslime zusammen. Da die Gebiete Nordspaniens nicht unterworfen wurden, formierte sich von hier aus der Widerstand gegen die Mauren. Die Auffindung der Reliquien bestärkte das christliche Sendungsbewusstsein und ließ den hl. Jakobus zur Identifikationsfigur der Christen werden. Der Apostel soll sogar direkt in die Geschicke des Landes eingegriffen haben und während einer Schlacht gegen die Mauren südlich von Logrono hoch zu Ross erschienen sein. Seither nannte man ihn auch Maurentöter: Matamoros. Über dem Hochaltar in Santiago wird er bis heute als Verteidiger der Christen dargestellt.

Europaweites Netz der Jakobuswege

Im Mittelalter wurde Santiago de Compostela nach den Stätten im Heiligen Land und den Apostelgräbern in Rom zum drittwichtigsten Pilgerziel. Ein Pilgerstrom, der bereits über tausend Jahre anhält, nahm seinen Lauf. Aus allen Teilen Europas brachen Wallfahrer auf: von England und Irland, von Skandinavien, Russland, Litauen und Polen, von Griechenland und Italien. Es entwickelten sich Pilgerwege, die ein europaweites Netz darstellen. Die verschiedenen Jakobuswege tragen je nach Ausgangs-, Sammel- oder Durchgangspunkt bis heute ihre Namen: Der „Obere Weg“ geht von Einsiedeln über Luzern, Fribourg, Genf, Nimes, Montpellier, Carcassonne, Toulouse, Saint-Jean-Pied-de-Port, Pamplona, Logrono, Burgos, León und Ponferrada nach Santiago de Compostela. Der „Mittlere Weg“ beginnt in der Mitte Frankreichs, während die „Untere Straße“ von Aachen über Maastricht, Brüssel, Paris, Tours und Bordeaux nach Spanien führt. Eine Via Podensis geht vom französischen Le Puy aus, eine Via Tolosana vom französischen Toulouse. In Spanien selbst gibt es den Küstenweg im Norden sowie die Via de la Plata (Silberweg) vom südlichen Sevilla aus. Sehr bekannt ist heute der so genannte Französische Weg (Camino Francés): er startet von der französisch-spanischen Grenze aus und führt über Pamplona, Burgos, León nach Santiago. Es sind über 800 km, welche zu Fuß 30 bis 40 Tage in Anspruch nehmen. Viele Pilger unserer Tage wählen diesen Weg und begeben sich dazu mit dem Zug oder Flugzeug nach Südfrankreich oder Nordspanien. Und doch ist jeder Pilgerweg etwas Einmaliges. Es gibt so viele Jakobuswege wie Pilger. „Insofern führen alle Pfade nach Santiago de Compostela und machen den Terminus ‚Jakobsweg‘ schwer definierbar."[4]

Bestseller: „Ich bin dann mal weg“

Johann Wolfgang von Goethe schrieb einmal: „Europa ist auf der Pilgerschaft geboren und das Christentum ist seine Muttersprache.“ Denkt man an die Jakobuswallfahrt, erhält dieses Wort eine sehr konkrete Bedeutung. Tatsächlich ist sich auf diesen Pilgerwegen ganz Europa begegnet. Die Sensation aber ist der unerwartete Boom, den die Wallfahrt in unseren Tagen erlebt. In Deutschland hat sie vor allem durch ein Buch des Entertainers Hape Kerkeling einen entscheidenden Impuls erhalten. „Ich bin dann mal weg“, so lautet der Titel dieses Buches, das schon zwei Jahre lang auf Platz 1 der Bestsellerlisten steht und nur einige Wochen durch das „Jesus-Buch“ von Papst Benedikt XVI. verdrängt wurde. Kerkeling beschreibt weniger eine klassische Pilgerreise, als vielmehr eine alternative Auszeit mit spirituellem Akzent. Nach einem Gehörsturz musste er sich die Gallenblase entfernen lassen und er spürte, dass es für ihn „allerhöchste Zeit zum Umdenken – Zeit für eine Pilgerreise“ war (vgl. S. 14). Er betont: „Der Weg ist das Ziel!“ Eine weit verbreitete Sicht unter den Pilgern, an der Kritik angebracht ist: „Der Weg ist das Ziel! So sagen viele, so plappern auch viele nach. Ein Wort des Zen ist es. Eine genauere Übersetzung sagt so: Der Weg gibt den Sinn!"[5] Doch Kerkeling bekennt auch, für ihn sei die „Verheißung, durch die Pilgerschaft zu Gott und damit auch zu mir zu finden“, ein Ansporn für die Pilgerreise gewesen. Nicht wenige scheinen heutzutage diesen Weg zu gehen, wenn sie im übertragenen Sinn keinen Ausweg mehr finden (vgl. S. 13). Böse Zungen meinen: „Früher hieß es Midlifecrisis, heute heißt es Jakobusweg.“

Entscheidender Impuls durch Johannes Paul II.

Die Entwicklung der Pilgerzahlen lässt sich relativ einfach nachvollziehen. Denn jeder, der die letzten 100 km zu Fuß bzw. die letzten 200 km mit dem Pferd oder Fahrrad zurückgelegt hat, erhält vom Pilgerbüro die sog. „Compostela“, eine offizielle Pilgerurkunde. Vor 30 Jahren war die Wallfahrt am absoluten Tiefpunkt angelangt. Im gesamten Jahr 1978 wurden nur noch 13 Pilger offiziell registriert. Selbst zwei Jahre zuvor, im Jakobusjahr, das immer dann begangen wird, wenn der Festtag des hl. Jakobus, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt, waren es nur mehr 277 offiziell registrierte Pilger. Doch plötzlich zogen die Pilgerzahlen wieder an. Im Jakobusjahr 1982 kamen bereits 1868 Pilger und im Jahr 2004, dem letzten Jakobusjahr, waren es 180.000. Das nächste Jakobusjahr wird 2010 gefeiert. 2007, das kein Jakobusjahr war, wurden 114.026 Pilger registriert. Aus deutscher Sicht macht sich wohl ein „Kerkeling-Effekt“ bemerkbar. Nach Angaben der Deutschen Jakobusgesellschaft stieg die Zahl der deutschen Pilger im Vergleich zum Vorjahr überproportional von 8097 auf 13.837. Damit waren rund 10% aller Santiago-Pilger Deutsche.

Auf dem Weg fragte ich den alten Pfarrer Don José María, der seit Mitte der 70er Jahre in San Juan de Ortega wirkte, nach dem Grund für diese Entwicklung. Die Antwort des über 80jährigen kam wie aus der Pistole geschossen und war ein Name: „Johannes Paul II.!“

Im Rahmen einer „Europa-Feier“ war Papst Johannes Paul II. 1982 selbst als Pilger nach Santiago de Compostela gekommen. „Auch ich bin ein Pilger“, rief er den Menschen zu und forderte Europa auf, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Heute gilt dieser Papstbesuch als der entscheidende Katalysator für die Neuentdeckung des Jakobusweges. Wahrscheinlich trifft dies noch viel mehr für den IV. Weltjugendtag zu. 1989 hatte Johannes Paul II. die Jugend der Welt nach Santiago de Compostela eingeladen. „Am Grab des Apostels“ sollten die Jugendlichen nach dem Vorbild des hl. Jakobus „aufs neue die Sendung Christi annehmen: ‚Ihr werdet meine Zeugen sein … bis an die Grenzen der Erde‘ (Apg 1,8)“. Schon in der Einladung hatte Johannes Paul II. Worte gebraucht, die offensichtlich eine nachhaltige Wirkung entfalteten: Der „Weg nach Santiago und der Neuaufbruch zur Evangelisierung gehen euch alle an"[6]

Symbol des Aufbruchs der Kirche in unserer Zeit

Johannes Paul II. wirkte nicht nur als Motor für die Wiederentdeckung dieses uralten Pilgerweges. Er steht am Anfang verschiedenster Aufbrüche in unserer Zeit: Die Weltjugendtage, die er ins Leben gerufen hat, entwickelten sich zu den größten religiösen Ereignissen der Geschichte, die Pilgermassen, die sich seit dem Heiligen Jahr 2000 in die Ewige Stadt begeben, die Millionen von Menschen auch außerhalb der Kirche, die das Sterben dieses Papstes mitverfolgten, die Ewige Anbetung, die sich immer weiter verbreitet, die vielen geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen, die unter seinem Pontifikat entstanden sind, die religiösen Bücher, die wochenlang auf den Bestsellerlisten standen. All dies sind Anzeichen für den neuen Frühling, den Johannes Paul II. wie ein Prophet immer wieder angekündigt hat.

Die Wiederentdeckung des Jakobusweges, die wesentlich auf Johannes Paul II. zurückzuführen ist, steht nicht nur chronologisch am Anfang all dieser Aufbrüche. Sie ist gewissermaßen auch ein symbolischer Ausdruck für den unübersehbaren Aufbruch der Kirche in unserer Zeit. Mit dem Vertrauen, das Reinhold Schneider geprägt hat, dürfen wir sowohl für den einzelnen Jakobuspilger als auch für die ganze Kirche sagen: „Der Weg wächst im Gehen unter deinen Füßen, wie durch ein Wunder.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Benedikt XVI.: „Bleibt in meiner Liebe“. Katechesen über die Apostel, Freiburg 2007, 83.
[2] G. Hierzenberger/ O. Nedomansky: Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter Maria, Augsburg 1997, 57.
[3] Katechesen über die Apostel, 83.
[4] A. Drouve: Lexikon des Jakobswegs, Freiburg 2006, 67.
[5] M. Zentgraf (Hg.): Auf dem Jakobusweg. Pilgerbüchlein, München 2008, 2.
[6] Päpstlicher Rat für die Laien: Was sucht ihr, junge Pilger? Johannes Paul II. in Santiago de Compostela, 1989, Vatikan 1991, 30.

Eine Marienikone prägt die Geschichte Österreichs

Regierungsrat Wilfried Marbach nahm am 12. Januar dieses Jahres in Wien an der Beisetzung von Erzherzog Carl-Ludwig von Österreich teil. Auf dem Sterbebildchen entdeckte er zu seiner großen Freude die Darstellung eines Gnadenbildes der Gottesmutter, das er nur zwei Tage zuvor näher kennen gelernt hatte. Kurz stellt er die eindrucksvolle Geschichte dieser Marienikone dar. Für sein persönliches Leben spielte Maria immer schon eine wichtige Rolle. Er bezeugt: „Meine evangelische Mutter, die uns, meinen Bruder und mich, katholisch zu erziehen hatte, legte mir die Liebe zu Maria ins Herz. Immer wieder danke ich Gott, dass sie diese Aufgabe mit so viel Respekt und auch Liebe erfüllt hat. Es war sicher nicht immer einfach.“

Von Wilfried Marbach

Am 12. Januar 2008 wurde in Wien Erzherzog Carl-Ludwig von Österreich in der Kaisergruft beigesetzt. Auf seinem Sterbebild ist das Motiv „Unserer Lieben Frau mit dem geneigtem Haupt“ zu sehen. Das Gnadenbild hat einen interessanten Hintergrund und beweist die bis heute ungebrochene Verbundenheit des Hauses Habsburg mit der österreichischen Glaubenstradition, der sog. „Pietas Austriaca“.

Das Originalbild befindet sich heute in der Karmelitenkirche in Wien-Döbling. Es ist ein Zeugnis für die besondere Marienfrömmigkeit, welche neben einer tiefen Verehrung der Eucharistie und des Heiligen Kreuzes das Haus Österreich durch die Jahrhunderte hindurch bis zum seligen Kaiser Karl von Österreich gekennzeichnet hat. Für die Habsburger war Maria als „Magna Mater Austriae“ die „Generalissima“ und „Patrona“, Kaiserin und Königin von Österreich. Unter den Schutz Mariens stellten sie ihr Herrscheramt, das sie als von Gottes Gnaden verliehen betrachteten. Ihr vertrauten sie das Land besonders im Kampf gegen jede Form des Irrglaubens sowie gegen die Türken an. Zentrum habsburgischer Marienverehrung war stets Mariazell. Gleichzeitig aber war die kaiserliche Familie auch mit dem Gnadenbild „Unserer Lieben Frau mit dem geneigten Haupt“ innig verbunden. Die Ursprünge reichen ins 17. Jahrhundert zurück. Der fünfte General des Ordens der „Unbeschuhten Karmeliten“, Pater Dominikus aus Spanien (1559–1630), hatte seit 1604 in Rom segensreich gewirkt. 1609 fand er in einem Schutthaufen das stark beschädigte, auf Leinwand gemalte Bild. Er selbst restaurierte das Gemälde und begann es zu verehren. Da empfing er viele Gnadenbeweise und Offenbarungen, sodass er das Gnadenbild schließlich zur öffentlichen Verehrung in der römischen Ordenskirche „Santa Maria della Scala“ ausstellte. Es blieb dort bis zu seinem Tod im Jahr 1630. Pater Dominikus hatte durch Rat und Friedensbemühungen immer wieder entscheidend in die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches eingegriffen. Im Auftrag des Papstes nahm er 1621 als Feldkaplan an der Schlacht am Weißen Berg bei Prag teil. 1629 rief ihn der Kaiser zu sich in die Wiener Hofburg, wo er ein Jahr später starb. Sein Grab befindet sich in der Karmelitenkirche Döbling.

Auf Bitten des Kurfürsten Max von Bayern kam das Bild noch im gleichen Jahr nach München. 1631 holte es Kaiser Ferdinand II. nach Wien und ließ es in seiner Privatkapelle zur Verehrung durch seine Familie aufstellen. Von dieser Zeit an führte er es auf all seinen Reisen mit. In der Stunde höchster Bedrängnis, die ihm und dem Reich am 16. November 1632 durch König Gustav Adolf von Schweden drohte, flehte er voll Vertrauen die Muttergottes vor diesem Gnadenbild um Hilfe an. Da erhielt er folgende Verheißung: „Ich werde Österreich allzeit durch meine Fürbitte beschützen und erhalten, solange es in Frömmigkeit und Andacht zu mir verharren wird.“ Kurz darauf wurde dem Kaiser gemeldet, dass König Gustav Adolf bei Lützen gefallen war. Nach Kaiser Ferdinands Tod im Jahr 1637 brachte seine Gemahlin, Kaiserin Eleonora, das wundertätige Gnadenbild zu den Karmelitinnen am Salzgries. 1655 wurde es durch testamentarische Verfügung der Kaiserin den Karmeliten zurückgegeben, welche es in ihrer Kirche in der Leopoldstadt aufstellten. Schließlich übertrug man das Bild 1901 in die neu erbaute Karmelitenkirche nach Döbling. Eine besondere Bekanntheit erlangte das Gnadenbild durch die großen Bittprozessionen nach St. Stephan während des Ersten Weltkriegs. Eine Kopie des Bildes begleitete auch Kaiser Karl und dessen Familie in die Verbannung. Dass es nun auf dem Sterbebild von Erzherzog Carl-Ludwig von Österreich erscheint, weist eindrucksvoll auf die noch heute lebendige Verbindung des Hauses Habsburg mit seinen religiösen Wurzeln hin. In einer Botschaft der Gottesmutter an P. Dominikus heißt es: „All denen, die mich in diesem Bild andächtig verehren und ihre Zuflucht zu mir nehmen, will ich die Erhörung ihrer Bitten gewähren und viele Gnaden schenken. Besonders aber will ich die Gebete für die Erquickung und Befreiung der Seelen aus dem Fegfeuer erhören!“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Christlicher Pulsschlag im heutigen Kosovo

Auf dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung des Kosovo sieht Prof. Dr. Rudolf Grulich die Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar 2008 als einen berechtigten und konsequenten Schritt. Die politische Entscheidung nimmt er zum Anlass, die schicksalsträchtige, bis heute spannungsgeladene Region im Herzen des Balkans in den Blick zu nehmen. Auf dem „Amselfeld“, wie das Kosovo heißt, begegnen sich unterschiedlichste kulturelle und religiöse Welten: Islam und Christentum, orthodoxe und katholische Kirche, Serben und Kroaten, Albaner und zahlreiche andere Minderheiten. Hier entscheiden sich auch für die Zukunft Europas wichtige Fragen. Prof. Grulich zeigt wichtige Hintergründe auf, um die Situation im heutigen Kosovo verstehen zu können. Gleichzeitig geht er auf Traditionen ein, welche bis in unsere Tage einen christlichen Pulsschlag im größtenteils muslimischen Kosovo erspüren lassen.

Von Rudolf Grulich

Die Unabhängigkeit des Kosovo

Als die Serben nach dem Ersten Balkankrieg das Kosovo (Amselfeld) 1912 ihrem Staat einverleibten, begann für die Albaner, die seit Jahrhunderten hier die Mehrheit der Bevölkerung stellten, eine Zeit der Unterdrückung. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt das Gebiet wie auch die Vojvodina nördlich von Belgrad den Status einer Autonomen Provinz innerhalb der Sozialistischen Republik Serbien. Das Albanische wurde im Kosovo neben dem Serbischen gleichberechtigte Amtssprache. Ohne zu einer Republik innerhalb Jugoslawiens aufgewertet zu sein, waren aber das Kosovo wie auch die Vojvodina faktisch Republiken, denn ihre Vertreter gehörten neben den Präsidenten der sechs Teilrepubliken (Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro) zum acht-köpfigen Staatspräsidium, das nach dem Tode Titos 1980 die Führungsspitze Jugoslawiens war.

Der serbische Präsident Slobodan Milosevic machte der Autonomie des Kosovo ein Ende und begann mit der Unterdrückung der Albaner, aber auch der kroatischen Minderheit des Kosovo. Unter Führung von Ibrahim Rugova leisteten die Albaner zunächst passiven gewaltlosen Widerstand, dann aber, als die Verfolgung immer blutiger wurde, seit 1998 auch aktiven Widerstand. 1999 begann Milosevic mit der Vertreibung von Hunderttausenden von Albanern, weshalb die Nato eingriff und die serbische Armee zum Abzug zwang. Seitdem war das Kosovo ein Protektorat unter der Verwaltung der EU.

Da die jugoslawische Verfassung vom freien Zusammenschluss der Völker Jugoslawiens ausging, hatten diese Völker auch das Recht auf Austritt aus dem jugoslawischen Staatsverband. Den Anfang machten 1991 Slowenien und Kroatien, 1992 folgten Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Restjugoslawien wurde 2003 eine Staatenunion unter dem neuen Namen Serbien-Montenegro, aus der 2005 Montenegro nach einem Volksentscheid austrat. Nach der Unabhängigkeit des Kosovo verblieben nur die Gebiete des alten Königreichs Serbien in den Grenzen von 1913 nach den Balkankriegen einschließlich der im Vertrag von Trianon 1920 erhaltenen Gebiete des alten Süd-Ungarn mit Teilen der Batschka, des Banats und Syrmiens.

Kirchliches Leben auf dem Balkan

Der Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawiens seit 1991 hat auch die kirchlichen Strukturen Südosteuropas verändert. Bis 1991 war es noch eine Jugoslawische Bischofskonferenz sowie eine regionale Konferenz der Bischöfe der damals drei slowenischen Diözesen. Heute gibt es Bischofskonferenzen Sloweniens, Kroatiens und von Bosnien-Herzegowina, aber auch eine Internationale Bischofskonferenz des Balkans mit Sitz in Belgrad.

In Mazedonien gibt es nur wenige tausende Katholiken des lateinischen und des byzantinischen Ritus. Die römisch-katholischen Gläubigen gehörten in dieser Zeit noch zum Bistum Skopje-Prizren, das auch das Kosovo umfasste. Im Bereich von Prizren (Kosovo) dieser Doppeldiözese lebten viel mehr Katholiken als in Mazedonien. Die rund 65.000 Katholiken im Kosovo wurden in 23 Pfarreien betreut, während es in ganz Mazedonien, also im Bereich von Skopje, nur über 4.000 Katholiken in zwei Pfarreien und weitere 10.000 Unierte in fünf griechisch-katholischen Pfarreien gab. Die Katholiken des Kosovo sind heute meist Albaner, da die Kroaten schon 1991 von den Serben unter Milosevic vertrieben wurden.

Der katholische Bischof, der den Titel von Skopje trug, hatte vor dem Ersten Weltkrieg in Prizren residiert. Danach verlegte er seinen Sitz wieder nach Skopje. 1967 errichtete Rom die besagte Doppeldiözese Skopje-Prizren und unterstellte sie dem Erzbistum Sarajevo. In Prizren dagegen residierte seit 1968 ein albanischer Weihbischof. Im Jahr 2000 wurde Prizren eine Apostolische Administratur, sodass das Bistum Skopje (Mazedonien) sich heute ganz auf Mazedonien beschränkt. Der Staat Mazedonien, aus dessen Hauptstadt die selige Mutter Teresa stammt, bildet auch ein Apostolisches Exarchat für die Katholiken des byzantinischen Ritus.

In Montenegro liegen das Erzbistum Bar (ital. Antivari) und die Diözese Kotor (ital. Cattaro). Nach der Abspaltung des Kosovo gibt es heute im orthodoxen Serbien das römisch-katholische Erzbistum Belgrad und die beiden Bistümer Subotica (deutsch: Maria Theresiopel) und Zrenjanin (deutsch: Groß Betschkerek). Für die meist ruthenischen Katholiken des byzantinischen Ritus, die seit österreichischer Zeit zum Bistum Križevci (deutsch: Kreutz/Kreuz) gehörten, wurde ein eigenes Apostolisches Exarchat geschaffen.

Die Wallfahrt auf dem Amselfeld

Das Kosovo hat einen berühmten Wallfahrtsort, den Mitteleuropa noch entdecken sollte: Letnica, der Wallfahrtsort Mutter Teresas, als sie noch Gonxha Bojaxhiu (Rosa Färber) hieß.

Im Kosovo fand am 28. Juni 1389 die bekannte Schlacht statt, in der die Türken das serbische Heer schlugen. Zu dieser Zeit residierte in der Stadt Peć ein serbischer Patriarch. Im Jahr 1690 flüchtete der Patriarch mit Zehntausenden von Gläubigen vor den Türken nach Ungarn.

Die katholische Kirche des zerfallenen Jugoslawien war nicht nur eine Kirche der Kroaten und Slowenen, sondern auch der nationalen Minderheiten des Landes. In einzelnen Diözesen wird auch heute noch ungarisch, italienisch, tschechisch, ukrainisch und ruthenisch gepredigt, in Montenegro und auf dem Amselfeld albanisch.

Die albanischen Katholiken leben im Kosovo unter zwei Millionen albanischen Mohammedanern und serbischen Orthodoxen. Der Wallfahrtsort Letnica liegt bei Kosovska Vitina. Hierher kamen stets nur Wallfahrer, echte Pilger, keine Touristen. Sie kamen zu Zehntausenden an Marienfesten, vor allem am 15. August zum Mariä Himmelfahrtsfest. Hierher pilgerten Kroaten aus den seit 1991 zerstörten kroatischen Enklaven des Amselfeldes, die auf ragusanische Kaufleute oder auf kroatisierte sächsische Bergleute zurückgehen. Größte kroatische Gemeinde war einst Janjevo, dessen Bewohner 1991/92 vertrieben wurden. Nach Letnica kamen Albaner aus den katholischen Gemeinden der Diözese Prizren. Aber es wallfahrteten nach Letnica früher auch orthodoxe Serben und moslemische Türken und Albaner, die alle Maria verehrten. Zigeuner kamen hierher und die sonst so unbekannten Laramanen, das sind Kryptochristen, die seit Generationen, ja Jahrhunderten äußerlich den Islam angenommen haben, aber im innersten Katholiken geblieben sind.

Diese Wallfahrten waren aber nur so lange möglich, wie die Albaner Autonomie auf dem Amselfeld hatten. Seit der großserbische Chauvinist Milosevic eine brutale Apartheidspolitik gegenüber den Albanern einführte und 90% der Einwohner rechtlos machte, litt auch die katholische Kirche. Vor allem viele kroatische katholische Familien haben außer Janjevo auch Letnica verlassen.

Ursprung des Heiligtums von Letnica

Letnica geht nach Meinung der Fachleute auf eine mittelalterliche Bergbausiedlung zurück. Der älteste uns erhaltene Grabstein spricht von einem Patrizier Nicolaus Ragusinus, also aus Dubrovnik, dem alten Ragusa. Wahrscheinlich gab es auch eine Kolonie sächsischer Bergleute hier, da Orte wie Sasari u.a. an diese „Sasi“, die „Sachsen“, erinnern. Früher hieß die Pfarrei Letnica „Montenegro“, also „Schwarzberg“, wie wir aus alten Visitationsberichten wissen. Seit altersher war Letnica berühmt wegen des Gnadenbildes in der Kirche, einer Statue aus Lindenholz. Die sitzende Muttergottes hält in ihrer rechten Hand, die sie aufs Knie stützt, einen Apfel, und in der linken das Jesuskind. Heute ist die Statue meist in kostbare Gewänder gekleidet und trägt jetzt eine Krone. Zahllose Legenden umranken das Gnadenbild, das vielleicht nach der Eroberung Skopjes 1392 durch die Türken von gläubigen Katholiken hierher gebracht worden war. Es ist die Arbeit eines unbekannten Künstlers. Die heutige Kirche wurde 1932 erbaut, als ein Erdbeben die alte Kirche beschädigt hatte.

In die alte Kirche pilgerte noch die junge Gonxha Bojaxhiu aus Skopje als Mädchen, ehe sie sich 1928 im Alter von 18 Jahren entschloss, nach Indien in die Mission zu gehen. Unter dem Namen Mutter Teresa von Kalkutta wurde sie weltberühmt und erhielt den Friedensnobelpreis. Vor fünf Jahren wurde sie selig gesprochen. Bei ihrer Geburt 1910 herrschten hier auf dem Kosovo die Türken, erst nach den Balkankriegen von 1912 kamen die Serben, um schon damals ein Schreckensregime über die Albaner zu errichten. Die Blutbäder der Serben 1912 unter den Albanern sind nur mit den Massakern in Bosnien 80 Jahre später zu vergleichen. Erst nach dem Sturz des serbischen Geheimdienstchefs Aleksandar Ranković 1966 genossen die Albaner eine Zeitlang tatsächliche Gleichberechtigung. Nach dem Tode Titos wurde dies wieder anders. Seit 1981 herrscht praktisch Kriegsrecht auf dem Amselfeld, weil es damals zu blutigen Demonstrationen der Albaner gekommen war. Die Landsleute Mutter Teresas wurden dann völlig rechtlos. Es herrschte Terror und Unterdrückung auf dem Amselfeld, bis die Nato 1999 den Vertreibungen ein Ende machte. Heute leben außer im Norden des Kosovo nur wenige Serben in verbliebenen Enklaven, darunter in Peć.

Das serbische Rom

Von Montenegro herkommend, von den Höhen des Čakor-Passes, auf dem die Grenze zwischen Montenegro und dem Kosovo verläuft, kann man die wilde romantische Schönheit von Peć erfahren. Von der 1849 Meter hohen Passhöhe fährt man an Matten und Tannenwäldern vorbei ins Tal der Bistrica, bis sich hinter Kućište die Felsen verengen und eine der großartigsten Schluchten der Balkanhalbinsel beginnt: die Rugovo-Schlucht. Senkrecht steigen die Felswände hoch, oft hängen sie über. Einfache Tunnels sind in den Stein gesprengt, die Brücken sind baufällig, tief unten gurgelt der Fluss. Nach acht Kilometern weitet sich das Flusstal, und wir sehen ein Gebäude, bei dessen Namen das Herz jedes Serben immer noch schneller schlägt: das Patriarchenkloster von Peć.

Seit dem Jahre 1219 residierten hier Patriarchen der Serbischen Orthodoxen Kirche. Als die Türken kamen, hoben sie auf Betreiben der Griechen das Patriarchat auf und gliederten es in die Griechische Kirche ein. Aber als Mehmed Sokolović, ein serbischer Mohammedaner, Großwesir in Konstantinopel wurde, errichtete er das Patriarchat vor 450 Jahren 1557 wieder neu. 1766 erreichten die Griechen eine neuerliche Aufhebung, nunmehr eine endgültige, denn das 1920 neu erstandene serbische Patriarchat hat nunmehr seinen Sitz in Belgrad, wenn auch noch den Titel von Peć.

Hort der christlichen Liturgie

Die Stadt Peć hat heute rein islamischen Charakter, ihre Bewohner sind Albaner, die nachrückten, als Patriarch Arsenije mit seinen Gläubigen 1690 nach Österreich floh. Die drei Kirchen des alten Patriarchenklosters sind aber heute noch christliche Liturgiestätten. In den 60er Jahren renoviert, erstrahlen die wertvollen Fresken der Apostelkirche im Kerzenschein. Im 13. Jahrhundert entstanden, gehören diese Malereien zu den wertvollsten, was byzantinische Serben schufen. In der Vierung bestaunen wir eine majestätische Komposition der Himmelfahrt Christi; Apostel, Heilige und serbische Fürsten schmücken die Wände. Im 14. Jahrhundert kam die Kirche der Gottesmutter hinzu, später noch eine Demetriuskirche, alle reich, üppig und doch harmonisch und überwältigend ausgemalt.

Orthodoxe Nonnen betreuen heute die Gebäude. Sie singen abends die Večernje, das tägliche Abendlob ihrer Kirche. Klar hallen die Stimmen im Raum, die dem alten Priester antworten, der vor der Ikonostase anhebt: „In Frieden lasset zum Herrn uns beten“. Voll Jubel sind die Stimmen, voll jenes Jubels, der auch in der Zeit türkisch-islamischer Unterdrückung hier erklang, als die Klöster Hort des Glaubens und des Volkstums waren.

Die tragische Gestalt des deutschen Mehmed Ali

Nichts von all dem spüren wir in der Stadt Peć. Bis 1912 gehörte Peć unter dem türkischen Namen Ipek noch zum osmanischen Reich der Sultane. Einer derer, die diesem Reich treu dienten, fand hier den Tod. Mehmed Ali, Pascha und türkischer Generalleutnant, dann Marschall des Sultans im Russisch-Türkischen Krieg 1877 und Vertreter der Türkei beim Berliner Kongress 1878. Trotz seines Namens, seiner Titel und Ränge war dieser Mehmed Ali ein Deutscher aus Brandenburg, ein Abenteurer, der in der Türkei Karriere gemacht hatte, eine verspätete Landsknechtserscheinung. Es gärte auf dem Amselfeld und in Albanien, als Mehmed Ali nach dem für die Türkei verlorenen Krieg 1878 wieder ins Land kam. In Đakovica demonstrierte die Menge gegen ihn und beschimpfte ihn als Verräter, weil er auf dem Berliner Kongress nicht mehr für die Türkei erreicht hatte. Mit zwei Offizieren und 20 Soldaten schlug sich Mehmed Ali durch das aufrührerische Land nach Peć durch. Aber das Haus, in dem er weilte, wurde angegriffen, seine Begleiter im Kampf erschlagen. Schließlich erhielt auch Mehmed Ali, fern seiner brandenburgischen Heimat, nach heftiger Gegenwehr, 16 Wunden am Leibe, darunter einige tödliche.

Wir suchen das Haus, wo er starb, eines der vielen Gebäude mit alttürkischer Architektur, das in Peć noch erhalten ist. In der Moschee singt der Hodscha noch seine arabischen Koranverse, fünfmal am Tag ruft er vom Minarett seine Gläubigen zum Gebet: „Bismillahir – rahmanir – rahim!“ „Im Namen Gottes des Allmächtigen und Allgnädigen“. Mir kommt in den Sinn, dass ja der Islam denselben Gott anruft, zu dem wir Christen flehen, und so fließt mir in der Moschee die Bitte über die Lippen: Möge Allah auch Mehmed Ali gnädig sein, der in Brandenburg im Namen des Dreieinigen Gottes getauft worden war!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 4/April 2008
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