Erzbischof Vovk – der Fels im kommunistischen Slowenien

Mit dem Lebensbild von Erzbischof Anton Vovk taucht ein erschütterndes Glaubenszeugnis aus der jüngsten Vergangenheit vor uns auf. Es gibt uns Einblick in die Verfolgung der Kirche unter der kommunistischen Herrschaft in Slowenien. Was hier geschehen ist, liegt nur wenige Jahrzehnte zurück und hat in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattgefunden. Dank des Seligsprechungsverfahrens sind nun wertvolle Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, die zur persönlichen wie politischen Gewissenserforschung anregen können. Wir freuen uns, dass wir diesen Beitrag erstmals in deutscher Sprache veröffentlichen dürfen.

Von Blaž Otrin und Anton Strukelj

Der Lebensweg von Erzbischof Vovk

Anton Vovk wurde am 19. Mai 1900 im Dorf Vrba, Oberkrain in Slowenien, geboren. Er kam im selben Zimmer zur Welt wie am 3. Dezember 1800 sein Großonkel Dr. France Prešeren, der größte slowenische Dichter. Die Volksschule besuchte er in Breznica und Kranj, wo er auch die ersten sechs Jahre des Gymnasiums besuchte. Seine Eltern starben früh: der Vater, als er nicht ganz vier, die Mutter, als er 17 Jahre alt war. Im Herbst 1917 trat er ins Knabenseminar des Bischofskollegs in Sentvid bei Ljubljana ein. Dort machte er 1919 das Abitur. Seinen Weg setzte er im Priesterseminar in Ljubljana fort, wo er am 29. Juni 1923 zum Priester geweiht wurde.

Zuerst diente er drei Jahre als Kaplan in Metlika und zwei Jahre in Tržič, bis er dort 1928 Pfarrer wurde. Die großen Schulden, die er übernahm, kosteten ihm sehr viel Kraft. Es begann ein Rheumaleiden, das ihn das ganze Leben begleitete. Aufgrund seiner hervorragenden pastoralen, kulturellen und sozialen Arbeit wurde er am 6. Juni 1936 zum Konsistorialrat ernannt.[1] 1940 wurde er kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Domkapitular in Ljubljana berufen, um das Amt des Rektors im Bischof-Baraga-Priesterseminar zu übernehmen. Die Kriegsereignisse aber durchkreuzten diesen Plan. Er wurde zunächst als Vorstand des Bischöflichen Ausschusses für die Hilfe der Flüchtlingspriester eingesetzt, da in der Region um Ljubljana zahlreiche Priester Zuflucht suchten, die aus den von den Deutschen besetzten Gebieten (Steiermark und Oberkrain) vertrieben worden waren. Unter schwierigen Verhältnissen kümmerte er sich um Unterkunft und Lebensunterhalt und leitete seit 26. Juli 1944 gleichzeitig das Bischöfliche Priesterseminar.[2]

Nach der Verhaftung von Generalvikar Ignacij Nadrah musste er am Ende des Kriegs anstelle des Ljubljaner Bischofs Gregorij Rožman die Leitung des Bistums übernehmen.[3] Wie er selbst schrieb, war er damit am 15. Juni 1945 zum „Generalnotleidenden“ seiner Diözese geworden. Ein Jahr später bot ihm der Apostolische Nuntius Joseph Patrick Hurley im Namen des Heiligen Vaters das Amt des Weihbischofs an. Vovk schrieb: „Ich war erstaunt … Nie im Leben hatte ich an so etwas gedacht und mich natürlich auch nicht darauf vorbereitet. … Ich bat um einen halbstündigen Aufschub … und begab mich in den Dom zum ,Maria-Hilf-Altar‘ von Brezje, um mich zu entscheiden. … Noch nie war ich davor mit einer größeren Angelegenheit auf die Knie gefallen. Wie schön war es, als ich in den Schuljahren häufig vom Geburtsort Vrba zu Fuß nach Brezje pilgerte, im Sommer öfters sogar jeden Sonntag, um bei der Helferin meine Berufung zu festigen. … Ich erklärte mit Maria: der Wille Gottes und der Wille der Kirche sollen geschehen …“[4] Als bischöflichen Wahlspruch wählte er: „In Domino confido“. Gerade dieses Vertrauen auf den Herrn half ihm, in den Zeiten der schweren Heimsuchungen das Bistum klug zu steuern. Aufgrund der neuen zwischenstaatlichen Territorialverteilung wurden ihm schließlich neben der Diözese Ljubljana auch die Apostolische Administratur des slowenischen Teils des Bistums Rijeka (vom 21.4.1951 bis 12.7.1961) und die Apostolische Administratur des slowenischen Teils des Bistums Triest-Koper (vom 1.4.1951 bis 28.9.1955) übertragen.

Bischof von Ljubljana unter kommunistischer Herrschaft

Als die staatlichen Behörden von dieser Ernennung erfuhren, gaben sie ihm sofort zu verstehen, dass sie ihn weder als Generalvikar noch als Bischof anerkennen werden, vielmehr müsse er sich auf Schwierigkeiten gefasst machen. Dieses „Versprechen“ jedenfalls erfüllten die Behörden „treu“ die ganze Zeit seines Bischofsdienstes hindurch. Vovk war als Generalvikar, dann als Weihbischof, Apostolischer Administrator, Bischof und schließlich als Erzbischof mit vollkommen veränderten Verhältnissen konfrontiert. Mit der Durchführung der Revolution formte die neue „Volksmacht“ ein neues gesellschaftliches System, das von ihr vollständig kontrolliert wurde. Der katholischen Kirche war es als einziger Einrichtung gelungen, ihre Autonomie zu bewahren. Sie stellte sozusagen die einzige Alternative zur kommunistischen Struktur dar. Die Partei war sich dessen bewusst und wollte deswegen die kirchlichen Strukturen auf jeden Fall zerbrechen.

Am Ende des Kriegs verließen fast 300 Priester und Ordensleute ihre slowenische Heimat, 185 allein aus dem Bistum Ljubljana. Einige Priester wurden außergerichtlich getötet, andere für lange Zeit in Haft gehalten. Bereits im Mai 1945 waren 50 Priester verhaftet worden. So standen in Slowenien vom Kriegsende bis zum Jahr 1961 insgesamt 429 Priester vor Gericht. Von ihnen wurden 339 zu Freiheitsstrafen verurteilt, viele sogar mehrere Male, zehn zum Tod. Davon wurden vier Todesurteile vollstreckt.[5]

Politische Unterdrückung der Kirche

Die Volksmacht erfand immer wieder neue Mittel, um die Kirche zu untergraben. Sie plante die „Entchristlichung“ des slowenischen Menschen und stellte sich auf einen langwierigen Prozess ein, entsprechend der Aussage von Mitja Maček: „Der ideologische Kampf gegen die religiösen Vorurteile wird lang und hart sein. Er ist bei uns der schwierigste; denn die Slowenen sind das gläubigste Volk. Es wird Generationen hindurch dauern."[6] Mit der Agrar-Reform und der Nationalisierung wurden der Kirche zunächst alle materiellen Mittel weggenommen. Das blühende soziale und kulturelle Leben mit seinen Vereinen und Bildungseinrichtungen wurde völlig unmöglich gemacht. Der Staat behielt sich für all diese Bereiche ein absolutes Monopol vor. Glaubensversammlungen wurden verboten, Prozessionen behindert, die Druckereien konfisziert. Unter strengster Kontrolle und ständigen Behinderungen war nur noch ein allgemeines religiöses Leben erlaubt. Zugelassen waren ein Seminar für die Ausbildung der Priester und das bescheidene Blatt Oznanilo. Der Religionsunterricht wurde am Ende des Kriegs um der leichteren Kontrolle willen in den Schulen noch beibehalten, jedoch verschiedenen Schikanen ausgesetzt und 1952 ganz abgeschafft. Bis heute wurde er nicht wieder eingeführt. Auch die Theologische Fakultät wurde am 31. Juni (!) 1952 per decretum aus der Universität Ljubljana ausgeschlossen.

Eine andere Maßnahme, die von Kriegsende bis 1952 dauerte, war die sog. „Zustimmung“. Dadurch konnte die politische Gewalt jedem Priester, der während des Kriegs nicht in seiner eigenen Pfarrei tätig war, sein Wirken in der Pfarrei eigenmächtig erlauben oder verbieten. Später wurde die „Zustimmung“ auch auf jährliche Versetzungen von Priestern sowie den Einsatz der Primizianten erweitert. Für diese Maßnahme hatte es niemals irgendwelche Gesetze oder schriftliche Anweisungen gegeben. Sie war in ganz Jugoslawien einzigartig und galt nur in Slowenien.

Die ohnehin schon schlechte materielle Situation der Kirche wurde durch zusätzliche Maßnahmen verschärft. Bereits 1946 wurde von der Regierung das Entgegennehmen von Naturalien verboten, wovon in einigen Landpfarreien das Überleben der Priester und kirchlichen Angestellten abhing. Auch das Spendenwesen wurde mehr und mehr eingeschränkt. Von 1948 bis 1953 war eine besondere Erlaubnis erforderlich, die nur jenen Priestern gewährt wurde, welche Mitglieder des Cyrill-Methodius-Vereins (CMD) der katholischen Priester der Volksrepublik Sloweniens (LRS) waren. Sonderkollekten wie z.B. für das Priesterseminar waren überhaupt nicht erlaubt. Die Steuerlasten wurden unerträglich. Priester mussten Umsatzsteuer zahlen und religiöse Riten wurden eigenmächtig besteuert, sogar die Taufe, obwohl es bei ihr gar keine Einkommen gab. Der Diözese Ljubljana wurden in den Jahren bis 1955 so hohe Steuern aufgebürdet, dass sie nicht mehr imstande war, diese zu bezahlen. So wurden 1955 das Schloss Goričane bei Ljubljana und zehn Hektar Grundbesitz, welche sie nach der Agrarreform noch behalten durfte, beschlagnahmt.[7]

Zermürbende Verfolgung des Hirten

Bischof Vovk, die zentrale Figur der katholischen Kirche im damaligen Slowenien, erlebte die Skrupellosigkeit und Brutalität der Druckausübung besonders deutlich. Die führende Rolle spielte dabei die geheime Revolutionspolizei der kommunistischen Partei, die sog. Behörde der Staatssicherheit (UDV): Ständig wurde er befragt, auf allen Reisen und Visitationen z.B. zu Firmungen begleitet, die Predigten wurden abgehört und analysiert, Priester und Laien aus dem Umkreis des Bischofs verhört und misshandelt, täglich wurde darüber Bericht erstattet, wo er sich aufhielt, mit wem er Gespräche führte, wie er zu bestimmten Fragen Stellung nahm, das Ordinariat wurde durchsucht und die gesamte ein- und ausgehende Post des Ordinariats überprüft.

Vovk erlebte mindestens 90 Verhöre durch die UDV, bei denen er gedemütigt, beleidigt und erpresst wurde. Sie fanden zu allen möglichen und unmöglichen Stunden statt, sehr oft auch an seinem Krankenbett. Er ertrug sie würdevoll, aufrecht und prinzipienfest. Sie wurden von äußerst bewährten und indoktrinierten Personen durchgeführt, aus denen führende politische Funktionäre hervorgingen, z.B. Mitja Ribičič und Zdenko Roter.

Bis zum Jahr 1952, als die Beziehungen zwischen Jugoslawien und dem Heiligen Stuhl abgebrochen wurden, war das häufigste Thema der Apostolische Nuntius bzw. der Vatikan. Aus den Fragen geht die Vermutung hervor, der Vatikan unterhalte in Slowenien ein geheimes Netz. Zunächst versuchte die UDV den Bischof dafür zu gewinnen, eine vom Vatikan unabhängige Kirche in Slowenien aufzubauen. Die UDV-Leute mussten jedoch bald einsehen, dass sie mit dieser Taktik bei Bischof Vovk keinen Erfolg hatten. So drängten sie ihn zu mehr „Volkstümlichkeit“. Als auch dies scheiterte, versuchten sie ihn davon zu überzeugen, dass er sich mit seiner ablehnenden Haltung dem Staat gegenüber die Ungnade des Vatikans zuziehe. Schließlich brachte die UDV ihre Pseudo-Sorge zum Ausdruck, mit seinem „gegen das Volk“ gerichteten Wirken schade er dem Glauben. Da er dennoch ihre „Ratschläge“ nicht annahm, wurde ihm eine amerikanisch-vatikanische Politik vorgeworfen. Er sei ein Schranze von Korošec und Natlačen, ein Anführer der Reaktion und als solcher gar kein echter Slowene. Der Druck auf den Bischof nahm teilweise abartige Formen an. So forderten ihn die UVD-Leute beim Verhör am 4. September 1949 dazu auf, für sie die Taschen des Apostolischen Nuntius zu entwenden. Der Heilige Stuhl, der nach 1952 kein Thema mehr war, wurde 1958 wieder aktuell, als Bischof Vovk nach Rom reiste.

Verhaftung von Priestern als Mittel der Erpressung

Bei den Verhören arbeitete die UDV mit niederträchtigen Erpressungen. Oft bot man ihm die Freilassung von verhafteten Priestern an.[8] Weil Vovk seinen Weg felsenfest und unerschütterlich fortsetzte, in Treue zu Christus und zur Kirche, wurden zur Strafe zahlreiche Seminaristen und Priester aus seiner nächsten Umgebung verhaftet. Als Vovk beispielsweise am 23. Dezember 1948 eine ihm gestellte Forderung nicht akzeptierte, gab ihm die UDV zur Antwort: „Sie werden schon morgen erfahren, welche Priester eingesperrt worden sind, wenn Sie uns heute keine sicheren Verpflichtungen abgeben.“ In derselben Nacht wurde für sechseinhalb Jahre der erkrankte bischöfliche Sekretär Božidar Slapšak verhaftet, der soeben von der Abbüßung einer Strafe zurückgekehrt war, und für ein Jahr der Domherr Franc Kimovec. Auf den Einwand des Bischofs: „Ich wundere mich, dass Sie nicht mich in Haft nehmen, wenn ich die Gefängnisursache für all diese Priester bin. Hier bin ich!“, antwortete ihm die UDV zynisch: „Wir wissen schon, Sie möchten, dass wir Sie in Haft nehmen. Wir würden wohl dem Nuntius und dem Vatikan eine Freude machen, wenn sich die Nachricht verbreitete, dass schon wieder ein Bischof in Slowenien verhaftet worden ist. Einstweilen wollen wir ihnen dieses Vergnügen nicht bereiten. Sie selbst aber sollen die Folgen Ihrer Taten zu Gesicht bekommen!"[9]

Psychischer Terror und Attentatsversuche

Bischof Vovk war nicht nur psychischem Terror, sondern auch physischen Angriffen ausgesetzt und Ziel mehrerer Attentatsversuche. Im Mai 1947, als in Kočevje eine Firmung angesetzt war, wurde der öffentliche Verkehr gestoppt, um die Menschen aus den umliegenden Dörfern an der Teilnahme zu hindern. Außerdem wurden Strom und Wasser abgeschaltet und die Ausgabe von Speisen und Getränken verboten. Am Auto, mit dem der Bischof ankommen sollte, wurden alle vier Reifen durchstochen.[10]

Wegen seiner Rheuma-Erkrankung suchte Vovk im August 1947 das Heilbad Dolenjske Toplice auf. Die UDV organisierte laute Proteste vor dem Pfarrhaus, in dem der Bischof wohnte. Wilde Demonstranten, die eigens angeheuert und sogar unter Zwang einberufen worden waren, schlugen die Fensterscheiben ein, drangen in das Pfarrhaus ein und gingen gegen den Bischof vor. Durch sein entschiedenes und selbstbewusstes Auftreten jedoch wurden sie so verwirrt, dass sie den Schauplatz verließen.[11]

Anlässlich einer Firmung in Skofja Loka im Mai 1951 sollte auf Anordnung der UDV der Suppe des Bischofs eine Mischung aus Rizinus und Altöl beigemengt werden. Die beauftragte Person führte jedoch die Anweisung nicht aus.[12] Im Juni 1951 zerstörten Krawallmacher in Bled das Erdgeschoß des Pfarrhauses, in dem der Bischof übernachtete. Auch sie waren von den Behörden angeworben worden.[13] Während der Visitationen und Firmungen in den Pfarrgemeinden wurden die Priester regelmäßig verhört, oft auch verhaftet und die Gläubigen auf verschiedene Weise eingeschüchtert. Um die Feierlichkeiten zu stören, sägte man z.B. die Maibäume um, begoss man die Kirchen mit Fäkalien und beschmierte die Kirchgebäude und Pfarrhäuser mit antikirchlichen Slogans.

Der Brandanschlag am 20. Januar 1952

Seinen Höhepunkt erreichte der Terror gegen den Bischof, als am 20. Januar 1952 in Novo mesto ein Brandanschlag auf ihn verübt wurde. In Begleitung fuhr er mit dem Zug von Ljubljana nach Novo mesto, um in der Pfarrgemeinde Stopiče eine frisch renovierte Orgel einzuweihen. Schon auf der Fahrt wurde er in einem Tunell mit einer stinkigen, fetten Flüssigkeit übergossen. Als der Bischof in Novo mesto ankam und aus dem Zug stieg, erwartete ihn auf dem Bahnhof eine protestierende Menge. Sie begann, den Bischof zu beschimpfen und zu schlagen. Schließlich drängte sie ihn in den Waggon zurück und umstellte ihn. Während die aufgebrachten Demonstranten brüllten: „Lasst uns den Teufel töten!“, übergoss jemand aus der Menge den Bischof mit Benzin und steckte ihn in Brand. Der Überrock des Bischofs fing sofort Feuer. Eine blaue Stichflamme schlug ihm ins Gesicht und fügte ihm eine schwere Brandverletzung zu. Die Leute schrien: „Stirb den Flammentod, Teufel! Der Teufel soll krepieren!“ Er aber kämpfte mit den Flammen, warf den brennenden Mantel weg und löschte den lodernden Halskragen aus Zelluloid. Die große Brandnarbe am Hals begleitete sein ganzes Leben und blieb ein sichtbares Zeichen seines Martyriums.

Ein Polizist, der den Waggon betrat, wies den Bischof an, in den Wartesaal zu kommen, angeblich, um ihn vor der Volksmenge zu schützen. Doch dort ging das Golgathaleiden weiter. Die Menge zwang den erschöpften Bischof, auf einen Tisch zu steigen, und verhöhnte ihn. Eineinhalb Stunden nach der Ankunft des Zuges trafen Vertreter der UDV ein und schickten den Bischof in den Zug zurück. Gleichzeitig behinderten die Demonstranten die Ankunft eines Arztes sowie die Zufahrt des Autos, mit dem der Bischof ins Krankenhaus gebracht werden sollte. Nach dürftigster Versorgung musste der Bischof im Zug nach Ljubljana zurückfahren, und konnte erst dort ärztliche Hilfe aufsuchen. Das ganze Geschehen in Novo mesto dauerte volle viereinhalb Stunden. Weder die Polizisten noch die Vertreter der UDV unternahmen etwas gegen die aufgehetzte Menschenmenge. Aber damit nicht genug: Im Krankenhaus, wo der Bischof an den Brandwunden behandelt wurde und aufgrund der Nachwirkungen der Verbrennungen zeitweise nur halb bei Bewusstsein war, wurde er von der UDV am Krankenbett zwei Mal verhört.[14]

Die Behörden stellten den Anschlag in der breiten Öffentlichkeit als einen unerfreulichen Zwischenfall dar. Patrioten hätten ihn aus Heimatliebe verübt, da sie im Bischof die Verkörperung allen Übels sähen, welches sie durch die Besatzer und Heimatverräter erlitten. Aus dem Verlauf der Ereignisse sowie aus den erhaltenen Archivdokumenten der Kommunistischen Partei Sloweniens geht eindeutig hervor, dass der Brandanschlag von der Führung der Partei in Zusammenarbeit mit der UDV sorgfältig vorbereitet worden war. Diejenigen, die an der Verbrennungsaktion mitgewirkt hatten, wurden nie bestraft, sondern im Gegenteil für ihre Tat von den Behörden in den darauf folgenden Jahren reich beschenkt.[15]

Vorliebe des Bischofs für die Priester

Die größte Sorge und Liebe zeigte der Bischof seinen Priestern. Er empfing sie immer sehr gern und väterlich, besuchte sie, ermutigte und stärkte sie. Wie oft trat er für sie als Vermittler bei den Behörden, bei der UDV oder bei der „Kommission für die religiösen Angelegenheiten“ ein, auch wenn er oft keinen Erfolg hatte! Am 29. Juni 1963, acht Tage vor seinem Tod, schrieb er in seinem geistlichen Testament: „Wie schwer fällt es mir, dass ich heute die Neupriester nicht weihen kann. Ich bete für sie, damit sie gute Priester werden. Bewahre sie, Herr, und segne alle unsere Priester! Ich liebe sie unermesslich, weil sie dem Herrn gehören, für ihn arbeiten und leiden. Es tut mir sehr leid, wenn ich je mit einem von ihnen etwas härter umgegangen bin. Ja, es war nur eine Folge der Not und der Erschöpfung meiner Nerven. Gern habe ich alles sofort vergeben, alles vergessen und um dasselbe bitte ich auch all meine lieben Mitbrüder."[16] Seine außerordentliche Fürsorge galt auch den Ordensleuten; denn in Slowenien waren viele Ordensgemeinschaften verboten und ihre Mitglieder vertrieben worden. Noch am letzten Tag seines Lebens zeigte sich seine echte menschliche und liebevolle Aufmerksamkeit, als er einer kranken Ordensfrau seine Glückwünsche mit Pfirsichen ins Krankenhaus schickte.[17]

Besonders litt der Bischof unter dem Cyril-Methodius-Verein (CDM) der Priester. Er war von staatlicher Seite gegründet worden, um Unfrieden zu stiften und auf allen Ebenen Spaltungen in die Kirche zu tragen: zwischen dem niederen und dem höheren Klerus, zwischen dem einfachen und dem „patriotischen“ Klerus, zwischen den Bischöfen in Jugoslawien und denen in Slowenien, kurzum, der Staat verfolgte mit dem Verein die Absicht, alle gegen alle auszuspielen. Vovk trug mit seiner klugen Amtsführung wesentlich zur Vereitelung dieser Pläne bei. Er war einerseits streng gegen den Verein eingestellt, der von den staatlichen Behörden geleitet wurde und unabhängig von der kirchlichen Hierarchie wirkte. Andererseits aber kannte er die Ziele der Politik genau und unternahm deshalb keinerlei kirchliche Sanktionen gegen die Mitglieder des Vereins. Er verstand sehr gut, unter welchem Druck die Priester standen, zumal die Repressalien der Partei in Slowenien die schlimmsten in ganz Jugoslawien waren. Vovk selber erlebte Kritik und Unterdrückung sowohl vonseiten der staatlichen Gewalt als auch vonseiten verschiedener Kirchenkreise. Vom Staat wurde er regelrecht erpresst. Er sollte den Priestern den Beitritt zur Befreiungsfront (OF) und später in den Verein CDM empfehlen sowie deren Statuten anerkennen. Auf diese Weise sollte der CDM zu einem offiziellen priesterlichen Standesverein werden. Weil Vovk dies bis zuletzt ablehnte, wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, wie die Verhaftung von Priestern. Aber auch kirchlicherseits musste er schwere Vorwürfe hinnehmen. Es gab slowenische Priester aus der Emigration, die ihn als den „roten Bischof“ bezeichneten. Vor allem aber geriet er in Konflikt mit einigen kroatischen Bischöfen, die sich in ihre eigenen Vorstellungen „verstiegen“ hatten. So musste er sich oft wegen seiner Haltung auf den Sitzungen der Bischofskonferenzen den kroatischen Bischöfen gegenüber verteidigen, was sogar bis in den Vatikan gedrungen war.[18]

Anerkennung durch den Papst

Nach dem Tod von Bischof Gregorij Rožman wurde Vovk am 26. November 1959 zum Residenzialbischof in Ljubljana ernannt. Etwa zwei Monate später erhielt er von den Behörden die offizielle Erlaubnis für eine Reise nach Rom. So durfte er am 1. Februar 1960 zum ersten Mal nach Kriegsende die Ewige Stadt mit den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus besuchen. Er traf mit Papst Johannes XXIII. zusammen und entschuldigte sich bei ihm, dass er wegen seiner Krankheit vor ihm nicht niederknien könne. Doch der Heilige Vater erwiderte: „Ich sollte vor Ihnen eine Kniebeuge machen!“ Bei allen, denen Vovk in Rom begegnete, hinterließ er einen tiefen Eindruck. Dies gilt auch für spätere Rombesuche. Man erkannte in ihm einen Märtyrer.[19]

Trotzt aller Mühseligkeiten bekleidete Bischof Vovk sein Bischofsamt mit großer Freude und Heiterkeit. Er war beim Volk äußerst beliebt. Sein charismatischer Charakter und seine groß gewachsene Gestalt hatten auf die Menschen eine mächtige Wirkung. Sie sahen in ihm einen wahren geistlichen Hirten und einen unerschrockenen Verteidiger des Glaubens. Er begeisterte mit seinen Predigten und beherrschte mit seiner tiefen und kräftigen Stimme mühelos jeden Raum oder Platz. Er nahm gern an Volksfesten teil. Ungeachtet seiner Krankheit schöpfte er bei den Menschen immer wieder neue Kraft und schenkte umgekehrt auch ihnen Mut und Vertrauen. Im Jahr 1957 schrieb er: „Ich bin noch nie in Ohnmacht gefallen. Im Sommer ertrage ich am Sonntag auch zwei Firmungsfeiern. Ich muss schon sagen, dass ich ein eigenartig gesunder Kranker bin, den die Krankheit bei der Arbeit nicht behindert und der dazu auch noch gut aussieht. Solange Gott es will!“

Vovk war innerlich vollkommen frei und gelassen, unbeugsam und humorvoll zugleich. Es gibt über ihn zahlreiche Anekdoten. So benutzte er beispielsweise ein Fuhrwerk und begab sich damit voller Lachen zu einer Firmfeier, als ihm die Behörden die Fahrt mit dem Auto verboten hatten. Auch besaß er ein Gespür für das Schöne und war auf die ästhetische Gestaltung der Kirchen bedacht. Den großen slowenischen Architekten Jože Plečnik, der am 7. Januar 1957 in Ljubljana verstarb, schätzte er außerordentlich und hielt eine viel beachtete Lobrede bei dessen Beerdigung.

Trotz seiner seelischen Stärke wurde seine körperliche Gesundheit doch immer schwächer. Rheumatismus und Diabetes, die vor allem nach der Übernahme der Bistumsleitung hervortraten, ereichten ihren Höhepunkt nach dem Brandanschlag in Novo mesto. Als er im Jahr 1948 um seinen Gesundheitszustand erfuhr, schrieb er nieder: „Für eine Krankheit werde ich aber wirklich keine Zeit haben! Nun, ich nehme auch noch dieses Kreuz an.“ Er hatte Blutzuckerwerte von 320 bis 345 mg/dl, wobei der normale Stand zwischen 100 und 120 mg/dl beträgt. Aus medizinischer Sicht hätte er das Bewusstsein verlieren müssen. In seinem gesundheitlich sehr angeschlagenen Zustand starb er am 7. Juli 1963. Seinem Wunsch gemäß wurde er auf dem Priesterfriedhof von Ljubljana – Žale von Plečnik – bei seinen Mitbrüdern beerdigt.

Bis zum Ende war Erzbischof Vovk ein treuer Zeuge des Evangeliums Christi, ein Märtyrer im wahrsten Sinne des Wortes.[20] Das bischöfliche Verfahren für seine Seligsprechung wurde am 12. Oktober 2007 in Ljubljana abgeschlossen und die gesamte Dokumentation am 26. Oktober 2007 der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse in Rom übergeben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. Ivan Merlak: Za narod in Cerkev: življenjepis božjega sluzabnika Antona Vovka, Družina, Ljubljana 2002, 23-45.
[2] Vgl. Anton Vovk: V spomin in opomin, Osebni zapisi škofa Antona Vovka od 1945 do 1953, Družina, Ljubljana 2004, 36, 47.
[3] Vgl. France M. Dolinar: Imenovanje in posvećenje Antona Vovka za ljubljanskega škofa, in: Vovkov simpozij v Rimu, Slovenska teološka akademija v Rimu in Celjska Mohorjeva družba, Celje 2005, 59-61.
[4] Anton Vovk: V spomin in opomin, 91, 92.
[5] Vgl. Tamara Griesser-Pečar: Cerkev na zatožni klopi, Družina, Ljubljana 2005, 87, 88, 103-107.
[6] Vgl. Zapisniki politbiroja CK KPS/ZKS 1945-1954, gesammelt und geordnet von Darinka Drnovšek, Arhivsko društvo Slovenije, Viri 15, Ljubljana 2000, 66.
[7] Vgl. Blaž Otrin: Ob izidu knjige Antona Vovka V spomin in opomin, in: Mednarodna katoliška revija Communio 13 (2003), 271-279.
[8] Vgl. Blaž Otrin: Vovkova zaslišanja, in: Vovkov simpozij v Rimu, Celje 2005, 83-94.
[9] Anton Vovk: V spomin in opomin, 414-424.
[10] Anton Vovk: V spomin in opomin, 154.
[11] Anton Vovk: V spomin in opomin, 136-141.
[12] Ludvik Ceglar: Nadškof Vovk in njegov čas 1900-1963 III, Celovec 1999, 78-79.
[13] Tone Krampač: Vovkove vizitacije in birme, in: Vovkov simpozij v Rimu, S. 219.
[14] Anton Vovk: V spomin in opomin, 214-229.
[15] Stane Granda: Zažig škofa Vovka v Novem mestu, in: Vovkov simpozij v Rimu, 159-184.
[16] V Gospoda zaupam, Iz zapisov nadskofa Antona Vovka, Družina, Ljubljana 2000, 288.
[17] Jasna Kogoj: Škof Vovk in njegova skrb za redovnike; in: Vovkov simpozij v Rim, 296.
[18] Blaž Otrin: Ob izidu knjige Antona Vovka V spomin in opomin, in: Mednarodna katoliška revija Communio 13 (2003), 271-279.
[19] Ludvik Ceglar: Nadškof Vovk in njegov čas 1900-1963 II, Celovec 1995, 180-200, 243-248.
[20] Anton Vovk: V spomin in opomin, 17-23.

Eucharistische Anbetung für die Heiligung der Priester

Mit einem Schreiben vom 8. Dezember 2007, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, wandte sich die Kleruskongregation an alle Ortsordinarien und stellte ihnen eine weltweite Initiative zugunsten des Klerus und der Priesterberufe vor. Mit großem Nachdruck wird empfohlen, auf allen kirchlichen Ebenen wie in Pfarreien, Rektoraten, Klöstern und Seminaren eine „kontinuierliche eucharistische Anbetung“ zu organisieren. Thomas Maria Rimmel, Direktor der Gebetsstätte Wigratzbad in der Diözese Augsburg, stellt die Initiative kurz vor. Durch die von Papst Benedikt XVI. selbst gewünschte Maßnahme sieht er eine jahrzehntelange Entwicklung an seinem Marienheiligtum bestätigt.

Von Thomas Maria Rimmel

Rom bittet um Ewige Anbetung

Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die Kleruskongregation ein erfreuliches Schreiben an die Bischöfe. Der Präfekt der Kongregation, Cláudio Kardinal Hummes, könnte sein Anliegen gar nicht deutlicher und engagierter formulieren. Er bittet die Bischöfe, sich möglichst mit ihrer ganzen Diözese folg. Initiative anzuschließen, nämlich „mithilfe der ewigen Anbetung eine ununterbrochene Gebetskette zu schaffen“. Es wird auch der Grund genannt. Einerseits soll um Priesterberufungen gebetet werden. Andererseits will man „auf diese Weise für Unzulänglichkeiten und Mängel der Kleriker Sühne leisten, zu ihrer Heiligung beitragen und einen Anstoß dazu geben, dass gottgeweihte Damen – nach dem Vorbild der allerseligsten Jungfrau, der Mutter des Ewigen Hohenpriesters und Mitarbeiterin an Seinem Erlösungswerk – geistlicherweise Priester ‚adoptieren‘, um ihnen durch Selbstaufopferung, Gebet und Buße beiseite zu stehen.“ Dabei sind sich die Verantwortlichen im Vatikan „sicher, dass diese Initiative zu einer geistlichen Erneuerung im Klerus und im Volk Gottes der jeweiligen Teilkirchen führen wird“.

Die Initiative gleicht einem Wunder

Das Schreiben mit der nachdrücklichen Bitte um das Gebet für die Priester – verbunden mit einer konkreten Initiative – stellt in dieser Form ein Novum dar und kommt einem Hilferuf gleich. Neu ist vor allem, dass die Krise, in der sich der Klerus weltweit befindet, uneingeschränkt eingestanden wird. Nichts wird beschönigt, weder der Priestermangel, noch die Tatsache, dass nicht wenige Skandale gerade durch Kleriker verursacht werden. Die Initiative ist ein klares Bekenntnis der Kirche dazu, dass sich eine Erneuerung der Kirche nur über eine Vertiefung der eucharistischen Frömmigkeit vollziehen kann. Ohne Priester aber gibt es keine Eucharistie. Priestertum und Eucharistie gehören untrennbar zusammen. Neu ist aber auch der Stil, der nicht belehrend wirkt, sondern bescheiden und aufrichtig die Hirten der Kirche für die Sache zu gewinnen sucht. Es handelt sich nicht um eine Anordnung. Vielmehr werden die Ortsbischöfe werbend angegangen, in der Hoffnung, dass sie für eine derartige Initiative Verständnis und Offenheit zeigen.

Es darf als regelrechtes Wunder betrachtet werden, dass von höchster kirchlicher Stelle ein solcher Impuls an die ganze Kirche ausgeht: eine ununterbrochene Gebetskette der Ewigen Anbetung als Ausdruck dafür, dass es ohne Eucharistie und Anbetung keine Erneuerung der Kirche gibt, dass die Gläubigen die Bitte um Priesterberufe vor den eucharistischen Herrn bringen und damit gleichzeitig Sühne für die Verfehlungen der Priester leisten sollen, dass wir die Priester durch Gebet und Buße stärken und sie sogar geistlicher Weise „adoptieren“ können.

Der Geist von Wigratzbad wird bestätigt

„Wir beabsichtigen“, so schreibt Kardinal Hummes, „einen geistigen Impuls zu setzen, der das Bewusstsein hinsichtlich des ontologischen Bandes zwischen Eucharistie und Priestertum und hinsichtlich der speziellen Mutterschaft, die Maria gegenüber den Priestern ausübt, vertieft.“ Der Ruf aus Rom kann als einzigartige Bestätigung der Frömmigkeit betrachtet werden, die sich in der Gebetsstätte Wigratzbad über Jahrzehnte hinweg entwickelt hat. Seit der Gründung wird an diesem Heiligtum ununterbrochen um heiligmäßige Priester gebetet. Von Anfang an hat man an unserer Gnadenstätte gesehen, dass das Gebet um geistliche Berufe, die Ewige Anbetung und der Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens im Innersten miteinander zusammenhängen. Pater Johannes Schmid OP, der Mitbegründer der Gebetsstätte, brachte den Sieg Mariens sowohl mit der Heranbildung von marianischen Priestern nach dem Vorbild des hl. Pfarrers von Ars in Verbindung, wenn er sagte, „die Gebetsstätte soll Mutter vieler, vieler guter Priester werden“, als auch mit der Ewigen Anbetung, indem er prophezeite: „Wenn in Wigratzbad einmal Tag und Nacht im heiligsten Sakrament angebetet wird und diese Priester heranwachsen, dann hat Maria hier den vollen Sieg erkämpft und ihre Pläne verwirklicht.“

„So wie es Marienwallfahrtsorte gibt“, schreibt die Kleruskongregation, „könnten nun sozusagen ‚Eucharistische Wallfahrtsorte‘ entstehen, mit verantwortlichen Priestern, die die besondere Liebe der Kirche zur heiligen Eucharistie ausstrahlen und fördern, die hl. Eucharistie auf würdige Weise feiern und kontinuierlich anbeten.“ Wigratzbad ist beides in einem, ein marianischer und eucharistischer Wallfahrtsort.

Die Anbetung lebt vom Sühnecharakter

„Unter ‚kontinuierlicher eucharistischer Anbetung‘ versteht man nicht nur die ununterbrochene 24-stündige Anbetung, sondern auch die von den frühen Morgen- bis zu den späten Abendstunden fortdauernde Anbetung. In der Tat kommt diese letztere Form Priestern und Gläubigen kleinerer Gemeinschaften besser entgegen. Selbstverständlich kann man dort, wo größere Zahlen von Gläubigen mit entsprechender Verfügbarkeit vorliegen, auch die Möglichkeit prüfen, das Allerheiligste ununterbrochen auszusetzen“, so heißt es im Dokument. In Wigratzbad ist es aufopferungsvollen Pilgern gelungen, nunmehr seit fünf Jahren Tag und Nacht das ganze Jahr hindurch eine 24-stündige Anbetung aufrechtzuerhalten und besonders das Anliegen um Priesterberufungen vor den eucharistischen Herrn zu bringen. Das Schreiben aus Rom hat gerade auch den Sühnecharakter der Anbetung in Erinnerung gebracht. Es ist zugleich eine Einladung an alle Gläubigen, die Priester auf besondere Weise durch Gebet und Opfer zu begleiten. Denn die Priester sind nur so stark und fruchtbar, wie für sie gebetet und geopfert wird.

Die Dokumente der Kleruskonkregation (Brief und praktische Hinweise) finden sich unter: www.clerus.org

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2008
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Die offene Frage des Bösen in der Schöpfung

Das bevorstehende „Kirche heute – Frühjahrsforum“ vom 18. bis 20. April 2008 beschäftigt sich mit dem Thema „Schöpfung und Evolution“. Der nachfolgende Beitrag geht ausführlich auf den Versuch ein, den christlichen Schöpfungsglauben mit der Evolutionslehre in Einklang zu bringen, wie ihn insbesondere Joseph Kardinal Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. in seinem theologischen Denken entfaltet hat. Erich Maria Fink zeigt dabei ein Problem auf, an dem eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie nicht vorbeikommt. Es ist die Frage nach dem Bösen und seiner Einordnung in den Ablauf der Geschichte. In besonderer Weise geht es um die Lehre vom Sündenfall. Wie kann sie in einer verantwortbaren Schöpfungskatechese Berücksichtigung finden?

Von Erich Maria Fink

Begründung des sozialistischen Materialismus

Als Einstieg in die Thematik möchte ich eine kleine Begebenheit aus dem Erfahrungshorizont meiner derzeitigen pastoralen Tätigkeit in Russland schildern. Sie wirft ein Licht auf die philosophische Begründung des kommunistischen Systems, wie es bis zur Perestroika am Ende der 80er Jahre alle Lebensbereiche beherrschte. Grundlage der Politik und des sozialistischen Menschenbildes war ein radikaler atheistischer Materialismus. Kürzlich nahm eine inzwischen gläubig gewordene Hochschuldozentin, die an einer Universität in Beresniki Kulturwissenschaft unterrichtet, an einer Gesprächsrunde unserer Pfarrei teil. Sie erzählte, wie sie vor etwa 30 Jahren im Rahmen ihrer akademischen Ausbildung die Vermittlung des sozialistischen Weltbildes erlebte. Sie studierte an einer Hochschule in der Stadt Glasow Musik. Die Studenten aller Fachrichtungen mussten die Vorlesungen in Philosophie besuchen. Dies gehörte zum kommunistischen Bildungssystem. Die Professorin stellte eines Tages die Frage in den Raum: „Was existierte zuerst, der Geist oder die Materie?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, forderte sie ihre Hörer auf: „Schreiben Sie nieder: die Materie! Im Lauf der Geschichte entwickelte sich aus ihr der Geist.“ Schon damals, so die Dozentin, hätten sich in ihr sofort Zweifel erhoben. Dennoch schrieb sie alles genau so in ihr Heft, wie es von ihr verlangt wurde. Eine Diskussion über diese Frage war grundsätzlich nicht möglich.

Kardinal Schönborn löst weltweite Diskussion aus

Im Westen sind wir nicht in einen politisch verordneten Atheismus eingezwängt, wie es in Russland unter kommunistischer Herrschaft der Fall war. Dennoch erinnert die Art und Weise, wie bei uns die Evolutionstheorie vertreten und gelehrt wird, ebenfalls an einen ideologischen Totalitarismus. Es handelt sich nämlich nicht einfach um die objektive Auseinandersetzung mit den Ergebnissen von naturwissenschaftlicher Forschung. Vielmehr wird die Vorstellung, dass die Entstehung des Weltalls und des Lebens auf einem Entwicklungsprozess beruht, zu einer alles umfassenden Weltanschauung erweitert. So bedienen sich unterschiedliche Ideologien der Evolutionstheorie, um Gott aus ihrem Weltentwurf auszuklammern. Von daher versteht sich auch der weltweite Aufschrei nach der Veröffentlichung eines Artikels von Christoph Kardinal Schönborn am 7. Juli 2005 in der New York Times. Zum Thema „Schöpfung und Evolution“ hatte er eine wichtige Anmerkung gemacht. Er zog den Zufall als entscheidendes Moment der Höherentwicklung in Zweifel. Die Stellungnahme wirkte wie ein Katalysator. Plötzlich wurde das Problem wieder öffentlich benannt und heiß diskutiert. Benedikt XVI. sprach in diesem Zusammenhang von „Vorsehung“. Bei einer Tagung seines Schülerkreises, die vergangenes Jahr in Castel Gandolfo stattfand und sich ebenfalls mit Schöpfungsglauben und Evolutionslehre beschäftigte, sagte der Papst: „Mir kommt es vor, dass es die Vorsehung war, die dich, Eminenz, dazu geführt hat, in der New York Times eine Glosse zu schreiben, dieses Thema wieder öffentlich zu machen und zu zeigen, wo die Fragen sind: dass es nicht darum geht, sich entweder für einen Kreationismus zu entscheiden, der sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt, oder für eine Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken überspielt und die über die methodischen Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinausreichenden Fragen nicht sehen will."[1]

Verbindung von Glaube und Vernunft

Benedikt XVI. wendet sich also gegen eine Evolutionslehre, die unberechtigterweise einen Absolutheitsanspruch erhebt und keinen Platz mehr für einen Schöpfergott zulässt. Gleichzeitig betont er, dass man deswegen nicht zu einem Kreationismus zurückkehren muss, der jede Vorstellung von Evolution ablehnt und die Auffassung von einem Schöpfungswerk in sechs Tagen vertritt. Vielmehr ließen sich Schöpfungsglaube und Evolutionslehre miteinander verbinden, allerdings nur, wenn sich die Naturwissenschaft auf die erwiesenen Fakten beschränkt und nicht Fragen beantwortet, deren Erforschung außerhalb ihrer Möglichkeiten liegt. Letztlich geht es hierbei um die Vermittlung von Wissenschaft und Religion bzw. um die Verbindung von Vernunft und Glaube, welche ein zentrales Anliegen Benedikts XVI. darstellt. Genau hier wird es für den Papst konkret: Gelingt es uns, die Wissenschaft als Erkenntnisquelle ernst zu nehmen und ihre Einsichten in die Wirklichkeit mit den Aussagen der Offenbarung zu verbinden? Gleichzeitig gilt es aufzuzeigen, dass die Antwort des Glaubens eine notwendige Ergänzung darstellt, um die Frage nach dem Menschen beantworten zu können. Schon Papst Johannes Paul II. erklärte, die Evolution sei mehr als lediglich eine Hypothese. Daran erinnerte Papst Benedikt XVI. und hob hervor, dass sein Vorgänger diese Bemerkung nicht zufällig gemacht habe. Johannes Paul II. behandelte beispielsweise am 16. April 1986 bei einer Mittwochsaudienz die Frage nach dem „Ursprung des menschlichen Lebens auf Erden“.[2] Er ging auch auf die Vorstellung von „einem Zusammenhang des Menschen mit der gesamten Natur“ bzw. „seiner Abstammung von höheren Tierarten“ ein. „Die Antwort des Lehramtes hat“, so fuhr Johannes Paul II. fort, „die Enzyklika Humani generis Pius‘ XII. im Jahr 1950 geboten. Darin lesen wir: ‚Das Lehramt der Kirche hat nichts gegen die Lehre des ‚Evolutionismus‘, solange sie sich mit Forschungen über den Ursprung des menschlichen Leibes aus einer vorher existierenden und lebendigen Materie befasst; der katholische Glaube verpflichtet uns nämlich, an der Erschaffung der Seelen unmittelbar von Gott festzuhalten. Der menschliche Leib und sein Ursprung können jedoch Gegenstand der Forschung und Diskussion der Fachgelehrten sein …‘ (s. DS 3896).“

Die unmittelbare Erschaffung der Geistseele des Menschen

Johannes Paul II. verdeutlichte: „Man kann also sagen, dass sich vom Standpunkt der Glaubenslehre aus keine Schwierigkeiten erkennen lassen, den Ursprung des Menschen, insofern er Leib ist, durch die Hypothese des Evolutionismus zu erklären. Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass die Hypothese nur eine Wahrscheinlichkeit, aber nicht wissenschaftlich gesichert ist. Die Lehre des Glaubens dagegen behauptet mit unwandelbarer Gewissheit, dass die Geistseele des Menschen direkt von Gott geschaffen wurde. Nach der erwähnten Hypothese ist es möglich, dass der menschliche Leib, gemäß der vom Schöpfer den Kräften des Lebens eingeprägten Ordnung, allmählich in den Formen vorher existierender Lebewesen vorbereitet wurde. Die menschliche Seele jedoch, von welcher das Menschsein des Menschen als geistiges Wesen endgültig abhängt, kann nicht aus der Materie hervorgegangen sein.“ Damit gab Johannes Paul II., wie er selbst sagte, eine Antwort auf die „besonderen Schwierigkeiten“, welche in moderner Zeit „gegen die geoffenbarte Lehre von der Erschaffung des Menschen als eines Wesens aus Leib und Seele von der Evolutionstheorie vorgebracht“ werden. Der Glaube von der unmittelbaren Erschaffung der Geistseele des Menschen gilt sowohl für den Anfang des Menschseins auf dieser Erde überhaupt als auch für den Beginn eines jeden menschlichen Lebens im Augenblick der Zeugung. Diese kirchliche Lehre erteilt eine klare Absage an die Vorstellung, der Geist könnte als Produkt einer Entwicklung aus der Materie hervorgegangen sein. Für Benedikt XVI. aber ist damit die Frage nach Schöpfung und Evolution noch lange nicht beantwortet oder gelöst. Denn für ihn stellt sich die Frage nach Geist und Materie viel grundsätzlicher. Er warnt gleichzeitig vor zu einfachen Vorstellungen und betont, „dass man gerade die Erschaffung des Geistes sich am allerwenigsten als ein handwerkliches Tun Gottes vorstellen darf, der hier plötzlich in der Welt zu hantieren beginnen würde“. Vielmehr fordert er zur „Einsicht“ auf, „dass Geist nicht als etwas Fremdes, als eine andere, zweite Substanz zur Materie hinzutritt; das Auftreten des Geistes bedeutet … vielmehr, dass eine voranschreitende Bewegung an dem ihr zugewiesenen Ziel ankommt“.[3] In dieser Sprache drückte sich Kardinal Ratzinger vor 40 Jahren aus. Sie trägt sehr deutliche Züge einer evolutionistischen Vorstellung. Heute würde er sich vielleicht einer anderen Wortwahl bedienen, doch kommt im Gesagten ein Grundanliegen zum Ausdruck, das ihm heute wichtiger ist denn je.

Der Primat des Logos

Worum es Benedikt XVI. geht, erklärte er 1986 folgendermaßen: „Wenn es für den Glauben heute keine Schwierigkeit mehr bereitet, die naturwissenschaftliche Hypothese Evolution sich gemäß ihrer eigenen Methoden ruhig entfalten zu lassen, so ist der Totalanspruch des philosophischen Erklärungsmodells ‚Evolution‘ um so mehr eine radikale Anfrage an Glaube und Theologie. Dass Umdeutungen, ‚Umfunktionierungen‘ oft weit gefährlicher sind als glatte Leugnungen, liegt auf der Hand. Umso wichtiger ist es, hier die richtige Gesprächsebene zu finden. Auf keinen Fall sollte der Anschein eines neuen Streits zwischen Naturwissenschaft und Glaube entstehen, um den es in der Tat in diesem Gespräch in keiner Weise geht. Die eigentliche Gesprächsebene ist die des philosophischen Denkens: Wo Naturwissenschaft zur Philosophie wird, ist es die Philosophie, die sich mit ihr auseinandersetzen muss. Nur so stehen die Gesprächsfronten richtig; nur so bleibt deutlich, worum es sich handelt: um einen rationalen philosophischen Disput, der auf die Sachlichkeit rationalen Erkennens abzielt, nicht um einen Einspruch von Glaube gegen Vernunft."[4]

In ein solches philosophisches Gespräch trat Kardinal Ratzinger im Rahmen einer Rede auf der Sorbonne in Paris am 27. November 1999 ein. Er wies zunächst auf Lücken in der Evolutionslehre hin, die von Naturwissenschaftlern selbst eingeräumt werden: „Innerhalb der Evolutionslehre selbst deutet sich das Problem an beim Übergang von der Mikro- zur Makroevolution, zu dem Szythmáry und Maynard Smith, beide überzeugte Anhänger einer umfassenden Evolutionstheorie, immerhin erklären: ‚Es gibt keinen theoretischen Grund, der erwarten lassen würde, dass evolutionäre Linien mit der Zeit an Komplexität zunehmen; es gibt auch keine empirischen Belege, dass dies geschieht.‘"[5]typo3/#_ftn5

Eine Höherentwicklung also könne aus der Materie selbst heraus nicht erklärt werden. An dieses Eingeständnis knüpft Kardinal Ratzinger an, um den Gedankengang auf die Ordnung der materiellen Wirklichkeit und die Zielstrebigkeit der Evolution zu lenken. „Es geht um die Frage, ob das Wirkliche aufgrund von Zufall und Notwendigkeit …, also aus dem Vernunftlosen entstanden ist, ob also die Vernunft ein zufälliges Nebenprodukt des Unvernünftigen und im Ozean des Unvernünftigen letztlich auch bedeutungslos ist, oder ob wahr bleibt, was die Grundüberzeugung des christlichen Glaubens und seiner Philosophie bildet: In principio erat Verbum – am Anfang aller Dinge steht die schöpferische Kraft der Vernunft. Der christliche Glaube ist heute wie damals die Option für die Priorität der Vernunft und des Vernünftigen. Diese Letztfrage kann nicht mehr, wie schon gesagt, durch naturwissenschaftliche Argumente entschieden werden, und auch das philosophische Denken stößt hier an seine Grenzen. In diesem Sinn gibt es eine letzte Beweisbarkeit der christlichen Grundoption nicht.“

Die christliche Schöpfungskatechese

Kardinal Ratzinger möchte den Vorrang des Geistes vor der Materie nicht wissenschaftlich beweisen, jedoch deutlich machen, dass er gleichsam eine Forderung der Vernunft selbst darstellt. Wenn man die materielle Welt unvoreingenommen betrachtet, ist es vernünftig anzunehmen, dass der Geist der Materie vorausgeht und als rationale Struktur allem materiellen Sein zugrunde liegt. Auf diesem Fundament baut er seine Schöpfungskatechese auf, die im „Katechismus der Katholischen Kirche“ vom Jahr 1992 ihren Niederschlag gefunden hat. Zwar geht der Katechismus nicht direkt auf die Evolutionslehre ein, doch wird sie der Sache nach angesprochen. Die entsprechenden Sätze lauten: „Die Frage nach den Ursprüngen der Welt und des Menschen ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Forschungen, die unsere Kenntnis über das Alter und die Ausmaße des Universums, über das Werden der Lebensformen und das Auftreten des Menschen unerhört bereichert haben. Diese Entdeckungen sollten uns anregen, erst recht die Größe des Schöpfers zu bewundern, ihm für all seine Werke und für die Einsicht und Weisheit zu danken, die er den Gelehrten und Forschern gibt.“ (Nr. 283) Dabei aber gehe es „nicht bloß um die Frage, wann und wie der Kosmos materiell entstanden und der Mensch aufgetreten ist, sondern es geht um den Sinn dieses Werdens: ob es durch Zufall, durch ein blindes Schicksal, eine namenlose Notwendigkeit  bestimmt wird oder aber von einem intelligenten und guten höheren Wesen, das wir Gott nennen“ (Nr. 284). Die Antwort, die wir darauf geben, lautet: „Wir glauben, dass Gott die Welt nach seiner Weisheit erschaffen hat (vgl. Weish 9,9). Sie ist nicht das Ergebnis irgendeiner Notwendigkeit, eines blinden Schicksals oder des Zufalls. Wir glauben, dass sie aus dem freien Willen Gottes hervorgeht, der die Geschöpfe an seinem Sein, seiner Weisheit und Güte teilhaben lassen wollte“ (Nr. 295). Gleichzeitig aber stellt der Katechismus die Frage: „Und wenn die Welt aus der Weisheit und Güte Gottes stammt, warum dann das Übel? Woher kommt es? Wer ist dafür verantwortlich? Und gibt es eine Befreiung von ihm?“ (Nr. 284).

Die Frage nach dem Bösen

Der biblische Schöpfungsbericht, der den paradiesischen Zustand der ersten Menschen beschreibt, legt nahe, dass sich zu Beginn sowohl der Mensch als auch die ihn umgebende Welt in harmonischer, begnadeter Vollkommenheit befanden (vgl. KKK, Nr. 374ff.). Erst der Sündenfall zerstörte diese ursprüngliche Ordnung. Der Katechismus beschreibt die Folgen der Ursünde für den Menschen mit folgenden Worten: „Der Mensch ermangelt der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, aber die menschliche Natur ist nicht durch und durch verdorben, wohl aber in ihren natürlichen Kräften verletzt. Sie ist der Verstandesschwäche, dem Leiden und der Herrschaft des Todes unterworfen und zur Sünde geneigt“ (Nr. 405). Als Erklärung für den Ursprung dieser Übel wird mit einem Verweis auf das Dekret des Konzils von Trient über die Erbsünde (Kan. 1; DS 1511) ergänzt: „Durch die Sünde der Stammeltern hat der Teufel eine gewisse Herrschaft über den Menschen erlangt, obwohl der Mensch frei bleibt. Die Erbsünde führt zur ‚Knechtschaft unter der Gewalt dessen, der danach «die Herrschaft des Todes innehatte, das heißt des Teufels» (Hebr 2,14)‘“ (Nr. 407). Im nächsten Abschnitt heißt es: „Die Folgen der Erbsünde und aller persönlichen Sünden der Menschen bringen die Welt als Ganze in eine sündige Verfassung, die mit dem Evangelisten Johannes ‚die Sünde der Welt‘ (Joh 1,29) genannt werden kann“ (Nr. 408). Ausdrücklich weist der Katechismus darauf hin, dass damit nicht eine Störung der Schöpfungsordnung, sondern lediglich der „negative Einfluss, den die Gemeinschaftssituationen und Gesellschaftsstrukturen, die aus den Sünden der Menschen hervorgegangen sind, auf die Menschen ausüben (vgl. RP 16)“, gemeint ist. Ebenso wird die „dramatische Situation der ‚ganzen Welt‘, die ‚unter der Gewalt des ‚Bösen‘ steht (1 Joh 5,19)“, nur auf die „Geschichte der Menschen“ und deren „hartes Ringen gegen die Mächte der Finsternis“ gedeutet. Es fällt auf, dass es der Katechismus an dieser Stelle bewusst vermeidet, einen Zusammenhang zwischen dem Sündenfall der ersten Menschen und der unvollkommenen Struktur der Schöpfung herzustellen.

Das physische und das moralische Übel

Vielmehr macht der Katechismus eine weit reichende Unterscheidung. Er spricht vom physischen Übel, mit dem er die Unvollkommenheit in der Natur bezeichnet, und vom moralischen Übel, das seinen Ursprung in der Sünde bzw. in den Sünden der intelligenten und freien Geschöpfe, der Engel und der Menschen, hat. Einerseits betont der Katechismus: „So ist das moralische Übel in die Welt gekommen, das unvergleichlich schlimmer ist als das physische Übel. Gott ist auf keine Weise, weder direkt noch indirekt, die Ursache des moralischen Übels. Er lässt es jedoch zu, da er die Freiheit seines Geschöpfes achtet, und er weiß auf geheimnisvolle Weise Gutes daraus zu ziehen“ (Nr. 311). Andererseits legt der Katechismus damit nahe, dass das physische Übel nicht mit der Sünde der Menschen und Engel zusammenhängt, sondern seinen Ursprung im geheimnisvollen Ratschluss Gottes hat. Dazu wird unter der Überschrift „Die Vorsehung und das Ärgernis des Bösen“ ausgeführt: „Warum aber hat Gott nicht eine so vollkommene Welt erschaffen, dass es darin nichts Böses geben könnte? In seiner unendlichen Macht könnte Gott stets etwas Besseres schaffen. In seiner unendlichen Weisheit und Güte jedoch wollte Gott aus freiem Entschluss eine Welt erschaffen, die ‚auf dem Weg‘ zu ihrer letzten Vollkommenheit ist. Dieses Werden bringt nach Gottes Plan mit dem Erscheinen gewisser Daseinsformen das Verschwinden anderer, mit dem Vollkommenen auch weniger Vollkommenes mit sich, mit dem Aufbau auch den Abbau in der Natur. Solange die Schöpfung noch nicht zur Vollendung gelangt ist, gibt es mit dem physisch Guten folglich auch das physische Übel“ (Nr. 310). Offensichtlich möchte sich der Katechismus mit dieser Deutung die Möglichkeit offen halten, den Schöpfungsglauben mit einer evolutionistischen Vorstellung der Weltentstehung zu verbinden. Warum? Nach der Evolutionslehre steht das Werden des Menschen am Ende einer langen weltgeschichtlichen Entwicklung, die in ihrer natürlichen Verfassung von Vergänglichkeit und Tod mit teilweise grausamen Formen geprägt ist. Steht der Mensch mit seiner freien Abwendung von Gott erst am Ende dieses Weges, so muss die Unvollkommenheit in der Natur unabhängig vom Menschen und seiner Sünde erklärt werden. Dies geschieht eben durch die Unterscheidung von physischem und moralischem Übel, wobei das physische Übel unmittelbar auf das Schöpfungswirken Gottes zurückgeführt wird.

Die ganze Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen

Das Anliegen dieses Ansatzes ist klar und letztlich berechtigt. Er versucht Wissenschaft und Glaube miteinander in Einklang zu bringen. Was die wissenschaftliche Seite betrifft, geht er von den derzeitigen Entwürfen der Evolutionslehre aus, die auch die Entwicklung des Menschen auf der Grundlage der Naturgesetzlichkeit erklären, wie wir sie heute im Kosmos vorfinden. Aus diesem Grund geht der schöpfungskatechetische Ansatz den Kompromiss ein, die Unvollkommenheit in der Schöpfung von der Ursünde zu trennen und vollkommen eigenständig zu deuten. Doch stellt sich die Frage, ob ein solcher Erklärungsversuch mit der biblischen Offenbarung tatsächlich zusammen zu bringen ist. Der Katechismus selbst scheint sich genau in diesem Punkt sogar zu widersprechen. Denn unter der Zwischenüberschrift „Die erste Sünde des Menschen“ zitiert er auch die bekannte Stelle im Römerbrief, wo Paulus eben die „Vergänglichkeit“ der ganzen Schöpfung thematisiert. Neben den verschiedenen Folgen des Sündenfalls hebt der Katechismus zunächst hervor: „Auch die Harmonie mit der Schöpfung ist zerbrochen: die sichtbare Schöpfung ist dem Menschen fremd und feindlich geworden (vgl. Gen 4,3-15).“ Und unmittelbar danach wird zugestanden: „Wegen des Menschen ist die Schöpfung der Knechtschaft ‚der Vergänglichkeit unterworfen‘ (Röm 8,20)“ (Nr. 400). Der Ausdruck „wegen des Menschen“ aber stellt eindeutig ein Ursacheverhältnis her, das die Ursünde des Menschen doch wieder als Grund für die Gebrochenheit der sichtbaren Welt, also auch der physischen Übel, versteht. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Es handelt sich hier um eine fundamentale Frage, an der meines Erachtens eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre nicht vorbeikommt. Denn auch die Annahme, dass sich die Schöpfung zunächst in der Art der Vergänglichkeit entwickelt hat, dass der Mensch daraus aber mit einer ursprünglichen Unsterblichkeit hervorgegangen ist, stellt letztlich eine nicht genügend reflektierte Widersprüchlichkeit dar. So bleibt in jedem Fall die Frage bestehen, ob der Mensch tatsächlich durch seinen Sündenfall den Tod des Menschen verursacht hat. Denn immerhin heißt es im Katechismus: „Schließlich wird es zu der Folge kommen, die für den Fall des Ungehorsams ausdrücklich vorhergesagt worden war: der Mensch ‚wird zum Erdboden zurückkehren, von dem er genommen ist‘ (vgl. Gen 3,7). Der Tod hält Einzug in die Menschheitsgeschichte (vgl. Röm 5,12)“ (Nr. 400).

Der Sündenfall zwischen guter und gebrochener Schöpfung

Ich möchte die Überlegungen in zwei Richtungen weiterführen. Ein erster Lösungsversuch könnte von der Annahme ausgehen, dass tatsächlich aufgrund und im geschichtlichen Augenblick des Sündenfalls die naturgesetzliche Struktur der gesamten Schöpfung eine Veränderung erfahren und die Zeichen von Tod und Vergänglichkeit erhalten hat. Geht man von einer geistigen Seinsgrundlage der Materie aus, so kann eine solche Umwandlung als ein Prozess verstanden werden, der sich gleichsam „von innen heraus“ vollzogen hat und auf ein zweifaches Wirken zurückgeht: zum einen auf die Herrschaft des Widersachers, der aufgrund der Sünde des Menschen Einfluss auf die Welt erlangt hat, und zum anderen auf das Schöpfungswirken Gottes, der in seiner Souveränität bestimmt hat, in welchem Maß und auf welche Weise sich die Macht des Bösen in der Welt auswirken darf. Damit wäre der Sündenfall ein historisches Ereignis, das zu einem unmittelbaren Eingreifen Gottes in den Ablauf und die naturgesetzliche Struktur der Geschichte geführt hätte. Einerseits könnte man an einer Entwicklung der Welt bis hin zur Entstehung des Menschen festhalten und so die stammesgeschichtlichen Zusammenhänge des menschlichen Körpers mit der Tierwelt nachvollziehen. Andererseits aber müsste man eingestehen, dass uns die Art der Naturgesetzlichkeiten vor dem Sündenfall, also für die Zeit, während die Entstehung der Arten stattgefunden hätte, nicht bekannt ist. Für einen solchen Lösungsversuch spricht, dass die naturwissenschaftliche Forschung bis zum heutigen Tag keinen einzigen Anhaltspunkt aufzeigen kann, wie auf der Grundlage der derzeitigen Verfasstheit der Natur – ohne informatives oder rationales Einwirken von außen – eine Höherentwicklung stattfinden hätte können. Die Offenbarung gäbe im Bericht über das schrittweise Schöpfungswerk Gottes eine Antwort. Dabei könnte man sich auch das Hervorbringen der einzelnen Arten als ein Einwirken Gottes vorstellen, das die materielle Welt „von innen heraus“ gestaltet hat. Der erste Vorschlag also würde die Geschichte vor dem Sündenfall mit einer Schöpfung ohne Übel von einer Geschichte danach mit dem Unterworfensein der ganzen Schöpfung unter die Vergänglichkeit unterscheiden. Für die beiden Phasen der Geschichte müsste man eine je eigene Verfasstheit der Natur annehmen.

Schöpfung und Neuschöpfung in Christus

Die zweite Richtung unserer Überlegungen beruht auf einem radikal dynamischen Verständnis von Schöpfung. Es ist ein Lösungsversuch, der das gesamte Geschehen vom Beginn der Schöpfung aus dem Nichts bis hin zur Vollendung der Schöpfung in der Wiederkunft Christi am Ende der Zeit als eine Einheit betrachtet. Schöpfung ist ein großer Prozess, in dem sich ein göttlicher Plan verwirklicht und zielstrebig seiner Vollendung entgegengeht. Gott, der sein schöpferisches Wort ausspricht, hat von Anfang an das Ziel im Blick. In seinem Logos möchte er selbst in die Schöpfung eintreten und Fleisch werden. So ist bei diesem Ansatz die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus gleichsam der Höhepunkt der Schöpfung, die erst den Sinn der gesamten Entwicklung erklärt. Mit den Worten des Katechismus: „So gipfelt das Schöpfungswerk im noch größeren Werk der Erlösung. Die erste Schöpfung findet ihren Sinn und Höhepunkt in der Neuschöpfung in Christus, welche die erste an Glanz übertrifft“ (Nr. 349; vgl. Nr. 359). Dieser Ansatz scheint im frühen Denken Kardinal Ratzingers auf. In dem bereits zitierten Vortrag aus dem Jahr 1968 heißt es: „Der Schöpfungsglaube sagt uns nicht das Was des Weltsinnes, sondern nur sein Dass: dies ganze Auf und Ab des werdenden Seins ist freier und unter dem Risiko der Freiheit stehender Vollzug des schöpferischen Urgedankens, von dem er sein Sein hat.“ Und gleichsam als Resümee: „An Schöpfung glauben heißt, die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt im Glauben als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt verstehen.“ Konkret auf die Erschaffung des Menschen angewandt formulierte Kardinal Ratzinger: „Von da aus wird man geradezu eine Diagnose über die Form der Menschwerdung aufstellen dürfen: Der Lehm war in dem Augenblick zum Menschen geworden, in dem ein Wesen erstmals, wenn auch noch so verschattet, den Gedanken Gott zu bilden vermochte. Das erste Du, das – wie stammelnd auch immer – von Menschenmund zu Gott gesagt wurde, bezeichnet den Augenblick, in dem der Geist aufgestanden war in der Welt. Hier war der Rubikon der Menschwerdung überschritten.“ Ein solcher evolutionistischer Schöpfungsansatz versucht, die Unvollkommenheiten selbst als Weg bzw. auch als Umweg hin zur Vollkommenheit zu deuten. Möchte man aber die Frage nach dem Bösen auch bei diesem Verstehensentwurf mit der Sünde der ersten Menschen in Verbindung bringen, so müsste man auf ein theologisches Erklärungsmodell zurückgreifen, wie es etwa beim Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens zur Anwendung kam: Im Blick auf den Tod Christi hat Gott die Jungfrau Maria bereits vor dieser Erlösungstat vor der Erbschuld bewahrt. So könnte man hier formulieren: Im Blick auf die Ursünde der ersten Menschen hat Gott die Schöpfung von Anfang an der Vergänglichkeit unterworfen. Auf dieser Linie kann schließlich die Aussage Kardinal Ratzingers verstanden werden, „dass auch hinsichtlich der Erschaffung des Menschen die Schöpfung nicht einen fernen Anfang bezeichnet, sondern mit Adam jeden von uns meint: jeder Mensch ist direkt zu Gott. Der Glaube behauptet vom ersten Menschen nicht mehr als von jedem von uns und umgekehrt von uns nicht weniger als vom ersten Menschen.“ Soll damit auch zum Ausdruck gebracht werden, dass der Sündenfall letztlich nur eine Aussage über die Grundverfasstheit der ganzen Menschheit darstellt – eben im Sinn der Erbsünde? Interessanterweise äußerte Kardinal Ratzinger vor seiner Wahl zum Papst, nach seiner Zeit in Rom wolle er sich dem Thema „Erbsünde“ widmen. Die Vorsehung Gottes scheint damit ihre eigenen Pläne zu haben.

Ausgangspunkt also ist der Versuch, die Vorstellungen der Evolutionslehre mit dem Schöpfungsglauben zu verbinden. Dabei stellt das Böse in der Schöpfung heute eine offene Frage dar. Die Überlegungen möchten aufzeigen, in welche Richtung Lösungsansätze gehen können. Als wolle er die entscheidenden Orientierungsmarken aufzeigen, kam Kardinal Ratzinger bei seiner Rede in Paris abschließend auf den Punkt, dass es in der Frage nach der Entstehung der Welt nicht nur um Ordnung und Rationalität in der Schöpfung geht, sondern auch um die Frage nach Gut und Böse. Das „evolutionäre Ethos, das seinen Schlüsselbegriff unausweichlich im Modell der Selektion, also im Kampf ums Überleben, im Sieg des Stärkeren, in der erfolgreichen Anpassung findet, hat wenig Tröstliches zu bieten“, so der Kardinal. Es erweise sich vielmehr, „dass Liebe und Vernunft als die eigentlichen Grundpfeiler des Wirklichen in eins gehen: Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2008
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[1] Schöpfung und Evolution. Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo, hg. im Auftrag des Schülerkreises von Papst Benedikt XVI. von Stephan Otto Horn SDS und Siegfried Wiedenhofer, 149f.
[2] Johannes Paul II.: Ich glaube an Gott den Schöpfer: Katechesen 1985-1986, hg. von Norbert und Renate Martin, St. Ottilien 1994, 177.
[3] Joseph Kardinal Ratzinger: Dogma und Verkündigung, 4. Aufl. Donauwörth 2005, 152-156.
[4] Evolutionismus und Christentum, hg. von R. Spaemann, R. Löw und P. Koslowski, Weinheim 1986, VII-IX.
[5] Joseph Kardinal Ratzinger: Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg u.a. 2003, 131-147.

Sind Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie vereinbar?

In einer Festschrift zum 80. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. legte die Gustav-Siewerth-Akademie vergangenes Jahr eine umfangreiche Sammlung von Aufsätzen vor, die eindrucksvoll den Geist und die inhaltlichen Schwerpunkte der von Prof. Dr. Alma von Stockhausen gegründeten Hochschule widerspiegeln. Einen besonderen Akzent setzte die philosophisch-theologische Diskussion der Akademie seit jeher auf die natur-wissenschaftliche und philosophische Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie. Dabei stützt sie sich besonders auf die Ergebnisse von Erich Blechschmidt, der die Unhaltbarkeit wesentlicher Thesen der Evolutionslehre bewiesen hat. Frau Dr. med. Trautemaria Blechschmidt stellt die wichtigsten Aussagen zur Frage nach Schöpfung und Evolution in einer kurzen Zusammenfassung vor.[1]

Von Trautemaria Blechschmidt

Die Idee der Evolution

Evolution ist heute ein weltumspannender Begriff und die Evolutionstheorie mit ihren Konsequenzen gleichsam Grundauffassung einer Weltanschauung. Evolution wird verstanden als Entwicklung der Erdgeschichte und der Lebewesen im Sinne eines Fortschritts von Niederem zu Höherem, und die Evolutionstheorie versucht, diese „natürlich“ zu erklären. Erdgeschichtliches Nach-einander von Ereignissen wird interpretiert als eine Entwicklung aus-einander. Insbesondere das Auftreten von Lebewesen aus der zunächst unbelebten Natur und der Artenwandel werden als Folge einer natürlichen Phylogenese verstanden.

Schon Darwin hat die Entstehung und Veränderung der Arten als natürlich, d.h. aus ihrer materiellen Natur verstehbar zu beschreiben versucht und auf Vererbung im Sinne von Zufall und auf Selektion im Sinne von Anpassung und Kampf ums Dasein zurückgeführt. Damit wurde „dem Schöpfungsmystizismus ein Ende gesetzt“, wie Manfred Eigen im Vorwort zu Monods Buch „Zufall und Notwendigkeit“ schrieb, und Gott als Schöpfer überflüssig.

Da der Gedanke der Evolution und die Evolutionstheorie als die einzig mögliche Erklärung des Lebens gilt und so sehr Bestandteil unseres insbesondere naturwissenschaftlichen Denkens ist, meint der naturwissenschaftsgläubige Mensch, gegebenenfalls Schöpfung und Evolution vereinen zu müssen und zu können.

Hier stellt sich die Frage, ob das möglich ist oder ob derartigen Bemühungen ein schwerwiegender Fehler zugrunde liegt: Wir glauben an Gott als Schöpfer, dass dieser aber mit dem „Gesetz der Evolution“ schafft – ist dies eine akzeptable Hypothese?

Artenwandel

Zwar ist erdgeschichtliches Nacheinander der Arten begründet zu vermuten, aber ein Nacheinander kann nicht als Arten-Wandel im Sinne des Auftretens von etwas ganz Neuem glaubhaft gemacht werden. Es ist ein Irrtum zu meinen, dass die Evolution im Sinne einer Erklärung der Erdgeschichte und des so genannten Artenwandels bewiesen sei. Bisher ist es nicht gelungen, den Wandel einer Art (z.B. mit Zwischenstufen) zu zeigen oder exakt nachzuweisen. Vielmehr ist jeweils etwas ganz Neues im Sinne einer Neuschöpfung festzustellen.

Es ist erstaunlich, wie wenig konkret die Vorstellungen bzgl. der Möglichkeit eines Artenwandels sind:

So wird mit Trickzeichnungen der Eindruck erweckt, dass während des Artenwandels sich beispielsweise eine Fischflosse in die Vorderextremität eines Tieres umwandele. Dies ist jedoch niemals der Fall. Denn kein Organ entsteht aus einem anderen Organ, sondern jedes Organ, ob Fischflosse oder Extremität, entwickelt sich immer während der Ontogenese aus einem befruchteten Ei. Es kommt also niemals zu einer Umbildung, sondern immer direkt zur artspezifischen Entwicklung z.B. einer Fischflosse oder Extremität. Da jeder Organismus Systemcharakter hat, ist jede Differenzierung eingebettet in das Ganze. Art- und Wesensänderungen betreffen immer das Ganze. Und die Veränderung des Ganzen kann eine einzige zufällige (!) Mutation innerhalb aller anderen vorhandenen Gene, mit denen das „neue“ Gen kompatibel sein müsste, nicht leisten, wie Bruno Vollmert überzeugend nachgewiesen und belegt hat. Ein Artenwandel kann und wird mit Mutationen niemals erreicht werden.

Oder: Wenn es nach vielen zufälligen positiven Mutationen, die immer nur Mikroevolutionen im Rahmen ein- und derselben Art sind, tatsächlich zu einem „Übersprung“ in eine neue Art kommen würde, müsste, damit Kreuzung dieser neuen Art stattfinden könnte (Arten sind definiert durch „fruchtbare Kreuzungen“), ein weiterer zufälliger (gegengeschlechtlicher) „Übersprung“ in diese neue Art zu gleicher Zeit und am gleichen Ort auftreten.

„Übersprünge“, hervorgerufen durch Mutationen, kann es wegen des Systemcharakters der Organismen jedoch nicht geben. Hier wird deutlich, dass uns die Aussage „Gott schuf jedes nach seiner Art“ ein schöpfungsgerechteres realistisches Weltbild bietet als die Evolutionshypothese.

Das Biogenetische Grundgesetz

Entscheidende Bedeutung hat die Evolutionstheorie im Hinblick auf den Menschen. Ist der Mensch Geschöpf Gottes mit Leib und Seele oder hinsichtlich seines Leibes ein selbstorganisiertes Produkt des „Baumeisters Natur“ (Konrad Lorenz), der Evolution? Wann beginnt das Leben eines Menschen?

Sind die frühen Entwicklungsstadien auch bereits als voll menschlich zu beschreiben, d.h. als personal anzuerkennen?

Diesbezüglich wird weithin immer noch mit dem sog. Biogenetischen Grundgesetz von Ernst Haeckel argumentiert, der behauptete, dass die menschliche Ontogenese eine kurze Rekapitulation der Phylogenese sei. Danach würde der Mensch erst im Laufe seiner Entwicklung wirklich Mensch. Haeckel wollte mit seinem Biogenetischen Grundgesetz die Darwinsche Deszendenztheorie beweisen, und in diesem Sinne wäre es der entscheidende, jeweils nachprüfbare Beweis für die Evolution.

Schon 1874 hat Wilhelm His beschrieben, dass Haeckel seine Behauptung mit falschen Präparaten unterstützte, und Richardson hat gezeigt (1997), dass Haeckel seine Abbildungen zeichnerisch zu Gunsten seines Biogenetischen Grundgesetzes gefälscht hat. Die Ontogenese der einzelnen Tierarten, die ja Voraussetzung für den Artenwandel wäre, wurde nie untersucht, so dass die Vorstellung z.B. von der Ontogenese des Menschen hypothetisch blieb. Evolution im Sinne von Erdgeschichte ist die Geschichte der ontogenetischen Entwicklung der verschiedenen Arten. Aber diese Geschichte beschreibt nicht die tatsächlichen Entwicklungen. Vorstadium eines menschlichen Organs in irgendeiner Phase seiner Entwicklung ist nicht irgendein prähistorisches Organ, sondern immer eine Systemanlage im menschlichen Körper selbst, d.h. ein Differenzierungsprodukt einer bereits menschlichen Eizelle.

Erst Erich Blechschmidt konnte in jahrzehntelanger Forschungsarbeit mit seiner von ihm errichteten „Humanembryologischen Dokumentationssammlung“ zeigen, dass alle Entwicklungsstadien des Menschen von Anfang an individualspezifisch charakteristisch menschlich sind und keine nichtmenschlichen Merkmale (wie z.B. Kiemen oder Flossen) in der vorgeburtlichen Entwicklung des Menschen auftreten. Jedes Differenzierungsstadium zeigt nur menschliche Merkmale und alle Wachstumsbewegungen sind typisch menschlich.

Mit seinen Befunden konnte Blechschmidt das Biogenetische Grundgesetz, das einer der schwerwiegendsten Irrtümer der Biologie war, falsifizieren. Es ist heute irrelevant und nur noch ideologisch begründet.

Wenn die Ontogenese eine Rekapitulation wäre und damit ein Prozess, in dem Mutationen eine entscheidende Rolle spielen, dürfte vermutet werden, dass sich Chromosomenänderungen im Verlauf der Ontogenese nachweisen ließen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr gewährleisten die Chromosomen den Erhalt des individuellen Stoffwechsels und damit die Individualität. Dies wird auch von den Humangenetikern bestätigt.

Das Gesetz von der Erhaltung der Individualität

Die menschliche Entwicklung ist als Beweis für den angenommenen Artenwandel, wie Erich Blechschmidt gezeigt, hat, ungeeignet. Dass sich die mit der Befruchtung gegebene Individualspezifität während der ganzen Dauer der Entwicklung nicht ändert, wird mit dem „Gesetz von der Erhaltung der Individualität“ ausgesagt. Das heißt, dass der Mensch nicht etwa durch den Prozess der Ontogenese entsteht, sondern im Laufe der Entwicklung nur sein Erscheinungsbild ändert. Wir sprechen von menschlicher Entwicklung nicht deshalb, weil aus einem zunächst vielleicht unspezifischen Zellhaufen im Verlauf der Entwicklung mehr und mehr ein Mensch entstünde, sondern weil sich ein Mensch aus einer bereits wesentlich menschlichen Eizelle differenziert. Menschsein ist kein Phänomen, das aus der Ontogenese resultiert, sondern eine Wirklichkeit, die ihre Voraussetzung ist.

Hier wird etwas Grundsätzliches bestätigt: Das Sein geht dem Werden voraus, nicht umgekehrt. Und dieses Sein – das Wesen – ist immer vollkommenes Sein. Die Evolutionsideologie allerdings versteht dialektisch jegliches Sein als Folge eines Werdeprozesses. Diese Hypothese, dass Sein durch Werden entstehe, bezieht sich nicht nur auf die Humanwissenschaft, sondern auch in der Philosophie und Theologie hat sie zu tiefgreifenden und folgenschweren Spekulationen geführt. Alma von Stockhausen hat dies deutlich nachgewiesen („Die Inkarnation des Logos als Angelpunkt der Denkgeschichte“).

In einer Prozessphilosophie mit allen Folgen dialektischen Denkens gibt es nichts Bleibendes, keine absoluten Werte, keine absolute Wahrheit. Alles ist relativ. Der Relativismus ist die Häresie unserer Tage, wie Papst Benedikt XVI. immer wieder betont.

Der Mensch als Person

Von Entwicklung lässt sich nur dann sprechen, wenn der Träger der Entwicklung als ihre wesentliche Voraussetzung schon zu Beginn des Entwicklungsgeschehens existiert, d.h. dass personale Individualität verbunden mit biologischer Individualität als Realität von Anfang an angesehen werden muss. Mit der Geistseele ist das Formprinzip der Entwicklung gegeben und wird die Integration der Organe erhalten. Nur so werden die Kontinuität und die Einheitlichkeit des Entwicklungsgeschehens verständlich.

Person, die wir mit dem Wesen des Menschen meinen, kann nicht im Laufe der Ontogenese entstehen. Dasein und Personsein ist eine unüberschreitbare Vorgegebenheit für menschliche Entwicklung. Das heißt: Ein einzelliger Keim und ein junger Embryo sind nicht potentiell Person, sondern aktuell. Eine Personalisation kann es nicht geben! Denn Personalität ist als Sein immer perfekt.

Der Mensch kann nicht als Summe eines leiblichen und eines seelischen Teils aufgefasst werden, bei dem die seelisch-geistige Komponente als akzidentell irgendwann in der Ontogenese im Sinne etwa einer Sukzessivbeseelung oder gar durch „sich selbst überbietendes Werden“, wie Karl Rahner annimmt, hinzukäme. Der Gedanke, dass aus der Natur des Menschen Person, d.h. geistige Qualität werden könnte, ist unannehmbar. Es würde bedeuten, dass Geist aus Materie entstehen könnte.

Das Einssein von Leib und Seele ist konstitutiv für den Menschen. Leib und Seele sind so immanent miteinander verbunden, dass wir andernfalls nicht von einem Menschen sprechen. Die Frage „Wann wird der Mensch zum eigentlichen Menschen?“ ist danach im Ansatz verfehlt. Der Mensch wird nicht Mensch, sondern ist Mensch von Anfang an. Er entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch.

Kleine menschliche Keime und junge Embryonen dürfen folglich niemals für Experimente verbraucht oder für Forschungszwecke (Stammzellenforschung) getötet werden.

Wir können das geistige Wesen des Menschen naturwissenschaftlich nicht fassen, nur Merkmale beschreiben, haben aber die Wahrheit anzuerkennen, dass der Mensch mehr ist als nur eine materielle Wirklichkeit. Wenn wir diese nicht wahr haben wollen, könnte es leicht zu einer Ver-wahr-losung der Gesellschaft kommen. In ihr werden die Konsequenzen evolutionstheoretischen Denkens schon heute mehr und mehr deutlich:

• Wenn der Zufall als Wirkursache allen Werdens und Seins angenommen wird, dann herrscht Ziel- und Sinnlosigkeit.

• Wenn Kampf ums Dasein und Tod jeglichen Fortschritt bestimmen, kann nur Gewalt das Mittel dieses Fortschritts sein.

• Wenn Gott aus unserer Welt entlassen ist, dann gibt es keine absolute Wahrheit und keine moralischen Werte mehr.

Die atheistisch-materialistische Evolutionshypothese widerspricht zutiefst dem Glauben an einen Schöpfergott, den wir als die Wahrheit und Liebe bekennen.

Danach ist der Versuch einer Versöhnung von Schöpfung und Evolution im Ansatz verfehlt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Der Artikel entstammt dem Buch „Die göttliche Vernunft und die inkarnierte Liebe – Festschrift zum 80. Geburtstag Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI.“ (S. 355-360), hrsg. von Albrecht Graf von Brandenstein-Zeppelin, Alma von Stockhausen und J. Hans Benirschke, Gustav-Siewerth-Akademie, Weilheim-Bierbronnen 2007, 721 Seiten. 

Gregoriusorden für Alma von Stockhausen

Die Philosophin Prof. Dr. Alma von Stockhausen (80), Gründerin der privaten Gustav-Siewerth-Akademie in Weilheim-Bierbronnen bei Waldshut, ist von Papst Benedikt XVI. zur Dame des Gregoriusordens ernannt worden. 

In einer kleinen Feierstunde in Freiburg überreichte Erzbischof Dr. Robert Zollitsch am 15. Mai 2007 die päpstliche Ehrung. Dabei würdigte er Frau von Stockhausen als eine Philosophin mit klarem geistigen Profil, „verwurzelt in und getragen von einem lebendigen christliche Glauben“. Ihr Leben sei geprägt von der Suche nach der Wahrheit. Den Glauben stets neu inmitten eines weltanschaulichen Pluralismus argumentativ zu entfalten und dabei für die Wahrheit des einmal Erkannten zu streiten, sei ihr Herzensanliegen, so Erzbischof Zollitsch.

Alma von Stockhausen lehrte seit 1962 als Professorin für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Später gründete sie in Weilheim-Bierbronnen eine private Akademie, mit den Fächern Philosophie, Philosophie der Naturwissenschaften, Soziologie, Familienwissenschaft mit den beiden Hauptfächern Katholische Theologie und Pädagogik sowie Journalistik, nach dem Philosophen Gustav Siewerth benannt. 1988 wurde die wissenschaftliche Hochschule in privater Trägerschaft anerkannt.

In Absprache mit Kardinal Ratzinger liegt der Arbeitsschwerpunkt der Akademie auf der interdisziplinären Vermittlung der Theologie durch Philosophie und Naturwissenschaft. Die Forschungsergebnisse sind in der Schriftenreihe der Gustav-Siewerth-Akademie (in bisher 50 Bänden) veröffentlicht. Außerdem sind im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist besonders hervorzuheben die thematisch grundlegenden Schriften der Gründerin („Die Inkarnation des Logos – der Angelpunkt der Denkgeschichte“, Bd. 1; „Philosophische Anmerkungen zur jungfräulichen Gottesmutterschaft Mariens“, Bd. 2; „Der Geist im Widerspruch – von Luther zu Hegel“, Bd. 3).

Bis heute ist die Gustav-Siewerth-Akademie mit ihrem Kollegium von etwa 50 Professoren und Dozenten nicht nur durch den Gründungsimpuls auf Grund langjähriger Zusammenarbeit – sondern auch durch die weiterführende Wegweisung Papst Benedikt XVI. dankbar verbunden. Ausdruck der dankbaren Verehrung sind die beiden Festschriften zu seinem 75. und 80. Geburtstag. („Die Kirche als Corpus Christi Mysticum. Zur Geschichte der Kirche im Hinblick auf Wissenschaft, Staat und Gesellschaft“ und „Die göttliche Vernunft und die inkarnierte Liebe“).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2008
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