Teenstar – ein Weg mit jungen Menschen

Teenstar ist ein modernes Programm, das junge Menschen in einen verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Geschlechtlichkeit einführt. Es stützt sich auf das christliche Menschenbild und entspricht den katholischen Prinzipien der Moral, auch wenn es nicht ausdrücklich auf die Lehre der Kirche Bezug nimmt. Die Teenstar-Kurse machen auch im deutschsprachigen Raum zunehmend von sich reden. Weihbischof Dr. Andreas Laun nimmt zu dieser Entwicklung Stellung. Er ist überzeugt, dass Teenstar ein großes Geschenk an die Jugend darstellt. In seine Überlegungen bezieht er das Zeugnis eines engagierten Ehepaars ein, das in einem persönlichen Brief an den Weihbischof seine Erfahrungen mit Teenstar wiedergibt.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Vor kurzem bat mich ein lieber Freund, etwas über „Teenstar“ zu schreiben. Kurz danach erhielt ich einen aufschlussreichen Brief, den ich unten wiedergebe. Und so fügt sich eines zum anderen.

Johannes Paul II.: Ich habe die „Liebe zu lieben“ gelernt!

Ich beginne mit einer Vorbemerkung:

Vor Jahren lernte ich die Gründerin von Teenstar kennen und damit die eigentlich schlichte, aber höchst aktuelle Grundidee: Es wäre nötig, eine katholische Aufklärung anzubieten, eine, die wirklich katholisch ist. Als solche kann man nur jene nennen, die die revolutionäre Entwicklung in der katholischen Kirche seit den Zeiten der Prüderie bis zum großen Papst Johannes Paul II., dem Propheten der Theologie des Leibes und der „Liebe zur Liebe“, mitgemacht hat.

Man erinnere sich an die Zeiten noch bis zum Anfang der 1950er Jahre: Einerseits stellte niemand die katholische Moral in Frage, andererseits war es schwierig, über Sexualität in gewisser Freiheit zu sprechen, die Zeit der großen Prüderie wirkte immer noch nach. Dann kamen die „68“-Jahre und mit ihnen die „sexuelle Revolution“. Die verhängnisvolle Botschaft an die Jugend war: Achtet darauf, dass ihr nicht krank werdet, unerwünschte Kinder zeugt oder ins Gefängnis kommt – aber sonst: alles geht, alles ist gut, alles macht Spaß – wir wünschen euch viel Spaß, Spaß ohne Ende! Eine Folge dieser Revolution war es: Die Kirche verlor ihre Lehrautorität bezüglich der Sexualität; immer weniger Menschen glaubten, sie besäße auf diesem Gebiet Kompetenz. Angesichts dieser Reaktion auch vieler Katholiken verloren die Verantwortlichen, die Bischöfe, Priester, Religionslehrer und natürlich auch die katholischen Eltern einerseits weitgehend den Mut, über die sexuelle Liebe zu sprechen, andererseits verlernten sie die dazu nötige, begeisterte, überzeugende Sprache! Manche Gruppen zogen sich resigniert ins Abseits zurück und versuchten die Moral ihrer eigenen Kindheit, die ihrer Meinung nach so gute alte Moral, wieder aufleben zu lassen.

Dabei übersahen sie freilich eine wichtige Entwicklung: Die Lehre des 2. Vatikanischen Konzils zum Thema Liebe, Ehe, Sexualität begann Wirkung zu zeigen. Die wirklich fortschrittlichen Kreise in der Kirche folgten den Vorgaben des Lehramtes, vor allem, als Papst Johannes Paul II. auf den Stuhl Petri kam, der Papst, der von sich selbst sagte, er hätte schon als junger Priester die „Liebe zu lieben“ gelernt!

Es ist eigentlich tragisch, dass zu dieser Zeit bereits viele Katholiken von der Kirche bezüglich dieser Fragen nichts mehr erwarteten. So blieb die Lehre des Papstes eher ein Geheimnis, das nur die Fachleute kannten, aber nicht die breite Menge der Katholiken.

Der Staat verordnet die Vermittlung der Lust-Ideologie

Inzwischen hat noch eine andere, bedrohende Entwicklung eingesetzt: Der Staat hat sich das Recht genommen, die Jugend über die Sexualität zu belehren! Was die Inhalte betrifft, tut er dies im Sinn der unmenschlichen Lust-Ideologie der sexuellen Revolution und bedient sich dabei der Schule. Damit ist einerseits die Finanzierung des Programms sichergestellt, andererseits hat er die Jugendlichen durch die Schulpflicht fest im Griff. Vom Elternrecht wird dabei nicht gesprochen. Mehr noch, schon melden sich Politiker mit der Forderung zu Wort, man sollte es der Kirche verbieten, im Religionsunterricht irgendeine Art von Sexualkunde anzubieten!

Leider ist nicht zu leugnen: Was Sexualerziehung betrifft, versagt die Kirche bisher weitgehend, und dieses kirchliche Schweigen ist aus zwei Gründen unverständlich:

Die Kirche lehrt den Primat des elterlichen Erziehungsrechtes, insbesondere in Bezug auf die Gewissensbildung und die Intimsphäre ihrer Kinder. Außerdem ist die Kirche überzeugt: Liebe, Ehe, Sexualität sind kein bloß „weltlich Ding“, bei dem es nur auf Hygiene und Fairness ankäme! Auf Grund ihrer Lehre und ihrer Erfahrung weiß die Kirche: Nicht nur für die menschliche Reife eines Menschen, sondern auch für die Gottesbeziehung des Gläubigen ist es wichtig, mit den sexuellen Impulsen richtig umzugehen, die Gesetze der Liebe zu lernen, fähig zu werden, eine Familie zu gründen oder auch sexuell enthaltsam zu leben. Aus diesen Gründen müsste die Kirche also ein brennendes Interesse daran haben, der „Verstaatlichung“ der Sexualerziehung der Kinder im Sinn der sexuellen Revolution allen nur möglichen Widerstand entgegenzusetzen. Aber von einem solchen Widerstand ist wenig zu bemerken. Dazu kommt: Auch im Religionsunterricht erfahren die Jugendlichen keineswegs „flächendeckend“, was die Kirche über Liebe und Sexualität zu sagen hat! Denn nicht wenige Religionslehrer sind entweder nicht willens oder nicht fähig, die Lehre der Kirche bezüglich dieser Fragen zu vermitteln. Über die Gründe dafür, dass dies so ist, müsste man nachdenken.

Junge Menschen interessieren sich für den „Schatz“ der Kirche

Aus all dem folgt: Es ist ein dringendes Desiderat der Zeit, dass die Kirche ihr „Evangelium von der Liebe zwischen Mann und Frau“ den jungen Menschen verkündet. Sie ist es nämlich, die weiß, wie es mit Mann und Frau bestellt ist; Papst Johannes Paul II. hat die biblische Lehre dazu entfaltet wie kein anderer Papst vor ihm. Jetzt kommt es darauf an, den Schatz zu heben und unter den Menschen zu verteilen! Dazu bedarf es einerseits Christen, die die Lehre kennen, verstehen und mit Begeisterung weitergeben. Andererseits braucht es den entschlossenen Willen aller Verantwortlichen: die Entscheidung der Bischöfe, der Priester, der Theologen und der Religionslehrer.

Resignation ist fehl am Platz. Denn erstens interessieren sich junge Menschen sehr wohl für die Lehre der Kirche, wenn sie richtig dargestellt wird, und sie verstehen sie auch. Mehr noch: Sie können und wollen auch danach leben. Nicht alle, aber doch viele.

Die Kirche ist der Welt das „Evangelium von der Liebe“ schuldig

Wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln die Gegenseite die Jugend „aufklärt“ und dabei brutal verführt, wie sie ihnen die Liebe und die Erfahrung echter Liebe wegnimmt und vorenthält, muss man sagen: Höchste Zeit für die Kirche, auf diesem Gebiet eine pastorale Strategie zu entwickeln! Die Kirche schuldet der Welt das ganze Evangelium, auch das Evangelium von der Liebe und gerade diesen „Teil“ des Evangeliums. Denn die Welt braucht es zum Überleben. Denn ohne eine Kultur der Liebe gibt es auch keine Kultur des Lebens, ohne die eheliche Liebe werden die Familien nicht leben und nicht überleben können. Aber vom Überleben der Familien hängt das Überleben der Welt überhaupt ab!

Erst vor kurzem sagte Kardinal Schönborn im Rahmen einer Predigt im Heiligen Land: Mit seinem Ja zur Verhütung (gegen die katholische Lehre von „Humanae vitae“), mit seinem Ja zur Abtreibung und seinem Ja zur Homo-Ehe – mit diesen drei „Jas“ hat Europa dreimal „Nein“ gesagt zur eigenen Zukunft und bringt sie in größte Gefahr!

Der Kardinal nannte ausdrücklich auch „Humanae vitae“. Unmöglich, dass er nicht wusste, dass auch die Katholiken dieses Nein mitsprachen und bis heute an ihrer Ablehnung der kirchlichen Lehre festhalten. Daraus folgt: Auch die Katholiken gefährden Europa, und zwar mit ihrer Einstellung in Fragen der Sexualmoral! Anders gesagt: Weil sie nicht den Mut haben, zur katholischen Liebes-Ethik in Fragen der Sexualität vorbehaltlos zu stehen!

„Teenstar“ entwickelt ein wertvolles Konzept

Die gute Botschaft ist: Es gibt bereits erste Ansätze, Konzepte, entschlossene Gruppen, die die Zeichen der Zeit verstanden haben und angefangen haben, die große Aufgabe zu erfüllen.

Zu diesen Gruppen gehört auch Teenstar: Von einer katholischen Ärztin gegründet, will „Teenstar“ die authentische, katholische Lehre zu den Menschen bringen, zu den Jugendlichen vor allem, weil Liebe und Sexualität vor allem ein Thema der Jugend ist!

Es ist erstaunlich, dass die Verantwortlichen in der Kirche auf diesen „Zug in die Zukunft“ noch nicht „aufgesprungen“ sind und ihm ihre „Lokomotiven“ angeboten haben!

Aber wie auch immer, Teenstar ist eine gute Sache und wird sich, so schaut es aus, auch nicht mehr aufhalten lassen.

Wie wertvoll das Programm ist, belegt der folgende Brief. Zugegeben, die Briefschreiberin bringt nicht eine Abhandlung über Teenstar zu Papier, in der alles enthalten wäre, was es zu wissen gilt. Das „ganze“ Teenstar-Programm ist ganzheitlich angelegt, es will alle Aspekte der sexuellen Liebe zur Sprache bringen, es umfasst auch Aspekte der Pädagogik, es besteht darauf, die Eltern als wichtigste Träger der Erziehung mit einzubeziehen.

Aber der Brief bringt so wesentliche Gesichtspunkte zur Sprache und tut dies so überzeugend, dass er geeignet ist, etwas in Bewegung zu bringen und das Interesse zu wecken, mehr und alles über Teenstar zu erfahren. Wer aus dem Brief folgern wollte, es ginge bei „Teenstar“ nur um die Fruchtbarkeit, hat ihn nicht wirklich gelesen, hat ihn nicht verstanden!

Der Brief im Wortlaut

„Kurz nach der ‚Salzburger Familienakademie‘ haben mein Mann und ich die Teenstar-Ausbildung gemacht. Nächsten Monat beginnen wir wieder mit dem Schulsexualkundeunterricht in der 4. Klasse.

Unter unserer Teenstar-Ausbildung sind mir viele Erlebnisse und Erinnerungen aus meiner eigenen Kinder- und Jugendzeit hochgekommen: Ich selbst bin in meiner Jugendzeit leider auch nicht den geraden, guten Weg gegangen. Als wir nun bezüglich verschiedener Fragen geschult wurden, kamen mir Erinnerungen hoch und ich entdeckte immer wieder, dass es bei mir ‚auch so‘ war. Ich spürte und wusste, dass ich in dieser Zeit jemanden gebraucht hätte, der mir die Antwort auf meine Fragen gegeben hätte – wie Teenstar heute.  Leider gab es dieses Programm damals noch nicht.

Im Laufe des Kurses gab es besondere Erlebnisse: Einmal erzählte uns eine Referentin von Teenstar im Rahmen der Ausbildung, wie sie selbst mit ihrem Mann als Katholiken die Natürliche Empfängnisregelung (NER) leben. Bei mir und meinem Mann hat die Erzählung einen tiefen Eindruck hinterlassen. Heute weiß ich, wie es sein sollte:

Jeden Monat stellen sich die Partner als Ehepaar geistig unter den Blick Gottes und überlegen, ob sie in diesem Zyklus auch während der fruchtbaren Tage eins werden sollen. Sie überlegen in ehrlicher Weise, ob die Gesundheit, die Nerven, Platz, finanzielle Gründe etc. dafür sprechen, auch in der fruchtbaren Zeit wieder eins zu werden und für ein weiteres Kind offen zu sein oder besser nicht. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich selbst als Teenstarkursleiterin mit meinem Mann die Lehre der Kirche im Gehorsam lebe.

Wichtig sind für mich die Erfahrungen mit Teenstar geworden: Ich habe schon vieles von Teenstarkursen in anderen Ländern gehört und gelesen. Da wird immer wieder erzählt, wie die Jugendlichen eine andere Sichtweise bekommen. Weil der Schwerpunkt bei Teenstar auf der Fruchtbarkeit liegt, beginnen sie ihre eigene Fruchtbarkeit als etwas Besonderes und Wertvolles zu verstehen, anzunehmen und zu schützen.

Mehr noch: Diese Veränderung hat konkrete Wirkungen: Es ist faszinierend zu hören, dass viele junge Menschen am Ende der Teenstarkurse auf einmal beginnen, nach Gott zu fragen, und selbst den Weg des Glaubens einschlagen.

Diese wunderschöne Erfahrung machen mein Mann und ich auch immer wieder bei unseren NER-Grundkursen in unserem Haus. Wir durften es nun schon öfters erleben, dass Menschen, die bei uns NER lernten, nach Gott zu fragen begannen, und dann den Weg des Glaubens einschlugen. So manches tiefe Gespräch hatten wir spätabends. Ich erkläre mir das so: Die Leute spüren, NER ist Wahrheit!

Ich hörte auch von einem Versuch in den USA, der zwar einerseits fragwürdig ist, weil man mit Menschen nicht solche Experimente machen sollte, andererseits aber doch ein wichtiges Ergebnis brachte: Man teilte die Mädchen in zwei Gruppen, die eine Gruppe bekam die herkömmliche Sexualaufklärung und die zweite Gruppe bekam Teenstar-Stunden: Am Ende der beiden Kurse hatte die Klasse mit dem normalen Sexualaufklärungsunterricht wieder die gleiche, hohe Teenager-Schwangerschaftsrate wie in den USA üblich. Doch beim Teenstarkurs wurde nur ein Mädchen von 200 schwanger!

Eine dritte gute Folge von Teenstar ist: Viele Mädchen, die schon sexuelle Kontakte zu Jungen hatten, stellten diese wieder ein, weil sie durch Teenstar eine neue Einstellung zur Sexualität, zu ihrem eigenen Körper, zu ihrer Fruchtbarkeit gewonnen hatten!“

Über Teenstar kann ich nur glücklich sein

Soweit der Brief über Teenstar und über Erfahrungen mit Teenstar. Mir scheint, sie sollten genügen, um Teenstar einzuführen und zu entwickeln.

Zu erwähnen ist auch noch dies: Es gibt eine „konservative“, durchaus verdienstvolle katholische Gruppe, die Teenstar kritisiert, weil diese Leute meinen, letztlich sei Teenstar doch nicht treu der kirchlichen Lehre. Sie sagen zum Beispiel, nach der Lehre der Kirche sei NER nur in sehr seltenen Ausnahmefällen erlaubt. Ich frage mich, wie sie darauf kommen. Wahrscheinlich verwechseln sie hier etwas: Wahr ist, dass NER nicht im Dienst einer willkürlichen Verweigerung gelebt werden darf, aber wahr ist umgekehrt auch, dass NER in Verbindung mit verantwortlicher Elternschaft eine gute, katholische Lebensweise ist und keineswegs nur eine „Ausnahme“!

Einen zweiten Vorwurf gegen Teenstar erzählte mir die Briefschreiberin: Dr. Rötzer, der Arzt, dessen Lebenswerk darin besteht, NER entwickelt und gut lebbar gemacht zu haben, leitet die Frauen an, den Muttermund abzutasten. Dies, so die genannte Gruppe der Kritiker, könne aber zur Selbstbefriedigung der Frau führen und sei daher abzulehnen – und damit auch NER überhaupt, jedenfalls in der modernen Form. Meine Briefschreiberin dazu: „Meine Güte, wie man auf so etwas kommen kann!“ Ich füge hinzu: Gut, dass es solche Kritiker gibt. Wenn sie keine anderen „Abweichungen“ als die beiden genannten zu finden imstande sind, kann Teenstar nur gut sein!

Was halte ich von Teenstar? Wenn junge Menschen die Liebe entdecken und auf diesem Weg auch zu Gott finden – wie könnte ich darüber nicht glücklich sein?

 

Teenstar – das „andere“ Programm

Anfang der 80er Jahre wurde von der Gynäkologin Dr. Hanna Klaus, einer gebürtigen Österreicherin, und ihrem Team ein Programm entwickelt, das auf die vielen Fragen junger Menschen zu den Themen Freundschaft, Liebe, Fruchtbarkeit und Sexualität eingeht. Derzeit wird damit weltweit in etwa 40 Ländern erfolgreich gearbeitet. Im deutschsprachigen Raum ist Teenstar seit 1994 bekannt.

Teenstar ist ein persönlichkeitsbildendes sexualpädagogisches Programm für junge Menschen. Sexualität wird dabei in ihrer Ganzheit erfasst: Körper, Gefühle, Verstand, Beziehung, Umfeld und Seele/Geist. Da der Teenstar-Kurs von einer positiven Sichtweise des Körpers und der Beobachtung der eigenen Fruchtbarkeit ausgeht, können Reifungsschritte altersgemäß verstanden und so leichter in die Gesamtpersönlichkeit integriert werden. Aufbauend auf dem Bewusstsein und der Wertschätzung der eigenen Fruchtbarkeit finden junge Menschen zu ihrer geschlechtlichen Identität und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Sexualität. Wesentlich ist es, den Jugendlichen ausreichend Zeit zu geben, damit Fragen entstehen und sie selbst Antworten darauf finden können. Deshalb werden die Kursteilnehmer/innen über einen längeren Zeitraum begleitet.

Umfassende Informationen bieten die länderspezifischen Homepages; deutschsprachige Websites: www.teen-star.de / www.teenstar.at / www.teenstar.ch

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2008
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Die Spiritualität des hl. Paulus

Zum Paulusjahr, das Papst Benedikt XVI. anlässlich des 2000. Geburtstags des Völkerapostels ausgerufen hat, arbeitet Erzbischof Dr. Ludwig Schick für „Kirche heute“ die Grundzüge der paulinischen „Spiritualität“ heraus. Er gibt uns mit seinem Beitrag einen wunderbaren Schlüssel in die Hand, um uns die wesentlichen Inhalte der Paulusbriefe zu erschließen – auf hohem theologischem Niveau und gleichzeitig für jedermann verständlich. Dabei spannt er einen großen Bogen vom Gesetz des Alten Bundes zum Liebesgebot des Neuen Bundes, unter dem sich auch unser Glaubensleben entfalten muss.

Von Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg

Liebe Leserinnen und Leser von Kirche heute! Die folgende Betrachtung zum Paulusjahr möchte die Spiritualität, das heißt das geistliche Leben des Christen, wie es Paulus lebt, sieht und den Empfängern seiner Briefe ans Herz legt, darstellen. Sie schöpft einzig und allein aus den Briefen des hl. Paulus. Sie möchte vor allem dazu anregen, die Paulusbriefe selbst in die Hand zu nehmen, sie zu lesen und zu betrachten, immer mit der Frage: Was will Paulus, der „Gesandte an Christi Statt“ (vgl. 2 Kor 5,20) mir oder uns sagen, was in uns anregen, zu was uns bewegen? Die Briefe des hl. Paulus sind ein großer Schatz. Sie können jeden von uns zu einem authentischen Leben als Christin und Christ führen.

Spiritualität, was ist das?

„Wes Geistes Kind seid ihr?“ so heißt es in einem neuen geistlichen Lied. Das ist die Kernfrage der Spiritualität. Der Begriff „Spiritualität“ ist abgeleitet vom lateinischen Wort „spiritus“, das „Geist“ bedeutet. Spiritualität meint: „Leben in und aus dem Geist“.

Der Geist lebt im Innern, im Herzen oder in der Seele des Menschen, dort wo er seine Lebensmitte hat und sich seine „Lebensweise“ entscheidet. „Der Geist ist als erster Anteil (am verheißenen Heil) in unser Herz gegeben“ (vgl. 2 Kor 1,22), schreibt Paulus den Korinthern. Für Paulus gibt es nur „den Geist“, den Geist Gottes, den Geist Jesu Christi, den Heiligen Geist; sie sind eins. Es wirken, oder besser gesagt, es treiben ihr Unwesen in der Welt auch Mächte und Gewalten und der „Geist der Welt“ (vgl. 1 Kor 2,12), des Bösen und der Finsternis, die gegen den Geist Christi streiten. Diese sind aber mit dem Geist Gottes und Christi nicht vergleichbar. Sie werden überwunden und vernichtet. Im Hinblick auf die Ankunft des neuen Himmels und der neuen Erde schreibt Paulus den Korinthern: „Danach kommt das Ende, wenn er jede Macht, Gewalt und Kraft vernichtet hat und seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt“ (1 Kor 15,24). Dann wird Gott herrschen „über alles und in allem“ (1 Kor 15,28).

Christliche Spiritualität ist Leben aus dem Geist Jesu Christi, für den der Mensch sich entscheiden und aus dem er leben muss. Dazu gehört auch der Kampf gegen die Ungeister dieser Welt, der mit den Waffen des Heiligen Geistes gewonnen wird.

Spiritualität nach Paulus ist Innerlichkeit sowie zugleich Lebensgestaltung und Weltverantwortung. Der Geist bewirkt eine „Geisteshaltung“, aus der Leben und Wirken wird.

Allein Jesus Christus

Am deutlichsten zeigt Paulus im Galaterbrief, was er unter Spiritualität versteht. Er ringt in diesem apostolischen Mahnschreiben mit den Galatern, die die Spiritualität, die er ihnen durch die Verkündigung vermittelt hat, zu verraten drohen. Sie wenden sich vom „Evangelium“ ab, das Geist und Leben ist. Sie fallen zurück in die Geisteshaltung des Gesetzes, die für Paulus „Geistlosigkeit“ bedeutet. Bei diesem Ringen um die Spiritualität der Galater offenbart Paulus seine eigene Auffassung von christlicher Spiritualität.

Die Zentralaussage lautet: „Ich aber bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,19-20). Der Geist ist der Geist Jesu Christi, der durch den Glauben in den Christen lebt und wirkt. Im 1. Korintherbrief schreibt Paulus: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3, 16). Spiritualität ist deshalb Leben in und aus Christus.

Zum Glauben ist Paulus berufen worden, als er vor Damaskus dem Auferstandenen begegnete. Das änderte seine bisherige Haltung radikal, die im Befolgen des Gesetzes das Heil suchte. Im 1. und 2. Kapitel des Galaterbriefes schildert er seine Bekehrung zum Geist Christi ausführlich (vgl. Gal 1,13-2,21). Ab dann setzt er alles auf die eine Karte: Christus und sein Evangelium. Den Galatern schreibt er: „Dies eine möchte ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist durch die Werke des Gesetzes oder durch die Botschaft des Glaubens empfangen? Seid ihr so unvernünftig? Am Anfang habt ihr auf den Geist vertraut, und jetzt erwartet ihr vom Fleisch die Vollendung. Habt ihr denn so Großes vergeblich erfahren?“ (Gal 3,2-4). Die Konsequenz daraus formuliert er in vielen Briefen so: „Setzt all eure Hoffnung auf Jesus Christus.“ Die Galater sind durch die Botschaft des Glaubens, die ihnen Christus als Gekreuzigten vor Augen gestellt hat, für das Leben in Christus berufen worden. Aus Seinem Geist sollen sie leben, nicht aus den Werken des Gesetzes und durch die Einhaltung der vielen Vorschriften, Gebote und Verbote des Alten Bundes. Die Spiritualität des hl. Paulus zielt letztlich darauf, dass alle „durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus“ werden (vgl. Gal 3,26), oder anders formuliert, dass „Christus in euch Gestalt annimmt“ (vgl. Gal 4,19).

Auch für jede christliche Gemeinde besteht ihre Spiritualität darin, in Gott und Jesus Christus zu sein und zu wirken. So schreibt Paulus an die Thessalonicher: „... an die Gemeinde von Thessalonich, die in Gott, dem Vater, und in Jesus Christus, dem Herrn, ist“ (1 Thess 1,1).

Paulus – Jude oder Christ?

Seit vielen Jahren ringen die Fachleute für das Verständnis der Heiligen Schrift um die Frage: Ist Paulus ein Jude oder ein Christ? Nicht wenige von ihnen versuchen ihn zu einem „Reformjuden“ zu machen, der sich aber nie vom Judentum gelöst hat. Ähnliche Auffassungen gibt es auch über Jesus Christus. Es ist richtig, dass Paulus immer wieder betont, dass er zum Volk der Juden gehört. Es ist auch richtig, dass er sich niemals selbst Christ genannt hat. Er setzt auch darauf, dass am Ende der Zeiten „sein Volk“ das Heil findet, jedoch auch „durch den und auf den hin die ganze Schöpfung ist“ (vgl. Röm 11,36). Richtig ist aber auch, dass Paulus größten Wert darauf legt, dass er nicht mehr in der Spiritualität des Judentums, sondern in der des Evangeliums lebt. Darin ist Paulus ein „Neuer“ oder „Anderer“ geworden, der aus dem Geist Christi lebt.

Das Evangelium – Quelle der Spiritualität

Wenn Paulus die Galater mahnt, nicht die christliche Spiritualität zu verraten, verweist er auf das Evangelium. Sie sollen sich keinem anderen Evangelium zuwenden (vgl. Gal 1,6). Es gibt kein anderes Evangelium als das, das Paulus ihnen verkündet hat (vgl. Gal 1,7-8). Sicher gab es zur Zeit des hl. Paulus noch nicht die vier Evangelien des Neuen Testamentes, die wir heute kennen. Aber in der mündlichen Überlieferung waren sie vorhanden. Es wurden die Worte und Taten, das Leben, der Tod und die Auferstehung Jesu als Maßstab für das Leben der Christen und als Verheißung für die Vergebung der Sünden und das Leben mit Gott verkündet. Gegebenenfalls lagen auch schon schriftliche Aufzeichnungen vom Leben Jesu vor. Paulus erinnert die Korinther an einen Grundsatz, wenn er schreibt: „Nicht über das hinaus, was in der Schrift steht“ (1 Kor 4,6). Über die Aussageabsicht dieses Satzes sind sich die Exegeten uneinig. Es geht im Kontext darum, wie in der rechten Weise die Menschen zu Christus „erzogen“ werden (vgl. 1 Kor 4,15). Daher meint er auf alle Fälle: Wer in der christlichen Spiritualität gründen und leben will, muss aus dem Evangelium schöpfen. Das ist für Paulus unumstößlich! Heute ist daraus der Schluss zu ziehen, dass das Lesen, Hören oder sich Besinnen auf das Evangelium, wie es in den vier kanonischen Evangelien vorliegt, unerlässliche Bedingung dafür ist, dass „Christus in uns Gestalt annimmt“ (vgl. Gal 4,19) und wir aus seinem Geist leben. Spiritualität entsteht und wird gepflegt durch Gebet und liebenden Umgang mit Christus, der durch den Heiligen Geist in uns wohnt.

Am größten ist die Liebe (vgl. 1 Kor 13)

Was bewirkt nun die Spiritualität nach Paulus? Welche Früchte schenkt der Geist Jesu Christi für das konkrete Leben? Der Heilige Geist ist immer lebendig und wirksam. Der Christ und die Kirche müssen auf ihn hören und ihm gehorchen, dann macht er reich an guten Früchten.

Die erste Frucht des Geistes ist, Christus zu erkennen und zu lieben. Im 1. Korintherbrief schreibt Paulus „eigenhändig“: „Wer den Herrn nicht liebt, sei verflucht! Marána tha – Unser Herr, komm!“ (1 Kor 16,22). Was Paulus im ersten Korintherbrief schreibt, bestätigt er im zweiten. Er stellt den Korinthern die Frage: „Fragt euch selbst, ob ihr im Glauben seid; prüft euch selbst! Erfahrt ihr nicht an euch selbst, dass Christus Jesus in euch ist?“ (2 Kor 13,5). „Christus in uns“ bewirkt Weisheit (vgl. 1 Kor 1,19) Ruhe, Kraft und Trost, Hoffnung und Zuversicht. Die griechischen Kirchenväter haben diese Innerlichkeit in Jesus Christus als „Hesychia“, als innere Ruhe bezeichnet, auch und gerade in Anfechtungen und im Kampf um Christi willen. Das innere Leben im Geist Christi wird vor allem im 8. Kapitel des Römerbriefes beschrieben. Dort heißt es: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? ... Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat“ (Röm 8,35.37).

Die zweite Konsequenz ist ein heiliges Leben. Wer Christus in sich hat, der ist eine neue Schöpfung. Das muss im Leben sichtbar werden. Der Christ soll alle zehn Gebote ohne Abstriche halten; Paulus ruft dazu in allen seinen Briefen auf. Christen können keine Ehebrecher, Kinderschänder, Götzendiener, Betrüger, Mörder oder Lügner sein (vgl. 1 Kor 6,9-10). Die Früchte des Geistes sind „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (vgl. Gal 5,22-23). Im 1. Thessalonicherbrief fasst Paulus die Frucht des Geistes so zusammen: „Das ist es, was Gott will: eure Heiligung“ (1 Thess 4,3). „Denn Gott hat uns nicht dazu berufen, unrein zu leben, sondern heilig zu sein“ (1 Thess 4,7).

Drittens bewirkt der Geist Betrachtung und Gebet, die Glaube, Hoffnung und Liebe lebendig erhalten. Der Geist macht uns zu Söhnen und Töchtern Gottes. Er ruft in uns: „Abba, Vater“ (vgl. Gal 4,6). Der Geist betet in uns. Im Gebet wird uns bewusst, dass Christus in unserer Mitte ist und wirkt. Wir können mit ihm sprechen und in Freundschaft mit ihm leben.

Eine vierte und sehr wichtige Frucht für Paulus ist die Freiheit. Der vom Geist Christi erfüllte Mensch muss nicht mehr die vielen, vielen Regeln der Halacha und Haggada des Judentums einhalten und befolgen, sondern darf frei vor Gott leben. Das kann aber nicht Zügellosigkeit bedeuten. Diese Freiheit befähigt, den Nächsten zu lieben. Im Galaterbrief heißt es: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1). Einige Verse weiter schreibt Paulus dann: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“ (Gal 5,13). Die Freiheit, die der Geist Christi schenkt, ist Freiheit für die Liebe zu jedem Nächsten. Das Gesetz legt Fesseln an und behindert die spontane, angemessene und personale, liebende Zuwendung zu jedem Menschen. Jesus hat die Herzenshärte, die die Gesetzesauslegung der Pharisäer und Schriftgelehrten seiner Zeit verschuldete, hart kritisiert (vgl. Mt 23,23-28). Paulus bekundet: „Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Gal 5,14).

Die wichtigste Äußerung der Spiritualität ist also die Liebe. Sie wendet sich den eigenen Hausgenossen und den Heiligen in der Gemeinde zu. Sie erstreckt sich aber auch auf die „Feinde“. Im 12. Kapitel des Römerbriefs wird das sehr eindrücklich beschrieben. „Helft den Heiligen, wenn sie in Not sind ... Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht!“ (Röm 12,13-14). Die christliche Spiritualität vergisst vor allem die Armen nicht, wo immer sie leben. Als Erweis seiner eigenen authentischen Spiritualität bekennt Paulus im Galaterbrief: „An die Armen zu denken, darum habe ich mich eifrig bemüht“ (vgl. Gal 2,10). Die vom Geist Christi gewirkte Liebe kennt keine Grenzen der Nation, des Volkes, der Religionsgemeinschaft, sondern sie wendet sich im Geist des Barmherzigen Samariters (vgl. Lk 10,25-37) jedem Nächsten zu.

Nicht zuletzt lässt die christliche Spiritualität auch den eigenen Leib achten. Wenn Christus in uns wohnt, dann muss auch der Leib als Wohnung des Heiligen Geistes ernährt, gepflegt, gesund und heil erhalten werden. Mit dem Leib des Menschen ist die ganze Schöpfung verbunden. Sie soll dem vorzüglichsten Geschöpf Gottes dienen und es erhalten. Sie wird mit dem Menschen vollendet werden. „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21). Die Schöpfung ist um des Menschen willen zu bewahren und zu erhalten, bis sie mit ihm vollendet wird.

Neue Schöpfung im Heiligen Geist

In den letzten Versen des Galaterbriefes fasst Paulus seine Spiritualität noch einmal zusammen, indem er sagt: „Denn es kommt nicht darauf an, ob einer beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, dass er eine neue Schöpfung ist. Friede und Erbarmen komme über alle, die sich von diesem Grundsatz leiten lassen, und über das Israel Gottes“ (Gal 6,15-16). Die Spiritualität des Apostels Paulus hat den einzelnen Menschen im Blick, der den Geist Gottes in sich hat; dieser „geisterfüllte Mensch“ (vgl. 1 Kor 2,15) soll aber das Geheimnis des liebenden Gottes erkennen und die Welt durchdringen, die das Reich Gottes werden soll, das „Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ ist (vgl. Röm 14,17). Die Spiritualität des Paulus verbindet Innerlichkeit und Leben im Alltag. Sie setzt Energie für die Weltgestaltung frei. Sie umfasst den eigenen Leib und bezieht auch die Natur und den ganzen Kosmos mit ein. Es ist eine Spiritualität der Hoffnung und der Zuversicht, der Kontemplation und der Aktion, der Mystik und des Kampfes, des Vertrauens auf den barmherzigen Gott und der „edlen Menschlichkeit“, der Mission nach innen und nach außen. Die paulinische Spiritualität ist ein großer Schatz für den einzelnen Christen sowie für die ganze Kirche, die Menschheit und die Welt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2008
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Antrag an die Deutsche Bischofskonferenz

Im selben Gebäude wie vor 40 Jahren die deutschen Bischöfe, als sie die „Königsteiner Erklärung“ verabschiedeten, veranstaltete nun die Europäische Ärzteaktion den Kongress „40 Jahre Humanae vitae – 40 Jahre Königsteiner Erklärung“. Als Vorsitzender stellt Dr. med. Bernhard Gappmaier das Ergebnis der Tagung vor, insbesondere den wohl begründeten Antrag an die Deutsche Bischofskonferenz, ihre Erklärung von damals zu korrigieren.

Von Bernhard Gappmaier

Vom 15. bis 17. August trafen sich in Königstein im Taunus Ärzte, Wissenschaftler und engagierte Laien aus Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Norwegen und der Schweiz, um eine Bilanz zu ziehen, was in den vierzig Jahren seit der Enzyklika Humanae vitae („Über die verantwortliche Weitergabe des menschlichen Lebens“) geschah.

In den Referaten und Diskussionen wurde klar, dass schon damals Humanwissenschaftler aus Deutschland und Frankreich (darunter der Ulmer Arzt Dr. med. Siegfried Ernst mit der Ulmer Denkschrift) gewarnt hatten vor den medizinischen und psychischen Auswirkungen der sog. „Verhütungspille“ und Papst Paul VI. gut beraten war, sich gegen eine Mehrheit durchzusetzen, die für eine „Liberalisierung“ der katholischen Ehemoral plädierten.

Die deutschen und österreichischen Bischöfe glaubten, mit ihren Erklärungen (Königstein und Maria Trost), dem Papst widersprechen zu müssen. Die Warnungen selbst von Nichtkatholiken vor den Folgen einer solchen „Liberalisierung“ wurden ignoriert. Heute weiß man, dass diese Folgen weit verheerender waren und Millionen von Frauen gesundheitliche Schäden erlitten und immer noch erleiden, allein durch die Einnahme der „Pille“, von der Verwilderung der Moral nicht zu sprechen.

Es ist höchste Zeit, diese „Erklärungen“ neu zu überdenken und zurückzunehmen und den Gläubigen die Richtigkeit und Gültigkeit der katholischen Ehemoral, aber auch die tatsächlichen Wirkungen der „Verhütung“ zu zeigen.

Folgendes Schreiben wurde im Namen der Kongressteilnehmer an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, gerichtet und in den Medien veröffentlicht.

Sehr geehrter Herr Erzbischof!

Anlässlich der Verkündigung der Enzyklika Humanae vitae durch Papst Paul VI. vor 40 Jahren und der dann veröffentlichten „Königsteiner Erklärung“ durch die Deutsche Bischofskonferenz vom 30. August 1968 hatte die Europäische Ärzteaktion zu einem Kongress nach Königstein im Taunus eingeladen.

Die Fachreferenten und Zeitzeugen dieses Kongresses, welcher übrigens im selben Hause stattfand, in dem die westdeutschen Bischöfe 40 Jahre zuvor getagt hatten, bestätigen mit ihren Beiträgen die prophetische Wahrheit der am 25.7.1968 veröffentlichten Enzyklika und deren unverkürzt gebliebene Gültigkeit, die im Weiteren durch die nachfolgenden Päpste, zuletzt auch nochmals durch Benedikt XVI., bekräftigt worden ist.

Die pastoralen Erläuterungen der Deutschen Bischofskonferenz sind als Königsteiner Erklärung ebenso wie die Enzyklika selbst zu einem historischen Dokument geworden. Ihre Folgen für die Gläubigen sind wohl am unmittelbarsten durch den während jener Versammlung leider nicht verlesenen Brief von Kardinal Bengsch eingemahnt worden.

Mit der Königsteiner Erklärung haben sich die deutschen Bischöfe in einen deutlichen Gegensatz zu Humanae vitae gestellt. Die dramatischen Auswirkungen jener Entscheidung für Kirche und Gesellschaft sind in den vergangenen 40 Jahren offenbar geworden.

Der französische Bevölkerungsexperte Pierre Chaunu sprach von der verhüteten Zukunft und einer Krise, die an allen Zahlen und Fakten abzulesen ist: eine epidemisch gewordene Verhütungsmentalität schon von Jugend an mit Geburtenraten von nur noch 1,4 Kindern und weniger, Verlust der Ehrfurcht voreinander, sexuelle Verrohung, explodierte Scheidungsraten, staatlich legalisierte Abtreibungen als Sicherheitsnetz (back-up) für misslungene Verhütungsmaßnahmen, fast leere Priesterseminare und Ordenshäuser ... kurz: die von Paul VI. vorausgesagten und geahnten ernsten Folgen der künstlichen Geburtenregelung haben ihre prophetische Bestätigung erfahren.

Diesen geschichtlichen Prozess hatte auch der evangelische Arzt Dr. med. Siegfried Ernst schon im Jahre 1964 in seiner berühmt gewordenen Ulmer Denkschrift vorausgesagt. Sie war von 400 Ärzten, darunter 40 namhaften Chefärzten süddeutscher Frauenkliniken und dem damaligen Präsidenten der deutschen Bundesärztekammer, mit unterzeichnet worden. Dr. Ernst hat 1975 zusammen mit Prof. Jérôme Lejeune und anderen, in der Verteidigung der Menschenwürde verdienten Persönlichkeiten die Europäische Ärzteaktion e. V. gegründet.

Als Mitglieder der Europäischen Ärzteaktion sehen wir heute in unserer täglichen ärztlichen Praxis mit großer Sorge die verheerenden Auswirkungen der Empfängnisverhütung von Jugend an. Darüber hinaus machen gründliche wissenschaftliche Recherchen die von Anfang an bekannt gewesene abtreibende Wirkung der hormonellen Kontrazeptionsmittel ärztlich zusätzlich mehr als bedenklich (siehe dazu: R. Ehmann: Ist die „Pille“ wirklich nur ein Verhütungsmittel?, in: Medizin & Ideologie, Ausgaben I/2007 – I/2008).

Papst Paul VI. hatte mit seiner Enzyklika Humanae vitae in der Frage der Kontrazeption eine eindeutige sittliche Norm gesetzt. Die westdeutsche Bischofskonferenz wich von dieser Norm ab, indem sie in ihrer Königsteiner Erklärung, die faktisch Humanae vitae negierte, eine „etwas zweideutige Antwort“ und „einen neuzeitlichen Begriff von Gewissen“ (Vincent Twomey) zur Sprache brachte. Den Gläubigen wurde eine verantwortete Gewissensentscheidung eingeräumt, die sich nicht länger an der Lehrautorität des Papstes ausrichten musste. Tatsächlich haben sich die Gläubigen seitdem in ihrem Lebensvollzug zum größten Teil nach den Empfehlungen ihrer Bischöfe ausgerichtet Das heißt, dass auch das Gros der Katholiken heute die Empfängnisverhütung via Pille, Spirale, Sterilisation etc. praktiziert und zugleich sich durch seine private Gewissensentscheidung salviert wähnt wie auch meint, die Normen der Kirche und das Gebot Gottes solcherart nicht zu verletzen (zum Ganzen s. Christian Schulz: Die Enzyklika „Humanae Vitae“ im Lichte von „Veritatis Splendor“, Moraltheologische Studien, Bd. 6, EOS-Verlag).

Die Enzyklika Humanae vitae ist damit heute mehr denn je eine prophetische Botschaft für eine verwirrte Zeit.

Als Ärzte erkennen wir die katastrophalen Auswirkungen des Verhütungswahns, die aus unserer Sicht leider auch maßgeblich von der Fehleinschätzung durch die Königsteiner Erklärung mitverantwortet sind. Wir wissen zugleich, dass sich bereits zahlreiche Initiativen in den vergangenen Jahrzehnten um eine Rücknahme der schicksalhaften Erklärung der westdeutschen Bischofskonferenz aus dem Jahre 1968 bemüht haben – stets ergebnislos (eigene Korrespondenzen, Petition von Fulda 2006 u.a.).

Als Europäische Ärzteaktion stellen wir daher den Antrag an die Deutsche Bischofskonferenz,

aufgrund der in den vergangenen Jahrzehnten (auch den Bischöfen) bekannt gewordenen Auswirkungen des Verhütungsmittelgebrauchs auf die Menschen, die Kirche selbst und die Gesellschaft, die Königsteiner Erklärung mit sofortiger Wirkung als nicht weiter gültige pastorale Empfehlung außer Kraft zu setzen und an ihrer Stelle die Gläubigen unter Bedachtnahme auf alle Fakten in brennender Sorge mit einer neuen Verlautbarung und mit außerordentlichem pastoralem Einsatz zur unabänderlichen Botschaft von Humanae vitae zurückzugewinnen.

Da die Beratungen zur Veröffentlichung der Königsteiner Erklärung 1968 im Gefolge der überraschenden Verlautbarung der Enzyklika Humanae vitae nur kurze Zeit in Anspruch nahmen, dürfen wir entgegen dem Schicksal sonstiger Revisionspetitionen eine ebenso rasche Entscheidungsfindung und Antwort durch das Bischofskollegium in Aussicht nehmen.

Für die Europäische Ärzteaktion e.V.

Dr. med. Bernhard Gappmaier (Vorsitzender)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2008
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Bischofssynode und „Kanonische Exegese“

Für Pfr. Erich Maria Fink ist das Buch „Jesus von Nazareth“ eines der größten Geschenke, das Papst Benedikt XVI. der Kirche und der Welt gemacht hat. Es ist nicht nur zu hoffen, dass auch der zweite Band fertig gestellt werden kann, sondern auch, dass der Grundansatz des Buchs lehramtlich zur Geltung kommt. Dazu erblickt Pfr. Fink in der derzeitigen Bischofssynode über das „Wort Gottes“ eine historische Chance.

Von Erich Maria Fink

Papst Johannes Paul II. verfasste Enzykliken, mit denen er direkt in die theologische Diskussion der Gegenwart eingriff. Er sah die Notwendigkeit, für die katholische Theologie ein Fundament zurückzugewinnen und dadurch das Glaubensgut der Kirche zu sichern. So verfasste er die Enzyklika Fides et Ratio – Glaube und Vernunft vom 14. September 1998. Er zeigt darin nicht nur auf, dass Glaube und Vernunft grundsätzlich in Einklang zu bringen sind, sondern er stellt die Grundlagen einer christlichen Philosophie vor, die ein Festhalten an den Wahrheiten des katholischen Glaubens erst wieder möglich machen. Sein Ziel besteht nicht in erster Linie darin, alle weltlichen Philosophen von seinem Standpunkt zu überzeugen. Er erhebt zwar den Anspruch, von einer allgemein gültigen Erfahrung des Menschen auszugehen und auf dieser Grundlage die weiteren philosophischen Implikationen zu entwickeln. Doch in erster Linie geht es ihm um die Theologen, die als Lehrer der Kirche die Glaubenswahrheiten zu erschließen haben. Ohne entsprechende philosophische Anhaltspunkte hängen viele Aussagen der Offenbarung in der Luft und können nicht vermittelt werden. Dies beginnt z. B. bei der Lehre über die unsterbliche Seele des Menschen, setzt sich fort über die Christologie und Trinitätslehre, und erhält eine besondere Brisanz in der Sakramentenlehre und der Lehre über die Kirche. Als klassisches Beispiel gilt der Glaubenssatz von der Transsubstantiation, der Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi bei der hl. Eucharistie. Johannes Paul II. erwartete, dass sich die katholischen Theologen auf ein zuverlässiges philosophisches Fundament mit unverzichtbaren Eckpunkten besinnen, um eine authentische Theologie betreiben zu können. Als Ethiker wandte er sich besonders an die Moraltheologen und schrieb ihnen das philosophisch begründete christliche Menschenbild mit seinem Personenbegriff ins Gewissen. Diesem Anliegen ist die Enzyklika Veritatis Splendor – Glanz der Wahrheit vom 6. August 1993 gewidmet. Einer zunehmenden Beliebigkeit in der Begründung objektiver Normen galt es entgegenzutreten.

Was Johannes Paul II. insbesondere für die philosophische Grundlegung des christlichen Denkens geleistet hat, nimmt sich Papst Benedikt XVI. für die biblische Begründung des Offenbarungsglaubens vor. In seinem Buch Jesus von Nazareth geht er mit einer falschen Methode der Schriftauslegung ins Gericht und stellt als Ausweg eine Form der Exegese vor, die vor etwa 30 Jahren in Amerika als „kanonische Exegese“ entwickelt wurde. Deren Absicht bestehe „im Lesen der einzelnen Texte im Ganzen der einen Schrift“, „wodurch alle einzelnen Texte in ein neues Licht rücken“ (S. 17). Das Ergebnis eines solchen Schriftverständnisses, das Benedikt XVI. in seinem Buch vorgelegt hat, ist im wahrsten Sinn des Wortes umwerfend. Dem Papst ist es gelungen, eine Antwort auf unzählige Verirrungen zu geben, von denen die heutige Theologie, insbesondere die theologische Ausbildung der Priester und kirchlichen Mitarbeiter gekennzeichnet ist. Um die daraus erwachsene Krise der Glaubensverkündigung zu überwinden, muss genau an diesem Punkt angesetzt werden: an der Glaubwürdigkeit der Offenbarung Jesu Christi als Sohn Gottes auf dem Boden der historischen Wahrheit der Person Jesu. Benedikt XVI. selbst versteht sein Werk als eines seiner wichtigsten Vermächtnisse und hofft, den zweiten Band in seinem Leben noch fertig stellen zu können.

Zwar betont der Papst: „Gewiss brauche ich nicht eigens zu sagen, dass dieses Buch in keiner Weise ein lehramtlicher Akt ist, sondern einzig Ausdruck meines persönlichen Suchens ‚nach dem Angesicht des Herrn‘ (vgl. Psalm 27,8). Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen. Ich bitte die Leserinnen und Leser nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt“ (S. 22). Und dennoch scheint es von höchster Dringlichkeit zu sein, dass das Grundanliegen des Buches tatsächlich eine lehramtliche Form erhält und zu einem verbindlichen Fundament für die Erneuerung der Theologie und des kirchlichen Lebens wird. Benedikt XVI. könnte die Form einer Enzyklika wählen, wie es sein Vorgänger gerne getan hat. Doch legt sich angesichts der derzeitigen Bischofssynode über das „Wort Gottes“ das Abschlussdokument nahe, das der Papst nach solchen Synoden jeweils als allgemein gültiges Ergebnis vorlegt. Und er hat bereits begründete Hoffnungen geweckt, dass er dieses Synodenereignis tatsächlich dazu nützen will, den Ansatz seines Buchs lehramtlich zu verankern. Außerplanmäßig ergriff er bei der Bischofssynode das Wort und forderte eine Auslegung der Bibel, die eine Hermeneutik des Glaubens ermögliche und sich nicht auf eine säkularisierte Hermeneutik beschränke. Dazu müsse der Graben zwischen wissenschaftlicher Exegese und geistlicher Bibellesung überwunden werden. Und wie in seinem Buch „Jesus von Nazareth“ betonte er, dass die Heilsgeschichte wahre Geschichte sei, die zwar mit historischen Mitteln zu studieren sei, aber gleichzeitig auf der Ebene des Glaubens interpretiert werden müsse.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2008
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Die „sakramentale Dimension“ des Jakobuswegs

„Auf dem Weg ist Gott den Pilgern sehr nahe“, so drückte sich wiederholt der berühmt gewordene Pfarrer von San Juan de Ortega aus, der über 30 Jahre lang die durchziehenden Wallfahrer betreute. Er kam ständig mit der übernatürlichen Gnade in Berührung, mit der die Pilger auf ihrem Weg beschenkt wurden. Thomas Maria Rimmel versucht diese Wirkung des Jakobuswegs zu deuten und sieht in seiner „sakramentalen Dimension“ auch die konkrete Bedeutung, dass sich im Rahmen einer Jakobuswallfahrt viele Fernstehende für den Empfang der Sakramente öffnen (Jakobusweg, Folge 5).

Von Thomas Maria Rimmel

Teilhabe am göttlichen Leben

Der Mensch ist zur Vergöttlichung berufen, so haben es die griechischen Kirchenväter formuliert. Wir sind dazu geschaffen, immer größeren Anteil am göttlichen Leben zu erlangen. Die Teilhabe am Leben Gottes hat verschiedene Namen: es ist die Gnade, die göttliche Liebe, es ist der Heilige Geist, das Geschenk Gottes in Person. Wie aber kann der Mensch schon hier auf Erden am göttlichen Leben Anteil erhalten? Gott geht dabei ganz auf die menschliche Natur ein. Der Mensch ist gekennzeichnet durch seine Leiblichkeit, das heißt durch die Verbindung von geistiger und materieller Wirklichkeit. Aus diesem Grund geschieht die Mitteilung des göttlichen Lebens an die menschliche Person immer auf einem „sakramentalen“ Weg. Gott nützt einen „leiblichen“, sinnlich erfahrbaren Vorgang als Weg, um auf ihm dem menschlichen Geschöpf seine unsichtbaren Güter mitzuteilen.

Die sieben Sakramente der Kirche

Wir kennen dies von den sieben Sakramenten: Grundlage eines jeden von ihnen ist ein wahrnehmbarer Vorgang, bestehend aus einem Zeichen und einem Wort. Durch diese sakramentale Handlung begegnet Jesus dem Empfänger und teilt ihm sein Leben mit. So ist es bei der Taufe das Übergießen mit Wasser verbunden mit der Taufformel, durch das die Fülle des göttlichen Lebens im Menschen überhaupt seinen Anfang nimmt. Die Zeichen, die Gott verwendet, sind von Jesus selbst ausgewählt und gestiftet worden. Sie sind Zeichenhandlungen, die an ganz konkrete Lebenssituationen erinnern. Gleichzeitig wirken sie „ex opere operato“, also kraft der vollzogenen Handlung und nicht aufgrund der Heiligkeit bzw. Gerechtigkeit des Spenders oder Empfängers. Was die Fruchtbarkeit des Sakraments betrifft, so hängt sie allerdings von der Disposition des Empfängers ab, also inwieweit sich dieser persönlich für die vom Herrn verheißene Gnade öffnet.

Die sakramentale Dimension der Schöpfung

Über die sieben Sakramente hinaus wendet sich Gott dem Menschen auf vielfältige Weise zu. Papst Johannes Paul II. erinnerte daran, dass diese Zuwendung im Grunde genommen immer einer sakramentalen Struktur folgt. So hob er die sakramentale Dimension der ganzen Schöpfung hervor. Im Rahmen seiner berühmten Mittwochskatechesen über die „Theologie des Leibes“ arbeitete er heraus, wie Gott nach der ursprünglichen Schöpfungsordnung dem Kind durch die eheliche Vereinigung von Vater und Mutter bereits die Fülle seines göttlichen Lebens mit auf den Weg gegeben hätte. Ähnlich wie Gott im Anschluss an das Erlösungswerk Christi dem Menschen nun im Sakrament der Taufe Anteil am göttlichen Leben verleiht, hätte er in der unverdorbenen Welt die eheliche Verbindung von Mann und Frau als sakramentales Zeichen für die Vermittlung der „Ursprungsgnade“ verwendet. Johannes Paul II. spricht hier vom „Ursakrament der Schöpfung“. Obwohl wir durch den Sündenfall die ursprüngliche Ordnung verloren haben, behält die Welt im Blick auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch ihren sakramentalen Charakter bei. Gott nützt einerseits immer sinnlich wahrnehmbare, leibliche, materielle Vorgänge und Zeichen, um sich mit dem Menschen in Verbindung zu setzen, andererseits besitzt gerade deshalb die gesamte Schöpfung sakramentalen Charakter. Gott hat den gesamten Kosmos mit all seinen Schönheiten um des Menschen willen erschaffen. In dem Maß, als der Mensch die sichtbare Welt als ein solches Geschenk des Schöpfers versteht und dankbar annimmt, kann sich Gott darin mit seiner väterlichen Liebe dem Menschen zuwenden. Das bewusste Tischgebet beispielsweise macht den Genuss der Gaben zu einem sakramentalen Vorgang, ebenso kann es das dankbare Staunen über eine schöne Blume, einen herrlichen See oder eine reizende Bergwelt sein.

Die gnadenhafte Wirkung des Jakobuswegs

In diesem Licht dürfen wir auch den Jakobusweg betrachten. Das Pilgern ist ein zeichenhafter Vorgang, den Gott für sein Wirken verwenden kann. Schon die Tatsache, dass sich ein Pilger auf den Weg macht, gibt Gott die Möglichkeit, sich ihm zuzuwenden. Auf der Wallfahrt öffnet er ihm nach und nach die Augen für den Sinn des Lebens und beginnt es auf neue Bahnen zu lenken. Die Zuwendung Gottes kann in dem Maß erfolgen, als der Pilger tatsächlich im Glauben, im Geist Jesu Christi unterwegs ist. Und in besonderer Weise erfüllt sich auf einer solchen Wallfahrt die Verheißung: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Der alte Pfarrer von San Juan de Ortega, Don José Maria, der über 30 Jahre für die Pilger da war, sprach immer wieder die Überzeugung aus: „Auf dem Weg ist Gott den Pilgern sehr nahe.“ Man kann in dieser Gnade die „sakramentale Dimension“ des Jakobusweges erblicken. Und Don José Maria fügte hinzu: „Gott hat jeden einzelnen Pilger durch eine Inspiration auf den Weg gerufen.“ Niemand pilgert also nur zufällig nach Santiago de Compostela. Jeder hat seine Inspiration. In dem Wort „Inspiration“ steckt das lateinische Wort für „Geist“. Der Heilige Geist wirkt also bei den Pilgern wie auch bei jenen, die sich um die Pilger kümmern.

Fernstehende öffnen ihr Herz

Unweit von Santo Domingo de la Calzada befindet sich das Dorf Granón. Dort setzte ich mich zum Abendessen in eine Bar, in der ich etwa ein Dutzend Pilger antraf. Neben mir nahm eine Deutsche Platz, eine Polizistin aus dem Schwabenland. Ihr ganzes Leben sei sie auf Karriere ausgerichtet gewesen, dabei aber krank und schlussendlich für eine bestimmte Zeit dienstunfähig geworden. Sie habe sich auf den Jakobusweg gemacht, um ihr Leben neu zu bedenken. Und dann erzählte sie mir, wie der Jakobusweg auf sie wirke. Obwohl sie aus der katholischen Kirche ausgetreten sei, habe sie auf dem Weg begonnen, in das eine oder andere Gotteshaus zu gehen, um zu beten. Sie spüre nun, dass – was die Kirche betrifft – für sie die Zeit gekommen sei, umzudenken. Als ich dann zur Abendmesse ging, schloss sie sich umgehend an.

Der junge Pfarrer von Granón, Don Patzi (der baskische Name für Franz Xaver) erzählte mir, vor Jahren habe er als Student eine Zeitlang freiwillig als Obdachloser gelebt – in Brooklin. Es sei sehr hart gewesen. Damals habe er erfahren, wie man als armer Mensch auf die Leute wirke. Auch die Pfarrer hätten keine Zeit für ihn gehabt. Die Erfahrung, kein Geld zu haben, kein Dach über dem Kopf, betteln zu müssen, abgewiesen zu werden, auf der Straße zu schlafen, habe ihn verändert. Deshalb gebe es in seiner Pilgerherberge keinen Stempel. Jeder sei in seiner Kirche und in seiner Herberge willkommen; nicht nur die Pilger mit einem Ausweis, auch die Obdachlosen könnten hier übernachten und essen. Mit Don Patzi und einer Kirche voller Menschen – Pilger sowie viele Leute aus dem Dorf – feierte ich die Hl. Messe. Am Ende holte er die Wallfahrer nach vorne und erklärte ihnen, wie wichtig sie für die Erneuerung der Kirche seien. Er bat sie, für ihn und seine Pfarrei zu beten. Dann segnete er alle.

Manch einem Pilger kamen die Tränen, auch die Polizistin aus dem Schwabenland schien sichtlich gerührt zu sein. Unter den Jakobuspilgern ist es Brauch, einen Stein mit auf den Weg zu nehmen. Die Beamtin erklärte mir, vor einigen Wochen sei eine ihrer Kolleginnen hinterrücks erschossen worden. Bei der Beerdigung lagen kleine Steine bereit, welche die Kollegen auf den Sarg der toten Polizistin gelegt hätten. Sie habe ihren Stein nicht abgelegt, sondern mit auf den Jakobusweg genommen. Sie gehe für ihre ermordete Kollegin. Auch darin kam ihre besondere „Inspiration“ zum Vorschein.

Vom Wanderer zum Pilger werden

Eine dritte Aussage des alten Pfarrers von San Juan de Ortega lautet: „Der Weg ist ein Teil des Planes Gottes, die Menschen zu retten.“ Beim Weltjugendtag in Tschenstochau 1991 begrüßte Papst Johannes Paul II. die jugendlichen Pilger mit dem Hinweis, sie seien zum Teil von sehr weit hergekommen. Er verstehe dies nicht nur geographisch, so betonte er, sondern auch im geistlichen Sinn. Viele seien weit entfernt von Christus und von der Kirche. Auf dem Jakobusweg ist dies nicht anders. Viele Pilger kommen auch innerlich von weit her.

So haben die Spanier für die Wallfahrer die Bezeichnung „turigrino“ kreiert. Sie setzt sich aus „Tourist“ – „el turista“ und „Pilger“ – „el peregrino“ zusammen. Nicht alle sind echte Pilger. Viele sind einfach neugierig oder suchen einen alternativen Urlaub zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Die meisten fühlen sich weder als Touristen, noch möchten sie „Pilger“ genannt werden. Genau darin aber verbirgt sich auch das Geheimnis, das zum pastoralen Erfolg des Jakobusweges führt. Denn die Hemmschwelle, sich auf den Weg zu machen, ist – was das Religiöse betrifft – relativ niedrig und viele fühlen sich gerade deshalb angezogen. Darin besteht die große Chance: „Wenn nämlich der gute Wille da ist, dann ist jeder willkommen mit dem, was er hat, und man fragt nicht nach dem, was er nicht hat“ (2 Kor 8,12). Die Pilger gehen den Weg und sicherlich prägen sie ihn auch. Aber dieser uralte Pilgerweg prägt umgekehrt auch die Pilger. So mancher, der sich auf den Jakobusweg gemacht hat, sagt im Nachhinein: „Ich bin als Wanderer aufgebrochen und als Pilger angekommen!"[1]

Auf dem Weg begegnete ich einem Japaner, der für eine spanisch-japanische Kulturvereinigung arbeitet. Er verfasst Artikel und hält Vorträge, um Japanern die Inhalte der abendländischen Kultur zu vermitteln. Von seinem Arbeitgeber hatte er den Auftrag erhalten, über den Jakobusweg zu schreiben. So pilgerte er von Burgos nach Sahagun und war wohl der Einzige, der dafür bezahlt wurde. Er gehört überhaupt keiner Religion an, war aber vom Jakobusweg fasziniert. Er spüre, von diesem Pilgerweg gehe etwas aus, was er nicht in Worte fassen könne. Und das machte ihm am meisten zu schaffen: Denn seine Aufgabe bestand gerade darin, das Besondere der Jakobuswallfahrt durch seinen Bericht zum Ausdruck zu bringen. Jedenfalls, so sagte er mir, wolle er unbedingt wieder hierher zurückkommen.

„Den Blick auf Jerusalem gerichtet“

Jede Pilgerreise ist ein Weg, der ein Ziel hat. Im Fall von Santiago de Compostela ist es das Grab des hl. Apostels Jakobus. Die Pilger spüren aber auch, dass es nicht nur um den Weg geht, auf dem sie sich gerade befinden, sondern dass unser ganzes Leben einem Weg gleicht. Und sie fragen sich unweigerlich: Was ist eigentlich das Ziel meines Lebens? Viele öffnen sich für die Wahrheit: Das letzte Ziel ist die Gemeinschaft mit Gott, zu der auch ich einst gerufen bin. Ständig durfte ich erleben, wie Pilger nachdenklich wurden und zu beten begannen.

Im Lukasevangelium heißt es, Jesus sei auf dem Weg gewesen, „sein Gesicht nach Jerusalem gerichtet“ (Lk 9,51ff.). Wir alle sollten auf dem Weg unseres Lebens unser „Gesicht auf Jerusalem richten“, d.h. unterwegs sein mit dem Blick auf unser endgültiges Jerusalem, auf den Himmel. Pilgern heißt, sich für das letzte Ziel öffnen und dafür die notwendigen Gnaden empfangen. Jede Wallfahrt hilft uns, die Ewigkeit bewusst in den Blick zu nehmen und einen neuen Schritt auf die eigentliche Erfüllung unseres Lebens zuzugehen. Genau das zeichnet den echten Pilger aus.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2008
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[1] M. Zentgraf (Hg.): Auf dem Jakobusweg. Pilgerbüchlein, München 2008, Vorwort.

Marianisches Europa von Gibraltar bis zum Ural

Der Beuroner Benediktinerpater Notker Hiegl OSB, der sich mit seinen Beiträgen schon mehrfach für unsere Zeitschrift engagiert hat, lässt sich von der derzeitigen Entwicklung Europas nicht beirren. Er entwirft kühne Pläne für eine zeichenhafte Vernetzung Europas von Gibraltar bis zum Ural unter dem Zeichen einer christlich-marianischen Einheit. „Europa braucht keine fremden Weltanschauungen und Götter“, das ist seine Überzeugung und so tritt er für ein furchtloses Bekenntnis zur christlichen Gestalt des europäischen Kontinents ein. In diesem Sinn plant er schon jetzt eine Wallfahrt zum Heiligtum „Unserer Lieben Frau von Europa“ in Gibraltar zum 700-jährigen Jubiläum im kommenden Jahr.

Von Notker Hiegl OSB

Am Sonntag, den 17. August 2008, versammelten sich in Gnadenweiler/Bärenthal bei Beuron auf der Höhe der Schwäbischen Alb beim Heiligtum „Maria Mutter Europas“ 5.000 Gläubige zur Feier der Aufnahme Mariens in den Himmel. Kräuterbüschel, über die ganze Wiesenanlage neben der Kapelle in Sechserreihe ausgelegt, zierten sommerlich froh auch von außen die Marien-Kapelle. In der Segnung von Kräutern und Blumen steht der Schöpfer-Gott vor uns in seiner ganzen herrlichen Schöpfung. Ihm sagen die Gläubigen Dank für all die Kräfte, Früchte und Speisen, die uns von ihm in der Natur geschenkt werden, auch für die Schönheit dieser Welt, aber ebenso für Jesu Gnadenwirken, das über die natürlichen Kräfte hinausreicht und auf die Auferstehung des Fleisches und die Vollendung der ganzen Schöpfung (vgl. Röm 8,1ff) verweist. Das Schönste aller Geschöpfe Gottes ist Maria. Natur und Übernatur, die Pracht der Blumen und Kräuter und die Schönheit Mariens vereinigen sich zum Lobpreis des Dreifaltigen, Dreieinigen Gottes.

Erster Kontakt zum Bischof von Gibraltar

Eine besondere Note erhielt der Festgottesdienst durch die einmal piano-besinnlich und dann wieder jubilierend-forte gesungenen Weisen des Gospel-Chors „Glory Fires“ aus Stetten am Kalten Markt. Die Predigt war der Re-Evangelisierung Europas gewidmet und den Signalen, welche für diese vordringliche Aufgabe von Gnadenweiler bereits ausgehen, unter anderem in den Beziehungen zu Bischof Charles Caruana in Gibraltar. Schon am 22. August 2006, dem Festtag „Maria Königin“, konnte ich Kontakt mit dem Bischof von Gibraltar aufnehmen. Durch ein Gespräch mit Seiner K. und K. Hoheit Otto von Habsburg war ich ermutigt worden, ihm von der Errichtung einer Kapelle „Maria Mutter Europas“ in der Nähe des Klosters Beuron zu berichten. Ich teilte ihm mit: „Die kommende Wallfahrts-Kapelle wird denselben Titel tragen wie Ihre Kirche in Gibraltar, nach Meinung von Otto von Habsburg, erst die zweite in ganz Europa. Mir, dem monastischen Pfarrer dieser neuen Wallfahrtsstätte, liegt viel daran, in eine ‚Geistliche Partnerschaft‘ mit Ihnen und mit Ihrer Kirche zu treten. Maria, die Mutter Europas, den Kontinent mit ihrem mütterlichen Segen überspannend, zum Schutz vor allen Gefahren, möge zur Re-Evangelisierung unseres Kontinents ihre Hilfe vom Himmel dazu geben, den Segen für Ihre Diözese, für unser Kloster, für ganz Europa.“

Unsere Liebe Frau von Europa auf Gibraltar

Die wenigsten Spanier und Engländer (spanische Halbinsel und britische Kronkolonie), geschweige die anderen Europäer, kennen „Unsere Liebe Frau von Europa“ (Our Lady of Europe), ihr Gnadenbild und ihren Wallfahrtsort in Gibraltar. Die lange und überaus turbulente Geschichte beginnt mit der mohammedanischen Invasion von Nordafrika aus im Jahre 711. Die damals siegreichen islamischen Heere, welche schon den ganzen Norden Afrikas unterworfen hatten, der ja ganzheitlich christlich gewesen war (für uns heute fast nicht mehr vorstellbar), diese siegreichen Muslime änderten nach ihrer Landung den Namen des gewaltigen Felsenmassivs von „Calpe“ zu „Gebel Tarik“ (Tariks Berge) nach ihrem Heerführer Tarik Ibn Zayib. Ihren Triumph formten sie in Stein: Sie bauten hier an der südwestlichsten Stelle Europas die erste Moschee auf dem europäischen Festland. Wir wissen ja, wie der Eroberungsdrang des Islam im Westen und im Osten Europas durch all die Jahrhunderte bis vor die Tore Wiens seine Fortsetzung fand; von Spanien aus über die Pyrenäen bis ins Kernland der Franken hinein, bis der karolingische Hausmeier Karl Martell im Jahre 732 die Araber bei Tours und Poitiers vernichtend schlug und sie wieder über die Pyrenäen zurückwarf. Hier in Spanien bauten die Mohammedaner ein blühendes Staatswesen auf mit hohen Kunstfertigkeiten. Man denke z. B. an den Löwenhof der Alhambra in Granada. Erst sechs Jahrhunderte später, im Jahre 1309, eroberte König Ferdinand IV. den Felsen Gibraltar für die Christenheit zurück. Aus Dank gegenüber Gott traf er eine bedeutsame Entscheidung: Feierlich weihte er zusammen mit der ehemaligen Moschee den gesamten Kontinent Europa der Gottesmutter Maria und stellte das Gotteshaus unter den Titel „Unsere Liebe Frau von Europa“.

Wechselvolle Geschichte dieses Gibraltar-Heiligtums

24 Jahre später eroberten die Moslems Gibraltar erneut und wandelten das Marienheiligtum wieder in eine Moschee um. Erst im Jahre 1462 gewann Ferdinands Enkel Heinrich IV. das Gebiet in einem entschlossenen Feldzug zurück. Er erneuerte die Verehrung „Unserer Lieben Frau von Europa“ und machte aus der Moschee wiederum ein Marien-Heiligtum. Nicht Allah sollte „Vater Europas“ sein, sondern „Christus ist und bleibt der Herr“ und Maria, seine jungfräuliche Mutter, ist immerwährend „die Mutter Europas“. Die Statue der Muttergottes war in diesen 129 Jahren durch die Moslems natürlich entfernt und höchstwahrscheinlich zerstört worden. Jedenfalls konnte sie nicht mehr aufgefunden werden. Heinrich IV. ließ daher eine neue Marienstatue anfertigen, die bis heute im Heiligtum „Unserer Lieben Frau von Europa“ verehrt wird. Wegen der Bedeutung Gibraltars als Brücke zwischen Europa und Afrika mussten die Bürger in den folgenden Jahrhunderten noch viele Aggressionen über sich ergehen lassen. Am schlimmsten wüteten die britischen Truppen nach den Spanischen Erbfolgekriegen: Im Jahr 1704, also auch schon wieder über 300 Jahre später, wurde Gibraltar britisch. Die Soldaten, die seit Monaten keinen Pfennig Sold mehr gesehen hatten, raubten und plünderten rund um den Felsen, zerstörten diese Wallfahrtskirche und warfen die Statue der Muttergottes ins Meer hinab. Katholische Spanier retteten die zerbrochene Statue und brachten sie ins angrenzende sichere Spanien, restaurierten sie und stellten sie in Algeciras – gegenüber von Gibraltar – auf, wo sie nun 160 Jahre bis 1864 verehrt wurde. In jenem Jahr brachte sie Bischof John Scandella erneut nach Gibraltar zurück.

Papst Johannes Paul II. und Gibraltar

Die Geschichte des Wallfahrtsortes liest sich wie das Drehbuch eines Films: Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche zu einem Warenhaus für die Armee umgewandelt. Erst 1961 wurde sie vom Militär wieder frei gegeben. Die Restaurierung erfolgte mit Unterstützung der Europäischen Union sowie der Regierung von Gibraltar und dauerte bis zum Jahr 1994. Seither kommen wieder zahlreiche Pilger zu diesem Ort des Gebetes – mit dem Blick auf das Atlasgebirge in Nordafrika. In seiner Botschaft zur Wiedereinweihung 1997 schrieb Papst Johannes Paul II.: „Das Christentum ist nicht nur Teil der europäischen Kultur, es ist die geistige Form der Europäer, sich den universalen Fragen zu stellen. ... Dieses Heiligtum wird Europa helfen, das christliche Erbe in Erinnerung zu rufen, und die Beter ermutigen, die Zukunft Europas auf dieses solide Fundament zu stellen.“ Bischof Charles Caruana, der weder der spanischen noch der englischen Bischofskonferenz zugeordnet, sondern direkt dem Vatikan unterstellt ist, bestätigte: „Viele spanische Besucher kommen hierher und beten an diesem Marienwallfahrtsort.“ An die Seite dieser Wallfahrtsstätte in Gibraltar ist nun das Gnadenweiler Heiligtum getreten – mit derselben Intention: dass in unserer Zeit mit ihren zahlreichen weltanschaulichen, multikulturellen „Ismen“ die Wurzelkraft unserer europäischen Einheit nicht aus dem biblischen Kontext verloren gehe.

Wirtschaft und Kapital, nationale Vielfalt und Ideen, Wohlstand und Frieden, Arbeit und Entwicklung, Achtung und Gleichberechtigung aller in Europa sind absolut positive Werte, deren Konsens aber in der „Bergpredigt“ (Mt 5,1ff.) unseres Herrn Jesus Christus gründet. Und dies nach dem kirchlichen Grundsatz: durch Maria zu Jesus!

Briefwechsel mit Dr. Otto von Habsburg

Zum 95. Geburtstag übersandte ich dem großen Europäer Otto von Habsburg meine Glück- und Segenswünsche. Als Antwort schrieb er mir im Januar 2008: „Hochwürdiger Pater Notker, Ihre freundlichen Worte zu meinem 95. Geburtstag haben mich aufrichtig gefreut, da sie mir zeigen, dass wir auf einer Wellenlänge sind. Danke auch sehr für die Festschrift zur Einweihung der Kapelle (Maria Mutter Europas). Gerade in einem so hohen Alter, wie dasjenige, das ich erlebe, schätzt man besonders das Gefühl der Gemeinschaft, das man in den Fährnissen eines langen Lebens erfahren durfte. Das gilt nicht nur für Personen, sondern auch für Nationen, die viel gelitten haben – nicht zuletzt jene, die nunmehr der Europäischen Union angehören, wie Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Es gilt aber auch für jene Staaten und Nationen, denen das Recht auf Europa noch immer vorenthalten wird, wie Kroatien, Mazedonien, den Kosovo oder die Ukraine. Wir dürfen nicht vergessen: Paneuropa ist ganz Europa! Ich kann auf dieses Zeichen der Freundschaft nur damit antworten, dass ich versichere: Sie können auf mich und nicht zuletzt auf die Meinen zählen, solange uns Gott Leben und Kraft gibt, denn es gilt: Treue um Treue! In Verbundenheit Otto von Habsburg.“

Bereits am 18. Februar erhielt ich von ihm einen weiteren Brief: „Euer Hochwürden, lieber Pater Notker, vielen herzlichen Dank für Ihren Brief sowie für die Zeitungsartikel, die mich soeben erreicht haben. Ich bin froh, aus diesen zu ersehen, dass die Arbeit Fortschritte macht, denn ich bin der Ansicht, dass der Gedanke Europa von christlicher Seite und insbesondere als ein Heiligtum, das ja mehr als alle möglichen Schlagworte die Wahrheit dieses Europa ausspricht, nicht nur am Leben, sondern in voller Weiterentwicklung ist. Ich wünsche Ihnen Gottes reichsten Segen in Ihrem Bestreben und weitere schöne Erfolge für unser christliches Europa. Mit herzlichsten Grüßen Otto von Habsburg.“

Schreiben aus dem Bischofshaus in Gibraltar

Am 3. Juni 2008 bestätigte Bischof Caruana die Verbundenheit mit unserem Heiligtum. In seinem in englischer Sprache verfassten „Partnerschaftsbrief“ informiert er zunächst darüber, dass sich seine Diözese auf die 700-Jahrfeier der Begründung der Verehrung „Unserer Lieben Frau von Europa“ im kommenden Jahr 2009 vorbereite. Er habe ein eigenes Dekret aus Rom erhalten, das diesem Anlass gewidmet ist und allen, die während dieses Jahres das Heiligtum besuchen, einen Vollkommenen Ablass gewährt. Außerdem bittet der Bischof, Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit Otto von Habsburg, der das Heiligtum bereits besucht habe, über die großen bevorstehenden Ereignisse zu informieren. Schließlich schreibt er wörtlich: „Auch ich bin daran interessiert, eine geistliche Partnerschaft mit Ihrer neuen Pilgerstätte in Europa zu errichten.“

Antwort an den Bischof von Gibraltar

Am 24. Juni 2008 sandte mir Dr. Otto von Habsburg folgende Zeilen: „Haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihren Brief vom 15. Juni und für die Zusendung des Schreibens von Bischof Caruana, dem ich mit gleicher Post geschrieben habe. Ich freue mich sehr über die Entscheidung des Heiligen Vaters bezüglich der Kapelle ‚Our Lady of Europe‘. Ihnen Gottes reichsten Segen in Ihren Bestrebungen wünschend, mit herzlichen Grüßen“. Auch ich schrieb dem Bischof Caruana und dankte ihm ganz herzlich für seine Zuschrift vom 3. Juni. „Die Freude war übergroß“, ließ ich ihn wissen und kündigte an, dass wir zum 700. Jubiläum des Heiligtums „Unserer Lieben Frau von Europa“ gerne mit einer kleinen Delegation des Freundeskreises der hiesigen Kapelle „Maria Mutter Europas“ nach Gibraltar kommen würden, um die „spirituelle Partnerschaft“ zwischen beiden Heiligtümern und deren Verehrern offiziell zu begründen bzw. zu besiegeln. Umgekehrt sprach ich die Einladung aus: „Natürlich sind Sie, Exzellenz, bei uns im Kloster Beuron herzlich willkommen, damit wir Sie auch hier als Zelebranten in der Kapelle „Maria Mutter Europas“ einmal begrüßen könnten, zur christlich-marianischen Vernetzung Europas. Gäste im ersten Jahr der Kapelle waren bereits S. Em. Walter Kardinal Kasper aus Rom, S. Ex. Bischof Dr. Viktor Josef Dammertz OSB aus Augsburg, S. Ex. Bischof Marcel Herriot aus Soissons bei Paris und S. Ex. Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ...“

Marianische Vernetzung auch nach dem Osten

Sollte die Wallfahrt zum 700-jährigen Jubiläum nach Gibraltar, dem südwestlichsten Punkt Europas, zustande kommen, möchte ich Bischof Charles Caruana eine weitere marianisch-europäische Vernetzung vorschlagen. Ich denke an eine gemeinsame Aktion der Kirche „Unserer Lieben Frau von Europa“ in Gibraltar und der Kapelle „Maria Mutter Europas“ auf dem Gnadenweiler hier in Mitteleuropa weit nach dem Osten Europas hin, so dass „Mariens Mantel“ über ganz Europa von Ost nach West, von West nach Ost ausgebreitet würde. Dazu sollte also auch im Osten wie in der Mitte und im Westen Europas eine Andachtsstätte in dieser besonderen marianisch-europäischen Intention errichtet werden. Europa soll christlich-marianisch geprägt bleiben und nichts anderes! Unter vielen Möglichkeiten könnte ich mir gut eine organisatorische und personelle Vernetzung über die Zeitschrift Kirche heute aus Altötting mit Pfr. Erich Maria Fink vorstellen, der bereits im Osten wirkt. Die drei Heiligtümer wären vergleichbar mit „drei Brückenpfeilern“, welche gleichsam eine Europa-Brücke zu Jesus und Maria emporheben würden. Zu diesem Versuch einer zeichenhaften Vernetzung Europas fällt mir ein Lied ein, welches die Kinder gerne im Gottesdienst singen:

„Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich, still und leise, und ist er noch so klein, er zieht doch weite Kreise. Wo Gottes große Liebe in einen Menschen fällt, da wirkt sie fort in Tat und Wort hinaus in unsre Welt. Ein Funke, kaum zu sehn, entfacht doch helle Flammen, und die im Dunkeln stehn, die ruft der Schein zusammen. Wo Gottes große Liebe in einem Menschen brennt, da wird die Welt vom Licht erhellt, da bleibt nichts, was uns trennt.“

Möge Pan-Europa ein christlich-marianisches Europa sein!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Pastorale Fortbildung für Beichtväter

Vom 16. bis 19. Februar 2009 findet in der Diözese Augsburg eine Pastorale Fortbildung für Beichtväter statt. Auf Initiative der Apostolischen Pönitentiarie in Rom wird ein solcher Kurs erstmals für Priester und Seminaristen aus dem deutschsprachigen Raum angeboten. Diözesanbischof Dr. Walter Mixa, der selbst an der Schulung mitwirken wird, hat das Programm als freiwilliges Angebot der offiziellen Priesterfortbildung im Amtsblatt seiner Diözese veröffentlicht. Die Apostolische Pönitentiarie wird durch Offizial Dr. Carlos Encina Commentz vertreten sein.

Von Carlos Encina Commentz, Rom

Seit den 90er Jahren bietet die Apostolische Pönitentiarie jährlich einen Kurs über das sog. Forum Internum an. Er ist für Beichtväter bzw. zukünftige Beichtväter gedacht und steht deshalb allen Priestern und Priesteramtskandidaten vor der Weihe offen. Die Schulung, die im historischen Palazzo della Cancelleria in Rom stattfindet, dauert jeweils eine Woche und besteht aus Vorträgen, die ausschließlich nachmittags gehalten werden. Am Ende des Kurses werden die Teilnehmer gewöhnlich zu einer Privataudienz beim Hl. Vater eingeladen.

Anfangs war die Teilnehmerzahl bescheiden, doch im Lauf der Jahre ist sie deutlich gestiegen. Heuer haben über 700 Priester und Priesteramtkandidaten die Veranstaltung besucht.

Worin besteht das Interesse an einem solchen Kurs? Ich denke, jeder Priester hat den Wunsch, der Kirche wirklich gut zu dienen. Wenn ein Priester ein guter Hirte sein möchte, muss er ein „Licht“ für die Gläubigen sein. Als Priester tragen wir eine große Verantwortung dafür, den Menschen zu helfen und ihnen die Wahrheit aufzuzeigen. Nur die Wahrheit befreit den Menschen (vgl. Joh 8,32).

Als Priester wird man immer häufiger mit Problemfällen oder komplizierten Situationen konfrontiert. Gerade im Zusammenhang mit dem Bußsakrament begegnet man Fragen, auf die man durch die Ausbildung im Priesterseminar oder an der Theologischen Fakultät nicht immer ausführlich genug vorbereitet worden ist. Solche Fragen können z.B. lauten: Darf ein Beichtvater von sog. reservierten Zensuren lossprechen? Was macht man im Fall einer Hostienschändung, bei einer Verletzung des Beichtgeheimnisses oder einer Absolution eines Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot? Wie legt man einen Rekurs bei der Apostolischen Pönitentiarie ein? Welchen Inhalt soll ein Rekurs haben? Wie bekommt man eine Dispens von einer Irregularität? Ist es möglich, eine ungültige Ehe im Forum Internum zu sanieren? Kann man eine Reduktion der Messpflichten vom Heiligen Stuhl erhalten? Ist in gewissen Fällen eine bestimmte ärztliche Behandlung nach der Lehre der Kirche erlaubt oder nicht? Wann ist es gestattet, eine allgemeine Lossprechung zu erteilen? Eine geeignete Fortbildung kann für den richtigen Umgang mit Fragen, die im Forum Intermum behandelt werden müssen, sehr hilfreich sein.

Die Apostolische Pönitentiarie ist heute das älteste Dikasterium der römischen Kurie. Sie ist für das Forum Internum zuständig und sieht ihre Aufgabe darin, den Beichtvätern und Pönitenten zu dienen. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Versöhnung des Sünders mit Gott und seiner Kirche.

Allerdings ist es für Priester oder Seminaristen aus den verschiedenen Ländern nicht ganz einfach, eigens nach Rom zu kommen, um an einem solchen Kurs über das Forum Internum teilzunehmen. Aus diesem Grund laden manche Bischöfe oder Episkopate Mitarbeiter der Apostolischen Pönitentiarie in ihre Länder ein, um Vorträge über dieses Thema zu halten. Solche Veranstaltungen, welche im Rahmen der Fortbildung für Priester durchgeführt werden, sind in den nächsten Monaten u.a. in Madrid, Krakau, Panama und Paraguay geplant.

Derselbe Gedanke liegt nun auch einem Kurs zugrunde, der erstmals in Deutschland angeboten wird. Vom 16. bis 19. Februar 2009 wird in der Diözese Augsburg an der Gebetstätte Wigratzbad eine Pastorale Fortbildung für Beichtväter stattfinden, zu der alle Priester und Priesteramtskandidaten ganz herzlich eingeladen sind.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2008
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

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