Paulus – Weihnachten pur

Liebe Leserinnen und Leser von Kirche heute! „Weihnachten pur“ – so könnte man das, was der hl. Paulus über Weihnachten schreibt, betiteln. Direkt geht der Völkerapostel überhaupt nicht auf Weihnachten ein. Was man aus seinen Briefen auf Weihnachten beziehen kann, ist wenig und in anderen Zusammenhängen geschrieben. Dennoch lohnt es sich, im Paulusjahr 2008/2009 einmal über Weihnachten in den Paulusbriefen nachzudenken.

Von Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg

Auf den ersten Blick scheint Weihnachten bei Paulus nicht vorzukommen. Nach längerem Suchen und Nachdenken stellt man aber fest, dass der älteste Text des Neuen Testamentes, der über Weihnachten spricht, von Paulus geschrieben wurde. Er findet sich im Galaterbrief, der im Jahr 53 nach Christus verfasst wurde. Er besteht aus einem einzigen Satz, der lautet: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4-5).

Die Liturgie versteht diesen Text als „Weihnachtsbotschaft“. Sie zitiert ihn zweimal. Am Weihnachtsfest wird er in der 1. Vesper des „Hochfestes der Geburt Christi“ als Kurzlesung und am Oktavtag von Weihnachten, am 1. Januar, dem „Hochfest der Gottesmutter Maria“, in der Zweiten Lesung der Heiligen Messe verkündet.

Weihnachten ohne Weihnachtliches?

Dem Text aus dem Galaterbrief fehlt alles Weihnachtliche, wie wir es kennen und uns vorstellen. Er spricht nicht von der beschwerlichen Reise der hochschwangeren Gottesmutter und Josefs von Nazaret nach Bethlehem wegen der Volkszählung des Augustus; er kennt keine Herbergssuche; er weiß nichts von der Geburt im Stall; er berichtet auch nicht von Engeln, die auf den Fluren Bethlehems verkünden: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden“; er erwähnt keinen Besuch der Hirten im Stall und ebenso wenig einen von Königen oder Weisen aus dem Morgenland.

Die Schriftstelle aus dem Galaterbrief des Völkerapostels ist strohtrocken und stocknüchtern. Sie enthält die Weihnachtsbotschaft pur: Gott sandte seinen Sohn; er wurde geboren von einer Frau, damit wir die Sohnschaft erlangen. Das ist alles, was Paulus zur Ankunft Jesu Christi in unsere Welt zu sagen hat. Aber dieser eine Satz hat es in sich, er drückt alles aus, was zu Weihnachten zu sagen ist.

Ähnlich kurz und bündig wie bei Paulus finden wir die Weihnachtsbotschaft auch im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Wir bekennen in ihm: „Und (ich glaube) an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“ Das Große Glaubensbekenntnis schickt dem eben zitierten Text voraus: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen.“

Die Weihnachtsbotschaft des Paulus ist auf der einen Seite sehr nüchtern, auf der anderen Seite lenkt aber auch nichts vom Kern von Weihnachten ab. Denn darum geht es in Bethlehem: Gott wird Mensch, damit wir Töchter und Söhne Gottes werden.

Sohnschaft nicht Kindschaft – Weihnachten für Erwachsene

Paulus verwendet in seiner Weihnachtsbotschaft nicht den Begriff „Kindschaft“ oder „Kinder Gottes“. Wir sollen durch den Sohn Gottes, der Mensch wurde, Söhne und Töchter, Erwachsene vor Gott werden. Anders als für viele von uns ist für Paulus Weihnachten nicht das Fest der Kinder, sondern der Erwachsenen. Die Verniedlichung oder Verkitschung, wozu die Weihnachtsberichte aus dem Lukas- und auch Matthäusevangelium oft missbraucht werden, liegen ihm fern. Weihnachten ist in den Paulusbriefen ein Fest für gestandene Frauen und Männer. Es ist das Ereignis, durch das Gott die Menschen von Sünde und Schuld befreit und sie aus dem Tod zum neuen Leben beruft. Nach Paulus macht uns Weihnachten zu Erwachsenen vor Gott, voreinander und füreinander.

Betrachten Sie einmal Weihnachten so: Weihnachten als das Fest, das Gott den Erwachsenen bereitet, die aber ihre Kinder daran teilhaben lassen sollen und nicht als das Fest, das die Erwachsenen den Kindern bereiten. Dadurch wird deutlich, dass Gott die Hauptrolle an Weihnachten zukommt. Er veranstaltet das Fest. Er sendet seinen Sohn, er holt uns aus der Ferne in seine Nähe, er besiegt den Tod und gibt uns Teil an seinem Leben. Er schenkt uns die Sohnschaft. Jesus Christus lässt uns Erwachsene vor dem großen Gott werden. So sieht Paulus Weihnachten!

Weihnachten – Beginn der Verherrlichung durch Kreuz und Auferstehung

Einen zweiten Text in den Paulusbriefen kann man als Weihnachtsbotschaft verstehen. Auch er spricht nicht direkt von Weihnachten und ist in einem anderen Zusammenhang geschrieben: Röm 8,28-30. Das achte Kapitel des Römerbriefes ist das „Geist- und Hoffnungskapitel“ des Römerbriefes. Paulus legt in ihm dar, was der Heilige Geist wirkt. Vor allem schenkt er allen Menschen, aber auch der ganzen Schöpfung, Hoffnung auf das „Offenbarwerden der Söhne Gottes“ am Ende der Zeiten (vgl. Röm 8,29). In diesem Kapitel findet sich der Text: „Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt, bei denen, die nach seinem ewigen Plan berufen sind; denn alle, die er im Voraus erkannt hat, hat er auch im Voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei“ (Röm 8,28-29). Bereits der Begriff „Erstgeborener“ erinnert an den Weihnachtsbericht im Lukasevangelium. Dort heißt es: „Als sie dort waren (in Bethlehem), kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen“ (Lk 2,6-7).

Aber auch die Ankündigung, dass die, die von Gott im Voraus erkannt wurden, auch dazu bestimmt sind, „an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben“, erinnert an Weihnachten. In einer der Weihnachtspräfationen heißt es: „Denn einen wunderbaren Tausch hast du vollzogen, dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir sterbliche Menschen empfangen in Christus dein göttliches Leben.“

Wie in Gal 4,4 geht es auch in Röm 8,28-30 darum, dass Gott Mensch wird, um uns an seinem göttlichen Leben Anteil zu geben, uns zu Söhnen und Töchtern Gottes zu machen. Dafür wurde Jesus Christus geboren. Deshalb wird er der Erstgeborene von vielen Brüdern und Schwestern genannt.

Der Erstgeborene wird aber für seine vielen Brüder und Schwestern den Kreuzweg antreten und für unsere Sünden am Kreuz sterben. Am dritten Tag wird er auferstehen, damit er uns das Leben in Herrlichkeit geben kann.

Die Weihnachtsbotschaft des Paulus muss mit seiner Verkündigung des Kreuzes und der Auferstehung gesehen werden. Weihnachten ist der Beginn der Verherrlichung, die am Kreuz und durch die Auferstehung vollendet wird. Damit wir neu geboren werden und „in Christus sind“, wird der Sohn Gottes Mensch; am Kreuz tilgt er unsere Schuld und erhebt uns in seiner Auferweckung zum neuen Leben. Deshalb schließt die „Weihnachtsbotschaft des Römerbriefes“ mit dem Satz: „Die aber, die er vorausbestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht“ (Röm 8,30).

Weihnachten – ein Fest mit Folgen

Weihnachten soll nach Paulus Folgen haben. Wenn wir Erwachsene vor Gott sind, dann bedeutet das, dass wir Partner Gottes sein sollen. Er schenkt uns die Freiheit, ihm furchtlos zu dienen, „in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinem Angesicht all unsere Tage“ (Lobgesang des Zacharias). Erwachsene Partner Gottes zu sein, fordert, die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, die an Weihnachten erschienen ist, zu leben und weiterzugeben. Im „Pastoralbrief an Titus“, der unter dem Namen des hl. Paulus überliefert ist, kommt der Satz vor, den wir an Weihnachten in der Zweiten Lesung der „Messe am Morgen“, der so genannten „Hirtenmesse“, hören: „Erschienen ist uns die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters“ (vgl. Tit 3,4). Sie dürfen wir erfahren, daraus dürfen wir leben und diese sollen wir einander zeigen, auch und besonders unseren Kindern und Jugendlichen! Im gleichen Brief an Titus wird gefordert, dass die, denen die Gnade Gottes erschienen ist, … besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben … und voll Eifer danach streben sollen, das Gute zu tun (vgl. Tit 2,11-14). Dieser Text wird in der Zweiten Lesung der Heiligen Nacht zu Gehör gebracht.

Die Menschenfreundlichkeit Gottes weitergeben

Das trägt uns Paulus an Weihnachten auf! Wir sollen unsere Kinder und Jugendlichen nicht mit Geschenken, Essen, Urlaubs- oder Actionevents etc. „abspeisen“, sondern ihnen unsere persönliche Zuneigung und Liebe zuteilwerden lassen. „An Weihnachten wird Gott persönlich“, damit wir uns persönlich einander zuwenden und annehmen. Wir sollen unsere Kinder und Jugendlichen durch den Weihnachtsgottesdienst und die Gestaltung der häuslichen Weihnachtsfeier vor allem erleben lassen, dass Gott sie lieb hat. Wir dürfen sie nicht um Gott betrügen, dessen Töchter und Söhne sie sind! Wir sollen sie spüren lassen, dass sie für uns kostbare „Schätze“ sind. Was für die Kinder gilt, soll auch für die Erwachsenen, den Ehepartner, die Familienangehörigen und Nachbarn Geltung haben. Sie sollen einander die Menschenfreundlichkeit Gottes zeigen! Die Behinderten, Kranken, Gefangenen, Asylanten und alle Armen sollen an Weihnachten durch uns, die Töchter und Söhne Gottes, die Güte des Retters Christus Jesus erfahren. Für die Menschen in anderen Ländern und Kontinenten ist Gott auch an Weihnachten Mensch geworden. Mit unserem Weihnachtsopfer können wir ihnen helfen, das mehr zu erfahren und zu realisieren.

„Weihnachten bei Paulus“ zeigt uns, dass wir Töchter und Söhne Gottes sind, gerecht gemacht und verherrlicht, neue Menschen, neue Schöpfung, die dann auch entsprechend leben sollen. Paulus zu Weihnachten befragen, ist im guten Sinn ernüchternd. Er lässt nicht zu, dass Weihnachten verkitscht und zweckentfremdet wird. Er drängt, auf den Grund und zum Kern zu gehen. Lassen wir uns vom Völkerapostel in diesem Paulusjahr anregen, damit Weihnachten das Fest Gottes für uns bleibt. Weihnachten schenkt uns die „Sohnschaft“ und macht uns durch Jesus Christus zu Töchtern und Söhnen Gottes. Das bedeutet immer zugleich, dass wir miteinander und füreinander Schwestern und Brüder sind und so leben sollen.

Ihnen allen, den Töchtern und Söhnen Gottes, den Schwestern und Brüdern füreinander mit Ihren Angehörigen wünsche ich gesegnete und frohmachende Weihnachtstage. Im neuen Jahr möge Sie der Segen Gottes auf allen Ihren Wegen begleiten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Patriarch Aleksij II.

Patriarch Aleksij II. (23.2.1929 - 5.12.2008) war fast 19 Jahre lang Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus spielte er eine Schlüsselrolle bei der Neugestaltung der russischen Gesellschaft. Im Zug der Überwindung des politischen Atheismus konnte er der Kirche und dem Patriarchenamt in kürzester Zeit eine enorme öffentliche Geltung verschaffen. Seine Einflussmöglichkeiten nützte er zum Aufbau des kirchlichen Lebens wie zur friedlichen Weiterentwicklung des Landes. Die unermüdlichen Appelle zur Versöhnung kamen aus einem tiefen christlichen Verantwortungsbewusstsein für sein Volk.

Von Erich Maria Fink

Aufbau der russisch-orthodoxen Kirche

Entschlossen widmete er sich von Anfang an einem der größten Probleme der russisch-orthodoxen Kirche: die mangelhafte Ausbildung der Priester. Die bewusste Förderung von Unwissenheit unter den Geistlichen gehörte zur Strategie der damaligen Machthaber, welche die Einsetzung der Verantwortlichen der Kirche kontrollierten. Bis zum Ende der 80er Jahre waren in ganz Russland kaum noch ein Handvoll Priesterseminare übrig geblieben. Inzwischen ist ihre Zahl wieder auf 35 angestiegen.

Dafür sind gewaltige finanzielle Mittel notwendig. Die Kirche aber stand nach der Perestroika mit leeren Händen da. Oft wurde dem Patriarchen vorgeworfen, er gebe sich zu viel mit Geschäftsleuten ab und kümmere sich zu wenig um die Bereiche Jugend und Familie. Ohne die Bemühungen um Sponsoren jedoch hätte Aleksij II. seine gewaltige Arbeit nicht leisten können. Während seiner Amtszeit hat sich die Zahl der Mitglieder der russisch-orthodoxen Kirche verdreifacht und beträgt heute weit über 100 Millionen. Inzwischen gibt es viermal so viele Pfarreien als vor 20 Jahren, nämlich 27.900, und doppelt so viele Diözesen, nämlich 147. 

Der Patriarch hielt fünf Bischofskonzilien ab, die in ihrer Zielsetzung an das II. Vatikanische Konzil erinnern. Dabei wurden auch Hunderte von Märtyrern des 20. Jahrhunderts heiliggesprochen. In die Geschichte wird der Patriarch besonders aufgrund der Wiedervereinigung mit der Russischen Auslandskirche im Jahr 2007 eingehen. Interessanter Weise wurde dieser Höhepunkt bei der Beerdigung des Patriarchen von Metropolit Kyrill nicht erwähnt. Manche schreiben diesen Erfolg nicht dem Patriarchen, sondern dem ehemaligen Präsidenten Putin zu. Entscheidend war dennoch die zielstrebige Kompromissstrategie des Patriarchen. Unter diesem Zeichen stand auch sein Besuch in München nur eine Woche vor seinem Tod. Erstmals hatte er im Ausland einen gemeinsamen Gottesdienst mit der Russischen Auslandskirche gefeiert.

Verhältnis zur katholischen Kirche

Aleksij II. sah sich vielen Spannungen ausgesetzt, denen er mit Weisheit und ausgesprochenem Geschick begegnete. Im Verhältnis zwischen Staat und Kirche versuchte er, die Unabhängigkeit der Kirche zu verteidigen und gleichzeitig die Grundlage für eine verbindliche Zusammenarbeit zu schaffen. Gegenüber der Weltgemeinschaft war er bemüht, Offenheit zu zeigen und auf kirchlicher, politischer und kultureller Ebene Kontakte zu knüpfen. Im Blick auf das Ausmaß seiner Aktivitäten nannte ihn Metropolit Kyrill einen Mann von „planetarischer“ Bedeutung.

In seiner Haltung zur katholischen Kirche musste er auf den Heiligen Synod Rücksicht nehmen. Dieser ist in einen eher liberaleren und einen sehr traditionellen bzw. antikatholischen Flügel gespalten. Diese Gegensätze galt es auszugleichen. Trotzdem stellt sich die Frage, ob er dem unseligen anti-katholischen Katechismus zustimmen hätte müssen, der für die pastorale Arbeit in allen Diözesen vorgeschrieben wurde. Außerdem wagte er nicht, sich zu den ungeheuren Opfern unter den griechisch-katholischen Gläubigen zu stalinistischer Zeit in der Ukraine zu äußern. Zugleich wird er als Patriarch in Erinnerung bleiben, der sich trotz verschiedener Einladungen durch russische Präsidenten kategorisch gegen einen Papstbesuch gewehrt hat. Über 75% der Bevölkerung hatten sich schon unter Johannes Paul II. gewünscht, dass der Papst, dem die ganze Welt freudig ihre Tür geöffnet hatte, auch nach Russland komme.

Mit der Wahl eines deutschen Papstes setzte nach dem „polnischen Pontifikat“ langsam Tauwetter ein. Aleksij II. wollte sich kommendes Jahr mit Benedikt XVI. auf einer Konferenz in Baku, der Hauptstadt des muslimischen Aserbeidschans, treffen. Auch mit seiner Rede vor dem Europaparlament setzte er ein Zeichen. Er demonstrierte Einigkeit mit der katholischen Kirche in Fragen der Menschenrechte und der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Dabei hob er die Notwendigkeit der Zusammenarbeit beider Kirchen für das Wohl Europas hervor.

Der weitere Weg der ökumenischen Annäherung hängt wesentlich von der Linie des Nachfolgers ab. Auf einem Landeskonzil der russisch-orthodoxen Kirche Ende Januar 2009 soll die Wahl des neuen Patriarchen stattfinden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Krise der Katechese und ihre Überwindung

Anlässlich des Festakts zur Fertigstellung der Buchreihen „Glaube und Leben“ sowie „Ehe und Familie“ hat Domherr Christoph Casetti aus Chur am 23. November 2008 in Salzburg einen Vortrag über die „Chancen der Katechese im 21. Jahrhundert“ gehalten. Im ersten Teil seiner Ausführungen gibt er auf hervorragende Weise die Analyse wieder, mit der unser heutiger Papst bereits 1983 die Krise der Katechese beschrieben hat. Wie schon damals Joseph Kardinal Ratzinger verbindet auch Casetti damit den Versuch, einen Weg zur Überwindung dieser tief greifenden Krise aufzuzeigen. Den zweiten Teil seines Vortrags, der im engeren Sinn den Chancen der Katechese im 21. Jahrhundert gewidmet ist, veröffentlichen wir als eigenen Artikel in der nächsten Ausgabe von Kirche heute.

Von Christoph Casetti

Die Fertigstellung der Buchreihen „Glaube und Leben“ sowie „Ehe und Familie“ lädt uns ein, über die Chancen der Katechese im 21. Jahrhundert nachzudenken. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, weil es offensichtlich ist, dass die Katechese in den vergangenen Jahrzehnten in eine tiefe Krise geraten ist. 1983, also vor genau 25 Jahren, hat Kardinal Joseph Ratzinger in Frankreich eine aufrüttelnde Rede gehalten zum Thema: Die Krise der Katechese und ihre Überwindung. Die deutschsprachige Übersetzung und Herausgabe besorgte kein geringerer als der große Theologe aus meiner Heimat: Hans Urs von Balthasar.[1]

Mir scheint ein Rückblick auf diesen programmatischen Vortrag ein guter Ausgangspunkt zu sein für unser Nachdenken über die Chancen der Katechese im 21. Jahrhundert.

1. Die Krise der Katechese[2]

Die Weitergabe des Glaubens ist für die Sendung der Kirche wesentlich. Obwohl in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel Personal und Geld in die Katechese investiert worden ist, sind die Ergebnisse dieser Bemühungen eher niederschmetternd. Kaum je hatten die Kinder und Jugendlichen so viel Religionsunterricht wie in den vergangenen Jahrzehnten. Und trotzdem verlassen sie die Schule mit einem erschütternd geringen Glaubenswissen, von der entsprechenden religiösen Praxis nicht zu reden. Zwar geben sich viele Katechetinnen und Katecheten große Mühe und dies nicht nur im methodisch-didaktischen Bereich, aber dennoch hat es die Weitergabe des Glaubens heute schwer. Was sind die Gründe dafür?

Kardinal Ratzinger nannte vor 25 Jahren folgende Stichworte:

• In einer Welt, in welcher alles dem Menschen als machbar erscheint, kommt Gott nicht mehr vor. Auch die Frage nach dem Heil richtet sich wieder an das Können des Menschen.

• Die Familie als tragende soziale Grundform christlicher Kultur löst sich mehr und mehr auf.

• Die neuen Medien verstärken dieses Weltbild. Der Erfahrungshintergrund ist nicht mehr der gelebte Glaube, sondern die selbst gemachte Welt.

• Die praktische Theologie suchte neue Wege der Glaubensvermittlung, aber diese haben die Krise eher noch verschärft.

• Als schwerwiegender Fehler hat sich die Abschaffung der Katechismen erwiesen. Sie hat nämlich zu einer Fragmentierung der Glaubensaussage geführt und dadurch der Beliebigkeit Vorschub geleistet.

• Dahinter stand wohl eine didaktisch-pädagogische Entwicklung, welche durch ein Übergewicht der Methode gegenüber den Inhalten gekennzeichnet war.

• Dazu kam, dass man beim unmittelbar Eingängigen stehen blieb. Es wurde den Lernenden nur noch das zugemutet, wovon sie schon eine Erfahrung hatten. Der Einbruch des „ganz Anderen“ in die eigene Erfahrung wurde ausgeblendet.

• Die praktische Theologie verstand sich nun nicht mehr als Weiterführung und Konkretisierung der Dogmatik, sondern als ein selbständiger Maßstab.

• Dies alles führte zu einer weitgehenden anthropologischen Engführung. Das heißt: Im Mittelpunkt der Katechese steht mehr und mehr der Mensch und das dem Menschen Mögliche.

• Hinter all diesen Gründen gibt es eine Krise des Glaubens. Man wagte nicht mehr, den Glauben als organische Ganzheit zu begreifen. Man hatte kein Zutrauen mehr zum Glauben der Kirche.

• Deshalb wollte man den Glauben direkt von der Bibel her konstruieren. Dort aber begegnete man dem „garstigen Graben“ zwischen dem „historischen Jesus“ und „dem Christus des Glaubens“.[3]

Indem man die Katechese direkt von der Bibel her entwickelt, kommt man in gewisser Hinsicht Jesus näher. Aber ohne den Blick auf die Glaubenslehre der Kirche weiß man nicht mehr, wer Jesus ist. Gerade mit der historisch-kritischen Auslegung der Bibel ist Jesus mit seiner Botschaft in die Ferne der Geschichte entrückt worden. Und die Bibel selber zerfällt in eine Sammlung von Literatur. Man sucht nach den Quellen der Quelle. Die wirkliche Bibel verschwindet hinter der rekonstruierten Bibel. Hinter dem Jesus der Bibel sucht und findet man den – wie man meint – „wirklichen“ Jesus – ein Jesus, der dann nichts mehr tut und sagt, was uns nicht gefällt. Das Kreuz verweist dann nur noch auf das Scheitern eines Idealisten. Die Auferstehung ist dann nur noch ein bildhafter Ausdruck dafür, dass die „Sache Jesu“ weitergeht. Die jeweilige Sicherheit der historischen Hypothese steht über der Gewissheit des Glaubens.

Versuchen wir, das Gesagte zusammenzufassen. Der Umbruch in der Katechese der letzten Jahrzehnte hängt damit zusammen, dass man die Eigenerfahrung direkt in Bezug zur Bibel setzen wollte. Das Dogma wurde meist nicht direkt geleugnet, aber es hatte für den Inhalt der Katechese nur noch geringe Bedeutung. Aber wo die Schrift allein gelassen wird, beginnt sie, sich aufzulösen. Beim Versuch, das Vergangene zu vergegenwärtigen, wird immer mehr die eigene Erfahrung zum entscheidenden Maßstab für das, was gegenwartsfähig ist. So verschärft sich für die Weitergabe des Glaubens die Frage, wie denn der Mensch heute zum frischen Wasser der lebendigen Quelle des Glaubens kommt.

Kardinal Ratzinger zeigen sich also zwei Hauptprobleme unserer Situation, deren richtige Lösung vor allem wichtig ist:

a) Die Frage, wie sich dogmatische und historisch-kritische Schriftauslegung zueinander verhalten, und die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher Rationalität und dem menschlichen Leben in seiner Ganzheit. Und:

b) Das Verhältnis von Methode und Inhalt, von Erfahrung und Glaube. Dabei ist klar, dass Glaube ohne Erfahrung zu einer leeren Formelsprache verfallen müsste. Wo aber der Glaube auf Erfahrung reduziert wird, beraubt man ihn seines Kerns. Denn der Glaube will ja gerade unsere Erfahrungswelt überschreiten. Er will uns in das Land des noch Unerfahrenen führen, in dem erst das eigentliche Leben aufgeht.

Das also ist die Beschreibung der Krise aus der Sicht von Kardinal Ratzinger im Jahre 1983. Zur Zeit wird in der deutschsprachigen Schweiz ein Leitbild „Katechese im Kulturwandel“ diskutiert. Es wurde erarbeitet und fachlich begleitet von Experten der Katechese und Religionspädagogik. Dieses Leitbild blendet die Krise aus. Es wird lediglich gesagt, dass die Katechese wegen des aktuellen Kulturwandels wenigstens teilweise einer Neuausrichtung bedarf.

Vier Elemente dieses Kulturwandels werden genannt:

1. Der Glaube wird zunehmend als Mittel und Weg zur Selbstthematisierung und Selbstverwirklichung betrachtet. Die Katechese muss sich den Bedürfnissen der Menschen stellen.

2. Der Einfluss der Medien ist stark gewachsen. Es gilt den Lernort Medien ins Gesamt der Katechese zu integrieren.

3. Globalisierung und Pluralismus verlangen einen christlichen Glauben, der seine Identität nicht durch Abgrenzungen bewahren kann. Er wird die Wahrheit des Evangeliums im Dialog entdecken.

4. In einer globalisierten Welt zeigen sich vermehrt auch Tendenzen der Fundamentalisierung, Radikalisierung und Abschottung. „Dem ist entgegenzutreten“, heißt es lapidar in den Leitgedanken für eine Katechese im Kulturwandel.

Die Neuausrichtung wird in 12 Leitsätzen beschrieben:

1. Die Katechese muss sich ausrichten an einem lebenslangen und vernetzten Glaubenslernen.

2. Die Katechese fördert die Glaubensidentität und Dialogfähigkeit.

3. Die Glaubensbildung ist ökumenisch ausgerichtet.

4. Lernorte des Glaubens sind die Lebenswelten.

5. Ein besonderer Lebensraum für den Religionsunterricht ist die Schule.

6. Die Glaubensbildung von Erwachsenen berücksichtigt die Lebensgeschichte u. die persönliche Situation des Einzelnen.

7. Die Katechese dient der Integration von Migranten.

8. Die Sakramentenkatechese hält für die verschiedenen Adressaten unterschiedliche Angebote und Wege bereit.

9. Die Katechese verknüpft die persönliche Lebensgeschichte mit dem christlichen Glauben, sie verbindet Erfahrung und Offenbarung.

10. In der Katechese sind alle Beteiligten Lehrende und Lernende.

11. Die katechetisch Tätigen eröffnen und entwickeln die religiöse Dimension des Lebens. Ihre spirituelle Kompetenz ist vom christlichen Kontext geprägt.

12. Wer beruflich katechetisch tätig ist, ist dafür professionell ausgebildet und verfügt über eine hohe fachliche und soziale Kompetenz.

Überblicken wir diese Leitsätze, so fällt auf, dass sie eigentlich nur von methodischen und organisatorischen Anliegen sprechen. Die inhaltlichen Mängel der Katechese, welche der damalige Präfekt der Glaubenskongregation ansprach, finden keine Beachtung. Die Glaubensinhalte bleiben völlig im Ungewissen. Es ist von „christlicher Identität“, von „Vermittlung der christlichen Botschaft“ die Rede, ohne zu sagen, was damit gemeint ist. Es wird vom „Kern des Christentums“ gesprochen, ohne auszuführen, worin dieser Kern besteht. Der Begriff „Glaube“ wird durchaus verwendet, bleibt aber inhaltlich unbestimmt. Wo dann doch inhaltliche Aussagen gemacht werden, können sie geradezu falsch sein – etwa, wenn es heißt: „Die Sakramente feiern das Leben. Sie richten den Menschen auf seine Entfaltung aus, eröffnen einen Raum der Gemeinschaft und sind sichtbare Zeichen unsichtbarer Gnade“.[4] Zwar klingt noch die klassische Definition des Sakramentes an als ein Zeichen der Gnade, das bewirkt, was es bedeutet. Aber das Entscheidende, dass die Gnade in einer persönlichen Begegnung, in der Gemeinschaft mit Jesus Christus in seiner Kirche besteht, wird verschwiegen. Die vertikale Dimension ist fast ganz ausgeblendet. Es geht nur noch um die Feier des Lebens, die Entfaltung des Menschen und die Gemeinschaft. Es ist die Rede von der Offenbarung, der Bibel, der christlichen Tradition, der abendländischen Kultur und sogar vom kirchlichen Leben. Aber Gott, Jesus Christus, der Heilige Geist, die persönliche Freundschaft des Menschen mit Gott kommen nicht vor. Kurz: Das damals von Kardinal Ratzinger festgestellte Übergewicht der Methode über den Inhalt ist hier noch nicht überwunden.

2. Die Überwindung der Krise[5]

Um die Krise zu überwinden, müssen – so sagt nun wieder Kardinal Ratzinger – die genannten Probleme erkannt und angegangen werden. Hier ist zunächst einmal die Unterscheidung von Glaube und Theologie wichtig. Der Glaube ist die Vorgabe. Die Theologie hat die Aufgabe, den Glauben zu erklären. Sie darf ihn nicht durch Theorien und Hypothesen auflösen. Der Taufglaube hat das Vorrecht vor allen didaktischen und theologischen Theorien.

Was aber ist Glaube? Er ist nicht ein „Meinen“, eine Vorstufe des Wissens. Nein, er zielt vielmehr ab auf ein Lebenkönnen, das sich wirklich lohnt. Er zielt auf Erkenntnis und Liebe. Glaube ist Leben, weil er Beziehung ist. „Dies ist das ewige Leben, dass sie dich erkennen, den wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus“ (Joh 17,3). Die wesentliche Aufgabe der Katechese ist es daher, zur Erkenntnis Gottes und seines Gesandten hinzuführen. Wir können dies die vertikale Dimension nennen.

Dazu kommt ein weiterer Aspekt. Der Glaube richtet sich nicht nur auf das Du Gottes und Christi, sondern er erschließt sich in der Gemeinschaft der Glaubenden. Er hat also nicht nur ein Ich und ein Du, sondern auch ein Wir. Das ist die horizontale Dimension. Anders ausgedrückt: Glaube ohne Kirche gibt es nicht. Glaubend lasse ich mich ein auf die Gemeinschaft der Zeugen, die vom Heiligen Geist gewirkt ist. Nur so kann ich das eigene Ich überschreiten auf das Größere hin, das der Glaube mir eröffnet. Je mehr die Katechese sich vom Glauben der Kirche entfernt, desto mehr wird sie eine Theorie neben anderen, ein Können neben anderem, sie kann so nicht mehr Erlernen und Empfangen des ewigen Lebens sein.

Von hier aus können wir verstehen, dass die Bibel außerhalb der Kirche letztlich toter Buchstabe ist. Nur innerhalb des eigentlichen Offenbarungsgeschehens zwischen Gott und Mensch in der Kirche wird die Bibel zu einem Zeugnis der Offenbarung. Nur im Heute des gelebten Glaubens der Kirche können sich das Vergangene und das Zukünftige berühren, können das Erlösungswerk Christi und das erhoffte ewige Leben unser kleines Ich heute erreichen.

„Der Taufglaube hat das Vorrecht vor allen didaktischen und theologischen Theorien“. Dieser Satz muss ein Leitsatz sein für ein katechetisches Leitbild. Und ein zweiter Leitsatz müsste erläutern, was Glaube heißt: eine ganz persönliche Beziehung zum dreifaltigen Gott, zum Vater, zu Jesus Christus, seinem Sohn, und zum Heiligen Geist und ein Mitleben mit der Kirche.

3. Was bedeutet das für die Struktur der Katechese?

Es gibt vier Hauptstücke der Katechese, welche seit dem Anfang der Kirche den Eingang sowohl in die Bibel als auch in die lebendige Kirche öffnen. Wer durch die Taufe in den sakramentalen Lebensraum der Kirche eintreten wollte, musste Antwort geben können auf die Frage, was ein Christ zu glauben hat. Dies wurde zusammengefasst im Glaubensbekenntnis. Er musste Antwort geben können auf die Frage, was ein Christ zu hoffen hat. Dies kam zum Ausdruck im Vater unser. Er musste schließlich Antwort geben können auf die Frage, was ein Christ zu tun hat. Dies kam zur Sprache in der Auslegung der Gottes- und Nächstenliebe in den Zehn Geboten. Damit ist die Grundstruktur der Katechese benannt, wie sie durch alle Jahrhunderte ausgeübt wurde und sich deshalb auch in den Katechismen aller Jahrhunderte niedergeschlagen hat. Es gilt, das Geheimnis Christi zu verstehen, zu feiern, zu leben und zu betrachten.

So ist nicht einzusehen, warum man heute in vielen katechetischen Ansätzen diese einfache, theologisch und pädagogisch richtige Struktur um jeden Preis glaubt verlassen zu müssen. Die Zufälligkeit einer von aktuellen Situationen geprägten Auswahl, wie sie gegenwärtig häufig vorkommt, lässt die Schönheit des Glaubens in seiner Ganzheit, wir könnten auch sagen in seiner Katholizität, kaum noch wahrnehmen.

Kardinal Ratzinger konnte im Rahmen seines Vortrages nicht auf alle vier Hauptstücke der Katechese näher eingehen. Aber zwei inhaltliche Probleme sprach er dennoch an:

Der erste Punkt betrifft den Glauben an den Schöpfergott. Nicht selten wird heute die Schöpfungslehre vernachlässigt. So aber bleibt die materielle Welt der Physik und der Technik überlassen. Aber nur wenn das Sein selbst einschließlich der Materie aus den Händen Gottes kommt und in Gottes Händen steht, kann Gott auch wirklich unser Retter sein. Es gibt heute eine fatale Tendenz, überall dort, wo in der Botschaft des Glaubens die Materie ins Spiel kommt, auszuweichen und sich aufs Symbolische zurückzuziehen, von der Schöpfung angefangen, über die Geburt Jesu aus der Jungfrau und seine Auferstehung bis zur realen Gegenwart Christi in der Verwandlung von Brot und Wein und bis zu unserer Auferstehung und der Wiederkunft des Herrn. So ist eine entschiedene Erneuerung des Schöpfungsglaubens wichtig für das Ganze unseres Glaubens.

Der zweite Punkt betrifft die Zehn Gebote. Wo ihre Unterweisung aus der Katechese herausgenommen wird, ist sie in ihrer Grundstruktur getroffen und die Einführung in den Glauben der Kirche wird nicht wirklich vollzogen. Denn der christliche Glaube ist nicht einfach eine Weltanschauung oder eine Theorie, sondern immer auch Praxis oder eine Lebensweise, ein „Weg“, wie es schon in der Apostelgeschichte heißt.[6]

Abschließend ging der Kardinal noch einmal auf das Verhältnis von Inhalt und Methode ein. Er unterstreicht, dass es in der didaktischen Vermittlung eine große Freiheit immer gegeben hat, je nach den Umständen und den Adressaten der Katechese. Dennoch gibt es inhaltlich unverzichtbare Grundstücke der Katechese. Die Misere der neueren Katechese beruht nicht zuletzt darauf, dass man zusehends den Unterschied zwischen „Text“ und „Kommentar“ vergessen hat. Diese Unterscheidung der verschiedenen Ebenen ist außerordentlich wichtig. Sie dient einerseits der notwendigen Freiheit des Katecheten und andererseits der Sicherung des Glaubensinhaltes. Es ist nicht zu leugnen, dass in manchen Religionsbüchern der Kommentar so überhand genommen hat, dass man nicht mehr genau weiß, was er eigentlich kommentiert und ob er es überhaupt noch tut.[7]

Aus den letzten Ausführungen des damaligen Kardinals könnten wir wieder wertvolle Leitsätze für die Katechese gewinnen:

• Die klassischen vier Hauptstücke der Katechismen sind und bleiben unverzichtbar.

• Die Schöpfungslehre ist gerade heute wichtig in der Auseinandersetzung mit dem Materialismus und seiner Variation, der  ideologischen Evolutionslehre.

• Die Zehn Gebote haben eine besondere Bedeutung in einer von einem ethischen Relativismus geprägten Zeit.

• Die Unterscheidung von Text und Kommentar ist außerordentlich wichtig.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Joseph Kardinal Ratzinger: Die Krise der Katechese und ihre Überwindung, Einsiedeln 1983.
[2] J. Kard. Ratzinger, a.a.O., 13-23.
[3] J. Kard. Ratzinger, a.a.O., 7.
[4] Leitbild „Katechese im Kulturwandel“ eines Projektteams in Absprache mit der Deutsch-Schweizerischen Ordinarienkonferenz (DOK), Leitsatz 8.
[5] J. Kard. Ratzinger, a.a.O., 23-31.
[6] Vgl. Apg 16,17.
[7] J. Kard. Ratzinger, a.a.O., 59.

550 Jahre Seliger Bernhard von Baden

Vor wenigen Tagen erschien eine Broschüre von Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg, mit dem Titel „Seliger Bernhard von Baden, Predigten und Ansprachen im Bernhardsjahr 2008“.[1] Für die meisten Gläubigen war der sel. Bernhard von Baden unbekannt. Das soeben zu Ende gegangene Jubiläumsjahr brachte die Gestalt des sel. Bernhard wieder ins Bewusstsein und zeigte vor allem seine Aktualität für das zusammenwachsende Europa auf. Die Predigt zum 550. Todestag des sel. Bernhard am 15. Juli 2008 stellte Erzbischof Zollitsch unter das Thema: „Seliger Bernhard von Baden – politischer Christ und christlicher Politiker“. Angesichts der Bedrohung durch den Islam gehe es heute wie damals um die Rettung des christlichen Abendlandes, um die Zukunft Europas. Zollitsch appelliert an die Verantwortung eines jeden Einzelnen und will uns alle wachrütteln.

Von Erzbischof Robert Zollitsch, Freiburg

Kürzlich wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Untersuchung zum Thema „Demokratieentfremdung und Wahlverhalten“ veröffentlicht. Die vorgestellten Ergebnisse sind nicht nur ernüchternd, sie stimmen geradezu nachdenklich und rütteln wach – betreffen sie doch eine jede und einen jeden von uns. Jeder dritte Bundesbürger, so besagt die Studie, glaubt nicht daran, dass die „Politik in der Lage ist, die Probleme zu lösen“; nahezu die Hälfte der Befragten kann sich vorstellen, nicht vom Wahlrecht Gebrauch zu machen und den Wahlen fern zu bleiben. Ja, mehr als jeder Fünfte findet, dass unsere demokratische Gesellschaftsordnung es  nicht wert ist, für sie einzutreten. Führen uns diese Zahlen nicht zu der sehr grundsätzlichen Frage: Wofür lohnt es sich, mit unserem Leben einzutreten? Wofür sind wir bereit uns einzusetzen, uns zu engagieren, unsere Kraft und Zeit zu investieren?

Kurzes Leben voller politischer Tatkraft

In diesem Gottesdienst gedenken wir in besonderer Weise unseres Landespatrons, des seligen Markgrafen Bernhard von Baden, dessen Todestag sich heute zum 550. Mal jährt. Sein Bild ist auch auf meinem Bischofsstab zu sehen. Er, dessen Leben nur dreißig Jahre zählte, bis er von der Pest zermürbt in Oberitalien in Moncalieri starb, zeigt uns auch heute klar und deutlich, wofür einzutreten sich lohnt, wozu unser Glaube motiviert und antreibt.

Zweifellos, schon ein erster flüchtiger  Blick auf seine Biographie zeigt: Der selige Bernhard war ein engagierter Mensch, ein Mann voller Tatkraft und Gestaltungswillen. Und er war durch und durch ein politischer Mensch, er war politischer Christ und christlicher Politiker. Bernhard nahm seine politische Macht in größter Verantwortung vor Gott und den Menschen wahr. Er war ein Spross des Fürstengeschlechts der Zähringer, das im elften bis dreizehnten Jahrhundert neben den Welfen und den Staufern hier im Südwesten bis nach Burgund hohe Bedeutung hatte. Die Burg Hohenbaden im heutigen Baden-Baden wurde ihr Stammsitz. Bernhard genoss eine fundierte Ausbildung zum Ritter und Regenten. Sie führte ihn  auch für einige Jahre an den Hof Renés von Anjou nach Angers. „Sein gesunder Verstand“, so heißt es in einem Lebensbild, das vor 150 Jahren niedergeschrieben wurde, „ließ ihn, je mehr er heranwuchs, einsehen, dass er als dereinstiger Fürst und schon jetzt als Mitglied des regierenden Hauses diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben habe, welche an einen Mann dieses Standes verlangt werden“.[2] Nach und nach trägt er immer mehr Verantwortung und übernimmt zusammen mit seinem Bruder Karl die Aufgaben des Vaters.

Bedrohung des christlichen Europa durch den Islam

Doch dann ändert sich mit dem Jahr 1453 schlagartig sein Leben. Wir können uns die Zeit um den Fall der östlichen Kaiserstadt Konstantinopel und deren Eroberung durch die Osmanen eben in diesem 1453 gar nicht dramatisch genug vorstellen.  Das christliche Europa ist bedroht, viele stehen unter Schock – auch Bernhard. Doch Bernhard sieht in dieser Katastrophe zugleich die Provokation, die Herausforderung. Er findet die Aufgabe seines Lebens und bricht auf; er lässt sich als Gesandter in Dienst nehmen für Kaiser und Reich, für Europa; er bricht auf, um Fürsten und Volk wach zu rütteln, um ihnen klar zu machen, um was es geht: um die Rettung Europas. Er will zusammenführen und zusammenhalten, was immer mehr auseinander zu brechen droht. Ja, sein Einsatz für die Einheit Europas geht soweit, dass er nach dem Tod des Vaters zugunsten seines Bruders für zehn Jahre auf seinen Erbteil verzichtet und sich ganz dem Kaiser für diese große Aufgabe zur Verfügung stellt.

Bernhard spürt: er wird gebraucht und er lässt sich gebrauchen. Er weiß sehr genau, wofür es sich einzusetzen lohnt: für seine Aufgabe, für Gott, für die Mitmenschen. Bernhard lässt sich nicht beirren und er resigniert nicht – auch nicht angesichts der Wirren und Schrecken seiner Zeit; seine Leidenschaft zur Gestaltung, seine politische Ader lässt er sich von nichts und niemandem nehmen. Hätte er anders gehandelt, hätte er es aufgegeben, sich einzusetzen und politisch tätig zu sein, dann wäre er geradezu ein Vorläufer vieler unserer Zeitgenossen, die sich nicht für Politik interessieren, die sich ins Private zurückziehen und die den Staat Staat sein lassen! Dann wäre er das große Leitbild derer, die gerne annehmen, was der Staat und andere anbieten, die aber keinerlei eigenen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Dann wäre er der Freund derer, die jammern und klagen ohne sich selbst einzubringen.

Bernhard versucht die Mächtigen wachzurütteln

Bernhard von Baden hat mit solchen Haltungen nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Er ist stets ein politisch wacher Mensch und ein Mann voller Tatkraft. Er lässt sich fordern und herausfordern, er packt an, wo  er Gefahren, wo er Aufgaben sieht. Ihm ist klar: Es geht um Europa; es geht um eine lebenswerte Zukunft der Menschen seiner Zeit! Man meint geradezu, er hätte sich das Wort des großen Lyrikers und Dichters Josef von Eichendorff zu Herzen genommen: „Habe ich nicht den Mut, besser zu sein als meine Zeit, so mag ich zerknirscht das Schimpfen lassen, denn keine Zeit ist durchaus schlecht.“ Bernhard schimpft nicht, er hat keine Zeit dazu! Er nutzt die Zeit, packt an und greift ein. Und das heißt für ihn: sich auf den Weg zu machen, aufzubrechen zu den Seemächten Genua und Venedig, und weiter von Fürstenhof zu Fürstenhof, um die Mächtigen wachzurütteln, ihnen deutlich zu machen, was auf dem Spiel steht: das christliche Abendland samt der Botschaft, mit seinen Werten und seiner Kultur. Sein leidenschaftlicher Einsatz dafür geht soweit, dass ihn selbst das Wissen um die in Genua um sich greifende Pest nicht abschreckt. Es geht ihm nicht um das eigene Leben, die eigene Macht, nicht um den eigenen Machterhalt, sondern um das, wovon eine Gesellschaft, ein Staat, ja wovon Europa lebt: der Einsatz fürs Ganze, das Engagement für Solidarität und Nächstenliebe, für Gerechtigkeit und Anerkennung des anderen; das öffnet Türen und führt zusammen. Geschwisterlichkeit aus dem Glauben heraus begründet Freundschaft und öffnet Grenzen – damals wie  heute. So haben wir es erst wieder auf unserer Diözesanwallfahrt in den vergangenen Tagen in Moncalieri erlebt. So ist er zu einem Pionier und Vorläufer eines geeinten Europas geworden, ein Europa, für das es sich einzusetzen lohnt, weil e erkannt hat: Verständnis und Wertschätzung entstehen nicht dort, wo Menschen einander fern und fremd bleiben. Sie wachsen und gedeihen, wo wir einander begegnen, miteinander sprechen und gemeinsam gestalten.

„Das Feld nicht den Lauen und den Glaubensfeinden überlassen!“

Europa atmet den Geist des Evangeliums, lebt aus der Kraft der christlichen Botschaft. Mir scheint, dass viele dies – ob bewusst oder unbewusst – vergessen haben, ja dass in unserem Land und in weiten Teilen Europas nicht wenige an geistiger und spiritueller Armut leiden. Wer Gottvertrauen und christliche Grundwerte nicht zu schätzen und zu achten weiß, der weiß auch nicht, wofür zu leben und einzutreten sich wirklich lohnt. Wer Europa nur als einen geographisch umschriebenen Kontinent betrachtet, wer nur die Wirtschafts- und Währungsunion sieht, der geht am Entscheidenden vorbei und verpasst die Zukunft. Das Licht, das unser Leben wirklich hell und warm macht, das uns verlässliche Orientierung gibt auf dem Weg in die Zukunft, ist Gott selbst. Er, „der“, wie es im zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth heißt, „in unseren Herzen aufleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.“ Im Blick auf das Antlitz Christi findet Bernhard Kraft, fürchtet er sich nicht vor Gefahren und Herausforderungen; an Leben und Wirken Jesu Christi nimmt er Maß, um nicht willkürlich zu handeln. So bestand denn auch Bernhards Politik nicht aus politischen Schachzügen oder gar Intrigen, sondern aus dem Bemühen, zusammenzuführen und zu verbinden.

Ich bin fest davon überzeugt: hier liegt eine Botschaft unseres Landespatrons für die heutige Zeit, für uns im Jahr 2008. Wenn wir die Fragen und Probleme, die uns heute bedrängen, ernstnehmen, dann haben wir als Christen doch keine andere Wahl, als uns einzubringen, wo Lähmung sich breit macht, als Brücken zu bauen, wo Spaltung droht, als mitzugestalten und auch politisch zu sein: wir haben den Auftrag, Kirche und Welt, Glaube und Gesellschaft aufzubauen, mit all der Kraft, die uns zur Verfügung steht. Der selige Bernhard steht seit mehr als einem halben Jahrtausend dafür Pate wie kaum ein anderer. In dem kleinen Buch „Bernhard von Baden oder von der Zuversicht in der Geschichte“, das aus Anlass des Bernhardsjahres 1958 erschien, hebt Otto von Habsburg hervor: „Politik im echten Sinn des Wortes ist eben Dienst an der Gemeinschaft, ist die Verwirklichung sittlicher, gemeinnütziger Grundsätze im täglichen Leben. Und in diesem Sinn kann ein ritterlicher Mensch, kann ein guter Christ Politik treiben. Ja, er muss sie machen, denn es ist gewiss nicht Gottes Wille, dass dieses Feld den Lauen und den Glaubensfeinden überlassen bleibe.“

„Werdet nicht müde, wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird!“

Woher nimmt Bernhard die ungeheure Kraft und Motivation, sich unermüdlich einzubringen und einzusetzen? Einen tiefen Widerhall im Leben des seligen Bernhard hat das Wort gefunden: „darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“ (2 Kor 4,16). Bernhard lebt und wirkt aus der Verbindung mit Gott. Die Begegnung mit ihm, der Blick auf das Antlitz Jesu Christi sind es, die ihn innerlich immer wieder neu werden lassen. So bleibt auch sein Gebetsleben den Mitmenschen nicht verborgen. Er hält täglich – verbunden mit dem persönlichen Tagesrückblick – Gewissenserforschung, denn Bernhard sagt sich: „Wie kann der Christ wagen einzuschlafen in einem Zustand, in welchem er nicht vor Gott hintreten könnte?“

Was er uns vorlebt, ist im Kern sehr einfach und doch ausgesprochen herausfordernd: Der Markgraf von Baden zeigt uns, wie man Tag für Tag in der Nachfolge Jesu Christi leben kann, was es heißt, Christ zu sein und Verantwortung zu übernehmen: Verantwortung für sich und die anderen. Das Geheimnis seines Lebens lässt sich für Bernhard und für uns auf die benediktinische Kurzformel bringen: „Ora et labora – Bete und arbeite“. Halte die Verbindung mit Gott und handle aktiv! Nur wo beides ist, nur wo Know-how vermittelt und Sinn gegeben wird, kann der Mensch wachsen, kann eine Gesellschaft gedeihen. Wir sehen das Gegenteilige überall dort, wo zwar die Wirtschaft boomt, aber die Seele der Menschen verkümmert. Wo Politik gestaltet wird, aber der Mensch aus dem Blick gerät. Wo Kirchtürme nicht mehr als Hinweis auf das Ewige wahrgenommen werden, wo Gott wie ein Obdachloser vor den verschlossenen Türen unserer Herzen stehen bleiben muss; überall dort, geht eine Zeitlang alles noch so weiter wie bisher. Aber von innen her verdorren die Wurzeln. Und auf Dauer kann solches Leben nicht bestehen. Wer aus der Kraft Gottes lebt und sich für andere Menschen einsetzt, strahlt etwas aus. Bernhard von Baden hatte diese Ausstrahlung, ja er hatte zweifellos eine große Ausstrahlung, sonst würden wir uns heute, nach mehr als einem halben Jahrtausend, nicht mehr an ihn erinnern, sonst wäre er nicht zum Patron unseres Landes erwählt worden.

Furchtloser Einsatz für die Festigung und Einigung Europas

Die Botschaft unseres Landespatrons, die aus der tiefen Verwurzelung in Gott herrührt, reicht herüber bis in die Gegenwart. Der selige Bernhard zeigt uns, in welche Richtung es zu gehen gilt, damit unser Leben gelingt und unser Zusammenleben eine Zukunft in Frieden und Gerechtigkeit hat. Braucht es doch gerade in unserer unübersichtlichen und oft so schnelllebigen Zeit Orientierung auf dem Weg in die Zukunft. Denn „die Zukunft hat viele Namen“, so sagt der französische Schriftsteller Victor Hugo, „für die Schwachen ist sie die Unerreichbare, für die Furchtsamen ist sie die Unbekannte, für die Tapferen die Chance.“ Bernhard hat die Herausforderung als Chance gesehen, Europa und damit Zukunft zu gestalten, er war – gerade als Ritter gewohnt und darin geübt – tapfer und mutig zu sein. Auch heute geht es wieder  darum, Zukunft zu gestalten: Der Umbau unseres Sozialstaates, die Fragen des Klimaschutzes, der verantwortungsvolle Umgang mit Energie, all die Fragen der Gerechtigkeit und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben; aber auch die Festigung und Einigung Europas. Manchmal frage ich mich: Haben diejenigen, die immer nur die „Risiken und Nebenwirkungen“ jeder Entwicklung sehen, Angst vor der Zukunft? Wollen zu viele nur ihr eigenes Glück, statt gemeinsam anzupacken und miteinander zu gestalten? Es braucht immer auch den Blick auf die ungeahnten Möglichkeiten und die noch ungenutzten Chancen!

Machen wir den Weg frei für eine gottoffene Gesellschaft!

„Die Zukunft hat viele Gesichter“ – auch heute im Jahr 2008 gibt es genügend Furchtsame, die ängstlich abwarten, was die Zukunft bringen mag. Bernhard von Baden zeigt uns einen anderen Weg. Er hat nichts von seiner Faszination eingebüßt, die wir wieder neu entdecken und für unser Zusammenleben verstärkt fruchtbar machen dürfen. Lassen wir uns von nichts und niemandem einreden, wir könnten an allem doch nichts ändern. Nutzen wir unsere politischen Mitsprache- und Einflussmöglichkeiten! Wer meint, durch Nichtwählen jemanden einen Denkzettel verpassen zu können, geht in die Irre, ja unterstützt damit nicht zuletzt extreme Parteien. Das wäre, als ob ein Gärtner Unkraut gießt. Überlassen wir das Feld weder den Lauen noch den Fanatikern! Engagieren wir uns in Verbänden und Parlamenten, in Dörfern und Städten, in Kirche und Politik! Machen wir den Weg frei für eine menschenfreundliche und gottoffene Gesellschaft! Bernhard, unser Landespatron, erinnert weit über die Grenzen Badens hinaus an das Gebot, uns gestaltend einzubringen. Er ist ein leuchtendes Vorbild christlichen Engagements und engagierten Christseins. Mit den Worten des Apostels Paulus an die Gläubigen in Korinth mag er uns allen zurufen:  „Werdet nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“ (2 Kor 4,16).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Robert Zollitsch: Seliger Bernhard von Baden, Predigten und Ansprachen im Bernhardsjahr 2008. Zu beziehen beim Erzbischöfliches Seelsorgeamt, Postfach 449, D-79004 Freiburg, Bestell-Nr. 0313100.
[2] Bernhard der Heilige, Markgraf von Baden. Ein Lebensbild samt den nötigen Gebetsübungen zur vierhundertjährigen Feier seines seligen Todes, Baden 1858. S. 7.

Das Vermächtnis des jungen Ritters

Pater Notker Hiegl OSB versucht, uns zum Ende des Jubiläumsjahres die Gestalt des sel. Bernhard von Baden nahe zu bringen. Dass die Islamisierung in Europa ungehindert voranschreitet, schreibt Hiegl vor allem der Bequemlichkeit und der falschen Toleranz unserer Zeit zu. Notwendig jedoch wäre ein entschlossenes gemeinsames Handeln, um Europa vor dem Verlust seines christlichen Erbes zu retten. Dazu wiederum sind eine klare Sicht und eine unumstößliche Überzeugung, wie sie der sel. Bernhard von Baden vorgelebt hat, Voraussetzung.

Von Notker Hiegl OSB

Kurzvita

Als Einleitung zum Festtag des seligen Bernhard von Baden steht im Mess-Ordinarium folgende Kurz-Vita: Markgraf Bernhard II. von Baden wurde wahrscheinlich 1428 auf der Burg Hohenbaden geboren. Nach den Vorstellungen der Zeit zum ritterlichen Kämpfer und verantwortungsbewussten Regenten erzogen war er im Dienst Kaiser Friedrichs III. unermüdlich tätig, um für Frieden und Recht im Reiche zu sorgen. Seine Sittenstrenge, seine Redlichkeit und seine Nächstenliebe prägten sich den Zeitgenossen ein. Nach dem Fall von Konstantinopel (1453) übertrug er sein Fürstentum auf zehn Jahre seinem Bruder, um sich ganz der Sache der bedrängten Christenheit widmen zu können. Als Gesandter des Kaisers in Oberitalien unterwegs, erlag er am 15.7.1458 in Moncalieri bei Turin einer Seuche. Von seiner Grabstätte in der Marienkirche zu Moncalieri breitete sich der Ruf seiner Heiligkeit aus, zumal in Baden und Lothringen. 1769 selig gesprochen, wurde er weiteren Kreisen bekannt, besonders seit seiner Erhebung zum Patron von Baden.

Bernhardsjahr 2008

Das Ende des Jubiläumsjahres 2008 brachte eine Vielzahl von Veröffentlichungen zur Bedeutung dieses kirchlichen Ritters. In unserer Beuroner Klosterbibliothek finde ich 33 Schriften über den sel. Bernhard, der wie viele andere Heilige kometenhaft aus der Vergessenheit wieder auftaucht. Nach 550 Jahren erhebt sich für ihn eine Woge der Verehrung, auf einmal steht er da als „Europäer“, zwar als einer, dem es nicht gelungen war, die Probleme seiner Tage zu meistern, der auch die Einheit des Westens gegenüber dem türkischen Ansturm zu seinen Lebzeiten nicht verwirklicht sah, der aber als „Seher“ die Gefahr für das christliche Europa klar erkannte und dafür als junger Mann sein Leben dahingab. Er war überzeugt, dass die Gefahr nur durch Gebet und Engagement überwunden werden kann und in diesem Sinne war er ein Glücklicher und Siegreicher. In unserer Bibliothek stieß ich auf ein Buch, herausgegeben und persönlich signiert von „Otto von Österreich", Dezember 1958, ebenfalls einem großen Europäer. Es trägt den bezeichnenden Titel: „Bernhard von Baden, Von der Zuversicht in der Geschichte“.

Die islamische Bedrohung aus dem Südosten

Sultan Mohammed II. eroberte 1453 nach längerer Belagerung die Stadt Konstantinopel und machte sie unter dem Namen Istanbul zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Vergebens hatte der ost-römische Kaiser bei den westlichen Staaten Hilfe gesucht. Nach zweimonatiger Belagerung fiel das alte Byzanz, das östliche Rom. Die Hagia Sophia, diese prachtvolle Kirche der „Heiligen Weisheit“, welche Kaiser Justinian einst hatte errichten lassen, wurde in eine Moschee umgewandelt. Das Türkische Reich erstreckte sich nun über den größten Teil Vorderasiens und des Balkans. Es bedeutete für Europa eine immer größer werdende Gefahr. Kaiser Friedrich III. (1440-1493), oft allein gelassen, sah hilflos zu, wie türkische Scharen plündernd bis an die Grenzen der Steiermark und Kärntens vordrangen. Trotz äußerer Bedrängnis brachte Europa jedoch in dieser Zeit weiterhin große Geistesbewegungen hervor: die Vorbereitung des Humanismus, in Deutschland der Buchdruck durch Johannes Gutenberg (1397-1468), in Italien der Höhepunkt der Renaissance, die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus (1492) und dazu viele Heilige.

Bernhard – der geistliche Ritter von Hohenbaden

Den „Reiter gegen Tod und Teufel“ nennt ihn Wilhelm Hünermann in seinem 1957 erschienenen Volksbuch. Das Ritterliche an ihm bestätigt uns, dass seiner Zeit das hohe mittelalterliche Mannesideal nicht fremd war. Die Nachrichten über sein Leben fließen nicht allzu reichlich. Alles Berichtete aber bezeugt seine untadelige, ritterliche Haltung. Le Bon Bernard, Bernhard der Gute, heißt es bis weit nach Lothringen hinüber. Er stimmt zu, dass Markgraf Jakob entgegen dem Erbfolgegesetz die Rechte und Einkünfte der Markgrafschaft unter drei statt unter zwei Söhnen teilt, dass also der jüngere Graf Georg auch einen Anteil erhält. Als dieser sich nach Jahresfrist entschließt, den geistlichen Stand zu ergreifen und auf sein Erbteil zu verzichten, bietet auch Bernhard, gegen eine jährliche Abfindungssumme, dem älteren Bruder Markgraf Karl für zunächst zehn Jahre seinen Anteil an. Die Ehelosigkeit muss für ihn in dieser Entscheidung impliziert gewesen sein. Der freiwillige Zölibat, den sich der wohlgestaltete junge Ritter auferlegt, beweist uns, dass er dem höchsten ritterlichen Ideal des Mittelalters zustrebte, dem des „geistlichen Ritters“.

Kaiserlicher Diplomat zur Rettung Europas

Wir wissen nicht, welche Pläne Bernhard im Einzelnen hegte, als er unter Verzicht auf sein Fürstentum in den Dienst des Kaisers trat und dessen Diplomat wurde. Jedoch wollte er Europa vor dem Islam retten. Als die Türken am 29. Mai 1453 das Kreuz von der Hagia Sophia niederholten, als damit fast 1000 Jahre nach dem weströmischen auch das oströmische, byzantinische Kaisertum unterging, da war das nicht nur die schwerste moralische Niederlage für das Christentum, sondern auch der größte Triumph, den der Islam bisher errungen hatte: Südosteuropa wurde türkisch. Schon 1389 war das serbische Reich untergegangen, 1526 fiel der größere Teil Ungarns in osmanische Hand. Hätte das Abendland, wie Kaiser und Papst es wollten und wie es auch die Vorstellung unseres Markgrafen Bernhard war, Konstantinopel zurückerobert, dann hätte die Entwicklung des europäischen Ostens wohl eine ganz andere Richtung genommen. Man denke an den christlichen Erfolg im Südwesten Europas: Die spanische Reconquista führte zur Verdrängung der Mauren und schuf so beispielsweise die Voraussetzung für die großen Entdeckungsfahrten.

Ringen um eine „befreiende Tat“

Dem Ritter von Hohenbaden schwebte auch für den Südosten Europas wieder die abendländisch-christliche Grundordnung vor. Dafür wollte er kämpfen. Markgraf Bernhard hatte durch seine lothringische Mutter Katharina gute Beziehungen zu den Höfen in ganz Westeuropa, vor allem zu Rene von Anjou, dem König von Neapel, einem feingebildeten Fürsten seiner Zeit. Bernhard war auch durch seinen älteren Bruder Karl mit Kaiser Friedrich III. verschwägert, er kannte Wien und Österreich. Gleichzeitig wusste er um die brennenden Nöte Ungarns und der Ostmarken des Reiches, die von der Türkengefahr unmittelbar bedroht waren. Seine ritterlichen Pflichten wiesen ihn zu einer „befreienden Tat“, wie sie Johannes Capistranus und Janos Hunyadi 1456 mit dem Sieg von Belgrad gesetzt hatten. Um die Vernetzung aller zur Verfügung stehenden Kräfte rang der Ritter Bernhard, als ihn auf seiner diplomatischen Reise durch Oberitalien am 15. Juli 1458 zu Moncalieri der Tod ereilte. Ein anderer Würgeengel jener Zeit, die Pest, hatte die Hand nach ihm ausgestreckt. Er folgte zweien seiner Gefährten, die vor ihm von der Seuche erfasst worden waren, ins frühe Grab.

Familientraditionen prägen den jungen Ritter

Kaiser Sigismund setzte das Konzil von Konstanz (1414-1418) durch, in welchem die Einheit des Papsttums wiederhergestellt wurde. Am 23. Juli 1431 wurde das Konzil von Basel eröffnet, das Papst Eugen VI. 1437 nach Ferrara verlegte. Das markgräfliche Haus von Baden hatte schon wegen der räumlichen Nachbarschaft viele Berührungen mit den Konzilien. Das blieb auf den jungen Bernhard nicht ohne Eindruck. Darüber hinaus gab es im Badener Haus eine mit der innerkirchlichen Reform zusammenhängende Tradition. Hermann von Baden, der Sohn Bertholds I. von Zähringen, war 1074 als Mönch im Mutterkloster der Reform, zu Cluny, verstorben. Er und die Gräfin Judith, die Stammmutter des Geschlechts, waren eifrige Förderer des Abtes Wilhelm von Hirsau und seiner Klosterreform. Außerdem hatten vier Markgrafen an Kreuzzügen teilgenommen. Zwei von ihnen – Hermann IV. und sein Sohn Friedrich I. – waren von denselben nicht mehr zurückgekehrt. Solche Überlieferungen spielten in mittelalterlichen Adelsgeschlechtern eine große Rolle und prägten auch den Jüngling Bernhard.

Der Kaiser, dem Bernhard diente

Friedrich III. war der erste Habsburger, der in Rom gekrönt wurde, gleichzeitig der letzte Herrscher, der in der Peterskirche die Krone empfing. Ihm wollte Bernhard gerne dienen, nicht nur aus angestammter Treue. Denn das Haus Baden und die Markgrafschaft waren durch sehr realpolitische Bande mit Habsburg und Österreich verknüpft. Badisches und österreichisches Gebiet waren wie sich gegenseitig fördernde Geschwister. Wie eine schmale Brücke spannte sich das Territorium des Hauses Österreich von der Welt des Westens bis zum Osten. Der Sundgau, das Elsass, der Breisgau waren habsburgisch. Über die schwäbischen Vorlande und Tirol führte diese Brücke nach Inner-Österreich. Das angrenzende Ungarn war bereits von den Türken bedroht. Der Kaiser wusste um die Schwächen seiner Erblande. Offensichtlich konnte das Abendland nur unter der Führung des Kaisers und auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches bestehen, den Ansturm der Türken aufhalten und vielleicht auch Konstantinopel zurückgewinnen. Es spricht für den politischen Verstand eines jungen Mannes, wie es Bernhard von Baden war, dass er diesem Kaiser seine guten Dienste lieh.

Plan zur Befreiung Konstantinopels

Als Bernhard geboren wurde, nahm in Frankreich der l00-jährige Krieg gegen England durch die Wunder des Hirtenmädchens von Domremy, der ritterlichen Jeanne d‘Arc, eine Wende. In Böhmen rauchten die Städte und Dörfer, 700 an der Zahl, durch die wütenden hussitischen Heerhaufen. In Ungarn rangen die Völker des Stephans-Reiches gegen die Türken. Verzweifelt wollten Kaiser und Papst ein Kreuzheer zum Entsatz der Stadt Byzanz zusammenbringen. Genau im Jahr 1453, als die Türken den Halbmond über der Kaiserburg am Bosporus aufrichteten, wurde Bernhard Markgraf von Baden – zu gesamter Hand mit seinen zwei Brüdern. Er hatte, damals 25 Jahre alt, schon an drei Feldzügen teilgenommen, zuletzt an der Seite des Königs Rene von Anjou und des Francesco Sforza von Mailand. Ein Jahr später trat er in des Kaisers Dienst. Ein großer Plan wurde geschmiedet, zwischen Wien und Rom abgesprochen. Ein Kreuzheer sollte die Moslems aus Europa verdrängen, eine Flotte von Genua und Venedig aus die Operation von See her unterstützen. Mit dieser Intention zog Bernhard im glühendheißen Sommer 1458 in kaiserlicher Mission nach Italien.

Mahnung Gottes für unsere Zeit

Die Aussichten des Unternehmens wären nicht ungünstig gewesen. Zwei Jahre zuvor hatte Johannes Capistranus, der mitreißende Prediger, ein bunt zusammengewürfeltes Heer aufgestellt und es dem ungarischen Kronfeldherrn Hunady zugeführt. Wie ein Wunder liest sich die Geschichte der Schlacht von Belgrad. Die Türken wurden in alle Winde zerstreut. Aber die beiden Sieger, Capistran und Johann Hunyadi, wurden nach dem Waffengang von Seuchen dahingerafft. Ähnlich starb auch Bernhard an der unter der brütenden Sonne Italiens wütenden Pest. Die Frage sei erlaubt: „Was hat Gott gewollt, als Er die Berufenen, die Erwählten, die Begnadeten hinwegnahm?“ Unerforschlich sind Seine Wege. Doch es ist eine Mahnung Gottes auch an unsere Zeit, dass der Halbmond damals vor allem deshalb siegte und das Reich verfiel, weil die angesprochenen Herrscher und Beherrschten nur ihren materiellen Vorteil, ihre Bequemlichkeit suchten. Feigheit und Passivität, Egalität und falsche Toleranz waren tatsächlich das Stigma jener Epoche. Gott hatte den Menschen in Männern wie Bernhard von Baden gezeigt, was nötig wäre, doch waren die Verantwortlichen leider taub für ihre Botschaft.

Vermächtnis für das 21. Jahrhundert

Den Eidgenossen, die ihrem heiligmäßigen Nikolaus von Flüe folgten und im Stanser Ereignis Einkehr hielten zu Frieden, Einigkeit und Ordnung, ließ Gott seine Hilfe zukommen. Den Franzosen sandte Er die Heldengestalt der Jungfrau von Domremy. In der Stunde höchster Not erstand in Johannes Capistranus ein Kreuzzugsprediger, wie man ihn seit den Tagen des großen Bernhard von Clairvaux nicht mehr erlebt hatte. Den Engländern sollte in dem redlichen Kanzler Thomas Morus ein Blutzeuge gegen Fürstenwillkür erweckt werden. Die Deutschen haben den seligen Ritter Bernhard von Hohenbaden. Mannesmut paarte sich mit der „devotio moderna“, der tiefen Gläubigkeit der Frommen jenes 15. Jahrhunderts. Liebe zur Gerechtigkeit war bei ihm mit diplomatischem Geschick vereint. Eine große Zukunft schien ihm bevorzustehen, als Gott ihn in der Blüte seiner jungen Jahre zu sich nahm. Am 16. September 1769 wurde nach langem Prozess die Seligsprechung vollzogen. Die Gefahren, welche Europa am Anfang des 21. Jahrhunderts bedrohen, sind dieselben wie diejenigen im 15. Jahrhundert, denen er mit offenem Visier entgegentrat. Bernhard kann uns Wegweiser und Fürbitter sein.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Friedliches Miteinander von Christen und Muslimen?

Zum Weltfriedenstag, den die Kirche seit 1968 jeweils am 1. Januar begeht, greifen wir das brennende Thema des Verhältnisses von Christen und Muslimen auf. Wir gehen dazu auf einen Vorgang ein, der bereits ein Jahr zurückliegt, aber nichts an Aktualität verloren hat. Zu einem Brief von 138 muslimischen Gelehrten an Papst Benedikt XVI. und die ganze Christenheit (13. Oktober 2007),[1] der weite Verbreitung gefunden und erhebliches Aufsehen erregt hat, nahm die „Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften“ mit einer umfassenden Analyse im Licht der Bibel und des Koran Stellung (1. März 2008). Nachfolgend geben wir Teile des Begleitschreibens und das zusammenfassende Ergebnis dieser äußerst aufschlussreichen Untersuchung wieder, verzichten aber auf die detaillierte Analyse, die sich in 15 Abschnitte gliedert.[2] Prof. Dr. Peter P. J. Beyerhaus DD ist Vorsitzender und Prof. Dr. Dr. Horst W. Beck Stellvertretender Vorsitzender der Konferenz.

Von Peter P. J. Beyerhaus und Horst W. Beck

Historisch erstmaliges Ereignis

Die Einladung der 138 muslimischen Gelehrten vom 13. Oktober 2007 an Papst Benedikt XVI. und die Leiter aller anderen Kirchen sowie die Christenheit überhaupt, auf der Basis des Doppelgebotes der Liebe mit dem Islam in einen der Bewahrung des Weltfriedens dienenden Dialog einzutreten, ist ein historisch erstmaliges Ereignis von großer Tragweite. Vielleicht ist das in Deutschland bisher noch nicht überall genügend erkannt worden.

Wo man sich mit diesem gewichtigen Schreiben bisher befasst hat, fiel die Reaktion der überraschten Christen unterschiedlich, ja sogar gegensätzlich aus:

• Bietet das Schreiben, so fragt man, eine reale Grundlage für eine umfassende christlich-muslimische Zusammenarbeit zur Bewältigung sozialpolitischer Probleme?

• Geht es um ein Angebot tiefgreifender Versöhnung, welche auf beiden Seiten ein grundlegendes tatbereites Umdenken voraussetzt?

• Oder verbergen sich hinter den friedlichen Aussagen Absichten, die auf eine neue Form der den Muslimen von Mohammed gebotenen Ausbreitung seiner Religion abzielen?

Absicht der führenden islamischen Gelehrten

Seit dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 sind islamische Führer darum bemüht, den Islam in der Öffentlichkeit in einem humanen Licht erscheinen zu lassen. Die von Papst Benedikt XVI. in seiner Regensburger Vorlesung am 12. September 2006 ausgesprochene Erinnerung daran, dass Mohammed, der Begründer des Islam, ja selber seinen Anhängern geboten habe, seine Religion mit dem Schwert auszubreiten, hat dieses Bestreben noch verstärkt. Muslimische Gelehrte suchen im Zuge dessen einen neuen islamisch-christlichen Dialog, in welchem sie ihren Gesprächspartnern diese Sicht nahebringen möchten: Der Islam – eine Religion des Friedens und der Liebe.

Ein bemerkenswerter Versuch in dieser Richtung ist der zum Dialog einladende Offene Brief vom 13.10.2007 an Papst Benedikt und hochrangige Vertreter von christlichen Kirchen in der ganzen Welt sowie an die ganze Christenheit. Seine Überschrift ist: „Ein gemeinsames Wort zwischen uns und Ihnen“.[3]

Einleitend weisen die muslimischen Gelehrten darauf hin, dass schon Mohammed selber in Sure 3:64 eine solche Einladung an Juden und Christen gerichtet habe:

„Sprich: O Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gleichen (gemeinsamen) Wort zwischen uns und euch, dass wir nämlich Allah allein dienen und nichts neben Ihn stellen und dass nicht die einen von uns die anderen zu Herren nehmen außer Allah. Und wenn sie sich abwenden, so sprecht: Bezeugt, dass wir (Ihm) ergeben sind.“

Doppelgebot der Liebe als gemeinsame Basis?

Das Schreiben setzt ein mit der Feststellung, dass Muslime und Christen gemeinsam mehr als die Hälfte (ca. 55%) der Weltbevölkerung bilden, und folgert daraus die eindringliche These: „Ohne Frieden zwischen diesen beiden religiösen Gemeinschaften kann es keinen wirklichen Frieden in der Welt geben. Die Zukunft der Welt hängt vom Frieden zwischen Muslimen und Christen ab.“

Als bereits vorhandene gemeinsame Basis entsprechender Friedensbemühungen nennt der Brief als Grundprinzip beider Religionen das Doppelgebot: „Liebe den einen Gott und liebe deinen Nächsten“. Das wird mit dem Zitieren von Texten aus dem Koran und der Bibel belegt. Dabei wird als Grundvoraussetzung für die Liebe zu Gott (Allah) seine Einzigkeit und die daraus folgende Notwendigkeit, ihm allein aus allen Kräften zu dienen, hervorgehoben. Aufgrund solcher dogmatischen und ethischen Gemeinsamkeit laden die Verfasser die Christen zum interreligiösen Dialog ein, bei dem „unsere Differenzen nicht zu Hass und Streit zwischen uns führen“, sondern beide Seiten danach streben, „miteinander in Frieden und Harmonie zu leben“. 

Christliche Reaktionen

Dieser Brief hat unter christlichen Lesern unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen:

• Papst Benedikt XVI. ließ durch seinen Staatssekretär Kardinal Tarcisio Bertone am 19.11.2007 in einem an Prinz Ghazi gerichteten Antwortschreiben den Unterzeichnern seinen Dank übermitteln. Darin brachte er seine Wertschätzung für den Ruf zum gemeinsamen Einsatz zur Förderung des Friedens in der Welt zum Ausdruck, „ohne unsere Verschiedenheit als Christen und Muslime zu übergehen“. Er freut sich über den Verweis auf das Doppelgebot der Liebe, das er ja in seiner Enzyklika Deus caritas est (25.12.2005) entfaltet habe. Der Papst erklärte sich bereit, eine ausgewählte Gruppe von Unterzeichnern zu empfangen und ein Arbeitstreffen zwischen dieser muslimischen Delegation und den für den Dialog zuständigen vatikanischen Gremien organisieren zu lassen.

• Freudig zustimmend und zugleich bußbereit war die Antwort, die auf Initiative des Präsidenten der amerikanischen Yale-Universität Professor Harold Attridge am 18.11. in der New York Times veröffentlicht wurde. Dieser Brief ist von rd. 450 Theologen aller Denominationen unterzeichnet. Das Spektrum reicht von Vertretern radikal modernistischer Theologie bis hin zu Repräsentanten der Weltweiten Evangelischen Allianz. In ihm wird die religiöse Basis des muslimischen Schreibens, das Doppelgebot der Liebe, ebenso bejaht wie die konkrete Zielsetzung, nämlich ein der Sicherung des Weltfriedens dienender interreligiöser Dialog. „Wir empfangen den Offenen Brief als eine den Christen weltweit entgegengestreckte muslimische Hand des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit und reichen unsererseits unsere eigene christliche Hand...“ Als Voraussetzung für solches Händeschütteln legen die Unterzeichner zu Beginn ihres Schreibens namens der Christenheit ein doppeltes Schuldbekenntnis ab wegen der Grausamkeiten vieler Christen gegen ihre muslimischen Nächsten, besonders einst bei den Kreuzzügen und heute bei dem in muslimischen Ländern geführten „Krieg gegen den Terror“. Zugleich bitten sie um „Vergebung vom All-Barmherzigen Einen sowie der Muslim-Gemeinschaft auf der ganzen Welt.“

• Im Gegensatz dazu steht eine umfangreiche Stellungnahme des Barnabas Fund,[4] einer Organisation, die sich um die Unterstützung von verfolgten Christen besonders in muslimischen Ländern bemüht. Diese kritische Analyse identifiziert das „Gemeinsame Wort“ als eine milde Gestalt von Da’wa, nämlich einen Aufruf an die Ungläubigen, sich zum Islam zu bekehren und sich ihm zu unterwerfen. Geschichtlich war dieser oft verbunden mit der Androhung von gewaltsamer Eroberung (= Jihad), falls er abgelehnt würde.

Andere Leser vermissen in dem Brief aus Jordanien eine muslimische Selbstkritik. Denn, so argumentieren sie, das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen sei in den letzten Jahren zusätzlich belastet worden durch eine Reihe von grausamen Verbrechen wie die in New York, Madrid und London, bei denen viele unschuldige Menschen im Namen des Islam umgebracht wurden. Daher müsste eine Erklärung zum Verhältnis der beiden Religionen auf jeden Fall konkret zu diesen Ereignissen Stellung nehmen. Sollten sie nach Meinung der Unterzeichner nicht im Namen des wahren Islam begangen worden sein, dann wäre es umso notwendiger, dies auszusprechen und klar zu begründen.

Bewertung des Offenen Briefes

Angesichts der Länge des Briefes der 138 Gelehrten, der zu seinem Verstehen eingehende islamologische Kenntnisse voraussetzt, hat die Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften (International Christian Network) einen kleinen Kreis von Islamkennern beauftragt, unter Einbeziehung der Barnabas-Erklärung eine kürzere eigene Beurteilung des Offenen Briefes zu entwerfen.

Zusammenfassend kommen wir zu folgendem Ergebnis:

Das „Gemeinsame Wort“ erweist sich bei sorgfältiger Analyse als Aufforderung an die Christen, Christus als Zentrum ihres Glaubens preiszugeben und diesen einschränkend auf die islamisch verstandene Liebe zu Gott = Allah und zum Nächsten zu konzentrieren.

„Liebe zu Gott“ bedeutet jedoch für den Islam etwas grundlegend anderes als in der Bibel. Sie ist die Unterwerfung unter die islamische Gottheit und die Akzeptanz des Koran sowie die Aufrichtung der Scharia als Staatsgesetz. Auf solche Zumutung können wir Christen uns keinesfalls einlassen, ohne unsern Herrn und Heiland zu verleugnen.

Das „Gemeinsame Wort“ ist also kein Angebot des friedlich-toleranten Miteinanders von Muslimen mit biblisch gläubigen Christen oder Ausdruck eines Respekts vor deren Glauben an Jesus Christus als Sohn Gottes und Erlöser. Vielmehr muss es als ein kluges Da’wa-Traktat verstanden werden, das in Anwendung der in der islamischen Glaubensverbreitung (Da’wa) erlaubten, ja empfohlenen „Takya“ (= Täuschung) darauf abzielt, Christen über die tiefen Gegensätze im muslimischen und christlichen Verständnis biblischer Begriffe zu täuschen.

In Wirklichkeit geht es um die Aufforderung an die Christen, von „Shirk“, d.h. der ihnen vorgeworfenen Sünde polytheistischer Beigesellung, abzulassen. Das heißt nichts weniger als dies, dass Christen ihren Glauben an Jesus Christus als dem Vater wesensgleichen Sohn Gottes aufgeben sollen und sich allein dem Willen Allahs, wie er im Koran artikuliert wird, ergeben. Das ist für den Islam die Voraussetzung für Frieden mit den Christen, zugleich aber, wie der vorliegende Brief in geradezu drohender Weise deutlich macht, die Voraussetzung auch für die Sicherung des gefährdeten Weltfriedens.

Diese eigentliche Zielsetzung wurde bisher in gutgläubiger Naivität von zahlreichen christlichen Lesern des „Gemeinsamen Wortes“ aus Mangel an Kenntnis und Unterscheidungsvermögen nicht entdeckt. Vielleicht unterblieb das auch deswegen, weil manche unter ihnen den biblischen Grundlagen ihres eigenen Glaubens schon so weit entfremdet sind, dass sie das entscheidend Trennende zwischen den beiden Religionen nicht mehr sehen können bzw. wollen.

Das zeigt sich bisweilen schon im zustimmenden Gebrauch von Namen und Begriffen, die ihren Sinn von ihrer Verankerung im islamischen Glauben erhalten, wie z.B. die Bezeichnung Mohammeds als „Prophet“ und Gottes als des „allerbarmenden Einen“ in dem Antwortschreiben aus der Yale-University. Seine Unterzeichner mögen gewiss meinen, damit der gegenseitigen Verständigung und dem Erhalt des religiösen und politisch-sozialen Friedens zu dienen. Tatsächlich aber leisten sie durch eine solche Verwischung der Gegensätze den missionarischen Absichten glaubensbewusster Muslime und dem in der Scharia begründeten Machtstreben radikal-islamischer Bewegungen in fahrlässiger Weise Vorschub.

Wir bitten also alle Christen, besonders aber die kirchlichen Führer, an die das „Gemeinsame Wort“ der 138 muslimischen Gelehrten primär gerichtet ist, es im Lichte der von uns vorgelegten Analyse diakritisch zu lesen und sich auf einen interreligiösen Dialog nur in großer theologischer Vorsicht und in klarer Benennung der fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden Religionen einzulassen. Das bedeutet weder eine Verachtung der auch von uns bewunderten persönlichen Frömmigkeit vieler gläubiger Muslime noch die Verweigerung einer Zusammenarbeit im Interesse der Wahrung bzw. Wiederherstellung des Völkerfriedens – zumal in solchen Gebieten, in denen muslimische und andersgläubige Bevölkerungsteile in blutige Kämpfe verstrickt sind und darunter leiden!

Wohl aber ist es nötig, beide Bereiche, den geistlichen und den weltlichen, sorgfältig zu unterscheiden und sich in der sachlich gebotenen Kooperation nicht auf Kompromisse im Glauben einzulassen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Der Brief wird nach der im Internet (www.die-tagespost.de/www.zenit.org) am 17.10.2007 erschienenen Fassung zitiert.
[2] Das gesamte Dokument wurde als Faltblatt veröffentlicht. Es kann zu Verteilzwecken (auf Spendenbasis) bestellt werden beim Institut Diakrisis, Schulstr. 1, D-72810 Gomaringen, oder via Fax: 0049(0)7072-920344 bzw. E-Mail an: Institut-Diakrisis@t-online.de
[3] Das Dokument stammt aus dem Royal Aal at Bayt Institute for Islamic Thought in Jordanien. Sein Kuratoriumsvorsitzender ist der jordanische Prinz Ghazi bin Muhammed bin Talat. Dieses Institut unterhält eine Website AITafsir.com mit einer Rubrik „Frage den Mufti“. Unter den Antworten des leitenden Gelehrten des Instituts, Scheich Hijjawi, gibt es eine Reihe von Fatwas (Rechtssprüchen), die sich mit der Bestrafung von zum Christentum zurückgekehrten Muslimen befassen. Diese sollen entweder getötet oder aller Rechte beraubt und als Unpersonen behandelt werden.
[4] Die Stellungnahmen des „Barnabas Fund“ vom 28.11.2007 und 7.1.2008 sind veröffentlicht in den BF E-Mail News vom 28.01.2008.

Mit dem hl. Jakobus dem Herrn begegnen

In seinem letzten Beitrag zum Jakobusweg plädiert Thomas Maria Rimmel, Direktor der Gebetsstätte Wigratzbad, für eine intensive und gut überlegte pastorale Betreuung der Fuß-Pilger bei ihrer Ankunft in Santiago de Compostela. Viele kommen mit offenem Herzen beim Heiligtum an, sind aber vollkommen überfordert, die Bedeutung dieses Augenblicks zu erfassen und ihn erlebnismäßig zu füllen. Dabei sollte der Abschluss und Höhepunkt der Wallfahrt eigentlich zu einem Tabor-Ereignis werden, das den Pilgern neue Kraft für ihr ganzes Leben schenkt.

Von Thomas Maria Rimmel

„Finis terrae“

Ziel einer Jakobuswallfahrt ist das Grab des hl. Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. In der Regel sind die Pilger tief gerührt, wenn sie die imposante Kathedrale betreten. Doch es gibt immer mehr Menschen, die nach ihrer Ankunft am Zielort nicht wissen, was sie mit dem Heiligtum anfangen sollen. Als ich im örtlichen Pilgerbüro meinen Pilgerausweis vorzeigte, um die sog. „Compostela“, die begehrte Pilgerurkunde, zu erhalten, fiel mein Blick auf ein Anliegenbuch. Der aktuellste Eintrag, er war vom 11.06.2007, lautete in italienischer Sprache: „Tutto è finito e ancora mi domando, che ci sono venuto a fare. Poi ripenso ai goirni trascorsi e mi accorgo, che non mi interessa…Questa è la magia del camino.“ Der Schreiber fragt sich, wozu er eigentlich hierher gekommen sei. Irgendwie steht er ratlos da und weiß nicht, was er hier nun machen soll. Und wie viele andere löst er sein Problem damit, dass er sich sagt: Auf das Ziel der Wallfahrt kommt es gar nicht an, nach der Devise: Der Weg ist das Ziel! Andere trösten sich mit einer Tradition, die besagt, dass das Ziel der Pilgerschaft genau genommen nicht Santiago sei, sondern „finis terrae“, also das „Ende der Welt“ am Strand des Meeres. So schnell es geht, ziehen sie unter diesem Vorwand weiter, bis sie das Meer erreichen, und schließen dort ihre Wallfahrt mit einem Rückblick auf das Erlebte ab. Diese Ausflucht vieler Pilger, die oft unter größten Mühen Hunderte oder Tausende von Kilometern bewältigt haben, muss den Verantwortlichen in Santiago zu denken geben.

Geistliche Betreuung der Pilger

Im Pilgerbüro, wo die Ankömmlinge Schlange stehen, geht es meist wie am Fließband. Freilich werden die Pilger gefragt, ob sie beim Abendgottesdienst namentlich erwähnt werden möchten. Doch die Erwartungen der meisten werden nicht wirklich aufgefangen. Bei der Ankunft sind viele eher enttäuscht als befriedigt. Die unheimliche Chance, die in einer geistlichen Betreuung der mit offenen Herzen suchenden Pilger bestehen würde, wird sehr wenig genützt. Ich könnte mir vorstellen, dass eine besondere Türe bzw. Pforte geschaffen oder ausgewählt wird, an der die Fußpilger begrüßt werden. Man könnte ihnen ein Gebet in ihrer Muttersprache überreichen, durch das sie in das Geheimnis des Heiligtums eingeführt werden. Ein persönlich gesprochenes Gebet lässt den Pilger in jedem Fall tiefer erleben, dass er an seinem Ziel tatsächlich angekommen ist. Außerdem sollten Beichtväter zur Verfügung stehen, die in verschiedenen Sprachen das Sakrament der Versöhnung bzw. seelsorgliche Gespräche anbieten, wie dies etwa in Lourdes der Fall ist.

Ankunft an Fronleichnam

Meine Ankunft gestaltete sich etwas anders. Am Morgen des Fronleichnamstages befand ich mich noch 43 km vor Santiago de Compostela. Im wahrsten Sinne des Wortes lag noch eine Marathonstrecke vor mir, die längste, die ich in meinem Leben bisher zu Fuß an einem Tag zurückgelegt hatte. Dem Pilgerführer konnte ich entnehmen, dass in der Kathedrale um 19 Uhr die letzte Heilige Messe gefeiert würde. „Ultreija!“ – „Auf!“, sagte ich mir immer wieder. Die ersten 30 km waren kein großes Problem. Doch danach wurde es immer mühsamer und schließlich eine echte Qual. Der Camino schien sich durch die abgeholzten Eukalyptuswälder endlos hinzuziehen. Die Füße wurden immer schwerer und die galizischen Regenschauer taten ihr Übriges. Endlich erreichte ich den Monte del Guzo, den „Berg der Freude“. Er hat diesen Namen erhalten, weil man von dieser Stelle aus zum ersten Mal einen Blick auf Santiago de Compostela werfen kann. Um 18.45 Uhr erreichte ich die Kathedrale. Die Opfer hatten sich gelohnt! Das Gotteshaus war bereits überfüllt und in der Sakristei wurde ich vom Ortsbischof mit seinem Domkapitel und einigen Priestern wohlwollend empfangen. Sie bereiteten sich gerade auf das Pontifikalamt mit anschließender Fronleichnamsprozession vor. Obwohl ich vor Schmerzen in den Füßen mit meinen Bergschuhen kaum ruhig im Chorgestühl sitzen konnte, empfand ich die ganze Feier als eine einzigartige Gnade. Eine glücklichere Ankunft, einen würdigeren Abschluss meiner Wallfahrt, hätte ich mir nicht vorstellen können.

Mit Jakobus Jesus kennen lernen

Nach der eucharistischen Prozession kniete ich an der Figur des hl. Jakobus nieder und dankte im Stillen für die Wallfahrt. Ich verstand: Der Weg nach Santiago ist beendet, aber im Schauen auf den hl. Jakobus geht die Pilgerreise weiter. Wie mich der Weg nach Santiago direkt zum Herrn in der Eucharistie geführt hatte, so muss mich die geistliche Reise danach näher zu Jesus bringen. Dabei zogen die Schlüsselszenen mit dem hl. Apostel Jakobus im Evangelium an meinem geistigen Auge vorüber.

Die erste biblische Szene, die mir in den Sinn kam, ist seine Berufung. Nach Petrus und Andreas sah Jesus zwei andere Brüder, Jakobus und Johannes. „Sie waren mit ihrem Vater Zebedäus im Boot und richteten ihre Netze her. Er rief sie, und sogleich verließen sie das Boot und ihren Vater und folgten Jesus“ (Mt 4,18-22). In diesem einen Augenblick erkennen sie Jesus als den Weg, die Wahrheit und das Leben.

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!“

Unvergessen ist der Weltjugendtag 1989 in Santiago de Compostela. Papst Johannes Paul II. stellte den jungen Leuten drei Fragen:

"Hast Du Christus schon als Weg entdeckt?"

Wir stehen in unserem Leben oft an Wegkreuzungen und müssen uns entscheiden, wohin wir gehen wollen. Viele wissen nicht, welchen Weg sie einschlagen sollen. Oft bieten sich bequeme Lösungen an, die sich aber später als Irrwege herausstellen. Auch ich wollte auf dem Jakobsweg einmal schlauer sein und den auf der Karte angegebenen Weg abkürzen. Bald hatte ich mich total verlaufen. Um das Etappenziel zu erreichen, musste ich schlussendlich eine ganze Stunde lang auf einer viel befahrenen Nationalstraße gehen. Zu Recht wird sich so mancher entgegenkommende Fahrzeuglenker gefragt haben, ob ich wohl lebensmüde sei.

Ähnlich ist es auch in unserem Leben! Es gibt keine Alternative zu dem Weg, den uns Jesus Christus vorgezeichnet hat. Er selbst ist der Weg. Und er ist der einzige Weg zum Vater. Alles andere sind Irrwege oder bestenfalls Umwege. Genau das möchte auch der Pilgerweg nach Santiago de Compostela neu bewusst machen. Das Zeugnis des hl. Jakobus lehrt die Menschen, „dass Christus mit seinem Evangelium, mit seinem Beispiel, mit seinen Geboten immer und allein der sicherste Weg ist, der zu einem vollen und dauerhaften Glück führt."[1]

"Hast Du Christus als die Wahrheit entdeckt?"

„Was ist Wahrheit?“ – diese Frage richtete Pilatus an Jesus. Er hatte nicht erkannt, dass die Wahrheit in Person vor ihm stand. Diese Tragödie darf sich in unserem Leben nicht wiederholen. „Die Wahrheit ist das tiefste Verlangen des menschlichen Geistes. Vor allem die Jugendlichen hungern nach der Wahrheit, nach der Wahrheit über Gott, über den Menschen und über das Leben und die Welt."[2]typo3/#_ftn2

Auf diese Fragen gibt es nur eine wahre Antwort: es ist Christus und sein Evangelium. Er erschließt uns den Sinn des Lebens. Denn in ihm hat uns Gott die Wahrheit über sich geoffenbart: Gott ist die Liebe. Aber auch die Wahrheit über den Menschen: Gott liebt jeden Einzelnen grenzenlos und wir sind dazu geschaffen, uns auf Jesus Christus einzulassen und die Liebe Gottes zu uns durch unsere Gegenliebe zu beantworten.

"Hast Du Christus als das Leben entdeckt?"

Jeder Mensch sucht ein erfülltes Leben. Genau das möchte uns Christus schenken. Die persönliche Beziehung zu ihm ist die Quelle des wahren Lebens. Ihn kennen zu lernen, ist das größte und schönste Abenteuer des Lebens. Doch genügt es nicht, ihn ein einziges Mal zu entdecken. „Jede Begegnung, die wir mit ihm haben, motiviert uns, ihn immer mehr zu suchen: im Gebet, in der Teilnahme an den Sakramenten, in der Betrachtung seines Wortes, in der Katechese, im Hören auf die Lehren der Kirche. Dies ist unsere wichtigste Aufgabe, die Paulus erkannt hat, als er schrieb: ‚Denn für mich ist Christus das Leben‘ (Phil 1, 21)."[3]

Das Tabor-Erlebnis im Heiligtum

Eine zweite biblische Szene, in der der hl. Jakobus vorkommt, ist die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor. In einem Kommentar zu diesem Ereignis hebt Pater Raniero Cantalamessa, der bekannte Prediger des Papstes, hervor, dass die Apostel Jesus bis dahin mehr oder weniger als einen ganz normalen Menschen gekannt hätten. Seine Zeitgenossen fragten sich auch: Ist das nicht der Sohn Josefs, des Zimmermanns? Heißt seine Mutter nicht Maria? Sind seine Angehörigen nicht unter uns?

Als aber Jesus vor den drei Aposteln Petrus, Jakobus und Johannes plötzlich verklärt wurde: „Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne“ (Mt 17,2), da war es, als ob der Schleier, der seine Gottheit verhüllte, für einen Augenblick verschwand. Der Herr zeigte sich den Jüngern vor seinem Leiden in seiner Gottheit, er offenbarte ihnen die himmlische Herrlichkeit, damit sie an seinem Kreuzestod nicht irrewerden.

Die Verklärung geschah auch für uns. Nach dem Kreuz kommt die Auferstehung! Mit diesem Ziel vor Augen sollten wir fähig werden, unsere täglichen Leiden auszuhalten und anzunehmen. Der Jakobusweg ist letztlich nichts anderes als eine geistliche Übung, um unser Leben im Licht der Verklärung zu formen. Der Pilger nimmt im Blick auf das Ziel die Strapazen des Weges auf sich. Die Ankunft in Santiago aber sollte zu einem Tabor-Erlebnis werden. In diesem Sinn bezeugen Pilgerberichte: „Als wir plötzlich sie (die so ersehnte Stadt) erblickten, warfen wir uns auf die Knie, und Tränen brachen uns aus den Augen: wir fingen an, das Tedeum zu singen, konnten aber nach zwei oder drei Versen wegen der Tränen kein Wort mehr herausbringen."[4] So wird eine Jakobuswallfahrt zu einer Kraftquelle für das ganze Leben.

Wenn ihr standhaft bleibt…

Eine dritte biblische Szene ist das Wachen im Garten Getsemani: „Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt und wacht mit mir!“ (Mt 26,37-38). Und Jesus forderte sie ausdrücklich zum Gebet auf. Die nachdrückliche Einladung, mit ihm zu wachen und zu beten, gilt allen Christen. Gerade auf dem Jakobusweg entdecken unzählige Pilger für sich ganz neu das Gebet. Jesus Zeit zu schenken und zu beten, in seiner Gegenwart gestärkt zu werden, das ist eine der schönsten Erfahrungen auf diesem Weg.

Vom hl. Thomas Morus stammt das Wort: „Ein Pilger kehrt nie nach Hause zurück ohne ein Vorurteil weniger und eine Idee mehr."[5] Bei jedem Pilger sieht dieses Vorurteil bzw. diese Idee anders aus. Aber die Frucht einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela schlechthin sollte darin bestehen, zusammen mit dem hl. Apostel Jakobus seinen Blick auf Jesus Christus zu richten, im Gebet die persönliche Verbundenheit mit ihm zu suchen und so sein Leben mit all seinen Freuden und Leiden wieder ganz annehmen zu können. „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (Lk 21,19).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 1/Januar 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Botschaft an die Jugendlichen der Welt zum IV. Weltjugendtag 1989, Nr. 1.
[2] Botschaft an die Jugendlichen, a.a.O., Nr. 1.
[3] Botschaft an die Jugendlichen, a.a.O., Nr. 1.
[4]  Zit. nach P. Windisch: Jakobsweg Lesebuch, Welver 2005, 73.
[5]  M. Zentgraf: Auf dem Jakobusweg. Pilgerbüchlein, München 2008, 17.

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