Das Geheimnis von Sobibor

P. Leo Kuchař SSS ist Eucharistiner-Pater in Wien. Seinen abenteuerlichen Weg zum Priestertum schildert er in dem Buch „Den Radar unterflogen",[1] das Papst Johannes Paul II. mit den Worten kommentierte: „Dank und höchste Anerkennung für die gediegene Autobiographie“. Pater Kuchař (geb. 1938) stammt aus Brünn in der ehemaligen Tschechoslowakei und erlebte zunächst mit seiner Familie den NS-Terror, später die „eiserne Härte“ des Kommunismus. Im Verborgenen reifte seine Berufung heran, bis er nach unglaublichen Hürdenläufen vom Lubliner Bischof in Polen geheim zum Priester geweiht wurde. Nachfolgend der Bericht über seine endlich erfolgreiche Reise in das katholische Nachbarland, die ihn auch zum „Friedhof“ seiner Mutter führte. Die Gaskammern von Sobibor sind verschwunden, doch eine Kapelle aus der damaligen Zeit hütet „einen vergrabenen Schatz – den Staub aus menschlichen Körpern“.

Von Leo Kuchař SSS

Im Sturzflug ins Ziel

War meine erste Polenreise ein Hürdenlauf, der mich mit jedem Schritt vom Ziel weiter entfernte, statt mich ihm näher zu bringen, so war meine zweite Polenreise ein Sturzflug ins Ziel. Es gab keine vorangehende Audienz oder Besprechung mit dem Bischof. Zur festgesetzten Stunde fand ich mich mit meinen Begleitern in der bischöflichen Residenz ein. Die Tür öffnete sich lautlos. Der Kammerdiener führte uns in die Privatkapelle des Bischofs. Meine Begleiter waren P. Archangelus und P. Florian.

Ich wusste, dass sie vom Bischof beauftragt waren, alle erforderlichen Bücher und Geräte mitzunehmen. Ich musste ja bei den Weihen verschiedene Gefäße, die sog. „Instrumenta“ berühren. Ich wunderte mich schon unterwegs, dass keiner der Patres eine Aktentasche oder ein Köfferchen bei sich hatte. Auf meine diesbezügliche Anfrage lächelte P. Guardian verschmitzt: „Hast Du eine Ahnung, was alles in den Ärmeln und unter der Pelerine einer Kapuzinerkutte Platz findet!“, flüsterte er mir zu. Das Wunder ließ nicht lange auf sich warten. Wie ein Zauberkünstler aus seinem Zylinderhut ein Dutzend Kaninchen hervorgaukelt, entledigten sich beide Freunde vor meinen erstaunten Blicken ihrer Lasten. Es kamen zum Vorschein: ein Pontifikalbuch im Altarformat, ein Lektionar, ebenfalls in Großausgabe, ein Rituale mit der Exorzismusformel, eine Schere, ein riesiger Kirchenschlüssel, eine Altarschelle, zwei Messkännchen mit Untertasse, ein Kelch mit Patene und eine Opferkerze. Aus einem verschnürten Bündel entpuppten sich ein Chorrock, eine Alba mit Schultertuch und Zingulum, eine Dalmatik mit Stola und eine Messkasel. Der Kredenztisch konnte die Requisiten kaum fassen. Er war beladen wie ein Gabentisch unter dem Christbaum.

Dann kam der Bischof. Es wurde kein Wort gewechselt. Er umarmte mich schweigend, kleidete sich in die liturgischen Gewänder und die heilige Handlung begann. Es war Dienstag, der 5. April 1960 um 19 Uhr Abend. Ich empfing die Tonsur und die vier niederen Weihen.

Der schönste Weg meines Lebens

Am nächsten Morgen war es dann soweit. Ich legte den schönsten Weg meines Lebens zurück, den Weg vom Kapuzinerkloster zum Sitz des Bischofs von Lublin. Zu meiner Rechten und Linken schritten wortlos dieselben Begleiter wie gestern. In seliger Verzückung bewegte ich mich durch die wohlbekannten Straßen. Sogar der Straßenlärm und das Gewimmel der geschäftigen Passanten umgaben mich mit der Aura der Verklärung. Es war Mittwoch, der 6. April 1960, der Mittwoch nach dem Passionssonntag. Vor dem eigentlichen Weiheakt kühlte mich ein nüchterner, aber unvermeidbarer Auftakt einigermaßen ab. Der Ritus musste besprochen werden. Es gab Unklarheiten bezüglich der Rubriken, welche die Erteilung aller drei höheren Weihestufen innerhalb einer heiligen Messe an denselben Kandidaten nicht vorsahen. Bei jeder höheren Weihe wird die Allerheiligenlitanei gebetet, während der Weihekandidat am Boden liegt. Soll die Litanei dreimal gebetet werden und soll ich mich dreimal niederwerfen? Alle schüttelten den Kopf. Das wäre zu grotesk! Kopfzerbrechen verursachte auch eine andere kirchliche Bestimmung. Kein Kleriker darf zu einer höheren Weihe aufsteigen, solange er die vorausgehende Weihe nicht ausgeübt hat. Ein Subdiakon muss zumindest in einem Hochamt die Epistel lesen, bevor er zum Diakon geweiht wird. Ein Diakon muss wenigstens einmal im feierlichen Gottesdienst das Evangelium gesungen haben, ehe er die Priesterweihe empfängt. In meinem Fall gab es keine Schwierigkeiten mit dem Subdiakonat. Die Subdiakonatsweihe wird vor der Lesung erteilt. Ich konnte daher in der Weihemesse als Subdiakon die Epistel vortragen und damit dem kanonischen Gesetz Genüge leisten.

Nicht so einfach war es mit der Diakonatsweihe. Sowohl die Diakonats- als auch die Priesterweihe wird schon vor dem Evangelium der Messe erteilt. Der Bischof entschied sich für einen liturgischen Anachronismus. Ich musste das Evangelium zweimal lesen. Einmal als Einschub nach der Diakonatsweihe, das zweite Mal an seiner richtigen Stelle, nachdem ich schon Priester war. Der Kodex wurde bewahrt, die Liturgie über den Haufen geworfen! Das störte mich aber damals nicht im geringsten. Ich war ja im siebenten Himmel! Um 7.30 Uhr war ich „Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedek“. In meiner Heimat war es 6.30 Uhr, denn in Posen war die Sommerzeit eingeführt. Bezeichnend war mein erster Gedanke nach der Handauflegung: Jetzt können mich die Kommunisten lebenslänglich einsperren, das unverwüstliche Merkmal des Priestertums können sie mir nicht mehr von der Seele herunterkratzen!

Sondervollmachten für die „Kirche des Schweigens“

Wie im Traum saß ich nach der Weihe mit dem Bischof und den beiden Kapuzinern beim Frühstückstisch. Die zwei weichen Eier bleiben mir unvergesslich. Während ich sie aufschlug, erteilte mir der Bischof für seine Diözese mündlich die Beichtjurisdiktion. Wozu eigentlich? Ich konnte ja kein Wort Polnisch! Der Bischof wusste aber, was er tat, und ich wusste es auch. Rom hatte verfügt, dass jeder Priester im Ostblock, der von einem Bischof zum Beichthören bevollmächtigt wird, in allen kommunistischen Ländern Beichtjurisdiktion besitzt. Als ich den Kaffeelöffel niederlegte, war ich befugt, in China, auf Kuba, in Nordvietnam, in Albanien und Jugoslawien – nicht zu vergessen die Sowjetunion – und in allen übrigen „Volksdemokratien“, somit auch in allen polnischen Diözesen und nicht zuletzt auf dem gesamten Gebiet meiner Heimat das Amt des Beichtvaters auszuüben. Um die Tschechoslowakei ging es ja an erster Stelle! Automatisch kamen noch die vielen und weitreichenden Sondervollmachten hinzu, mit denen der Heilige Stuhl großzügig die „Kirche des Schweigens“ bedacht und ausgestattet hatte. Praktisch durfte jeder Priester absolvieren und dispensieren wie der Papst selbst. Es gab keine Reservate und keine Rekurspflicht.

Am Vormittag irrte ich in der Stadt umher. Ich wollte allein sein. Ich gab das verschlüsselte Telegramm nach Brünn auf. Diesmal wird es kein Blindgänger sein! Ich war so glücklich, dass ich nicht einmal beten und danken konnte! Mein Herz war wie ein verstopfter Flaschenhals. Es kam nichts hinein und nichts heraus. Es dauerte noch eine geraume Zeit, bis sich die versteinerte Freude verflüssigt und die Verkrampfung gelöst hatte. Dann erst konnte ich eine Kirche betreten und mich vor dem Tabernakel niederwerfen.

Am selben Tag machte ich noch mit P. Florian einen Bummel durch die Stadt. Wir besuchten die Katholische Universität, den Stadtpark, den orthodoxen Friedhof und die Stadtbibliothek. Warum gerade diese Orte? Ich weiß es nicht. Ich ging einfach mit und ließ mich von P. Florian führen. Mich beschäftigte nur ein einziges Problem. Sollte ich mich mehr freuen über die Priesterweihe, die ich empfangen hatte, oder auf die erste heilige Messe, die ich morgen zelebrieren würde?

Das Vernichtungslager von Sobibor

Es stand für mich im vorhinein fest, dass ich meine erste heilige Messe in der kleinen Holzkapelle in Sobibor feiern würde. Diese Holzkapelle ist eine Kuriosität, ein Unikum. Sie wurde nicht erst nach dem Krieg erbaut, etwa als Gedenkstätte für die 250.000 Opfer von Sobibor, nein, sie war zwanzig Jahre älter als das Vernichtungslager, das die Nationalsozialisten dort errichtet hatten. Sie wurde nicht zerstört. Wie ich viel später erfuhr, musste sie der Lager-Gestapo als Stützpunkt dienen. In ihr wurden aufsässige Neuankömmlinge gefoltert und erschossen.

Zu alledem bekam sie eine grauenvolle Nachbarschaft. Nur einige Meter entfernt erhoben sich düstere Eisenbetonmauern von fünf Gaskammern. Die eintretenden Todeskandidaten – unter ihnen meine Mutter – streiften die Kapelle mit ihren Blicken. Das war der letzte Blickfang, die ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Dann folgten die Finsternis und der Tod im fensterlosen Betonbunker. Die Kapelle war für alle, die einen religiösen Glauben besaßen oder ihn in letzter Minute (wieder) erlangten, ein letztes Angebot der Gnade und des Trostes. Eine Viertelmillion Frauen, Männer und Kinder, die nur noch wenige Minuten zu leben hatten, musste an ihr vorbeidefilieren. Für sie alle wurde sie zu einer „Sonderbotschafterin“ Gottes, die aus ihrer bisherigen verträumten und von der Welt vergessenen Waldeinsamkeit plötzlich aufgeschreckt war und sich mutig bis in die vordersten Linien des ruchlosen Feindes vorwagte, um den namenlosen Scharen, die wie Freiwild aus aller Herren Länder zur Massenschlachtung zusammengetrieben wurden, mit stummem Mund, aber prophetischem Handzeichen, unmittelbar an der Schwelle der Vernichtung, eine ergreifende Predigt zu halten über Tod und Auferstehung.

Jetzt war es wieder ruhig in Sobibor. Die Gaskammern waren verschwunden. Aus menschlicher Asche war ein Föhrenwald hervorgewachsen, in dessen Baumgipfeln der Wind friedvoll säuselt. Die Kapelle mit ihren windschiefen Holzwänden ist in ihr früheres beschauliches Dasein zurückversunken. Stillschweigend hütet sie einen vergrabenen Schatz – den Staub aus menschlichen Körpern, die alle einmal auferweckt und wiederbelebt werden sollen wie die verdorrten Gebeine in der Talebene vor den Augen des Propheten Ezechiel (vgl. Ez 37,1-14). Sie war wieder geworden, was sie ehedem war: ein Aschenbrödel unter den Gotteshäusern, ein Stiefkind der sakralen Baukunst. Weit und breit gab es keine menschliche Behausung außer einem Bahnwärterhäuschen. Das Dorf Sobibor war fünf Kilometer entfernt. Vielleicht träumte die Kapelle von einem Erlebnis, das sie aus ihrem grauen Alltag und ihrem neuerlichen armseligen Dornröschenschlaf herausreißen würde.

Der einzige offene Weg ins Ausland

Ich war schon dabei, ihren Wunsch zu erfüllen. Sie hatte meiner Mutter einen unschätzbaren Liebesdienst erwiesen. Sie sollte Primizkirche werden. Auch meine Mutter verdiente diese heilige Messe. Die Primizmesse in der Kapelle von Sobibor sollte ein Requiem sein, das erste, größte und wichtigste Geschenk, das ein priesterlicher Sohn seiner Mutter überreichen kann. Die Primizmesse in Sobibor sollte ein Märtyrerjahresgedächtnis sein, ein katakombaler Gottesdienst über den Gräbern der Blutzeugen Christi. Wie sollte ich nicht über dem Grab meiner Mutter das erste Messopfer darbringen, wenn ich sozusagen auf ihrem Grab zum Priester geweiht worden war?

Ich habe viel über die Rolle nachgedacht, die meine Mutter im Plan Gottes und bei meinem priesterlichen Werdegang gespielt hatte. Man kann die Regie der Vorsehung Gottes nicht ausspionieren. Wenn man trotzdem Zusammenhänge aufdeckt, bekommt man nicht mehr als die Spitze eines Eisberges zu Gesicht. Meine Mutter hat etwas Erstaunliches und Einmaliges vollbracht. Ihre Aufgabe reichte weit über die Grenzen des natürlichen mütterlichen Bereiches hinaus. Zum entscheidenden Durchbruch verhalf sie mir – posthum! Ich meine jetzt nicht ihre himmlische Fürsprache, die für einen gläubigen Christen ein „normaler“ Vorgang ist, sondern ihren „irdischen“ Eingriff, mit dem sie mir achtzehn Jahre nach ihrem Tode zu Hilfe eilte. Sie rief mich zu ihrem Grab. Es war für mich der einzige offene Weg ins Ausland – und als ich ihr Grab erreichte, stand ich auch schon vor dem Weihealtar. Den biblischen Schatz entdeckte ich im Acker, in dem sie selbst ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte. Sie war Bahnbrecherin, Wegbereiterin und Platzhalterin meines Priesterberufes, und dies alles keineswegs zu Lebzeiten, sondern erst fast zwei Jahrzehnte nach ihrer Ermordung.

Eine tote Mutter hält ihr noch lebendes Kind

Heute steht in Sobibor eine KZ-Gedenkstätte. Mit Bulldozern hat man menschliche Asche und Knochenreste aufgetürmt und mit einem Grabhügel bedeckt, der so groß ist wie ein Zirkuszelt. An der Einfahrt steht ein Denkmal: eine aufrecht stehende Frau mit zurückgeneigtem Kopf, ein Kind in ihren Armen.

Der Künstler hatte sich von einer schauerlichen Begebenheit inspirieren lassen. Es war im Jahre 1942 oder 1943. An einem Wintertag kam ein Judentransport nach Sobibor. Er war mehrere Tage unterwegs gewesen. Als man die Schiebetüren der Viehwaggons öffnete, rührte sich drinnen nichts. Männer und Frauen standen eng aneinandergeschmiegt auf der Ladefläche. Sie waren tot.

Die erstarrten, stehenden Leichen waren völlig entkleidet. Man hatte ihnen die Kleider noch vor dem Abtransport abgenommen. Bevor man die zusammengefrorenen Leiber mit Spitzhacken auseinanderriss, machte der Lagerkommandant eine ungewöhnliche Entdeckung: Eine aufrecht stehende tote Mutter mit zurückgeneigtem Kopf hielt in ihren eiskalten Händen ein noch lebendes, wimmerndes Kind. Der Lagerkommandant rief einen SS-Mann herbei: „Guck mal, wie drollig“, sagte er, zog seine Dienstpistole und jagte dem Kind eine Kugel durch den Kopf … Ich betrachtete lange das Denkmal in Sobibor. Ist in ihm nicht auch meine Mutter nachgebildet? Eine tote Mutter hält immer noch ihr lebendes Kind…

Nun muss ich aber den Nekrolog auf meine Mutter beenden und zur Realität von Sobibor zurückkehren. Ich konnte meinen Plan nicht ausführen und in Sobibor meine erste heilige Messe zelebrieren. Der Pfarrer von Orchowek hatte Missionare im Pfarrhof und kein Zimmer frei. Ich musste meinen Besuch um einige Tage verschieben. In der Kapelle von Sobibor feierte ich meine fünfte heilige Messe. Ich war allein mit meinem Ministranten, dem heiligmäßigen Laienbruder aus Orchowek, dennoch spürte ich ganz deutlich und lebendig die Anwesenheit einer dritten Person… Dass meine Mutter irgendwie „dabei“ war, bezweifelte ich nicht im geringsten. Die Toten, „die uns vorangegangen sind, bezeichnet mit dem Siegel des Glaubens“, sind uns jederzeit näher als wir ahnen. Das Konglomerat von Ahnung, Gewissheit und Wunschbild projizierte ich nach außen. Jedesmal, wenn ich mich beim „Dominus vobiscum“ umdrehte, sah ich in der letzten Bank eine Gestalt knien – grau, verschwommen, durchsichtig wie ein Schleier, nebelhaft, bald mit leuchtenden Augen, in denen sich mütterliches Glück spiegelte, bald mit in den Händen vergrabenem Gesicht, wie wenn jemand Freudentränen vergießt… Beim „lte missa est“ löste sie sich auf. Ein unwirkliches Bild einer wirklichen Erscheinung? Was es auch war, es gehört unzertrennlich zu meinen Erinnerungen an Sobibor und an meine fünfte heilige Messe…

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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[1] Leo Kuchař SSS: Den Radar unterflogen. Reportagen über zwei geheime Priesterweihen aus der Kirche von nebenan, 176 S., 6,– Euro, und: Eucharistie. Mosaiksteine und Blitzlichter, TV-Predigtreihen, 310 S., 14,– Euro. Bestelladresse: Eucharistischer Gebetskreis, Brückengasse 5, A-1060 Wien.

Hab Mut, ER ruft dich!

Pater Leo Kuchař SSS gehört zur „Kongregation vom Heiligsten Sakrament“ (Eucharistiner). Bekannt geworden ist er in jüngerer Zeit vor allem durch sein pastorales Wirken bei K-TV. In mehreren Jahreszyklen hielt er über hundert eucharistische Predigten und suchte jeweils neue Zugänge zum Geheimnis der Eucharistie. Diese Predigten sind inzwischen auch in Buchform erschienen. Einen Schwerpunkt bildet sein unermüdlicher Einsatz für die Frühkommunion der Kinder im Geist des hl. Papstes Pius X. Das entsprechende Dekret Quam singulari nennt P. Kuchař ein „vergessenes Dekret“ und ruft zu einer Neuentdeckung besonders im Blick auf das 100jährige Jubiläum im nächsten Jahr auf.

Von Leo Kuchař SSS

Sehnsucht nach der heiligen Kommunion

Giuseppe Sarto, so hieß Papst Pius X., verspürte schon als kleiner Junge eine unbändige Sehnsucht nach der hl. Kommunion. Es war damals üblich, das Sakrament der Firmung früher zu empfangen (mit 11 Jahren) als das Sakrament der Eucharistie (mit 12 Jahren). Zuerst erkämpfte sich Giuseppe den Zutritt zum Pfarrhaus. Der Pfarrer pflegte keinen Umgang mit armen Leuten, noch weniger mit deren Kindern. Giuseppes Vater war Briefträger und nicht wohlhabend. Giuseppe ließ nicht locker. Doch im Pfarrhof holte er sich eine saftige Abfuhr. Der Pfarrer könne kirchliche Gesetze nicht ändern und er würde auch keine Ausnahme dulden. Nur der Bischof könne eine Entscheidung treffen. So kämpfte sich Giuseppe bis zum Bischof durch. Auch der Bischof könne kirchliche Gesetze nicht ändern, sondern nur der Papst. Giuseppe gab nicht auf. „Dann fahre ich zum Papst nach Rom!“ Der Bischof machte ihm keine Hoffnungen: „Der Papst wird dich nicht empfangen und auch er wird keine kirchlichen Gesetze ändern“. Dabei gab es diese einschlägigen Gesetze gar nicht, sondern lediglich Gewohnheitsrechte. Jedenfalls ist bezeugt, was Giuseppe damals beim Abschied sagte: „Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Papst zu werden und diese Gesetze zu ändern!“

Empfehlung des täglichen Kommunionempfangs

Giuseppe wurde Papst und erließ im Jahr 1905 ein erstes Dekret zum Empfang der hl. Kommunion. Es trägt den Namen „Sacra Tridentina Synodus“ und legte fest, dass der tägliche Zugang zum Tisch des Herrn nicht behindert werden dürfe. Vielmehr wird der tägliche Kommunionempfang als Ideal vorgestellt.

Für uns heutige Christen ist ein derartiges Dekret fast unverständlich. Kein Seelsorger macht Schwierigkeiten, wenn Gläubige täglich kommunizieren wollen. Sogar eine zweifache hl. Kommunion am Tag ist zulässig, wenn man zwei hl. Messen mitfeiert. Das alles war in früheren Zeiten nicht selbstverständlich. Pius X. berief sich auf das Konzil von Trient, das die tägliche hl. Kommunion ausdrücklich und eindringlich empfohlen hatte. Die Praxis der nachfolgenden Jahrhunderte war gegenläufig. Der Jansenismus, eine Bewegung, die von der Kirche verurteilt wurde, beeinflusste das sakramentale Leben. Die Verehrung der Eucharistie wurde zwar groß geschrieben (etwas, was wir heute wahrscheinlich neu entdecken und erlernen müssen), aber jede Übertreibung und Einseitigkeit nähert sich der Grenze zur Häresie. Wer ist würdig, Jesus im Brot der Eucharistie zu empfangen? Eigentlich niemand! Sogar die Gottesmutter Maria würde sich unwürdig fühlen. Sie war voll der Gnade, hat nie gesündigt. Aber ist ein Geschöpf würdig, seinen Schöpfer als Speise zu empfangen? Auch wir bekennen unsere Unwürdigkeit unmittelbar vor der hl. Kommunion: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach.“ Wenn wir hier einen Schlusspunkt setzen würden, müssten wir konsequenter Weise umkehren und in die Bänke zurückkehren. Wir setzen jedoch keinen Schlusspunkt, sondern fahren fort: „Aber sprich nur ein Wort und meine Seele wird gesund.“ Das Wort, das Jesus ausspricht und gesund macht, ist die hl. Kommunion selber. Wir werden nicht würdiger, wenn wir fernbleiben, sondern wenn wir hinzutreten.

Als Forderung der Demut und Ehrfurcht führte der Jansenismus so etwas wie einen eucharistischen „Hungerstreik“ ein. Auch fromme Ordensfrauen kommunizierten nur an den größeren kirchlichen Feiertagen. Für die monatliche Kommunion benötigte man eine Erlaubnis des Beichtvaters, die man kaum erhielt, weil auch die Priester in jansenistisch angehauchten Seminaren ausgebildet worden waren. Papst Pius X. jedoch bereitete dem Spuk des Jansenismus erfolgreich ein Ende.

Die Frühkommunion der Kinder

Hatte Papst Pius X. auch mit seinem zweiten Dekret Erfolg? Das Dekret Quam singulari wurde im Jahre 1910 in Kraft gesetzt. Nächstes Jahr also können wir das hundertjährige Jubiläum feiern und es sei gleich gesagt: ein trauriges Jubiläum! Das Dekret ist gleichsam verschollen und weiterhin unbekannt geblieben, auch bei den Hirten der Kirche.

Pius X. erlaubte nicht nur, sondern forderte geradezu die Frühkommunion der Kinder! Wenn ein Kind in die so genannten „Unterscheidungsjahre“ komme und gewöhnliches Brot vom eucharistischen unterscheiden könne, sei es auf die Erstkommunion (und Erstbeichte) vorzubereiten und zuzulassen. Die „Unterscheidungsjahre“ ermöglichen auch die Erkenntnis von Gut und Böse, deshalb die vorausgehende Beichte. Ansonsten wird keine vollständige Einführung in den Katechismus verlangt. Das Kriterium ist der Glaube und die Sehnsucht.

Wenn das Kind mit den Eltern in die Kirche geht und die Eltern zur hl. Kommunion gehen, kann es geschehen, dass das Kind bettelt: „Ich will das auch haben!“ Das besagt noch nicht viel und ist erklärlich durch den kindlichen Nachahmungstrieb. Wenn aber das Kind die Frage stellt: „Warum darf Jesus nicht zu mir kommen?“, so ist es bereits ein Alarmzeichen für die Eltern.

Die Sehnsucht des Herrn nach der reinen Seele des Kindes

Die Beweggründe des hl. Papstes Pius X. sind gut nachvollziehbar. Die hl. Kommunion ist nämlich keine „Einbahn“. Wir wollen gewöhnlich allein entscheiden, ob wir zur hl. Kommunion gehen oder nicht. Kommunion ist aber schon vom Wort her eine innige Vereinigung zweier Personen.

Stellen wir an Christus die rhetorische Frage: „Wie oft willst du mit mir kommunizieren?“ Er ist unser „Partner“. Er hat doch auch ein Wörtchen mitzureden! Er ist voll Liebe und Sehnsucht. Er wird uns keine andere Antwort geben als: „So oft du darfst und so oft es möglich ist!“

Nehmen wir an, Pius X. hätte eine ähnliche rhetorische Frage gestellt: „Herr, wann möchtest du frühestens sakramental in das Herz und in die Seele eines getauften Kindes kommen?“ Könnte seine Antwort anders lauten als: „So bald als möglich!“?

Die lateinischen Anfangsworte des Dekretes Quam singulari verweisen auf die übergroße Liebe Jesu zu den Kindern: „Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes“ (Lk 18,16).

Was war vorausgegangen? „Als die Jünger das sahen, wiesen sie die Leute schroff ab“ (Lk 18,15). Genau das ist des Pudels Kern! Das Dekret Quam singulari geriet weitgehend in Vergessenheit, weil es von einem Berg von Unkenntnis, Vorurteilen, praktischen Schwierigkeiten und auch böswilligen Hindernissen zugedeckt wurde.

Schwierigkeiten und Hindernisse in der heutigen Zeit

• Ich sprach mit einem Professor der Pastoraltheologie. Er wusste nichts von der Existenz dieses Dekrets.

• Meist wird der Einwand vorgebracht, die Kinder könnten das Geheimnis der Eucharistie noch nicht verstehen. Doch verstehen wir Erwachsene es besser?

• Die Kinder werden im Rahmen des Schulunterrichts gemeinsam auf die Feier der Erstkommunion vorbereitet. Niemand soll „aus der Reihe tanzen“! Warum nicht? Die Frühkommunionkinder selbst erfahren es nicht als Widerspruch. Sie erleben die Frühkommunion eher als Familienfest, die Erstkommunion mit den Mitschülern dagegen als Gemeinschaftsfest.

• Bedenklich sei auch, dass der Eindruck erweckt werden könnte, die Eltern der Frühkommunionkinder wollten etwas Besseres sein und frömmere Kinder haben. Doch sie beschreiten einen Weg, der allen zugänglich ist und sein soll. Und sollten nicht alle Eltern versuchen, bessere Christen zu werden und ihre Kinder tiefer in den Glauben einzuführen?

• Man ist „tolerant“ bei der Zulassung zum Tisch des Herrn. Alle sollen die Eucharistie empfangen, die am Gottesdienst teilnehmen – auch die, die ihr Gewissen nicht prüfen, die unverheiratet oder in einer irregulären Ehe zusammenleben, oder auch die „getrennten Brüder“ (Interkommunion). Doch die „Toleranz“ betrifft nicht die kleinen Kinder, die ein reines Herz haben. Sie sollen noch warten!

• Es gibt auch echte Stolpersteine. Die Frühkommunionkinder sind Vorschulkinder. Pius X. hat sogar drei- bis vierjährigen Kindern den Leib des Herrn gereicht. Es obliegt daher den Eltern, die Kinder vorzubereiten. Haben sie Ängste oder Vorbehalte? Sie sind doch generell die ersten Missionare, Katecheten und Seelsorger ihrer Kinder! Oder warten sie, bis die Schule die Erziehung übernimmt?

• Die Vorbereitung auf die Erstkommunion (und Beichte) ist problematisch, wenn die Kinder nicht in einem gläubigen Elternhaus aufwachsen. Für die Frühkommunion ist tatsächlich eine lebendige religiöse Atmosphäre unumgänglich. Manchmal genügt ein gläubiger Elternteil, der auf die Erziehung maßgeblich Einfluss hat.

• Wir haben gottlob noch zahlreiche gläubige, ja vorbildliche Familien. Ihre Kinder haben alle Voraussetzungen, Frühkommunionkinder zu sein. Warum sind sie es nicht? Welche Ursachen spielen mit? Unkenntnis oder Befürchtungen? Christliche Märtyrer waren bereit, lieber zu sterben, als der Eucharistiefeier fernzubleiben. Es lohnt sich, Opfer zu bringen, Widerstände zu überwinden und sich von kurzsichtigen Einwänden nicht abschrecken zu lassen. Vieles muss man sich im Leben regelrecht erkämpfen. Auch Giuseppe Sarto war ein Kämpfer!

Als Schlusssatz ein Zitat aus dem Markus-Evangelium: „Hab Mut … ER ruft dich“ (10,49).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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Der Kampf um die Einheit

Nicht das erste Mal hat Papst Benedikt XVI. mitten im Sturm die Ruhe bewahrt. Zu keinem vorschnellen Urteil ließ er sich hinreißen, zu keiner Verteidigung, die ihm andere Wege versperrt hätte. Pfr. Erich Maria Fink versucht die Beweggründe des Papstes für sein Handeln zu beleuchten. Er will damit in keiner Weise Partei für die Piusbruderschaft ergreifen, geschweige denn die Leugnung des Holocausts durch Bischof Richard Williamson verharmlosen. Er möchte lediglich eine Sichtweise aufzeigen, die im Stimmengewirr fast völlig untergegangen ist.

Von Erich Maria Fink

Verstehen statt Verurteilen

Die Aufhebung der Exkommunikation gegenüber den vier Bischöfen der Bruderschaft St. Pius X. löste in Verbindung mit der Leugnung des Holocausts durch einen dieser Bischöfe heftige Reaktionen aus. Die Welt entsetzte sich über Papst Benedikt XVI. und überschüttete ihn in den Medien mit einer Flut von emotionsgeladenen Kommentaren und Sonderberichten. Höchste Vertreter der Hierarchie sprachen von einer historischen Krise und einem gewaltigen Schaden für die Kirche. Beinahe jede Stellungnahme, ob von Seiten der „Verteidiger“ oder von Seiten der „Ankläger“ des Papstes, riss neue Gräben auf: innerkirchlich, zwischen den Konfessionen und Religionen, besonders im Hinblick auf den katholisch-jüdischen Dialog, aber auch zwischen Kirche und Staat.

Dass die klärende Stellungnahme des Vatikans so spät erfolgte, soll hier nicht gerechtfertigt werden. Auch die Leugnung des Holocausts steht in keiner Weise zur Disposition. Sie darf niemals und unter keinen Unständen hingenommen werden. Alle, die sensibel reagiert haben, verdienen zunächst Verständnis. Das gilt auch für eine Bundeskanzlerin, die nicht nur persönlich gerungen, sondern auch Millionen von verunsicherten Gläubigen aus dem Herzen gesprochen hat. Inzwischen bat auch der Papst vor jüdischen Vertretern um Vergebung. Das gibt uns die Möglichkeit, innezuhalten und die gesamte Problematik im Licht der ursprünglichen Absicht des Papstes zu betrachten. Es geht um eine objektive Betrachtung seiner Einigungsbemühungen, ohne die Piusbruderschaft in ein positives Licht rücken zu wollen.

Der Papst als Diener der Einheit

Papst Benedikt XVI. ist Nachfolger des hl. Apostels Petrus. Im Auftrag Jesu Christi übt er den Dienst der Einheit für die ganze Kirche aus. Benedikt XVI. hat eine klare theologische Vorstellung vom Geheimnis der Kirche. Er folgt in aller Aufrichtigkeit dem Zeugnis des hl. Apostels Paulus, der mit Nachdruck verkündet hat: Es gibt nur einen Christus und deshalb kann es nur eine Kirche geben. Denn sie bildet den geheimnisvollen Leib Christi. Gerade deshalb nimmt Benedikt XVI. seine Aufgabe als Pontifex, Brückenbauer, so ernst.

Das Petrusamt ist und bleibt der sichtbare Ausdruck für die Einheit der Jünger Christi. Darin sieht Benedikt XVI. – ganz im Geist seines Vorgängers Johannes Pauls II. – die vorrangige Verantwortung seines Dienstes an der Wahrheit. Durch die Spaltungen innerhalb der Christenheit ist der Leib Christi zerrissen. Er kann nur dadurch geheilt werden, dass die verschiedenen Bekenntnisgruppen und christlichen Gemeinschaften das Lehramt des Papstes anerkennen und sich in eine sichtbare Einheit mit dem obersten Hirten der Kirche begeben.

Gebetswoche um die Einheit der Christen

Nicht zufällig hat Benedikt XVI. für die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der schismatischen Priesterbruderschaft St. Pius X. den 21. Januar 2009 gewählt. Der Tag liegt genau in der Mitte der weltweiten Gebetswoche um die Einheit der Christen. Sie wurde heuer das 101. Mal begangen und erlangte auf dem Hintergrund des Paulusjahres eine besondere Bedeutung. Denn die Initiatoren hatten sich bewusst für die Woche vor dem Fest der Bekehrung des hl. Apostels Paulus am 25. Januar entschieden. Sie wollten zum Ausdruck bringen, welche Gesinnung auf allen Seiten notwendig ist, damit die verlorene Einheit wiederhergestellt werden kann.

Im Dekret der Kongregation für die Bischöfe, mit dem die besagte Exkommunikation erlassen worden ist, wird aus einem Brief des Generaloberen der Piusbruderschaft, Mons. Bernard Fellay, an den Präsidenten der Päpstlichen Kommission „Ecclesia Dei“, Dario Kardinal Castrillón Hoyos, vom 15. Dezember 2008 zitiert. Darin heißt es: „Wir sind immer vom festen Willen bestimmt, katholisch zu bleiben und alle unsere Kräfte in den Dienst der Kirche unseres Herrn Jesus Christus zu stellen, welche die römische katholische Kirche ist. Wir nehmen ihre Lehren mit kindlichem Geiste an. Wir glauben fest an den Primat des Petrus und an alle seine Vorrechte, und deshalb lässt uns die aktuelle Situation sehr leiden.“

Persönliche Verantwortung Kardinal Ratzingers

Ist es nicht die Pflicht des Papstes, auf eine solche Bitte zu reagieren? Muss er nicht alle Möglichkeiten nützen, um auf dem Weg zur Einheit einen Schritt voranzukommen? Wie hätte es die Welt aufgenommen, wenn sich irgendeine andere christliche Gemeinschaft, z.B. eine orthodoxe Schwesterkirche mit solchen Worten an den Papst gewandt hätte? Außerdem ist niemand vom Bruch zwischen der Piusbruderschaft und der katholischen Kirche so unmittelbar und persönlich berührt wie der jetzige Papst. Im Auftrag von Papst Johannes Paul II. führte Joseph Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation in den Achtziger Jahren die Verhandlungen mit dem traditionalistischen Bischof Marcel Lefebvre, der die Piusbruderschaft 1970 ins Leben gerufen hatte.

Kardinal Ratzinger konnte damals eine Einigung erzielen und dem Gründerbischof Lefebvre einen Bischof als Nachfolger in Aussicht stellen. Nach einem letzten Gespräch mit Kardinal Ratzinger aber verlor Lefebvre das Vertrauen und verwarf die ausgehandelte Vereinbarung. Ohne Zustimmung des Papstes weihte er am 30. Juni 1988 vier seiner Priester zu Bischöfen.

Infolge der illegitimen Weihe verfielen diese Bischöfe automatisch der Exkommunikation als Tatstrafe, welche am 1. Juli desselben Jahres formell bestätigt wurde. Dieses Schisma empfand Papst Johannes Paul II. als eine der größten Enttäuschungen seines Pontifikats. Gleichzeitig wusste Kardinal Ratzinger in dieser „Niederlage“ von Anfang an um seinen persönlichen Anteil.

Gründung der Petrusbruderschaft

So setzte sich Kardinal Ratzinger in den nachfolgenden Jahren mit aller Kraft für die Gläubigen ein, die an der traditionellen Form der Liturgie hingen. Zunächst wurde von Johannes Paul II. die Sonderkommission „Ecclesia Dei“ als Kontaktstelle geschaffen. Kardinal Ratzinger war Mitglied und wirkte richtungweisend mit. Alle, die nach der Abspaltung von Lefebvre ihrem Bischof nicht ins Schisma folgen wollten, sollten eine Möglichkeit erhalten, ihren Weg in Einheit mit Rom weiterzugehen. Schließlich bildete sich aus einem Teil der Piusbruderschaft die romtreue Priesterbruderschaft St. Petrus, die sich ohne Vorbehalt dem Papst unterstellte. Demonstrativ feierte Kardinal Ratzinger für diese Gemeinschaft Gottesdienste, ja sogar die Priesterweihe im tridentinischen Ritus. Schon damals wunderten sich viele über das Engagement des Kardinals.

Gleichzeitig blieb er als Präfekt der Glaubenskongregation mit dem Fall der Piusbruderschaft betraut. Er gab sich nicht damit zufrieden, dass lediglich ein Flügel zur Einheit mit der Kirche zurückgekehrt war. Sein Einsatz für die Bruderschaft St. Petrus erfolgte immer auch im Blick auf die Piusbruderschaft. Er bemühte sich darum, dass die Petrusbruderschaft von den Bischöfen angenommen und in die Gesamtkirche integriert würde. Auch sollte sie ihrem traditionellen Weg treu bleiben, um dem größeren Rest der Piusbruderschaft den Beweis zu erbringen, dass sie durch ihre Anbindung an Rom nicht in die „Falle der modernistischen Umerziehung“ geraten ist. Als Papst ging er noch deutlicher auf die Piusbruderschaft zu. Schritt für Schritt versuchte er durch konkrete Maßnahmen deren Vertrauen zum Petrusnachfolger zu gewinnen und zu stärken. Die allgemeine Wiederzulassung des tridentinischen Ritus oder auch die Anweisung, die Wandlungsworte mit „für viele“ statt „für alle“ zu übersetzen, waren in erster Linie als Signal an die Piusbruderschaft gedacht.   

Das II. Vatikanische Konzil

Vor über 40 Jahren hat Joseph Ratzinger aktiv am II. Vatikanischen Konzil teilgenommen. Er war theologischer Berater und weiß um die Entstehungsgeschichte der einzelnen Dokumente. Seine Einblicke verleihen ihm eine ungemeine Souveränität im Umgang mit dem Thema Konzil. Er ließ nie den geringsten Zweifel daran, dass er hinter dem Konzil steht, ja dass er es für das „größte kirchliche Ereignis des 20. Jahrhunderts“ hält (vgl. Angelus am 8.12.2005). Gleichzeitig hob er immer hervor, dass das Konzil keinen Bruch in der Tradition der Kirche darstellt. Er scheute keine Mühe, diese goldene Mitte gegen alle einseitigen Interpretationen des Konzils zu verteidigen.

Den übereifrigen Erneuerern, welche die gesamte Kirchengeschichte vor dem II. Vatikanischen Konzil streichen wollten, insbesondere das I. Vatikanische und das Tridentinische Konzil, zeigte er auf, dass die Konzilsdokumente nur im Licht der Tradition richtig gedeutet werden können. Aus diesem Grund wehrte er sich seit Jahrzehnten energisch gegen das strikte Verbot des alten Messritus. Unabhängig von der Auseinandersetzung mit der Bewegung der Traditionalisten entschied sich seiner Meinung nach an der Frage der Liturgie das richtige Verständnis des Konzils überhaupt. Als er im Sommer 2007 die allgemeine Zulassung des alten Ritus verfügte, wollte er vor allem eine Lanze für das II. Vatikanische Konzil brechen. Die Bezeichnung des neuen Ritus als „ordentlich“ ist einerseits ein klares Bekenntnis zur Liturgiereform auf der Grundlage des entsprechenden Konzilsdokuments Sacrosanctum Concilium, die Bezeichnung des alten Ritus als „außerordentlich“ ist andererseits Ausdruck für die Rückbindung des gesamten Konzils an die vorausgehende Tradition, die uneingeschränkt ihre Gültigkeit behält.

Die Piusbruderschaft

Bei der Aufhebung der Exkommunikation hatte Papst Benedikt XVI. nicht in erster Linie die vier Bischöfe im Blick, sondern die Tausenden von Gläubigen, die sich der Piusbruderschaft angeschlossen haben. Oft hatten sie ihren eigenen Pfarreien aus berechtigter Enttäuschung über die nachkonziliaren Fehlentwicklungen den Rücken gekehrt. Meist übernahmen sie erst von Vertretern der Piusbruderschaft Denkmuster und Geschichtsinterpretationen, die zu Verhärtungen führten und inhaltlich unannehmbar sind. Der Papst möchte sie daraus befreien, damit sie wieder die Schönheit eines auf die Gesamtkirche vertrauenden und mit ihr versöhnten Glaubens erleben können.

Benedikt XVI. kennt die theologischen Positionen und Strömungen in der Piusbruderschaft ziemlich genau. Er weiß, auf welchen „Kampf“ er sich einlässt, wenn er die Tür zu Einigungsgesprächen öffnet. Aber er geht den inhaltlichen Diskussionen über das II. Vatikanische Konzil nicht aus dem Weg. Durch unmissverständliche Schritte nahm er den Traditionalisten, die sich gegen die „Konzilskirche“ abschotten möchten, bereits den Wind aus den Segeln. Die Brücke, die er ihnen baut, fordert sie heraus und ruft sie zur Entscheidung. Auf diese Weise hat ein erster Reinigungsprozess eingesetzt, der allerdings noch längst nicht ans Ziel gekommen ist.

Forderung nach einem Ultimatum

Alle, die in diesem Augenblick vom Papst erwarten, dass er der Piusbruderschaft ein Ultimatum stellt, verkennen wohl die Dimension dieses jahrzehntelangen Ringens um die Einheit. Auch denjenigen, die sofort nach Bekanntwerden des unseligen Interviews drastische Maßnahmen gefordert haben, zeigt der Papst, dass er den begonnenen Einigungsprozess nicht leichtfertig preisgeben möchte. Sicherlich hätte er sich einfach von der Piusbruderschaft distanzieren können, um die Gemüter zu beruhigen. Genau dazu wollten viele, denen eine Einigung mit der Piusbruderschaft ohnehin ein Dorn im Auge wäre, den Papst drängen. Aber Benedikt XVI. versteht sich als guter Hirte, der dem verlorenen Schaf nachgeht.

Immerhin zeigen sich bereits Früchte der „barmherzigen“ Vorgehensweise des Papstes. Der Vatikan hatte sich darauf beschränkt, Bischof Richard Williamson aufzufordern, sich „eindeutig und öffentlich“ von seinen Aussagen zum Holocaust zu distanzieren, wenn er wieder Funktionen in der katholische Kirche übernehmen möchte. Daraufhin gab es Bewegung innerhalb der Piusbruderschaft. Die Absetzung des Holocaustleugners Williamson als Leiter des Priesterseminars in Argentinien und der Ausschluss eines Mitglieds der Bruderschaft in Norditalien, der die Ansichten des Bischofs teilte, sind deutliche Signale für ein ernsthaftes Ringen um einen Neuanfang.

Ausblick

Das Bemühen des Papstes, Vertrauen aufzubauen und die traditionalistische Bewegung wieder in die Kirche zu integrieren, ist eine hoch sensible Angelegenheit. Benedikt XVI. selbst kann bislang nicht in die Piusbruderschaft eingreifen, solange sie im Schisma lebt. Korrekturen müssen deren Verantwortliche vornehmen. Hätte der Generalobere nicht erlebt, wie Benedikt XVI. das Gewitter auch über seine Person ergehen ließ, wäre eine Absetzung von Williamson wohl nicht so schnell erfolgt. Hier wird das Geheimnis des Kreuzes sichtbar. Das Lamm Gottes kann versöhnen, weil es die Schuld anderer getragen hat. Benedikt XVI. folgt Jesus auf diesen Spuren nach. Allerdings bleibt völlig offen, ob es denjenigen in der Piusbruderschaft, die das Gesprächsangebot des Papstes aufgenommen haben, gelingen wird, die ganze Gemeinschaft zur Einheit mit Rom zu führen. Dies wird noch zu gewaltigen Auseinandersetzungen führen.

So gesehen dürfen wir von einer Fügung sprechen, dass Benedikt XVI. im Augenblick der Aufhebung der Exkommunikation weder das Interview noch die irren Ansichten von Williamson kannte. Es hätte den Einigungsprozess vielleicht vollkommen zum Erliegen gebracht. Der Papst jedenfalls scheint, sich opferbereit in die Vorsehung Gottes zu ergeben und sich den Herausforderungen kraftvoll zu stellen. Das zeigen seine jüngsten Ansprachen vor jüdischen Delegierten und die entschlossenen Vorbereitungen zu einer Israel-Reise. Weder in Jerusalem, noch in Bethlehem wird er ängstlich vor den notwendigen Worten zugunsten des jüdischen Volkes zurückschrecken.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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Krise in Österreich

Nach heftigen Protesten ist Pfarrer Dr. Gerhard Wagner als designierter Weihbischof von Linz zurückgetreten. Weihbischof Dr. Andreas Laun analysiert die Vorwürfe, die gegen Wagner erhoben wurden. Inzwischen haben die österreichischen Bischöfe in einem gemeinsamen Hirtenwort eingestanden: „Die Situation in der großen Diözese Linz macht den Bischöfen Sorgen – dies auch nach dem Rücktritt von Pfarrer Dr. Gerhard Wagner. … Uns Bischöfe bewegt aber auch die in der Diözese Linz seit Jahren spürbare Spannung, die mit der jüngsten Ernennung wieder akut geworden ist. Es geht hierbei nicht nur um unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich Strukturen und Methoden, sondern letztlich um die Frage der sakramentalen Identität der katholischen Kirche.“

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Vorwürfe gegen Gerhard Wagner

Es sind drei Vorwürfe gegen Gerhard Wagner, die die Zeitungen wieder und wieder abgedruckt haben, und die offenbar als Beweis dafür gemeint sind, dass er ungeeignet ist, Bischof zu werden, Beweis, dass er schrecklich ist. Diese Vorwürfe lauten: Er behauptet die Heilbarkeit der Homosexualität, er hält „Harry Potter“ für verderblich, weil die Bücher die jungen Leser in einen ungesunden Satans- und Hexenglauben führen können, und er sieht Zusammenhänge zwischen Sünde und Abfall von Gott auf der einen Seite und Naturkatastrophen wie den Hurrikan, der eine Stadt mit relativ vielen Abtreibungs-Einrichtungen und noch viel mehr Bordellen zerstört hat.

Soweit die Anklage, das Urteil ist bekannt: „Weg mit ihm! Vorgetragen in einer Tonlage, die unheimliche Assoziationen zum „Kreuzige ihn!“ wecken kann. Als ich vor Jahren mein kleines Buch gegen das Kirchenvolksbegehren herausgebracht hatte und es einem anderen, älteren Bischof gab, sagte dieser: „Gut, aber ich sage Dir: Ich habe den Nationalsozialismus erlebt, es war wie ein Rausch, und dagegen helfen keine Argumente. Heute ist es wieder so, wie ein Rausch! Du wirst die Leute nicht erreichen!“ Das ist wohl wahr, es gibt viele, viele Menschen, die auf der einen Seite wissenschafts-gläubig sind, auf der anderen Seite aber immun gegen Argumente. Und doch: Die Wahrheit kann untergehen, aber sie ertrinkt nicht, man kann sie nicht besiegen. Darum muss es eine Antwort auf die drei Anklagepunkte geben. Dass die Ankläger nur drei „Beweise seiner Schuld“ nennen können, spricht zusätzlich für sich:

Eine kritische Analyse

1. Zur „Heilbarkeit der Homosexualität“

Wenn der Arzt einem Menschen sagt, er leide an dieser oder jener „Krankheit“, kann der Betreffende erschrecken, beleidigt ist er nicht. Nun, jemand zu sagen, seine Gefühle seien „krank“, ist insofern tatsächlich ein anderer Fall, weil sich der Mensch mit diesen seinen „Gefühlen des Verlangens“ identisch fühlt und darum meint, mit dem Begriff „Krankheit“ persönlich angegriffen zu werden, obwohl schwer einzusehen ist, warum ein Trieb, der biologisch gesehen eindeutig zwar nicht nur, aber doch wesentlich auf Fortpflanzung gerichtet ist, nicht krank genannt werden dürfte, wenn er in die biologisch falsche, sterile Richtung geht. Dazu kommt: Mit „heilbar“ meint man ja eigentlich nichts anderes als „veränderbar“, und damit verwandelt sich die Frage in eine wertneutrale Sachfrage, die sich in moderner Diktion so stellen lässt: Ist die homosexuelle Orientierung veränderbar, und wenn ja, ändert sie sich manchmal „von selbst“ oder nur mit Hilfe eines Psychologen oder gar Arztes? Antwort darauf geben zunächst Tatsachen. Eine dieser Tatsachen ist: Es kommt vor, dass Männer mit Familie plötzlich erklären, sie seien homosexuell, Frau und Kinder verlassen und zu ihrem „Freund“ ziehen. Umgekehrt gibt es Homosexuellen, die den Schritt der Veränderung in der anderen Richtung tun. Zudem gibt es Menschen mit homosexueller Orientierung, die Hilfe suchen und um Hilfe bitten. Das heißt: Es gibt ganz offenkundig „Veränderung der sexuellen Orientierung in beide Richtungen.

Wer meint, gegen diese Tatsachen die „Wissenschaft“ auf seiner „ideologischen Seite“ zu haben, irrt: Der amerikanische Psychiater R. Spitzer, dessen Einfluss maßgeblich mitgewirkt hat bei der Entscheidung, Homosexualität aus der Liste der „Krankheiten“ zu streichen, sagt heute auf Grund seiner Untersuchungen: die homosexuelle Neigung ist tatsächlich veränderbar!

Bedenkt man diese Fakten und hält sich vor Augen, dass vergleichbare Veränderungen wie eine Geschlechtsumwandlung von der Gesellschaft heute sehr wohl akzeptiert werden, folgt: Es gibt das Recht auf Veränderung, und es wäre diskriminierend, dieses Freiheitsrecht den zunächst homosexuell empfindenden Menschen vorzuenthalten. Auch der schon genannte R. Spitzer spricht vom „Recht auf Veränderung“, und dass er nach Veröffentlichung seiner Untersuchungsergebnisse wütend angegriffen und sogar mit dem Tod bedroht wurde, spricht für sich!

Es genügt, das Wort „Heilung“ und „Therapie“ zu vermeiden, weil beide Begriffe „Krankheit“ logisch voraussetzen, und man auf die Gefühle der Betroffenen Rücksicht nehmen sollte.

Nun, Wagner hat noch traditionell von Heilung gesprochen, aber der Sache nach hat er Recht, es gibt Veränderung und die Homosexuellen haben ein Recht darauf, auch wenn eine Mehrheit der Betroffenen, nach dem Urteil von G. v. Aardweg, einem anderen Fachmann auf diesem Gebiet, die Veränderung nicht erreichen können, auch wenn sie es wollten. Und deswegen, wegen einer richtigen Aussage mit einem nicht ganz glücklichen Begriff, soll ein Mann ungeeignet sein, Bischof zu sein? Man bedenke dabei: Über die Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung eines Menschen sagt die Kirche nichts, sie kann auch nichts sagen, dieses Urteil liegt nicht in ihrer Kompetenz: Wenn ein Bischof dazu redet, teilt er nur seine private Meinung mit, die sich allein auf seine sachlich gut oder schlecht abgesicherten Informationen stützt! Ein Kriterium dafür, ob er für das bischöfliche Amt geeignet ist oder nicht, kann ein solches Urteil auf keinen Fall sein!

2. Zum Urteil über Harry Potter

Wer es wissen will, braucht nur im Internet Stichworte wie Teufel, Hexen, Zauberei eingeben und er wird sehen! Die Welt der dunklen Mächte oder auch nur kranker Fantasien, der Betrüger und Lügengeister ist weit verbreitet! Wie kann es auch anders sein: Nach einem berühmten Wort hausen auf verwaisten Altären tatsächlich die Dämonen! Eine Veränderung, die ihre Logik in sich trägt: Wenn sich die Welt von Gott abkehrt, entsteht nicht eine Welt der Vernünftigkeit und der Millionen, die sich brüderlich umschlingen, sondern eine Welt, in die alte Ängste zurückkehren, die vom Aberglauben beherrscht wird und in der die uralten, unausrottbaren Triebe der Herrschsucht, der Geldgier und der Grausamkeit den Ton angeben. Darum ist es durchaus verständlich, dass ein Priester sich besorgt zeigt, ob „Harry Potter“ in Jugendlichen nicht vielleicht doch Türen für unreine Geister und Fantasien öffnet, vor denen er warnen sollte. Allerdings, die Meinung über Harry Potter ist in der katholischen Welt geteilt, einige sind besorgt (wie z.B. Frau Kuby), andere halten sie für harmlos (P. Walthard Zimmer). Hier ist nicht die Frage, wer mehr Recht hat, klar aber ist: Es ist verständlich und legitim, besorgt zu sein. Nun, Gerhard Wagner ist besorgt, und er mag sich irren, aber immerhin hat er gezeigt, dass er ein aufmerksamer Wächter für die ihm Anvertrauten ist. Sicher ist: Wenn Gerhard Wagner zur „besorgten Fraktion“ gehört, ist das absolut keine Disqualifikation für ihn.

3. Hurrikan und „Gottesstrafe“

2005 zerstörte der Hurrikan Katrina New Orleans. Pfarrer Wagner kommentierte das Ereignis in seinem Pfarrbrief folgendermaßen: „Der Hurrikan ‚Katrina‘ hat nicht nur alle Nachtclubs und Bordelle vernichtet, sondern auch alle fünf (!) Abtreibungskliniken. Wussten Sie, dass zwei Tage danach die Homo-Verbände im französischen Viertel eine Parade von 125.000 Homosexuellen geplant hatten? Wie erst so langsam bekannt wird, sind die amoralischen Zustände in dieser Stadt unbeschreiblich.“ Angesichts dieser Lage fragte Wagner: „Ist die auffallende Häufung von Naturkatastrophen nur eine Folge der Umweltverschmutzung durch den Menschen, oder mehr noch die Folge einer ‚geistigen Umweltverschmutzung‘? Darüber werden wir in Zukunft verstärkt nachdenken müssen.“ Nun, dieser Versuch Wagners, das Theodizee-Problem zu lösen, wurde von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien in einer offiziellen Stellungnahme als „theologisch unhaltbare Kommentierung von Naturereignissen“ verurteilt.

Soweit die Worte Wagners, aus denen ihm jetzt zusammen mit den beiden anderen Vorwürfen ein Strick gedreht werden soll. Aber auch dieser Anklagepunkt ist mehr als unzureichend: Erstens nimmt Wagner das Wort „Strafe Gottes“ nicht in den Mund und zweitens urteilt er nicht wirklich, sondern lädt nur ein, über einen möglichen Zusammenhang von Sünde und Unglück nachzudenken, nicht mehr und nicht weniger, es geht ums Nachdenken! Die Gegner werden einwenden: Ja, aber hinter dieser Einladung zum Nachdenken steht deutlich erkennbar das Urteil: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der „geistigen Umweltverschmutzung“ und dem schrecklichen Naturereignis. Tatsächlich, Wagners Aussage suggeriert dieses Urteil, aber er behauptet nicht, den genauen Zusammenhang zu kennen, er bleibt vorsichtig. Daraus ergibt sich die Frage: Steht dieser Gedanke im Widerspruch zum Glauben der Kirche? Nein, das tut er eindeutig nicht, er täte es nur in einer Art mathematischen Zuordnung: Da Sünde, dort Unglück, großer Sünde entspricht großes Unglück, kleiner Sünde kleines Unglück! Jesus hat in der Geschichte vom Blindgeborenen solche Rechnung eindeutig zurückgewiesen! Aber angesichts der Toten, die der einstürzende Turm von Schiloach unter sich begrub, sagte derselbe Jesus: „Jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden: Meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht?“ (Lk 13,4). Im Anschluss daran erzählt Lukas das Gleichnis vom Feigenbaum, der keine Früchte trägt, zunächst noch eine Chance bekommt, dann aber, wegen seiner Unfruchtbarkeit, umgehauen werden soll! Erst recht entspricht der Gedanke, Unglück könnte auch mit Sünde zu tun haben, dem Alten Testament: in der Erzählung von der Sintflut, von Sodom und Gomorrha, in den Texten aller Propheten, allgemein in dramatischer Bildrede: Weil die Menschen überheblich wurden und Gott vergaßen, „deshalb wurde ich für sie zu einem Löwen, wie ein Panther lauere ich am Weg.  Ich falle sie an wie eine Bärin, der man die Jungen geraubt hat“ (Hosea 13,7-8). Und nicht zuletzt: Die katholische Kirche müsste „Fatima schließen“, wenn sie glauben würde, es gäbe keinerlei Zusammenhang zwischen Sünde und Unglücken, sei es Unglücken, die von Menschen gemacht sind, sei es Naturkatastrophen! Und was hat Wagner getan? Er hat nur, gut biblisch, gut katholisch das Nachdenken über diese sich daraus ergebenden Fragen angeregt! Kein Verstoß gegen ein Dogma der Kirche, nein, wirklich nicht, aber viele der Ankläger leugnen eine ganze Reihe katholischer Lehren! Man kann sagen, das von ihm angesprochene Thema ist heikel, kann leicht benützt werden, um aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft zu machen, nur – das hat Wagner nicht getan und dass er das schwierige Thema im Pfarrbrief nicht erschöpfend abgehandelt hat, wird ihm auch der erbittertste Feind nicht zum Vorwurf machen können!

Das Ergebnis erinnert an den Prozess Jesu: Keiner der Anklagepunkte hält einer kritischen Betrachtung stand, sie sind null und nichtig.

Es ist jedem Christen erlaubt, zu denken, es hätte einen besseren Kandidaten gegeben als Wagner, aber zu behaupten, er wäre ungeeignet wegen seiner Ansichten, ist Unsinn!

Schlussbemerkung

Bei der Auseinandersetzung um die Ernennung von Gerhard Wagner zum Weihbischof geht es eigentlich um eine längst bestehende, sehr tief sitzende Spaltung! Wer Anderes sagt, belügt sich selbst, verharmlost und verdrängt die Krankheit, die so lange schon verdrängt und verschleppt worden ist. Bis heute, denn jetzt fing die Wunde zu stark zu bluten an, als dass man sie weiter ignorieren könnte. Der Name der Krankheit ist „geduldete Irrlehre“ und diese zu dulden ist nicht Tugend der Toleranz, sondern ein gefährliches Versagen, das die Heilige Schrift an vielen Stellen beklagt (1 Tim 6,3ff; in allen „Briefen an die Gemeinden“ in Off 2,1ff.). Freilich, dazu bedarf es großer Geduld und vieler liebevoller Gespräche. Denn Robert Spaemann hat Recht: Schismen sind schnell machbar und sehr schwer zu beheben.“ Gott bewahre uns davor! Wir alle, welchem Flügel wir auch zugehören, wir müssen alles tun, dass dies nicht geschieht. Zu wünschen wäre nur, dass die Auseinandersetzung im Geist Christi ausgetragen wird: in Liebe zueinander, getragen von der Sehnsucht nach Einheit in der Wahrheit, bereit zum Gehorsam des Glaubens!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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Gottesferne und Geburtenschwund ein zeitloser Zusammenhang

Wer sagt den Frauen heute noch, was sie wirklich reich macht? Sie sind weitgehend Opfer einer manipulierenden Umwelt. Mit einer rasanten Steigerung der Gebärunwilligkeit geht bezeichnender Weise auch eine beängstigende Steigerung der Gebärunfähigkeit einher. Christa Meves deutet die Hintergründe dieser Entwicklung an und ruft zur gemeinsamen Anstrengung auf: „Deutschland wird untergehen, unausweichlich, wenn wir nicht rasch etwas dazutun, dass es mehr Mütter gibt.“ Für Meves heißt das vor allem: ein Klima schaffen, in der die Frauen ihre wunderbare Aufgabe als Mütter wieder entdecken können. Doch es ist letztlich der Glaube an Gott, der den tödlichen Egoismus überwindet.

Von Christa Meves

Bei dem Propheten Hosea heißt es: „Sie alle glühen wie ein Ofen, doch keiner unter ihnen ruft mich an. Darum muss die Herrlichkeit Ephraims wie ein Vogel wegfliegen, dass sie weder gebären noch tragen, noch schwanger werden. Und ob sie ihre Kinder gleich erzögen, will ich sie doch ohne Kinder machen, dass keine Leute mehr sein sollen. Weh ihnen, wenn ich von ihnen bin gewichen. – Herr, gib ihnen! Was willst du ihnen aber geben? Gib ihnen unfruchtbare Leiber und versiegte Brüste“ (Kap 7,7; 9,11-14).

Die prophetischen Worte haben gefruchtet

Um 750 vor Christus sind diese Worte vom Propheten Hosea gesprochen worden. Das Volk Israel, so wird berichtet, begann um diese Zeit zunehmend heidnischer zu werden. Es waren Zeiten ohne Krieg und Naturkatastrophen. Den meisten ging es vermutlich recht gut – und so wurde man nachlässig im religiösen Bereich. Wozu der viele Gottesdienst, wozu das viele Beten, wozu das Anrufen, Bitten und Danken, wenn man alles auch so hatte?

In dieser Situation spricht Gott zu dem Propheten Hosea, mit einem jener begnadeten Männer, der seine Ohren für die Stimme Gottes noch nicht verstopft hatte. Deshalb war er von Gott auserwählt worden, zu den Menschen zu sprechen, um ihnen ihre Gefährdung vor Augen zu führen und sie zur Umkehr zu bewegen. Gott klagt zu Hosea über die wachsende Entfremdung der Menschen von ihm. Verbrechen, Raub, Mord und Sittenlosigkeit nähmen schrecklich zu. Aber diese Abkehr von Gott hatte furchtbare Konsequenzen: Wie ein Vogel, der wegfliegt, verlor das Volk die Gnade des Herrn, und die Folge davon war ein gefährlicher Bevölkerungsschwund, eben: unfruchtbare Leiber und versiegte Brüste.

Die Worte des Propheten Hosea haben damals gefruchtet. Im 6. und 14. Kapitel ist von Bußfertigkeit, von der Bereitschaft zur Umkehr des Menschen damals die Rede, die mit überschwänglicher Gnade, mit Strömen von Segnungen des liebenden, vergebungsbereiten Herrn beantwortet wurden.

Deutschland wird untergehen, wenn es nicht mehr Mütter gibt

So weit, so gut – aber wie viel mehr treffen die Worte über Unfruchtbarkeit und Stillunfähigkeit auf unsere Zeit zu? Deutschland ist in den letzten Jahren mit Rasanz zum geburtenärmsten Land der Welt avanciert! Während vor einigen Jahren die Familienmutter im Durchschnitt noch drei Kinder bekam, sind es mittlerweile bereits weniger als zwei, nämlich 1,3 Kind pro Familie! Anfänglichen Beschwichtigungen (von Bevölkerungswissenschaftlern und vom Familienministerium) zum Trotz sagen die Untersuchungen jetzt endgültig: die Zahl der zur Zeit geborenen Mädchen ist so gering, dass daraus für die kommende Generation keineswegs mehr eine ausreichende Zahl an Müttern erwachsen wird.

Deutschland wird untergehen, unausweichlich, wenn wir nicht rasch etwas dazutun, dass es mehr Mütter gibt. Das ist also fast das Allerdringlichste bei uns. Aber wenn man das erreichen will, bleibt nichts anderes übrig, als genau und sehr gründlich zu fragen: Woran liegt es, dass soviel weniger Kinder geboren werden? Woran liegt es, dass so viele Frauen der jüngeren Generation kinderlos bleiben?

Oberflächlich liegen die Antworten auf der Hand; denn erstmalig in der Geschichte hat die Frau es handfest in der Tasche, ob sie Kinder haben will oder nicht, und erstmals in der Geschichte ist infolgedessen mit einer derartigen Gewissenhaftigkeit und Wirksamkeit die Geburtenverhütung betrieben worden. Und seit Abtreibung praktisch straffrei geworden ist, haben es selbst die wenigen Unachtsamen oder Pillenscheuen nicht mehr nötig, ein Kind auszutragen, das Unordnung und Unbequemlichkeit in ihr schönes, klares, geregeltes Leben bringen könnte. Ja, wenn die Möglichkeiten zur operativen Unfruchtbarmachung noch besser propagiert werden, wird es bald ohne jede Gefährdung den sexuellen Genuss ohne Reue geben!

Rasante Steigerung der Gebärunfähigkeit

Ein interessanter Zusatz dieser Entwicklung: Mit der rasanten Steigerung der Gebärunwilligkeit geht eine Steigerung der Gebärunfähigkeit einher. Viele Frauen, die die Pille nach jahrelanger Einnahme fortließen, entdeckten: der Kindersegen stellte sich dennoch nicht ein. Eine Folge der Pilleneinnahme? Eine Folge des psycho-sozialen Stresses des Berufslebens? Eine Folge der „Notstands-Amenorrhöe“, die sich durch die Hungermode einstellt? Eine Folge vorangegangener Abtreibungen?

Die Frauenärzte haben noch keine eindeutigen Statistiken darüber, welche der Ursachen vorrangig sind. Aber es ist in diesem Zusammenhang bedenkenswert, dass zahlreiche Mädchen hierzulande – durch den Hungerzwang der Mode bedingt – unterernährt sind. Untergewicht bewirkt bei vielen Frauen geradezu automatisch Unfruchtbarkeit.

Dennoch müssen wir weiter fragen: Warum machen denn so viele Frauen heute solche Sachen? Warum hungern sie sich denn zu dieser ausgemergelten Schlankheit herab? Warum lassen sie all diese Künstlichkeiten mit sich geschehen? Warum wollen denn die jungen Frauen keine Kinder mehr bekommen? Nun, die Antwort darauf geben mir viele junge Mädchen in meiner Praxis. Sie sagen: „Das ist mir zu aufwendig. Das bringt soviel Ärger. Das kostet soviel Kraft. Das engt mich so ein. Das macht mich so abhängig von meinem Ehemann.“

Recht auf ein schönes, selbständiges, bequemes Leben?

Wie real sind all diese Argumente! Will die Frau draußen im Beruf „ihren Mann stehen“, will sie gar irgendwie „nach oben“, will sie Karriere machen, wohlhabend werden, viel Geld verdienen – dann kann sie es sich gar nicht leisten, Kinder oder gar viele  Kinder zu haben. Wünsche der eben beschriebenen Art kann sie sich dann an den Hut stecken. Und, bitte schön, warum sollte sie das? Ist sie nicht genauso Mensch wie der Mann? Hat der ein Recht, sie so zu unterdrücken? Hat sie nicht genauso wie er das Recht auf ein schönes, selbständiges, bequemes Leben? Sagt man ihr das nicht täglich immer wieder in den Frauenzeitschriften, im Fernsehen, im Radio?

Sagen es ihr nicht auch manche Männer, die ebenso denken? Denn – ist das letztlich nicht auch für sie viel bequemer? Eine jederzeit zur Sexualität bereite Frau, ohne unliebsame Unterbrechung durch Schwangerschaft, Kindbett, Stillzeit? Eine mitverdienende Frau, die nicht zum Anhängsel wird? Der man entfliehen kann, wenn einem etwas Besseres, Jüngeres, Netteres begegnet, die man dann nach dem neuen Eherecht selbstverständlich auch nicht im mindesten mehr zu versorgen braucht?

Ist eine solche Welt nicht besser? Eine Welt, in der jeder allein an sich selbst denkt und an seine Rechte, und dann kommt ein dicker Bretterzaun und dahinter die so genannte Umwelt, die man sich so angenehm wie möglich zu machen sucht und an die man sich so wenig wie möglich bindet? Ist das nicht besser?

Entscheidung zwischen Egoismus und Dienst am Schöpfer           

Dass es das nicht ist, darüber könnte ich nun freilich viele Geschichten aus meiner Praxis erzählen, Tausend-und-eine-Nacht-Tragödien; aber es ist eben auch schon deshalb nicht gut, weil lebendige Zukunft dann aufhört! So einfach ist das: Eine Gesellschaft wie Deutschland geht zugrunde, wenn so viele Menschen auf die Idee kommen, allein sich selbst und ihre Bequemlichkeit zum Maßstab ihrer Lebensgestaltung zu machen!

Gemeint von Gott kann das nicht sein – im Gegenteil, das Hosea-Wort gibt uns ganz klare Auskunft darüber: Diese Haltung ist eine Folge von Gottesferne, ist ein Zeichen dafür, dass der Heilige Geist wie ein Vogel diesen Menschen entfloh und sie wie ein Ofen in all ihren heidnischen Leidenschaften glühen, aber nur noch wenig Wert darauf legen, Gott anzurufen. Kaum einer hat noch ein Gefühl dafür, dass das Leben ein Geschenk von Gott ist oder als Dienst und Auftrag von ihm verstanden werden muss; die meisten denken eben an sich selbst.

Das ist nun eine ganz zeitlose Wahrheit, und die Bibel weiß es: Immer, wenn der Mensch vergisst, dass sein Leben eigentlich Dienst zu sein hat, Dienst im Gehorsam für den Schöpfer, beginnt er, sein eigenes Lebensrecht ins Zentrum seines Denkens und Handelns zu stellen. Die Sexualität um ihrer selbst willen ist doch in der Tat wie ein „glühender Ofen“, wie Hosea sie direkt darstellt, ein Ofen, der überheizt wird, ohne dass „Brote“ darin gebacken werden. Immer wenn die Frau von diesem Geist erfasst wird, kann sie nicht mehr einsehen, warum sie sich der schweren Unbequemlichkeit des Austragens, Gebärens und Stillens von Kindern unterziehen soll. Und nicht erst heute sind ihr dann Wege eingefallen, zugeflüstert worden, diese Unbequemlichkeit vermeiden zu lernen.

Hosea entlarvt den manipulierenden Zeitgeist

Erst wenn Jahre ins Land gegangen sind und dieser Zeitgeist die Menschen durchsetzt hat, erkennen sie, dass ihr Unwille zum Dienst zu einem Werkzeug zerstörerischen Geistes wurde. Wären wieder mehr Frauen bereit, sich weniger nach dem Geist der Eva zu richten (die sein wollte wie Gott), sondern mehr mit dem Geist der Maria („Es geschehe, wie DU gesagt hast“) hinaufzulauschen zu Gott, so würden auch wieder mehr Frauen fruchtbar sein.

Wenn mehr Frauen hinauflauschen würden, dann spürten auch sie, dass ihnen gesagt ist: Ich bin eine Frau, ich bin unverwechselbar mit dem Mann. Ich habe die unverwechselbare Möglichkeit, Fähigkeit und Würde, dass die Zukunft in mir keimen und wachsen darf. Ich habe die wunderbare Aufgabe, einem hilflosen Kind in die Welt hineinzuhelfen. Ich habe die Gabe, es mit dem Trank meines Leibes selig-zufrieden zu machen. Dies kann ich, dies darf ich, und dies macht mich keineswegs elend, sondern glücklich. Dies bindet mir wohl Sorgen auf, dies macht viele Opfer notwendig, aber es gibt meinem Leben auch einen Sinn! Dies lässt mich durch meinen Einsatz reifen, selbst wenn Not, Elend und Erfolglosigkeit damit verbunden waren. Dies macht mein Leben reich!

Wer sagt das den Frauen heute noch? Gott sagt es ihnen unermüdlich durch ihren Körper hindurch – aber wenn man sich dann zerhungert und ruiniert, dann wird Gottes Stimme so leise, dass die Frau sie nicht mehr hört und bösen, lauten Einflüssen von außen erliegt. Aber es ist nötig, dass unsere Frauen diese Stimme – ihre Stimme – in Übereinstimmung mit ihrer Bestimmung wieder vernehmen. Das wäre notwendige Umkehr! Und genauso ist es mit den „versiegten Brüsten“, von denen Hosea spricht. In der Bundesrepublik Deutschland stillte in den 70er und 80er Jahren kaum noch eine Frau bis zum Zahnen des Kindes. Fragte man die jungen Frauen, warum sie es nicht täten, so antworteten sie: „Die Milch war schon nach zwei Wochen weg“; viele sagen: „Ich konnte von Anfang an nicht stillen“, und die ganz Klugen riefen mir in Diskussionen zu, es handele sich hier um ein neu entstandenes „biologisches Unvermögen“ der modernen Frau.

Wende zum Positiven deutet sich an

Schaute man aber genau hin, so lag in vielen Fällen (natürlich nicht in allen) in der Tiefe eine ähnliche Geisteshaltung vor wie bei der Unfruchtbarkeit – keineswegs der Frauen, sondern der sie manipulierenden Umwelt. Denn es war eben bequemer für das Personal in den Kliniken, die Neugeborenen an die Flasche zu gewöhnen, als sie immer wieder ihren Müttern zu bringen und sie das Stillen zu lehren; es war auch bequemer für eine Industriegesellschaft, wenn die jungen Mütter abgestillt acht Wochen nach der Geburt ihrer Kinder wieder voll am Arbeitsplatz stehen konnten, wie das damals noch die Regel war.

Freilich – hier ist jetzt eine Wende zum Positiven eingetreten – unterstützt auch durch das Baby-Jahr der Regierung –, und auch eine gewisse Hellhörigkeit für die Wahrheit hat sich bei den jungen Müttern eingestellt; denn vergleichende Untersuchungen mit Naturvölkern haben ergeben: Brustkinder sind nicht nur körperlich gesünder, sie sind vor allem im Erwachsenenalter auch seelisch stabiler, ja, sie sind arbeitsfähiger, weniger passiv und träge als Flaschenkinder. Ungestillte Kinder sind labiler und geraten leichter in die Gefahr, einer Sucht zu verfallen.

Hier haben wir glücklicherweise schon ein wenig gelernt, dass die Hosea-Prophetien heute so gültig sind wie 750 Jahre vor Christi Geburt; denn auch wir haben es bitter nötig, auf diese Worte zu hören, wenn wir Gottes Erbarmen erfahren wollen!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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Heiligsprechung von Pater Damian de Veuster

Der sel. Pater Damian de Veuster wird voraussichtlich im Oktober dieses Jahres heilig gesprochen. Dies jedenfalls bestätigen das Kloster der heiligsten Herzen Jesu und Mariens im belgischen Löwen, wo sich sein Grab befindet, sowie das P. Damian-Museum in seinem Geburtsort Tremelo. Pater Notker Hiegl OSB ist von der Gestalt dieses Seligen fasziniert. Ausgehend von den Heilungen an Aussätzigen durch Jesus baute er sein Lebensbild immer wieder in Exerzitienkurse ein. Nachfolgend stellt P. Hiegl den sel. P. Damian de Veuster als leuchtendes Beispiel christlicher Nächstenliebe vor: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13).

Von Notker Hiegl OSB

Die Hawaii-Inseln und ihre „Naturreligion“

Die Hawaii-Inseln sind von paradiesischer Schönheit. Ihr natürlicher Reichtum ist kaum mit Worten zu beschreiben. Der berühmte Seefahrer James Cook entdeckte die Inselgruppe, die auch Sandwich-Inseln genannt wird, im Jahr 1778. In den ersten 50 Jahren danach wurde Hawaii nur von wenigen weißen Kaufleuten und Walfischfängern aufgesucht. Die Ureinwohner der Inselgruppe sind ein gutmütiger, kräftiger Menschenschlag mit brauner Haut. Seltsamer Weise herrschte bei ihnen wie in Indien Kastenzwang. Außerdem waren bei Festlichkeiten Menschenopfer üblich wie bei den Inkas und Azteken. Religiös motivierten Kindermord gab es im Zusammenhang mit den steten Vulkanausbrüchen, Geisteskranke wurden gesteinigt, betagte, kränkelnde Menschen wurden lebendig begraben oder dem Hungertod preisgegeben. Das Heidentum auf Hawaii erwies sich nicht als „unschuldige Naturreligion“, sondern implizierte auch viele „Unerlöstheiten“.

Öffnung zum Christentum

Kamehamea I., der die Inselgruppe zu einem Gesamtreich vereinigt hatte, wollte auf dem Sterbebett Christ werden. Der amerikanische Kaufmann jedoch, der gerade bei ihm auf Besuch war, wusste damit nichts anzufangen. Ein Armutszeugnis für einen Christen. Sein Sohn Lilololiho folgte ihm im März 1820 in der Regentschaft. Zu dieser Zeit trat eine Fürstin namens Kapiolani zum Christentum über. Sie soll den Kinderopfern persönlich ein Ende gesetzt haben. Es wird berichtet, dass der Kilauea, ein gewaltiger Vulkan, wieder einmal ausgebrochen war. Schon stürzten Lavamassen in die Tiefe. In solchen Situationen wurden der Göttermutter Pele Kinder geopfert und in den Krater geworfen. Schon war eine Mutter mit ihrem Kind unterwegs zum Kraterrand. Trotz der Drohungen durch die Pele-Priesterinnen stieg Fürstin Kapiolani zu ihr hinauf und entriss ihr noch rechtzeitig das Kind. Mit lauter Stimme betete sie zum Gott der Christen. Unversehrt kehrte sie mit Mutter und Kind zurück und der heidnische Bann war für immer gebrochen.

Das Schicksal der Aussätzigen

Zu allen Zeiten gehörte der Aussatz zu den entsetzlichsten Krankheiten. Auch aus den Berichten der Bibel ist uns die Härte solcher Schicksale bekannt. Nach Ablauf von etwa vier Jahren greift der Aussatz gewöhnlich ein inneres Lebensorgan an. Im 19. Jahrhundert wurden in den Ländern Asiens und Ozeaniens die erkrankten Aussätzigen zwangsweise in Reservate eingeliefert. Heilung gab es noch nicht. Auch die Regierung von Hawaii, wo der Aussatz überaus stark wütete, hatte diese Quarantäne-Maßnahme als Schutz für die Gesunden ergriffen. Die staatliche Gesundheitspolizei stöberte nach ihnen, mit Schiffen wurden die eingefangenen Aussätzigen in einen sonst unbewohnten und von einer hohen Bergkette abgeschlossenen etwas größeren Ufer-Strich auf der Insel Molokai ausgesetzt und waren damit interniert. Kein Gesunder betrat die Insel.

Molokai und Pater Damian

Auf Molokai lebten die Aussätzigen in den beiden Dörfern Kalawao und Kalaupapa zusammen. Einziger „Trost“ in dieser Elends-Hölle war eine Pflanze namens „Ki“, die auf der Insel in großer Menge wuchs. Doch brachte sie den Aussätzigen im Elend noch mehr Elend. Aus der Wurzel dieser Pflanze stellten sie ein berauschendes Getränk her, das sie ständig genossen, um ihr Leid zu vergessen. Die Berauschten gebärdeten sich im Trancezustand wie Wahnsinnige und verloren dabei jegliches Gefühl für Scham und Zucht. Von den rund tausend Kranken dieser beiden Kolonien starben wöchentlich zehn bis zwölf Personen. Und ständig kam Boot für Boot mit neuen Leprösen. „Hier auf dieser Insel gibt es kein Gesetz“, das war die Devise der Ausgesetzten und in diese Gesetzlosigkeit rissen sie jeden Neuankömmling sofort mit hinunter. Mit einem biblischen Bild kann man sagen: Sie waren wie in die Irre gehende Schafe, die keinen Hirten haben. In dieser Hölle erschien eines Tages ein Gesunder, ein Priester: P. Damian de Veuster.

Herkunft des Missionars

Josef de Veuster wurde am 3. Januar 1840 in dem flämischen Dorf Tremelo, nördlich von Löwen in Belgien gelegen, geboren. Aus seiner Jugendzeit, aufgewachsen im Kreis weiterer sieben Geschwister, ist nicht viel bekannt. Seine Eltern waren geachtete und wohlhabende Landleute. Jeden Abend wurde im Familienkreis aus dem Leben der Heiligen vorgelesen und die Mutter leitete die Kinder zur Nachahmung an. Die jungen Gemüter begeisterten sich für das Gute und Schöne. In der Folge nahmen zwei Töchter den Schleier, zwei Söhne weihten sich ebenfalls dem Dienst der Kirche. Der jüngere Josef, später Pater Damian genannt, besaß ein feuriges Temperament und wollte schon bald sein Leben dem Herrn schenken. Endlich genehmigte der Vater den Wunsch Josefs, den in Löwen schon früher in die „Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens“ eingetretenen älteren Bruder August, mit Klosternamen Pater Pamphilius, zu besuchen. Josef blieb sofort in der Klausur zurück, der Vater musste am Abend allein heimkehren. Dem jungen Josef, der nur die Handelsschule besucht hatte, erklärte der Superior, dass er nicht wie sein Bruder Priester werden könne. Josef machte dennoch mit Freuden jegliche Arbeit und lernte von seinem Bruder die lateinische Sprache.

Gottes Wege sind unerforschlich

Josef entwickelte im Latein-Studium einen solchen Eifer, dass ihn seine Vorgesetzten schließlich doch zum klosterinternen Studium zuließen. Während dieser Studienzeit brach eine heftige Typhus-Epidemie aus, die auch P. Pamphilius ergriff. Eigentlich sollte dieser schon bald in die Mission zu den Südsee-Inseln aufbrechen. Doch die Krankheit machte eine solche Reise unmöglich. Der junge Missionar war untröstlich. Da fragte ihn Frater Damian, wie sein Bruder Josef nun hieß, ob es ihm eine Beruhigung wäre, wenn er statt seiner die Missionsreise antreten würde. P. Pamphilius bejahte dies und Fr. Damian stellte den Stellvertreter-Antrag. Überraschenderweise wurde er sofort genehmigt. Die Einschiffung fand am 30. Oktober 1863 statt. Die Überfahrt auf einem Segelschiff dauerte fünf Monate und war sehr beschwerlich. Im März 1864 erreichte er Honolulu, die Hauptstadt Hawaiis.

Einsatz auf verschiedenen Inseln

Bald nach seiner Ankunft empfing Bruder Damian am 21. Mai 1864 in Honolulu die Priesterweihe. Bevor er nach Molokai kam, war er neun Jahre lang auf verschiedenen Inseln im Einsatz. Von seiner Missionstätigkeit sei eine Episode erwähnt, die seine Herzensglut für Jesus sichtbar werden lässt. Mit seinem Pferd kam er eines Tages am Fuß eines hohen Berges an. Er hatte gehört, dass sich hinter dem Berg eine kleine Christengemeinde befinde. Das Pferd band er an einen Baum und kletterte und kletterte, wund an Händen und Füßen, bis er den Kamm erreichte. Doch es war kein Dorf zu sehen, nur eine Schlucht und jenseits wieder eine Bergkette. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, unternahm P. Damian den Abstieg und den erneuten Aufstieg. Und wieder dieselbe Enttäuschung. Allein der Gedanke, Seelen zu retten, die ohne ihn weiter auf die hl. Taufe warten müssten, gab ihm die Kraft, den dritten Bergkamm zu erklimmen. Tatsächlich erreichte er das Dorf. Mit unbeschreiblicher Freude begrüßten ihn die armen Leute, die den geistlichen Beistand zu schätzen wussten.

Der Bischof sucht einen Seelsorger für Molokai

Bischof Maigret weihte auf der Insel Wailuku eine neue Kirche ein. Bei dieser Gelegenheit drückte er im Kreis der versammelten Missionare sein lebhaftes Bedauern aus, dass er für die Aussätzigen auf Molokai keinen festen Seelsorger finden könne. Kaum hatte dies P. Damian gehört, erwachte in ihm der Entschluss, sich freiwillig für diese Aufgabe anzubieten. Er brachte seine Bereitschaft mit solcher Begeisterung zum Ausdruck, als handle es sich bei der Sendung nach Molokai um das größte Glück seines Lebens. Doch wusste er genau, dass er damit den sicheren Todesgang antrat. Ein Gesunder, der beständig mit dem Aussatz in Berührung kam, war noch immer selber Opfer dieser Krankheit geworden. Gleich nach den Einweihungsfeierlichkeiten bestieg P. Damian das Dampfschiff nach Molokai. Dort wurde er mit einer Schar von neuen Aussätzigen ausgebootet, die klagend ihr Leben auf der Insel des Schreckens begannen. Es war der 10. Mai 1873.

Die ersten Schritte

Der Abschied von seinen Missionsstationen war ihm schwer gefallen. Aber nun hatte er seine endgültige Lebensaufgabe gefunden. Im Herzen wusste er, dass der Dienst auf Molokai seine Kreuzesnachfolge in den Spuren Jesu war. Wie seine Aufzeichnungen beweisen, ging er mit frischem Mut an seine Aufgabe: „Durch eine ausdrückliche Fügung der göttlichen Vorsehung und unseres Meisters, der während seines Erdenlebens eine ganz besondere Vorliebe für die Aussätzigen zeigte, führte mich mein Weg nach Kalawao im Mai 1873. Ich war damals 33 Jahre alt und im Besitz einer starken, guten Gesundheit. In primitiven Hütten lebte hier der unglückliche Auswurf der Gesellschaft, ohne Unterschied des Alters und des Geschlechtes, alte und neue Krankheitsfälle, alle mehr oder weniger fremd untereinander. Sie verbrachten ihre Zeit mit aufpeitschendem Hulahup-Tanz, dem Trinken mit berauschendem Ki-Wurzel-Bier und Branntwein. Ihre Kleidung war weit entfernt, reinlich oder anständig zu sein, das Wasser musste von weither getragen werden.“ In allem: Für Leib und Seele eine lebendige Hölle auf Erden.

Geistlicher Vater aller

Im Jahre 1874 hatte der Kona-Südwind die meisten der elenden Hütten zerstört. Die Kranken lagen nachts bei Regen und Wind zitternd im Freien. P. Damian schrieb an seinen Bruder: „Von den seither 2000 hierher Gebrachten leben etwa noch 800. Unter ihnen eine Anzahl Katholiken, manche erst seit ihrer Überführung nach Molokai getauft. Für alle Aussätzigen bin ich aber da und denke daran, wie ich bei meiner Profess unter dem Leichentuch lag, so dass ich dieses zweite Sterben nicht mehr zu fürchten brauche. Ich habe ein Pfarrhäuschen gebaut, sechs auf vier Meter. Obwohl ich schon ein halbes Jahr hier lebe, bin ich noch nicht ergriffen von der Krankheit. Der Aussatz beginnt mit schwarzen Flecken, dann brechen Wunden auf, besonders an Händen und Füßen. Fäulnisgeruch entsteht. Eines Tages meinte ich beim Hochamt ersticken zu müssen. Manchmal überkommt mich beim Beichtehören schon ein Gefühl des Ekels, besonders wenn die Wunden der Kranken von Würmern wimmeln. Alle Kranken betrachten mich als ihren geistlichen Vater.“

Quelle frischen Wassers

„Mit Paulus darf ich wohl sagen: Ich bin den Aussätzigen ein Aussätziger geworden, um einige für Christus zu gewinnen. Wenn ich predige, gebrauche ich die Mehrzahl: Wir Aussätzigen! Ich habe zahlreiche Beerdigungen vorzunehmen. Täglich stirbt mindestens ein Aussätziger. Man bedeckt den Toten einfach mit einem Tuch, ich will aber ab jetzt Särge für diese Elenden machen. Viele Kranke haben keine Nase mehr, bei andern ist sie übermäßig entwickelt, die Gelenke der Finger und der Zehen fallen ab. Die Armen fürchten sich vor sich selbst und doch betrachten sie sich jeden Augenblick im Spiegel. Kinder sehen aus wie alte Zwerge.“ Unbeschreibliche Freude bereitete P. Damian all diesen Gezeichneten, als er in nicht allzu weiter Entfernung eine Quelle frischen eiskalten Wassers entdeckte und mit seiner Gehilfenschar eine Leitung ins Dorf verlegte. Bäder wurden eingerichtet und die kranken Körper konnten reinlich gehalten und gepflegt werden.

Menschliche Siedlung mit Würde

P. Damian pflegte die Wunden der Aussätzigen, sorgte für Kleidung und Medikamente, legte Äcker und Gärten an, gründete ein Waisenhaus und kümmerte sich um diese armseligen Kinder mit Vaterliebe. Die Regierung von Hawaii wurde auf sein heldenhaftes Wirken aufmerksam und unterstützte ihn finanziell. Er war Arzt für Leib und Seele, Waisenvater, Lehrer und Schiedsrichter, er gründete ein Orchester, er war Maurer, Schreiner und Maler zugleich, er baute für die Aussätzigen zwischen 300 und 400 Häuser aus Baumstämmen. Er war der Mann mit 36 Berufen, wie ein amerikanischer Journalist ihn beschrieb. Und nicht zuletzt war er Totengräber. 1500 bis 1800 Särge fertigte er selbst an. Auf dieser Insel der Gesetzlosigkeit führte er neue Sittengesetze ein, um dem Laster der Trunksucht entgegenzuarbeiten. Sein eigener Lebenswandel war ohne Fehl und Makel. Sein bloßes Erscheinen genügte, um Streitigkeiten unter den Kranken wieder in Ordnung zu bringen. Alle „Molokaier“ nannten ihn „Makua“, d.h. Vater. 1880 schrieb er ins Tagebuch: „Schon sind es beinahe 7 Jahre, dass ich hier unter Aussätzigen weile. Jedes Jahr haben wir über 200 Todesfälle gehabt. Im Friedhof habe ich kaum noch Platz für ein neues Grab.“ In der Kirche auf den Knien liegend schöpfte er morgens Kraft für den neuen Tag. Aus der „Insel der Verdammten“ wurde allmählich eine menschliche Siedlung mit Würde für die Ausgesetzten.

Durch das Tränen-Tal zum Sieg

Oft ernten Selbstverleugnung und Aufopferung Undank und Verkennung. Manche der Verbesserungen und Maßnahmen von P. Damian wurden abgelehnt, hauptsächlich sein Kampf gegen den „Ki“, das Drogenbier und den Branntwein. Trunksüchtige setzten gegen den ungebetenen Gast schändliche Gerüchte in Umlauf, um ihn wieder loszuwerden. Allein seine Geduld eroberte schließlich auch diese Herzen. Nun kamen Besuche auf die Insel, einmal auch die Kronprinzessin, welche eine Verwandte besuchte. Sie war so berührt von allem, was sie sah, dass sie P. Damians Werk zeitlebens unterstützte. Nach langem Warten ging P. Damians sehnlichster Wunsch in Erfüllung: Es kamen einige Ordensschwestern und Brüder zur Mithilfe auf die Insel. Auch sein Bruder P. Pamphilius war dabei. Denn P. Damian spürte seit Monaten, dass die Zeit seines Wirkens zu Ende ging.

Aussätziger unter Aussätzigen

Gut zehn Jahre war es P. Damian vergönnt, in ungeschwächter Kraft und Gesundheit auf Molokai zu arbeiten. Seine Aufzeichnungen über den Krankheitsverlauf vieler Patienten sowie die Übersendung von Wundabstrichen und gebrauchten Verbandsmaterials dienten der Universität in Honolulu als Grundlage für die Erforschung neuer Methoden zur Heilung von Aussätzigen. Es war der Ausgangspunkt der modernen Lepra-Behandlung mit wirksamen Impfstoffen bis in unsere Tage. Im Jahre 1884 schöpfte P. Damian den ersten Verdacht, selbst von dem unheimlichen Feind getroffen zu sein. Als er seinen Fuß verbrühte und dabei keinen Schmerz empfand, da wusste er, was die Uhr geschlagen hatte. Nun musste er auch seinen eigenen Leib auf den Opfer-Altar legen. In einem Brief 1885 schrieb er: „Es scheint, dass ich jetzt selber von diesem schrecklichen Übel befallen bin. Eine meiner Augenbrauen ist ausgefallen, bald werde ich wohl entstellt sein. Indessen bin ich ruhig und ergeben. Gott weiß, was für mein Heil am besten ist.“ Der fein geschnittene Mund und die gerade Nase wurden nach und nach vom Aussatz entstellt, die Ohren bedeutend vergrößert. Die Stirn schwoll an, auch die Hände zeigten Spuren beginnender Geschwüre. Er arbeitete weiter, obwohl aufs Schlimmste entstellt.

Vollendung im auferstandenen Christus

P. Damian spürte seinen nahen Tod und freute sich kindlich, das kommende Osterfest bereits im Himmel feiern zu dürfen. P. Pamphilius bat ihn um seinen Mantel. „Ach“, antwortete der Sterbende, „was willst du damit anfangen, er ist doch voller Aussatz!“ Er lag wie die Ärmsten auf einer armseligen Matte am Boden. „Gottes Wille geschehe, mein Werk mit all seinen Missgriffen ist in seinen Händen.“ Sein Atem wurde schwerer und schwerer. Von draußen hörte man das Wehklagen der Aussätzigen. Der letzte Atemzug. 49 Jahre alt war P. Damian de Veuster geworden. Es war Montag der Karwoche, der 15. April 1889. Seine sterblichen Überreste wurden in seinem selbst gezimmerten Sarg in das Grab neben der von ihm erbauten Kirche von Molokai gesenkt. Wenige Tage nach der Beerdigung fand in der Kathedrale von Honolulu eine feierliche Totenmesse statt, in der Klerus und Regierung den verehrten Toten gebührend würdigten. Fast zum Überschwang nannte man nun diesen bescheidenen Mann mit dem zuletzt entstellten Aussätzigen-Gesicht einen „Helden“, „Heiligen“ und „Märtyrer“. 1936 wurde sein Leib nach Belgien überführt und in der Klosterkirche zu Löwen beigesetzt. 1995 wurde er in Brüssel von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen. Nun, 120 Jahre nach seinem Tod, wird diesem Helden und Märtyrer der Nächstenliebe mit der Heiligsprechung im Oktober 2009 die höchste kirchliche Ehre zuteil.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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Frühe und späte Suren unterscheiden!

Prof. Dr. Karl Philberth nimmt in seinem kurzen Beitrag zu den Artikeln über den Dialog mit dem Islam in unseren beiden letzten Ausgaben Stellung. Er bringt einen wichtigen Aspekt ins Gespräch, der zum Verständnis der gegenwärtigen Diskussion berücksichtigt werden muss.

Von Karl Philberth

Im Beitrag von Beyerhaus und Beck (1/2009, S. 18-20) kommen beachtenswerte Standpunkte zu Wort. Dagegen halte ich die Beiträge von Khoury (2/2009, S. 18-19 u. 20-21) für zu optimistisch.

Bekanntlich sind die im Frühstadium entstandenen Koran-Suren friedlich, während die späteren teilweise kriegerisch-aggressiv sind. Nach übereinstimmender Lehre der Koran-Schulen sind die späteren Suren die maßgeblichen, sie „kommentieren“ (sprich: „ersetzen“) die früheren. Nur zuverlässige Quellen lassen erkennen, welche Sure früher und welche später entstanden sind; denn die Reihenfolge ist keine zeitliche Folge. So viel ich weiß, ist Sure 9 zeitlich eine der allerletzten. Darin heißt es (Vers 29, Übersetzung nach Max Henning): „Kämpft wider jene …, bis sie den Tribut aus der Hand gedemütigt entrichten.“

Gewöhnlich verwenden Muslime im Werbegespräch mit unwissenden Andersgläubigen die friedlichen frühen Suren, zum Ansporn der eigenen Leute dagegen die späten Suren. Diese einfache und wirksame Taktik wird selten erwähnt. Auch Khoury erwähnt sie m.W. nicht. Was die im Beyerhaus-Beck-Artikel erwähnte „Takya“ (Täuschung der Ungläubigen) angeht, weiß man nie, wann sie angewandt wird und muss darum stets auf sie gefasst sein. Die 138 muslimischen Unterzeichner des besagten Briefs mögen guten Willens sein; doch sehe ich darin keine ausreichende Gewähr, dass martialische Anführer des Islam das später so friedlich handhaben. Schon allein die im Islam allgemein vertretene (und oft praktizierte) Lehre, dass jeder Abtrünnige (al­so den Islam Verlassende) der Todesstrafe verfallen ist, sollte vor flachem Optimismus bewahren.

Der Göttinger Islamwissenschaftler Tilman Nagel, den ich nicht kenne, dessen Zitate und Argumente jedoch überzeugen, hat in vielen Publikationen (z.B. NZZ, 25.11.06 und 23.3.05; „Die Heilsbotschaft des Korans und ihre Konsequenzen“, 2001) klargestellt, dass auch die gewaltsame Ausbreitung des Islams zum Kern seiner Überlieferung gehöre. Dafür gebe es zahllose Belege, angefangen von den einschlägigen Passagen des Korans wie Sure 9,29 oder 9,111 über die großen Hadith-Sammlungen (z.B. al-Bucharis langes Kapitel über den Jihad) bis hin zu den viele Tausend Seiten füllenden Berichten in den arabisch-islamischen Universalgeschichten sowie den ebenfalls sehr umfangreichen Spezialabhandlungen über die Feldzüge Mohammeds und über die Eroberungen unter den ersten Kalifen. Im Kern sei diese Überlieferung in die unter dem Kalifen Harun al Raschid, einem Zeitgenossen Karls des Großen, erarbeiteten Konzepte eingegangen, die bis auf den heutigen Tag von keiner muslimischen Autorität widerrufen oder ernsthaft in Frage gestellt worden seien.

„Schon früh ist Mohammeds Reden und Handeln für die erdrückende Mehrzahl der Muslime zum verpflichtenden Vorbild geworden, und auch die kriegerischen Züge sind im Lauf der islamischen Geschichte hervorgehoben und als nachahmenswert gerühmt worden.“ Ein redlicher „interreligiöser bzw. interkultureller“ Dialog, der sich durch schonungslose Offenheit auszeichne, stelle deshalb die „Sachwalter des islamischen Erbes“ vor ein gewaltiges Dilemma: „Ein Beharren auf dem Verpflichtungscharakter des Vorbildes Mohammed, zumal der kriegerischen Züge, ist in einer auf friedliche Koexistenz angewiesenen Welt nicht mehr vertretbar. Damit wird jedoch die Frage unabweisbar, inwieweit Koran und Hadith (Überlieferungen von Taten und Sprüchen Mohammeds, AdR), die eben auch diese kriegerischen Seiten Mohammeds bezeugen, generell ewig wahre Quellen des Denkens und Verhaltens der Muslime bleiben können“ (Tilman Nagel, NZZ, 25.11.06; vgl. IK-Nachrichten, Febr. 2009).

Überzeugend und aufrüttelnd sind auch die Bücher „Jesus und Mohammed“ und „Islam und Terrorismus“ (Resch-Verlag) von Mark A. Gabriel, einem zu Jesus Christus bekehrten ehem. Professor für Islamische Geschichte an der berühmten Al-Azhar-Universität in Kairo. Ferner seien die Bücher genannt „Feindliche Übernahme?“ von G. J. Harvey (Druffel & Vowinckel) und „SOS Abendland“ von Udo Ulfkotte (Kopp).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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Europa und das Christentum

Für den Linzer Priesterkreis hat Dr. Franz Breid die Referate der 20. Theologischen Sommerakademie 2008 herausgegeben. Ein kurzer Blick auf die viel versprechende Themenauswahl.

Von Franz Breid

Lange Jahrhunderte hat man beim Denken an Europa das Christentum mitgedacht, Europa wurde als das „christliche Abendland“ gesehen, das schon der Benennung nach den Bezug zum Christentum herausstellte.

Heute ist das Verhältnis von Christentum und Europa in die Krise geraten, gesellschaftspolitisch einflussreiche Kreise suchen den Einfluss des Christentums zurückzudrängen und leugnen die christlichen und antiken Wurzeln des Abendlandes, an deren Stelle sie nur die „Aufklärung“ und ihre Werte gelten lassen wollen.

Wiederholt hat Papst Benedikt XVI. dazu Stellung genommen und vor allem die Diktatur des Relativismus, die Trennung von Vernunft und Glaube und insgesamt die Verbannung Gottes aus dem öffentlichen Leben mit all den weit reichenden Folgen in der Zerstörung von Ehe und Familie, in einer Kultur des Todes etc. angeprangert.

Auf wissenschaftlicher Ebene hat sich nunmehr die 20. Internationale Theologische Sommerakademie des Linzer Priesterkreises mit diesem Themenkreis beschäftigt.

Dabei ging es um das geschichtliche Werden Europas und die Bedeutung, die dem Christentum dabei zukam – bis hin zum Blick auf bedeutende christliche Frauen, die Europa mitgeformt haben –, aber auch um die Aufhellung des Denkens der Aufklärung wie auch des Einflusses des Protestantismus und dessen Folgen, sodass die Behandlung dieser Fragen zwingend war.

Besonders bedrängend ist zur Zeit die Frage: Wie soll es in Europa zwischen Christentum und Islam weitergehen, ebenso der Blick auf die demographische Krise Europas mit ihren noch weithin negierten Folgen.

Dass die Einstellung gegenüber dem Christentum derzeit in Europa weithin immer kritischer wird, ist eine Binsenweisheit. So war es verständlich, dass sich ein Referat auch mit dem Fragenkreis beschäftigen musste: Stehen wir in Europa an der Wende von der Christophobie zur Christenverfolgung?

Das Christentum hat mit seinen Werten Europa viel gebracht, es bietet in vielen Bereichen – wie etwa in seiner Soziallehre – immer noch ein Zukunftsmodell für Europa. Es braucht aber auch ein aktives Mühen des Christentums, in einem großen Wurf der Neuevangelisierung verlorenes Terrain zurückzugewinnen und wieder stärker zur Prägekraft in Europa zu werden.

In fundierten Referaten haben kompetente Referenten grundlegende Antworten auf diese Fragenkomplexe zu geben versucht.

Referatverzeichnis: Prof. em. Dr. Gerhard Winkler OCist: Europas Werden im Spannungsfeld von Orient und Okzident; Weihbischof Dr. Andreas Laun (Salzburg): Christenverfolgung heute; P. Dr. Johannes Nebel FSO: Die Folgen von Protestantismus und Aufklärung aus der Perspektive des katholischen Denkens – Ein Blick in die Theologie Kardinal Scheffczyks; P. Mag. Josef Hergeth: Der Missionsauftrag Christi – Der Islam als Herausforderung für das Christentum in Europa; Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels OP: Die christliche Soziallehre als Zukunftsmodell für das Zusammenleben der Menschen in Europa; Erzbischof Dr. Jan Graubner (Olmütz): Neuevangelisierung; Stephan Baier: Kinderlos, ehelos, zukunftslos? Ursachen und Folgen der demographischen Krise Europas; Prof. Dr. Dr. Hanna Barbara Gerl-Falkovitz: Die Bedeutung großer Frauen für die christliche Formung Europas.

Franz Breid (Hrsg.): Europa und das Christentum. Referate der „Internationalen Theologischen Sommerakademie 2008“ des Linzer Priesterkreises, Stein am Rhein 2008, Taschenbuch, 215 Seiten, ISBN: 978-3-7171-1149-8, Euro 9,90.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 3/März 2009
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