Das Wunder der Wende

Vor kurzem erschien ein bewegendes Buch über den Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa. Unter dem Titel „Urbi et Gorbi. Christen als Wegbereiter der Wende"[1] schuf Joachim Jauer, der langjährige DDR-Korrespondent und ZDF-Studioleiter in Berlin, ein großartiges Zeitdokument. Es ist spannend geschrieben und gewährt einen überwältigenden Einblick in die Ereignisse vor 20 Jahren. Gerade als Christen dürfen wir für dieses Zeugnis außerordentlich dankbar sein. Im Anschluss an ein Exklusiv-Interview mit dem Autor stellen wir das neue Buch in Auszügen vor, welche besonders die Gestalt Johannes Pauls II. beleuchten. Im Blick auf den Seligsprechungsprozess ein höchst aktueller Beitrag.

Interview mit Joachim Jauer

Kirche heute: Herr Jauer, Sie schauen zurück auf Ereignisse, die sich etwa vor 20 Jahren abgespielt haben. Warum halten Sie es für so wichtig, dass diese Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten? Was ist das Entscheidende, das Sie den Menschen unserer Zeit und auch kommenden Generationen durch ihr Buch vermitteln möchten?

Joachim Jauer: Auch heute noch staune ich über das „Wunder der Wende“. Ich war in einem Zeitraum von 20 Jahren – mit Unterbrechungen – als Fernseh-Journalist in der DDR unterwegs, knapp vier Jahre lebte ich als akkreditierter Korrespondent in Ost-Berlin. Im Magazin „Kennzeichen D“ des ZDF haben wir das „D“ auch als D wie Dolmetscher zwischen West und Ost betrachtet. In der entscheidenden Zeit Ende der 80er Jahre war ich Sonderkorrespondent in Ost-Europa und damit Zeitzeuge des Umbruchs in den Ländern des Warschauer Pakts. Das Buch ist in besonderer Weise für die Generation derer bestimmt, die heute in einem freien, vereinten Deutschland und Europa aufwachsen und die – anders als ihre Eltern – Mauer, Eisernen Vorhang und Schießbefehl nicht erlebt haben. Gerade in einer Zeit, in der immer wieder verharmlosende Einschätzungen über den Unrechts-Charakter des SED-Regimes publiziert werden, halte ich es für notwendig, daran zu erinnern, dass mutige Menschen der Diktatur widerstanden haben.

Kirche heute: Mit dem Titel wecken Sie bewusst religiöse Assoziationen. Überhaupt sprechen Sie in all Ihren Ausführungen sehr unbefangen über Glaube und Kirche.

Jauer: Ich habe keine Heiligenlegende geschrieben, sondern ein politisches Buch. Es schildert  historisch korrekt, wie ich meine, dass Initiativen von Christen verschiedener Konfession in den Ländern des ehemaligen Ostblocks zum Zusammenbruch des Kommunismus entscheidend beigetragen haben. Kein Historiker bestreitet die wichtige Rolle des polnischen Papstes bei der Entstehung der freien Gewerkschaft „Solidarnosc“. Niemand kann übersehen, dass die Montagsdemonstrationen in Leipzig von der evangelischen Nikolaikirche ausgingen, in der es sieben Jahre lang Montagsgebete gab. Das waren ökumenisch verantwortete Friedensgebete, auch Katholiken haben die Gebete gestaltet und in bedeutender Zahl besucht.

Dass ich mein besonderes Augenmerk auf die Kirchen in den kommunistischen Ländern gelegt habe, hängt mit meiner persönlichen Nähe zum Christentum zusammen, aber auch mit dem journalistischen Auftrag des „Audiatur et altera pars“ – „Auch die andere Seite soll gehört werden“. In einer Diktatur, in der sich die Herrschenden das Monopol für Veröffentlichungen genommen haben, waren die Kirchen ein zuverlässiger Partner beim „Audiatur et altera pars“. So habe ich meine persönlichen Eindrücke in evangelischen Pfarrhäusern oder auf Synoden der DDR ergänzt, bei Katholiken in Polen, der Tschechoslowakei oder Ungarn, bei Reformierten in Ungarn oder Rumänien, bei Orthodoxen in Bulgarien, Rumänien oder Serbien, bei Muslimen in Bosnien oder Kosovo.

Kirche heute: Sie sprechen vom „Staunen über diesen einmaligen Gang der Geschichte“, das Sie zum Verfassen des Buchs angeregt habe. Auch mute das „zeitgleiche Auftreten von Michail Gorbatschow und Karol Wojtyla auf der Weltbühne“ wie „ein Wunder“ an. Halten Sie die Überwindung des kommunistischen Totalitarismus für ein Werk der göttlichen Vorsehung bzw. für das Ergebnis eines Einwirkens Gottes in die menschliche Geschichte?

Jauer: Viele Menschen haben beim Fall der Berliner Mauer „Wahnsinn“ gerufen. Ich selbst ziehe den Begriff „Wunder“ vor. Und sicher war das Wirken des polnischen Papstes, der es verstanden hat, das für Polen, die baltischen Staaten, Ostdeutsche, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Rumänen und Kroaten „unerreichbare Rom“ hinter den Eisernen Vorhang nach Krakau zu verlegen, ein Segen.

Kirche heute: Sie schreiben, dass der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow „die christlichen Wegbereiter der Wende gewähren ließ und sogar Sympathie für sie zeigte“. Wie würden Sie die Beziehung zwischen Gorbatschow und Johannes Paul II. beschreiben?

Jauer: Ich habe das auf die Kurzformel zu bringen versucht: Der eine – Papst Johannes Paul II. – hat die Wende angestoßen, der andere – Michail Gorbatschow – hat sie zugelassen. Beide Männer verband seit ihrer ersten Begegnung am 1. Dezember 1989 im Vatikan ein „freundschaftliches Verhältnis“. Gorbatschows Urteil über den Papst lautet: „Alles, was in diesen Jahren in Osteuropa geschehen ist, wäre ohne die Gegenwart dieses Papstes, ohne seine wichtige Rolle, die er auch politisch auf der Weltbühne zu spielen wusste, nicht möglich gewesen.“

Der polnische Papst wollte „Wandel durch Wahrheit“. Gorbatschows Programm hieß „Glasnost und Perestrojka“, also „Offenheit und Umbau“. Man kann das auch mit „Wahrheit und Wandel“ übersetzen. Die Ideen beider Männer waren sicher nicht deckungsgleich, aber es gab deutliche Schnittmengen. Die revolutionäre Gemeinsamkeit im Denken von Papst und Parteichef war, dass sie der parteilich verordneten Lüge ein Ende setzen und der Wahrheit über die „Diktatur der Arbeiterklasse“ zum Durchbruch verhelfen wollten. Allerdings war Gorbatschows großer Irrtum, dass der „real existierende Sozialismus“ reformierbar sei. Seine „Perestrojka“ ist gescheitert.

Kirche heute: Sie nennen Johannes Paul II. einen Polen, „der mit visionärer Hoffnung begabt“ war. Was möchten Sie damit zum Ausdruck bringen? Welche Vision hatte er vor Augen?

Jauer: Der Pole Karol Wojtyla hat zwei Diktaturen erlebt. Während der Besatzung seiner Heimat durch das nationalsozialistische Deutschland musste er Zwangsarbeit leisten und sich im Geheimen auf sein Priesteramt vorbereiten. Als Priester und Bischof hat er das Unrechtsregime der Kommunisten, wie der Prager Kardinal Miloslav Vlk mir sagte, „auf der eigenen Haut erlebt“. Johannes Paul II. wusste, dass Diktaturen ihre Macht nur mit der Lüge befestigen können. Er setzte spirituell und politisch dagegen die Wahrheit. Er wollte, dass die Menschen ein menschenwürdiges Leben führen können und unterstützte die erste freie Gewerkschaft im kommunistischen Machtbereich, die „Solidarnosc“. Sie trug ihren Namen zu Recht. „Solidarnosc“ war eine echte Vertretung der Arbeiter, eine „wahre“ Gewerkschaft, keine Scheingewerkschaft zur Befestigung der kommunistischen Diktatur.

Kirche heute: Sind Sie Johannes Paul II. persönlich begegnet? Welche Eindrücke haben Sie von ihm gewonnen?

Jauer: Ich habe Johannes Paul II. als Fernsehkorrespondent sehr nah bei seinem Besuch in der Tschechoslowakei 1990 erlebt, seine Pilgerreise ins kriegszerstörte Sarajevo begleitet und ich habe aus Rom berichtet, als der Papst kurz nach Ostern 2005 gestorben ist.

Kirche heute: Wie sehen Sie die Zukunft des „christlichen Europa“, für das Johannes Paul II. bis zuletzt gekämpft hat?

Jauer: Der Erzbischof von Esztergom-Budapest und Präsident des Rates Europäischer Bischofskonferenzen, der ungarische Kardinal Péter Erdö, hat im vergangenen Jahr eine nüchterne Bilanz gezogen. Er sagte, dass in den postkommunistischen Ländern nach dem Untergang der früheren offiziellen Ideologie ein großes Vakuum an Weltanschauung entstanden sei. Die Orientierungslosigkeit habe in manchen Ländern zur Kriminalisierung und zum Zerfall der öffentlichen Ordnung geführt. Im Osten Europas gibt es Anzeichen dafür, dass erstaunlich viele Menschen den christlichen Glauben wiederfinden. Im Westen ist ein gegenteiliger Prozess zu beobachten. Insgesamt haben die Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft auch in den Kirchen ein großes Maß an Zerstörung hinterlassen.

Kirche heute: „Und so war in diesem gewaltlosen Aufstand wohl auch Christus ‚mit seiner rettenden Macht‘ gekommen.“ Mit diesen gewiss für manchen Leser überraschenden Worten endet ihr Buch. Welche Hoffnung haben Sie für unsere heutige Zeit mit ihren aktuellen Problemen?

Jauer: Ich hoffe, dass die Menschen nicht vergessen, dass das kommunistische Zwangssystem nicht nur wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder wegen der alltäglichen Versorgungsnöte zusammengebrochen ist, sondern dass die Menschen gegen die Verweigerung persönlicher Grundfreiheiten aufbegehrt haben. Dass dies ganz überwiegend gewaltfrei und – mit der traurigen Ausnahme Rumäniens – auch unblutig verlief, ist den Christen zu verdanken, deren „Waffen“ Kerzen und Gebete waren. Insofern waren sie Wegbereiter der Wende. Wer mit der linken Hand eine Kerze trägt und mit der rechten die Flamme schützt, hat keine Hand mehr frei, um einen Stein zu werfen. An diese friedliche Revolution sollte insbesondere die nachwachsende Generation erinnert werden, die in der wiedergewonnenen Freiheit lebt.

Kirche heute: Herr Jauer, wir danken Ihnen ganz herzlich für dieses wertvolle Gespräch!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Joachim Jauer: Urbi et Gorbi – Christen als Wegbereiter der Wende, Freiburg 2009, 344 S., geb., mit Leseband, Euro 19,95 (D), ISBN 978-3-451-32253-2.

Wojtyla lehrte die Menschen den aufrechten Gang

Joachim Jauer wurde 1940 in Berlin geboren, studierte Philosophie und Philologie und arbeitete seit 1965 beim ZDF, insbesondere als Korrespondent für die DDR und Ost-Europa. Wie der Titel „Urbi et Gorbi“ verrät, geht Jauer in seinem neuen Buch ausführlich auf die Rolle ein, die Johannes Paul II. bei der Befreiung Osteuropas vom kommunistischen Joch gespielt hat. Das Geheimnis des polnischen Papstes, dem Jauer eine entscheidende Bedeutung beimisst, durchzieht seine Darstellung wie ein roter Faden. „Mein Nachdenken über 1989“, so Jauer, ist „keine verklärende Rückschau, sondern noch immer Staunen über diesen einmaligen Gang der Geschichte“. Die nachfolgenden Auszüge aus seinem Buch sind bedachtsam ausgewählt, so dass der innere Zusammenhang und auch die Spannung erhalten bleiben.[1]

Von Joachim Jauer

Ein freundlicher Fingerzeig der Geschichte

1989: Was für ein Jahr! Mit seinen historischen Veränderungen kann es dem Revolutionsjahr 1789 gleichgesetzt werden. Ein freundlicher Fingerzeig der Geschichte. Der französische Politiker und Historiker Charles Alexis de Tocqueville schrieb über 1789, es habe niemals ein Ereignis gegeben, das von langer Hand besser vorbereitet, aber von den Herrschenden weniger vorhergesehen worden sei. Exakt 200 Jahre später hätte Tocqueville über 1989 ein ähnliches Urteil fällen können. Mitte des 18. Jahrhunderts hätte der Monarchie und den Feudalherren dämmern müssen, dass ihre Ausbeuter-Herrschaft zu Ende ging. Warnungen gab es genug. Französische Schriftsteller hatten die Revolution geradezu herbeigeschrieben.

200 Jahre später, 1989, hatten die grenzüberschreitenden Medien des elektronischen Zeitalters den Wandel geradezu herbeigesendet. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Warnungen gab es genug. Doch die alt gewordenen Politbürokraten und Mitglieder von Zentralkomitees, die Parteisekretäre und Propagandachefs waren Gefangene ihrer eigenen Ideologie und glaubten unerschütterlich an das Marxsche Gesetz, dass sich der Sozialismus in dialektischen Sprüngen zur klassenlosen Gesellschaft im Kommunismus entwickeln würde. Nur der vergleichsweise junge sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow störte und irritierte sie. Doch auch die Herrschenden in den sozialistischen Staaten wollten 1989 nicht erkennen, dass ihre Zeit abgelaufen war.

Die Sprengkraft der Freiheitsbotschaft des Papstes

So wurden Honecker, Husàk, Ceausescu, Schiwkow und Co. von den Ereignissen überrollt. Sie hatten wohl auch den geradezu prophetischen Appell des Polen auf dem Papstthron, Karol Wojtyla, nicht ernst genommen. Bei seiner Amtseinführung hatte Johannes Paul II. ausgerufen: „Habt keine Angst! Öffnet, reißt die Tore auf für Christus. Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme für seine rettende Macht!“ Angesichts von Nachrüstung mit SS-20 Raketen Ost und Pershing-II-Raketen West hat ihn damals so mancher als weltfremden Phantasten aus dem Osten betrachtet. Die Sprengkraft der Freiheitsbotschaft des Papstes, die den Widerstand der ganz überwiegend kirchentreuen polnischen Katholiken angeleitet hat, haben wohl alle in Ost und West damals unterschätzt.

Der damalige polnische Ministerpräsident, Mieczyslaw Rakowski, Kommunist und Chefredakteur des Wochenmagazins Polityka, bestätigte vor unserer Kamera den entscheidenden Beitrag von Karol Wojtyla beim Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Polen: „Selbstverständlich war es der Papst, der das Volk von den Knien aufgehoben hat, der das Volk ermutigt hat. Und dass es deshalb zur Entstehung der Solidarność kommen konnte, natürlich auch, weil das alte System die Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigt hat.“

Die Vorkämpfer des unglaublichen Wandels

Die Vorkämpfer des unglaublichen Wandels von 1989 waren die Polen mit ihrer ersten freien Gewerkschaft Solidarnosc, die den Segen des polnischen Papstes erhielt. Das war in der Tschechoslowakei der Theaterschriftsteller und Philosoph Vàclav Havel, der für die Menschenrechte jahrelang ins Gefängnis gegangen war. Das waren die Ungarn, die auf eigenes Risiko gegen den „Rest der kommunistischen Welt“ den Eisernen Vorhang öffneten. Das war die deutsch-ungarische Malteserfrau Csilla von Boeselager, die mutig und selbstlos den „DDR-Ausreisern“ in Budapest ein erstes Flüchtlingslager baute. Das waren 100.000 meist junge DDR-Bürger, die mit ihrer Massenflucht Mauer und Stacheldraht ad absurdum führten. Und das war nicht zuletzt der sowjetische Reformer Gorbatschow, der alle diese Freiheitskämpfer gewähren ließ.

Das waren schließlich, wie in der Leipziger Nikolaikirche, der Berliner Gethsemane-Kirche oder in Pfarrer Schorlemmers Wittenberg, „ein paar hundert Schmuddelkinder aus den Kellern der Gemeindehäuser und ein gutes Dutzend evangelischer Pastoren, die die waffenstarrende Diktatur überwunden“ haben, so der Historiker Stefan Wolle.

Voraussehen konnte diese stürmische Umwälzung wohl niemand – vielleicht der mit visionärer Hoffnung begabte Pole Karol Wojtyla.

Der Papstaltar auf dem Siegesplatz

Zu Fackelzügen, Freundschaftstreffen, Großdemonstrationen und „nicht enden wollender Begeisterung“ – so die Parteizeitung Neues Deutschland – waren zu Pfingsten 1979 über eine halbe Million Jugendliche aus allen Bezirken der DDR nach Ost-Berlin bestellt worden. Beim „Nationalen Jugendfestival“ sollten die jungen Leute „ihrer Republik“ schon Anfang Juni vorab zum 30. Geburtstag gratulieren. Der stand erst im Oktober an, aber die SED feierte sich monatelang selbst.

Am gleichen Tag warteten 500 Kilometer weiter östlich in der „Partnerstadt Berlins“ eine halbe Million Menschen auf ungewöhnlichen Besuch. In Warschau war die Menge freiwillig, ohne Kommando der Partei, zusammengekommen, im Zentrum der polnischen Hauptstadt, auf dem Siegesplatz, den die deutschen Nazi-Besatzer „Adolf-Hitler-Platz“ genannt hatten. Und es gab wirklich etwas zu feiern. Der Pole Karol Wojtyla, zuletzt Kardinal und Erzbischof von Krakau, war nur ein halbes Jahr nach seiner Wahl zum ersten slawischen Papst als Johannes Paul II. in seine Heimat zurückgekehrt. Der Besuch wurde zu einem historischen Ereignis, in dessen Folge der Machtblock des sowjetischen Imperiums erschüttert werden sollte. Bis zuletzt hatte die herrschende Polnische Vereinigte Arbeiterpartei PVAP versucht, diesen Besuch zu verhindern.

Bischof Alojzy Orszulik, damals Sekretär der Polnischen Bischofskonferenz, erinnerte sich im Gespräch mit mir: „Sein Reiseplan traf auf heftigen Widerstand bei den Kommunisten. Sie suchten nach Argumenten, warum der Papst nicht nach Krakau, nach Polen, in seine Heimat kommen darf. Und schon gar nicht im Monat Mai. Da nämlich feierten wir das Fest des heiligen Stanislaus, der als polnischer Märtyrer ein Symbol für Widerstand gegen den Staat ist. Darum hatten sie Angst, wenn er kommt.“

So kam Johannes Paul ein paar Wochen später im Juni und erinnerte feierlich an das 900. Todesjahr des Nationalheiligen. Die Kommunisten wussten sehr genau, welche Bedeutung der Patron Polens hatte, der Märtyrer Stanislaus, der als Bischof von Krakau ein früher Vorgänger Wojtylas war. Stanislaus hatte in Opposition zum König Boleslaw II. gestanden und wurde während eines Gottesdienstes in der Kirche auf dessen Befehl ermordet. Seitdem wird Stanislaus in Polen als Symbol für den Kampf um die Freiheit verehrt.

Auf dem Siegesplatz, sonst Ort befohlener Aufmärsche der Partei, stand für die Eucharistiefeier mit dem Papst ein Altar. Statt kommunistischer Propaganda-Transparente war nun ein unübersehbares Kreuz der Mittelpunkt. Und auf „ihren“ Heiligen Vater warteten dort mehrere hunderttausend Gläubige.

Ohne ein unabhängiges Polen kein gerechtes Europa

Die Machthaber fanden gegen den ersten Slawen auf dem Stuhl Petri kein Rezept. Auf den Polen Wojtyla waren sie stolz, der Papst als Gegner des Regimes machte ihnen Angst. Nach langem Zögern hatten sie die Einreise für Johannes Paul II. genehmigt und hofften, dass die Sicherheitsorgane die Zahl seiner Anhänger unter Kontrolle halten könnte. Wojciech Jaruzelski, damals Politbüromitglied und für Sicherheit verantwortlich, später Staats- und Parteichef Polens, hat mir 2004 erklärt, dass das Regime gegen diesen Mann praktisch keine Chance hatte: „Ein polnischer Papst, das bedeutete viel für Polens Prestige, für den Ruhm Polens in der Welt. Denn wir Polen haben einen historisch bedingten Minderwertigkeitskomplex. Andererseits war da aber auch die Furcht, dass die katholische Kirche bei uns ungemein gestärkt wurde. Und das in einer Zeit, wo die Beziehungen Staat/Kirche – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade ideal waren. Und dass das alles durch diesen Papst noch schlimmer werden würde.“

Es kam dann doch so schlimm, wie die Partei es befürchtet hatte. Sie hatte eine „Pilgerreise“ des populären Kirchenführers nicht verhindern können. Denn bei einer Absage des Besuches hätte das Regime einen Proteststurm von großen Teilen der Bevölkerung riskiert. Johannes Paul II. machte bereits auf dem Warschauer Siegesplatz klar, dass er als Pilger und Prediger des Evangeliums, aber auch als Pole mit der Erfahrung von zwei Diktaturen gekommen war: „Man kann Christus nirgendwo auf Erden aus der Geschichte des Menschen ausschließen, gleich, um welchen Längen- oder Breitengrad es sich handelt. Der Ausschluss Christi aus der Geschichte des Menschen ist ein gegen den Menschen selbst gerichteter Akt. Ohne Christus kann man die Geschichte Polens nicht verstehen. … Wir befinden uns hier am Grab des Unbekannten Soldaten. In der Geschichte Polens – der alten wie der neueren – hat dieses Grab eine besondere Bestätigung gefunden. An wie vielen Orten Europas und der Welt hat er durch seinen Tod bezeugt, dass es ohne ein unabhängiges Polen auf der Karte Europas kein gerechtes Europa geben kann!“

Ohne ein unabhängiges Polen kein gerechtes Europa. Mit der Forderung nach Unabhängigkeit für Polen traf Johannes Paul II. den empfindlichsten Nerv der Partei. Denn jeder Pole, auch jeder polnische Kommunist, wusste, dass die Heimat nach Jahrhunderten der Unterdrückung, nach Hitler und Stalin auch weiterhin nicht frei war, sondern ein Satellit der Sowjetunion.

Der Geist erneuere das Angesicht dieses Landes!

Der Papst erinnerte gleich in seiner ersten Predigt daran, dass Warschau unter zwei Diktatoren zu leiden hatte, dem mörderischen Aggressor Hitler und dem Tyrannen Stalin, der den Polen nicht zu Hilfe kam: „Es ist unmöglich, diese Stadt, Warschau, die Hauptstadt Polens, die sich im Jahre 1944 auf einen ungleichen Kampf gegen den Aggressor einließ – einen Kampf, bei dem die verbündeten Mächte sie im Stich ließen; einen Kampf, in dem sie unter ihren eigenen Trümmern begraben wurde –, zu verstehen, wenn man sich nicht daran erinnert, dass unter diesen gleichen Trümmern auch Christus, der Erlöser, mit seinem Kreuz lag. … Man kann unmöglich die Geschichte Polens begreifen, vom Märtyrer Stanislaus bis zu Maximilian Kolbe in Auschwitz, wenn man nicht auch auf sie dieses eine fundamentale Kriterium anwendet, das Jesus Christus heißt.“

Und dann sagte er am Sonnabend vor dem Hochfest der Aussendung des Geistes Gottes noch geradezu beschwörend, wie dieses unabhängige Polen in einem gerechten Europa in den Augen des Papstes aussehen sollte: „Ich, ein Sohn polnischer Erde und zugleich Papst Johannes Paul II., ich rufe aus der ganzen Tiefe dieses Jahrhunderts, ich rufe am Vorabend des Pfingstfestes: Sende aus deinen Geist! Sende aus deinen Geist! (odnow oblicze ziemi, tej ziemi!) Und erneuere das Angesicht der Erde! – Dieser Erde!“  

Mit seinem Hirtenstab auf den Boden des Siegesplatzes stoßend, markierte er für alle unmissverständlich, welche Erde er meinte, wobei das polnische Wort „ziemia“ nicht nur Erde, sondern auch Land bedeutet. Also: „Der Geist des Pfingstfestes erneuere das Angesicht dieses Landes!“ Bereits mit dieser Geste wurde sichtbar: Hier trat der oberste Repräsentant einer weltweiten Institution, die den Anspruch, allein seligmachend zu sein, erhob, gegen ein weltweit mächtiges System an, in dem der Grundsatz galt, dass „die Partei immer recht“ habe.

Der Pole Johannes Paul II. aber trat am 4. Juni 1979 gegenüber den Vertretern des kommunistischen Regimes als Souverän des Vatikanstaates auf, behauptete so etwas wie eine „doppelte Staatsbürgerschaft“ und zog dann daraus seine politische Konsequenz: „Gestatten Sie mir, meine Herren, das Wohl Polens auch weiterhin als das meine zu betrachten und zutiefst daran Anteil zu nehmen, ganz so, als ob ich noch in diesem Lande lebte und Bürger dieses Staates wäre.“

Polen war nicht länger kommunistisch

Niemand ahnte damals, dass nur ein Jahr später durch die Solidarność, mit der Fürsprache dieses Papstes, die Veränderung dieses Landes und schließlich ganz Europas begann. Auch der Heilige Vater hatte nicht sicher sein können, dass ihn „die Warschauer Gesellschaft freundlich aufnehmen würde“.

Vernon Walters, Sonderbotschafter des amerikanischen Präsidenten, erkannte damals eine völlig neue Lage in einem Land des Sowjetblocks: „Das gab es noch nie in der Geschichte des Kommunismus, dass sich Millionen versammelten, die nicht der Partei angehörten. Eine Million kann man nicht unter Kontrolle halten, auch nicht mit Maschinengewehren. Von da an wussten wir, dass Polen nicht länger kommunistisch war.“

Neun Tage lang – von Warschau bis nach Krakau – begleiteten Millionen von Menschen die Pilgerfahrt „ihres“ Papstes. Tausende winkten ihm in jedem Dorf, in jeder Stadt zu, überall wurde er mit Blumen begrüßt. Seine Wallfahrt erzeugte – gewollt oder ungewollt – regimekritische Massendemonstrationen. 1979 war das zunächst ganz überwiegend ein Kräftesammeln und noch kein offener politischer Protest. Die Menschen erfuhren plötzlich, dass sie nicht allein, sondern vielmehr eine unübersehbare Menge Gleichgesinnter waren.

Der Papst als Souverän des Vatikanstaats und Oberhaupt der weltweiten katholischen Kirche konnte in seinen Predigten Themen aufgreifen, die zuvor aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen waren: Freiheit, Menschenwürde, individuelle Bürgerrechte und Meinungsvielfalt. Was bislang nur in Familien und in der Öffentlichkeit allenfalls hinter vorgehaltener Hand gesagt werden konnte, wurde nun durch Lautsprecher an ein Millionenpublikum übertragen. Etwa zehn Millionen Menschen, damals jeder vierte Pole, sollen den Papst auf seiner ersten Pilgerreise gesehen haben, und wohl die ganze Nation hatte ihn zumindest in zensierten Berichten des Fernsehens erlebt.

Der Papst hatte symbolisch mitunterzeichnet

In den katholischen Gemeinden Polens hatte der Papstbesuch nachhaltige Wirkung: Jeder einzelne Teilnehmer an den Oper-Air-Messen des Papstes hatte staunend selbst erlebt, „wie viele sie waren“. So formierte sich unter dem Dach der Kirche auch politischer Widerstand, zumal die allgemeinen Versorgungsmängel und der miserable Alltag ausreichend sozialen Sprengstoff lieferten. Ein Jahr nach dem Besuch des Papstes kam es daher in ganz Polen zu Protesten der Arbeiter. Auslöser waren massive Verteuerungen von Lebensmitteln, insbesondere der Fleischpreise.

Auf der Lenin-Werft in Danzig hatte der Ausstand am 14. August 1980 begonnen. Der Streik breitete sich aus, und bald wurde die Auseinandersetzung mit der Werksleitung durch die Forderung nach höheren Löhnen grundsätzlich. 80.000 Arbeiter in 300 Betrieben entlang der Ostseeküste schlossen sich dem Streik an. Vom 14. August an legten die Werftarbeiter den Betrieb lahm. Nun forderten sie auch die Wiedereinstellung des bereits ausgesperrten Elektrikers Lech Walesa, der sich außerhalb des Betriebsgeländes befand. Walesa setzte mit einem – inzwischen legendären – Sprung über das Werkstor, erklärte die Werft für besetzt und wurde zur Symbolfigur des Ausstands.

Überraschend beugte sich die kommunistische Partei am 31. August 1980 dieser „außerparlamentarischen Opposition“. Am 17. September wurde die Solidarność als erste, freie und unabhängige Gewerkschaft im kommunistischen Lager gegründet und von der Regierung anerkannt. Alle Forderungen der Arbeiter wurden widerwillig akzeptiert. Die kommunistische Weltsicht wurde ab absurdum geführt. Denn der neue echte Arbeiterführer Lech Walesa, ein „Werktätiger“ wie aus dem marxistischen Lehrbuch, unterzeichnete die „Danziger Erklärung“ neben dem Repräsentanten des herrschenden Regimes, dem stellvertretenden Regierungschef Mieczyslaw Jagielski, der angeblich die „Arbeiterklasse“ vertrat. Zum ersten Mal in der Geschichte des Kommunismus, seit es die so genannten „Volksdemokratien“ gab, hatten sich Arbeiter – wie in bürgerlich-demokratischen Staaten – das Streikrecht erkämpft. Walesa zeigte seinen staunenden Kollegen triumphal den überdimensionierten Kugelschreiber, mit dem er unterschrieben hatte. In dessen Halterung konnte die Menge das Porträt von Johannes Paul II. erkennen. Der Papst hatte symbolisch mitunterzeichnet.

Die Solidarność erstarkte und wurde zur mächtigen Opposition gegenüber der herrschenden, aber schwächelnden Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Millionen Menschen traten ihr freiwillig bei. Die kommunistische Partei geriet in die Minderheit.

Kampf gegen die Solidarność und ihren Fürsprecher

Immer deutlicher wurde den Staats- und Parteichefs von Moskau bis Ost-Berlin, dass der polnische Papst vor Ort in Polen für die Gläubigen aus den kommunistischen Staaten authentischer wirken konnte als aus dem fernen Vatikan. In Polen konnte er seine Botschaft vom christlichen Widerstand auch den „Bruderländern“, Tschechen, Ungarn, Slowaken und DDR-Bürgern direkt verkünden. In einer geheimen Vorlage an den damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew wurde der Wojtyla-Papst als „Konterrevolutionär“ analysiert. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR hatte den Unruhestifter bereits ausgemacht und notiert, „dass der aus der Volksrepublik Polen kommende Papst und dessen großer Einfluss in der Volksrepublik Polen eine der Hauptursachen für die gegenwärtige Situation dort sind. Maßgeblich ist dabei offensichtlich die Vorstellung des Papstes von einem gemeinsamen christlichen Europa.“

Im Dezember 1980 hat Papst Johannes Paul II. als polnischer Patriot aus Sorge vor einer Invasion einen Brief an den sowjetischen Generalsekretär Leonid Breschnew geschickt. Das Oberhaupt des kleinsten Staates der Welt, das über keine Divisionen, sondern nur über eine Mini-Armee aus Schweizergardisten in Renaissance-Uniformen gebot, schrieb an den Führer einer hochgerüsteten Atommacht.

„An seine Exzellenz Leonid Breschnew, Präsident des Obersten Sowjets der Sozialistischen Sowjetrepubliken!

Ich spreche die Sorge Europas und der ganzen Welt an bezüglich der Spannung, die durch die inneren Ereignisse der letzten Monate in Polen entstanden ist. Polen ist einer der Signatarstaaten von Helsinki.“

Johannes Paul II. weist in diplomatischen Formen offen darauf hin, dass es sich um „innere Ereignisse in Polen“ handelt und dass für Signatarstaaten der Helsinki-Charta „die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates“ eines der Essentials war. Dann erinnert der Papst den Sowjetführer an Hitlers Überfall auf Polen und macht auf diese Weise klar, welchen historischen Vergleich eine Invasion in seine Heimat nahelegen würde. Und schließlich folgt ein Satz, in dem mit dem Begriff der „Solidarität“ (Solidarność!) doppeldeutig operiert wird: „Die Ereignisse, die in den letzten Monaten in Polen stattgefunden haben, sind durch die unabwendbare Notwendigkeit des wirtschaftlichen Wiederaufbaus des Landes verursacht, der gleichzeitig einen moralischen Wiederaufbau erfordert auf der Grundlage des bewussten Engagements, in Solidarität aller Kräfte der ganzen Gesellschaft.“

Der Brief schließt mit dem dringenden Appell an Breschnew, er möge alles tun, „um die gegenwärtige Spannung zu beseitigen, damit die politische öffentliche Meinung über dieses schwierige und dringende Problem beruhigt sein kann.“

Kardinal Stanislaw Dziwisz hat mir bestätigt, dass auf diesen und andere Briefe des Vatikans nie eine Antwort aus Moskau kam. Erst später, als Gorbatschow Parteichef geworden war, normalisierten sich die Umgangsformen der Sowjets. Vielleicht aber war die Tatsache, dass die drohende Invasion des Warschauer Pakts unterblieb, dann doch eine Antwort Breschnews.

Allerdings vollzog die kommunistische Führung Polens die befürchtete Strafexpedition dann selbst. Staats- und Parteichef Jaruzelski verhängte am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht, den Ausnahmezustand, einen Kampf der Regierung gegen die Solidarność, der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gegen die freie Gewerkschaft der Arbeiter. Jaruzelski wollte damit angeblich dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Armeen zuvorkommen. Die Warschauer Regierung führte Bürgerkrieg gegen das eigene Volk. Die freie Gewerkschaft Solidarność wurde verboten, 5.000 ihrer führenden Mitglieder wurden verhaftet und in Speziallager gebracht.

Zwei Millionen Menschen beim Papst in Danzig

Im Juni 1983 besuchte Karol Wojtyla als Papst zum zweiten Mal seine polnische Heimat. In der Volksrepublik herrschten noch immer Sonderregelungen des Kriegsrechts. Die Solidarność war weiterhin verboten, zahlreiche führende Mitglieder waren noch immer interniert. Johannes Paul II. kam nicht als Triumphator in das gepeinigte Land. Das Regime begrüßte sogar gezwungenermaßen seinen Besuch, denn es brauchte einen Vermittler.

Heftigen Streit gab es mit der Parteiführung, weil Johannes Paul II. darauf bestand, während seines Besuches den verfemten Kopf der verbotenen Solidarność, Lech Walesa, zu treffen. Kardinal Dziwisz erklärte mir, dass der Papst damit erreichen wollte, dass Walesa keine politische „Unperson“ war, sondern ein Gesprächspartner, und die Gewerkschaft Solidarność – wenn auch verboten – für ihn und die internationale Öffentlichkeit weiter existierte. Die Staats- und Parteiführung wollte ein solches Treffen unbedingt verhindern. Der Papst kündigte daher an, er werde sofort den Besuch abbrechen, sein Flugzeug besteigen und nach Rom zurückkehren. Diesen Skandal wollte die polnische Führung vermeiden. Also bot sie ein Treffen Papst-Walesa an einem geheimzuhaltenden Ort ohne Medienbegleitung an.

Im Juni 1987 kam Johannes Paul II. während seiner dritten Pastoralreise nach Polen auch in die Geburtsstadt der Solidarność, nach Danzig. Bei seinen ersten beiden Reisen hatte ihm das Regime den Besuch der Stadt mit der Lenin-Werft verwehrt. Nun erwarteten den Papst zwei Millionen Menschen. Offiziell galt der Besuch des Papstes dem Eucharistischen Kongress. Doch schon beim Treffen mit den Vertretern der kommunistischen Staatsmacht war deutlich geworden, dass dies nicht nur eine fromme Pilgerreise war. Jaruzelski sprach in seiner Begrüßung vom Frieden nach Art des Warschauer Pakts. Der Papst setzte in seiner Antwort einen ungewöhnlich scharfen Akzent: „Wenn Sie Frieden halten wollen, denken Sie an die Menschen. … Jede Verletzung der Menschenrechte ist eine Bedrohung für den Frieden.“

Das war ein offener Angriff auf das Programm der Kommunistischen Internationale. Der Papst verurteilte den Klassenkampf und propagierte stattdessen das Ideal der „Solidarität“. Ebenso trat er für die Freiheit des Wortes und des religiösen Bekenntnisses ein, für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse, und das in einem Staat, der die Ausbeutung der Arbeiter angeblich abgeschafft hatte.

Die Gottesdienste mit Millionen Gläubigen festigten die Menschen in ihrem Willen nach Reformen und hielten sie gleichzeitig zu Geduld und Gewaltlosigkeit an. Die Menschen vertrauten immer mehr ihrem Fürsprecher aus Rom, schauten inzwischen aber auch erwartungsvoll auf den Reformer in Moskau. Die Zeit war reif für Veränderungen. Ein Jahr nach dem Papstbesuch kam es wieder zu einer landesweiten Streikwelle. Im Spätsommer 1988 erklärte sich die Regierung zu Verhandlungen bereit, sogar mit der Solidarność. Vertreter von Regierung und Opposition setzten sich unter der Beteiligung der katholischen Kirche an den „Runden Tisch“, um Wege zur Lösung aus der Staatskrise zu finden.

Christus „mit seiner rettenden Macht“

1978 hatte der polnische Papst Johannes Paul II. bei seiner Amtseinführung ausgerufen: „Habt keine Angst! Öffnet, reißt die Tore auf für Christus. Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme für seine rettende Macht!“ Die Tore für Freiheit von Unterdrückung durch den Staat und Bevormundung durch selbsternannte Parteiführer wurden in den Ländern Osteuropas 1989 aufgerissen. Die Freiheit zu Solidarität und Subsidiarität, zu demokratischer Mitarbeit und gesellschaftlicher Verantwortung muss noch immer erarbeitet werden. Die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme sind geöffnet, leider auch für einen unkontrollierten Kapitalismus, wie er schlimmer kaum in den Lehrbüchern der Kommunisten stand. Und die nun offenen Länder des Westens haben die Ost-Europäer so erlebt, wie sie der große Schriftsteller Joseph Roth aus dem östlichen Galizien charakterisiert hat: Länder, „in denen das Herz nichts ist, der Kopf ein wenig und die Faust alles“. Vielleicht hat deshalb eine Mehrheit „die rettende Macht“, die Johannes Paul II. vor 30 Jahren zu Hilfe rief, nicht erkannt. Hinzu kommt, dass der von den kommunistischen Machthabern militant verbreitete Atheismus in den Gesellschaften Ost- und Mitteleuropas tiefe Spuren hinterlassen hat. Zwei Generationen wurden ohne Religion geschult. Christentum und Kirche sind Millionen von Menschen seitdem fremd.

Der Pole Karol Wojtyla, der als junger Mann auch die Verbrechen des Nationalsozialismus in seiner Nachbarschaft mitansehen musste, in dessen früherem Bistum Krakau Auschwitz liegt, hat keinen Kreuzzug gegen den Kommunismus kommandiert. Er hat die Menschen zum konterrevolutionären Denken angeregt und viele den aufrechten Gang gelehrt.

Das zeitgleiche Auftreten von Michail Gorbatschow und Karol Wojtyla auf der Weltbühne mutet auch 20 Jahre danach wie ein Wunder an. Der polnische Papst hat den Abschied vom Kommunismus angestiftet, der sowjetische Generalsekretär hat das zugelassen. Dass den kommunistischen Generalsekretär eine religiöse Überzeugung geleitet habe oder dass er gar als ein Glaubender gehandelt habe, ist inzwischen verbreitete Spekulation. Gorbatschow selbst hat das zurückgewiesen. Fest steht aber, dass er die revolutionären Bewegungen, auch die christlichen Wegbereiter der Wende, gewähren ließ und sogar Sympathie für sie zeigte. Sicher hatte die sozialistische Planwirtschaft Ende der achtziger Jahre ausgedient, die Unfähigkeit der kommunistischen Alleinherrschaft, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, war unübersehbar, und natürlich gab es in allen Ländern des Ostblocks viele nicht-christliche oppositionelle Querdenker, die politische Veränderungen mit hohem persönlichen Risiko anstrebten. Doch an den Stellschrauben des Motors der Wende haben in besonderer Weise Christen verschiedener Konfessionen gedreht. Ohne den Mut von widerständigen Menschen wie Heinz Bräuer, Lech Walesa, Csilla von Boeselager, Oskar Brüsewitz, Imre Kozma, Christian Führer, Jerzy Popieluszko, Vaclav Maly und Laszlo Tökes wäre der große Aufbruch in Osteuropa 1989 nicht in Bewegung gekommen. Auf jeden Fall wäre der Sturz der Diktaturen wohl kaum so gewaltlos gewesen. Denn die Christen hatten die Demonstranten gelehrt, sich mit Kerzen statt mit Steinen zu bewaffnen. Und so war in diesem gewaltlosen Aufstand wohl auch Christus „mit seiner rettenden Macht“ gekommen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Joachim Jauer: Urbi et Gorbi – Christen als Wegbereiter der Wende, Freiburg 2009, 344 S., geb., mit Leseband, Euro 19,95 (D), ISBN 978-3-451-32253-2. Die Auszüge sind den Kapiteln „Die Solidarność und der Papst“ und „Papstattentat und Kriegsrecht“ sowie dem Vor- und dem Nachwort entnommen.

Das Papstattentat und Fatima

Von Joachim Jauer

Am 13. Mai 1981 versuchte der Türke Mehmet Ali Agca während einer Pilgeraudienz auf dem Petersplatz in Rom, den Papst mit drei gezielten Schüssen zu töten. Bis heute ist ungeklärt, ob der bulgarische Geheimdienst Auftraggeber Agcas war. Der Verdacht, das Attentat gegen Johannes Paul II. sei vom sowjetischen Parteichef Breschnew angeordnet und vom KGB in Moskau dem bulgarischen Geheimdienst zur Durchführung übertragen worden, tauchte schon bald nach Agcas Mordversuch auf. Der langjährige Sekretär des Papstes, Stanislaw Dziwisz, ist überzeugt, „es scheint objektiv unmöglich, dass Ali Agca ein Einzeltäter war, dass er alles allein gemacht hat“. Akten belegen, dass der Staatssicherheitsdienst der DDR die Aufgabe übernommen hat, das bulgarische „Bruderorgan“ propagandistisch von einem Mordvorwurf zu entlasten, doch Geständnisse oder ein sicherer Beweis für ein von den Kommunisten angezetteltes Komplott fehlen.

Bis heute sind die Hintergründe des Attentats nicht aufgeklärt. Sicher ist, dass das sowjetische Politbüro mehrfach darüber beraten hat, wie das „Problem polnischer Papst erledigt“ werden könnte. Der amerikanische Buchautor John O. Koehler behauptet, ein Papier zu kennen, das vom November 1979 mit den Unterschriften der Mitglieder des damaligen sowjetischen Politbüros, auch Gorbatschows, stamme. Gorbatschow war im November 1979 ZK-Sekretär, aber nicht Mitglied des Politbüros. Beschlüsse über Aktionen des Geheimdienstes KGB wurden im engsten Partei-Kreis getroffen. Das Schriftstück aus einem Moskauer Archiv habe folgenden Wortlaut: „Es sind alle möglichen Mittel zu nutzen, um eine Neuausrichtung der Politik zu vermeiden, die vom polnischen Papst begonnen wurde, und wenn es notwendig ist, nach Mitteln zu greifen, die weiter reichen als Desinformation und Diskreditierung.“

Der schwerverletzte Papst hat das Attentat wie durch ein Wunder überlebt. Seine zuvor stabile Gesundheit war jedoch auf Dauer durch schmerzhafte Spätfolgen des Mordanschlags stark beeinträchtigt. Johannes Paul II. hat den Attentäter in dessen Gefängniszelle am 23. Dezember 1983 besucht und ihm verziehen. Stanislaw Dziwisz berichtet, bei diesem Gespräch habe Mehmet Ali Agca nur eine Frage ständig wiederholt: „Warum sind Sie nicht gestorben? – Ich weiß, dass ich richtig gezielt habe. Ich weiß, dass es ein zerstörerisches, todbringendes Geschoss war. Warum sind Sie denn nicht gestorben?“

Der Papst hat eine der Kugeln Ali Agcas der Mutter Gottes von Fatima geschenkt. Johannes Paul II. war fest davon überzeugt, den Anschlag nur durch Marias Beistand überlebt zu haben. Denn der Tag des Attentats war der Gedenktag der ersten Marien-Erscheinung von Fatima.[1]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
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[1] Aus: Joachim Jauer: Urbi et Gorbi – Christen als Wegbereiter der Wende, Freiburg 2009, 344 S., geb., mit Leseband, Euro 19,95 (D), ISBN 978-3-451-32253-2.

Für die Freiheit der Rede, der Wissenschaft und der Therapie

Aus aktuellem Anlass gehen renommierte Persönlichkeiten mit nachfolgender Erklärung an die Öffentlichkeit, um ihre Stimme gegen totalitäre Bestrebungen der Homosexuellen-Verbände zu erheben. Sie rufen alle Menschen guten Willens auf, sich dieser Erklärung anzuschließen. Denn erneut versuchen Vertreter der Homosexuellen-Verbände zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen die Rede-, Wissenschafts- und Therapiefreiheit zu beschränken.

VI. Internationaler Kongress für Psychotherapie und Seelsorge

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) attackiert mit einem Offenen Brief vom 26. März 2009 an den Oberbürgermeister der Stadt Marburg und die Universitätsleitung den „6. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge“, der vom 20. bis 24. Mai 2009 in Marburg stattfindet, veranstaltet von der Akademie für Psychotherapie und Seelsorge (Internet: www.akademieps.de). Die Beiträge von Markus Hoffmann, Wüstenstrom e.V., und Dr. Christl Ruth Vonholdt, Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG), die dort als fachkundige Experten über die Identitätsentwicklung von Mann und Frau referieren werden, sollen verhindert werden. Die Landesmitgliederversammlung der Grünen (Hessen) schloss sich am 28. März 2009 diesen Bestrebungen an. Bereits bei zwei vorhergehenden Großveranstaltungen – dem Fachkongress „Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie“ im Oktober 2007 in Graz und dem „Christival“ im Frühjahr 2008 in Bremen, das nur unter Polizeischutz stattfinden konnte – ist es Vertretern und Sympathisanten solcher Verbände gelungen, das Auftreten von Markus Hoffmann bzw. von Mitarbeitern des DIJG zu verhindern. Dies geschah durch persönlichen und öffentlichen Druck auf Veranstalter und Sponsoren, durch mediale Kampagnen und Instrumentalisierung von Politik und Justiz.

Die vorgebrachten Argumente sprechen wissenschaftlicher Rationalität Hohn und legen eine groteske Widersprüchlichkeit an den Tag:

1. Wie wissenschaftliche Untersuchungen übereinstimmend zeigen, birgt praktizierte Homosexualität ein erhebliches gesundheitliches und psychisches Risiko. Dazu zählen AIDS, Geschlechtskrankheiten, Depression, Angst, Alkoholismus, Substanzsucht und Suizidgefährdung. Dadurch reduziert sich die Lebenserwartung um zehn bis zwanzig Jahre. Das müsste Grund genug sein, diesen Lebensstil nicht zu propagieren, ihn nicht staatlich zu fördern und jenen, die therapeutische Hilfe suchen, diese anzubieten.

2. Grotesk ist es, dass zwar durch die Ideologie des Gender-Mainstreaming propagiert wird, der Mensch könne und solle sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung (homo-, bi- oder transsexuell) frei wählen, dass aber die Möglichkeit der Veränderung von der Homosexualität zur Heterosexualität geleugnet wird und konkrete therapeutische Angebote für Menschen, die unter ihrer homosexuellen Neigung leiden, unterdrückt werden. Bestens qualifizierte klinische Therapeuten (u.a. Prof. Dr. Robert Spitzer, Columbia Universität, und die in der Organisation NARTH vertretenen Therapeuten) bezeugen mit ihrer Arbeit, dass Veränderung einer homosexuellen Neigung möglich ist. Niemand will und kann einen Menschen zu einem solchen therapeutischen Weg zwingen. Dass die Homosexuellen-Verbände die Möglichkeit eines solchen Therapieangebots, ja die wissenschaftliche Information und Auseinandersetzung unterdrücken wollen, ist eine skandalöse Missachtung der Wissenschaftsfreiheit, der Meinungsfreiheit, des Leidens der betroffenen Menschen und ihres Rechts auf Therapiefreiheit. Dies darf in einem freiheitlichen Staat nicht hingenommen werden!

3. Der LSVD arbeitet skrupellos mit völlig unbewiesenen Verleumdungen gegen die Organisation Wüstenstrom e.V., die von Homo-Organisationen mit ihren Verbündeten in den Medien verbreitet werden.

4. Die Homo-Verbände setzen ihre partikularen Minderheitsinteressen, welche die Zerstörung von Familie und christlicher Kultur bewirken, die Rechte von Kindern auf Vater und Mutter missachten und insbesondere in Zeiten der demographischen Krise der Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft schaden, mit persönlichem und öffentlichem Druck, medialem Mobbing und Verleumdung durch. Dies erzeugt ein Klima der Angst, das insbesondere Politiker, Journalisten und Therapeuten zum Schweigen bringt. Mit einem pervertierten Begriff der Menschenrechte wird versucht, Widerstand gegen die Homosexualisierung der Gesellschaft als „Homophobie“ und „Hassrede“ zu kriminalisieren. Dieser Widerstand ist aber nicht von neurotischer Angst oder Hass geleitet, sondern von Verantwortung für die junge Generation und Sorge um die Zukunft der Gesellschaft.

Wir halten es aus diesen Gründen für unverzichtbar, dass

• der Oberbürgermeister der Stadt Marburg und der Präsident der Marburger Philipps-Universität die Agitation gegen die Veranstalter und Referenten des „6. Internationalen Kongresses für Psychotherapie und Seelsorge“ zurückzuweisen und allen Teilnehmern einen uneingeschränkten fachlichen Dialog ermöglichen;

• die Veranstalter des Kongresses dem Druck der Homoverbände und ihrer Verbündeten nicht nachgeben, selbst wenn – wie zu erwarten – repressive Mittel eingesetzt werden;

• die Referenten an dem Kongress nur unter der Bedingung teilnehmen, dass Markus Hoffmann und Dr. Christl Ruth Vonholdt die geplanten Veranstaltungen durchführen können.

Wir fordern alle Menschen guten Willens auf, sich dieser Erklärung anzuschließen und sich in ihrem Einflussbereich den totalitären Bestrebungen der Homosexuellen-Verbände zu widersetzen. Onlineunterzeichnung unter: www.medrum.de /?q=content/kongress-marburg

Erstunterzeichner am 6. April 2009:

Gabriele Kuby, Publizistin
Prof. Hubert Gindert
Weihbischof Andreas Laun

Mechthild Löhr, Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL)

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
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Es besteht Handlungsbedarf!

Von Weihbischof Andreas Laun

Aufgrund tiefster Überzeugung unterstütze ich den Aufruf von Gabriele Kuby. Warum? Erstens um der Freiheit willen! Seit Jahren schon dehnen die Behörden des Staates, gedrängt von bestimmten Gruppen, ihre Kompetenzen mehr und mehr aus und zwar auf Kosten der Freiheit! Ganz allgemein ist die Intimsphäre der Menschen ein Bereich bedrohter Freiheit geworden, von der Schulerziehung bis zur Gender-Ideologie! Unabhängig von der Frage, ob homosexuelle Neigungen veränderbar sind oder nicht, es geht zunächst um die Freiheit, die Freiheit des Denkens, des Redens, des Schreibens. Und Freiheit, die man nicht mehr verteidigt, wird verloren gehen, das lehrt die Erfahrung der Menschheit wie kaum eine andere Lektion! Und die Freiheit muss man sofort, vom Anfang ihrer Bedrohung an verteidigen. Denn der Kampf für die Freiheit setzt Freiheit voraus. Ist sie einmal verloren, ist es unendlich schwieriger, sie zurückzugewinnen! Wenn man sie dann zurückzugewinnen anfängt, kostet die Freiheit Opfer, viele Opfer. Eine ganz verlorene Freiheit fordert auch ganze Opfer, Opfer und dieses „Ganz“ können auch Leben von Menschen sein, nicht sofort, aber später! Daher ist es so ungeheuer wichtig, überall, wo Freiheit in Gefahr ist, aufzustehen und für sie zu kämpfen, sofort und entschieden!

Zweitens, der Kampf um die Frage, ob homosexuelle Neigung veränderbar ist oder nicht, ist nur ein Teilstück des Kampfes um die Freiheit, und dieser Streit ist absurd! Denn die lässt sich nicht durch Diskussionen beantworten, auch nicht durch Parlaments-Debatten, nicht durch Meinungsumfragen, nicht durch Bischofskonferenzen. Es ist wie bei der Frage, ob es Elefanten gibt oder nicht: Diskussionen und philosophische Erörterungen sind zwecklos, die einzige Möglichkeit sie zu klären, ist es, jemanden nach Afrika zu schicken und nachschauen zu lassen! Besonders grotesk, aber auch besonders gefährlich wird es dann, wenn eine Seite jeden, der von der Existenz der Elefanten überzeugt ist, als unmoralisch beschimpft! Was nun die Frage der „Veränderbarkeit von homosexuellen Neigungen betrifft, ist genau dies der Punkt: Es ist eine empirische Frage, sie ist durch Erfahrung und Zeugen längst beantwortet! Alle, die sie bestreiten, tun dies wider besseres Wissen. Wenn sie es trotzdem tun, wenn sie dabei die Interessen der Betroffenen ihrer Ideologie opfern und vor allem, wenn sie nach Diskussionsverboten rufen und Methoden von Talibans anwenden, um Denken und Reden zu verhindern, ist höchste Gefahr in Verzug, weil solche Ideologen gefährlich sind. Ideologen, die ihre Positionen für die allein moralische erklären und als solche anerkannt wissen wollen, neigen dazu, irgendwann zur Gewalt überzugehen, sie sind die Wegbereiter von Diktaturen.

Darum besteht Handlungsbedarf! Alle Menschen guten Willens und begabt mit Hausverstand, denn mehr braucht es nicht, sind aufgerufen, für die Freiheit des Denkens in diesen und anderen Fragen einzutreten! Denn diese Freiheit gehört wesentlich zur Glaubens- und Gewissensfreiheit, und ohne diese sind alle anderen Menschenrechte früher oder später in Gefahr!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
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Bruder Konrad-Jahr 2009

2009 wird in Altötting als Jubiläumsjahr zu Ehren des hl. Bruder Konrad von Parzham begangen. Anlass ist seine Heiligsprechung vor 75 Jahren am 20. Mai 1934. Als Leitwort für das Wallfahrtsjahr wurde ein Wort ausgewählt, das Papst Johannes Paul II. im Blick auf die Alexiuszelle geprägt hat, wo Br. Konrad im stillen Gebet den Gegenpol zu seiner aufzehrenden Arbeit an der Pforte fand: „Durchbrechen wir im Alltag die Mauer des Sichtbaren, um überall den Herrn im Auge zu behalten!“ Wallfahrtsrektor Prälat Ludwig Limbrunner erklärt dazu in seinem Geleitwort: „Die aufgebrochene Wand in der Alexiuszelle ermöglichte Bruder Konrad stets den unverstellten Blick zum Tabernakel der Klosterkirche St. Anna. Dort spürte er den lebendigen Herzschlag Gottes. Dort schöpfte er Kraft.“ Ein Blick auf das Leben des Heiligen zum Jubiläumsjahr.

Von Notker Hiegl OSB

Wir erleben heute einen starken Glaubensschwund und ein vorrangiges Diesseits-Denken. Für den einfachen Klosterpförtner Bruder Konrad war der Glaube die einzige Richtschnur seines Handelns. Eine kindliche Liebe verband ihn mit der Gottesmutter Maria, die als leuchtender Stern den Weg durch die religiösen Verwirrungen und Unsicherheiten weist.

In eine schwere Zeit hineingeboren

Die Französische Revolution machte 1789 mit den Schlagworten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit die Runde. Doch die reale Dreiheit waren Gesetzlosigkeit, Willkür und Guillotine. Der Franzosengeneral Moreau zog 1796 mit seinen Truppen plündernd durch Schwaben und Bayern, um ins Herz von Österreich vorzudringen. Er wollte vom Kaiser die Anerkennung der französischen Republik erzwingen. In dieser unruhigen Zeit, am 24. Juli 1800, führte Bartholomäus Birndorfer, 26 Jahre alt, Bauer auf dem Venushof in Parzham, seine 21-jährige Braut Gertrud Niedermayer zum Traualtar. Nach drei Fehlgeburten machte sie im Jahre 1803 eine Wallfahrt nach „Maria Hilf“ in Passau. Als sie nach sechs Stunden Fußmarsch dort ankam, wurde sie Zeugin der Versteigerung von goldenen Kelchen und Monstranzen der Wallfahrtskirche. Trotzdem stieg sie die unzähligen Stufen betend zum Heiligtum hinauf und trug ihr Anliegen der Himmelsmutter vor. Ihr Gebet wurde erhört. Am 21. Februar 1804 schenkte sie einem kleinen Josef das Leben. Es folgten weitere Geschwister, bis am 22. Dezember 1818 das neunte Kind namens „Johann Evangelist“ auf die Welt kam. Gerufen wurde der Junge gewöhnlich „Hansl“, der spätere Bruder Konrad.

Hansls erster Wallfahrtsbesuch in Altötting

Frau Birndorfer hörte, dass im Altöttinger Kloster St. Anna an die 100 Kapuziner zusammengepfercht wohnen. Sie kamen aus verschiedenen aufgehobenen Klöstern und lebten in großer Armut. Der Familienrat beschloss, den Mönchen eine Fuhre Mehl und Fleisch zukommen zu lassen. Der kleine fünfjährige Hansl durfte den Vater, der sich mit Pferd und Wagen auf den Weg machte, begleiten. Bei dieser Gelegenheit betete der kleine Hans zum ersten Mal vor dem Gnadenbild der schwarzen Madonna in Altötting. Sein Vater schenkte ihm dazu einen Rosenkranz, den er zeitlebens in Ehren hielt: sein erstes Andenken an Altötting. Hansl durfte schon mit sieben Jahren zur Ersten Heiligen Kommunion gehen, mit achteinhalb Jahren empfing er das Sakrament der Heiligen Firmung. In der Firmgnade lebte er Werktag wie Sonntag. Meist besuchte er sonntags alle drei Gottesdienste vor Ort. Dieses ungewöhnliche Verhalten tadelten einige als Überspanntheit, andere erbauten sich an seinem Vorbild. Er ist aus lauter Beten, Opfern und Almosengeben zusammengesetzt, so charakterisierte ihn eine seiner Basen.

Der Erbe vom Venushof

Die Mutter war vor wenigen Jahren jung verstorben. Mit dem 60-jährigen Vater war der nun 15-jährige Hans morgens um drei Uhr mit der Sense auf der Wiese, als dieser das Bewusstsein verlor. Der Pfarrer wurde gerufen, der Kranke erhielt die „Letzte Ölung“ (heute: Krankensalbung), noch am selben Tag, am 7. Juli 1834, verschied er. Hans war jetzt nach damaligem Erbrecht als jüngster männlicher Spross Erbbauer geworden. Er beherrschte seinen Beruf und trotzdem munkelten die Leute über ihn. Denn er besuchte auch werktags die Hl. Messe. Mit ausgebreiteten Armen betete er kniend vor dem Tabernakel, bis die Mesnerin kam, um die Frühglocke zu läuten. Nach der Messe dann der Gang in den Stall. Und auch hier betete er mit dem Rosenkranz in der Hand. Der Pfarrer drängte ihn zum Priesterstudium. Hans, der außer dem „Ministrantenlatein“ nichts zusätzlich gelernt hatte, wurde mit einem Empfehlungsschreiben des Dorfpfarrers ins Benediktinerkloster Metten geschickt. Er, der 18-jährige Bauer unter den 10-jährigen Studentlein. Die Rückkehr auf den Hof geschah nicht ohne Spott. Zum Glück fand er nun in Pfrarrer Franz Dullinger einen guten Beichtvater.

Klostereintritt als Bruder

Im Jahr 1849 gab Hans seinen Geschwistern den Entschluss bekannt, ins Kloster der Kapuziner in Altötting einzutreten. Am 7. Dezember 1849, dem Tag vor dem Hochfest der Unbefleckten Empfängnis, erschien er vor dem Notar, um zugunsten seiner Geschwister auf den Venushof zu verzichten. Er trug bereits das Gewand der Kapuziner-Terziaren, wie es damals auch den Drittordens-Mitgliedern in der Welt gestattet war. Als 31-Jähriger durchschritt er schließlich die Klosterpforte in Altötting, die durch ihn noch berühmt werden sollte. Bei der Einkleidung erhielt er nach einem heiligen Franziskaner-Tertiar aus dem 14. Jahrhundert den Namen Konrad. Wie bei allen Novizen wurden in der Probezeit Notizen über sein Verhalten angefertigt: Johannes Birndorfer, nun Br. Konrad, tut ohne leisesten Widerspruch, was man ihm anschafft. Gestern ließ ihn Br. Crispin den Zellengang im 1. Stock auf den Knien bürsten. Der frühere Bauer vom Venushof verrichtete diese Arbeit, bei der sonst drei Brüder zusammenhelfen, allein. Er hat sich die Haut an den Händen blutig gerieben. Als ich an ihm vorbeikam, wollte er dies vor mir verbergen. Doch ich stellte ihn zur Rede. Er meinte: Man soll nicht so wehleidig tun, an der Arbeit ist noch keiner gestorben. Seine Andacht ist ergreifend. Beim Gebet können wir uns alle an ihm ein Beispiel nehmen. Weiter schreibt der Guardian: Heute ist ein Bäuerlein mit einem Erdäpfel-Wagen gekommen. Bevor Br. Konrad Sack für Sack auf seine Schultern lud, hat er jedes Mal ein herzliches Vergelt‘s Gott gesagt, als hätte er persönlich die Gabe erhalten. Der Spender wusste natürlich nicht, dass der arme Bruder noch vor einem Jahr ganze Äcker eigener Erdäpfel abgeerntet hat.

Einsatz in Burghausen

Br. Konrad wurde zunächst Hilfspförtner. Die Namen der gewünschten Patres waren ihm in der Anfangszeit noch fremd. Wenn er wegen des langen Suchens in den Gängen zurechtgewiesen wurde, kniete er sich demütig nieder und bat um Verzeihung. Ständig hatte er den Rosenkranz betend in der Hand. Nach gut eineinhalb Jahren wurde er nach Burghausen versetzt. Dort sollte er einen alten Pater pflegen. Der Abschied von der Gnadenmutter in Altötting, wo er immer gerne ministrierte, fiel ihm schwer. Er war nun schon der dritte Pfleger bei dem nicht einfachen Kranken. Br. Konrad besaß hier kein eigenes Zimmer, sondern war zur Pflege und Wache im Zimmer des Patienten. Br. Konrad gewann das Herz des durch viele Unbilden geprägten Sterbenden. Nach dessen Heimgang wurde er in das eigentliche Noviziat nach Laufen gesandt. Am 17. September 1851, dem Fest der Stigmatisation des hl. Franziskus, begann das Prüfungsjahr vor der Profess. Er schrieb in sein Notizbuch: „Ich will mich immer bestreben, eine innige Andacht zu Maria, der seligsten Jungfrau, zu haben, und mich recht bestreben, ihren Tugenden stets nachzufolgen.“ 1852 legte er seine Profess ab und war nun Kapuziner.

Das verantwortungsvolle Pförtneramt

Bruder Konrad bekam den verantwortungsvollen Posten des Pförtners zugeteilt. Neider wollten dem jungen Neuprofessen diese Schlüssel-Aufgabe nicht gönnen. Doch der Provinzial stand zu seiner Entscheidung. Nun hatte er vielen Menschen Auskunft zu erteilen, Mess-Stipendien ins Intentionsbuch zu notieren oder Gäste, u. a. Bischöfe und Kardinäle, in den Gastflügel zu führen. Für die Segnung von Andachtsgegenständen musste er einen Pater suchen. Vor allem aber empfing er die vielen Armen, die zerlumpten Bettler, die Landstreicher, die Bedürftigen, die um eine Suppe oder um eine milde Gabe baten. Er nahm sie auf wie Christus selbst, Zu allen war er die Güte selbst. Etwa zwanzig „Dauer-Arme“ kamen täglich zum Essen an die Pforte. Seit dem Bau der Eisenbahn strömten immer mehr Wallfahrer nach Altötting. „Brot austeilen“, besonders an die vielen Kinder, wurde ihm zur Herzensfreude. Für die Bauern der nahen und weiten Umgebung wurde er zum „Anhörer“ all ihrer Sorgen. Auch die Kranken fragten ihn um Rat. Da startete die Ärzteschaft eine Kampagne gegen ihn; denn dieser Bruder besäße ja keine akademische Ausbildung in Medizin. Doch seine Gutherzigkeit verbreitete sich immer weiter. Er war – auch ohne Priesterweihe – ein priesterlicher Mensch für Leib und Seele. Er könnte darin heute vielen Laien zum Vorbild dienen.

Das Kreuz ist mein Buch

„Das Kreuz ist mein Buch“, so sagte Br. Konrad. Ein Blick auf das Kreuz lehrt mich Geduld und Demut. Mit Jesus getragen wird jedes Kreuz „leicht und süß“. Deshalb nahm er in der Spiritualität jener Zeit viele Bußen auf sich, kleinere Tages- und bewusst ein größeres Wochenopfer. „Betet ohne Unterlass“ war ihm sein ganzes Leben eine Selbstverständlichkeit.

Als sich bei Br. Konrad Asthma einstellte, befahl ihm der Provinzial ein Pileolus (Kopfbedeckung) zu tragen. Dem Hausoberen aber missfiel dies sehr und er verbot ihm das Tragen dieses Tonsur-Käppchens.

Br. Konrad hatte auch den Weckdienst inne, d.h. er musste täglich um 4.30 Uhr die Mitbrüder in ihren Zellen wecken, und zwar mit dem Ruf „Benedicamus Domino“. Der Angerufene antwortete mit „Deo gratias“. Bereits um 5 Uhr ministrierte er mit größter Freude oben in der Gnadenkapelle zu Füßen der Muttergottes. Hier holte er die Kraft für sein entsagungsreiches Tagwerk. Ab 6 Uhr begann der Pfortendienst, der sich bis 20 Uhr hinzog, dazwischen mittags von 12.30 bis 14 Uhr Ruhepause.

Jetzt geht es dem Himmel entgegen

Am 21. April 1895 ministrierte Br. Konrad wie seit Jahrzehnten um 5 Uhr in der Gnadenkapelle. Danach ging er – im Alter von 75 Jahren – zu seinem Dienst an der Pforte. Gegen 9 Uhr überfiel ihn eine Schwäche. Er sagte zu P. Guardian: „Ich mein, jetzt geht’s nimmer.“ Schweißgebadet legte er sich in der „Muttergotteszelle“ auf einen Strohsack. Der Guardian riet ihm, sich nun auf den Heimgang vorzubereiten. Als der Hilfspförtner den schwer Atmenden etwas fragen wollte, antwortete er milde: „Ich will jetzt nichts mehr reden, ich muss mich doch auf die Ewigkeit vorbereiten.“ Er verstand dies im Geist des vollkommenen Gehorsams dem Wort des Guardians gegenüber. Der Hilfspförtner fragte: „So weit ist es doch noch nicht?“ Br. Konrad antwortete: „Der Guardian will es so haben!“ Schweigend, fiebergeschüttelt betete er weiter.

Br. Konrads Sterben und seine baldige Verehrung

Am selben Abend um 19.00 Uhr versammelt sich der Konvent zur Komplet. Br. Konrad hört ein zweimaliges Läuten, erhebt sich und eilt zur Pforte. Im Gang bricht er zusammen und wird wieder auf den Strohsack gebettet. Die Glocken läuten den „Angelus“. Als sie verstummen, gibt Br. Konrad seine Seele dem Schöpfer zurück. Es war Samstag, der Muttergottestag, ein Leben im Dienst für „Jesus und Maria“ war zu Ende.

Schon 10 Jahre später beschloss die Ordensleitung, den Seligsprechungsprozess zu eröffnen. Am 15. Juni 1930 wurde der demütige Bruder selig und am Pfingstfest 1934 in Rom heilig gesprochen. Rund 5.000 deutsche Katholiken waren angereist. Parallel zur Heiligsprechung in Rom wurde in der Basilika St. Anna zu Altötting ein großer Festgottesdienst mit rund 10.000 Menschen gefeiert. Unter den Wallfahrern war auch der junge Joseph Ratzinger. Er pilgerte mit Vater und Bruder aus dem nahen Marktl zu Fuß hierher. Dem damals Siebenjährigen blieben die Feierlichkeiten in der Wallfahrtsstadt in eindrucksvoller Erinnerung. Viele Jahre später sagte er über Bruder Konrad: „Ich denke schon, dass gerade diese ,kleinen‘ Heiligen ein großes Zeichen an unserer Zeit sind, das mich umso mehr berührt, je mehr ich mit und in ihr lebe.“ Im Rahmen seiner Pastoralreise als Papst betete er im September 2006 auch vor dem Reliquienschrein des hl. Bruders Konrad. Vor ihm hatte auch schon Papst Johannes Paul II. am 18. November 1980 in Altötting den Sarg des hl. Bruders in der Br. Konrad-Kirche unter der Altar-Mensa besucht.

Nach der Heiligsprechung im Jahr 1934 sagte der damalige Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli und nachmalige Papst Pius XII., der das wahre Gesicht des Nationalsozialismus von Anfang an klar erkannte, in seiner Abschiedsansprache an die deutschen Rompilger: „Glücklich das Bayerland, glücklich das Deutschland, dem in schwerer, von düsteren Wolken überschatteter Zeit ein neuer Fürbitter an Gottes Thron ersteht und ein neues Vorbild! Ein neuer Fürbitter in dem großen Geisteskampf gegen die Mächte der Finsternis. … Ein neues Vorbild christlichen Lebens in einer Zeit, wo laute und aufdringliche Diesseitspropheten versuchen, den Völkern die trügerische Fata Morgana einer Zukunft zu zeigen, die ihr Glück und ihre Größe nicht in Christus, sondern fern von ihm und gegen ihn suchen und finden soll…“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
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Zehn Jahre Museum „Ars sacrale“

Vor 10 Jahren eröffnete der Künstler Bernd Cassau das Museum „Ars sacrale“. Als Zeichen für die geistliche Dimension sakraler Kunst kommen die Einnahmen des Museums regelmäßig einer Schule für Blinde zugute. Erst kürzlich konnte der Inhaber die Eintrittsgelder vom Jahr 2008 der Leiterin der Pauline-Schule, Schwester Ancilla König, überreichen. Zum Jubiläum werfen wir einen Blick auf die Anliegen und spirituelle Ausrichtung des Künstlers.

Von Erich Maria Fink

Ein Kleinod sakraler Kunst

Am 28. Mai 2009 feiert das Museum „Ars sacrale“ in Paderborn sein 10-jähriges Jubiläum.[1] Gegründet wurde es von dem Künstler Bernd Cassau, der sich mit diesem Projekt einen Jugendtraum erfüllte. Sechs Jahre lang arbeitete er an der Konzeption und Gestaltung des Ausstellungsraumes, der schließlich vom Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt eingeweiht wurde. Bei den Exponaten handelt es sich vornehmlich um liturgische Geräte, die er zum Teil schon in jungen Jahren gesammelt hatte. Neben altehrwürdigen Stücken aus fünf Jahrhunderten, welche bis in die Zeit der Spätgotik zurückreichen, sind natürlich auch eigene Arbeiten des Künstlers und seiner Familie zu sehen.

Von Goethe stammt das Wort: „Die Kunst überhaupt, aber besonders die der Alten, lässt sich ohne Enthusiasmus weder fassen noch begreifen. Wer nicht mit Erstaunen und Bewunderung anfangen will, der findet nicht den Zugang in das innere Heiligtum.“ Genau darum geht es Bernd Cassau. Er möchte den Besuchern das Wesen kirchlicher Kunst vermitteln, welches in der Würde der christlichen Glaubensgeheimnisse besteht und nur im Geist der Ehrfurcht wahrgenommen werden kann. Ein Besuch im Museum soll nicht nur Kunstvolles und Schönes zeigen, sondern zugleich zu einer Stunde der Besinnung werden. Als Ziel schwebt Cassau vor Augen: „Möge dieses Museum in vielfältiger Weise inspirieren und anregen und eine Möglichkeit bieten, in Diskussionen und Gesprächen die Seele der Kunst zu ergründen.“

Dem Göttlichen zugewandt

Der Paderborner Gold- und Silberschmied Bernd Cassau stammt aus einem traditionsreichen Haus. Die Werkstätte Cassau wurde bereits 1892 von Hermann Cassau (1842-1901) gegründet. Sein Sohn Bernhard (1883-1959) und dessen Sohn Heribert (1914-1986) führten die Werkstätte weiter. Seit 1986 arbeitet sie unter der Leitung von Bernd Cassau. Geboren am 5. Mai 1952 entstammt er also in vierter Generation der Paderborner Goldschmiede-Familie. Nach dem Besuch der Schule erhielt er von 1966 bis 1969 eine Lehre zum Silberschmied. 1970 begann er mit einem Kunststudium an der Fachhochschule für Design in Düsseldorf und beendete es 1974 als graduierter Designer. Nach dem Besuch der Meisterschule für Goldschmiede in Pforzheim 1980/81 legte er seine Meisterprüfung vor der Handwerkskammer in Karlsruhe ab. 1986 übernahm er nach dem Tod seines Vaters die Geschäftsführung des Hauses Cassau. Seit 1997 ist er Kurator der Goldschmiedegilde des hl. Eligius.

„Ich habe die Kunst in den Mittelpunkt meines Lebens gestellt. Persönlich kann ich nur etwas gestalten, wenn ich mich darin wiederfinde. Das Ganze muss stimmen, um glaubwürdig zu sein“, so Bernd Cassau über seinen Beruf. Seit vielen Jahren gehört er als Beisitzer dem Meisterprüfungsausschuss Köln an. Als Ausbilder in seinem Betrieb geht er mit gutem Beispiel voran und führt Kunststudenten in die sakrale Kunst ein. Für Cassau ist sie ein Lebensraum, der „dem Göttlichen zugewandt“ ist. Die Frucht seiner Arbeit, so wünscht sich Cassau, „soll die Blicke auf sich ziehen, zum Verweilen anhalten, zum Nachdenken anregen – und vielleicht auch verschüttete Quellen des Glaubens wieder öffnen.“

Einsatz für Blinde

Der Erlös des Museums ist der Westfälischen Schule für Blinde gewidmet. Durch seine jahrelangen Spenden ist das Haus Cassau zu einer wichtigen Institution für die blinden Kinder geworden. Es ist ein bewegender Ausdruck der Dankbarkeit, dass ein Künstler, dessen Handwerk ganz und gar von der Wahrnehmung und vom Sehen lebt, seinen karitativen Beitrag ausgerechnet für sehgeschädigte Menschen einsetzt.

Die „Pauline-Schule, LWL-Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Sehen“ geht zurück auf eine Einrichtung, die 1842 von Pauline von Mallinckrodt als private Blindenanstalt gründet worden ist und heute vom „Landschaftsverband Westfalen-Lippe – LWL“ getragen wird. Die Schule beschäftigt sich mit der Frühförderung und der schulischen Förderung sehgeschädigter sowie mehrfachbehinderter Kinder. Ein Teil von ihnen wird im eigenen Internat betreut, die anderen werden im gemeinsamen Unterricht begleitet. Zurzeit (Stand: Februar 2009) besuchen die Pauline-Schule 176 Schüler und Schülerinnen in 22 Klassen und einer Gruppe des Förderschulkindergartens. Davon sind 147 schwerstbehindert.

Dem Bildungskonzept der Schule liegt das christliche Menschenbild zugrunde, nach dem jeder Mensch Respekt und Achtung verdient. Denn jeder Mensch ist Person und als solche einzigartig und unverwechselbar. Behinderung ist eine vollwertige Form von Menschsein. Wie alle Menschen haben Behinderte das Bedürfnis, jemandem anzugehören, geliebt zu werden und sich Ausdruck zu geben. Ihre wichtigste Aufgabe sieht die Schule darin, ihre Schüler bei der Entwicklung ihres Selbst zu unterstützen, zu fördern und zu begleiten. Derzeitige Schulleiterin ist Schwester Maria Ancilla König. Sie wurde am 19.11.1946 geboren und ist seit 1970 Schwester der Kongregation der Schwestern der Christlichen Liebe. 1972 begann sie ihre Arbeit als Sonderschullehrerin an der Pauline-Schule, 1982 wurde sie Sonderschulrektorin.

„Die zerborstene Welt“

Mit seiner sakralen Kunst will Bernd Cassau in einer zerrissenen und widersprüchlichen Welt Hoffnung spenden und Frieden stiften. Diesem Auftrag und Selbstverständnis hat er 1995 symbolischen Ausdruck verliehen. Er schuf eine Skulptur mit dem Namen „Die zerborstene Welt“. Sie stellt eine zweiteilige Bronzekugel dar, die durch ihre Positionierung zwischen den Vitrinen Zuversicht vermittelt. Vier Vitrinen sind durch eine schwarze segmentbogenförmige Verdachung verbunden und überspannt. In ihrer aufgerissenen Mitte hängt die Bronzekugel und wird durch die beidseitigen Segmentbogenteile an ihrem Auseinanderbersten gehindert.

An dieses Werk wird erinnert, wer sich einerseits das Kunsthandwerk mit seinen Zielen vor Augen hält, anderseits die ausgesprochen ähnlichen Leitideen der Blindenschule betrachtet: • Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit • Förderung der Eigenaktivität und Selbständigkeit • Erweiterung von Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit • Stärkung des Ich.

Kirchliche Kunst verbindet, weil es ihr um das Geheimnis Gottes wie des Menschen geht.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Siehe auch im Internet unter www.cassau.de/index.php/arssacralemain

Exerzitien mit Maria Livia in Wigratzbad

Die inzwischen weltbekannte Seherin Maria Livia Galliano de Obeid aus Argentinien wird vom 22. bis 25. Juli 2009 die Gebetsstätte Wigratzbad besuchen und Exerzitienvorträge halten. Ihr Wirken zieht Tausende von Menschen an und führt sie auf den Weg der Neuevangelisierung. Ein endgültiges Urteil der Kirche über die Ereignisse, die vor gut zehn Jahren im Verborgenen begonnen haben, liegt noch nicht vor. Doch begleitet sie die Entwicklung des Gnadenorts und der ständig wachsenden Gebetsgemeinschaft wohlwollend und mit pastoraler Fürsorge.

Von Silvie Giardin

Das Werkzeug Gottes

In Salta, einem Ort im Nordwesten von Argentinien, versammeln sich Samstag für Samstag Zehntausende zu Gebetstreffen mit Maria Livia Galliano de Obeid. Sie ist eine einfache Frau, geboren am 25. Dezember 1948, verheiratet mit Carlos Obeid und Mutter dreier Kinder sowie Großmutter dreier Enkel. Zwischen dem 30. Oktober 1997 und dem 1. April 2003 soll sie Botschaften von der Gottesmutter und auch von Jesus Christus empfangen haben. Diese wurden mit Erlaubnis des damaligen Erzbischofs, Monsignore Moisés Julio Blanchoud, veröffentlicht. Sie beinhalten in besonderer Weise die Einladung, das Eucharistische Herz Jesu, der lebt und im Sakrament des Altares gegenwärtig ist, besser kennen und lieben zu lernen.

Ablauf der Gebetstage

Die Gebetstage beginnen vormittags um 10 Uhr und dauern bis etwa 19 oder 20 Uhr. Nach einer meditativen Einstimmung mit geistlicher Musik und Stille beginnt um 12 Uhr das gemeinsame Rosenkranzgebet. Zwischen den Gesätzchen werden frühere Botschaften der Gottesmutter an Maria Livia vorgetragen. Danach bietet die Seherin den Gläubigen – beginnend mit den anwesenden Kranken – ihren Dienst des Gebetes und des Segens an, der sich über viele Stunden hinzieht. Sie legt ihnen die Hände auf die Schultern oder berührt sie sanft auf der Brust. Dem ausdrücklichen Wunsch des Bischofs gemäß verzichtet sie darauf, den Menschen ein Kreuz auf die Stirn zu zeichnen. Während dieser Segensgebete stellt sich bei vielen Gläubigen das bekannte „Ruhen im Geiste“ ein. Dies ist ein Zustand vollkommener Entspannung, des Friedens oder der Linderung, der einige Minuten andauert.

Der Gnadenort

Die Gnadenkapelle, die auf Wunsch der Gottesmutter errichtet worden ist, befindet sich auf einem Hügel, den die Pilger über einen 30-minütigen Fußweg erreichen. Kranke werden mit Fahrzeugen zum Gnadenort gebracht. Neben 6.500 Sitzplätzen befinden sich um die Kapelle vor allem unzählige Beichtstühle. Der Empfang des Bußsakraments spielt bei den Gebetstreffen eine ganz entscheidende Rolle. Das Gelände befindet sich inzwischen im Besitz des Karmels von Salta, der sich zusammen mit der Familie der Seherin und ihren ehrenamtlichen Helfern, den sog. „servidores“, um die Organisation der Gebetsstätte kümmert. Die Gruppe, die regelmäßig bei der Vorbereitung und Betreuung der Pilger mithilft, ist inzwischen auf 250 angewachsen. Sie wurde von der Seherin und ihrem Ehemann gegründet und setzt sich aus allen Altersstufen zusammen.

Auftrag der Bewegung

Über den Auftrag der Bewegung sagt Maria Livia selbst: „Die tägliche Messe, das Lesen der Bibel und das tägliche Rosenkranzgebet, die Beichte mindestens einmal pro Monat, das Fasten bei Wasser und Brot drei Mal pro Woche, montags, mittwochs und freitags. Die Bildung von Gebetsgruppen und die Ausbreitung dieser Gruppen auf der ganzen Welt. Aber das Wichtigste ist die Umkehr der Herzen, um zum inneren Frieden zu gelangen.“

Maria Livia ist überzeugt: „Ausgehend von Argentinien wird sich eine große Evangelisation auf der ganzen Erde verbreiten. Das wird durch die Pilger geschehen, die hierher kommen und die Botschaften hören.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

850 Jahre Marienwallfahrt Haindorf in Böhmen

Prof. Barbara Probst-Polášek unterrichtet Klassische Gitarre an der Hochschule für Musik und Theater in München. Sie stellt den Marienwallfahrtsort Haindorf (Hejnice), aus dem ihre Familie väterlicherseits stammt, in der heutigen Tschechischen Republik vor, der dieses Jahr sein 850-jähriges Jubiläum feiert. Den Festgottesdienst am großen Wallfahrtstag, dem 2. Juli 2009, wird Bischof Joachim Reinelt aus Dresden-Meißen feiern. Seit alter Tradition trägt der Wallfahrtsort den Titel „Maria Heimsuchung“ und feiert an diesem Fest sein Patrozinium.

Von Barbara Probst-Polášek

Ursprung der Marienwallfahrt

Im Jahr 2009 feiert der Marienwallfahrtsort Haindorf in Böhmen (tschechisch Hejnice) sein 850-jähriges Jubiläum. Über den Ursprung der Wallfahrt im Jahr 1159 wird berichtet, dass ein Siebmacher aus Mildeneichen voll Kummer im Wald unter einem Lindenbaum eingeschlafen sei. Seine Frau und sein Kind waren schon längere Zeit krank. Im Schlaf hatte er die Eingebung: Er solle nach Zittau gehen, ein Bild unserer lieben Frau kaufen und in den Lindenbaum setzen, Frau und Kind hierher führen und eine Andacht halten, dann würden beide gesund werden. Er kaufte also trotz seiner Armut ein Bild, setzte es in eine Höhlung der Linde und ließ Frau und Kind herbeikommen. Sie beteten und wurden beide gesund. Die Nachricht über dieses Ereignis verbreitete sich überall und viele Kranke pilgerten zur Mutter Gottes im Lindenbaum. Soweit die Überlieferung der Legende.

Im Jahr 1211 soll eine hölzerne Kapelle errichtet worden sein. Dieses Jahr fällt in die dritte Kirchengründungsperiode des Bistums Meißen, zu dem Haindorf damals gehörte. Eine Urkunde aus dem Jahr 1186 besagt, dass sich ein gewisser Counradus Kitlitz der meißnerischen Kirchenbesitzungen bemächtigt habe, zu denen auch der Berg Syden (Seidenberg) zählte. Mit der Stuhlbesteigung Brunos II. (1208) war die kirchliche Versorgung der deutschen Ansiedler in diesem Gebiet gesichert. Nach dem Bau der hölzernen Kapelle (1211) gab es immer wieder neue Baumaßnahmen. So entstand 1311 eine steinerne Kapelle, die 1352 vergrößert wurde. Eine dritte Erweiterung erfolgte 1472. Dabei wurde die Kapelle im gotischen Stil ausgebaut. Um das Kirchengebäude herum wurde ein Friedhof mit Vorhalle angelegt. Dieser Vorhof konnte die vielen Pilger oft nicht fassen, so dass sie Wind und Wetter ausgesetzt waren.

Wechselvolle Geschichte

Der Ort Haindorf gehört zum „Friedländer“ Gebiet. Die deutsche Bezeichnung wurde auch von den Tschechen übernommen. Sie nennen das Gebiet bzw. die Stadt und das Schloss  „Frýdlant“. Erste urkundlich gesicherte Besitzer der Gegend waren die Herren von Biberstein (1278-1551). Das Geschlecht erlosch mit dem Tod Christophs von Biberstein. Am 8. Februar 1552 wurde den Bewohnern kundgetan, dass ihr Gebiet in den Besitz des Kaisers (Haus Habsburg) übergegangen sei. Die Verwaltung übernahm Hans von Oppeln zu Linderode. Am 1. April 1558 verkaufte Kaiser Ferdinand die Herrschaft an den kaiserlichen Rat und Kammerpräsidenten in Ober- und Niederschlesien, Friedrich von Redern aus Ruppersdorf, für 40.000 Reichstaler. Diese Familie leitete die Geschicke der Gegend bis zum Dreißigjährigen Krieg. Nach der Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620) erschien Christoph von Redern nicht zur Huldigung, verlor Besitz und Ehre und wurde zum Tod verurteilt. Er entzog sich durch Flucht. Kaiser Ferdinand II. verkaufte daraufhin die Herrschaften Friedland und Reichenberg als böhmisches Erblehen an Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein (Schillers „Wallenstein“). Nach dessen Ermordung am 25. Februar 1634 in Eger (heute Cheb) schenkte Kaiser Ferdinand II. das Gebiet Matthias Graf von Gallas.

Errichtung eines Klosters

Es folgte eine schwere Zeit. Am 10. Juli 1634 fielen die Schweden in Friedland ein. Vierzehn Jahre lang überzogen sie das Land mit Krieg. Für kurze Zeit kam Christoph von Redern zurück, musste aber erneut fliehen. Die Familie von Gallas konnte Schloss Friedland erst nach dem Westfälischen Frieden (1649) übernehmen. Dafür bezahlte Matthias von Gallas 32.000 Taler an den schwedischen General Wirtenberg von Debern – zum Schutz seines Schlosses Friedland und seiner verwüsteten Besitzungen.

Das Geschlecht von Gallas, bzw. Clam-Gallas (durch Erbfolge), ließ „bei dem durch Wunder berühmten Marienkirchlein“ ein Kloster errichten. Am 24. April 1691 wurde das Kirchlein zur Klosterkirche erklärt und die Franziskanerpatres Victorinus Winter und Faustinus Wirfel kamen nach Haindorf. Gleichzeitig wurde eine Klosterstiftung für die „PP Franziskaner der böhmischen Provinz des Hl. Wenzel auf unserer erblichen und allodialischen Herrschaft Friedland im Königreich Böhmen“ errichtet, welche der Prager Erzbischof Johann Friedrich am 29. November 1691 bestätigte. Von Franz Ferdinand Graf Gallas wurde der Baumeister Marcus Antonius Canivale zum Bau verpflichtet und am 27. April 1692 der Grundstein für das Kloster gelegt. Das Gebäude wurde 1696 fertig gestellt, doch durch den Tod des Stifters verzögerte sich die Einführung der Franziskaner, welche schließlich am 3. März 1698 stattfand.

Bau der Basilika Maria Heimsuchung

Trotz Krieg und Unruhen kamen in all den Jahren die Pilger zum großen Teil von weit her. Im Jahr 1693 wurde erstmals auf dem Friedhof eine Predigt in tschechischer Sprache gehalten.

1722 wurde bis auf die Gnadenkapelle und wahrscheinlich den erst 1699 erbauten östlichen Turm die alte Kirche abgerissen. Für den Neubau nach Plänen des österreichischen Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach wurde am 8. Mai 1722 mit dem Prager Baumeister Thomas Hafenecker der Bauvertrag geschlossen und am 8. September 1722 der Grundstein gelegt. Am 1. Juli 1725 fanden die Einweihung durch den Klostervorsteher P. Nikodemus Kurtz und der feierliche Einzug in die neue Marien-Basilika statt. Doch erst 1729 war der Bau vollendet. Am Fest Mariä Geburt wurde die Kirche mit dem Hochaltar für den Gottesdienst eröffnet. Das erste Hochamt zelebrierte Pfarrer Josef Hincke aus Neustadt an der Tafelfichte, der in einer großen Prozession nach Haindorf zog.

Aufblühen der Wallfahrt trotz politischer Verbote

Aus zwanzig bis dreißig Meilen Entfernung, aus Böhmen, Schlesien, Meißen, ja sogar aus Polen kamen Kranke und Hilfesuchende nach Haindorf. Die lausitzischen Städte Zittau, Görlitz, Bautzen und Löbau errichteten einen eigenen Altar. Ihre Wappenschilder und Votivtafeln waren noch 1732 vorhanden. Die Anzahl der heiligen Beichten stieg im Jahr 1720 auf 79.688. Große Prozessionen zogen durch die dichten Wälder. Sogar die Großfürstin von Russland, Anna Feodorowna, reiste 1807 unter dem Namen einer „Gräfin von Rosenau“ an.

Andererseits gab es auch immer wieder politische Verbote. So untersagte der König von Preußen 1754 die Wallfahrt und 1785 erlaubte Österreich nur noch die Fronleichnamsfeier, alle anderen Pilgerfahrten waren verboten. Gleiches geschah während der Zeit des Nationalsozialismus sowie des Kommunismus im Anschluss an die Vertreibung der deutschen Bevölkerung 1945/46.

Nach der Wende im Ostblock jedoch begann eine Neubelebung der Wallfahrt. Das ehemalige Kloster in Haindorf (tschechisch Hejnice), das nun zur Diözese Leitmeritz (tschechisch Litoměřice) gehört und deren Bischof Jan Baxant am 2. Juli leider verhindert ist, wurde zu einer modernen Stätte der geistlichen Erneuerung ausgebaut. Dieses internationale Begegnungszentrum wird von Pfarrer Dr. theol. Ing. Miloš Raban geleitet und empfängt Pilger aus den verschiedensten Ländern.

Hauptwallfahrtstag der „wunderbaren Madonna von Haindorf“ ist der 2. Juli, Fest Maria Heimsuchung. Das aus Holz gefertigte Gnadenbild ist mit seinem angeschnitzten Stock ca. 38 cm hoch. Es ist eine Nachbildung (spätes 14. Jh.) der ursprünglichen Gnadenstatue. Es wird „Maria formosa“ genannt, was sagen will, dass das Antlitz der Jungfrau und ebenso das des Kindleins „schön und holdselig“ sind. Im Pilgerlied heißt es:

Wir ziehen zur Mutter der Gnaden

mit Kummer und Bitten beladen:

„Lass alle zur Ruhe gelangen,

die müd sich auf Erden gegangen.

O führe, Maria, uns Blinde,

dass jeder zum Himmel hin finde!“

Literaturhinweis: Josef Bennesch: Ortsgeschichte von Haindorf, Friedland in Böhmen 1924.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 5/Mai 2009
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