Angst vor dem Islam?

Weihbischof Dr. Andreas Laun geht auf die aktuelle Diskussion um die Angst vor dem Islam ein. Mit Nachdruck hinterfragt er die „moralische Ermahnung“, den Islam nicht zu fürchten. Doch letztlich kommt er zu einem überraschenden Ergebnis.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Der Islam ist da!

„Kein Minarett, also kein Islam“? Wunschdenken vieler, aber ein Traum, der schnell ausgeträumt ist. Trocken bemerkt demgegenüber Heinz Buschkowski, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, der wie kein anderer weiß, wovon er spricht: „Der Islam ist da und er wird auch bleiben“ und kein Minarett-Verbot kann daran etwas ändern! Die „schleichende Islamisierung Europas“ (U. Ulfkotte) geht weiter und wird weitergehen.

Angstverbote?

Ebenso wahr ist: Kein „Angstverbot“ und keine moralische Ermahnung, sich vor dem Islam nicht zu fürchten, wie vor kurzem auch aus dem Mund eines Kardinals zu hören war, wird Menschen hindern, sich vor dem Islam zu fürchten. Oder nur vor den Islamisten? Fürchten oder nicht fürchten, und wenn fürchten, vor wem oder was? Angst ist die unabwendbare Reaktion im Angesicht der Gefahr. In der Gefahr ohne Angst zu sein, ist irrational und gefährlich dazu!

Hauptursache der Islamisierung Europas: der Kindermangel

Was undenkbar schien, ist Wirklichkeit geworden: Immer offener spricht man heute von der Islamisierung Europas! Wie kam es zu dieser Völkerwanderung der Muslime nach Europa, die immer noch weitergeht und ihre Fortsetzung findet durch die muslimischen Kinder, die bereits in Europa geboren werden? Im Unterschied zu den Jahren 1529 und 1683, als türkische Heere Wien belagerten, kamen und kommen die Muslime im 20. und 21. Jahrhundert nicht als Janitscharen, um zu erobern, sondern friedlich! Sie suchten Arbeit, die Europäer riefen sie, weil sie Arbeitskräfte brauchen an Stelle derer, die ihnen zu fehlen beginnen! Denn sie selbst sind seit Jahrzehnten immer weniger bereit, Kinder zu bekommen. In der Forschung suchte man seit langem die besten Mittel, um Kinder – als Bedrohung verstanden – zu verhüten, in der Gesetzgebung machte man den Weg zur Abtreibung frei und ehrt die Tötungseinrichtungen (wie kürzlich erst in Wien!), in der Lenkung der öffentlichen Meinung tut man alles, um die Frauen zu überzeugen, ihre eigentliche Erfüllung bestünde im Berufsleben, nicht in der Mutterschaft! So kam es, wie es kommen musste, die lebensfeindlichen Maßnahmen griffen! Europa vermehrte seinen Reichtum, indem es seine Kinder wie Produktionskosten wegrationalisierte. Das bringt Geld, weil dabei die Frauen als billige Arbeitskräfte der Industrie zugeführt werden können! Wie schön für sie, im Supermarkt die Regale zu füllen, statt stinkende und schreiende Kinder betreuen zu müssen! Dass Kinder spätere Kunden und dann auch Mitarbeiter sind, schien niemand mehr zu wissen, von den leuchtenden Augen eines Kindes gar nicht zu reden! Die Ideologie, die Kinder vor allem als Gefahr sieht, die es zu verhüten gilt, und die sie – wenn unerwünscht – zum Töten freigibt, wurde zur einzig zugelassenen, politisch korrekten Sicht der Dinge. Wehe den „Fundamentalisten“, die das anders sehen! Man bastelt schon an Gesetzen, die sie zum Schweigen bringen.

Aber da die Industrie noch mehr Arbeitskräfte braucht, „importierte“ man die benötigten Menschen! Warum vor allem Muslime? Den Machern dieser Politik war und ist die Religion ihrer Arbeitskräfte gleichgültig, solange sie die Arbeitsleistung nicht stört. Und manchen ist es wohl ganz recht, wenn muslimische Einwanderer die christliche Religion, vor allem die ungeliebte oder sogar gehasste Kirche, schwächen! Ähnlich wie die gleichen Leute aus denselben Gründen den EU-Beitritt Kroatiens so lange hinauszögern, wie es nur geht – nicht schon wieder ein katholisches Land!

Leben mit den Muslimen

Wie auch immer die Motive sein mögen, jetzt sind die Muslime da, jetzt wachsen sie, jetzt streben sie nach der politischen Macht und werden sie über kurz oder lang auch bekommen.

Das kann man ihnen keineswegs übel nehmen: Immer mehr Muslime haben einen europäischen Pass und folgen der politischen Grundüberzeugung Europas, die da lautet: Die Mehrheit soll bestimmen, sogar dann, wenn die Mehrheit irrt und das Recht missachtet!

Also müssen die Europäer mit den Muslimen leben und mit ihrem politischen Einfluss mehr und mehr rechnen. Zudem können sie nicht mehr anders, als darauf zu achten, Muslime nicht zu verärgern, weil man ja weiß, wie empfindlich und gewalttätig die muslimische Welt sogar auf internationaler Ebene zu reagieren pflegt: Eine eigentlich harmlose Bleistift-Zeichnung genügt und sie antwortet mit Gewalt, mit Feuer und Blutvergießen! Auch wenn die Medien sich bezüglich der Muslime eine Selbstzensur auferlegen, soviel weiß jeder Mensch in Europa: Mit den Muslimen ist nicht zu spaßen, Vorsicht und Hinnehmen gehören zur Klugheit ihnen gegenüber! Sollte jemand versuchen, „die Wahrheit zu sagen“, gilt er als „Hetzer“ und wird zum Schweigen gebracht.

Angst vor den Muslimen – ja oder nein?

Angst macht – das muss nicht erst die Psychologie lehren – nicht selten bereits das, was nur fremd ist, aber dies erst recht, wenn das Fremde in Verbindung mit Gewalt ins Bewusstsein rückt!

Also ist Angst vor dem Islam berechtigt? Soll man Angst haben, muss man Angst haben, weil es doch triftige Gründe, beängstigende Nachrichten gibt? Oder gilt: Angst ja, aber bitte nicht zeigen, weil das reizt nur die andere Seite?

Eingebürgert hat sich die Unterscheidung zwischen „echten“ Muslimen und den „radikalen“ Muslimen, den „Islamisten“, die –so der Gedanke – den wahren, guten Islam verfälschen und missbrauchen und nur darum Verbrechen begehen. Das heißt: Fürchten kann und soll man sich vor den Islamisten, von denen man weiß, dass sie Terroristen sind, und nicht fürchten vor den wahren Muslimen, die gut sind!

Aber die Frage ist ungenau gestellt, sie muss lauten: Hat man sich zu fürchten vor „den Muslimen“, vor „dem Islam“, vor allen Muslimen oder nur vor bestimmten, vor dem „wahren Islam“ oder nur einem entstellten, dem „radikalen“, missbrauchten Islam?

Theologisches

Was die Muslime als Menschen betrifft, gilt dasselbe wie für alle Menschen: Es gibt solche, die gefährlich sind, und andere, die es nicht sind oder sogar andere schützen und ihnen helfen. Das gilt natürlich auch für Muslime und für die Anhänger aller Religionen. Überraschend ist das nicht; denn Gott hat jedem Menschen, gleich welcher Rasse und Religion, Sein Gesetz ins Herz geschrieben, das Gewissen kann es dort lesen! Und weiter: In jedem Menschen gibt es als Folge der Erbsünde Neigungen zum Bösen, denen er auf Grund seines freien Willens nachgeben oder denen er sich verwehren kann. Da Gott das Heil aller Menschen will, hilft Er mit seiner Gnade allen Menschen, wenn sie sich bemühen, ihrem Gewissen treu zu sein!

Weil das so ist und für alle Menschen gilt: Sollte man dann nicht vor den Angehörigen aller Religionen und sonstigen Weltanschauungen gleich viel Angst bzw. gleich wenig Angst haben? Man könnte sagen: Wegen der Sünde gilt: „Homo homini lupus“ – „der Mensch ist für den anderen Menschen ein Wolf“, aber auch: Überall auf Erden gibt es Menschen guten Willens, gibt es Räuber, unter die man fallen kann, aber auch hilfreiche Samariter. Zeigt das nicht auch die Erfahrung?

V. Frankl hat in einer berühmten Rede gesagt: Er kenne nur zwei Rassen, die Rasse der Anständigen und die Rasse der Unanständigen! Gilt das nicht auch für die Religionen: Es gibt anständige und unanständige Christen, Juden, Muslime, Hindus, und das ist bei allen Religionen so, keine Religion kann behaupten, in ihr gäbe es nur anständige Anhänger, von keiner kann man sagen, in ihr seien alle Anhänger schlechte Menschen? Und: Gute Menschen wird man auch in Religionsgemeinschaften finden, die ihre Mitglieder zu Schlechtem anleiten, weil es immer solche gibt, die die Vorschriften ihrer Religion nicht kennen oder nicht ganz ernst nehmen – und mehr der Stimme ihres Gewissens folgen.

Unterschiede der Religionen

Gibt es denn auch schlechte Religionen? Spiegeln sich in einer solchen Behauptung nicht Intoleranz, Vorurteil und die Arroganz, die die eigene Religion für die einzig und allein wahre hält? Keineswegs, denn die oft gehörte Meinung, alle Religionen seien „eigentlich“ gleich und gut, ist naiv und verrät nicht zu überbietende Ahnungslosigkeit! Wie auch sonst gilt: Unterscheiden ist die einzige Methode, die es gibt, um nicht zu verwechseln! Was die Religionen betrifft, gibt es mehrere Möglichkeiten, sorgfältig zu unterscheiden:

Eine gute Religion kann gut sein und gefahrlos, wenn sie ihren Mitgliedern nur gute, gerechte, menschenfreundliche, aber keine schlechten Weisungen gibt.

Eine gute Religion kann in ihren heiligen Schriften und Traditionen ihr eigentlich wesensfremde Elemente mitschleppen, die, nimmt man sie wörtlich, zu Bösem verleiten. In diesem Fall hängt alles davon ab, wie diese Elemente von der religiösen Autorität entweder ganz ausgeschieden oder durch Interpretation entschärft werden. Von einer solchen Religion geht nur dann keine Gefahr aus, wenn die gefährlichen Texte sozusagen „abgekapselt“, in „Quarantäne“ gesetzt wurden. Ein Beispiel aus der jüdisch-christlichen Tradition ist die Steinigung: Weder im Judentum noch in der Kirche gibt es heute die Forderung, die entsprechenden Bibel-Stellen als wirkliche „Befehle Gottes“ zu verstehen und auszuführen! Auch solche Religionen sind gut: Wenn sie ihre Mitglieder anleiten, nicht blind am „wörtlichen Sinn“ zu kleben und ihre eigene Lektüre der heiligen Texte absolut zu setzen, immunisieren sie sie gegen Missverständnisse, die verhängnisvoll sein könnten.

Es kann aber auch in der Religion selbst „Strukturen der Sünde“ geben, die ihr nicht nur äußerlich anhaften, als fremde Elemente hineingeraten sind! Dabei bleibt natürlich immer auch die Frage: Was ist ein „wesensfremdes Element“, was gehört zur „Ursubstanz“ der Religion? Aber was die mögliche Gefahr betrifft, die von dieser Religion ausgeht, kommt es auf das Gleiche hinaus: Gibt es solche gefährlichen Elemente in ihr und gibt es Kräfte, die sie praktisch „stilllegen“, oder solche, die sie im Gegensatz dazu betonen? Entweder bedarf es Reformer, die die Religion verändern, oder Reformer, die die ursprüngliche Reinheit wiederherstellen!

Wirklich gefährlich sind jene Religionen, in deren Mitte es unmenschliche Vorschriften gibt, die in der Gemeinschaft als wesentlich gelten! Objektiv geht von einer solchen Religion eine Gefahr aus und zwar bei jenem Teil ihrer Anhänger, die ihre Religion besonders ernst nehmen! Darum ist ihr gegenüber auch Angst vernünftig.

Religiöse Texte oder Vorschriften, die zu Handlungen anleiten, die objektiv böse sind, sind wie „Schläfer“ in einer Terror-Organisation: harmlos, solange sie niemand liest und ernst nimmt, gefährlich wie Bomben, wenn ein besonderer Anhänger der Religion sie entdeckt und wörtlich nimmt! Die Vertreter der betroffenen Religion müssen sich fragen lassen, wie sie diese Elemente deuten, wie sie damit umgehen, was sie ihren Anhängern darüber sagen, wie über diese Dinge im Religionsunterricht gesprochen wird!

Grund zur Angst vor Religion?

Es gibt nur einen Grund, vor Religion Angst zu haben: wenn sie in ihren heiligen Schriften, ihrer Tradition, ihren Lehren und Gesetzen ihre Anhänger anleitet, Menschen – in ihren eigenen Reihen oder Anders-Gläubigen und Anders-Denkenden – Unrecht zuzufügen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob diese gefährlichen Elemente zur Religion, zu ihrem ursprünglichen Wesen gehören oder in die Religion eingeschleust wurden, vielleicht so, dass die „Gläubigen“ mittlerweile selbst vergessen haben, dass es sich um einen Fremdkörper handelt. Gefährlich sind solche Elemente, wenn einzelne oder die ganze Gemeinschaft sich auf sie besinnt, sie ernst nimmt – und dann auch Ernst damit macht!

Die Führungskräfte der jeweiligen Religion können, wenn sie sich dieser „Schläfer-Texte“ in ihren Reihen bewusst werden, nur auf zwei Weisen so reagieren, dass die Gefahr gebannt ist:

Entweder sie belassen den Text, aber stellen ihn sozusagen „kalt“, machen ihn unschädlich durch Interpretation. Das könnte nach dem Vorbild der Juden und Christen geschehen, bei denen schon längst niemand mehr fordert, Menschen zu steinigen. In diesem Sinn fordert die kanadische Muslima Irshad Manji einen „Aufbruch“ des Islam, und schreibt ein leidenschaftliches „Plädoyer für einen aufgeklärten Islam“!

Oder es gelingt, die gefährlichen Elemente einfach auszuscheiden, indem sie öffentlich als Irrtümer, als nicht von Gott gewollt erklärt werden, obwohl sie sogar in den heiligsten Schriften stehen. Das wäre die wirkungsvollste Methode, aber ist auch die schwierigste.

Oder sie entlarven diese Elemente als Fremdkörper ihrer Religion, wie es vernünftige Moslems bezüglich der Mädchenbeschneidung machen, die zwar nicht im Koran steht, aber in manchen muslimischen Gesellschaften noch immer wie eine Verpflichtung ihrer Religion gehandhabt wird.

Das und das allein ist das Kriterium, ob eine bestimmte Religion Anlass gibt, sich vor ihr zu fürchten! Dass einzelne ihrer Anhänger sich die gefährlichen Elemente nicht ausreden lassen oder auch ohne wirklichen Religions-Bezug Verbrechen im Namen der Religion begehen, kann passieren und wird passieren: Ein entscheidendes Argument gegen diese Religion ist das nicht. Es kann und wird immer wieder passieren, aber dann eben trotz der wahren Religion, nicht wirklich wegen ihr!

Muss man vor dem Islam Angst haben?

Die Frage ist leicht zu beantworten: Solange die Texte im Koran, die zur Gewalt auffordern, nicht „entschärft“ oder „entfernt“ sind, haben Nicht-Muslime allen Grund, dem Islam mit einer gewissen Furcht zu begegnen. Zu behaupten, es gäbe solche „Schläferstellen“, die gerade den „treuen Moslem“ zur Gewalt motivieren können, nicht, ist Realitätsverweigerung. Man kann sie z.B. bei dem Ägypter M. Gabriel, einem ehemaligen Professor des Islam, nachlesen und – wenn man immer noch nicht glaubt – im Koran selbst überprüfen! Das heißt aber auch: Gerade der treue Muslim kann zur Gefahr werden: nicht obwohl er Muslim ist, sondern weil er es ist und weil er seine Religion ernst nimmt!

Ebenso müsste mit den Muslimen gesprochen werden über ihre Einstellung zur Frau, zur „Familienehre“, zum Verhältnis von Staat und Religion, zu ihrer Einstellung zu den Juden – und eine Reihe anderer Themen. Nur dann, wenn in glaubwürdiger Weise die muslimischen Gesellschaften von den entsprechenden Texten oder Gesetzen der Scharia abrücken, nur dann kann es für alle anderen Menschen „Entwarnung“ geben. Dass dies ein langer Weg sein wird, versteht sich von selbst, und auch, dass man Zeit für Reformen braucht, ist klar. Nur sicherstellen müsste man, dass diese Fragen angegangen werden.

Umgang mit gefährlichen Religionen

Die Frage bleibt freilich, wie man mit den Anhängern einer objektiv gefährlichen Religion umgeht! Sicher ist das Prinzip, das für alle Auseinandersetzungen gilt: Mit noch so „scharfen Argumenten“ erreicht man nichts, solange man nicht das Herz des jeweils anderen erreicht hat. Und das Herz erreicht man immer nur durch die Liebe!

Die Liebe öffnet die Tür zum Gespräch, zum viel beschworenen Dialog. Aber dieser darf sich keineswegs auf freundlichen Umgang miteinander beschränken, dem Dialog der Liebe muss der Dialog der Wahrheit folgen, und in diesem müssen vorrangig die objektiv bedrohlichen Elemente zur Sprache gebracht werden, ohne Selbstzensur!

Die Christen haben in diesem Dialog vor allem auf der Religionsfreiheit zu bestehen, zu der die Freiheit des Religions-Wechsels ebenso gehören muss wie das freie Wort in einer multireligiösen, aber freien Gesellschaft. Zu dieser so wichtigen Freiheit müsste auch gehören, dass der jeweils Andere nicht bei jeder Gelegenheit beleidigt ist und dann auch noch mit Gewalt reagiert!

In einem Klima der Freiheit und der gegenseitigen, auf der Würde jedes Menschen beruhenden Anerkennung sollten die Christen nicht nur die gefährlichen Punkte ansprechen, sondern vor allem vom Evangelium sprechen, insbesondere von dem Gott, wie ihn das Alte und Neue Testament sichtbar machen! Denn dann könnte es geschehen, dass sichtbar wird, dass sich die andere Religion nur durch die dem „Abfall“ angedrohte Gewalt wirklich aufrecht erhalten kann. Die „Anderen“, wer sie auch sind, könnten zur Erkenntnis kommen: Wie schön wäre es, wenn Gott wirklich so wäre, wie die Juden und noch klarer die Christen glauben: Nicht ein unerreichbar ferner Gott, nicht ein in seinem Verhalten unberechenbarer Gott, wie wir es bisher glaubten, sondern ein Gott Vater, ein Gott, der mit uns Menschen in eine Beziehung der Liebe getreten ist und in dieser Beziehung mit uns in Ewigkeit bleiben will!

Das menschliche Antlitz Gottes

Das Kirche-heute-Herbstforum zum Thema „Das menschliche Antlitz Gottes“, das vom 23. bis 25. Oktober 2009 in der Gebetsstätte Wigratzbad stattgefunden hat, war nicht nur eine informative und erfolgreiche Veranstaltung, sondern für die etwa 80 Teilnehmer ein einzigartiges Erlebnis und eine tiefe Glaubenserfahrung. Die Referenten legten ergreifende Zeugnisse ab, welche einen leidenschaftlichen Einsatz für das Evangelium spüren ließen und eine Atmosphäre der Einheit und Dankbarkeit schufen. Josef Irrek und Dr. Heinz-Georg Kuttner haben versucht, die Vorträge stichpunktartig zusammenzufassen und die wichtigsten Gedanken wiederzugeben.

Von Josef Irrek und Heinz-Georg Kuttner

Pfarrer Erich Maria Fink stellte zu Beginn der Veranstaltung die Referenten des Herbstforums vor: Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg, den Rom-Korrespondenten der Zeitung DIE WELT Paul Badde, den Nachrichtensprecher und Fernsehjournalisten des Bayrischen Rundfunks Alex Dorow und den norwegischen Theologen und Bibelwissenschaftler Erik Mørstad.

1. Vortrag – Prof. Dr. Andreas Laun OSFS, Weihbischof von Salzburg:
„Die Einzigartigkeit der Nähe Gottes im christlichen Glauben“

Am Freitag, den 23. Oktober 2009, eröffnete Weihbischof Laun das Herbstforum mit einem Vortrag über die Einzigartigkeit der Nähe Gottes zum Menschen im christlichen Glauben. Er verwies dabei auf die Dialoge zwischen Gott und seinen Auserwählten in den biblischen Erzählungen. Gott zeigt sich wie ein guter Vater, der in unserer Mitte wohnt. Weihbischof Laun hob hervor, dass Gott auch nach dem Sündenfall mit dem Menschen im Gespräch stand, seine Nähe suchte und eine menschliche Beziehung mit ihm einging. Schließlich geht er sogar soweit, dass er einen für die Juden nicht nachvollziehbaren Schritt tut: Er wird Mensch und wohnt unter uns. Eben darin zeigt sich die Einzigartigkeit der Nähe Gottes im Christentum. Dem Anliegen, diesen Schatz unseres Glaubens zu vermitteln, dient auch die von Weihbischof Laun herausgegebene 8-teilige Religionsbuchreihe „Glaube und Leben“.

2. Vortrag – Paul Badde:
„Warum also bist du gekommen, uns zu stören?“
(Zitat aus „Der Großinquisitor“ von F. M. Dostojewski)

Pfarrer Erich Maria Fink stellte den bekannten katholischen Journalisten Paul Badde als einen Pionier vor, der mit der Entdeckung des Tuches von Manoppello einen Meilenstein gesetzt hat. Badde habe eine Pilgerbewegung angestoßen und wohl auch Papst Benedikt XVI. dazu bewogen, sich am 1. September 2006 auf den Weg nach Manoppello zu machen. Dabei gehe es dem Papst in erster Linie nicht darum, dieses Tuch als Reliquie zu sehen und zu verehren, sondern zu einer theologischen Deutung des göttlichen Antlitzes vorzustoßen.

Badde verwies darauf, dass in all den Reden des Papstes das menschliche Antlitz Gottes als ein Fixpunkt seines Pontifikats aufscheine. Dieses Thema komme immer wieder in Audienzen und anderen Texten vor.

Es ist das, was uns von allen anderen Religionen unterscheidet, so Badde. Das Judentum weiß nicht, was auf sie wartet, kennt kein Angesicht Gottes. Der Islam denkt gar nicht daran, sich eine menschliche Vorstellung von Gott zu machen. Demgegenüber aber wissen wir als Christen darum, was uns drüben erwartet: ER mit seiner Mutter und allen Heiligen. Es ist einfach nicht wahr, dass wir es nicht wissen, wir haben es leider vergessen. Und es ist auch ein bisschen vergessen worden, weil dieses Urbild der Christenheit, das wir in Manoppello haben, seit 400 Jahren vom Radar der Christenheit verschwunden ist. Und nun ist es wieder da. Es ist in den Schoß der Christenheit zurückgekehrt. Aber es wird nicht angenommen. Diese Erfahrung musste Badde mit der Veröffentlichung seines Buches über das Volto Santo – das Göttliche Gesicht – machen. Trotz guter Rezension im SPIEGEL, der BILD-Zeitung und in der ZEIT wurde das Buch, das zuerst unter dem Titel „Das Muschelseidentuch“ und dann unter dem Titel „Das Göttliche Gesicht“ erschien, aus dem Verlagsprogramm herausgenommen, obwohl der Verlag durch eine hohe Auflage viel Geld damit hätte verdienen können. Dies erinnere Badde an die Begegnung von Jesus mit dem Großinquisitor, das er als Motto für seinen ersten Vortrag gewählt hat: „Warum also bist du gekommen, uns zu stören?“ Obwohl also das Bild vom wahren Antlitz Christi wieder da ist, stört es. Man will es nicht haben.

Für Badde ist dieses Urbild vom Antlitz Christi eine ungeheure Entdeckung. Er würde sein Leben darauf setzen, dass dieses Bild das Bild ist, von dem Johannes als dem wichtigsten Text in der ganzen Bibel spricht: von den zwei Tüchern im Grab. Badde könnte beschwören, dass das eine Tuch das Grabtuch und das andere das Schweißtuch mit dem Göttlichen Gesicht Jesu ist. Nach seiner beglückenden Entdeckung betrachtet er dieses Bild als ein ungeheures Geschenk, das allerdings noch nicht von der Christenheit angenommen ist. Die Frage ist nicht, ob wir dieses Urbild brauchen oder nicht, sondern ob wir dieses ungeheure Geschenk annehmen wollen oder nicht. Um für die Aufnahme des Bildes vom wahren Antlitz Christi empfänglich zu sein, muss man darauf vorbereitet sein wie z.B. die Polen mit der Mutter Gottes von Tschenstochau und dem Bild vom Barmherzigen Jesus von Schwester Faustyna. Da sie darauf vorbereitet sind, kommen sie jetzt in Scharen als Pilger nach Manoppello zur Verehrung des Göttlichen Gesichts.

3. Vortrag – Paul Badde: „Warum zwei Tücher?“

In seinem zweiten Vortrag „Warum zwei Tücher?“ ging Badde auf den Widerstand von Turin gegenüber dem Volto Santo in Manoppello ein. Die Turiner Grabtuchforscher nehmen für sich das Privileg in Anspruch, durch eine über 100 Jahre lange Forschung dem Nachweis der Echtheit des Grabtuches näher zu sein als die erst junge Forschung zum Muschelseidentuch von Manoppello. Badde bemerkte dazu, dass diese Debatte um die Echtheit oder Unechtheit der beiden Tücher noch Jahrhunderte weitergehen kann, ohne zu einem endgültigen Resultat zu führen. Er verwies auf Ratzingers Bemerkung, dass das Turiner Grabtuch ein Geheimnis bleiben wird, das nie restlos aufgeklärt werden kann.

Den Streit in der Exegese, welcher Evangelist zuerst Aufzeichnungen vom Leben Jesu gemacht habe, hält Badde für fruchtlos. Denn nach ihm seien in erster Linie die ersten Seiten des Evangeliums aus der Osternacht in Bilderschrift bedeutsam. Petrus und Johannes waren im Besitz des Beweises für den Auferstandenen, aber sie konnten diesen Beweis nicht öffentlich machen. Denn für die Juden gibt es nichts Unreineres als Grabtücher, auf die Gott jetzt schreibt. Die beiden Tücher im Grab mussten deshalb versteckt werden.

Im Anschluss an diese Einführung las seine Frau das erste Kapitel seines neuen Buches über die „beiden Tücher“ (Turin und Manoppello) vor, das demnächst erscheinen wird (ISBN 978-3-629-02261-5, Euro 22,–).

4. Vortrag – Paul Badde: „Wollen wir wirklich das Antlitz Gottes erkennen – haben wir nichts anderes zu tun?“

In seinem letzten Vortrag verwies Badde auf ein Wort des Papstes – gesprochen wenige Tag nach seinem Besuch des Volto Santo in Manoppello 2006 –, ob wir wirklich das Antlitz Gottes erkennen wollen. Und das wiederholte er seitdem immer wieder. Zuletzt am Neujahrstag 2010. In seiner Neujahrspredigt sagte er, die ganze biblische Erzählung lasse sich lesen als ein fortschreitendes Enthüllen des Göttlichen Gesichts, bis es seinen vollen Ausdruck in Christus findet. Und diesem Christus in Manoppello zu begegnen, so Badde, sei doch für viele wunderbar und beglückend. Aus mancherlei Gründen können aber nicht alle, die es möchten, dieses Heiligtum aufsuchen. Für sie bleibt aber die Möglichkeit, dem eucharistischen Gesicht Gottes – dem größeren Geschenk – in der Anbetung und im Gesicht des Nächsten zu begegnen und ihn im Rosenkranz, diesem tiefen jesuanischen Gebet – geortet und verwurzelt im Heiligen Land – mit den Augen der Mutter Jesu zu betrachten. Seine beiden Bücher „Maria von Guadalupe“ und „Das Göttliche Gesicht“ sieht Badde als Früchte des Rosenkranzgebetes.

5. Vortrag – Alex Dorow: „Meine Erfahrung mit Gott –
ein Glaubenszeugnis“

Alex Dorow, Fernsehjournalist und Nachrichtensprecher beim Bayerischen Rundfunk, sprach über seinen Glaubensweg als Protestant zur katholischen Kirche. In lebendiger Weise schilderte er seinen verschlungenen Weg zum Glauben, der vor allem von der Gestalt Johannes Paul II. bestimmt gewesen sei. Dessen Lebensende bewirkte nach ihm für die Welt eine ungeheure Veränderung.

Dorow betrachtet die römische Weltkirche als die einzige Einrichtung, die nicht zusammengebrochen ist, und plädiert für mehr Selbstbewusstsein der Christen. Denn das Christentum hat etwas zu bieten. Toleranz beruht auf gegenseitiger Achtung, die aber nur möglich ist, wenn man selbst von etwas überzeugt ist. Als Journalist ist für ihn das Ethos von entscheidender Bedeutung. Nur ein kritischer, an einem Ethos orientierter Journalismus kann Wesentliches vom Unwesentlichen unterscheiden.

Das Spartenfernsehen KTV und EWTN hält er für gut, aber nach seiner Meinung sollte man das öffentlich-rechtliche Fernsehen und den Rundfunk nicht aufgeben. Man sollte dort mit christlich orientierten Sendungen präsent bleiben. Er verwies u.a. auf die neue, das Kirchenjahr begleitende Sendereihe des Bayerischen Fernsehens.

6. Vortrag – Erik Mørstad: „Das Antlitz Gottes im Licht seiner Herrlichkeit“

Erik Mørstad begann seinen Vortrag mit einem Zitat aus Ex 33,20.23, in dem es heißt, dass kein Mensch das göttliche Angesicht schauen kann. Paulus wiederholt diese Wahrheit in 1 Tim  6,15-16: Gott wohnt in unzugänglichem Licht und kein Mensch hat ihn gesehen. Diese Wahrheit ist für den Gott der Bibel für alle Zeiten gültig: Gott ist unsichtbar... Der Mensch kann sein Antlitz nicht sehen, es sei denn, Gott will es ihm selbst zeigen. Und genau das hat er getan in seinem Sohn Jesus. Dieser Jesus, dessen Herrlichkeit Johannes und die anderen von Jesus erwählten Jünger zusammen mit anderen Freunden an seinem Antlitz und an seinen Werken und Worten gesehen haben, war der Sohn, der ihnen das Antlitz Gottes offenbart hat. Bei der Benennung „der Herr der Herrlichkeit“ greift Paulus auf Psalm 24 in der Schrift zurück: „Wer ist der König der Herrlichkeit? Der Herr der himmlischen Heere, er ist der König der Herrlichkeit.“ Die Zwölf und später Paulus  haben „den Gekreuzigten und Auferstandenen mit JHWH, dem König der Herrlichkeit identifiziert“,  d.h. als sterblichen Menschen und als Sohn Gottes. Petrus und die Zwölf bezeugen, dass Jesus  nicht im Grab liegen geblieben ist, sondern im eigenen Leichnam den Tod besiegt und damit das Antlitz des lebendigen, wahren Gottes offenbart hat. Der Gott der Christen ist also, wie Mørstad immer wieder betont, der Gott der Herrlichkeit, der lebt und nicht stirbt.

Neben seinen Ausführungen zum Antlitz Gottes im Licht seiner Herrlichkeit ging der norwegische Theologe und Bibelwissenschaftler auch auf seine Konversion ein, über die er einen ergreifenden Lebensbericht verfasst hat, der unter dem Titel „Mein Weg zur katholischen Kirche“ 2000 erschienen ist.

Abschluss

Bei einer Umfrage am Ende der Tagung ergab sich, dass von den ca. 80 Teilnehmern 24 bereits in Manopello waren. In den Pausen hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, sich Informationsmaterialien über das Göttliche Gesicht in zum Teil gerahmten Bildern, in Flyern und Prospekten anzusehen. Sie sind vom Freundeskreis des wahren Antlitzes Jesu Christi herausgegeben und von Pfarrer Läufer aus Triberg erstellt worden. Dort befindet sich auch die Geschäftsstelle des PENUEL Vereins – Adresse: Kath. Pfarramt Triberg, Schulstr. 6, D-78098 Triberg, Tel.: 07722-4566, Homepage: www.antlitz-christi.de.


Lebenswerk der Geschwister Fey

In der letzten Ausgabe stellte Schwester Ingrid Mohr PIJ den Aachener Geistlichen Andreas Fey als „Priester nach dem Herzen Gottes“ vor. Wohl zurecht wird er mit drei bekannten Heiligen verglichen: mit dem hl. Philipp Neri aufgrund seiner unbegrenzten Freigebigkeit und äußersten Bedürfnislosigkeit, seiner künstlerischen Veranlagung und seinem unverwüstlichen Humor; mit dem hl. Vinzenz von Paul aufgrund seiner Hingabe an die Armen, Kranken, Kinder und Jugendlichen und schließlich mit dem hl. Pfarrer von Ars aufgrund seiner tiefen Frömmigkeit und seines unermüdlichen Eifers als Seelsorger, Beichtvater und Prediger. In einem zweiten Artikel geht Sr. Ingrid nun besonders auf die Beziehung zwischen Andreas Fey und seiner leiblichen Schwester Clara ein. An der Seite ihres Bruders gründete sie den Orden vom armen Kinde Jesus zur Betreuung von Kindern.

Von Ingrid Mohr PIJ

Clara Fey und ihre neue Ordensgemeinschaft

Die Betreuung der Jugend war zur Zeit der Industrialisierung vielerorts trostlos. Weder der Staat noch die Stadt Aachen schienen ein Auge für die jungen Menschen zu haben. Während viele Eltern aus den Arbeiterklassen mühsam dem Broterwerb nachgingen, waren die Kinder sich selbst überlassen und trieben sich bettelnd auf den Straßen herum. Andere mussten schon im Alter von nur sieben Jahren oder gar noch früher in den Fabriken arbeiten. Erschüttert von diesem Elend fingen Clara Fey und mehrere ihrer Freundinnen an, sich dieser Kleinen anzunehmen und ihnen Pflege, Erziehung und Unterricht zu geben. Andreas, Claras Bruder, und einige andere Priester standen ihnen mit Rat und Tat zur Seite. So gründeten sie 1837 eine kleine Schule für diese Kinder. Deren Zahl nahm ständig zu, aber auch die der Helferinnen, und so entstand aus dem kleinen Samenkorn im Jahr 1844 eine Ordensgemeinschaft, deren Gründerin Clara Fey wurde. In seiner Liebe für die Kinder und Jugendlichen sowie für die Schwestern wurde Andreas Fey von Gott einer Aufgabe zugeführt, die sein Leben erfüllen sollte. Bischof Laurent schrieb damals seinem Freund Andreas ermutigend: „Den intuitiven Blick und das himmlische Feuer, das hat Dir Gott in reichem Maß verliehen; Erfahrung, praktisches Geschick, technische Fertigkeit für die Sache kannst Du leicht erwerben. Darum einen Anfang gemacht! Es ist in den Mädchen so viel Fähigkeit, reiner Wille, Hingebung, Verständnis. Die Anfechtungen und Widersprüche werden sicherlich und hoffentlich nicht fehlen. Das wäre ein schlimmes Zeichen, wenn der Teufel bei der Sache geduldig bliebe, und Gott, der Herr, sie der Feuerprobe nicht würdigte; aber dadurch wird nur das Menschliche mehr und mehr beseitigt werden, das Göttliche aber sieg- und segensreicher hervortreten. Bis jetzt kann ich nichts tun, als Dich mit der Jungfrauenschar, Euern Kindern, Armen und Kranken dem Herrn und seiner Mutter anempfehlen, und das tue ich.“

Einsatz bei Kindern und Schwestern

Andreas Fey gab sich voll in die Aufgabe hinein, verstand es aber in seiner Bescheidenheit immer wieder, sein eigenes Verdienst bei dem ganzen Unternehmen zu verbergen. In seiner glühenden Liebe zu Gott und dem Nächsten fühlte er sich zunehmend in seinem Element. Er genoss es, seiner Schwester und ihren Gefährtinnen Kinder zuzuführen, und sammelte sie, wo immer er sie fand. An jeder Hand ein Kind, so sah man ihn häufig auf dem Weg zum „Schülchen“, wie man es nannte. Er war den Kleinen ein guter Vater und begnügte sich nicht mit der Erteilung von Religionsunterricht; viele Stunden verbrachte er bei ihnen mit Spiel und Unterhaltung. So manch verwahrlostes Kind benötigte aber nicht nur Unterweisung, sondern auch ein Dach über dem Kopf, mehr Liebe und Geborgenheit. Daher begann man, Kinder ins Haus aufzunehmen. Rückblickend auf die apostolische Aufgabe in den Zeiten des Anfangs schreibt Andreas in späteren Jahren: „An dem Unterricht der Kinder war es nicht genug; sie sollten auch erzogen, genährt, gekleidet, es sollte ihnen ein Obdach bereitet werden; sie sollten nicht nur christliche Lehrerinnen haben; nein, der Herr wollte ihnen auch Mütter schenken.“ Wie Clara ihr Leben dem Dienst am armen Kind widmete, so war diese Sorge auch wesentlich für ihren Bruder. Stets hatte dieser gütige Priester ein offenes Ohr für die Nöte und Freuden der Kinder. Seine Kraft schöpfte er aus dem täglichen vertrauten Umgang mit Gott. Trotz aller Arbeit in der Pfarre nahm er sich Zeit, um abends Schwestern und Kinder zu besuchen, die in äußerst bescheidenen Verhältnissen lebten. In einem Bericht heißt es: „Er ersetzte durch seine Unterhaltung, was am Mahle – einer Wassersuppe von Brotresten und einem Butterbrot – zu wünschen blieb.“ Sobald er auftauchte, liefen die Kinder jubelnd auf ihn zu, um ihm die Hand zu geben, ein Kreuzchen auf die Stirn zu erhalten oder liebkost zu werden. Er wollte die Kleinen fröhlich sehen und erfreute sie mit seinen Anekdoten und seinem Humor. Zu einer Schwester, die glaubte, die Heiterkeit ein wenig dämpfen zu müssen, meinte er einmal liebevoll: „Schwesterchen, wenn es auf mich ankäme, und ich könnte dir die heißen Bußtränen einer Maria Magdalena schenken oder das jauchzende Herz eines Kindes, ich gäbe dir sicher das letztere.“

Fey versuchte, auch mit den ehemaligen Kindern in Kontakt zu bleiben. Er half ihnen wie ein guter Vater mit Sorge und Verantwortung, sich im Leben zurechtzufinden. Sie wussten, dass sie sich mit jeder Frage, jedem Schmerz und jeder Freude an ihn wenden konnten. Er schenkte ihnen viel Liebe und Vertrauen, obwohl neben Lob und Ermutigung auch – wenn nötig – der Tadel nicht fehlte. Hier ein wenig aus einem Brief an eines dieser früheren Kinder: „Es ist so, wie Du sagst, Du hast noch ein gutes Plätzchen in meinem Herzen. Dein treues Herz für einen alten Mann ist mir ein tröstliches Zeichen, dass Du noch dahin kommen wirst, dem allein Guten Dein ganzes Herz zu schenken. Und wenn Du das einmal tust, dann wird der Herr noch vieles wirken in Deinem Herzen. Glaub mir, vollkommenen Frieden wirst Du nicht finden, bis Du aus dieser echten Friedensquelle getrunken hast. Du hast zu viel inneres Licht geschaut, als dass das Vergängliche Dich befriedigen könnte ...“

Geistlicher Direktor der Kongregation

Als Clara und ihre Gefährtinnen damit begannen, ihr Leben als klösterliches Leben zu gestalten, übernahm es Andreas, sie in das Stundengebet der Kirche einzuführen, ihnen religiöse Vorträge zu halten und als geistlicher Freund und Führer zur Seite zu stehen. Als die Schwestern 1848 in ein ehemaliges Kloster zogen, setzte er sich für die Wiederherstellung der seit 1802 profanierten Kirche ein. Noch im selben Jahr konnte sie wieder als Gotteshaus eingeweiht werden, und wenig später empfingen Clara und sechs weitere junge Frauen hier das Ordenskleid. Im Jahr 1849 übertrug der Kölner Erzbischof Andreas Fey die Aufgabe des geistlichen Direktors der jungen Gemeinschaft. Seine liebende Sorge erstreckte sich dabei sowohl auf die Schwestern als auch auf die Kinder.

Kreuz, Verleumdungen, Gottvertrauen

Natürlich fehlte im Leben Feys das Kreuz nicht. Gerade in diesen Zeiten zeigte sich seine wahre Seelengröße, sein tiefer Glaube und seine innige Verbundenheit mit Gott. – So litt er z.B. mit seiner Schwester Netta sehr unter dem Tod von sechs ihrer Kinder. Beim Rückblick auf jene leidvollen Jahre schrieb er: „Gott ist gewaltig, wenn er ein Herz ganz für sich gewinnen, ganz von allen Banden frei machen will.“ Auch im Zusammenhang mit der Gründung der Kongregation gab es Freud und Leid. In einem Brief schreibt er: „Lassen wir Gott walten, dem man nie umsonst vertraut; gehen wir den geraden Weg. Krieg oder Frieden, Glück oder Unglück, Hitze oder Kälte, Gesundheit oder Krankheit, Preussen oder Schwaben, Biberach oder Aachen: es ist alles gleich, wenn man den heiligen Willen Gottes liebt; – nur eins ist notwendig!“ – Was Bischof Laurent seinem Freund über Anfechtungen, mit denen zu rechnen sei, geschrieben hatte, das musste Andreas auch am eigenen Leib erfahren. Er wurde Opfer unbegründeter Verdächtigungen, Anklagen und Verleumdungen. Und wie reagierte er darauf? Täglich betete er für die Person, die ihm so sehr zusetzte. In der Biographie heißt es: „Nicht die leiseste Klage kam über seine Lippen. Er sah in dieser Prüfung die Hand Gottes und bewahrte mit bewundernswerter Selbstbeherrschung den Frieden und die Ruhe seiner Seele.“

Eine harte Prüfung bedeutete es für Kaplan Fey, zusehen zu müssen, wie der Kulturkampf (1871-1887) die Früchte seiner Arbeit zum großen Teil zerstörte. Viele Ordensleute, darunter auch die Schwestern vom armen Kinde Jesus, mussten Deutschland verlassen und in die Verbannung ziehen. Denen in Österreich schrieb er im Jahr 1872: „Ja, es sind schwere, bittere Zeiten! Unsere Schwestern bereiten sich nach Kräften zu einer frischen Tätigkeit vor, die der Herr ihnen in die Hand geben will. – Wir haben das von den Jesuiten verlassene Kloster gemietet. Es enthält Raum, die ausgewiesenen Schwestern aufzunehmen. Geschehe der hl. Wille Gottes! Und wenn er will, dass wir dazu kommen, Ziegel zu backen, und wenn er will, dass wir an allen Kirchtüren Almosen sammeln, auch dann sei er angebetet! ... Ich will mich stärken an Eurer Treue und Eurem Gottvertrauen und auch den Rest meiner geringen Kräfte ganz zur Verfügung stellen.“

Hilfe für andere Ordensgemeinschaften

Andreas Fey fühlte sich nicht nur den Schwestern vom armen Kinde Jesus verbunden, sondern auch anderen Ordensgemeinschaften. Vielen stand er als Berater und Beichtvater zur Seite. Zur Zeit der Säkularisation waren deren segensreiche Tätigkeiten in Seelsorge, Schule und caritativen Aufgaben unterbunden und die Mitglieder ausgewiesen worden. Er setzte sich tatkräftig ein sowohl für die Neugründung von Klöstern in der Stadt Aachen als auch für die Wiedereinführung, Neubelebung und Entfaltung mehrerer Männer- und Frauenorden. Wie sehr ihm die Orden am Herzen lagen, wird aus einer Äußerung Feys nach der Vertreibung der Jesuiten deutlich. Da sagte er: „Wenn ich diese Männer durch Hingabe meines Augenlichtes erhalten könnte, wie gerne würde ich es tun!“

Der Kunstverständige

Andreas Fey war ein Kunstverständiger für Werke bildender Kunst, für klassische Literatur und Musik. Eine bedeutende Persönlichkeit Aachens meinte: „Der Sinn und das feine Verständnis für die Kunst wie überhaupt für alles Schöne und Erhabene schien Fey angeboren.“ Ein Onkel hatte in dieser Hinsicht schon auf den kleinen Andreas großen Einfluss ausgeübt. So lag es nahe, dass er später neben seinem Studium der Theologie auch Altertumskunde belegte. Ein Jesuit hebt in seinem Nachruf auf ihn hervor: „Sein Urteil gab zu Aachen in vielen Fällen, ja in den meisten, den Ausschlag.“ Jede Verirrung in der Kunst, besonders der religiösen und kirchlichen, bedauerte Kaplan Fey nicht nur – er ging auch dagegen an. In einem Artikel, den er für eine Zeitschrift verfasste, ist deutlich zu erkennen, worauf es ihm, dem tief frommen Priester, beim Betreten einer Kirche ankam. Da heißt es: „Hier ist der Ort meiner Ruhe! Hochgelobt sei das allerheiligste Sakrament des Altares! An diesen Raum und seine Geheimnisse fesselt nicht der Ruf eines Redners, nicht die Macht des Gesanges, nicht der Zauber der Formen und Farben, sondern der treue Herr, der bei den Seinen wohnen will, sowohl im Dom zu Köln wie in der Bambushütte des Indianers.“ Die Entartungen zur damaligen Zeit – auch in Bezug auf liturgische Gewänder – ließ Fey nicht unberührt in seiner Hochschätzung für die hl. Eucharistie. So regte er 1848 seine Schwester Clara an, mit ihren Gefährtinnen eine Paramentenstickerei einzurichten. Mit seinem eigenen Einfluss und dem anderer Geistlicher entwickelte sich das Aachener Stickatelier zu einer technisch wie künstlerisch hochstehenden Werkstatt von überregionaler Bedeutung. Die steigende Nachfrage ermutigte die Schwestern, weitere Stickateliers sowohl in Deutschland als auch im Ausland einzurichten. Sie stellten liturgische Gewänder, Fahnen, Baldachine für Fronleichnamsprozessionen und Taufgarnituren her und restaurierten alte Paramente. In einem eigenen Malatelier fertigten die Schwestern, unter denen es wahre Künstlerinnen gab, Entwürfe an. Die größte Auszeichnung für die Wiener Werkstatt war wohl die Beteiligung an der Weltausstellung im Jahr 1873.

Im Dezember 1869 fuhr Andreas Fey für einige Wochen nach Rom. Die Reise fiel zusammen mit dem Beginn des I. Vatikanischen Konzils (1869-1870). Wie sehr das schlichte Volk in Aachen seinen Kaplan schätzte, wird an Folgendem deutlich: Als sein Vorhaben bekannt wurde, wussten diese Menschen sofort einen Grund für seine Reise zu finden und sagten: „Was für ein Glück, dass der Herr Fey nach Rom geht, denn die Herren auf dem Konzil könnten sich ohne ihn gar nicht helfen. Er weiß auch am besten, wie es in Aachen aussieht.“ Von dieser Romreise sind uns viele seiner Briefe erhalten geblieben. Es sind wahre Meisterstücke in Stil und Plauderkunst und zeigen uns ihn in seiner tiefen Religiosität, feinen Beobachtungsgabe und vielseitigem Wissen. Immer wieder stoßen wir in den Zeilen auch auf seinen urwüchsigen Humor. Aus Florenz schreibt er nach dem Besuch einer Kirche: „Maria novella ist allerliebst, aber ein Orgelspiel in der Messe, dass ich wirklich glaubte, in Aachen einen mit seiner Drehorgel auf der Straße zu hören.“ Überwältigt von allem Schönen fügt er gegen Ende des Briefes hinzu: „Geistig ist mir so, wie einem Menschen körperlich ist, der von hundert Braten gegessen hat; ich muss ruhen wie eine Boaschlange und verdauen.“

Gottes Aufmerksamkeiten

Dass Gott sich an Großmut nicht übertreffen lässt, das durfte Andreas Fey immer wieder erfahren. Von Bischof Laurent wissen wir um folgende Begebenheit: Auf einem Spaziergang traf Fey im Herbst 1880 eine alte Frau, die Reisig sammelte. „Das ist mühsame Arbeit, die wenig einbringt“, redete er die Frau an. „Ja, Herr, aber was tut man nicht, wenn man arm ist“, antwortete sie. Da suchte er in seiner Tasche und gab ihr alles, was er hatte: es waren 50 Pfennig. Voll des Dankes rief die Frau aus: „Gott lohn es euch tausendmal!“ - Nach Hause zurückgekehrt, fand Fey auf seinem Schreibtisch eine Spende von 500 Mark, also exakt das Tausendfache, das die arme Frau ihm gewünscht hatte. Es war genau die Summe, die er benötigte, um einem anderen Armen aus großer Verlegenheit zu helfen.

Kaplan Fey besaß ein unerschütterliches Gottvertrauen, und bei dem, was er für seine Armen tat, wusste er Gott an seiner Seite. Hier das Erlebnis eines jungen Arbeiters, der es glaubwürdigen Zeugen nach Feys Tod erzählte: Als der 17-Jährige eines Abends von der Fabrik heimkehrte, begegnete er einem Mann in blauem Kittel, der mühselig ein Bett auf dem Rücken schleppte. „Ihr habt schwer zu tragen; soll ich euch helfen?“ fragte der Junge den Unbekannten. „Ja, du tätest mir einen großen Gefallen“, keuchte dieser. Der Bursche nahm das Bett auf seine Schultern und folgte dem Mann bis zu einem Häuschen in einer der Gassen Aachens. Der Mann, der sehr erschöpft schien, bat ihn, das Bett doch noch die schmale Treppe hinaufzutragen. Der Junge äußerte bedenklich, dass er die Haustür verschlossen fände, wenn er nicht bald zu Hause sei. „Du wirst die Tür noch offen finden“, meinte der andere, und der Junge ließ sich bereden. In dem dunklen Treppenhaus zündete der Mann mehrmals ein Streichholz an und öffnete, oben angelangt, eine Tür. Da rief ein Kranker, der in einer Ecke der Kammer auf einem Strohsack lag, ganz erstaunt: „Aber Herr Fey, kommen Sie selbst und noch so spät?“ Sprachlos vor Staunen erkannte der junge Arbeiter jetzt den Mann im blauen Kittel. Eiligst wollte er sich verabschieden, aber der Priester bat ihn, er möge ihm noch helfen, den Kranken umzubetten. Der Junge aber wiederholte, er müsse unbedingt fort, da er sonst vor verschlossener Tür stünde. Seine Eltern, in der Meinung, er habe Nachtdienst, würden ihn dann erst am nächsten Morgen erwarten. Auf Feys Bitten hin half er ihm doch noch, den Kranken umzubetten. Dann nahm Kaplan Fey seinen treuen Helfer bei der Hand und bat: „Nun musst du mir versprechen, niemandem zu sagen, was du hier gesehen hast; dann verspreche ich dir, dass du die Haustür offen findest.“ Der Junge versprach es und eilte nach Hause, wo er die Tür tatsächlich noch offen fand. Die überraschten Eltern wollten wissen, wie er hereingekommen sei. „Die Tür war ja offen“, antwortete der Junge erstaunt. Aber die Eltern entgegneten: „Die war verschlossen; du bist durchs Fenster hereingekommen.“ Auch die herbeigerufenen Hausbewohner erklärten, die Tür sei zur festgesetzten Zeit abgeschlossen und von keinem mehr geöffnet worden. Der Sohn aber bestand auf seiner Aussage und drängte: „Dann kommt und überzeugt euch selbst, dass die Tür noch offen ist.“ Man begab sich zur Tür, doch jetzt war sie verschlossen ...

Lebensabend und -ende

Dieser Mann, den seine rastlos tätige Liebe und vielseitige Begabung zu einer der bekanntesten und volkstümlichsten Gestalten seiner Vaterstadt gemacht hatte, war und blieb bei aller Aufmerksamkeit, die man ihm schenkte, immer demütig und bescheiden. An einem Andreastag antwortete er unter Tränen auf die Ehrungen, die man ihm entgegenbrachte: „Ja, lobt mich nur, sprecht mich sogar heilig; je mehr ihr mich erhebt, um so mehr fühle ich mein eigenes Elend, meine Armseligkeit.“

Zwei Jahre vor seinem Tod meinte er rückblickend auf die ihm von Gott zugeteilte Aufgabe in der Kongregation der Schwestern vom armen Kinde Jesus: „Ein Gotteswerk ist entstanden, auf dem sichtbar des Herrn Segen ruht. Bei diesem Werk habe ich durch Gottes Erbarmen, der das Kleine wählt, mit Hand angelegt. Ich war nur ein armer Pfahl, an dem die fruchtbringenden Reben ranken. Und wenn der alte Pfahl auch selbst keine Frucht mehr trägt, so freut er sich um so mehr der frischen Reben, die ihn umranken und seine Armut decken.“

Wie sehr die Demut Begleiterin in seinem Leben gewesen war, bezeugt sein Testament, das er mit den Worten beginnt: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: ‚Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor Dir. Ich bin nicht mehr wert, Dein Sohn zu heißen.‘“

Hierzu äußerte sich ein Zeitgenosse: „Auch in dieser letzten Willensäußerung erkennt man Fey: demütig, aufrichtig, treu, liebevoll, losgelöst von allem, Kind Gottes von Kopf bis Fuß. Wie gut versteht er es, sich die Tore der Ewigkeit in der einzig rechten Weise zu öffnen: indem er die Worte des bekehrten Sohnes zu den seinigen macht. Nur die Demut findet beim Sterben den Griff an der Himmelstür und darf sofort eingehen.“ Für Andreas Fey war wesentlich, was er einmal so formulierte: „Suchen wir, dem Herrn näher zu kommen. Alles, was dazu führt, sei mit Dank angenommen.“ Und in dieser Gesinnung gab er am 2. September 1887 seine Seele an den zurück, den er so sehr geliebt und dem er mit unermüdlichem Eifer als ein Priester nach dem Herzen Gottes gedient hatte. Eine unabsehbare Volksmenge, der Apostolische Nuntius, mehrere Bischöfe und über 70 Priester gaben ihm das letzte Geleit.

Anekdoten über Andreas Fey

Von Ingrid Mohr PIJ

Im Archiv unseres Generalmutterhauses gibt es eine Mappe mit der Gratulation zu einem Namenstag von Kaplan Fey. Unter dem Titel „Ein Tag im Leben von Don Andrea“ malten die Schwestern für jede Stunde des Tages ein Bild und verfassten je ein Gedicht dazu. So rief er einst zur Zeit der Weinlese die Kinderschar in den Garten, als die Schwestern gerade zum Gebet in der Kapelle waren, stieg auf eine Leiter und schnitt unter dem Jubel der Kleinen Traube um Traube vom Spalier ab, bis alle reichlich versorgt waren. Das Erstaunen der Schwestern war natürlich nicht gering, als sie „des Hochwürd’gen Räubers Spuren“ entdeckten.

Eines Tages schlich er sich – beladen mit Körben, weißen Tüchern und Servietten – ins Haus, ordnete mehrere Bänke terrassenförmig an, breitete die Tücher darüber und stellte Dutzende von Weckmännern (Stuten-/Hefekerle) auf. Dann ließ er eine Glocke läuten, um die Schwestern zu rufen. Die strömten schweigend und gemessenen Schrittes herbei in der Annahme, es handele sich um eine gravierende Angelegenheit. Als sie sahen, warum ihr Kaplan sie gerufen hatte, löste sich der Ernst natürlich in Freude und helles Lachen auf.

Einmal, als die Schwestern beichteten, krabbelte eins der Kleinsten zu Kaplan Fey in den Beichtstuhl. Im Reim heißt es weiter: „Und es währt kein Ave lang – / hört im Eck er Röschen schnarchen. / Kinder, wollt es nicht verargen; / Röschen ja kein Wörtchen hört; / drum im Beichten ja nicht stört. / Vatter wagt sich kaum zu rühren, / um klein Rös nicht zu genieren; / hört nur rechts die Beichten an, / dass es ruhig schlafen kann. / Seine Liebe zu dem Kind / macht, dass Müh er kaum empfind’t. / Erst als steif ihm alle Glieder, / da erwacht sein Röschen wieder, / gähnt und streckt sich vor Vergnügen / und begehrt nun rechts zu liegen. / Dann, nach kurzem Intermezzo / schläft es weiter wie bis jetzo. / Vatter sprach: ‚Dies Kind euch lehrt: / Wenn ihr redlich euch bekehrt, / sollt ihr, wie es mir getan, / so vertraulich Gott euch nah’n!‘ “

Eine sehr menschliche Schwäche hatte Fey: eine schier unglaubliche Furcht vor Gewittern. Beide Hände hielt er sich dann vors Gesicht und erzitterte bei jedem Donnerschlag. – Zu Beginn einer seiner Predigten kündigte ein lautes Donnern ein nahendes Gewitter an. Da brachte Fey nur noch den Satz über die Lippen: „Wenn Gott redet, soll der Mensch schweigen“ und verließ eilends die Kanzel. – In Bild und Reim hielten die Schwestern auch eine Begebenheit fest, bei der ihr Kaplan eine versprochene Predigt wegen eines heftigen Gewitters absagen ließ. Da äußert sich Andreas so: „ ‚Unmöglich, dass ich mein Versprechen erfüll‘. / Ich kann nicht, ich geh nicht. Es pred’ge wer will!‘ / Da strömte der Regen in Güssen herab. / Ein andrer sich auf die Kanzel begab. / ‚Die Predigt, ihr Lieben, kann heute nicht sein. / Dankt Gott für den Regen, und kehret dann heim!‘ “

Die Reise der „Sieben Schwaben“ zum Bischof von Reykjavik

Unermüdlich arbeitet P. Notker Hiegl OSB am Aufbau der Gebetsgemeinschaft „Maria, Mutter Europas“. Nachdem er in der Nähe des Benediktinerklosters Beuron der Gottesmutter unter diesem Titel eine Kapelle gewidmet hatte, rief er zunächst eine Partnerschaft mit zwei Heiligtümern im äußersten Südwesten und Nordosten Europas ins Leben. Nun streckte er seine Fühler nach Nordwesten aus und hatte Erfolg. Der Bischof von Island ging mit Freuden auf die Anregung ein und widmete seine Bischofskapelle offiziell Maria als der Mutter Europas, um sich damit in die Gebetsgemeinschaft einzugliedern. Zunächst hatte er die Errichtung eines eigenen Heiligtums in Verbindung mit der Gründung eines Benediktinerklosters in Betracht gezogen. Umso überraschender kam die schnelle Entscheidung zugunsten der neuen Widmung seiner Kapelle. Der Bericht von Pater Hiegl ist weniger eine Erlebnisschilderung als vielmehr eine aufschlussreiche Dokumentation.

Von Notker Hiegl OSB

Vor vielen Jahren erschien im Katholischen Sonntagsblatt des Bistums Rottenburg ein Artikel von M. Schwäble unter der Überschrift: „Die Reise der Sieben Schwaben ins Kloster nach Prag“. Etwas Ähnliches hat sich vor kurzem wieder zutragen. „Sieben Schwaben“ machten sich auf den Weg nach Reykjavik, um mit dem dortigen Bischof die Erweiterung ihres Europa-Projekts zu erörtern. An der Fahrt beteiligten sich außer mir der für Bärenthal zuständige Bürgermeister Hans-Lorenz Fritz und ein Vertreter aus Bärenthal, wo sich das Heiligtum „Maria, Mutter Europas“ befindet, sowie die Schwester des Bürgermeisters und ihre Freundin, nämlich die Wirtin des „Hotels zum Rhein“, eine „Reporterin“ aus St. Gallen und eine Vertreterin der Donauschwaben, die wie ich aus der Batschka stammt.

Hintergrund der Reise nach Reykjavik

Am 2. September 2009 erreichte mich ein Schreiben von Bischof Peter Bürcher aus Reykjavik. Darin heißt es: „Das in Ihrem Brief dargelegte Projekt ist bei mir auf lebendiges Interesse gestoßen und ich hoffe sehr, dass es Gottes Willen entspricht, dass wir hier in Island etwas tun können, was Ihren Vorschlägen entspricht. Deshalb lade ich Sie und – falls Sie es für richtig erachten – eine kleine Delegation nach Island ein, damit Sie vor Ort einen Eindruck gewinnen. Miteinander können wir dann ein mögliches Projekt erörtern. Mich würde es freuen, wenn dies noch vor Weihnachten geschehen könnte. … In Christo et Maria, Peter Bürcher, Bischof von Reykjavik.“

Im Amtsblatt des Bürgermeisters, der die Organisation der Fahrt übernahm, veröffentlichte ich folgende Erklärung für die Gemeinde: „Auf Einladung von Bischof Peter Bürcher fliegt eine Delegation des Freundeskreises ‚Maria, Mutter Europas‘ in die isländische Hauptstadt, um auch dort eine Kapelle ‚Maria, Mutter Europas‘ zu gründen. Über den ‚Längsbalken des Erlösenden Kreuzes Christi‘ über Europa von Gibraltar über Gnadenweiler bis nach Beresniki im Ural (im Sinne der Neu-Evangelisierung Europas) wollen wir nun auch noch den ‚Querbalken des Erlösenden Kreuzes Jesu‘ über Europa legen. In dieser Woche war ich in Freiburg bei S. Exz. Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, der seinen ausdrücklichen Segen zu diesen ‚Aktionen‘ gegeben hat (dazu ein Empfehlungsschreiben für den Isländer Bischof). Später soll dann natürlich noch im ‚süd-östlichen Europaraum‘ als Pendant eine weitere Kapelle dazu kommen. – Unter dem Kreuz Jesu stand seine Mutter Maria. Dann sind es fünf Kapellen, wie die fünf Wunden Jesu, aus denen uns (dem christlichen Europa) das Heil und der Schutz zufließen. Und Gnadenweiler wäre dann die ‚Herzwunde‘.“

Empfehlung des Freiburger Erzbischofs

Dr. Robert Zollitsch, der Erzbischof von Freiburg und „Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz“ empfing seinen Landsmann mit größtem Wohlwollen. Wir stammen beide aus der Batschka, der Bischof aus Filipowo, ich aus Milititsch; unsere Wiegen standen drei Kilometer Luftlinie auseinander. Das Empfehlungs-Schreiben vom 16. November 2009 an Bischof Bürcher lässt einen erstaunlich positiven Ton erklingen: „Sehr geehrter, lieber Pater, wie die Jünger sich nach der Himmelfahrt des Herrn um Maria sammelten (Apg 1,12-14), so sind auch die Völker Europas eingeladen, sich um Maria zu sammeln und an ihrer Hand und unter ihrem Schutz den Pilgerweg des Glaubens zum verheißenen Ziel zu gehen. Diese Einladung spricht gerade heute ‚Maria, die Mutter Europas‘ aus – von ihren Heiligtümern in Gibraltar, Gnadenweiler und Beresniki. Diese Heiligtümer schenken den Menschen, die zu ihnen kommen, Heimat und geben ihnen Mut und Kraft für den Weg der Nachfolge Christi. Sie schlagen Brücken von West (Gibraltar) nach Ost (Beresniki) und bald – so Gott will – auch von Süd (Gnadenweiler) nach Nord (Island). Und sie schlagen damit das Kreuz über Europa – das Zeichen der Erlösung und des neuen Lebens, das Zeichen der Hoffnung und der Verbindung über den Tod hinaus. Die Heiligtümer der Gottesmutter – ‚Maria, Mutter Europas‘ – sind mehr als Orte der Einkehr und des Gebetes. Sie sind eine Verheißung für Europa, das Abendland, und weisen hin auf die Kräfte, aus denen es gewachsen ist und lebt. Es ist Maria, die die Völker Europas zusammen will und zusammenführen wird. Ihre Heiligtümer sind Orte des Segens und der Hoffnung für unseren Kontinent. Mögen die Menschen Europas unter dem Schutz der Gottesmutter immer mehr wachsen in Glaube, Hoffnung und Liebe und unter ihrem Geleit immer mehr zusammenfinden. Mit allen guten Wünschen und dankbaren Segensgrüßen, Robert Zollitsch, Erzbischof.“

Schreiben des Bischofs Charles Caruana von Gibraltar

Bischof Charles Caruana von Gibraltar hatte unseren Kapellenverein „Maria, Mutter Europas“ bereits zum 700-Jahr-Jubiläum des dortigen Schreins „Our Lady of Europe“ – „Unsere Liebe Frau von Europa“ am 5. Mai 2009 eingeladen. Auch diese Fahrt hatte Bürgermeister Hans-Lorenz Fritz organisiert. Nun erhielt er aus Gibraltar folgenden Brief vom 13. November 2009 (Übersetzung aus dem Englischen): „Ich, der Bischof von Gibraltar, bin sehr glücklich darüber, dass P. Notker Hiegl OSB die Initiative ergriffen hat, die Gebetsgemeinschaft auf andere Länder in Europa auszudehnen. Er hat meine Unterstützung und ich hoffe, dass er auch die Unterstützung der Bischöfe anderer Diözesen in Europa finden wird. Den Menschen muss stärker bewusst werden, dass der ganze europäische Kontinent vor 700 Jahren der Mutter Christi als unserer ‚Lieben Frau von Europa‘ geweiht wurde. Diese Weihe ist noch immer wirksam. Die Mutter Gottes leitet die Länder unter demselben Mantel, mit dem sie ihren gesegneten Sohn beschützt hatte. Sie wird uns als unsere Mutter nie im Stich lassen. Sie wird uns auch weiterhin beschützen. Ich bete dafür, dass der Pater in seiner bedeutenden Mission der Ausbreitung und Hingabe an ‚Unsere Liebe Frau von Europa‘ Erfolg haben wird. Ich werde am Samstag, den 14. November, am Schrein ‚Unserer Lieben Frau von Europa‘ in Gibraltar eine Heilige Messe für den Erfolg der Mission des Paters halten. Charles Caruana, Bischof von Gibraltar.“ – Im Schweizer Landesbrief-Museum in Schwyz hatte ich einmal gelernt, dass bei einer Erweiterung der „Kantonszahl“ immer alle schon vereinigten Kantone gefragt werden müssen. Nun der Brief des nächsten „Kantons“, nämlich das Schreiben aus Beresniki im Ural, der nordöstlichsten katholischen Pfarrei Europas.

Zustimmung aus Beresniki in Russland

Erich Maria Fink, Pfarrer von Beresniki, lernte ich durch seine Kurse im Wigratzbader Heiligtum „Maria vom Sieg“ kennen. Zusammen mit Direktor Thomas Maria Rimmel besuchte er vor gut einem Jahr das Heiligtum „Maria Mutter Europas“ auf der Höhe der Schwäbischen Alb zwischen Bärenthal und Beuron auf dem Gnadenweiler. Pfr. Fink berichtete damals von seiner russischen Pfarrei und über den geplanten Kirchenbau in der Uralstadt Beresniki. Im Verbrüderungsbuch auf dem Gnadenweiler bekundeten wir bereits die Partnerschaft, die dann später in Gibraltar mit Bischof Caruana auf einem prächtig gestalteten Pergament (Ziegenhaut) auf dem Altar zu Füßen der Statue „U.L.F. von Europa“ vor 17 Bischöfen und drei Kardinälen besiegelt wurde. Nun schrieb mir Pfr. Fink für das Treffen mit Bischof Bürcher folgenden liebevollen Brief: „Hochwürdiger Herr Pater, ich habe mich sehr über den Plan gefreut, unsere Partnerschaft im Zeichen ‚Unserer Lieben Frau von Europa‘ um ein Heiligtum im äußersten Nordwesten Europas zu erweitern. Selbstverständlich sind wir vonseiten der Pfarrei ‚Königin des Friedens‘ im Ural (Erzdiözese Moskau) mit dieser Erweiterung unserer Partnerschaft einverstanden. In Absprache mit S.E. Hwst. Herrn Erzbischof Paolo Pezzi von Moskau begrüßen wir den Gedanken, dass unsere Partnerschaft nicht nur einen Bogen symbolisiert, der vom Südwesten nach Nordosten bereits gespannt ist, sondern dass über ganz Europa gleichsam ein Kreuz gelegt werden soll. Wir wünschen Ihnen und der ganzen Delegation einen gesegneten und erfolgreichen Aufenthalt in Island. Überbringen Sie S.E. Hwst. Herrn Bischof Peter Bürcher von Reykjavik bitte die besten Segensgrüße aus Russland. Verbunden in der Liebe Christi und Mariens grüßt von Herzen Ihr dankbarer Erich Maria Fink, Pfarrer.“ – Ein Brief fehlte mir jetzt noch in meiner Sammlung, nämlich die Zustimmung für diese „Aktion“ von meinem Beuroner Erzabt Theodor Hogg OSB.

Segen des Erzabts von Beuron St. Martin, Theodor Hogg OSB

Zum Fest des hl. Martinus, unseres Klosterpatrons, steckte mir Vater Erzabt folgenden Brief in mein Posttäschchen: „Sehr verehrter, hochwürdigster Herr Bischof, Pater Notker, Mönch unseres Klosters, der seit 1986 mit der Pfarreiseelsorge in Beuron und unseren Nachbargemeinden Bärenthal und Hausen im Tal beauftragt ist, hat vor einigen Jahren auf dem Gelände der Gemeinde Bärenthal, im Ortsteil ‚Gnadenweiler’, eine Kapelle mit dem Titel ‚Maria, Mutter Europas‘ errichten lassen. Den Mitbruder bedrängt der Gedanke, dass unser christlicher Glaube in Europa heute in großer Gefahr ist. Sein Anliegen ist es, durch ein Netzwerk von Gebetsstätten dem entgegenzuwirken. So möchte er im Sinn der ‚Neuevangelisierung‘ unseres Erdteils einen Beitrag leisten. Pater Notker hat mit dem Bischof von Gibraltar und einem katholischen Pfarrer in Russland Verbindung aufgenommen, um sein Anliegen zu fördern. Nun unterrichtete er mich, dass er auch mit Ihnen, hochwürdigster Herr Bischof, über das ihn bewegende Anliegen korrespondiert habe und Ihrer Einladung zu einem Gespräch in Reykjavik folgen möchte. Nachdem der H. Herr Erzbischof von Freiburg, Dr. Robert Zollitsch, zu den Plänen von Pater Notker sein Einverständnis erklärt und seinen wohlwollenden Segen erteilt hat, möchte auch ich Ihnen das Anliegen meines Mitbruders empfehlen. Ich wünsche ihm und seinen Begleitern eine gute Reise und das Gelingen seiner Bemühungen. Möge die Gebetsstätte ‚Maria, Mutter Europas‘ in Island zustande kommen und zu einem Ort des Segens werden, der zum Erhalt und zur Erneuerung des christlichen Glaubens und Lebens in unseren Landen fruchtbar werde. Ich versichere Ihnen, dass sowohl ich persönlich wie auch unsere klösterliche Gemeinschaft in diesem Sinne beten werden. Mit brüderlichem Gruß und Segenswunsch, Ihr im Herrn ergebener Theodor Hogg OSB, Erzabt von Beuron.“ – Zu diesen vier Briefen kam noch ein fünfter aus Schwyz/Ibach dazu: die Einschreibung des Isländer Bischofs in einen Messbund und eine große „Wundertätige Medaille“ aus Neusilber. So „bewaffnet“ mit fünf Briefen konnte nun die Reise nach Reykjavik beginnen.

Der Flug von Frankfurt nach Keflavik

Am 19. November 2009 machten sich die sieben Schwaben auf den Weg. Um 13.40 Uhr hob das Flugzeug in Frankfurt mit gut 250 Passagieren ab zum 2800 km entfernten Keflavik, dem Flugplatz der isländischen Hauptstadt Reykjavik. Auf dem Sitzmonitor konnte man die Fluglinie verfolgen, über Köln, Amsterdam, hinaus auf die Nordsee, östlich entlang der englischen und schottischen Küste, südlich der Färöer-Inseln bis zum Westen Islands. Endlich kam die Landung nach drei Stunden und 24 Minuten. Es war stockdunkel in Island und eisig kalt. Der relativ kleine Flugplatz erlaubte eine schnelle Gepäckausgabe und vor dem Ausgang stand ein Gentleman, schottisch gekleidet wie Sherlock Holmes, mit einem gepflegten Schnurrbart und hielt ein bunt gemaltes Plakat in die Höhe: „Beuron Willkommen“. Das Plakat hatte Bischof Bürcher selbst gemalt. In einem Kleinbus fuhren wir Richtung Reykjavik, rund 50 km entfernt. Als wir uns der Stadt nähern, da staunen wir über die Lichtfülle, jedoch noch mehr über das Panorama, eine mittlere Großstadt ohne nennenswerte Hochhäuser, keine Wolkenkratzer (wegen der häufigen Erdbeben), wie ein gewaltig großes Dorf entlang der Fjorde. Der Wagen führt uns zu dieser abendlichen Stunde zum „Perlan“, einem wirklich erwähnenswerten Hotel. Sechs riesige Warmwasser-Tanks bilden einen Kreis, darüber ist eine Gaststätte in der Form einer Glaskuppel erbaut, der Boden der Kuppelanlage dreht sich einmal in der Stunde um 360 Grad, so dass der Besucher die ganze Stadt Tag wie Nacht übersehen kann. Und mitten zwischen den Wasserkesseln speit alle zwei Minuten ein Geysir sein warmes, heißes Wasser in die Höhe. Hierher hatte uns Bischof Peter Bürcher zur Begrüßung eingeladen. Kaum waren wir ausgestiegen, da wurden wir schon von ihm persönlich empfangen mit einem herzlichen Gruß in leichtem schwyzer-deutschem Akzent.

Im Bischofshaus von Reykjavik

Nach einer Heiligen Messe in der Hauskapelle speisten wir im Bischofshaus. Sr. Inez, eine „Mexikanische Schwester“, hatte für uns das Abendmahl bereitet. Danach wurde das Programm für den nächsten Tag besprochen und die Zimmer bezogen, die vier Frauen im Schwesternhaus, wir drei Männer im Bischofshaus. Dies ist ein dreiteiliger, zweistöckiger Bau, welcher mit zwei kurzen Glasgängen verbunden ist. In einem dieser Glasgänge befindet sich die bischöfliche Hauskapelle. Das Haus war gut beheizt. Überall im Land gibt es die staatlichen Warmwasser-Zuführungen, selbst in den einsamsten Hütten der Tundra. Mancherorts muss Kaltwasser zugeführt werden, weil es in der Region bloß Heißwasser gibt. Der nächste Morgen begann mit der Hl. Messe in der neugotischen Kathedrale neben dem Bischofshaus. Konzelebranten waren der Generalvikar und ich. Gefeiert wurde in lateinischer Sprache, die Lesung in Isländisch (es waren zu dieser Morgenstunde schon einige Gläubige anwesend), das Evangelium wurde in deutscher Sprache verkündet. Das anschließende Frühstück für uns sieben Schwaben fand zusammen mit dem Bischof in seinem „Speisesaal“ statt. Dann machten wir uns mit dem Kleinbus auf den Weg zu den erstklassigen Sehenswürdigkeiten des Landes. Wie staunten wir, als kein „Sherlock Holmes“ erschien, sondern sich der Bischof persönlich an das Steuerrad setzte!

Grandiose Naturschönheiten im Südwesten der Eisland-Insel

Rund um die Insel in der Größe von Baden-Württemberg und Bayern zusammen führt die N1, die große Nationalstraße (1600 km lang). Aber selbst diese Straße ist wesentlich einfacher als unsere bekannten Autobahnen, ohne Randbefestigung, mit Lavagestein. Es gibt auf Island keine Autobahnen, keinen Zugverkehr, kein Industriegetöse, keine Atommeiler, „nur“ unendliche Weiten bedeckt mit 30 aktiven Vulkanen und Gletschern, Geysire und blubbernde und dampfende Heißwasser-Erdaugen. Der ehemalige Baumbestand, der sich nicht zum Schiffsbau eignete, ist verbrannt; mühsam werden Versuche getätigt, wetter- und sturmfeste Bäume heranzuzüchten, ansonsten Tundra, Tundra, Tundra. Ponyherden, die Islandpferde, haben unbegrenzten Auslauf – soweit die Hufe tragen. Im Innern ist die Insel großteils unbewohnt, hügelige und bergige Gestrüpphalden, bedeckt mit der Alaksa Lupine, die der weiteren Erosion Einhalt gebieten soll. Der stets starke Wind hat schon eine vier Meter hohe Humusschicht ins Meer geblasen, Lavaboden leuchtet allüberall. Schafherden weiden auf den kargen Tundren, und immer wieder die dampfende Fahne einer Heißwasserquelle. Plötzlich sind wir durch den auftauchenden Dampf des Stokkur-Geysir geblendet, dem Ziel aller Touristen. Es brodelt und dampft und riecht nach Schwefel und wieder wirft der Geysir seine heißen Wassermassen gen Himmel. Erschreckt weichen die sieben Schwaben trotz der Sicherheitszone zurück. Und wieder sammelt sich der Geysir, zieht den Atem ein, ein tiefes Erdloch wird sichtbar und dann prustet er und kocht und plötzlich zischt er seinen kochendheißen Strahl erneut viele, viele Meter in die Höhe. Keine 10 km entfernt nochmals ein gewaltiges Naturschauspiel: der Gullfoss-Wasserfall, der sechsgrößte der Welt (der Schaffhausener Wasserfall ist wie ein Kinderspielzeug dagegen). Die ganze Region ist vom Wasserdampf erfüllt, die in verschiedenen Etappen herabstürzenden Wassermassen rauschen und donnern in furchterregender Mächtigkeit. Und in der Ferne die schneebedeckten Berge hin zum gigantischen Gletscher Vatnajökull, dem größten Europas. Ausmaß: ein Drittel der Schweiz.

Pingvellir, die Geburtsstätte Islands

Stolz führt uns der Reykjaviker Bischof Bürcher durch den Nationalpark Pingvellir, der im Selbstverständnis der Isländer der bedeutendste Ort des Landes ist und der auch seit 2004 zum Unesco-Welterbe gehört. Hier fanden alle bedeutenden Ereignisse der Landesgeschichte statt, von der Ausrufung des Wikinger-Freistaates um 930 bis zur Gründung der Republik im Jahr 1944. Auch in geologischer Hinsicht ist Pingvellir bedeutsam als sichtbarer Graben zwischen den eurasischen und amerikanischen Kontinentalplatten, die sich nicht gegeneinander, sondern auseinander bewegen. Island ist somit das einzige Land der Welt, das jährlich eine messbare Vergrößerung erfährt. Die kleinen bunten Holzhäuser auf Pingvellir mit der Kapelle daneben am Seestrand sind auf allen Prospekten von Island zu sehen. Trotz beschwerlichem Aufstieg über Stege und Brücken kam die Schwabenschar aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein Tag voller Naturwunder; wie gesagt: all dies keine Bücherweisheit, sondern persönlich erlebt.

Bericht über die isländisch-katholische Kirche

Nach einem Gottesdienst mit dem Bischof in der Hauskapelle kam am Samstag, dem 21. November, die langersehnte „Hauptbesprechung“ über das Thema „Maria, Mutter Europas“ in Island. Auch der Bischöfliche Generalvikar und sein Rat Abbe Jacques waren zugegen. Zunächst zeigte ich anhand einer Dokumentation den Werdegang der Gebetsvereinigung „Maria, Mutter Europas“ von Gibraltar-Gnadenweiler-Beresniki auf und übergab die bereits angeführten fünf Grußadressen mit der Anfrage einer Erweiterung des Gebets-Dreierbundes auf einen Gebets-Viererbund zusammen mit Reykjavik. Der Bischof nahm hier die Gelegenheit wahr, über die römisch-katholische Kirche in Island zu referieren. Island mit seinen 313.000 Einwohnern, 220.000 davon allein in Reykjavik lebend, hat nur rund drei Prozent Katholiken, also gut 9.000 Gläubige. Durch die Wirtschaftskrise in Island sind viele katholische Gastarbeiter wieder nach Polen und Italien zurückgekehrt. Das Bistum, welches das ganze Land umfasst, wurde erst 1968 errichtet. Bischof Bürcher, der sechste Bischof von Reykjavik, ist nach seiner Weihbischof-Zeit in Lausanne, Genf und Fribourg seit zwei Jahren hier. Das Bistum zählt 18 Priester aus verschiedenen Ländern, welche besonders ihren Landsleuten pastoral beistehen, dazu kommen noch 37 Ordensschwestern. Die Beziehungen zu den Behörden und zur evangelisch-lutherischen Staatskirche (vom dänischen König in der Reformationszeit dekretiert) sind als „gut“ zu bezeichnen.

Das Fiat des Bischofs

Dann kam Bischof Bürcher auf den Gedanken „Maria, Mutter Europas“ zu sprechen und legte dar, dass er schon seit Dezember 2007 den Wunsch hege, in Island eine benediktinische „Cella“ oder ein Kloster zu errichten, welchem er den Namen „Maria, Mutter Europas“ geben könnte. Die Erweiterung der Gebetsgemeinschaft als solche besiegelte er mit seinem bischöflichen „Fiat“, das er auch in einem Schreiben an Vater Erzabt Theodor nochmals „verbriefte“. Darin heißt es: „Auch meinerseits bin ich jetzt zur Überzeugung gekommen…, dass Island dieses marianische und gnadenvolle Projekt mit Hoffnung und Liebe zu unterstützen hat. Fiat! Ich bin mit meinen Mitarbeitern bereit, alles in diesem Sinne aktiv und betend einzusetzen.“ Den Abschluss der Reise bildete ein Besuch des Landstücks Hvammsvik-Hvalsfjördur, einer wunderschönen Halbinsel, ähnlich der Insel Reichenau, auf dem sich der Bischof die Errichtung eines Benediktinerklosters vorstellen könnte („Zugleich wäre diese Gründung nach der Reformation das erste nördlichste Benediktinerkloster. Es wäre das nördlichste benediktinische Kloster Europas und der ganzen Welt.“) sowie der evangelischen Hallgrimskirkja-Kathedrale mit ihrem 76 m hohen Kirchturm, der wie ein Orgelprospekt mit der höchsten Pfeife in der Mittel erbaut ist. Auf Schaubildern im Vorraum ist zu ersehen, dass die isländische Liturgie in Albe mit Stola und Messgewand sowie mit Rauchmantel gefeiert wird. Weiter führte uns Bischof Bürcher in der Prachtstraße in ein schweizerisches Juweliergeschäft namens „Mariella“. Die katholischen Schweizer waren überglücklich über den Besuch. Den von mir erhaltenen Europa-Rosenkranz legten sie sofort ins Schaufenster zwischen die anderen Pretiosen. So kehrten die sieben Schwaben in ihre Heimat zurück in dem freudigen Bewusstsein: Mit dem bischöflichen „Fiat“ besteht seit Samstag, den 21. November 2009, eine Vierer-Gebetsgemeinschaft. Das Samenkorn für ein Heiligtum „Maria, Mutter Europas“ ist nun in isländische Erde eingebettet. Im Winter wächst der Weizen.


Benedikt XVI. in der Synagoge Roms

Von Erich Maria Fink

„Mit Gefühlen großer Herzlichkeit weile ich unter euch, um euch die Wertschätzung und Liebe zu bekunden, die der Bischof und die Kirche von Rom sowie auch die gesamte katholische Kirche gegenüber dieser Gemeinde und den jüdischen Gemeinden in der ganzen Welt hegen“, so Papst Benedikt XVI. am Beginn seiner Rede in der römischen Synagoge. Und er erinnerte an die vielen Zeichen, mit denen er während seines Pontifikats seine „Nähe und Liebe zum Volk des Bundes zeigen wollte“: an „die Pilgerreise ins Heilige Land ... im Mai des vergangenen Jahres“, „die vielen Begegnungen mit jüdischen Gemeinden und Organisationen, besonders in den Synagogen von Köln und New York“, den „Besuch im Konzentrationslager Auschwitz“ am 28. Mai 2006 sowie an den Weg, der „in den vergangenen 40 Jahren mit dem Gemeinsamen Internationalen katholisch-jüdischen Komitee und in den letzten Jahren auch mit der Gemischten Kommission des Heiligen Stuhls und des Israelischen Oberrabbinates zurückgelegt“ worden sei.

„Darüber hinaus hat es die Kirche nicht versäumt, die Fehler ihrer Söhne und Töchter zu beklagen, und hat um Verzeihung für alles gebeten, was in irgendeiner Weise der Geißel des Antisemitismus und Antijudaismus Vorschub geleistet haben kann... . Mögen diese Wunden für immer heilen können!“, betonte der Papst weiter und zitierte das „von Kummer erfüllte Gebet“, das Papst Johannes Paul II. in diesem Sinn am 26. März 2000 an der Klagemauer in Jerusalem gesprochen habe. Aber er wies auch auf die „italienischen Katholiken“ hin, welche während der „Vernichtung des Volkes des Bundes Mose“, welche „unter der nazistischen Herrschaft ... systematisch geplant und durchgeführt“ worden sei, „gestärkt durch den Glauben und die christliche Lehre, mutig reagierten und die Arme öffneten, um den verfolgten und fliehenden Juden zu helfen, oft unter Gefahr für ihr eigenes Leben. Sie verdienen ewige Dankbarkeit. Auch der Apostolische Stuhl entfaltete damals eine Hilfstätigkeit, oft verborgen und diskret.“

Schließlich hob der Papst das gemeinsame geistliche Erbe der Zehn Gebote hervor, welche „eine ethische ,Magna Charta‘ für die ganze Menschheit“ darstellten und deshalb Juden und Christen zu einem gemeinsamen Dienst an der Menschheit befähigten: um die „Öffnung für die transzendente Dimension“ in der Gesellschaft zu fördern, ebenso „die Achtung und den Schutz des Lebens“ sowie „die Heiligkeit der Familie“ und „die Großzügigkeit gegenüber den Armen“. Damit werde dem „kostbaren Geschenk des Friedens“ der Weg bereitet.

Erwartungen an den neuen ZdK-Präsidenten

Prof. Dr. Hubert Gindert geht auf die Vorstellungsrede des neuen Vorsitzenden des „Zentralkomitees der deutschen Katholiken“ ein. Mit seinen Fragen bringt er zum Ausdruck, was er bei den Ausführungen von Alois Glück vermisst. Doch will er damit nicht nur kritisieren, sondern offen und deutlich seine Erwartungen an den neuen Präsidenten formulieren. Geschrieben sind die Anmerkungen aus der Hoffnung, dass das ehrliche Gespräch dazu führen kann, im ZdK auch die breite Haltung der Gläubigen zur Sprache zu bringen, die vielleicht nicht in Gremien vertreten sind, aber treu zur Kirche stehen und durch den regelmäßigen Besuch der Sonntagsmesse das entscheidende Zeugnis für Kirche-Sein ablegen.

Von Hubert Gindert

Am 20. November 2009 wurde Alois Glück mit 169 von 189 Stimmen zum neuen Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) gewählt. Rund 30 Mitglieder des ZdK waren bei dieser Wahl nicht anwesend.

Mitfühlen mit der Kirche

Welchen Kurs wird das ZdK unter seinem neuen Präsidenten, den Medien als einen „Glücksfall für die deutschen Katholiken“ bezeichneten, steuern? Seine Vorstellungsrede ist durchaus aufschlussreich, wegen dem, was gesagt, und wegen dem, was verschwiegen wurde. An vielen Stellen bleibt sie unkonkret. Niemand hat erwartet, dass Glück bei jeder Aussage ins Detail geht, aber ein Stichwort, das über die Unverbindlichkeit hinausführt, hätte Klarheit bringen können. Wo Glück von der Kirche spricht, geschieht das distanziert. Kirche steht da wie ein Gegenüber. Das „sentire cum ecclesia“, d.h. das Mitfühlen mit der Kirche, welches das ZdK einmal charakterisiert hat, fehlt.

Auseinandersetzung mit der Abtreibung

Glück fordert „von der Kirche mehr Mut zur Vielfalt und weniger Ängstlichkeit gegenüber der modernen Welt“. Aber – erklärt sich nicht ein Großteil der Ängstlichkeit und Orientierungslosigkeit der Menschen in unserem Land durch die angepriesene „Vielfalt“ und Gleich-Gültigkeit auf dem Markt der Meinungen? Glücks Satz, es „sei natürlich einfacher, in den Schutzräumen der eigenen Gesinnungsgemeinschaft zu bleiben als sich in der öffentlichen Debatte in die geistige Auseinandersetzung und in den Wettbewerb unterschiedlicher Wertvorstellungen einzubringen“, ist wohl als Rundumschlag gegen „konservative“ Katholiken zu sehen. Er provoziert die Gegenfrage: Wo bleibt die öffentliche Debatte seitens des ZdK über die Ursachen der zunehmenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft? Wo bleibt die öffentliche Debatte über das, was dem ungeborenen Kind bei der Abtreibung geschieht? Wo bleibt die geistige Auseinandersetzung über die Spätfolgen der Abtreibung für die Frau? Wo bleibt der Wettbewerb unterschiedlicher Wertvorstellungen über die geltende Abtreibungsregelung, von der das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, dass sie auf den Prüfstand zu stellen sei?

Glaubenszeugnis gegen den „Mainstream“

Glück sieht in der Kirche „zuviel Abwehr gegenüber fremden Milieus“. „Veränderungen der Gesellschaft sollten nicht als Bedrohung, sondern als Aufgabe“ gesehen werden. Es wäre hilfreich, wenn wir wüssten, was unter „fremden Milieus“ gemeint ist. Sind es Staat und Politik, der Kulturbetrieb, die Freizeitgesellschaft?

Die Kirche, insbesondere die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben bei vielen Anlässen die großartigen Fortschritte der Moderne in Naturwissenschaft, Technik, Biologie und Medizin herausgestellt. Sie konstatieren aber auch, dass die Moral in vielem damit nicht Schritt hält. Der Zeitbetrachter hat nicht den Eindruck von einem Zuviel an Abwehr der Kirche gegenüber den genannten Milieus. Er konstatiert vielmehr zuviel Anlehnung der Kirche an den Staat in Deutschland – statt der geforderten Auseinandersetzung mit ihm, zuviel Hinnahme von Gewalt und Sex in den Medien und zuviel Toleranz gegenüber religiöser Diffamierung, die im Kulturbetrieb bis zur Religionsbeschimpfung reicht. Wann ist hier die Stimme des ZdK zu hören? Im Übrigen hätte eine Person in Führungsverantwortung, wie der ZdK-Präsident, die Aufgabe, die Katholiken in dieser säkularen, pluralistischen Gesellschaft zu einem mutigen Glaubenszeugnis gegen den „Mainstream“ aufzufordern.

Ermutigung zur christlichen Ehe

Glück will eine „eigenständige Rolle der katholischen Laien“. Auf die Wahrnehmung dieser Eigenständigkeit durch das ZdK warten die Katholiken schon lange, nämlich dort, wo die Zuständigkeit gegeben ist, z.B. in der Politik, in Fragen von Ehe und Familie, im Berufsleben und im Freizeitbetrieb.

Wo bleibt das ermutigende Wort des ZdK an junge Leute, eine Ehe einzugehen, statt in unverbindlicher Partnerschaft zusammenzuleben – eine Massenerscheinung, die mitverantwortlich ist für die Kinderarmut in unserer Gesellschaft? Wo bleibt das klare Nein des ZdK zur rechtlichen Gleichstellung homosexueller Partnerschaft mit der Ehe? Wo bleibt der Widerstand gegenüber dem Zugriff des Staates auf die Familie in der Kinderkrippenpolitik? Wo bleibt der Ruf nach einer Reform der jetzigen schulischen Sexualaufklärung, die vielfach eine Frühsexualisierung der Kinder bedeutet?

Einheit mit Papst und Rom

Offenbar meint Glück mit der Forderung nach der eigenständigen Rolle nicht die Wahrnehmung solcher Laienaufgaben, die gegen die political correctness und die Tabuisierung der genannten Themen verstoßen, sondern die Aufwertung von ZdK-Erklärungen zu Zölibat, Priester- und Diakonenweihe von Frauen, Laienpredigt etc. und einen eigenständigeren Kurs gegenüber dem Papst und Rom. Dem ZdK wäre ein Seminar über das päpstliche Rundschreiben Johannes Pauls II. Christi fideles laici zu empfehlen. Dort sind nämlich die Kriterien für den Zusammenschluss katholischer Laienverbände formuliert. Da Glück in seiner Rede kein Wort über das Verhältnis des ZdK zu Papst und Rom verliert, könnte sich das ZdK auf einem solchen Seminar auch mit der Gründungsgeschichte des ZdK in der Kulturkampfzeit unter Bismarck befassen, zumal Anzeichen dafür sprechen, dass wir einem Kulturkampf entgegengehen. Es gibt ja auch heute solche, die – wie damals Bismarck – eine von Rom unabhängigere Kirche wollen. Bismarck hatte damals in Ludwig Windthorst einen ebenbürtigen Gegenspieler, die Katholiken heute haben einen solchen nicht.

Aufruf zur Neuevangelisierung

Eine „missionarische Kirche wird ohne Erfahrungen und Mitwirkung der Laien wenig wirksam sein können“. Völlig richtig, Herr Glück! Wo ist aber diese Mitwirkung des ZdK bei den vielen Aufrufen unter Johannes Paul II. zur Neuevangelisierung geblieben? Und als kürzlich der Brandenburgische Minister Jörg Schönbohm fragte: „Was können wir gegen die Entkirchlichung und für die Wiederbelebung des Christentums in Ostdeutschland tun?“, brach ein Sturm der Entrüstung los. Vom ZdK bekam Schönbohm für seinen Mut keine Unterstützung. Was die „Missionierung“ betrifft, ist uns dagegen die Aussage eines ZdK-Ausschusses in Erinnerung, dass der allgemeine Missionsauftrag Christi für Juden nicht zu gelten habe.

Kompromissloser Einsatz für das Leben

Die weiteren Ausführungen des ZdK-Präsidenten in seiner Rede sind nur vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um die Kandidatur für den ZdK-Vorsitz zu verstehen. Bekanntlich erreichte Wilhelm Brockmann, der erste Bewerber, wegen seines Engagements für „Donum vitae“ nicht die erforderliche Zweidrittelzustimmung der Bischöfe. Dann wurde Alois Glück als Kandidat präsentiert. Ihn haben die Bischöfe durchgewunken, obwohl gegen ihn dieselben Ablehnungsgründe vorlagen. Sagt doch Glück von sich selbst: „Ich engagiere mich aus meiner persönlichen Gewissensentscheidung heraus schon seit Jahren für diese Beratung. Und das liegt auch voll auf der Linie des Bayerischen Beratungsgesetzes, das wir gegen größten politischen und öffentlichen Widerstand durchgesetzt haben.“ Glück lässt nun sein „Donum vitae“-Engagement „ruhen“. Seine Haltung zu dieser Initiative, die außerhalb der katholischen Kirche steht, hat er nicht geändert.

Notwendig für das gesellschaftliche Engagement ist nach Glück „das Bewusstsein, dass persönliche Überzeugung und auch offizielle kirchliche Positionen in einer pluralen Gesellschaft nicht eins zu eins durchgesetzt werden könnten“ – und das bedeutet „Bereitschaft zum Kompromiss und Mut zur Vielfalt“.

Die Kirche kennt den Menschen, sie verkündet keine Utopien. Sie weiß, dass auch gut begründete Positionen manchmal keine parlamentarischen Mehrheiten finden. Trotzdem gibt es für Christen nicht übersteigbare Barrieren, wenn es z.B. – wie bei der Abtreibung – um eine Frage auf Leben und Tod geht. Gerade hier wäre die von Glück geforderte öffentliche und geistige Auseinandersetzung gefordert. Der Hinweis auf die plurale Gesellschaft ist der Versuch nach der Zustimmung zu einem nicht möglichen Kompromiss, sich selbst die Absolution zu erteilen.

Abkehr von Fehlern der Vergangenheit

Glück warnt „vor innerkirchlicher Unversöhnlichkeit“ und fordert „mehr Bereitschaft zur Austragung von Meinungsverschiedenheiten“. Das ZdK könnte einiges zur Versöhnung beitragen, nicht als Vor- sondern als Nachleistung, wenn es zugeben würde, dass die öffentliche Zurückweisung päpstlicher Schreiben bis hin zum Aufruf zum öffentlichen Widerstand (Laien-Instruktion) schwere Fehler waren, die öffentlich zu korrigieren sind, oder wenn das ZdK klar sagen würde, dass die Unterstützung von „Donum vitae“ beendet wird, weil das ZdK einem Irrtum aufgesessen ist.

Glück und das ZdK müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine Austragung von Meinungsverschiedenheiten nicht zu den vom ZdK festgelegten Spielregeln geben kann und dass diejenigen, die die Positionen der Katholischen Kirche vertreten, nicht als Fundamentalisten und Traditionalisten abqualifiziert werden können. Immerhin gibt es bei einer Frage, bei der es um fundamentale Entscheidungen geht, keine zwei katholischen Antworten. Wenn die Antwort der Kirche feststeht, aber nicht anerkannt wird, ist dieses „Ringen um die Wahrheit“ eben doch nichts anderes als die Anpassung an so genannte „Lebenswirklichkeiten“, weil man nicht anecken möchte.

Betonung religiöser Werte

Glück konstatiert: „In den kommenden Jahren entscheidet sich, ob wir eine Kirche werden, die sich auf den heiligen Rest beruft, oder eine Kirche, die weiter unter den Menschen präsent ist.“ Diese gut klingenden Formulierungen sind uns bekannt. Ist aber der Zustand der „kleinen Herde“ nicht schon erreicht, wenn nur mehr 10 Prozent der Katholiken regelmäßig die Sonntagsmesse besuchen? Würde das volle sakramentale Leben, z.B. mit dem Bußsakrament, zum Maßstab genommen, würde die Zahl – nach glaubwürdigen Schätzungen – auf rund 4 Prozent schrumpfen. Das müsste doch für Glück Anlass sein, die Neuevangelisierung als Topthema des ZdK auszurufen.

Glück nennt als wichtige Zukunftsthemen des ZdK den demographischen Wandel. Der Rückgang der Geburtenzahlen datiert seit Ende der 60er Jahre. Diese Entwicklung ist anscheinend unbeachtet am ZdK vorübergegangen. Dieser demographische Wandel hat vor allem damit zu tun, dass an jedem Werktag in der Bundesrepublik ca. 1000 Kinder abgetrieben werden. Hier fehlt uns ein Wort von Glück, das ZdK werde alles Mögliche tun, die jetzige gesetzliche Regelung zu ändern. Glück spricht weiter von der „Zukunftsfähigkeit des Sozialstaates angesichts massiver Verteilungskonflikte“. Die größte soziale Ungerechtigkeit besteht aber seit Jahrzehnten gegenüber den Familien mit Kindern, die so weit geht, dass das Bundesverfassungsgericht die steuerliche Freistellung des Existenzminimums für Familien mit Kindern fordert. Glück spricht außerdem vom „zukunftsfähigen Lebensstil“. Glück hätte hier hinzusetzen können, dass diese Gesellschaft nur dann eine Überlebenschance hat, wenn sie zu großen Opfern, Verzichten und allseitigen Einschränkungen bereit ist.

Wirksame Vertretung in Gesellschaft und Politik

Zum Schluss seiner Rede fordert Glück, der seit langem prominentes Mitglied dieses ZdK ist, eine Bestandsaufnahme des Laienkatholizismus. Eine solche kann ehrlicherweise nur defizitär ausfallen. Man könnte auch fragen: Wenn das ZdK heute aufgelöst werden würde, wer würde das außer den Funktionären wahrnehmen? Das ist bedauerlich, nicht wegen des ZdK an sich, sondern wegen der Katholiken, die eine wirksame Vertretung in Gesellschaft und Politik bräuchten – zumal frühere Bündnispartner wie die CDU/CSU als solche immer mehr ausfallen.

Das ZdK müsste einen völligen Kurswechsel vornehmen, wenn es wieder eine Vertretung der deutschen Katholiken werden möchte. Danach sieht es nach der Bewerbungsrede des gewählten ZdK-Präsidenten nicht aus.

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