Erinnerung und Würdigung: Otto von Habsburg

„Dr. Otto von Habsburg, ältester Sohn des letzten regierenden Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn, langjähriger Europaabgeordneter und Ehrenpräsident der Internationalen Paneuropa-Union, ist am 4. Juli 2011 in seinem Haus in Pöcking im Alter von 98 Jahren verstorben“, so heißt es auf der offiziellen Homepage Seiner Kaiserlichen Hoheit. Weihbischof Dr. Andreas Laun war mit der Familie des Verstorbenen eng verbunden. Laun möchte keine umfassende Würdigung seines Lebens vornehmen. Dazu verweist er auf großartige Artikel wie den Beitrag von Stephan Baier. Laun geht es in seinem Nachruf um ein persönliches Zeugnis.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Ich beginne meinen Nachruf auf Seine kaiserlich-königliche Majestät Otto von Habsburg ganz persönlich: Den Besuch in Pöcking in der kaiserlichen Villa, verbunden mit einer Hl. Messe am Bett des Hochbetagten, hatte ich bereits fest eingeplant, als mich nur zwei Tage vor der angepeilten Zeit spät am Abend die Nachricht erreichte: Ich möge rasch kommen, es gehe wohl dem Ende zu. Als ich am nächsten Tag ankam, war Seine Majestät bereits verschieden! Am 4. Juli um 4 Uhr früh hatte er im Beisein seiner Kinder und Enkel diese Erde verlassen und sich auf den Weg gemacht zu jener Wirklichkeit, von der Paulus (1 Kor, 2-9) in Anlehnung an Jesaja (64,3) sagt: Kein Machthaber hat erkannt, kein Auge hat es gesehen und kein Ohr gehört „das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“. Seine geliebte Frau Regina wird ihm wohl, gemäß dem wunderbaren Text eines der kirchlichen Totengebete, „entgegengegangen“ sein und ihn „abgeholt“ haben. Am nächsten Tag, am 5. Juli wurde der Sarg in die Kirche gebracht und ich durfte der Erste sein, der im Beisein der engsten Familie die Hl. Messe für den Verstorbenen feiern konnte!

Wer Otto von Habsburg war und was er geleistet hat, ist bekannt, allen, die es wissen wollen: Vor allem der Grazer Journalist Stephan Baier und Eva Demmerle, die langjährige Pressesprecherin der Familie Habsburg, haben viel und kenntnisreich geschrieben über „Otto von Europa“, wie ihn bei der Feier seines 90. Geburtstages der ehemalige Österreichische Bundeskanzler Schüssel respektvoll genannt hat.

Nur kurz und um es rasch übergehen zu können, muss gesagt werden: In Österreich gibt es bis heute viele peinliche und bösartige Vorurteile gegen die Familie Habsburg im Allgemeinen und sogar über Otto von Habsburg im Besonderen! Man bedenke: Sein ganzes langes Leben hat sich der Verstorbene klug und mit Hilfe seiner Beziehungen und auch mit seinem Namen „Habsburg“ für alle „seine“ Länder eingesetzt, vor allem für Österreich! „Dankbarkeit“ ist keine Kategorie der Politik, hört man oft, aber Österreich hat sich so schäbig verhalten, dass ich mich für mein Land schäme! Um nur einen Punkt zu erwähnen: Hitler hat die Familie Habsburg enteignet und die Republik weigert sich bis heute, das gestohlene Eigentum zurückzuerstatten: „Weil wir es so beschlossen haben“, schrieb mir einmal ein ausgerechnet „christlicher“ Politiker, der von einem „Naturrecht“ offenbar nichts gehört und vor allem nichts verstanden hat!

Nach so vielen kenntnisreichen und guten Artikeln über „Otto von Habsburg“, „Otto von Österreich-Ungarn“ und „Otto von Europa“ ist es schwer, über ihn zu schreiben. So beschränke ich mich auf das, was in meiner dankbaren Erinnerung besonders im Vordergrund steht:

Der Verstorbene weigerte sich, eine Einladung Hitlers anzunehmen, den Diktator aufzusuchen und ihm auch nur die Hand zu geben! Dafür wurde er gejagt und, hätte ihn die GESTAPO erwischt, hätte er diesen seinen Affront gegenüber der „unbegrenzten Macht“ wohl mit dem Leben bezahlt. Dazu kommt: Sich zu verweigern, war nicht nur gefährlich, sondern politisch unklug. Musste es denn nicht eine sogar verständliche Versuchung gewesen sein, den Mann aufzusuchen, der ihm, Otto von Habsburg eine gewisse politische Machtstellung hätte zurückgeben können? Ich weiß es nicht, aber immerhin: Am Anfang wusste noch niemand, dass es Auschwitz geben wird, und andere haben den Teufel nicht erkannt und darum gemeint, sich mit Hitler arrangieren zu können! Otto von Habsburg hat Hitler durchschaut, hat nicht einmal versucht, mit ihm irgendwie zu paktieren, und hat im Gegenteil viele Tausende Juden vor dem Tod gerettet und unzähligen Anderen ebenfalls geholfen, soweit es eben möglich war!

Dazu passt: Erzherzog Otto von Habsburg hat nie einen Zweifel daran gelassen, was er über Abtreibung denkt! Er hat es auch, politisch unkorrekt wie es schlimmer nicht geht, gesagt: „Abtreibung ist Mord!“ Damit stand er fest und unerschütterlich auf dem „katholischen Boden“ des 2. Vatikanischen Konzils und dem der Päpste! Insbesondere folgt er darin Johannes Paul II., dem großen Papst des Lebensschutzes und der ehelichen Liebe. „Abtreibung ist Mord“, bekräftigte der verstorbene Kaiser und man würde sich wünschen, dass heute alle Bischöfe, Priester und Theologen in der Kirche bereit wären, so klare und ungeschminkte Worte zu den Wunden, aus denen Europa blutet, zu finden! Otto von Habsburg war ein mutiger Mann, er hat nie „schöngeredet“, er hat gesagt, was gesagt werden musste: nicht grob und nicht unnötig unklug, aber klar und eindeutig! Ein besonderes Geschenk Gottes, dass sein Vater sogar „seliggesprochen“ wurde und zwar in der letzten Seligsprechung, die der bereits schwerkranke Papst Johannes Paul II. vorgenommen hat: der Papst, der seinen Vornamen Karl eben diesem Kaiser verdankte, in dessen Armee sein Vater noch diente!

Seine Majestät Otto von Habsburg war katholisch ohne jenes verräterische „Aber“, wie es heute so oft zu hören ist: „Ich bin katholisch, aber…“, und dann folgen die „eigenen Meinungen“, die eben nicht mehr katholisch, sondern nur noch häretisch, un- oder kleingläubig, immer aber besserwisserisch sind! Nein, so eben nicht!

Noch zwei Geschichten zum „katholischen Otto von Habsburg“:

In einer fremden Stadt vermisste seine Umgebung den Kaiser am Sonntag in der Früh! Man machte sich schon Sorgen um ihn, aber dann stellte sich heraus: Er hatte das Hotel verlassen und war lange gegangen, bis er endlich eine katholische Kirche fand, in der eine Hl. Messe gefeiert wurde, an der er teilnehmen konnte.

Otto von Habsburg, wird erzählt, hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich Europa eine urchristliche Fahne erwählt hat: die Fahne mit den 12 Sternen auf dem blauen Untergrund, wie sie in der Offenbarung des Johannes die „Frau“ umstrahlen (Offb 12,1)! Andere, nicht-katholische Abgeordnete erkannten den Zusammenhang, sozusagen „das biblische „Zitat“, nicht und stimmten für diesen Entwurf! Der Katholik Otto von Habsburg schwieg. Als ihn aber nach der Abstimmung ein anderer Politiker des Europaparlaments fragte, warum er bei dieser Frage so schweigsam war und immer nur schmunzelte, erklärte er freimütig den Sachverhalt und fragte sein Gegenüber, ob er denn noch nie eine Muttergottes-Statue mit den 12 Sternen genau angeschaut habe!

Otto von Habsburg war katholisch und es gibt gute Gründe anzunehmen, dass der auch politisch unvernünftige Hass, der nach dem Ersten Weltkrieg zur Zerstörung Österreich-Ungarns führte, wesentlich der Hass bestimmter Politiker auf die katholische Kirche war: Hass auf die Kirche und Hass auf das Haus Habsburg, das mit dieser Kirche so eng verbunden war und bis heute ist!

Ich, Weihbischof Andreas Laun, habe Otto von Habsburg immer verehrt und durfte im Laufe meines Lebens ihn, seine wunderbare Frau Regina und die ganze Familie persönlich kennenlernen! Offen gesagt: Ich hätte mir Otto von Habsburg viel lieber als Staatsoberhaupt gewünscht, als die Präsidenten und Kanzler, die wir Österreicher in all den Jahren, die ich überblicken kann, tatsächlich hatten! Wenn ich das sage, denke ich die Unterschiede und auch Verdienste in der Reihe dieser Männer in politischer Verantwortung durchaus mit und übersehe ihre Qualitäten nicht, geschweige denn, dass ich ein pauschal-negatives Urteil über sie fällen wollte! Ich sage nur: Otto von Habsburg wäre mir als Präsident oder Kanzler viel lieber gewesen. 

Der große Trost ist freilich: Otto von Europa hat sein großes Lebensziel noch erlebt: das Zusammenwachsen fast aller Länder Europas zu einem neuen, großen Europa und zu einem noch größeren „Vielvölkerstaat“ als derjenige, der seinem Vater Karl leider genommen wurde. Was diesem neuen Europa am meisten und, wie es aussieht, verhängnisvoll fehlt, ist der katholische Glaube.

Alles, auch die Geschichte der Völker, liegt in Gottes Hand! Er hat uns, den Österreichern und allen Menschen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, zum Abschluss einer großen Geschichte den seligen Kaiser Karl und danach einen so aufrechten Mann wie Otto von Habsburg geschenkt, nicht weil wir so großartig waren und sind, sondern „einfach so“ – ein wenig vergleichbar mit der Erwählung des Volkes Gottes, wie sie im Alten Testament beschrieben wird (Deut 7,6ff). Gott sei Dank dafür!

"Otto von Europa"

Das erste große Requiem für Dr. Otto von Habsburg fand am 9. Juli 2011 in Pöcking am Starnberger See statt, wo er seit 1954 mit seiner engeren Familie gelebt hatte. Am Gottesdienst nahm auch Pater Notker Hiegl OSB teil. Tief berührt berichtet er von der bewegenden Abschiedsfeier. Darüber hinaus gibt Hiegl Einblick in seinen persönlichen Kontakt mit Seiner Kaiserlich-Königlichen Hoheit, der sich vor allem durch das gemeinsame Engagement für die Gebetsgemeinschaft „Maria – Mutter Europas“ entwickelt hatte.

Von P. Notker Hiegl OSB

Erst vor wenigen Stunden ging die Feier des Requiems für Seine Kaiserlich-Königliche Hoheit Otto von Habsburg in Pöcking zu Ende. Es war ein „Fest des Glaubens“, eine „Sternstunde“ der europäischen Kultur und des katholischen Gottesdienstkultes. Mögen die folgenden Requien in München (mit Reinhard Kardinal Marx und Ministerpräsident Horst Seehofer), in Mariazell (mit der Zusammenführung der beiden Särge von Regina von Österreich und Otto von Habsburg-Lothringen), in Wien (mit der Beisetzung in der Kapuzinergruft), in der ungarischen Hauptstadt Budapest sowie im ungarischen Benediktinerkloster Pannonhalma (mit der Beisetzung der Herzensurne des Erbens des Thrones der Donaumonarchie) – mögen all diese Feierlichkeiten prunkvoller und mächtiger gestaltet werden, an familiärer Intimität und religiöser Strahlkraft werden sie diese Auferstehungsfeier nicht mehr übertreffen.

In der ganzen Begeisterung des „Pöckinger Requiems“ möchte ich mit meinen schwachen Worten meine ganz persönliche Kondolenz- und Dankesunterschrift daruntersetzen.

Sein Herz gehört Ungarn

Gekrönter Kaiser von Österreich ist der Thronfolger Otto von Habsburg nie geworden; sein Leben widmete er dennoch der Politik in der Mitte unseres europäischen Kontinents, den seine Vorfahren Jahrhunderte lang geprägt haben. Otto von Habsburg, ältester Sohn des letzten regierenden Kaisers Karl I. – vor wenigen Jahren selig gesprochen –, wurde überzeugter Demokrat und Kämpfer für ein geeintes, christliches Europa.

Nun ist er mit 98 Jahren in Pöcking am 4. Juli 2011 zum Herrn heimgegangen – ein Jahr nach dem Tod seiner Gemahlin Erzherzogin Regina von Österreich, Prinzessin von Sachsen-Meiningen, welche ebenfalls in Pöcking im Alter von 85 Jahren am 3. Februar 2010 verstorben war. Obwohl Otto von Habsburg nach dem Ende der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn 42 Jahre lang nicht in die Republik Österreich einreisen durfte, fühlte sich das Oberhaupt des Hauses Habsburg dennoch seiner Heimat in Treue tief verbunden. Das zeigt sich auch nach seinem Tod: Einer uralten Familientradition entsprechend wird der Leichnam des Kaisersohnes in der Kapuzinergruft in Wien beigesetzt. Otto und seine Frau Regina von Habsburg werden nun nach einem bewegten Leben in ihrem geliebten Wien ihre gemeinsame letzte Ruhe finden, wie es sich für ein kaiserlich-königliches Thronfolger-Ehepaar geziemt.

Die Särge sollen bei einem Requiem im österreichischen Wallfahrtsort Mariazell, dem Nationalheiligtum aller österreichischen Völker, zusammengeführt werden. Der Sarg von Regina von Habsburg wird dazu aus der Veste Heldburg in Südthüringen umgebettet. Otto von Habsburgs Herz aber wird im ungarischen Benediktinerkloster Pannonhalma am Sonntag, den 17. Juli, seine letzte Ruhestätte finden. Sein Herz gehört Ungarn.

Eckpfeiler seines Lebens

Otto von Habsburg wurde am 20. November 1912 in der Villa Wartholz in Niederösterreich geboren. Seine Mutter war die spätere Kaiserin Zita, sein Vater der letzte Kaiser von Österreich und König von Ungarn, Karl I., der 1922 in der Verbannung auf Madeira starb. Otto von Habsburg studierte ab 1930 an der katholischen Universität Löwen und wurde 1935 zum Doktor der Staatswissenschaften promoviert. Schon sehr früh ging er auf Konfrontationskurs zu den Nationalsozialisten, zur NSDAP. Bevor er selber ins amerikanische Exil flüchtete, verhalf er Zehntausenden Juden zur Flucht vor dem Hitler-Terror-Regime. 1944 kehrte Otto von Habsburg nach Europa zurück und wurde zum leidenschaftlichen Streiter für die Europäische Idee – als Publizist und später auch als Politiker. 1961 leitete er mit seinem Thronverzicht die Aussöhnung seiner Familie mit der Republik Österreich ein. Zehn Jahre zuvor hatte Otto von Habsburg Prinzessin Regina von Sachsen-Meiningen geheiratet. Das kaiserlich-königliche Paar wohnte seit dem Jahr 1954 in Pöcking am Starnberger See und hatte 7 Kinder und 22 Enkel. 1978 erwarb Otto von Habsburg neben der österreichischen Staatsbürgerschaft auch die deutsche, ein Jahr später wurde er für die CSU ins Europaparlament nach Straßburg gewählt, dem er 20 Jahre angehörte.

31 Jahre lang führte er die Paneuropa-Union, 1989 war er Initiator und Schirmherr des „Paneuropäischen Picknicks“ an der österreichisch-ungarischen Grenze, bei dem mehr als 600 DDR-Bürger einfach ihren „Trabi“ jenseits der Grenze stehen ließen und durch das Schlupfloch im „Eisernen Vorhang“, welches vorher mit einer Drahtschere herausgeschnitten worden war, aus der Tyrannei der SED-Partei in die Freiheit des Westens entkamen. Der östliche Lungenflügel Europas bekam wieder Atem, die kommunistischen Diktaturen fielen, eine nach der andern, Europa wuchs zusammen und wurde sich seiner gemeinsamen Werte wieder bewusst. Die Europäische Idee war für Otto von Habsburg untrennbar mit den christlich-biblischen Wurzeln unseres Kontinents verknüpft, dazu noch in der traditionellen Form des ererbten, gelebten und geliebten Katholizismus. Seine Funktion als „Chef des Hauses Habsburg“ hatte Otto von Habsburg vor drei Jahren aufgrund zunehmender körperlicher Anfälligkeit an seinen ältesten Sohn Karl von Habsburg-Lothringen übergeben.

Die christliche Seele Europas

Otto von Habsburg, der Ehrenmitglied der Vereinigung der „Freunde der Gnadenweiler Kapelle Maria Mutter Europas“ war, schrieb zur Weihe dieses Heiligtums folgende Grußadresse: „Es ist ein großes Verdienst…, dass er sich so sehr eingesetzt hat für den Bau dieser Kirche. Und er hat dieser Kirche einen wunderbaren Namen gegeben: ‚Mutter Gottes von Europa‘. Er hat sie damit dem Schutz der heiligen Maria anvertraut. Aber auch etwas anderes bedeutet dieser Name: nämlich dass wir in Europa nicht vergessen dürfen, wo unsere Wurzeln liegen – im Christentum. Durch das Christentum ist dieses Europa das geworden, was es ist. Unsere Kultur, unsere Kunst, aber auch unsere Grundsätze sind aus dem Christentum geboren, und das ist es, was uns stark gemacht hat. Vor 50 Jahren wurden die Römischen Verträge – der Beginn der Europäischen Union – unterzeichnet. Diejenigen, die die Gründung der EG angestoßen haben, Robert Schumann, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer, haben ganz klar die christliche Seele Europas erkannt. Seither haben wir viel erreicht, aber haben auch noch viel zu tun, damit Europa in Einheit und Vielfalt stark sein kann. Daher ist es gut, wenn wir auch auf den göttlichen Beistand vertrauen und voller Optimismus für das Ziel Paneuropa weiterarbeiten. Otto von Habsburg.“

Diese Sätze stehen ganz in der Tradition der Habsburger Regentschaft von 1273 bis 1918. Die Habsburger, Generation für Generation, waren Garant dafür, dass sich der Islam nicht schon früher in Europa breitgemacht hat. Was zum Beispiel den Türken durch kriegerische Überfälle bis vor Wien (1683) nicht gelang, das christliche Abendland zu vereinnahmen, das gelingt ihnen heute durch Einwanderung stetig und schleichend. Durch die „Migration“ nimmt der Islam, den wir als religiösen „Irrtum“ ansehen, zwangsläufig immer mehr Rechte in der Öffentlichkeit für sich in Anspruch, die er dem Christentum in der Türkei und in den arabischen Ländern absolut nicht gewährt.

Das Requiem in Pöcking

Im Vorhof der St. Pius-Kirche zu Pöcking standen diverse Ehrenregimenter in ihren historischen Uniformen, mit Fellmützen und Tirolerhüten. Frauen in alpenländischen und mährischen Trachten belebten den Kirchenplatz, Kleriker eilten in die Sakristei im daneben liegenden Pfarrheim und die Sekretärin des Verstorbenen, Frau Dr. Eva Demmerle, in ihrem edlen, schwarzen bodenlangen Dirndl dirigierte die ankommenden Angehörigen des Hauses Habsburg und die beiden bayrischen Minister durch die vor der Kirche eng stehenden Volksmassen hindurch. Zwei Drittel der Kirche waren als reservierte Plätze gekennzeichnet, das weitere Drittel stand offen für jedermann. Der Mittelgang war fast nicht zu durchschreiten, denn rechts und links der Bänke standen Schützen aus Österreich und Vertreter der Studentenverbindungen dicht gedrängt als Ehrenspalier. Vor dem Altar der aufgebahrte Sarg Seiner Kaiserlich-Königlichen Hoheit Otto von Habsburg, bedeckt mit der Fahne in den alten Reichsfarben schwarz und gelb, geschmückt mit den abgebildeten Wappen und Kronen von Österreich und Ungarn, sowie die schwarzsamtenen Ordenskissen. Sargspalier bildete die Schützenkompanie Zirl aus Tirol. Im Altarraum waren Sitzplätze für die drei Bischöfe, die Konzelebranten und die Ministranten. Hinter ihnen in strammer Haltung rund 50 Fahnen-Abordnungen von nah und fern. Zu meiner Freude sah ich auch diejenige der donauschwäbischen Batschka- und Banater-Deutschen. Auf allen Plätzen lagen die geschmackvoll gestalteten Requiem-Hefte auf, vorderseitig mit den Wappen und Kronen von Österreich und Ungarn, darunter das Spruchband  „Indivisibiliter ac Inseparabiliter“ (unteilbar und nicht abzuspalten). Unter Glockenklang und Orgelbrausen zogen zum Requiem ein: Diözesanbischof Dr. Konrad Zdarsa, Bischof (em.) Dr. Walter Mixa, Bischof Franjo Komarica aus Banja Luka, Pfarrer Helmut Friedl aus Pöcking zusammen mit Dekan Anton Brandstetter, sowie die Konzelebranten, darunter zwei Benediktiner. Die Chorgemeinschaft St. Pius, Pöcking, schmetterte den Introitus-Gesang aus dem Mozart-Requiem, begleitet durch das Pöckinger Kammerorchester Stringendo. Enkel der verstorbenen Hoheit übernahmen Lesung und Fürbitten, welche immer mit den familiären, herzlichen Worten begannen: „Unser lieber Großvater…“ Die Lesung (Offb 21,1-5a; 6b-7), das Evangelium (Joh 14,1-6) und die Predigt von Dr. Konrad Zdarsa waren ein Loblied auf unseren christlichen Auferstehungsglauben in erhebender Zuversicht. Bischof Zdarsas Ausführungen waren ganz und gar im pastoralen Oster-Jubel-Ton, nur kurz streifte er in Dankbarkeit das durch den Verstorbenen initiierte „Paneuropäische Picknick“ als Werk echter christlicher Nächstenliebe. Offertorium, Sanctus-Benedictus, Agnus Dei und Communio in vollendeter Schönheit aus dem Mozart-Requiem, die Gesangs-Messe in der Liturgischen Messe, Werk höchster europäischer Kultur im Göttlichen Kult. 

„Treue um Treue“

Nach dem Segenslied „Jesus lebt, mit ihm auch ich“, gesungen vom gesamten Kirchenvolk, folgten im Anschluss an dieses gut zwei Stunden dauernde Hochamt noch die Exequien, das „Salve Regina“ und danach die vom Organisten klangvoll intonierte Kaiserhymne: „Gott erhalte, Gott beschütze unsern Kaiser, unser Land! Mächtig durch des Glaubens Stütze führ Er uns mit weiser Hand! Lasst uns Seiner Väter Krone schirmen wider jeden Feind; Innig bleibt mit Habsburg Throne Österreichs Geschick vereint.“

Da die Strophe des Deutschland-Liedes durch dieselbe Melodie getragen wird, sang das ganze hier versammelte Kaiserhaus und alle anwesenden Gläubigen die Kaiserhymne in voller Innigkeit zum Orgelspiel mit, die Degen waren nach oben gezückt, die Fahnen zum Letzten Gruß erhoben. Draußen auf dem Kirchenvorplatz fand das letzte Abschieds-Zeremoniell statt, die Orden Seiner Hoheit wurden von Enkelkindern getragen, es folgten Gebete durch Bischof Dr. Konrad Zdarsa, Salven und Böller verschiedener Formationen, Schlusschoräle gespielt durch die heimische Musikkapelle. Der Sarg von Otto von Habsburg wurde in den bereitstehenden Wagen gehoben, eine große würdige Feier war zu Ende. Über allem lag aber eine gelöste, österliche Stimmung. Einem großen Thronfolger, einem großen Politiker, einem großen Europäer, einem großen, katholischen Christen konnten die Gläubigen allein durch ihr Dasein ihre Zuneigung erweisen.

Am 10. März 2010, in einem der zahlreichen Briefe, schrieb mir Dr. Otto von Habsburg Folgendes: „Euer Hochwürden, lieber Pater Notker, von ganzem Herzen danke ich Ihnen für Ihr tief empfundenes Mitgefühl, für Ihre tröstlichen Worte und für Ihre Gebete. Danke auch dafür, dass Sie eine Heilige Messe für Regina lesen ließen. Das Zeichen Ihrer Anteilnahme und Treue zeigt mir und meiner Familie, wie viele Freunde in den Zeiten größter Trauer zu uns stehen. Unser Glaube und das Gebet werden uns helfen, diesen schweren Verlust gemeinsam zu tragen…“

Und schließen will ich diese meine Kondolenz-Unterschrift mit einem Brief Seiner Hoheit v. Januar 2008: „Ihre freundlichen Worte zu meinem 95. Geburtstag haben mich aufrichtig gefreut, da sie mir zeigen, dass wir auf einer Wellenlänge sind. Danke auch sehr für die Festschrift zur Einweihung der Kapelle ,Maria Mutter Europas auf dem Gnadenweiler‘. Gerade in einem so hohen Alter, wie dasjenige, das ich erlebe, schätzt man besonders das Gefühl der Gemeinschaft, das man in den Fährnissen eines langen Lebens erfahren durfte. Das gilt nicht nur für Personen, sondern auch für Nationen, die viel gelitten haben – nicht zuletzt jene, die nunmehr der Europäischen Union angehören, wie Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Es gilt aber auch für jene Staaten und Nationen, denen das Recht auf Europa noch immer vorenthalten wird, wie Kroatien, Mazedonien, den Kosovo oder die Ukraine. Wir dürfen nicht vergessen: Paneuropa ist ganz Europa! Ich kann auf diese Zeichen der Freundschaft nur damit antworten, dass ich versichere: Sie können auf mich und nicht zuletzt auf die Meinen zählen, solange uns Gott Leben und Kraft gibt, denn es gilt: Treue um Treue!“

Warum überhaupt moralisch sein?

Es wird immer schwieriger, Probleme wie Abort oder Euthanasie zu erörtern. Übergeordnete Werte-Prinzipien, die allgemeine Gültigkeit besitzen, werden nicht mehr anerkannt. Deshalb wünschte man sich in philosophischen Diskussionen und in politischen Entscheidungsprozessen mehr philosophisch-ethische Argumentation. Der moralische Relativismus, dem wir heute begegnen, stellt jede ethische Auseinandersetzung in Frage. Und er führt schließlich zu der verblüffend einfachen Frage, warum wir überhaupt moralisch sein sollen.

Prof. Dr. Horst Seidl stellt den Versuch eines ethischen Skeptikers unserer Tage vor, der behauptet, es gebe keine Grundlage dafür, vom Menschen in dieser Frage eine Entscheidung und die Erfüllung des sittlich Guten zu verlangen. Seidl setzt sich mit diesem Versuch auseinander, indem er die traditionelle Ethik wieder aufnimmt, welche an die Vernunft des Menschen appelliert; denn es ist immer die Vernunft, welche ethische Fragen aufwirft. Es lässt sich aber zeigen, dass die ethischen Prinzipien, aus denen sittlich gutes Handeln begründet werden muss, nicht selbst wieder begründet werden können. Vielmehr wird sich die Vernunft im Gewissen vom Guten in ihr selbst und in ihrer Lebensführung bewusst.

Von Horst Seidl, Rom

Bereits 1998 hielt Theodore M. Drange einen Vortrag unter dem Titel: Why Be Moral? Dieser findet sich seitdem im Internet und hat, soweit ich sehe, keine kritische Stellungnahme gefunden. Im Folgenden möchte ich mich mit seiner Feststellung, dass Moral keinen absoluten Wert darstelle, kritisch auseinandersetzen.

I. Zur Frage, warum wir überhaupt moralisch sein sollen

Zunächst gebe ich die Argumente des Autors wieder, um sie dann zu erörtern. Er beginnt mit der Feststellung, dass man die Frage, warum wir moralisch sein sollen, nur mit der ebenso grundsätzlichen Frage behandeln kann, was überhaupt Moralisch-Sein bedeutet. Er hält die Frage für nicht eindeutig beantwortbar und bietet sechs Definitionen des Moralisch-Seins an: (1) das Befolgen moralischer Regeln, die von anderen auferlegt werden, oder (2) das Befolgen von moralischen Regeln Gottes, oder (3) das Befolgen von moralischen Regeln, die für jeden seine eigenen sind, oder (4) für mich, den Sprecher, meine eigenen Regeln sind, oder (5) das Befolgen von absolut richtigen Regeln, oder (6) die (selbstlose, altruistische) Liebe zu den anderen.

Der Autor geht dann die sechs Definitionen der Moral durch, um zu prüfen, welche von ihnen mehr oder weniger geeignet oder ungeeignet ist, die Frage zu beantworten, warum wir moralisch sein sollen. Nach der 1. Definition ist die Moral eine expediency, ein nützliches Sich-Anpassen an die Regeln anderer, um in Frieden und glücklich leben zu können. Es erheben sich aber zwei Einwände: Eine solche Moral ist eher eine solche der tiefer gestellten Menschen zu den höher gestellten, die an der Macht sind und nicht nötig haben, sich an die anderen anzupassen. Ferner wird die Moral höher geschätzt als die bloße Nützlichkeit. Die 2. Definition der Moral ist eine religiöse, aus den Regeln oder Geboten Gottes, und als solche problematisch, weil in unserer Zeit in Frage steht, was Gott ist, wenn er existiert, und wenn ja, ob und warum er Gebote vorschreibt, und welche. Die Berufung auf die Bibel geht heute nicht mehr, da sie voller Widersprüche und faktischer Irrtümer ist. Ein Beispiel: Einerseits gibt Gott das Gebot, nicht zu töten, ordnet aber den Israeliten an, die Nachbarstämme, die anderen Religionen angehören, zu töten. Die Bergpredigt Jesu enthält unmögliche Forderungen, z. B. sich nicht gewalttätigen, bösen Menschen zu widersetzen und anderen alles zu geben, wonach sie fragen. Hiernach könnten wir nicht fortbestehen. Die Aussicht, in den Himmel zu kommen, besteht nur für Auserwählte, und führt wieder zu einer Moral der expediency, der Nützlichkeit. Schließlich würde aus der Existenz Gottes noch nicht folgen, dass er auch der Schöpfer der Menschen sei. Sie könnten ebenso durch Evolution aus den Primaten herstammen. Die 3. Definition, welche die Moral der handelnden Subjekte auf die je eigenen moralischen Regeln zurückführt, würde die Moral völlig relativieren, während sie doch von vielen als etwas Absolutes angesehen wird. Doch als absolute wäre die Moral wiederum etwas im konkreten Leben nicht Realisierbares, so dass Fälle aufträten, wo der Handelnde etwas, das ihm als unmoralisch bewusst ist, dennoch tun muss. Dann gälte für ihn eher: nicht moralisch sein zu sollen (one ought not to be moral). Nach der 4. Definition würde ich als Handelnder erwarten, dass die anderen „meine Regeln“ befolgen, die ich als durchaus subjektiv-relativ verstehe, wobei ich nicht ausschließen darf, dass die anderen gewisse Regeln haben könnten, die ebenso annehmbar wären wie die meinen. Aber wie kann ich dann noch erwarten, dass die anderen meinen Regeln folgen? Und wenn ich die meinen für die besseren halte, so fragt sich: nach welchen Kriterien? Der Anspruch der 5. Definition auf „absolute moralische Regeln“ lässt sich nicht begründen. Auch stellt die Eingangsfrage, warum wir moralisch sein sollen, gerade die Absolutheit der Moralität in Frage; denn sie spricht von Moral als etwas Diskussionswürdigem, nicht Absolutem. Die 6. Definition bestimmt die Moral nicht mehr als ein Befolgen von Regeln, sondern als selbstlose Liebe zum andern. Doch ist sie der Kritik des emotional voluntarism ausgesetzt, woran man keinen rationalen Maßstab anlegen kann; denn die Emotionen gehören dem Gefühlsbereich an, nicht dem Verstandesbereich, während die Eingangsfrage die Moral zu etwas rational Diskutierbarem macht. Dem müsste die Definition der Moral entsprechen.

Am Ende seiner Erörterung entlässt der Autor den Leser ohne Antwort auf die Eingangsfrage, wobei er an der Voraussetzung festhält, dass die Moral kein absoluter Wert ist; denn Moralität ist nur ein Gesichtspunkt an verschiedenen Werten und daher „letztlich relativ und subjektiv“. Mit den Atheisten hält er die Frage, warum wir moralisch sein sollen, für bedeutungslos, weil die Moral etwas Relatives sei, während sich die Frage nur stellte, wenn sie absolut gesetzt würde.

II. Stellungnahme

Um zu zeigen, dass das Moralisch-Sein nichts Relatives sondern etwas Absolutes für den Menschen ist, kommt alles auf den rechten Begriff der Moral an, der beim Autor verfehlt wird. Seine Definitionen von Moral haben den entscheidenden Mangel, dass sie diese nicht auf das Gute beziehen; denn wenn nach dem Moralisch-Sein gefragt wird, geht es um das moralische Gut-Sein, welches das Mensch-Sein qualifiziert und ebenso wenig in Frage gestellt werden kann wie das Mensch-Sein selbst. Dranges Definitionen beziehen sich nur auf Regeln, die dem Menschen von außen auferlegt werden oder die er sich selbst auferlegt, während das Gute, das im Sein des Menschen liegt und in seiner rationalen Wesensnatur gründet, ihm innerlich zu eigen ist. Es ist klar, dass es nur eine einzige Definition des moralischen Guten geben kann, wie sie schon die aristotelisch-thomistische Tradition gegeben hat: wonach es die beste Tätigkeit der rationalen Seele in ihrer besten Tugend ist. Die äußerlich auferlegte Regel der expediency, der nützlichen Anpassung, welcher der Autor den Vorrang einräumt, ist keineswegs befriedigend. Dagegen achtet er die Zehn Gebote für gering, da er sie nicht in ihrem inneren Bezug zum Leben des Menschen und seiner Vollendung sieht. Ebenso bleibe Gott eine äußerliche Hypothese, die theistisch angenommen oder atheistisch abgelehnt werden könne, ohne dass sich dies auf das Moralisch-Sein des Menschen auswirke.

Die harte Kritik an der Bibel ergibt sich aus dem atheistischen Standpunkt des Autors, der mit völligem Unverständnis an die Hl. Schrift herangeht und daher nicht ihren religiösen Sinn aus göttlicher Offenbarung erfasst. Zudem sagt er auch sachlich Falsches: Gott hat nicht den Israeliten geboten, die heidnischen Völkerstämme in Palästina zu töten, sondern dass sie um Durchzug durch ihre Gebiete bäten, aber im Falle des Widerstandes um den Durchzug kämpften. In der Bergpredigt hat Jesus den Jüngern nicht befohlen, den Bittenden alles zu geben, auch den Rock am eigenen Leib, sondern von zwei Röcken einen den Bittenden zu geben, das heißt vom eigenen Überfluss anderen abzugeben. Freilich sind manche Forderungen hoch, wie die Feindesliebe, wo göttliche Gnade möglich macht, was menschlich gesehen unmöglich erscheint. Ein Atheist kann dies nur schwerlich nachvollziehen.

Was das Liebesgebot betrifft, das von der 6. Definition angesprochen wird, so betrifft es nicht nur das subjektive Gefühl, das freilich als solches keine sittliche Norm begründen könnte, sondern ebenso auch den Verstand, der das alleinige Subjekt moralischen Handelns ist. Wohl aber soll die Moral wiederum nicht nur Verstandessache sein. Vielmehr soll in ihr der ganze Mensch mit Leib und Seele beteiligt sein – und seine Seele mit den rationalen und den irrationalen Kräften.

Der Relativierung der Moral mit der Ablehnung, in ihr etwas Absolutes anzuerkennen, liegt meines Erachtens eine skeptische Auffassung zugrunde, wonach es überhaupt nichts Absolutes geben müsse. Indes, ohne primäre Voraussetzungen im moralischen Bereich, die als unentbehrliche notwendig vorgegeben sein müssen, könnte unser Verstand keine moralischen Fragen stellen. Wir finden uns aber als Menschen vor, mit unserem Handeln nach Zwecken und mit dem Bewusstsein von Gut und Böse, dessen sich der Verstand bewusst ist; denn er ist sich auch selbst gegeben und weiß von seiner Vorrangstellung im Menschen, über der Triebnatur und dem Leib, sowie von dem Guten, das in diesem seinen Vorrang liegt. Es kann durch die Tugenden verstärkt und durch die Laster geschwächt und verdorben werden. Daher gibt es, nach traditioneller Lehre, nur eine einzige moralische Grundregel als innere Norm, das sog. natürliche Sittengesetz, für jeden Menschen, nämlich das Gute zu tun und das Böse zu meiden, wobei das Gute in jenen Tugend-Haltungen der Seele liegt, die der rationalen Natur des Menschen entsprechen, mit dem Vorrang des Verstandes über Trieb und Leib.[1]

III. Nietzsches Auffassung von Moral

Die Auffassung von der Moral als etwas Zweifelhaftem hat Friedrich Nietzsche konsequent vertreten, auf den ich daher hier noch eingehen muss. Er bekämpft leidenschaftlich die traditionelle Tugendethik im Namen seiner eigenen Triebethik. Zugrunde liegt ein irrationaler Vitalismus, wonach die Welt der Menschen von einem blinden Machttrieb durchzogen ist, der jeder Verstandesherrschaft und rationalen Ordnung Hohn lacht. Er verkündet eine Umkehrung aller Werte. Was traditionell als Wert und Ordnung galt, wird nun als Schein, Heuchelei und Unwert erklärt.[2] Anstatt der Werte des Wahren, Wahrhaftigen, Selbstlosen gilt nun, dass „dem Schein, dem Willen zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein für alles Leben höherer und grundsätzlicherer Wert zugeschrieben werden müsste“. Ja mehr noch, der Wille hierzu liegt in jenem Streben zu den guten und verehrten Dingen selbst verborgen (Nr. 2). Falsche Urteile, Fälschungen, Fiktionen der Wirklichkeit sind lebensnotwendig. Den gewohnten Wertgefühlen Widerstand leisten bedeutet ein „Wagnis“, das uns „jenseits von Gut und Böse“ stellt (Nr. 4). Der falschen Tapferkeit, mit der die herkömmliche Moral sich verteidigt, tritt nun die „Tapferkeit des Gewissens“ gegenüber, die jene Moral als Heuchelei entlarvt. In Nietzsches Moral des starken Machttriebes erhält dieser nun die positiven Attribute der Tugenden und des Gewissens. Es ist für Nietzsche ein „moralisches Vorurteil, dass Wahrheit mehr wert ist als Schein“. Es gibt keinen „Gegensatz von ,wahr‘ und ,falsch‘“ sondern nur „Stufen der Scheinbarkeit“ (ebd.). „Höchste Einsichten“ müssen „wie Torheiten, Verbrechen klingen“.

Hierzu möchte ich abschließend feststellen: Freilich gibt es moralischen Schein, Heuchelei, Verlogenheit (zu allen Zeiten, auch zur Zeit von Nietzsche, Ibsen u.a.; man denke an des letzteren Kritik an der korrupten bürgerlichen Moral). Aber es macht einen großen Unterschied, ob die Kritik zu einer wahren, gereinigten Vernunft-Moral zurückfinden oder, wie bei Nietzsche, zu einem Umsturz dieser Moral überhaupt hinführen will.

Bei dieser Konfrontation zwischen der traditionellen Tugendethik und Nietzsches Triebethik kommt nun alles auf das Kriterium an, um zu entscheiden, welche Form wahr und welche falsch ist. Dieses Kriterium kann aber nur in der Vernunft selbst liegen; denn sie ist es, welche die Konfrontation vollzieht und über die wahre Moral eine Entscheidung sucht. Auch Nietzsche kann den Umsturz der bisherigen Moral nur im Namen der Vernunft vollziehen. Es zeigt sich indes, dass er versucht, im Namen der Vernunft die Vernunft zu verabschieden. Gegen einen solchen Versuch wird sich jedoch die Vernunft immer wehren; denn es geht hier um ihr eigenes Sein oder Nichtsein. Sie kann also nur eine Moral, Gnoseologie und Anthropologie akzeptieren, in der ihr eigenes Sein, Erkennen und moralisches Wollen von Sinnlichkeit und Trieb wesentlich verschieden sind, sowie das Gute und Wahre mit dem Sein und Tätigsein der Vernunft selbst verbunden sind.

Das den Trieben preisgegebene Leben vergleicht Nietzsche mit einer Schifffahrt, die zu stranden droht: „Ist man einmal mit dem Schiffe hierhin verschlagen, nun! wohlan! jetzt tüchtig die Zähne zusammengebissen! die Augen aufgemacht! die Hand fest am Steuer! – wir fahren geradewegs über die Moral weg, wir erdrücken, wir zermalmen vielleicht dabei unsern eigenen Rest Moralität, indem wir dorthin unsre Fahrt machen und wagen – aber was liegt an uns!“ (Nr. 23). In Wirklichkeit jedoch müsste der Ethik sehr viel an uns liegen und an einem sich vollendenden, glücklichen Leben.


[1] Über die Grundlage der aristotelisch-thomistischen Ethik in der rationalen Natur des Menschen handelt meine Darstellung: Sittengesetz und Freiheit, Weilheim.
[2] Siehe: Jenseits von Gut und Böse, 1886, 1894 (3. Aufl.), Erstes Hauptstück: Von den Vorurteilen der Philosophen. Im Folg. wird aus diesem zitiert.

Sel. Alojs Andritzki

Am Pfingstmontag, den 13. Juni 2011, wurde Kaplan Alojs Andritzki (2.7.1914 – 3.2.1943) in Dresden seliggesprochen. Bei herrlichem Wetter verlas Angelo Kardinal Amato im Auftrag des Papstes auf dem Dresdner Schlossplatz vor mehr als 11.000 Gläubigen das Apostolische Schreiben. Einschließlich der beiden Kardinäle feierten das farbenprächtige Glaubensfest 15 Bischöfe, hunderte Priester und Ordensleute sowie mehr als 300 Ministranten mit. Auch hochrangige Vertreter aus Politik, Kultur und Gesellschaft nahmen an der Seligsprechungsfeier teil, darunter Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der beim Gottesdienst eine Fürbitte in sorbischer Sprache vortrug und in seiner Ansprache betonte:

„Bis in den Tod hinein war ihm sein fester Glaube ein Fels. Noch in der Haft setzte er sich selbstlos für Mithäftlinge ein. Sachsen und die Sorben können stolz darauf sein, dass das seltene Ereignis einer Seligsprechung 2011 in Dresden stattfindet und einem sorbischen Kaplan aus Radibor gilt, der im Konzentrationslager Dachau als Märtyrer gestorben ist.“ Nachfolgend die Predigt von Bischof Joachim Reinelt in gekürzter Form.

Von Bischof Joachim Reinelt

Samenkorn für eine erneuerte Kirche

Zu allen Zeiten der Geschichte unserer Kirche waren die Märtyrer Signale des Neubeginns. Der selige Alojs Andritzki wollte in heiliger Begeisterung Sämann des Wortes Gottes sein für die ganze Welt und für eine erneuerte Kirche. Aber er verstand im Polizeigefängnis von Dresden sehr bald, dass ihn Jesus Christus zum Samenkorn bestimmt hatte. Die Kirche der Märtyrer ist immer eine Kirche der Aussaat. Nach dem Winter der menschenverachtenden Ideologien mit Millionen Opfern ist es heute an der Zeit, dass wir den eingebrachten Samen endlich kommen lassen. Das will Gott. Die Kirche der Märtyrer trägt immer Frucht, weil Blutzeugen des Glaubens nicht für eine Idee  sterben, sondern für Christus, der als Erster  Samenkorn für die ganz neue Ernte ist. Leben verlieren, um Leben zu gewinnen. Alojs beschrieb es so: „In den Staub gebeugt und doch voller Leben.“ Das ist Größe, Größe Gottes in einem jungen Priester.

Er hat in der Hölle des KZs gesiegt

Die Hölle der KZs und der Gulags hatte einen teuflischen Hintergrund. Die Mächtigen glaubten nicht, dass sie sich für ihre Grausamkeiten vor Gott zu verantworten haben. Sie hassten die Kirche. Nach der Parole Rosenbergs, „die christlich-jüdische Pest wird zugrunde gehen“, ermordeten die Nazis 4000 katholische Priester. Besonders das KZ Dachau war für 2700 katholische Priester ein für uns unvorstellbarer Ort der Quälereien, der brutalen Erniedrigung und der Rechtlosigkeit. Über 1034 dieser Priester kamen dort ums Leben.

Wie konnte Alojs mit seinen 28 Jahren diese härteste Zeit seines Lebens so gefasst und vorbildlich bewältigen, dass einer seiner Mitbrüder ihn als den Besten im Priesterblock bezeichnete? Woher hatte er die Kraft, noch bei der schlimmsten Drecksarbeit ein helles Gesicht zu zeigen? Dort, wo der Mensch instinktiv zuerst ans Überleben denkt, hat er versucht, andere froh zu machen und zu trösten. Woher kam ihm die Kraft? In einem seiner beeindruckenden Briefe erschließt sich uns die Quelle, aus der er schöpfte: „Wenn der Herr scheinbar sein Antlitz von uns gewendet hat und wir gleichsam zu Boden gedrückt sind, lassen wir uns nicht beirren in der Liebe unseres himmlischen Vaters.“ Unbeirrt an die Liebe des himmlischen Vaters in dieser Situation glauben, das befähigt zum Martyrium. Allein so kann man in der Hölle siegen. Die menschlichen Kräfte allein wären völlig überfordert.

In ihm zeigt uns Gott das Antlitz seiner Liebe

Die Liebe Gottes hört nie auf, auch nicht im KZ. Wer das glaubt, bleibt stark. Stark bis in den Tod. Es ist der SS nicht gelungen, diesen jungen Sorben klein zu kriegen. Im Gegenteil ermutigte er schwer leidende Mitbrüder mit seiner sympathischen Freundlichkeit, Humor, Akrobatik und jugendlichen Frische. Er lebte, wie es schon Isaak der Syrer in Worte fasste: „Lass dich verfolgen, aber verfolge du nicht. Lass dich kreuzigen, aber kreuzige du nicht. Lass dich beschimpfen, aber beschimpfe du nicht.“ Wahrlich bewundernswert. Der Hl. Geist hat ihm Talente und Gnadengaben geschenkt, für die wir den Vater aller Menschen preisen. Seligsprechung ist unser Deo gratias, Dank sei Gott.

Im seligen Alojs zeigt uns Gott sein Antlitz, das Antlitz der Liebe. Dieser erste Sachse, der zur Ehre der Altäre erhoben wurde, lässt uns erkennen, welche Größe Christus den Menschen zugeordnet hat. Dieser erste Sorbe, der nun seliggesprochen ist, zeigt uns, welche Glaubenskraft aus einer lebendigen Gemeinde und einer für Gottes Liebe bereiten Familie erwachsen kann. „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13). Märtyrer können eben nein sagen zu faulen Kompromissen und mit Leidenschaft ja sagen zu den Konsequenzen des Evangeliums. Wir brauchen heute diese Vorbilder, die über das Mittelmaß hinausreichen. …

Die Welt benötigt Menschen mit Herz und Wärme

Um der Wahrheit willen, die die Feinde der Kirche nicht ertrugen, kam der selige Alojs in Haft und schrieb von dort: „…mir ist Gelegenheit geboten, diesen Weg der Heiligkeit zu gehen. Ich will ihn gehen so froh und freudig, als es mir nur möglich ist, denn es gilt ja, mit Gott eins zu werden.“ So verwirklichte sich in ihm das Gebet Jesu: „Heilige sie in der Wahrheit“  (Joh 17,17). …

Heilige werden dringend benötigt. Sie können bewirken, dass unsere Gesellschaft nicht bedrängt vom Sinnlosigkeitsgefühl auseinander fällt. Wenn die einende Kraft der Märtyrer sogar im KZ den Zusammenhalt und die Freundschaft der Leidensgefährten ermöglicht hat, müsste dieser Dienst der Einheit durch Glauben doch erst recht in der freiheitlichen Gesellschaft gelingen. Die Welt von heute benötigt dringend Menschen mit Herz und Wärme. Kontaktstellen für Verbundenheit: Menschen, die andere wieder zusammen führen, Orte der tiefen, persönlichen Begegnung. Treffpunkte Gottes und der Menschen. …

Helfer und Fürsprecher beim Herrn

Mir erscheint das Bild von Alojs wie eine Herausforderung: Nun fangt doch an, will er uns sagen.  Es ist die Zeit, die Anker zu lichten und hinauszufahren ohne Furcht und auch gegen den Strom der Zeit. Diese Kathedrale erinnert uns an die Kirche als Schiff gegen den Strom. Wenn es schwer wird, gegen die Strömung anzukommen, können wir doch künftig damit rechnen, dass der selige Alojs rudern hilft. Wir dürfen ihn als Fürbitter vor das Boot Dresden-Meißen spannen. Er selbst zählte jedenfalls sehr auf die Fürbitter beim himmlischen Vater. Als sein Bruder im Krieg gefallen war und in Dachau sein Dresdner Mitbruder Diözesanjugendseelsorger Bernhard Wensch gestorben war, schrieb er voll Vertrauen: „Wie herrlich leben jetzt der liebe Bruder Alfons, wie freut sich jetzt Bernhard, der tapfer und schweigend ertragen hat – Vorbild für unsere Jugend –, dass er den guten Kampf durchkämpfte und jetzt schon die Krone der ewigen Herrlichkeit tragen darf. Alfons, Bernhard und all die anderen, die beim Herrn sind, sind unsere Helfer und Fürsprecher. Darum werden auch unsere Mütter allen Schmerz im Glauben an den Herrn überwinden“. … Guter Gott, du hast uns mit dem seligen Alojs ein großes Geschenk gemacht. Wir preisen dich und danken dir.

Die vier Lübecker Märtyrer

Die Seligsprechungsfeier am Samstag, 25. Juni 2011, in Lübeck hatte durch und durch ökumenischen Charakter. Insgesamt nahmen rund 8.000 Menschen teil, unter ihnen über 20 kath. und evang. Bischöfe. Das Pontifikalamt vor der Propsteikirche Herz Jesu wurde auch in den benachbarten evangelischen Dom und auf eine nahe gelegene Freilichtbühne übertragen. Walter Kardinal Kasper ging in seiner Festpredigt auf das leuchtende Zeugnis der drei katholischen Kapläne und des evangelischen Pastors für die Ökumene ein. Der evangelische Bischof Gerhard Ulrich sprach von einem „aufrüttelnden Ruf nach vorwärts“ und Ministerpräsident Peter Harry Carstensen nannte die Seligsprechung ein „historisches Ereignis für Schleswig-Holstein“. Wir dokumentieren wichtige Aussagen des Kardinals in seiner Predigt.

Von Walter Kardinal Kasper

Die Abschiedsbriefe der vier Männer

Die Stunde ist da!“ so beginnen die Abschiedsworte Jesu vor seinem Sterben. Ähnlich beginnen die Abschiedsbriefe der vier Männer, deren wir heute mit großem Respekt und Verehrung gedenken: der Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange sowie des evangelischen Pastors Karl Friedrich Stellbrink. Für sie war die Stunde am 10. November 1943 gekommen. Nach langen, unsicheren, quälenden Wochen und Monaten des Wartens wurden sie gegen Abend dieses Tages zur Guillotine geführt und innerhalb von nur 30 Minuten nacheinander enthauptet.

Doch in ihren Abschiedsbriefen steht nichts von Angst, nichts von Panik, nichts von Depression. Im Gegenteil! „Heute Abend ist es soweit, dass ich sterben darf … Seid nicht traurig! Was mich erwartet, ist Freude und Glück.“ „Heute darf ich sterben.“ „Heute darf ich nach Hause“, schreibt Johannes Prassek. Nicht anders Eduard Müller: „Jetzt ist es soweit! In wenigen Stunden habe ich meinen Lebensweg vollendet.“ Karl Friedrich Stellbrink schreibt an seine Frau Hildegard: „Nun hat alles Warten ein Ende, der Weg liegt endlich wieder klar vor mir, und das Ziel ist uns Christen ja bekannt. Wahrlich, es ist nicht schwer, zu sterben und sich in Gottes Hand zu geben.“ Am deutlichsten ist der Jüngste unter ihnen, Vikar Hermann Lange, erst 31 Jahre alt – in einem Alter, in dem man normaler Weise nicht ans Sterben denkt und sich noch weniger aufs Sterben freut. Doch er zitiert aus dem Brief des Apostels Paulus, den wir soeben gehört haben: „Freut euch, nochmals sage ich euch, freut euch! … Heute kommt die größte Stunde meines Lebens.“

Wir fragen: Wie ist so etwas möglich, im Angesicht der Hinrichtung so zu schreiben? Es gibt nur eine Antwort. Für diese Männer war wirklich, was Jesus in seinem Abschiedsgebet sagte. Wie Jesus wussten sie sich eins mit Gott; sie wussten sich im Leben und im Sterben von Gott gehalten. Sie wussten: Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, weder Leben noch Tod. Diese vier Männer sagen uns, was es heißt, ein Christ zu sein: Stehen, wo Jesus Christus steht, mit ihm leben und mit ihm sterben. So wie Jesus vor dem ungerechten zynischen Richter Pilatus stand, der ihn ans Kreuz schickte, so standen diese vier Männer vor dem Volksgerichthof, wo sie nach dem Willen Hitlers zum Tod verurteilt wurden.

Jesus hat die Seligsprechung längst vollzogen

So sind nicht wir es, die sie selig sprechen. Jesus selbst hat sie selig gesprochen. In der Bergpredigt preist Jesus alle selig, die um seines Namens willen beschimpft, verfolgt und verleumdet werden (Mt 5,11). Die Seligsprechung, die wir hier vollziehen, proklamiert nur öffentlich die Seligsprechung, die Jesus längst vollzogen hat. Mit dieser unserer Seligsprechung anerkennen wir, dass Jesu Wort wahr und verlässlich ist, dass gilt, was er sagte, so dass er sie zu sich in seine himmlische Seligkeit aufgenommen hat. …

Schon die Märtyrer-Kirche der ersten Jahrhunderte wusste: „Das Blut der Märtyrer ist der Same neuer Christen.“ Ihr Zeugnis ist nicht umsonst und ihr Tod geht nicht ins Leere und ins Nichts. Aber es sind nicht die scheinklugen Kompromissler, es sind die mutigen Zeugen, welche für die Zukunft des Christentums und für den Aufbau einer christlich-humanen Kultur in unserem Land stehen. Diese Hoffnung dürfen wir auch auf die ökumenische Situation anwenden.

Ökumene der Märtyrer

Was in der Begegnung von Johannes Prassek und Karl Friedrich Stellbrink geschehen ist, war damals etwas völlig Neues. Diese beiden Männer haben es gewagt, als erste hier in Lübeck einen Schritt über die damals engen Konfessionsgrenzen und die hohen Konfessionsmauern zu tun. Damit haben sie den Grund für das gelegt, was wir heute Ökumene nennen. Sie haben den Auftrag Christi ernst genommen „dass alle eins seien“ (Joh 17,21). Am Ende floss ihr Blut ineinander. Dieses Blut der Märtyrer ist zum Samenkorn der Ökumene geworden, es ist in der Erde gefallen und hat reiche Frucht gebracht (vgl. Joh 12,24). Unsere Ökumene ist aufgebaut auf der Ökumene der Märtyrer. Sie ist darum keine Wischewasche-Ökumene. Wir brauchen ökumenisch gesinnte Christen, die ihre jeweilige katholische, evangelische oder orthodoxe Identität haben und davon Zeugnis geben; nur als solche können sie ernsthafte Schritte aufeinander hin tun. Solche Ökumene ist kein Selbstzweck. Jesus betete, dass alle eins seien, damit die Welt glaube. Die Spaltung macht uns unglaubwürdig. Sie widerspricht dem Willen Jesu und sie ist angesichts der Welt und der großen Herausforderungen, vor denen wir Christen gemeinsam stehen, ein Skandal. Ökumene muss eine Baustelle sein für die gemeinsame Zukunft in der einen Kirche für das Leben, den Frieden und die Gerechtigkeit in der einen Welt.

 

Evangelisches Wort zur Seligsprechung

Zwei Auszüge aus dem Geistlichen Wort von Bischof Gerhard Ulrich bei der Feier zur Seligsprechung in Lübeck am 25. Juni:

Von Jesus selbst selig Gesprochene

Jesus Christus selbst spricht selig die Menschen, die Verfolgung erleiden, weil sie für Gott und seine gerechte Sache einstehen und kämpfen. Die vier Lübecker Märtyrer sind für mich von Jesus selbst selig Gesprochene: Sie haben in einer Zeit, in der eine mörderische „Wahrheit“ verordnet wurde von den nationalsozialistischen Machthabern, mit Wort und Tat bezeugt die christliche Wahrheit von der Liebe Gottes zu allen Menschen! Sie waren auf ihre je eigene Weise Gotteskämpfer – Kämpfer und Zeugen in Wort und Tat für Gottes allumfassende Liebe und Gerechtigkeit. So etwas konnten die nationalsozialistischen Schergen nicht ertragen – und sie wurden so auch zu Mördern von Hermann Lange, Eduard Müller, Johannes Prassek und Karl Friedrich Stellbrink. Als Todesursache wurde nach der Hinrichtung am 10. November 1943 amtlich festgestellt: „Trennung des Halswirbels“. Eine infame Verschleierung des Verbrechens, die für mich deutlich erkennen lässt: Die Mörder wussten, was sie taten!

Geschenk und Verpflichtung für die weltumspannende Ökumene

Von Karl Friedrich Stellbrink, der über lange Jahre ein glühender Verehrer des „Führers“ Adolf Hitler war, wissen wir, wie erschüttert und verzweifelt er war, als er 1942 in die Vorwerker Friedhofskapelle kam und dort die große Figur des gekreuzigten Christus vorfand – verhängt mit einem schwarzen Mantel. Unmittelbar zuvor war dort die Trauerfeier für eine lokale Nazigröße abgehalten worden – und dabei hatte zu gelten: Juden unerwünscht! Und: Christus unerwünscht! – Da war für Stellbrink wohl zu ahnen, wohin führen wird der Nazi-Wahn.

Wie anders wurde dann die Erfahrung der vier miteinander in der Ökumene der Märtyrer: Je näher wir zu Christus kommen, desto näher kommen wir zueinander! Ich danke allen Christinnen und Christen in Lübeck und weit darüber hinaus, dass sie über Jahrzehnte die ehrende Erinnerung an die vier Lübecker Geistlichen wach gehalten haben. So ist ein Erbe auf uns gekommen, das uns mit großem Dank erfüllt und zugleich eine bleibende Verpflichtung ist. Mit dem ehrenden Gedenken und der Seligsprechungsfeier heute wird eindrücklich klar gemacht, dass die vier Lübecker Märtyrer nicht nur Lübeck gehören. Sondern sie sind Jesu Brüder in der weltumspannenden Ökumene, in der einen Gemeinschaft der Heiligen.

Matthias Erzberger – vor 90 Jahren ermordet

Vor 90 Jahren, am 26. August 1921, wurde der katholische Reichstagsabgeordnete und Reichsfinanzminister Matthias Erzberger ermordet. P. Notker Hiegl OSB zeichnet mit „großer Ehrerbietung“ ein Lebensbild dieses oberschwäbischen Politikers aus Biberach. Erzberger war ein tiefgläubiger Katholik, der immer nach seinen hohen Idealen und seiner ehrlichen Überzeugung handelte. Hiegl nennt ihn einen Finanzreformer und Wegbereiter der Demokratie nach dem Sturz des preußischen Kaiserreichs. Gleichzeitig widmet P. Notker seinen Beitrag der Tochter Erzbergers sowie der tiefen Beziehung, die zwischen den beiden bestand. Maria Edeltraud war zwei Jahre vor dem Attentat auf ihren Vater in den Karmel von Echt eingetreten und bereits mit 34 Jahren heiligmäßig gestorben.

Von P. Notker Hiegl OSB

In der dritten großen Kehre der Serpentine von Bad Peterstal hinauf nach Freudenstadt im Schwarzwald steht ein gewaltig-kantiger Natur-Gedenkstein. Auf dem Weg zur Erholung bei den Vinzentinerinnen in Bad Peterstal kam ich des Öfteren an diesem markanten Stein kurz hinter Griesbach vorbei. Es handelt sich um ein Denkmal für den früheren Reichsfinanzminister Matthias Erzberger, der am 26. August 1921 an dieser Stelle ermordetet worden ist. Und jedes Mal hielt ich in der für den LKW-Verkehr großzügig ausgebauten Schleife an und legte dem großen katholischen Politiker einen frisch gebündelten Schwarzwald-Blumenstrauß an das Gitter, welches den Ehrenplatz umsäumt. Meine Verehrung für ihn wuchs noch stärker, als ich seine Verbindung zu unserem Benediktinerkloster Beuron eruierte. Außerdem fand ich in einem Buch aus unserer Klosterbibliothek (von Sr. Theresia Renata de Spiritu Sancto, Köln, 1953) Informationen über den Klostereintritt seiner Tochter Maria Edeltraud Erzberger als Schwester Maria Gertrudis Theresia von der hl. Agnes bei den Karmelitinnen im holländischen Kloster Echt. In denselben Karmel war später auch Edith Stein übergesiedelt, als ihr der Aufenthalt in Köln durch die Nazis verunmöglicht wurde.

Das Attentat auf Matthias Erzberger

Hier also, mitten im Wald, wurde Matthias Erzberger am 26. August 1921 beim Kirchgang mit seinem Politiker-Freund Dietz aus Radolfzell, der ihn bei den Kreuz-Schwestern in Griesbach besuchte, meuchlings ermordet. Von acht Kugeln (andere Quellen sprechen von zwölf) getroffen sank er auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft im Alter von erst 45 Jahren danieder. Furchtbar war die Saat der Lüge und der Verleumdung, der Verachtung und des rechtsnationalen Hasses in der jungen Weimarer Republik gegen den unbequemen Zentrumspolitiker aufgegangen. Im Jahr 1920 war er gegen seinen Erzfeind Karl Helfferich, der ihn permanent diffamierte, vor Gericht gezogen. Zwar wurde Helfferich zu einer Geldbuße verurteilt, doch der ebenfalls nationalistisch gesinnte Richter nutzte die Gelegenheit für eine Abrechnung mit Erzberger in aller Öffentlichkeit. Er warf ihm Meineid und Steuerhinterziehung durch versteckte Konten in der Schweiz vor, Beschuldigungen, die Erzberger in der kurzen Zeit noch vor seinem Tod widerlegen konnte. Erzberger nahm ob solcher Hetzkampagne als Minister seinen Hut. Die Rechtsradikalen wollten ihn aber auch als Abgeordneten ausschalten. Die treuen Katholiken jedoch standen zu ihm und stimmten bei der nächsten Wahl wieder mit überwältigender Mehrheit für ihn.

Der Hass aber ruhte nicht! Er war hinter ihm her in der klösterlichen Einsamkeit von Beuron, er verfolgte ihn in die Zurückgezogenheit des Jordanbades bei Biberach und er wusste ihn im stillen Schwarzwald-Tal von Griesbach zu finden. Wie ein rastlos gehetztes Wild wurde er gestellt und mit kalter Überlegung niedergestreckt. Tags zuvor hatten zwei „Banditen“ an der Klosterpforte in Beuron nach Erzberger geforscht, bekamen aber keine Auskunft. Tags darauf stellten ihn die Attentäter in der „Dritten Kehre“. Seinen Wander-Begleiter verletzten sie lediglich an der Schulter, ihn aber, den bekennenden Katholiken, streckten sie mit Schüssen in den Hinterkopf kaltblütig nieder. Die Mordpläne der „Organisation Consul“ waren aufgegangen. Als Toter wurde ihm in Biberach ein Triumphzug von rund 30.000 Trauernden zuteil, Zeichen der Hochachtung seiner Persönlichkeit und seines Lebenswerks durch seine katholischen Wähler.

Erzbergers Jugend und Einstieg in die Politik

Die Münsinger Alb, Erzbergers Heimat, ist rau und mit ihren abfallenden Felswänden schwer zugänglich. Zugleich wirken die lieblichen Wiesen-Täler anmutig und einladend. Das ist ein Sinnbild für den Menschenschlag der Rauen Alb: Er ist herb und liebenswert zugleich. Im Lauchertal liegt das Dorf Buttenhausen. Hier wohnte die Schneidermeister-Familie Josef Erzberger. Der älteste Sohn war Matthias Erzberger. Die nicht begüterten Eltern, die im ganzen vier Söhne und zwei Töchter hatten, ernährten mit unermüdlichem Fleiß ihre starke Familie. Matthias sollte wegen seiner Begabung den Lehrerberuf ergreifen. Dazu besuchte er zunächst die Schule im benachbarten Gundelfingen. Auf dem Heimweg vergnügten sich seine Schulkameraden damit, unbekümmert mit Steinen nach den schönen Porzellan-Isolatoren zu werfen und sie so zu zertrümmern. Matthias verwies ihnen ihr Tun, weil sie damit Allgemeingut zerstörten. Sie lachten ihn nur aus. Was tut der junge Erzberger? Er zeigt die Täter beim Lehrer an und diese müssen den Schaden begleichen. „Ganz mit Recht“ sagt der Verstandesmensch zu Erzbergers Tun, der Spaßmensch empört sich über diese „Petzerei“. So war Erzberger schon in jungen Jahren: die Interessen des Staates und der Gesamtheit will er schützen. Sein erstes Eintreten dafür bringt ihm eine Tracht Prügel der Kameraden ein, sein letztes hat ihm den Tod eingetragen.

Nach der Volksschule besuchte er die Präparandenanstalt in Gmünd, siedelte dann nach Saulgau zur endgültigen Ausbildung als Lehrer über. Das Examen schloss er mit der Note 1b ab, als weitaus Bester seines Kurses. Viele Aufsätze flossen nun aus der Feder des jungen Unterlehrers und bald hatte sein Name einen guten Klang. Kein Wunder, dass schon bald die Zentrumspartei auf ihn aufmerksam wurde. Im Jahr 1903 wählte ihn schließlich der Wahlkreis Biberach zu seinem Abgeordneten. Als jüngster Reichstagsabgeordneter im Alter von 28 Jahren zog er in den Reichstag ein.

Einsatz als Reichtagsabgeordneter und Reichsfinanzminister

„Mir könnet älles, bloß net Hochdeitsch“, so hieß ein moderner Werbeslogan von Baden-Württemberg. Die Schwaben sind stolz auf ihren Dialekt und Erzberger huldigte damals schon in seinen Reden diesem Motto. Er vertrat die Interessen seines Wahlkreises und der Zentrumspartei mit allen Beziehungen, die ihm zur Verfügung standen. Er gewann „Position“. Der Verlauf des Ersten Weltkriegs, zunächst erste Siege, dann der Stellungskampf, Verdun, die zu Tode erschöpften Soldaten, die mörderischen Material-Schlachten, der U-Boot-Krieg, der Eintritt Amerikas in den Krieg, die ausgetasteten Friedensmöglichkeiten: dies alles beschäftigte nun den verantwortungsbewussten Erzberger. Schwere Waffenstillstandsbedingungen der Entente sollten Deutschland für immer in die Knie zwingen. Scheidemanns bekanntes Wort: „Die Hand soll verdorren, die diesen Frieden unterzeichnet!“ machte die Propaganda-Runde. Wenn der Friedensvertrag schließlich doch angenommen wurde, so geschah dies nicht aus Mangel an Vaterlandsliebe, sondern weil der nüchterne Verstand über die natürliche Entrüstung gesiegt hatte. Man schob Erzberger die Unterzeichnung als „Schuld“ zu und steigerte den vorhandenen Hass bis zum Siedepunkt, besonders aus nationalsozialistischen Kreisen. Ein Trommelfeuer der Verleumdung setzte ein, Gerichtsverfahren vonseiten derer, die in den bisherigen deutschen Kolonien die Macht innehatten, sowie vonseiten der Rüstungs- und Schwer-Industrie wurden gegen ihn ins Rollen gebracht.

Durch seine Unterschrift unter den Versailler Vertrag am 28. Juni 1919, der am 10. Januar des folgenden Jahres in Kraft trat, wurde er zum Sündenbock für die deutsche Niederlage. Es war ein ausgearbeitetes Diktat der Siegermächte, das Deutschland vorbehaltlos unterzeichnen musste, ansonsten wären die Kriegshandlungen sofort wieder aufgenommen worden und die gesamten links-rheinischen Gebiete endgültig an Frankreich gefallen. Erzberger hat mit seiner Unterschrift den Ersten Weltkrieg beendet. Es dankten ihm die Frauen, Mütter, Brüder und Väter der an der Front Tod-Geweihten. Durch die nun folgende Dolchstoß-Legende und die „teuflischen Machenschaften“ des aufkeimenden Nationalsozialismus gerieten seine Leistungen als Finanzminister in den folgenden Jahren nach dem Ersten Weltkrieg total in Vergessenheit; selbst nach dem Zweiten Weltkrieg erinnerte man sich Jahrzehnte lang fast nicht mehr an seine positiven steuerrechtlichen und moralischen Leistungen. Sein Stern beginnt erst jetzt wieder richtig zu leuchten.

Erzbergers tiefe Religiosität

Erzberger, selbst kleiner Leute Kind, hatte sich stets ein warmes Herz für die Not des Volkes bewahrt. Genau dies wurde ihm zum Vorwurf gemacht. Was braucht sich Erzberger um die „Negerseele“ zu kümmern, dafür sind Offiziere und Beamte der deutschen Schutztruppen in den Kolonien zuständig! Erzberger war „bis in die Knochen hinein“ katholisch. Das machte ihn vielen „Nordlichtern“ höchst verdächtig. Die treue Haltung zum Papst wurde als „Ultramontanismus“ bezeichnet. Denn der Papst, Oberhaupt der weltweiten römisch-katholischen Kirche, befindet sich, von Deutschland aus gesehen. „jenseits der Berge“. „Ultramontan“ aber galt als undeutsch und verabscheuungswürdig.

Die meisten Gegner Erzbergers glaubten übrigens gar nicht an die Echtheit seiner religiösen Überzeugung und stellten ihn als willenloses Werkzeug römischer Machtgelüste hin. Wenn sich Erzberger für die Unabhängigkeit des Papsttums einsetzte und unermüdlich Pläne ausarbeitete, um dem Heiligen Vater wieder die volle Souveränität zu verschaffen, wenn er für die finanzielle Unterstützung des Papstes durch den „Peters-Pfennig“ eintrat, so zeugt das für seine gute, praktische, katholische Grundhaltung. Ihm war es ernst mit seinem Glauben, sowohl bei sich als auch bei seiner Familie mit seiner Frau und den Kindern Maria, Oskar und Gabriele. In seinen Briefen, die nicht für die Öffentlichkeit und das Parlament bestimmt waren, offenbart sich seine echte, tiefe Religiosität.

Dieser Katholik musste weg. Das Arbeitszimmer im Finanzministerium wurde beschossen und ein Raum, in welchem man sein Schlafzimmer vermutete, wurde durch eine Handgranate verwüstet. Bei einem dritten Anschlag wurde er leicht verletzt. Als daraufhin Personenschutz für den so stark gefährdeten Politiker angeboten wurde, lehnte er diesen ab: „Ich stehe in Gottes Hand.“ Dem marxistischen Sozialismus setzte er in der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten den christlichen Solidarismus entgegen. Erzberger war bis in seine „Tiefenschichten“ hinein katholisch geprägt. Als seine Tochter Maria bereits mit 17 Jahren in den Echter Karmel eintrat, empfand er diesen Schritt als persönliches Opfer. Es war ihm, als hätte er Gott das Schönste und Beste seines Lebens geschenkt. Bei einer Rede in einer Wahlveranstaltung am Tag darauf versagte plötzlich seine Stimme. Sich wieder fassend stammelte er ins Mikrophon: „Wisst ihr, ich habe erst gestern Gott meine Tochter geopfert.“

Schwester Maria Gertrudis Theresia von der hl. Agnes

Ein kleines Faltblatt, herausgegeben kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vom „Karmel in Echt“, berichtet in Kürze von der heroischen Ordensschwester Sr. Maria Gertrudis, der Tochter des Politikers Matthias Erzberger. Geboren in Stuttgart verbrachte Maria ihre Kinder- und Jugendjahre in Berlin. Frohsinn, Reinheit und Offenheit leuchteten stets aus ihren Augen. Mit neuneinhalb Jahren durfte sie am 14. April 1912 zusammen mit ihrem Bruder Oskar die Erste Heilige Kommunion empfangen. In dankbarer Liebe zu Jesus wählte sie Jahre später diesen Gedenktag für den Eintritt in den Karmel zu Echt in Holland. Sieben Wochen nach dem Tod ihres Vaters empfing sie das hl. Ordenskleid, legte ein Jahr später ihre einfachen und am 16. Oktober 1925 ihr Ewigen Ordensgelübde ab. Den geweihten Schleier empfing sie am darauffolgenden Gertruden-Tag. Am 6. September 1926 durfte sie gemeinsam mit allen Schwestern die Feierlichen Gelübde ablegen, eine Gunst, die dem Karmel in Echt damals vom Hl. Stuhl gewährt wurde. „Opfern und Sühnen“ beherrschte als Grundlage ihr heroisches Ordensleben. Als Opfer für die Anliegen der Kirche, besonders des Heiligen Vaters, starb sie im Alter von 34 Jahren eines heiligmäßigen Todes.

Ihr Seelenführer fasst ihr Leben in folgendem Urteil zusammen: „Die Tugenden der Schw. Maria Gertrudis leuchten wirklich im Glanze der Heiligkeit. Ich habe sehr selten eine so entschlossene, ganz an Jesus und sein heiligstes Herz hingegebene, eine so opferstarke und liebende Seele (Gott und alle Menschen umfassend), eine so einsatzbereite und für alles Große begeisterte Seele kennen gelernt wie die ihrige. Was sie wollte, wollte sie ganz und heroisch bei aller Klugheit und nach der Leistung des Gehorsams. Ganz gewiss wird ihr Beispiel noch großen Segen stiften. Aber auch ihre Fürbitte bei Gott. Ich glaube, dass sie droben eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat.“ Ihr Wahlspruch hieß: „Soli Jesu!“ – „Jesus allein!“ Auf ein Bildchen der hl. Theresia von Lisieux, die sie besonders verehrte, schrieb sie: „Das Herz meiner Karmelbraut soll gleichen meinem Herzen: ein kleiner Tabernakel sein, still, verborgen, unbekannt und ungesehen, dornenumkränzt, kreuzüberragt, aber erfüllt von einem Feuermeer der Liebe.“ So verstand sie den Auftrag Jesu an ihr Leben.

Sr. Maria Gertrudis und ihr Vater Matthias

Matthias Erzberger, der als Reichsminister in den Jahren 1919 und 1920 innerhalb weniger Monate mit großer Kraft 16 Steuergesetze zum Wohl des deutschen Vaterlandes durch den Reichstag gepeitscht hatte, sah sich immer mehr dem Hass seiner politischen Gegner ausgesetzt. Seine Familie, die Frau und die beiden Töchter (Sohn Oskar war jung verstorben), lebte in ständiger Sorge um sein Leben. Mitte August 1921 befand er sich in Württemberg. Von Berlin aus wurde er gewarnt und zu größter Vorsicht ermahnt. Er begab sich daraufhin mit den Seinen nach Beuron und suchte im Empfang der hl. Sakramente in der Kirche der Erzabtei St. Martin Kraft und Stärke für die unsichere Zukunft.

Die besorgte Mutter schrieb inzwischen auch nach Echt, um ihre Tochter auf eine etwaige Wiederholung der Attentate vorzubereiten und sie zu inniger Fürbitte für den teuren Vater anzuspornen. Als die Postulantin Maria Edeltraud diese Nachricht erhielt, schrieb sie auf Vaters Bild folgende Worte: „Liebster Jesus, ich bitt dich von ganzem Herzen, lass mein Vertrauen nicht zuschanden werden, schütze und schirme du selbst Vater, Mutter und Gaby.“ Sie legte das Bild auf den Altar im Chor. Beim Treppensteigen verstauchte die junge Schwester ihren Fuß. Die Ehrwürdige Mutter selbst verband gerade den Fuß der Gestürzten. Die Mitschwestern plauderten derweil fröhlich im Garten bei der Rekreation. Plötzlich verstummte das Gespräch und eine verhaltene Stimme betete: „Herr, gib ihm die Ewige Ruhe!“ „Und das Ewige Licht leuchte ihm!“ Mutter Priorin stürzte in den Garten und eine Schwester flüsterte ihr zu: „Erzberger ist tot!“ Maria konnte es nicht glauben, Vater war doch nicht in Berlin, sondern in Griesbach im Schwarzwald.

Am folgenden Tag trafen die ersten Kondolenzen ein. Es war also doch wahr. Mit elementarer Gewalt brach sich der Schmerz Bahn. Der Vater, ihr herrlicher Vater, ist tot. Auf dem Weg zur Hl. Messe von feiger Mörderhand erschossen. Maria ließ ihren Tränen freien Lauf. Maria hatte ihren Vater unaussprechlich geliebt. Am Vorabend der Einkleidung trafen Frau Erzberger und Gabriele in Echt ein. Schluchzend ließ Maria sich in die mütterlichen Arme fallen; der Vater, der sie erst vor Monaten hierher gebracht hatte, er fehlte, er war ihr aber nun noch näher als früher. Die blühende Gottesbraut im weißen Kleid, eben erst 19 Jahre alt geworden, wollte Jesus ihr Leben ebenfalls ins Ganz-Opfer hinein schenken, wie es ihr Vater getan hatte. Den Myrtenkranz legte sie ab, Jesus hielt eine Dornenkrone für sie bereit. Im Jesusalter von 34 Jahren war sie vollendet. Vater und Tochter Sieger in Christus, „Paradoxon“ katholischer Spiritualität.

Immerfort fasziniert sie neue Generationen

Am Palmsonntag 2012 werden es 800 Jahre, dass die hl. Klara ihrer Berufung zum gottgeweihten Leben gefolgt ist. Damals hatte der Bischof von Assisi mit der Überreichung des Palmzweigs die Entscheidung der 17-jährigen Klara bestätigt, im Geist des hl. Franziskus Christus nachfolgen zu dürfen. Die franziskanische Ordensfamilie begeht dieses 800-Jahr-Jubiläum der Gründung des Klarissen-Ordens in Form eines Jubiläumsjahres. Am Palmsonntag dieses Jahres, dem 16. April 2011, wurde es feierlich eröffnet und soll schließlich bis zum Fest der hl. Klara am 11. August 2012 dauern.

Von Sr. Salome E. Pabian OSC

Das Bild der hl. Klara von Assisi, das im 12. Jahrhundert zusammen mit dem hl. Franziskus eine Schlüsselrolle in der ursprünglichen franziskanischen Bewegung spielte, ist oft verzerrt dargestellt worden. Klara war sich immer ihrer evangelischen Berufung und ihrer Mission in der Kirche gewahr. Die Ideale des Armen Franziskus von Assisi –dem Stifter der Gemeinschaft der Minderen Brüder – hat sie dabei in ihr Leben eingebunden und ist Mutter eines neuen Ordens geworden, dem sie den Anfang und die Richtung gab.

Klara entstammte einem adeligen Geschlecht von Assisi. Als 17-Jährige faszinierten sie die Ideale des Franziskus und so entschloss sie sich für den Weg des Evangeliums. Am Palmsonntag anno 1212 nahm sie aus seinen Händen das Bußhabit an. Eine kurze Zeit verbrachte sie in einem Benediktinerkloster, danach wohnte sie mit ihrer Schwester Katharina und anderen Frauen, die Gott mit reinem Herzen, in Armut, Gehorsam und Demut dienen wollten, an der Kirche von S. Damiano bei Assisi.

Auf Wunsch des hl. Franziskus und des Bischofs übernahm sie die Aufgaben der Äbtissin, die sie 40 Jahre erfüllte. In der Stille der Klausur, die sie als eine Gabe annahm und als eine freiwillige Antwort der Liebe aussuchte, veränderte sich Klara wie ein Korn, das reiche Früchte brachte.

Bis zum heutigen Tag haben sich vier Briefe an die hl. Agnes von Prag, ein Brief an Ermentrudis von Brügge – der Stifterin mehrerer Klöster in Flandern –, die Regel aus dem Jahre 1253, das Testament und der Segen erhalten. Diese Schriften zeigen uns die Äbtissin des Konvents der Armen Frauen als eine vorbildhafte Mutter und eine gute Pädagogin.

Das gemeinsame Leben in der Klausur und die tägliche Erkenntnis des Willens Gottes haben sie und ihre Schwestern, die der Herr ihr gab, in den 40 Jahren geistlich bereichert. Sie wusste, dass man dem Menschen beim Entdecken des Guten, seinem Potential und seiner Fähigkeiten helfen und ihm beibringen muss, wie man Anderen mit Hilfe dieser Möglichkeiten dient. Ein wichtiges Attribut ihrer Argumente war die Unanfechtbarkeit, da sie über ein biblisches Wissen verfügte, so dass sich all ihre Argumente auf das lebendige Wort Gottes stützten.

Die Heilige richtete ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihre eigene Person und suchte nicht nach ihrem eigenen Vorteil und Ansehen, sondern zeigte allen die einzige Quelle des Lebens – Jesus. Sie war nur ein Werkzeug, durch welches Er handelte. In ihren Schriften kommt die Sorge um das Verantwortungsbewusstsein der Schwestern zum Ausdruck. Die zwischenmenschlichen Beziehungen bezeugen ihre psychische, moralische und emotionale Reife. Die Haltung Klaras störte Andere nicht, da sie zur Offenheit und Ehrlichkeit einlud. Sie konnte zuhören und sich in die Situation des Gesprächspartners hineinversetzen. Sie versuchte seine Denkweise, seine Bewertung der ganzen ihn umgebenden Wirklichkeit zu verstehen. Klara entdeckte auch den dienenden Charakter des Christentums.

Die Macht der Äbtissin betrachtete sie als Dienst in der Gemeinschaft. Sie lehrte Achtung vor der menschlichen Arbeit, die sie als Ausdruck der Armut und als Faktor der Persönlichkeitsentwicklung ansah. Den Gehorsam gerechtfertigte sie nicht mit der sozialen Natur, zeigte aber ihren Mitschwestern die theologischen Grundlagen.

Die Äbtissin aus San Damiano suchte keine Leiden, aber sie nahm sie mutig an, wenn Gott sie ihr auferlegte. Infolgedessen verstand sie den Menschen, der das Kreuz seiner eigenen physischen und psychischen Schwächen trug. Sie brachte den Leidenden Erleichterung durch ein gutes Wort, durch ihre Haltung, durch ihr Lächeln; sie tröstete sie und zeigte ihnen die Freude des Lebens in Jesus Christus.

Die Kanonisationsdokumente stellen Klara als Äbtissin dar, die ihren Schwestern die Verantwortung für ihre eigene Berufung und für die Entwicklung der Gemeinschaft beibringt. Durch die Zusammenarbeit mit den Schwestern strebte sie nach der Erhaltung einer dauerhaften, beständigen Einheit, einer gegenseitigen Liebe und des Friedens im Konvent. Sie lehrte, wie man die Bedeutung der Stille entdeckt und die Einsamkeit erlebt, die jeder auf den einzelnen Etappen seines Lebens erfährt, vor allem im Greisenalter. Die Stille und die Einsamkeit sind für sie keine Leere, sondern das Erleben einer tiefgründigen und lebendigen Verbindung mit dem Herrn.

Sie schätzte im Leben die Freundschaft hoch ein und schrieb darüber in ihren Schriften. Ihre Beziehung zum hl. Franziskus ist ein Beispiel einer Freundschaft, in deren Wurzel die Einheit der Ideale und der Lebensweise liegt. Diese Freundschaft entstand nicht aus einer blinden Begeisterung, sondern war das Ergebnis einer tiefen Bewunderung für die Opferfreudigkeit, die nie vor den Anforderungen des Evangeliums zurückweicht. Sie beruhte auf dem Vertrauen der gegenseitigen Hilfe, dem Respekt und der Achtung der Würde und der Freiheit des Nächsten. Franziskus übergab Klara die Verantwortung für die Gemeinschaft der Armen Frauen. Er war ihr geistlicher Führer, aber er drängte seine eigenen Ansichten ihr niemals auf. Klara dagegen unterstützte ihn mit dem Gebet und half ihm in der Realisierung seiner Berufung.

Am 11. August 1253 starb Klara nach einer 28 Jahren andauernden schweren Krankheit. Im Jahr 1260 wurden die sterblichen Überreste aus der Kirche des hl. Georg in einer nach ihr benannten Basilika überführt. Erst nach 590 Jahren aber fand man ihr Grab wieder. Nach Vollendung der Konservierungsarbeiten bettete man ihre sterbliche Hülle in einen Messingsarg. Papst Pius XII. erklärte sie zur Patronin des Fernsehens und gab im Februar 1958 das Breve Clarius explendescit heraus. Die Motivation seiner Entscheidung lag in der Vision Klaras, die am Heiligabend des Jahres 1252 auf eine mystische Art und Weise die Weihnachtsmette in der Kirche des hl. Franziskus in Assisi sah und hörte.

Obwohl Jahrhunderte vergangen sind, verblasst der Glanz ihrer Heiligkeit nicht. Er entflammt und fasziniert immer wieder aufs Neue. Die offene Haltung, der Respekt vor jedem Menschen, die harmonische Verbindung des Gebets mit der Arbeit, die Sensibilität für menschliche Bedürfnisse und die Anpassung an die Möglichkeiten des Menschen in jeder Generation bewirken, dass sie uns heute noch besonders nahe steht.

600 Jahre Ludbreg

Die katholische Kirche in Kroatien feiert heuer das 600-jährige Jubiläum des „eucharistischen Wunders von Ludbreg“. Sogar Papst Benedikt XVI. erwähnte diesen Jahrestag in der Hauptpredigt seiner Kroatienreise Anfang Juni dieses Jahres.

Von Erich Maria Fink

Mit großem Jubel nahmen die Kroaten den Hinweis des Papstes auf das eucharistische Wunder von Ludbreg auf. Interessant ist der Zusammenhang, in dem Benedikt XVI. auf diesen nationalen Schatz der kroatischen Kirche zu sprechen kam. Er stellte das Wunder in den Zusammenhang der Glaubensweitergabe, misst ihm also eine katechetische Bedeutung für die Hinführung zur Hl. Messe bei. Wörtlich sagte er in seiner Predigt zum „Nationalen Tag der katholischen Familien Kroatiens“ am Sonntag, 5. Juni 2011, im Hippodrom von Zagreb: „Liebe Eltern, bemüht euch immer darum, eure Kinder beten zu lehren, und betet mit ihnen; führt sie zu den Sakramenten hin, besonders zur Eucharistie – dieses Jahr feiert ihr den 600. Jahrestag des ,eucharistischen Wunders von Ludbreg‘; führt sie in das Leben der Kirche ein; habt keine Angst, in der Geborgenheit der Familie die Hl. Schrift zu lesen und so das Familienleben mit dem Licht des Glaubens zu erhellen und Gott als Vater zu loben. Seid gleichsam ein kleiner Abendmahlssaal, wie jener von Maria und den Jüngern, in dem Einheit, Gemeinschaft und Gebet lebendig praktiziert werden!“

Ludbreg ist ein Ort im Nordosten Kroatiens mit etwa 3500 Einwohnern, der bereits 1334 im Pfarreienverzeichnis des Bistums Zagreb mit dem Patrozinium der Hlgst. Dreifaltigkeit aufgeführt ist. 1410 wurde auf dem Fundament einer antiken Basilika eine neue Pfarrkirche erbaut. Schon ein Jahr später soll sich das eucharistische Wunder von Ludbreg ereignet haben, jedoch nicht in dieser Kirche. Es wird überliefert: Ein Priester feierte in der Kapelle des Hl. Kreuzes im Schloss Batthyany eine Hl. Messe, zweifelte jedoch daran, dass sich bei der Konsekration tatsächlich Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandeln. Da nahm er mit Schrecken wahr, wie sich der Kelch bei der Wandlung mit echtem menschlichem Blut füllte. In seiner Bestürzung ließ er die Reliquie unverzüglich einmauern. Erst auf dem Totenbett offenbarte er das Ereignis und den Aufenthaltsort der Blutreliquie. Sofort setzte eine große Verehrung mit zahlreichen Gebetserhörungen ein, die in einem Mirakelbuch festgehalten wurden. Schließlich bestätigte Papst Leo X. 1513 durch eine Bulle offiziell die Echtheit der Reliquie, die in einer Monstranz sichtbar aufbewahrt wird, und erlaubte deren Verehrung.

1739 legte das kroatische Parlament während einer Pestepidemie das Gelöbnis ab, für diesen „größten Schatz Kroatiens“ eine Kapelle des Grabes Christi von Jerusalem zu errichten, falls Gott das Land von dieser Seuche befreit. Das Versprechen wurde nie vergessen, doch erst 1993 unter dem damaligen Erzbischof von Zagreb, Kardinal Franjo Kuharić, erfüllt. Die neue Wallfahrtskirche steht auch im Zentrum des 600-jährigen Jubiläums. Höhepunkt bilden die Feierlichkeiten um den 4. September, nämlich den ersten Sonntag im September, der jedes Jahr als Hauptwallfahrtstag begangen und „Heiliger Sonntag“ genannt wird. Am 27./28. Oktober findet in Ludbreg ein Symposium über die „Verehrung der Reliquie des Kostbaren Blutes von Ludbreg im Lauf der Geschichte“ statt. Außerdem möchte die kroatische Bischofskonferenz im Rahmen eines Eucharistischen Kongresses Ludbreg als Nationales Heiligtum anerkennen. Der auch in Kroatien gefährdete Glaube soll dadurch einen kräftigen neuen Impuls erhalten.

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