Authentische Auslegung der Heiligen Schrift

Am 8. November 2010 wurde das Nachsynodale Apostolische Schreiben „Verbum Domini“ über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche im Vatikan vorgestellt. Papst Benedikt XVI. hatte es bereits am 30. September 2010 unterzeichnet. Das umfangreiche Dokument geht auf die verschiedenen Bereiche des kirchlichen Lebens ein und zeigt ganz konkret auf, welche Rolle darin das Wort Gottes spielen sollte. Pfarrer Erich Maria Fink sieht jedoch die eigentliche Bedeutung des päpstlichen Schreibens weniger in dieser pastoralen Anwendung als vielmehr in den theologischen Vorüberlegungen, welche die Hälfte des Dokuments ausmachen. Darin wird grundgelegt, wie die Bibel im Sinn der Kirche gedeutet werden muss. So versteht Pfarrer Fink das Schreiben als lehramtliche Wegweisung für eine authentische Schriftauslegung. Für ihn ist „Verbum Domini“ ein Dokument von historischer Bedeutung, einzigartig in seiner Ausgewogenheit und umfassenden Zusammenschau.

Von Erich Maria Fink

Mit dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Verbum Domini“ über das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche hat Papst Benedikt XVI. der Kirche einen gewaltigen Dienst erwiesen. Er zeigt einen Weg auf, wie Schriftauslegung in Treue zur göttlichen Offenbarung auch heutzutage gelingen kann. Dabei wendet er sich sowohl an die einfachen Gläubigen als auch an die Vertreter der theologischen Wissenschaft. Dem Papst steht die ganze Tragweite der Frage vor Augen. Die gegenwärtige Krise der Kirche nämlich wurde zum großen Teil von einer falschen Bibelauslegung verursacht. Im Namen von Wissenschaftlichkeit wurden Ideologien in die Theologie eingeführt, die den Glauben zerstören. Der Papst spricht von „besorgniserregenden Folgen“ einer Exegese, die sich „selbst auf höchster akademischer Ebene“ dem theologischen Fundament des Glaubens entfremdet habe (vgl. Verbum Domini, Nr. 35f.).

Das überzeitliche Wesen Gottes und der prophetische Charakter der Schrift

An erster Stelle steht die Ablehnung des überzeitlichen Wesens Gottes. Diesem ideologischen Ansatz wurde die Prophetie geopfert. Denn wahre Prophetie setzt voraus, dass Gott seine Pläne, die er von seinem überzeitlichen Standpunkt aus vorhersagt, mit seiner übergeordneten Allmacht über den Lauf der Geschichte verwirklichen kann. Wird die Überzeitlichkeit geleugnet, so muss der durchgehende prophetische Charakter der Heiligen Schrift „verbogen“ und uminterpretiert werden.

Das ganze Alte Testament jedoch ist prophetisch auf die Ankunft des Erlösers hingeordnet. Von Abraham an wird die Erwartung geweckt, die im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende durch göttliche Voraussagen immer konkretere Gestalt annimmt. Diese Verheißungen und ihre Erfüllung in Jesus Christus sind gerade der Beweis für die Überzeitlichkeit Gottes (vgl. Die Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament, Nr. 40f.). Wird sie sachgerecht aufgezeigt, kann eben dieses Faktum der christlichen Religion einen ehrlich suchenden, gottfernen Menschen zum Glauben führen.

Im Neuen Testament setzt sich dieser prophetische Charakter der Heiligen Schrift fort. Einerseits geht es um die Voraussagen Jesu über unmittelbar bevorstehende Ereignisse wie die Zerstörung Jerusalems und insbesondere des Tempels. Anderseits ist das ganze Neue Testament prophetisch auf die Wiederkunft Christi ausgerichtet. Die Leugnung dieses prophetischen Charakters der Heiligen Schrift hat nichts mit Wissenschaftlichkeit zu tun, sondern ist eine philosophische Vorentscheidung ohne wissenschaftliche Grundlage, die deshalb als Ideologie bezeichnet werden muss. Die theologische Wissenschaft jedoch kann ihrerseits eine Philosophie einfordern, die der Offenbarung Gottes gerecht wird und die Möglichkeit eines überzeitlichen Wesens Gottes voraussetzt. Gleichzeitig kann sie die Vernünftigkeit einer solchen philosophischen Grundlegung aufweisen. Vor allem entspricht sie dem natürlichen religiösen Empfinden eines jeden Menschen von Kindheit an. Die Kirche verlangt von niemandem, diese Prämisse mit ihr zu teilen. Denn auch diese Vorbedingung stellt so gesehen ein Weltbild dar, das im strengen Sinn wissenschaftlich nicht bewiesen werden kann. Doch von jemandem, der der Bibel gerecht werden und sie im Sinn der Kirche auslegen will, verlangt sie diesen unumstößlichen Rahmen, ohne den eine Schriftauslegung im Dienst des Glaubens absurde Formen annimmt. Genau an diesem Punkt setzt Papst Benedikt XVI. mit seinem Dokument „Verbum Domini“ an. Ausgehend vom Johannes-Prolog (vgl. Nr. 5) entfaltet er das Wesen authentischer Schriftauslegung, die von einem übergeordneten Beobachtungsstandpunkt ausgeht und so die ganze Bibel als Einheit betrachten kann.

Der Vorrang des Logos vor der Materie und die Wirklichkeit der Wunder

An zweiter Stelle steht die Ablehnung von Wundern. Sie hängt mit der Leugnung der Überzeitlichkeit Gottes zusammen, schließt aber weitere philosophische Vorentscheidungen mit ein, die ein Christ nicht teilen kann. Es geht zum einen um die Deutung der Materie als einem Sein, das vollkommen unabhängig von geistigem Sein existieren könne. Zum anderen geht es um die Annahme, dass die Materie in der Lage sei, das, was wir als Geist des Menschen erfahren, aus sich heraus hervorzubringen. Diese beiden Annahmen in der Deutung der Materie haben auch Exegeten, also wissenschaftliche Vertreter der Schriftauslegung, dazu verführt, die Wunder der Bibel abzulehnen und als natürliche Vorgänge bzw. als rein symbolische Aussagen zu deuten (vgl. Nr. 35b). Aus kirchlicher Sicht jedoch verlangt eine authentische Schriftauslegung die philosophische Vorentscheidung, dass der Geist der Materie vorausgeht, sie von innen her trägt und formt. Verbunden mit dem überzeitlichen und allmächtigen Wesen Gottes ist damit die philosophische Grundlage dafür gegeben, dass Gott jederzeit in die Geschichte eingreifen kann und im Sinn von Schöpfungswundern Ereignisse herbeiführen kann, die die Naturgesetze übersteigen. Dazu gehören die Wunder der Brotvermehrung oder der Verwandlung von Wasser in Wein, aber auch die ganzen Heilungswunder. Nur auf dieser Grundlage kann die leibliche Auferstehung Jesu und die Botschaft vom leeren Grab das Zentrum des christlichen Glaubens bilden (vgl. Nr. 35c). Außerdem ist diese Verhältnisbestimmung von Materie und Geist, die dem Geist den Vorrang einräumt, auch die Voraussetzung für die Möglichkeit, das Walten der Vorsehung Gottes in der Geschichte anzunehmen. Ohne Führung der Weltgeschichte durch den göttlichen Logos aber kann es auch keine Prophetie geben, die sich konkret in den Ereignissen der Geschichte erfüllt. Von dieser philosophischen Grundlage hängt sowohl der Glaube an das Schöpfungshandeln Gottes als auch an das besondere Wirken Gottes im Sinn der Heilsgeschichte ab. Und auch an diesem Punkt setzt Benedikt XVI. im Dokument „Verbum Domini“ an. Von Anfang an führt er in seine Überlegungen den göttlichen Logos ein. Eine authentische Schriftauslegung kann für ihn nur gelingen, wenn man im Logos sowohl den Schöpfungsmittler als auch das göttliches Wort sieht, das zu allen Zeiten die Offenbarung des einen Gottes im menschlichen Wort der Bibel zum Ausdruck bringt (vgl. Nr. 6f.).

Lehramtliche Weisung für die wissenschaftliche Forschung

Papst Benedikt XVI. stellt am Ende der „Einleitung“ den Prolog des Johannesevangeliums als Leittext für das ganze Dokument vor und spricht deutlich das Selbstverständnis des Schreibens aus. Es geht ihm ausdrücklich auch um eine Weisung für die wissenschaftliche Forschung: „Ich möchte, dass durch dieses Apostolische Schreiben die Ergebnisse der Synode auf das Leben der Kirche nachhaltigen Einfluss nehmen: auf die persönliche Beziehung zur Heiligen Schrift, auf ihre Auslegung in der Liturgie und in der Katechese sowie in der wissenschaftlichen Forschung, damit die Bibel nicht ein Wort der Vergangenheit bleibt, sondern als lebendiges und aktuelles Wort wahrgenommen wird. Zu diesem Zweck möchte ich die Ergebnisse der Synode vorstellen und vertiefen, indem ich immer wieder Bezug nehme auf den Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1-18), in dem uns die Grundlage unseres Lebens vermittelt wird: Das Wort, das von Anfang an bei Gott ist, ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (vgl. Joh 1,14).“ (Nr. 5).

Benedikt XVI. ergreift für keine Methode der Bibelauslegung einseitig Partei, sondern steckt den Rahmen ab, in dem die einzelnen Methoden hilfreich sein können. Damit versöhnt er die Fronten, die sich im Ringen um die „Rettung“ eines zuverlässigen Glaubensfundaments aufgebaut haben. Gleichzeitig erteilt er extremen Positionen wie einer „fundamentalistischen“ Bibelauslegung eine eindeutige Absage. Was er anbietet, ist eine ausgewogene, plausible Synthese, die einen nüchternen Blick und eine geduldige Auseinandersetzung mit berechtigten Anfragen erfordert. Namentlich geht er auf die „historisch-kritische“ und auf die „kanonische“ Methode der Schriftauslegung ein. Er würdigt die wissenschaftliche Bibelarbeit und bricht eine Lanze für die „zahlreichen Exegeten und Theologen“, „die durch ihre Hingabe, ihren Einsatz und ihr Fachwissen einen wesentlichen Beitrag zur Vertiefung des Schriftverständnisses geleistet haben und leisten, indem sie sich mit den komplexen Problemen auseinandersetzen, die unsere Zeit der Bibelforschung stellt“ (Nr. 31).

Grenzen der historisch-kritischen Methode

„Zunächst muss der Nutzen anerkannt werden, der dem Leben der Kirche aus der historisch-kritischen Exegese und den anderen Methoden der Textanalyse, die in jüngerer Zeit entwickelt wurden, erwachsen ist,“ so beginnt der Papst den Abschnitt „Entwicklung der Bibelforschung und kirchliches Lehramt“ und zitiert dabei aus der Schrift „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ der Päpstlichen Bibelkommission vom 15. April 1993. Er fährt fort: „Für die katholische Sichtweise der Heiligen Schrift ist die Berücksichtigung dieser Methoden unverzichtbar und mit dem Realismus der Inkarnation verbunden: ,Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem christlichen Prinzip, das wir in Joh 1,14 finden: Verbum caro factum est. Das historische Faktum ist eine Grunddimension des christlichen Glaubens. Die Heilsgeschichte ist keine Mythologie, sondern wirkliche Geschichte und muss deshalb mit den Methoden ernsthafter Geschichtswissenschaft untersucht werden.‘ Die Bibelforschung verlangt daher die Kenntnis und den rechten Gebrauch dieser Forschungsmethoden“ (Nr. 32).

Gleichzeitig mahnt er bei der Anwendung von „Methoden der historischen Analyse“ zur „richtigen Haltung“. Unter anderem hebt er die Leistung von Papst Leo XIII. hervor: „Durch den Beitrag von Papst Leo XIII. konnte die katholische Interpretation der Bibel vor den Angriffen des Rationalismus bewahrt werden, ohne einen Rückzug in einen geistlichen, unhistorischen Sinn vorzunehmen. Er lehnte die wissenschaftliche Kritik nicht ab, sondern misstraute nur ,vorgefassten Meinungen, die angeblich eine wissenschaftliche Grundlage haben, in Wirklichkeit jedoch unterschwellig den Bereich der Wissenschaft überschreiten‘ (Johannes Paul II. in seiner „Ansprache anlässlich des 100. Jahrestages der Enzyklika Providentissimus Deus und des 50. Jahrestages der Enzyklika Divino Afflante Spiritu“ am 23. April 1993).“ In Kontinuität mit seinen Vorgängern lehnt Benedikt XVI. einen „Bruch zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der Sicht des Glaubens“ ab (vgl. auch Glaube und Vernunft im Zugang zur Schrift, Nr. 36). Vielmehr fordert er und zitiert dabei wieder aus dem oben genannten Dokument der Bibelkommission: „Die katholischen Exegeten dürfen bei ihrer Interpretationsarbeit nie vergessen, dass sie das Wort Gottes auslegen. Ihr gemeinsamer Auftrag ist noch nicht beendet, wenn die Quellen unterschieden, die Gattungen bestimmt und die literarischen Ausdrucksmittel erklärt sind. Das Ziel ihrer Arbeit ist erst erreicht, wenn sie den Sinn des biblischen Textes als gegenwartsbezogenes Wort Gottes erfasst haben“ (Nr. 33). „Für eine adäquate Annäherung an die Schrift und ihre korrekte Hermeneutik“ reiche es eben nicht, „die Schrift als Objekt historischen Interesses zu lesen“, sondern sie müsse im „Bewusstsein für die Inspiration“ als „Werk des Heiligen Geistes“ betrachtet werden (Nr. 19). „Das positive Ergebnis der Anwendung der modernen historisch-kritischen Forschung“ sei „nicht zu leugnen“. Außerdem arbeite „die heutige akademische – auch die katholische – Exegese im Bereich der historisch-kritischen Methode, einschließlich der in jüngerer Zeit vorgenommenen Ergänzungen, auf hohem Niveau“. Doch sei es notwendig, die „theologische Dimension der biblischen Texte einzufordern“ (Nr. 34). „Letztendlich“, so Benedikt XVI., „erkennen wir den Wert und die Notwendigkeit der historisch-kritischen Methode trotz ihrer Grenzen an“ (Nr. 37).

Möglichkeiten der kanonischen Schriftauslegung

Von der historisch-kritischen Methode leitet Benedikt XVI. zur kanonischen Schriftauslegung über, die er mit „den anderen Methoden der Textanalyse, die in jüngerer Zeit entwickelt wurden“, bereits angedeutet hat (Nr. 32) und der er einen gewissen Vorzug einzuräumen scheint. Dazu geht er auf die wesentlichen Forderungen der „Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum“ des II. Vatikanischen Konzils ein: „Einerseits hebt das Konzil als wesentliche Elemente zur Erfassung der Aussageabsicht des heiligen Autors die Untersuchung der literarischen Gattungen und die Kontextualisierung hervor. Da aber andererseits die Schrift in demselben Geist ausgelegt werden muss, in dem sie geschrieben wurde, führt die dogmatische Konstitution drei grundlegende Kriterien an, die dazu dienen, die göttliche Dimension der Bibel zu berücksichtigen: 1) Auslegung des Textes mit Rücksicht auf die Einheit der ganzen Schrift – das wird heute kanonische Exegese genannt, 2) Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche, und schließlich 3) Beachtung der Analogie des Glaubens. ,Nur dort, wo beide methodologische Ebenen, die historisch-kritische und die theologische, berücksichtigt werden, kann man von einer theologischen Exegese sprechen, die allein der Heiligen Schrift angemessen ist‘“ (Nr. 34).

Die Kanonische Schriftauslegung wurde erst seit den 1970er Jahren entwickelt, hauptsächlich von den beiden amerikanischen Exegeten Brevard S. Childs und James A. Sanders. Sie wendet die Methodik der allgemeinen Literaturwissenschaft an und steht in einem Spannungsverhältnis zur historisch-kritischen Methode. Denn sie setzt sich mit der Heiligen Schrift nicht primär als historischem Text auseinander, sondern als Teil eines Kanons, der von einer bestimmten Glaubensgemeinschaft getragen wird. Für sie ist die historisch ursprüngliche Bedeutung eines Textes nicht die Primärbedeutung, sondern die Bedeutung, die ihm im Rahmen seines kanonischen Kontextes zukommt. Somit wird die Redaktion der Texte in einem positiven Sinn als stetige Bedeutungszunahme und Bedeutungsvertiefung verstanden. Verstärkte Aufmerksamkeit wird der Großkomposition von Texten geschenkt. Die kanonische Zusammenstellung der Texte, die von der Synagoge und der frühen Kirche festgelegt wurde, gibt die Interpretationsrichtlinie vor: Jeder der Texte in diesem Kanon ist innerhalb des Horizonts des ganzen Kanons zu lesen.

Die kanonische Schriftauslegung stellt für Papst Benedikt XVI. eine fruchtbare Ergänzung zur historisch-kritischen Methode dar. Sie eröffnet der Exegese die Möglichkeit, bibeltheologische Überlegungen in ihren Aufgabenbereich zu integrieren und eine Inspiration auch bei der Gestaltung des Kanons anzunehmen. In ihrem Licht gewinnt sogar die patristische Bibelauslegung wieder an Bedeutung. Doch verwendet Benedikt XVI. den Begriff der kanonischen Schriftauslegung nicht ganz in seinem ursprünglichen Sinn. Denn er begründet die Einheit der Heiligen Schrift nicht einfach durch das religionsgeschichtliche Faktum der Kanonbildung, sondern vor allem auf dem Hintergrund der göttlichen Inspiration. Für ihn ist es der eine überzeitliche göttliche Logos, der sich durch die Geschichte hindurch in der Heiligen Schrift kundtut und ihre Einheit garantiert (vgl. Die innere Einheit der Bibel, Nr. 39). Damit geht er über den Ansatz der kanonischen Auslegung hinaus und weist ihr einen neuen Rahmen zu, in dem sie für die Kirche fruchtbar werden kann (Nr. 57).

Antwort auf fundamentalistische Interpretationen der Bibel

Papst Benedikt XVI. macht nachdrücklich auf die „fundamentalistische Auslegung der Heiligen Schrift“ aufmerksam, auf „jene Lesarten“, „die das wahre Wesen des heiligen Textes missachten, indem sie subjektivistische und willkürliche Interpretationen unterstützen. Die von der fundamentalistischen Lesart befürwortete ,Wörtlichkeit‘ ist nämlich in Wirklichkeit ein Verrat sowohl am wörtlichen als auch am geistlichen Sinn, indem sie den Weg für Instrumentalisierungen verschiedener Art öffnet, zum Beispiel durch die Verbreitung kirchenfeindlicher Auslegungen der Schrift selbst. Der problematische Aspekt ,dieses fundamentalistischen Umgangs mit der Heiligen Schrift liegt darin, dass er den geschichtlichen Charakter der biblischen Offenbarung ablehnt und daher unfähig wird, die Wahrheit der Menschwerdung selbst voll anzunehmen. Für den Fundamentalismus ist die enge Verbindung zwischen Göttlichem und Menschlichem in der Beziehung zu Gott ein Ärgernis. … Er hat deshalb die Tendenz, den biblischen Text so zu behandeln, als ob er vom Heiligen Geist wortwörtlich diktiert worden wäre.‘“

Benedikt XVI. bietet als Lösung an: „Die wahre Antwort auf eine fundamentalistische Interpretation ist die ,Auslegung der Heiligen Schrift im Glauben‘. Diese Lesart, ,die von alters her in der Überlieferung der Kirche praktiziert wurde, sucht nach der rettenden Wahrheit für das Leben des einzelnen Gläubigen und für die Kirche. Diese Lesart erkennt den historischen Wert der biblischen Überlieferung an. Gerade aufgrund dieses Wertes als historisches Zeugnis will sie die lebendige Bedeutung der Heiligen Schrift wiederentdecken, die auch für das Leben des Gläubigen von heute bestimmt ist‘, ohne dabei die menschliche Vermittlung des inspirierten Textes und seine literarischen Gattungen außer acht zu lassen“ (Nr. 44).

Kanon der Heiligen Schrift und kirchliches Lehramt

Wie ein roter Faden durchzieht das Dokument die Forderung, die Bibel in Einheit mit der Kirche auszulegen. Die Heilige Schrift selbst wird als Frucht der kirchlichen Überlieferung vorgestellt. So kann sie auch nur im Licht der gesamten Überlieferung richtig verstanden werden. Insbesondere der „Kanon“, also die Zusammenstellung der Bücher, die als Heilige Schrift und vom Heiligen Geist inspiriert betrachtet werden, ist das Ergebnis der Überlieferung und schließlich des kirchlichen Lehramts. „Die lebendige Überlieferung ist wesentlich, damit die Kirche im Laufe der Zeit im Verständnis der in den Schriften offenbarten Wahrheit wachsen kann; es wird nämlich ,durch dieselbe Überlieferung … der Kirche der vollständige Kanon der Heiligen Bücher bekannt, in ihr werden die Heiligen Schriften selbst tiefer verstanden und unaufhörlich wirksam gemacht‘. Letztendlich ist es die lebendige Überlieferung der Kirche, die uns die Heilige Schrift als Wort Gottes angemessen verstehen lässt.“ Als Resümee folgert Papst Benedikt XVI.: „Daraus geht hervor, wie wichtig es ist, dass das Volk Gottes klar unterwiesen wird, den Zugang zur Heiligen Schrift in Verbindung mit der lebendigen Überlieferung der Kirche zu suchen und so in ihr das Wort Gottes selbst zu erkennen.“ Ansonsten könne dem Leben der Kirche Schaden zugefügt werden, da beispielsweise eine „rein historiographische“, von der Überlieferung der Kirche abgekoppelte Exegese „Zweifel aufkommen lässt an den wesentlichen Geheimnissen des Christentums und ihrem historischen Wert, wie zum Beispiel die Einsetzung der Eucharistie und die Auferstehung Christi“ (Nr. 35c). „Die Kirche lebt in der Gewissheit, dass ihr Herr, der in der Vergangenheit gesprochen hat, auch heute noch sein Wort in der lebendigen Überlieferung der Kirche und in der Heiligen Schrift mitteilt. Das Wort Gottes schenkt sich uns in der Heiligen Schrift als inspiriertes Zeugnis der Offenbarung, die mit der lebendigen Überlieferung der Kirche die höchste Richtschnur des Glaubens darstellt“ (Nr. 18).

Reißt die Brücke nicht ein!

Weihbischof Dr. Andreas Laun nimmt zu dem Vorwurf Stellung, er würde durch seine Bücher „Spaltung“ in die Kirche hineintragen. Für einen Bischof, so räumt er ein, eine sehr ernste Frage. Doch wer spaltet tatsächlich? Unterschwellig ist eine Spaltung längst vorhanden. Damit sie aber nicht zur Kirchenspaltung wird, darf sie nicht schön geredet werden. Es ist höchste Zeit, sich auf das Tragende kirchlicher Einheit zu besinnen.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Wer dient der Einheit, wer zerstört sie?

Es gehört zum grundlegenden Verständnis der Kirche, unmissverständlich in der Hl. Schrift verankert, dass Jesus nur eine Kirche wollte, eine geeinte Kirche, nicht eine Vielfalt von „Kirchen“, auch nicht in der Form „versöhnter Verschiedenheit“. In der Welt gibt es verschiedene Länder, verschiedene Völker, verschiedene Sprach-Gruppen, es gibt unterschiedliche Organisationen in Wissenschaft, Kunst und Sport, es gibt unendlich viele Vereine und Interessensgemeinschaften, aber: Die Kirche ist zwar „bunt“, insofern es in ihr unterschiedliche Charismen und unterschiedliche Traditionen gibt, die zu ihrem Reichtum „in Vielfalt“ gehören, aber sie ist und bleibt zugleich die eine Kirche und einzige Kirche Jesu Christi (KKK 814). Weil das so ist, ist es für jeden Katholiken, erst recht für einen Bischof eine sehr ernste Frage und ich habe sie mir gestellt: „Spalte ich die geeinte Kirche durch meine Artikel, durch meine Wortmeldungen, durch meine Bücher?“ Gott sei Dank, wie Paulus kann ich sagen: „Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst“ (1 Kor 4,4), aber das heißt nicht, dass ich über diesen Vorwurf nicht nachdenken sollte! Und zwar so: Wenn man weiß, worin die „Einheit“ der Kirche besteht, beantwortet sich die Frage, was sie spaltet, wie von selbst! Die Kirche nennt drei sichtbare Elemente ihrer Einheit: die Einheit in der Lehre, die Einheit in der Leitung gemäß der Apostolischen Sukzession, die Einheit in der Feier der Eucharistie und aller anderen Sakramente (KKK 815). Also spaltet derjenige, der „anders“ lehrt, der die liturgische Ordnung missachtet und wer den Ungehorsam gegenüber der Leitung der Kirche proklamiert (wie dies z.B. kürzlich die „Laieninitiative“ in Wien ankündigte für den Fall, dass der Papst künftige Bischofsernennungen mit ihren Vertretern nicht „abstimmt“). Das heißt aber: Wer sich an die Lehre der Kirche hält, sie vertritt, sie verteidigt, wer die Autorität des Papstes und der Bischöfe anerkennt, so wie sie „katholisch“ zu verstehen ist, und wer die liturgische Ordnung einhält, ohne z.B. Hochgebete „frei“ zu erfinden, dient der Einheit, und wer dies nicht tut, zerstört sie! Dass es bei den Verstößen gegen die Einheit viele subjektiv bedingte Abstufungen der „Schwere“ und der Schuld gibt, wie bei vielen anderen Sünden auch, versteht sich von selbst: je nach Einsicht und Beteiligung des freien Willens.

Laokoon angesichts der drohenden formalen Spaltung

Bischöfe, allen voran der Papst, tragen für die Einheit eine besondere Verantwortung. Sie dürfen darum angesichts der heute sich immer noch steigenden Verstöße gegen und Angriffe auf die Einheit nicht schweigen. Solches Schweigen, sagt schon Papst Gregor der Große, ist eine schwere Schuld der Bischöfe. Aber es gehört zur heutigen Situation: Wenn sie reden, wie es ja ihre Pflicht ist, geht es ihnen oft wie dem Laokoon in der griechischen Sage: Laokoon warnte, aber die Leute sahen in ihm die Gefahr, nicht in dem „trojanischen Pferd“! Es war und ist, wie wenn man einen Brand bekämpfen wollte, indem man denjenigen, der „Feuer!“ ruft, durch Spott, Beschimpfung oder mit Gewalt zum Schweigen bringt und dann weiterfeiert im Erdgeschoss, während der Dachboden in Flammen steht! In der heutigen Kirche geschieht das Zum-Schweigen-Bringen durch Begriffe wie „Fundamentalist“, „erzkonservativ“, „Traditionalist“ oder einfach durch Ausgrenzung und anderes Mobbing.

Um der heutigen Lage der Kirche gerecht zu werden, ist es vor allem anderen wichtig zu sehen: Die Spaltung ist schon längst da, sie liegt unübersehbar wie eine offene Gletscherspalte auf dem Weg des wandernden Gottesvolkes. Das Dümmste und Gefährlichste, was wir tun können, ist es, so zu tun, als gäbe es die Spaltung nicht, oder die Spalte durch eine Art Schneekanone von Schönrederei zuzudecken. So oder so, die Spalte wird noch gefährlicher und man fällt hinein!

Keine Brücke ohne „Heilsdialog“

Wie geht man mit solchen Spalten in der Kirche um, solange wir durch formale Trennung noch nicht in sie „hineingefallen“ sind? Möglichst behutsam, geduldig und vor allem auch wahrhaftig. Sie „aussitzen“, indem man auf die „biologische Lösung“ durch das altersbedingte Verstummen und schließlich den Tod der Erst-Verursacher wartet, wird nicht gelingen!

Die nüchterne Analyse der Situation zeigt:

Erstens besteht, wie die täglichen Meldungen beweisen, bereits eine tiefe Spaltung, die nicht „von selbst“ heilen wird wie eine kleine Schürfwunde, die keinen Arzt und keinen Verband braucht.

Zweitens wird der Spalt, wenn man nichts tut und nur zuwartet, immer breiter und gefährlicher.

Drittens ist die einzige Hoffnung, die Brücke über die Spalte bauen zu können, der „Heilsdialog“ (Paul VI.): Zu wünschen ist, dass wir wirklich miteinander sprechen und in den Einrichtungen der Kirche nicht nur nebeneinander leben. Das gegenseitige Ausgrenzen und das Sich-An-Schweigen ist der erste Schritt in Richtung einer formalen, „richtigen“ Kirchenspaltung.

Zu diesem Dialog gehört: der Glaube an die Kirche als Säule der Wahrheit und der daraus folgende Gehorsam des Glaubens! Dieser besteht zum Beispiel darin, die angeblich „heißen Eisen“ endlich auskühlen zu lassen und beiseite zu legen! Es genügt, wenn sich die Theologen darum kümmern, und „kümmern“ heißt in diesem Fall, über ihre Begründung nachzudenken, nicht aber aggressive Anti-Kirchen-Politik damit zu betreiben!

Notwendigkeit einer „gemeinsamen Sprache“

Darin enthalten ist die Notwendigkeit einer „gemeinsamen Sprache“, das heißt die Klärung, was als Argument gilt und was nicht: Ist ein Wort der Hl. Schrift ein Argument, ist es das Wort des Lehramtes, wie in Lumen gentium 25 beschrieben, gelten Fakten und Erfahrungen auch im Widerstreit der Ideologien? Sind das Selbstverständlichkeiten? Sehr oft nicht, die Beispiele zeigen es:

Straft Gott die Sünden der Menschen? Der Zeitgeist sagt Nein, die Bibel unzählige Male Ja!

Können Frauen Priester werden? Wütend fordert es der Zeitgeist sogar in seinen Vertretern, die nicht katholisch sind und denen es also gleichgültig sein müsste! Papst Johannes Paul II. aber sagte kraft seiner Autorität Nein!

Kann sich eine homosexuelle Neigung verändern? Die Ideologen behaupten Nein, die Erfahrung sagt Ja! Heute muss man nicht nur den Glauben verteidigen, sondern auch und oft als erstes die Vernunft!

Viele andere Beispiele ließen sich nennen, wichtig wäre: vorweg zu klären, welche „Erkenntnis-Lehre“ diesem so nötigen Dialog zugrunde liegt. Ohne Einigkeit in der Sprache, dreht sich das Reden ergebnislos im Kreis. Konfuzius hat auf die Frage, was er täte, wenn man ihm die politische Macht übertrüge, geantwortet: Er würde den Wörtern ihren Sinn zurückgeben!

Zum Ethos dieses Dialoges gehört es, die Autorität der kirchlichen Lehre anzuerkennen, und diese Anerkennung sollte vorweg abgefragt werden. Denn ohne diese gemeinsame Basis handelt es sich entweder um einen ökumenischen Dialog bereits getrennter Christen oder es beanspruchen alle, auch die Leugner des katholischen Glaubens, katholisch zu sein, und dann wird das Gespräch zu einem Schlagabtausch wie in der Politik: Argumente sind dabei nicht mehr gefragt, sie werden ersetzt durch Unterschriften-Sammlungen, Klatschen und durch Mehrheiten. Wir brauchen auch wieder den Mut, das Wort Häresie nicht mehr als „unanständig“ anzusehen, sondern es als präzise Beschreibung eines Sachverhaltes, über den man reden darf! Dazu gehört natürlich auch das Wissen, dass derjenige, der gemessen an der Lehre der Kirche eine Häresie vertritt, nicht in jedem Fall auch im moralischen Sinn ein verhärteter Häretiker sein muss!

Klar müssen die Regeln des Denkens sein! Logik, Fakten, Erfahrung sind Argumente, nicht Ideologien. Typische Beispiele dafür, wie diese Regeln missachtet werden, liefern Diskussionen über Empfängnisverhütung, Evolution und viele andere Themen: Wer bestimmte Thesen dieser Ideologien bezweifelt oder auf Erfahrungen verweist, die dem ideologischen Dogmen-Kanon widersprechen, wird vor allem mit Entrüstung sanktioniert, manchmal auch mit härteren Maßnahmen wie Job-Verlust, mit Mobbing und gesellschaftlicher Ächtung.

Sachliche Auseinandersetzung statt Moralisierung

Zum Dialog gehört vor allem auch: Man hört auf den Anderen, man reagiert nicht beleidigt auf Widerspruch und Kritik, man ist bereit, alle Argumente auf die Waagschale zu legen, so, dass dies der Andere auch spürt und sich ernst genommen fühlt!

Das Gegenteil zu dieser sachlichen Haltung mit ihrer Orientierung an den Argumenten und an der Wahrheit ist die Moralisierung, mit Hilfe derer man die Positionen der „Anderen“ in moralisch gute und moralisch schlechte Meinungen einteilt und auf sie mit Entrüstung und Beleidigt-Sein reagiert – statt mit Argumenten und Antworten.

Jeder hat es schon erlebt: Sowohl die Berufung auf kirchliche Lehre wie auch auf Erfahrungen und Argumente, die einer zeitgeistigen Ideologie widersprechen, wird vom Richterstuhl der moralisch sich überlegen glaubenden Gutmenschen und „Gutchristen“ aus verurteilt, mit Entrüstung gebrandmarkt und so weit als möglich einer kirchlichen Damnatio memoriae“ (Löschung aus dem Gedächtnis) anheim gegeben.

Aber das ist die Wiederkehr der uralten Sünde, nicht den Irrtum oder das, was man für Irrtum hält, sachlich und mit Argumenten zu bekämpfen, sondern den, der anders denkt, niederzumachen, gesellschaftlich oder auch physisch. Hat es das nicht auch in der Kirche gegeben? Leider ja wie alle Sünden, nur macht es die Sache nicht besser, wenn man zeigen kann, dass „auch Christen früherer Zeiten diese Sünde begangen haben“! Auch Christen-Sünden sind Sünden und kein Freibrief, sie erneut zu begehen! Zum Beispiel: Aus den Morden, den Kain und nach ihm auch viele Christen begangen haben, folgt nicht, dass die Kirche Ja sagen müsste zur Abtreibung! Die logische Folgerung führt vielmehr zum noch besonders entschlossenen Nein zu heutigen Formen des Mordens. – Es ist höchste Zeit, dass wir alle, wo wir auch stehen, zugeben: Die Spaltung ist schon da und sie vertieft sich jeden Tag mehr. Das Gefährlichste ist Schweigen und Schön-Reden, denn dann wird der Tag kommen, an dem die „Brücke“ bricht. Danach dauert es vielleicht wieder Jahrhunderte bis zur Wiedervereinigung! Die heute noch mögliche „innerkirchliche Ökumene“ ist viel hoffnungsvoller als die Ökumene „getrennter Christen“ ab dem „day after“!

Hoffnung im Hören auf den Herrn

Gibt es noch Hoffnung? Natürlich, wenn wir uns an Paulus (1 Kor 1,10) halten, der zum Thema Spaltung sagt: „Ich ermahne euch aber, Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung.“ Was wir brauchen, sind nicht noch mehr Tagungen und mehr Papiere, sondern die Hinwendung zu Jesus Christus, den Herrn, das Hören auf die Apostel, die Er uns als „Lehrer“ gegeben hat (1 Tim 1,11). Aber sicher auch: gegenseitige Achtung, Vernunft statt Ideologie, weder Schweigen noch Schön-Reden, Orientierung an der Lehre der Kirche statt Bestehen auf der eigenen „Meinung“, nicht „irreführendes Reden gegen den HERRN“ (Jes 32,6).

Hoffnung bleibt, wenn wir vor allem auf Gott schauen, auf Sein Wort hören, in und mit Seiner geliebten Kirche leben, sie, die Braut Christi, lieben und unser eigenes Leben als „Liebesgeschichte mit Gott“ verstehen! Dann werden wir die heutige Spaltung überwinden, obwohl wir nüchtern sehen müssen: Nach dem Wort der Schrift wird es Spaltungen „immer geben“ (1 Kor 11,18). Grund oder Freibrief, eine beginnende oder schon bestehende Spaltung einfach hinzunehmen, ist das nicht! Im Grunde ist es einfach, wenn man sich gemäß der Mahnung von Kardinal Thuan vor Augen hält: „Ich gehöre zu den Kindern der Kirche, ich folge dem Weg, den der Glaube mir zeigt, ich bin ein Nachfahre der Heiligen“!

Klarstellung zur Kondom-Debatte

Die Aussage Papst Benedikts XVI. über die Verwendung von Kondomen hat viel Staub aufgewirbelt. Treue Katholiken sind verwirrt, während das Ansehen des Papstes in der deutschen Gesellschaft nach neuesten Umfrageergebnissen steigt. Die ausgelöste Kondom-Debatte bewegt Kirchenferne und Seelsorger, einfache Gläubige und Kardinäle.

Von Erich Maria Fink

Was sagt Papst Benedikt XVI. im Buch „Licht der Welt“?

„Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will. Aber es ist nicht die eigentliche Art, dem Übel der HIV-Infektion beizukommen. Diese muss wirklich in der Vermenschlichung der Sexualität liegen.“

„Sie [die Kirche] sieht [ein Kondom] natürlich nicht als eine richtige oder moralische Lösung, dessen ungeachtet kann in diesem oder jenem Fall bei dessen Gebrauch die Intention dahinterstehen, das Risiko einer Ansteckung zu reduzieren, was ein erster Schritt sein kann zu einer Wandlung … zu einem menschlicheren Weg, die Sexualität zu leben.“

Papst Benedikt XVI. wagt sich auf ein Gebiet vor, für das er als Bote der christlichen Botschaft eigentlich nicht zuständig ist. Er spricht von einem Prostituierten, interessanterweise also von einem Mann. Vorstellbar ist der Bereich homosexueller Beziehungen. Es geht von vornherein um ein Tun, das die Kirche als schwer sündhaft betrachtet.

Benedikt XVI. hat zunächst zum Ausdruck gebracht, dass es objektiv gesehen natürlich besser ist, wenn ein aidskranker Mensch, der es nicht lassen kann, mit anderen geschlechtlich zu verkehren, ein Kondom verwendet, um seine „Partner“ nicht auch noch mit seiner todbringenden Krankheit anzustecken oder um wenigstens das Risiko einer Ansteckung wesentlich zu verringern.

Schließlich wurde dem Papst aufgrund seiner Äußerungen während der letzten Afrika-Reise vorgeworfen, am Tod von Menschen mitschuldig zu sein, weil er sich angeblich gegen Kondome zur Eindämmung von Aids ausgesprochen habe. Daran hatte ihn sein Interviewpartner Peter Seewald vor den oben zitierten Aussagen erinnert.

Fast scheint es, als wolle der Papst in dieser Richtung eine Klarstellung vornehmen. Seine Äußerung könnte den Sinn haben, dem Staat das Recht einzuräumen, sich für die Verwendung von Kondomen einzusetzen, da es einer staatlichen Regierung ja nicht in erster Linie um das Seelenheil der Aidskranken, sondern um den Schutz der Gesellschaft geht.

Benedikt XVI. aber hat es nicht auf diese einfache Formel gebracht. Denn der Papst spricht von einem „ersten Schritt zu einer Moralisierung“. Es geht also um eine subjektiv gesehene sittliche Bewertung des Handelns des Prostituierten. Tatsächlich ist es ein sittlich positives Moment, wenn es dem Prostituierten bei aller Sündhaftigkeit seines Tuns doch ein Anliegen ist, seine Klienten nicht anzustecken und sie vor dem sicheren Tod zu bewahren.

Dennoch stellen sich Fragen: Kann der Papst einem Todsünder den Rat geben, ein Kondom zu verwenden? Ja, hat sich der Papst mit seiner Aussage überhaupt an den Prostituierten gewandt? Fügt der Prostituierte seiner schweren Sünde noch eine weitere Sünde hinzu, wenn er ein Kondom verwendet, oder in diesem Fall eben nicht? Verstrickt sich der Papst nicht in eine Kasuistik, die in die Frage einmündet: Ist die Verwendung eines Kondoms in sich schlecht oder kann es Situationen geben, in denen ein Kondom sittlich gerechtfertigt ist? Diese Fragen stellen eine Herausforderung dar, um die die Kirche nach den Äußerungen Papst Benedikts XVI. nicht herumkommt.

Im Sinn der kirchlichen Lehre ist festzuhalten: Ein Seelsorger kann einem aidskranken Prostituierten nicht den Rat geben, ein Kondom zu verwenden, auch nicht eingeschränkt, sondern er kann ihn nur zur Umkehr und Enthaltsamkeit auffordern. Alles andere würde bedeuten, dass sich der Seelsorger an der schweren Sünde des Prostituierten mitschuldig macht.

Die Aussage des Papstes kann nicht dazu herangezogen werden, die Verwendung von Kondomen sittlich zu rechtfertigen. Selbst wenn sich in einer gültigen christlichen Ehe bei einem der Ehepartner – aus welchem Grund auch immer – eine Aidsinfektion bemerkbar machen würde, gäbe es für die Eheleute als wirkliche Lösung nur den Weg der Enthaltsamkeit. Auch eine solche Situation rechtfertigt nicht die Verwendung eines Kondoms. Nach kirchlichem Verständnis ist für einen Menschen, der den Willen Gottes erfüllen und heilig werden möchte, die Verwendung von Kondomen ausgeschlossen.

Synthetische Biologie: Ein hoch riskantes Forschungsgebiet!

Gentechnik ist im Vergleich zur sog. „Synthetischen Biologie“ geradezu eine Bagatelle. Selbst das Klonen erscheint gegenüber der neuen Möglichkeit, mit dem Computer ein künstliches Genom herzustellen, fast harmlos. Die Synthetische Biologie ist der Bevölkerung im Grunde genommen völlig unbekannt. Und doch verzeichnet sie unglaubliche Erfolge. Mit riesengroßen Schritten kommt eine Gefahr auf die Menschheit zu, die kaum überschätzt werden kann. Die Vereinten Nationen waren nicht in der Lage, das Klonen von Menschen durch eine Resolution zu ächten. Den Bedrohungen der Synthetischen Biologie steht sie offensichtlich noch hilfloser gegenüber. Pfr. Dr. Roland Graf, der sich an der Theologischen Fakultät der Universität Augsburg über das Thema „Klonen: Prüfstein für die ethischen Prinzipien zum Schutz der Menschenwürde“ promoviert hat und Mitglied der Bioethikkommission der Schweizer Bischofskonferenz ist, führt eindrucksvoll in die Problematik der Synthetischen Biologie ein.

Von Roland Graf

Die Gentechnik hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt. Das Eliminieren oder Einschleusen einzelner Gene in das Erbgut von Bakterien bis zum Säugetier ist zur Routine geworden. Die Experimentierfreudigkeit der Forscher zeigt sich durch die Erzeugung von fluoreszierenden Schweinen und Fischen. Dabei gibt es durchaus sinnvolle Anwendungen, wie z.B. die Produktion von synthetischem Insulin mit Hilfe eines Coli Bakteriums (Escherichia coli), bis hin zu geklonten Schafen, die menschliche Proteine für die Arzneimittelherstellung produzieren. Das Klonen verursacht sehr viele Missbildungen und Aborte. Zudem sterben viele Tiere kurz nach ihrer Geburt. Angesichts der damit verbundenen Tierquälerei sollte man das Klonen von Tieren als ethisch nicht akzeptabel unterlassen.

Die Synthetische Biologie erweitert nun das Experimentierfeld der Forscher in einem nicht abschätzbaren Ausmaß. Sie ist eine gewaltige Herausforderung an die Biosicherheit.

Wie wird die Synthetische Biologie definiert?

Biologen, Chemiker und Ingenieure arbeiten im Fachgebiet Synthetische Biologie zusammen, um biologische Systeme zu erzeugen, die in der Natur nicht vorkommen. Der Biologe wird so zum Designer von einzelnen Molekülen, Zellen und Organismen, mit dem Ziel, biologische Systeme mit neuen Eigenschaften zu erzeugen. Dabei werden folgende Ziele angestrebt:

• Künstliche, biochemische Systeme werden in bestehende Lebewesen integriert, damit diese neue Eigenschaften aufweisen.

• Entsprechend den biologischen Vorbildern werden schrittweise chemische Systeme so aufgebaut, dass sie bestimmte Eigenschaften von Lebewesen aufweisen.

• Organismen werden auf ihre allernotwendigsten Systemkomponenten, d.h. auf einen „Minimalorganismus“ reduziert. Dieser dient als Chassis, um biologische Schaltkreise zu erzeugen.

Im Unterschied zur Gentechnik werden nicht nur einzelne Gene von Organismus A zu Organismus B transferiert, sondern das Ziel der Synthetischen Biologie ist es, komplette künstliche biologische Systeme zu erzeugen. Diese Systeme können sich verändern oder bis zu einem gewissen Grad stabil gemacht werden (nach wikipedia.de).

Sollte ein Forscherteam tatsächlich eines Tages einen rein synthetischen Organismus mit einem minimalen Genom herstellen, der die für Lebewesen typischen Fähigkeiten aufweist, würde das etliche Fragen für Philosophen und Theologen aufwerfen. Biologen würden diesen Organismus zweifellos als künstliches Lebewesen bezeichnen, wenn es ein nach außen abgeschlossenes Gebilde wäre und sich durch Stoffwechsel und Fortpflanzungsfähigkeit auszeichnen würde. Auf philosophischer Ebene ergäben sich Fragen in Bezug auf jene Theorien, welche das Lebendige z.B. mit dem Leib-Seele-Prinzip oder einer zielgerichteten formenden Lebenskraft (vis vitalis) erklären. Ein Diskussionspunkt wäre sicher auch, ob ein synthetischer Organismus die gleiche Würde und Schutzwürdigkeit besäße, wie die in der Natur vorkommenden Vorbilder. Die Theologie wird jetzt schon herausgefordert durch verschiedene Varianten der Evolutionstheorie in Bezug auf die Schöpfungslehre. Diese äußerst interessanten Fragestellungen müssen hier ausgeklammert werden. Die Diskussion der sicherheitsrelevanten Fragen, welche die Synthetische Biologie aufwirft, ist vordringlich.

Ein neues Forschungsergebnis der Synthetischen Biologie

Das Fachgebiet Synthetische Biologie entwickelt sich in einem rasenden Tempo. Ich möchte hier nur ein Forschungsergebnis ansprechen, das im Mai 2010 für großes Aufsehen gesorgt hatte. Das J. Craig Venter Institute berichtete am 21. Mai im Magazin Science über die erfolgreiche Modifizierung eines Bakteriums, in dem erstmals ein rein chemisch synthetisiertes Genom, die Kontrolle über die weitere Entwicklung übernahm. Zwei Leistungen zeichnen die Publikation aus. Erstmals wurde ein Genom dieser Größe von immerhin 1'077'947 Basenpaaren per Computer gesteuert in mehreren Schritten vollständig und fehlerfrei synthetisiert. Zum Vergleich: Das Genom des Darmbakteriums Escherichia Coli ist rund viermal, jenes des Menschen um Faktor 3'033 größer. Um dieses synthetisierte Genom von dem in der Natur vorkommenden Mycoplasma mycoid zu unterscheiden, wurde es geringfügig modifiziert und mit einer Art Wasserzeichen versehen. Mit Hilfe des genetischen Codes brachten die Forscher im Genom einige Zitate unter, dazu die Namen der unterzeichnenden Autoren und etlicher Forscher, welche zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms unter Craig Venter beigetragen haben.

Die zweite Leistung ist der Austausch des im Mycoplasma mycoid vorhandenen Genoms durch das synthetisierte, so dass dieses die Steuerung des Bakteriums übernahm. Auf Anhieb gelang das nicht, denn es war ein gravierender Synthesefehler aufgetreten, der es dem Lebewesen unmöglich machte, das Genom zu integrieren und damit weiterzuleben. Das Forschungsteam benötigte drei Monate, um den Fehler, ein einziges verlorenes Basenpaar, zu finden.

Allerdings ist der Unterschied zwischen dem resultierenden und dem in der Natur vorkommenden Bakterium gering. Es handelt sich im Grunde lediglich um einen neuen Stamm des Mycoplasma mycoid und sicher noch kein Designerbakterium. Aber die Möglichkeiten, die sich nun für die Synthetische Biologie eröffnen, sind gewaltig.

Von künstlichem Leben kann noch keine Rede sein

In Kenntnis des in Science publizierten Artikels erstaunten die Berichte in den Medien mit der Behauptung, J. Craig Venters Team habe ein künstliches Bakterium geschaffen. So titelte beispielsweise der Tages-Anzeiger: „Das erste künstliche Leben.“ Der Titel der Publikation im Magazin Science lautet: „Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome“. Das trifft den Sachverhalt genau. Für die Medienkonferenz, welche das J. Craig Venter Institute am Publikationstag abhielt, wurde hingegen ein anderer Titel verwendet: „First Self-Replicating, Synthetic Bacterial Cell Constructed by J. Craig Venter Institute Researchers.“, d.h. erste sich selbst vermehrende synthetische bakterielle Zelle konstruiert durch Forscher des J. Craig Venter Institute. Dieser Titel ist irreführend, denn er suggeriert, das Bakterium Mycoplasma mycoid sei komplett synthetisiert worden, was natürlich nicht stimmt. J. Craig Venter persönlich musste während der Medienkonferenz zugeben, dass es sich beim erzeugten Bakterium nicht um eine neue Spezies, sondern um einen neuen Bakterienstamm handelt.

Kirchliche Stellungnahmen und ethische Bewertung

Es gibt bisher keine offizielle kirchliche Stellungnahme, die sich ausführlich in einem Dokument über die ethische Problematik der Synthetischen Biologie geäußert hätte. Die Associated Press zitierte den damaligen Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben, Msgr. Rino Fisichella, in Bezug auf die Publikation des J. Craig Venter Institutes am 21. Mai 2010: „Wenn dieses Ergebnis für das Gute, um Pathologien zu behandeln, verwendet wird, können wir uns dazu nur positiv äußern. Diese Bewertung würde aber ändern, wenn sie sich gegen die Würde der Person wenden würde.“

Weiter hielt er fest, dass Gott der Ursprung des Lebens sei. Kardinal Angelo Bagnasco, der Präsident der italienischen Bischofskonferenz erklärte, diese Erfindung sei ein weiteres Zeichen der Intelligenz, Gottes Geschenk, die Schöpfung zu verstehen und in der Lage zu sein, sie besser zu beherrschen. Auf der anderen Seite könne Intelligenz niemals ohne Verantwortung auskommen. Bischof Domenico Mogavero kommentierte, die Wissenschaftler würden versucht, Gott zu spielen.

Der Vorwurf des „Playing God“ wird von Befürwortern der Synthetischen Biologie gern zurückgewiesen. Dabei provozieren manche Wissenschaftler geradezu solche Reaktionen. J. Craig Venter bezeichnet sein Ziel als „Leben 2.0“. Ian Wilmut hat sein Buch über das Klonschaf Dolly mit dem Tiel „The Second Creation“ versehen.

Mit der Synthetischen Biologie sind umfassende Eingriffe in ein Genom möglich, die alles, was bisher mit der Gentechnik durch das Einfügen oder Löschen einzelner Gene geleistet wurde, in den Schatten stellt. Für die ethische Bewertung der Synthetischen Biologie kann es durchaus hilfreich sein, sich auf frühere kirchliche Stellungnahmen zu stützen, welche sich mit genetischen Eingriffen beim Menschen befassten.

Die Instruktion Dignitas personae aus dem Jahr 2008 äußert sich über die Gentherapie wie folgt: „Eingriffe in Körperzellen mit streng therapeutischer Zielsetzung sind prinzipiell sittlich erlaubt. Derartige Eingriffe wollen die normale genetische Beschaffenheit des betreffenden Menschen wiederherstellen oder Schaden entgegenwirken, die von genetischen Anomalien oder anderen damit verbundenen Pathologien herrühren. Weil die Gentherapie ernsthafte Risiken für den Patienten mit sich bringen kann, muss der allgemeine ethische Grundsatz befolgt werden, gemäß dem es notwendig ist, vor der Durchführung eines therapeutischen Eingriffs sicherzustellen, dass der behandelte Mensch nicht Risiken für seine Gesundheit oder seine grundlegende Unversehrtheit ausgesetzt ist, die exzessiv oder unverhältnismäßig sind im Vergleich zur Schwere der Pathologie, die geheilt werden soll.“

Verhältnismäßig kleine Veränderungen im Genom, wie es Venters Forscherteam am Mycoplasma mycoid vorgenommen hat, könnten im Sinne von Dignitas personae betrachtet werden. Allerdings möchte J. Craig Venter langfristig durchaus auf radikalste Weise selbst an das menschliche Genom herangehen und zwar „in eine neue Phase der Evolution bis hin zu dem Tag, an dem eine auf DNA basierende Spezies sich an einen Computer setzen und eine andere entwerfen kann.“ Die Antwort auf ein derartiges Vorhaben kann man in Dignitas personae nachlesen: „Man muss schließlich festhalten, dass der Versuch, einen neuen Menschentyp zu schaffen, eine ideologische Dimension aufweist, gemäß der sich der Mensch anmaßt, den Platz des Schöpfers einzunehmen.“

Die Befürworter der Synthetischen Biologie stellen die Möglichkeiten der Synthetischen Biologie selbstverständlich positiv dar. Professor Sven Panke von der ETH in Zürich erklärte im Jahr 2007, neu konstruierte Bakterien würden bald dafür sorgen, dass aus Sonnenlicht und CO2 Biotreibstoff produziert werde. Ebenso könnten sie komplexe Chemikalien zusammenbauen oder intelligente Designermedikamente produzieren, die Krebs detektieren und gleich behandeln – und das alles nach nur wenigen Jahren Forschungsarbeit. Von derartigen Versprechen darf man sich nicht blenden lassen, denn die Synthetische Biologie hat auch eine Schattenseite, die nicht unterschätzt werden darf.

Die Synthetische Biologie ist eine Herausforderung für die Biosicherheit

Im Zusammenhang mit der Synthetischen Biologie ist in Anlehnung an die Computerhacker von Biohackern die Rede (http://biohack.sourceforge.net). Es gibt so genannte Do-it-your-self Biologen, die ein eigenes Diskussionsforum im Internet betreiben. Die Aussicht, dass jeder mit einem durchschnittlichen IQ künftig in der Lage sein könnte, in einem Heimlabor ohne die üblichen hohen Sicherheitsstandards in Bezug auf die Laborausstattung, Handling und Protokollierung der Experimente Organismen zu modifizieren, muss sehr zu denken geben.

Da komplexe Moleküle rund 10mal günstiger hergestellt werden können als auf konventionellem Weg, dürfte die Technik bald für synthetische Drogen verwendet werden.

Zwischen 2001 und 2008 gaben die USA 39 Milliarden US-Dollar für Biosicherheit aus. Diese massiven Investitionen in die Forschung zur Abwehr biologischer Waffen haben dazu geführt, dass sich die Labors mit den höchsten Sicherheitsstufen vervielfachten. Vor 2001 gab es in den USA gerade 5 Laboratorien mit dem höchsten Sicherheitsstandard BSL 4. Gewiss als Folge des 11. September stieg die Zahl bis 2007 auf 15. Die BSL3 Labors werden auf 1'356 beziffert. Allerdings – mit der steigenden Zahl dieser Labors steigt auch die Zahl der Unfälle mit Folgen für das Laborpersonal und die Umgebung. Solche Unfälle ereignen sich öfter als man vermutet. Allein zwischen 2003 und 2005 wurden 12 schwerwiegende Pannen in BSL 3 Labors in den USA öffentlich bekannt. Bei Unfällen könnten unabsichtlich Organismen freigesetzt werden, die im Rahmen der Synthetischen Biologie modifiziert oder hergestellt wurden. Das stellt ein nicht abschätzbares Risiko dar.

Internationale Kontrolle der Synthetischen Biologie ist dringend nötig

Zu den sonst üblichen Fragen nach den Risiken und dem Nutzen der angewandten Technik für den Menschen ergibt sich bei der Synthetischen Biologie eine neue Dimension der Missbrauchsmöglichkeit in Bezug auf Bioterrorismus und Biowaffen. Denkbar ist die Anwendung der Synthetischen Biologie für die Herstellung pathogener Bakterien, die z.B. nur für eine bestimmte Subpopulation der Menschen schädlich bzw. tödlich wäre. Was geschieht, wenn dieses Know-How Staaten wie Iran und Nordkorea oder Terroristen in die Hände fällt? In den USA wird – im Gegensatz zu Ländern in Europa – das Problem der Biosicherheit sehr ernst genommen. Das US Department of Health & Human Services Screening hat unlängst eine Leitlinie für Firmen herausgegeben, welche synthetische DNA herstellen. Mit diversen Maßnahmen soll verhindert werden, dass diese für dubiose Auftraggeber DNA-Abschnitte synthetisieren, die für die Produktion von höchst pathogenen Viren und Bakterien verwendet werden könnten. Schon im April 2010 hat das US National Science Advisory Board of Biosecurity (NSABB) einen umfangreichen Bericht herausgegeben, der die Gefahren der Synthetischen Biologie aufzeigt und ihre unkontrollierte Verbreitung eindämmen will.

Dagegen liest sich der Bericht der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Außerhumanbereich zum Thema „Synthetische Biologie – Ethische Überlegungen“ (10. Mai 2010) geradezu naiv. Es lägen zu wenig empirische Daten vor, um eine sachgerechte Risikobeurteilung vornehmen zu können, heißt es. Es wird zwar gefordert, dass mit synthetisch hergestellten Organismen nur in geschlossenen Systemen und mit angemessenen Vorsichtsmaßnahmen gearbeitet werden kann. Man vermisst aber z.B. die Forderung, dass Wissenschaftler und Auszubildende, welche im Fachbereich Synthetische Biologie arbeiten, einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden müssten, sowie konkrete Vorschläge, mit welchen Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen Missbräuche und die unkontrollierte Verbreitung in diesem Forschungsbereich verhindert werden können. Im Grunde müssten die Geräte und Reagenzien, die zur Synthese von DNA-Abschnitten geeignet sind, registriert bzw. einer strengen Kontrolle unterzogen werden. Die Frage stellt sich aber, ob es für diese Maßnahmen nicht bereits zu spät ist. Darüber sind sich die Experten uneinig. Jeremy Minshull und Ralf Wagner als Repräsentanten der Firmen GENEART und DNA2.0, welche selber DNA synthetisieren, zeigten sich im Fachjournal Nature Biotechnology pessimistisch. Die Katze sei bereits aus dem Sack! Bei der erwähnten Medienkonferenz des J. Craig Venter Institutes wurde die Frage der Sicherheit auch angesprochen. Der anwesende Sicherheitsexperte verwies auf die Kontrolle der Personen, Reagenzien und Synthesegeräte. Laut einer Publikation aus dem Jahr 2007, an der Mitarbeiter des J. Craig Venter Institutes mitarbeiteten, existierten weltweit schon zehntausende Synthesegeräte. Schon damals gab es sieben Firmen, welche weltweit neue oder überholte Synthesegeräte verkaufen, und 15 Firmen, die allein in den USA tätig waren.

Forderung nach einem weltweiten Moratorium

Die Bedeutung der Synthetischen Biologie für die Forschung und die Sicherheit ist in der Bevölkerung noch kaum bekannt. Deshalb wurde in Deutschland die Forderung nach einem Moratorium laut, bis die entsprechende Information und Diskussion in der Bevölkerung stattgefunden hat. Es ist zu hoffen, dass bei der Synthetischen Biologie nicht die gleichen Fehler gemacht werden, wie bei der Entwicklung der In-vitro-Fertilisation und den Klontechniken. Es wird nötig sein, dass der Gesellschaft das enorme Gefahrenpotenzial bewusst gemacht wird und die Staatengemeinschaft die Synthetische Biologie unter Kontrolle bringt. Die Aussichten sind angesichts der Unfähigkeit der Vereinten Nationen, das Reproduktive Klonen des Menschen per UNO-Resolution zu ächten, nicht als besonders gut einzustufen.

Maria, die Zweite Eva

J. Francis Kardinal Stafford, emeritierter Großpönitentiär der Römischen Kurie, eröffnete am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis, dem 8. Dezember 2010, in Wigratzbad das Jubiläumsjahr, mit dem die Gebetsstätte ihr 75jähriges Bestehen feiert. In seiner Predigt stellte er die kirchliche Tradition vor, die Maria als Zweite Eva bezeichnet. Um die gesellschaftliche Entwicklung in der heutigen Zeit und zugleich die Notwenigkeit einer echten Marienverehrung zu beleuchten, ging er interessanterweise auf die italienische Mafia ein. Nachfolgend die etwas gekürzte Ansprache des Kardinals in einer Übersetzung für Kirche heute aus dem Englischen.

Von James Francis Kardinal Stafford, Rom

Heute eröffnen wir das Jubiläumsjahr, mit dem wir den 75sten Jahrestag des himmlischen Gesangs feiern, den Antonie Rädler 1936 vernommen hat: „Unbefleckt empfangene Mutter vom Sieg, bitte für uns!“ Sie hörte diesen Gesang rund zwei Monate, nachdem die Lourdesgrotte auf dem Grundstück ihrer Familie eingeweiht worden war. Die Grotte wurde aus Dankbarkeit für ihre zweimalige wunderbare Errettung vor den Angriffen der nationalsozialistischen Regierung auf ihr Leben in Lindau errichtet. Um dieses Jubiläumsjahr zu feiern, hat die Apostolische Pönitentiarie den Pilgern dieses Heiligtums unter den üblichen Bedingungen einen vollkommenen Ablass gewährt. …

Hl. Paulus: Christus, der Zweite Adam

Beim Hochfest, das die Kirche heute feiert, geht es um den vollkommenen Gehorsam Mariens, ihr unbeflecktes „fiat – So soll es mir geschehen“ bei der Verkündigung und ihr ganzes Leben hindurch. Die Kirche begann ihren Gehorsam und dessen Rolle in der Erlösung tiefer zu verstehen, als sie über die Bezeichnung Jesu als Zweiten Adam durch den hl. Paulus nachdachte. Er schreibt: „So steht es in der Schrift: Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendigmachender Geist“ (1 Kor 15,45). Außerdem schrieb der hl. Paulus: „Wie durch den Gehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden“ (Röm 5,19). Es war die Anstrengung des Gehorsams Jesu, der die Trägheit des Ungehorsams Adams überwand.

Von Anfang an haben die Jünger Jesus als den Zweiten Adam erkannt. Ausgehend von den paulinischen Texten hat die Kirche auch ein weiteres Geheimnis hervorgehoben, nämlich die Rolle Mariens als Zweiter Eva. Dieser Titel offenbart die tiefe Würde Mariens aufgrund ihrer einzigartigen Beziehung zur erlösenden Sendung ihres Sohnes. Der sel. John Henry Newman ging so weit zu schreiben: „Wir haben dasselbe Recht, Maria als die Mutter Gottes zu grüßen, wie wir es haben, Christus als Gott anzubeten.“

In der Überwindung des Ungehorsams des Ersten Adam offenbarte sich Jesus als der Zweite Adam. Auf diese Weise wird die zentrale Bedeutung des Gehorsams für unsere eigene Jüngerschaft deutlich.

Hl. Justin als Wegbereiter der Mariologie

Die frühen Christen waren von der Tatsache des Ungehorsams Evas gegenüber dem Willen Gottes betroffen (Buch Genesis), hörten allerdings mit Staunen die Frohe Botschaft (Lukasevangelium), dass nämlich Maria dem Wort Gottes Aufmerksamkeit schenkte. Sie war nicht nur aufmerksam, sondern sie gab seinem Willen ihre ganze und volle Zustimmung. Sie war gehorsam gegenüber der unbekannten Zukunft, zu der sie Gott berufen hatte. Sie lehnte sich nicht auf, als ihr das göttliche Wort durch den Engel Gabriel überbracht wurde. Sie pflichtete bei, obwohl ihr die Konsequenzen nicht bekannt waren. Obwohl sie das schreckliche Los des fleischgewordenen göttlichen Kindes in ihrem Schoß nicht kannte, gab sie sich im Glauben völlig dem Wort Gottes hin. Sie erwiderte: „Fiat“, „mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Was immer dem Kind geschehen sollte, das zu gebären sie berufen war, sie nahm es an.

Im frühen 2. Jahrhundert deutete der Märtyrer Justin die beiden Stellen im Buch Genesis und im Lukasevangelium auf tiefgründige Weise: „Wir wissen, dass Jesus, der vor aller Schöpfung aus dem Vater durch dessen Kraft und Willen hervorging …, durch die Jungfrau Mensch wurde, um den Ungehorsam auf dieselbe Weise aufzuheben, wie er begonnen hatte, als er von der Schlange seinen Ausgang nahm. Denn indem Eva, als sie noch eine Jungfrau und unbefleckt war, das Wort aufnahm, das von der Schlange her kam, brachte sie Ungehorsam und Tod hervor; doch die Jungfrau Maria antwortete gläubig und froh, als der Engel ihr die gute Nachricht übermittelte, dass der Geist des Herrn sie überschatten würde und dass deshalb der Heilige, der durch sie geboren werde, der Sohn Gottes sei: ‚Mir geschehe, wie du es gesagt hast‘“. So gab die frühe Kirche aufgrund des Gehorsams Mariens dem Geheimnis, das sich durch ihren Gehorsam enthüllte, einen Namen: Maria von Nazareth ist die Zweite Eva. Mit der Gegenüberstellung des Gehorsams der Jungfrau Maria und des Ungehorsams der Jungfrau Eva verdeutlicht Justin die zentrale Rolle Marias in der Heilsökonomie. Indem die Kirche auf diesen antithetischen Parallelismus aufbaut – der Ungehorsam Evas und der Gehorsam Marias –, beginnt der Prozess der lehramtlichen Entwicklung und Formulierung der umfassenden Rolle Mariens in der Erlösung als Zweite Eva.

Die Mafia und Maria als „Spiegel der Gerechtigkeit“

Marias unbeflecktes „Ja“ ist nicht nur ein Gegengift gegen die persönlichen Unzulänglichkeiten von heute; es ist auch die geistliche Medizin, um die bösen Strukturen in der Gesellschaft zu bekämpfen. Was gibt es heute für soziale Defizite? Ich möchte auf ein Beispiel aus Italien eingehen, wo ich die letzten 14 Jahre gelebt habe. Unter großem persönlichen Risiko hat Robert Saviano, ein junger italienischer Journalist, die Camorra, die Neapolitanische Mafia, aufgedeckt. Er beschreibt die existentielle Wirklichkeit des Lebens im postmodernen Italien unter dem zunehmenden Einfluss der Mafia als einer Gesellschaft, die durch die „macchina del fango“ – „Maschine des Schmutzes“ dominiert wird.

Meinem Urteil nach handelt es sich um eine Gesellschaft, die verseucht ist durch das „Nicht-Hören“ auf das Wort Gottes. Aus einer sizilianischen Diözese wurde berichtet, dass im November 2009 nur 18,56% der Katholiken die Sonntagsmesse besucht haben. In einer solchen Gesellschaft, wo Wissen ohne Liebe regiert, bringt die organisierte Kriminalität „überall in Italien“ eine Gesellschaft des Hasses hervor. Anti-Mafia-Jäger wie Giovanni Falcone und Paolo Borsellino wurden 1992 von der sizilianischen Mafia ermordet. Kurz vor seinem Tod beschrieb Borsellino „die Verdorbenheit von moralischem Kompromiss, von Gleichgültigkeit … von Mittäterschaft.“

Wie weite Teile Europas so wurde auch Italien heute zu einem trockenen Boden für den göttlichen Samen, der dort zuerst von den hll. Petrus und Paulus ausgesät wurde. Italien und das Christliche Europa verspüren keinen Hunger mehr nach Gott, der in Demut kommt, wie Regen und Tau, um den Menschen Kraft zu geben, die Grenzen und Begrenzungen zu überwinden, die von ihrer eigenen Ängsten heraufbeschworen werden.

Gemäß einer Anrufung der Lauretanischen Litanei war für das Jesuskind Seine Mutter Maria der Spiegel der Gerechtigkeit, Speculum Iustitiae. Der Jesusknabe sah in seiner Mutter einen vollkommen klaren Spiegel des alles mitfühlenden Willens Gottes, um „Ja“ zu sagen zur Menschheit. Nie hörte Jesus von ihr Worte, die zu Gott gesagt hätten: „So weit und nicht weiter!“

Ihr „unbeflecktes“ Ja richtet sich an alle Jünger Ihres Sohnes. Mit der Gnade Gottes sind auch wir gerufen, dem Herzen der Zweiten Eva nachzueifern, das über seine Grenzen in Anspruch genommen und über die Maßen belastet wurde, sogar bis zum Punkt des Abstiegs in die Kenosis (Phil 2) des Zweiten Adam, seiner Selbstentäußerung, ja bis zum Gehorsam des Todes, des Todes am Kreuz.

Heilende Seelsorge

In seinem Buch „Licht der Welt“[1] wird Benedikt XVI. von Peter Seewald darauf angesprochen, dass Jesus nicht nur eine Botschaft bringt, „er ist auch der Heiland, der Heiler, der ‚Christus medicus’, wie es ein altes Wort ausdrückt“. Und dieser „Jesus machte seine Jünger immerhin stark genug, dass sie neben der Verkündigung auch Dämonen austreiben und heilen konnten“ (S. 205). In seiner Antwort hebt der Papst den „therapeutischen Charakter des Christentums“ hervor. An diese Worte knüpft Dir. Thomas Maria Rimmel in seinem Beitrag an und verbindet sie mit seiner seelsorglichen Erfahrung.

Von Thomas Maria Rimmel

Sehnsucht nach Heilung

Nach über zehn Jahren als Direktor der Gebetsstätte Wigratzbad werde ich immer wieder gefragt, warum die Menschen in unsere Gebetsstätte kommen. Die Pilger selbst nennen zahlreiche Beweggründe: die Verehrung der Gottesmutter, die Verkündigung in Treue zum Lehramt der Kirche, die ehrfürchtige Feier der Liturgie, der andächtige Empfang der Heiligen Kommunion, die Anbetung etc. Über die Jahre ist mir persönlich immer deutlicher geworden: Was die Gläubigen besonders anzieht, ist die Botschaft von der barmherzigen Liebe Gottes auf dem Hintergrund einer starken Sehnsucht nach innerer Heilung. Es gibt so viele körperliche Leiden und Verwundungen seelischer Art, welche die Menschen bedrücken. Das alles „kann zu Angst, zum Rückzug auf sich selbst, zuweilen sogar zu Verzweiflung und zu Auflehnung gegen Gott führen“ (KKK 1500).

Heilende Seelsorge

Im Evangelium tritt das Mitleid Jesu mit allen Leidenden ganz deutlich in Erscheinung, ebenso die vielen Heilungen von Kranken. „Seine besondere Liebe zu den Kranken bewog die Christen durch alle Jahrhunderte sich all derer anzunehmen, die körperlich oder seelisch leiden. Sie spornte zu unermüdlichen Anstrengungen an, deren Los zu erleichtern“ (KKK 1503). „Heilt Kranke!“ (Mt 10,8) Dieser Aufruf Jesu hat bis heute nichts an Dringlichkeit eingebüßt. Im Gegenteil!

Die Seelsorge der Zukunft wird umso fruchtbarer sein, je mehr sie sich auf die Wunden der Menschen unserer Zeit einlässt. Einen Schlüssel zur Heilung bieten unser christlicher Glaube und die Gnadenmittel der Kirche. Eine verantwortliche Pastoral aber wird nicht nur auf Gottes Vergebung und das Vertrauen des Menschen pochen, sondern die geistliche Formung des Menschen mit fachgerechter Behandlung von medizinischer Seite verbinden. Auch hier gilt der Grundsatz: gratia supponit naturam – die Gnade baut auf der Natur auf. Es geht um gnadenhafte Heilung, die aber nicht auf der Ebene eines Wunders erwartet wird. Darin liegt das Befreiende und Entspannende heilender Seelsorge. Sie hat den ganzen Menschen in seiner Leib-Seele-Einheit im Blick und scheut sich nicht, die Fachkompetenz der Humanwissenschaften zu Rate zu ziehen und gerade bei psychosomatischen Störungen in Verbindung mit einem sinnstiftenden, befreienden und versöhnendem Glauben an Gott echte Hilfestellung zu leisten.

Umgang mit Volkskrankheiten

Dauermüdigkeit, Bluthochdruck und Ausgebranntsein (Burn-Out) gehören neben Stoffwechselstörungen, Fettleibigkeit und nicht verarbeiteten Stressbelastungen zu den häufigsten Volkskrankheiten unserer Tage. Bei den meisten dieser Erkrankungen sind die Ursachen eine psychosomatische Störung, unverarbeitete Schuld, fehlende Selbstannahme, Ablehnung, Unversöhntheit, seelische Verletzungen oder Hoffnungslosigkeit. Es gibt Menschen, bei denen die unverarbeitete Schuld in Verbindung mit Gewissensbissen auf Dauer Angstgefühle auslöst, aus denen schwere Depressionen entstehen können, die manchmal bis zur Selbstzerstörung reichen. Doch dieses Los kann gewendet werden.

Ganzheitliche Bewältigung

Bei all diesen Krankheitsbildern liegt ein Schlüssel zur Heilung in einer ganzheitlichen Behandlung, die medizinische und spirituelle Hilfestellungen miteinander verbindet.

Zahlreiche Teilnehmer unserer Kurse im Geist „Heilender Seelsorge“ berichten, wie sie während des Seminars erstmals über die leib-seelischen Zusammenhänge ihrer Erkrankung aufgeklärt wurden, diese mit fachlicher Beratung aufarbeiten konnten und nach oft jahrelangem Suchen und leidvollen Wegen nachhaltig Heilung erfahren haben.

Einerseits sind haus- und fachärztliche Kompetenz unerlässlich. Für eine ganzheitliche Bewältigung sollte aber das Gnadenangebot Christi (Christus medicus) nicht außer Acht gelassen werden: „Denn ich bin der Herr, dein Arzt“ (Ex 15,26).

Therapeutischer Charakter des Christentums

Deshalb ist für Papst Benedikt XVI. dabei entscheidend, dass die Kirche „Ihn gibt. Dass sie die Türen zu Gott aufmacht und damit den Menschen das gibt, was sie am meisten erwarten, was sie am meisten brauchen, und was ihnen auch am meisten helfen kann. Sie tut es vor allen Dingen durch das große Wunder der Liebe, das immer wieder geschieht. Wenn Menschen – ohne einen Profit zu haben, ohne das als Job machen zu müssen – von Christus motiviert anderen beistehen und ihnen helfen. Dieser, wie Eugen Biser sagt, therapeutische Charakter des Christentums, der heilende und schenkende, müsste in der Tat viel deutlicher in Erscheinung treten“ (S. 205).


[1] Benedikt XVI.: Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Verlag Herder, 2. Aufl. 2010, geb., 256 S., ISBN: 978-3-451-32537-3

Der hl. Meinrad und das Kloster Einsiedeln

Am 21. Januar feiert die Kirche das Fest des hl. Meinrad. Er war Priestermönch im Kloster Reichenau und lebte seit etwa 835 als Eremit im „Finstern Wald“. Dort wurde er am 21. Januar 861 von Räubern erschlagen. Was macht ein solcher Tod für einen Sinn? Die Frucht seines Lebensopfers gibt eine Antwort: auf seinem Golgotha erblühte das Kloster Einsiedeln. Der hl. Meinrad aber wird als Märtyrer verehrt. Angesichts der zunehmenden und oft so sinnlos erscheinenden Massaker an Christen in der heutigen Zeit ein siegreicher Trost!

Von Notker M. Hiegl OSB

Meinrads Herkunft

Graf Berchtold vom Stülichgau wünschte sich sehnlichst ein Kind. Wie die alttestamentliche Hanna versprach er, im Fall der Erhörung dieses Kind Gott im geistlichen Stand zu weihen. Tatsächlich brachte seine Gattin einen Sohn zur Welt. Bei der Taufe wurde er Meinrad genannt. Damals lautete der Name „Meginrat“, das sich vom althochdeutschen „Magan“ – „Kraft und Stärke“ ableitet. So bedeutet Meinrad der „Starke im Rat“. Die Zeitangabe seiner Geburt ist sehr allgemein: zu den Zeiten Karls des Großen, also um 800.

Als Meinrad das Schulalter erreicht hatte, brachte ihn sein Vater in das benediktinische Inselkloster Reichenau (Bodensee). Dort fühlte er sich zum geistlichen Beruf hingezogen, zögerte aber in einer gewissen Ängstlichkeit vor der Profess. Dennoch wurde er mit 25 Jahren zum Diakon und zum Priester geweiht. Schließlich folgte er dem Rat des mit ihm verwandten Abtes Erlebald und verpflichtete sich für das klösterliche Leben. Wenig später schickte ihn der Abt als Schulmeister in das Kloster Babinchova am Oberen Zürichsee. Über diese Lehrtätigkeit ist nichts bekannt. Bei der geringen Schülerzahl war er wohl der einzige Lehrer. Doch Meinrad sehnte sich heraus aus dem Schulbetrieb, hinein in eine Klause unter den schützenden Tannen. Er war tief beeindruckt vom Beispiel des Abtes Heito, der nach seiner Resignation als Eremit in Oberzell seinen Frieden gefunden hatte.

Auf dem Etzel-Pass

Bei den Asketen der frühen Kirche war es die Wüste, im Norden Europas lockte der Wald mit dem Geheul der wilden Tiere. Meinrad weihte eine Witwe, welche am Fuß eines in den Bergwald führenden Passes wohnte, in seine Pläne ein. Als er Abt Erlebald den Wunsch eröffnet, Eremit zu werden, willfahrt ihm dieser mit weitem Herzen. Meinrad wählt als Ort für seine Klause den Grat des erwähnten Passeinschnittes, der heute Etzelpass heißt. Einige Männer vom Tal-Weiler Altendorf helfen ihm im Jahr 828 beim Bau seiner Eremitenwohnung. Ratsuchende ohne Zahl finden in den nächsten sieben Jahren ihren Weg in seine Einsiedelei. Die fromme Witwe versorgt ihn mit Lebensmitteln. Als die Wallfahrt zum Eremiten immer weiter wächst, spielt er mit dem Gedanken, tiefer in den „Finsteren Wald“ umzuziehen, in noch größere echte Einsamkeit.

Übrigens befinden sich in Erinnerung an die erste Einsiedelei des hl. Meinrad bis heute auf dem Etzel eine Kapelle und eine klösterliche Wirtschaft.

Endlich im tiefen „Finstern Wald“

Auf dem Weg zu seiner neuen Wohnstätte im Finstern Wald wurde Meinrad ein Stück weit von einem anderen Einsiedlerbruder der Region begleitet. Dieser erblickte auf einem Baum ein Nest mit zwei mutterlosen jungen Raben. Er holte sie herunter und übergab sie Meinrad. Die Tierlein sollten dem einsamen Eremiten Gesellschaft leisten. Raben werden in der Regel sehr alt, darum waren sie wohl die gleichen, die sich später, wie berichtet wird, gegen die Mörder des heiligen Klausners so sehr zu Wehr setzten. Die Raben sind bis heute die Wappentiere von Einsiedeln geblieben: auf gelbem Grund für das Kloster, auf rotem für das Dorf. Dort also erbaute Meinrad seine zweite Zelle, wo heute das Kloster Maria Einsiedeln steht. Meinrad hatte den Ort gefunden, wo er die letzten 26 Jahre seines Lebens verbringen sollte. Die Witwe konnte ihn in dieser Entfernung nicht mehr verpflegen. Doch lebten in der Wildnis weitere Einsiedler, die sich gegenseitig halfen und unterstützten. Kapelle und Klause unmittelbar bei einer Quelle waren nun Meinrads Zuhause. Und noch ein Gebäude: nämlich die Unterkunft für Gäste, denn ganz blieben diese auch hier nicht aus. Der Ruf des frommen Einsiedlers hatte sich bereits weit über Zürich hinaus verbreitet. Mit Gebet und Fasten diente der Heilige, der frühere Grafensohn, der gut ausgebildete Lehrer, fortan nur noch seinem Schöpfer. Er gab „starken“ Rat, spendete Trost und schenkte alles, was er von den Gästen erhielt, an die Armen weiter. Der „Finstere Wald“ war aber beileibe keine Idylle. Die Winter klirrten in dieser Berghöhe von weit über 1000 Metern vor Kälte. Wölfe und Bären beherrschten die Tierwelt, Dornen und Gestrüpp erschwerten das Vordringen in der Wildnis bei der Beeren- und Nahrungssuche.

Von Räubern erschlagen

An einem eisigen Wintermorgen, dem 21. Januar 861, tauchten zwei üble Gesellen bei Meinrad auf, der Alemanne Richard und der Rätier Peter. Sie waren gekommen, um den einsamen Beter zu töten und auszurauben. Denn sie vermuteten beim Waldbruder wertvolle Schätze. Er ahnte nichts Gutes. Trotzdem nahm er sie gastfreundlich auf. Zunächst feierte er für die beiden Gäste die Heilige Messe, dann bewirtete er sie reichlich mit Brot und Wein. Die beiden finsteren Gesellen waren zu hartgesotten, um durch die Hl. Messe und die Gastfreundschaft umgestimmt zu werden. Der eine packte Meinrad von hinten an, der andere schlug ihm mit einer Keule auf sein Haupt. Warum, warum der Tod dieses Unschuldigen, dieses Guten? Der Glaube weist auf Christi Leiden und Sterben hin, der Reinste wurde für das Heil der Welt geopfert. Nur von da fällt ein versöhnender Lichtstrahl auf den ermordeten Einsiedler im Finstern Wald. Die wertvollen Kerzenleuchter aus der Kapelle stellen die Mörder beim Leichnam des Erschlagenen nieder. Als sie sonst keine Pretiosen finden, machen sie sich gegenseitig Vorwürfe über die grausame Missetat und ergreifen eilends die Flucht nach Zürich. Bis in die Stadt hinein werden sie von den beiden Raben des Heiligen verfolgt. Dort erkennt man Meinrads Raben, fasst die beiden Männer und richtet sie. Meinrad wurde in seinem Heimatkloster auf der Insel Reichenau begraben. Seine Klause zerfiel. Es sollten mehr als 40 Jahre vergehen, bis wieder menschliches Leben an den Ort bei der Quelle im „Finstern Wald“ zurückkehrte.

Meinrads Haupt-Reliquie

Im Jahr 906 ließ sich dort Benno, ein Domherr aus Straßburg, mit einigen Gleichgesinnten nieder, rodete den Wald und baute die Meinrads-Kapelle wieder auf. Im Umkreis errichteten die Einsiedler ihre eigenen Klausen, ähnlich wie bei Pachomius. Nach Bennos Tod bauten Verwandte von ihm an dieser Stelle ein erstes Kloster. Eberhard, ein Nellenburger, Domprobst in Straßburg, wurde erster Abt. Im Jahr 1039 kehrten die Gebeine Meinrads von der Insel Reichenau an den Ort seines Einsiedlerlebens zurück. Das Haupt ist heute in einem silbernen Reliquiar gefasst und wurde 1984 von Papst Johannes Paul II. bei der Weihe des neuen Hauptaltares beim Chorgitter in eine Altarlade gelegt.

Vor über 30 Jahren durfte ich in Maria Einsiedeln selbst sechs Semester Theologie und Philosophie studieren. Damals war das Haupt des Heiligen noch durch die verzierte Tüllhülle hindurch zu sehen; man konnte sogar die Platzwunde durch den Keulenhieb erkennen. Das Haupt war ehrenvoll in einem tabernakelähnlichen Gehäuse in der Muttergottes-Kapelle untergebracht. Bei den Prozessionen an den Festtagen durfte der Diakon das Haupt des Heiligen durch die ganze große Kirche hindurch tragen. Der Chor aus Mönchen und Internatsschülern sang in der Litanei: Sancte Meinrade, ora pro nobis – Heiliger Meinrad, bitte für uns! Die Gläubigen bekreuzigten sich oder knieten gar zu Boden; man näherte sich wieder der Kapelle, das Haupt wurde im Gehäuse eingeschlossen und das vierstimmige „Salve Regina“ erscholl in himmlischer Schönheit. Eines möchte ich hier offenbaren: Als ich den Dienst des Diakons verrichten durfte, drückte ich das Haupt des Heiligen fest an meine Brust.

 Einsiedeln wurde zur geistigen Metropole der Schweiz, brachte unzählige Heilige hervor, die im unteren Klaustrum überlebensgroß dargestellt sind. Einsiedeln gründete in den USA die große Erzabtei St. Meinrad, weitere Klöster folgten in North Dakota, Arkansas und Louisiana. Die Stiftsschule wurde ausgebaut, die Wallfahrt der Schweizer Katholiken, ein Höchststand von über zweihundert Mönchen wurde erreicht. Die Abtei wurde von Papst Pius X. als „Abbatia nullius“ bestätigt. So ist der Abt von Einsiedeln Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz, die regelmäßig auch im Kloster tagt. Die „Schwarze Madonna“, eine spätgotische Statue mit einem bestickten Behang bekleidet, Zierde und Mitte der heutigen Gnadenkapelle, umlagert von Hunderten und Tausenden von Gläubigen – hier feierte ich meine Nachprimiz.

„Lehre sie den Katechismus!“

Am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, dem 8. Dezember 2010, gab Bischof David Ricken von Green Bay die offizielle kirchliche Anerkennung von Marienerscheinungen bekannt, die 1859 in Champion/Wisconsin in seiner Diözese stattgefunden haben. In seinem Beitrag stellt Werner Schiederer die Geschichte und den Inhalt der Botschaften kurz vor.

Von Werner Schiederer

Blick in die Geschichte

Die 1831 in Brüssel geborene Adele Brise wanderte 1855 mit ihrer Familie aus Belgien in den Norden der USA aus. Vier Jahre später, am 8. und 9. Oktober 1859, hatte sie dort im Alter von 28 Jahren drei Erscheinungen der Gottesmutter. Maria zeigte sich ihr in weißem Gewand mit gelbem Gürtel und stellte sich als „Königin des Himmels“ vor. Adele Brise, die noch in ihrer Heimat ein Auge verloren hatte, war tief gläubig und hatte das Versprechen abgelegt, in einen Orden einzutreten. Nachdem sie jedoch von der Gottesmutter aufgefordert worden war, für die Bekehrung der Sünder zu beten und die Kinder in den Glauben an Jesus Christus einzuführen, widmete sie sich dieser Aufgabe bis zu ihrem Tod im Jahr 1896 mit heiligmäßigem Eifer und unglaublicher Opferbereitschaft. Zusammen mit ihren Gefährtinnen, die sich ihr bald anschlossen, gründete sie schließlich selbst eine Schwesterngemeinschaft. Sie übernahm auch selbst die Leitung des Instituts und richtete ein Mädchenpensionat ein. Obwohl sie nur eine sehr begrenzte Bildung mitbrachte, arbeitete sie mit großem Erfolg. Am Erscheinungsort selbst wurde eine Kirche gebaut, die 1871 beim größten Waldbrand in der Geschichte Amerikas auf wunderbare Weise verschont geblieben ist. Inzwischen bildet das „Heiligtum unserer lieben Frau von der guten Hilfe“, das sich in der Nähe des Michigansees befindet, einen Wallfahrtsort, an dem auffallende Bekehrungen und auch körperliche Heilungen bezeugt sind. Vor zwei Jahren hatte der zuständige Diözesanbischof David Ricken von Green Bay eine Untersuchungskommission eingerichtet, deren Ergebnisse ihn nun veranlassten, die Echtheit der Erscheinungen aus dem Jahr 1859 anzuerkennen.

Die Botschaften der Gottesmutter

Im Auftrag ihres Beichtvaters fragte Adele Brise bei der dritten Erscheinung: „Im Namen Gottes, wer sind Sie und was möchten Sie von mir?“

Die Erscheinung antwortete ihr: „Ich bin die Königin des Himmels, welche für die Bekehrung der Sünder betet, ich möchte, dass auch du dafür betest. Du hast heute Morgen die Heilige Kommunion empfangen und dies ist gut. Aber du musst noch mehr tun. Lege eine Generalbeichte ab und opfere die Kommunion für die Bekehrung der Sünder auf. Wenn sie sich nicht umkehren und Buße tun, dann muss mein Sohn sie bestrafen.“

Dann fragte die Erscheinung die junge Frau: „Was vertust du hier deine Zeit, während deine Gefährten im Weinberg meines Sohnes arbeiten?“ Adele Brise fragte weinend, was sie noch tun könne. „Sammle die Kinder in dieser wilden Gegend und lehre sie alles, was sie wissen müssen, um erlöst zu werden. … Lehre sie den Katechismus, lehre sie, sich mit dem Kreuzzeichen zu bezeichnen, lehre sie, wie sie die Sakramente empfangen sollen. Das ist es, was ich von dir will. Geh, fürchte dich nicht. Ich werde dir helfen.“

Bedeutung

Die Aufforderung, unsere jungen Menschen im Katechismus zu unterrichten, ist aktueller denn je. Dass die Gottesmutter ihre Sorge und die Dringlichkeit ihrer Aufforderung damit begründet, dass der Sohn Gottes die Sünder bestrafen muss, wenn sie nicht umkehren und Buße tun, ist ein heilsames Signal für unsere Zeit. Eine gewaltige Ermutigung stellen die abschließenden Worte der Gottesmutter dar, die auch jedem von uns heute gelten, dem es wirklich um die Bekehrung der Sünder und ihre Hinführung zu Gott geht.


Zwei Bücher meines Lebens

Weihbischof Dr. Andreas Laun stellt zwei Bücher vor, die er im vergangenen Jahr entdeckt hat. Sie sind für ihn „ein Erlebnis, ein Geschenk, ein Licht, wie die Begegnung mit einem bedeutenden Menschen, der ins eigene Leben eingetreten ist und vielleicht sogar ein Teil des Lebens geworden ist“.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

„Ins Herz geschrieben“[1]

„Ins Herz geschrieben“, ein Paulus-Zitat, lautet der Titel des ersten Buches, geschrieben von W. Waldstein, em. Prof. für Römisches Recht an der Universität Salzbug, es handelt vom „Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft“. Niemand muss sich für dumm halten, der den Titel nicht sofort versteht, aber die Sache, um die es geht, lässt sich sehr wohl „sofort verstehen“, man kann sie eigentlich „jedem Kind“ erklären und das Kind wird es ohnehin „schon wissen, dass es so ist“! Warum das? Eben deswegen, weil dieses „Naturrecht“ Gott ins Herz des Menschen geschrieben hat. Eigentlich gut leserlich, auch wenn nicht selten gerade gescheite Menschen behaupten, diese Schrift in ihrem Herzen nicht einmal finden, geschweige denn lesen zu können. Dass Kinder gescheiter sind als manche Erwachsene ist allerdings weder neu noch überraschend. Also, worum handelt es sich? Darum, dass es neben den rein menschlichen Gesetzen und Regeln des Zusammenlebens eine höhere Gerechtigkeit gibt als die der Parlamente, der Mehrheiten, der Führer und anderer Mächtigen, wie sie auch heißen. Waldstein zeigt: Dass es dieses höhere Gesetz gibt, machten nicht erst die Juden und Christen bekannt. Vor allem die Römer haben das schon gewusst und ihrem Rechtssystem zugrunde gelegt. Auf Grund des Einflusses dieses Rechtssystems und in Verbindung mit der Bibel war die Existenz dieses Rechtes Jahrhunderte lang etwas Selbstverständliches, auch wenn es natürlich nicht immer eingehalten wurde, genauso wenig und genauso viel wie die anderen Gebote Gottes. Aber man wusste um dieses Recht und konnte sich auf es berufen, auch denen gegenüber, die mächtiger waren! Für einen Mann wie Kaiser Karl von Österreich war das Wissen um dieses Recht ein treibendes Motiv all seines politischen Handelns und Bemühens.

Heute scheint diese vor allem für Politiker so wichtige Erkenntnis verloren gegangen zu sein, unsere Politiker reden nicht mehr darüber und bestimmte Gesetze, die sie als „Fortschritt“ beschließen, widersprechen dem Naturrecht diametral und sind, so gesehen, sogar „ungültig“ zu nennen! Höchstgefährlich, wenn Naturrecht wirklich „Fundament einer menschlichen Gesellschaft“ ist, wie Waldstein schon im Titel sagt! Wenn es dieses „Fundament“ ist? Nein, nicht wenn, es ist wirklich das Fundament der Menschlichkeit in jedem Staat! Wer hier weiterdenkt, weiß: Wir leben in einer gefährdeten Welt!

„Hoffnungswege“[2]

Das andere Buch, das ich vorstellen möchte, wurde zum größten Teil auf altem Papier und im Gefängnis geschrieben: F. X. M. van Thuan, Bischof in Vietnam, 13 lange Jahre in einem kommunistischen Gefängnis, davon 9 Jahre in Einzelhaft. In seiner inneren Not nach der Verhaftung erinnerte er sich an den hl. Paulus: Der war auch im Gefängnis und hatte von dort aus Briefe an die Gemeinden geschrieben! Trotz widrigster Umstände schaffte das auch van Thuan: Auch er schrieb Briefe für die Menschen draußen, vor allem Briefe der Hoffnung. Damit wollte er nur „seine Erfahrung mit euch teilen. Wie ich Jesus in jedem Augenblick meines Alltags begegnet bin!“ Zum Beispiel so: Abgeschnitten von allem, was sein Leben ausgemacht hatte, dachte er an das, was er in und für die Kirche getan und noch gerne getan hätte. Aber: „Eines Nachts vernahm ich in der Tiefe meines Herzens eine Stimme, die zu mir sagte: Warum quälst du dich so sehr? Du musst zwischen Gott und seinen Werken unterscheiden! Alles, was du vollbracht hast und auch weiterhin zu tun wünschest, dies alles sind hervorragende Werke. Sie sind zwar Gottes Werke, aber sie sind nicht Gott selbst. Wenn Gott will, dass du diese Werke lässt, dann tue es sofort und vertraue ihm. Du hast Dich für Gott entschieden, nicht für seine Werke.“ Nachdem Kardinal Thuan freigekommen war, rief ihn der Papst nach Rom und übertrug ihm dort die Erstellung eines Katechismus der Katholischen Soziallehre der Kirche. Natürlich ist in diesem auch die Rede vom Naturrecht, einem Kernstück dieser Lehre! So schließt sich der Kreis dieser beiden Bücher, die ich beide, jedes gemäß seiner Art, mit brennendem Herzen gelesen habe und immer noch lese, Schätze für mein Leben.


[1] Wolfgang Waldstein: Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft, geb., 176 S., ISBN: 978-3-86744-137-7, www.sankt-ulrich-verlag.de
[2] Franz Xaver Nguyên van Thuân: Hoffnungswege. Botschaften der Freude aus dem Gefängnis. Mit einem Vorwort von Joachim Kardinal Meisner, geb., 343 S., ISBN: 978-3-87620-317-1, www.patris-verlag.de

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