Programmatische Ansprache des neuen Präfekten der Glaubenskongregation

Weltweit denken – katholisch denken!

Papst Benedikt XVI. hat Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller von Regensburg zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt. Geahnt hatte man diese Entscheidung schon seit längerer Zeit. Trotzdem war die Überraschung groß. Bischof Müller ist aus den Medien als streitbarer Oberhirte bekannt. Doch wurde kaum ein adäquates Bild von seinem theologischen Denken und Glaubenszeugnis vermittelt. Gerade das aber interessiert nun die Gläubigen von dem Mann, der künftig die Verantwortung für Glaubensfragen in der Weltkirche tragen wird. Eine aktuelle Predigt des Bischofs gibt einen guten Einblick in seinen Glaubenssinn und sein religiöses Engagement. Sie wurde von ihm am 17. Juni 2012 beim Fest der „Drei elenden Heiligen von Griesstetten“ gehalten, einer Wallfahrt, die nur alle 50 Jahre stattfindet und zu den ältesten und ungewöhnlichsten der Oberpfalz zählt. Auch dieses Jahr marschierten wieder zahlreiche Pilger mit den „Drei Elenden Heiligen“ von Dietfurt in den Ortsteil Griesstetten. Die programmatische Ansprache des Bischofs ist geeignet, um ihn in seiner Art kennen und als obersten Glaubenshüter der Kirche schätzen zu lernen.

Von Gerhard Ludwig Müller, Bischof em. von Regensburg

Als ich bei der Vorbereitung zu diesem Festtag zum ersten Mal von den „Drei elenden Heiligen von Griesstetten“ hörte, war ich ein wenig verwundert. Elende Heilige? Was soll das bedeuten?

Wenn man aber die Erklärung liest und sie sich zueigen macht, dann versteht man, dass hier etwas ganz Spezifisches und sehr Wichtiges über unseren christlichen Glauben, aber auch über das Grundverständnis der menschlichen Existenz ausgesagt wird.

Unser Ziel ist die ewige Gemeinschaft mit Gott

Das Wort „elend“ bedeutet in diesem Zusammenhang soviel wie „ausländisch“, „von woanders her kommend“. Dieses „Von-woanders-her-Kommen“, dieses „Nicht-beheimatet-Sein“ ist ein Sinnbild für die Existenz des Menschen in der Welt. Nicht umsonst singen wir im Kirchenlied „(…) wenn wir heimfahrn aus diesem Elende“ (GL 248,1) oder beten im Salve Regina „und nach diesem Elende zeige uns Jesus“. Hier bricht sich das Bewusstsein Bahn, dass wir im irdischen Leben keine endgültige Heimat finden. Wir suchen zwar die Idylle, in der uns keine Sorgen belasten, und wünschen, dass sich die Zeit endlos ausdehnt. Gleichzeitig aber wissen wir, dass diese Vorstellungen und Wünsche unter den Bedingungen unserer irdischen Existenz niemals verwirklicht werden können. Wir Menschen werden von Krankheiten und allerlei Leiden heimgesucht und gehen unserem sicheren Tod entgegen – „denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt, sondern wir suchen die künftige“, wie es der Hebräerbrief treffend beschreibt (Hebr 13,14). Gleichzeitig sind wir aber nicht verloren. Für den Glaubenden führt der Weg nicht in den gähnenden Abgrund des Nichts, sondern hin zum himmlischen Jerusalem, hinein in die ewige Gemeinschaft mit Gott.

Wir müssen das Evangelium unseren Mitmenschen bezeugen

In diesem festen Vertrauen waren unzählige Gläubige im Laufe der 2000 Jahre des Christentums bereit, ihre unmittelbare Heimat, den gesicherten Raum des Bekannten aufzugeben und sich auf den Weg zu machen. Motivation war ihnen dabei nicht die Hoffnung auf ein besseres Leben, sondern vielmehr der Wunsch, anderen Menschen das Bessere, ja das Beste zu verkünden gemäß dem Auftrag Jesu: „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19f.). – Aus diesem Grund können auch wir das Evangelium, die frohe Botschaft, dass Gott sich des Menschen angenommen hat, zu uns gekommen ist und in unserer Mitte seine Wohnung aufgeschlagen hat, nicht nur für uns behalten, sondern wir bezeugen sie unmittelbar den Menschen, die mit uns zusammen sind: in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, in Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.

Ausländische Priester in Deutschland sind ein wertvolles Zeichen

Das Evangelium führt die Menschen zusammen, wie es bereits im Bericht vom ersten Pfingstfest, dem „Geburtstag“ der Kirche, bezeugt ist (vgl. Apg 2,1ff.): Menschen unterschiedlichster kultureller Herkunft und Sprache waren in Jerusalem zusammengekommen. Durch das Wirken des Heiligen Geistes aber konnten sie die eine Sprache, das Evangelium verstehen, mit einem Mund das Gotteslob verkünden, Gott anbeten, ihn loben und preisen für all das Große, das er für uns getan hat. So ist die Kirche schon an ihrem Ursprung aus vielen Völkern zusammengewachsen. Diese Wahrheit überwindet die engen Grenzen unseres Denkens, alle falsch verstandene „Heimatlichkeit“, die nichts anderes ist als Provinzialismus.

Das hat ganz konkrete Konsequenzen: Manche Leute sagen beispielsweise: „Lieber verzichten wir auf eine Eucharistiefeier, weil der sog. ‚ausländische‘ Priester am Altar nicht 100%ig hochdeutsch spricht“ – als ob das in Bayern eine Selbstverständlichkeit wäre …). Vimius, Zimius und Marinus, die drei „elenden“ Heiligen von Griesstetten, aber lehren uns etwas anderes: Diese Glaubensboten der angelsächsischen Mission – Männer aus den Gebieten des heutigen Schottland, Irland und England – waren bereit, die weiten und gefahrvollen Wege auf sich zu nehmen, um hier bei unseren Vorfahren das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden. Deshalb gibt es in der Kirche Gottes keinen Ausländer! Wir gehören als Familie Gottes vielmehr alle zusammen und wirken füreinander! Als Bischof bin ich froh und stolz, dass in unserer Diözese Regensburg und in vielen anderen Diözesen Deutschlands Priester und Ordensleute aus Indien, Polen, Afrika und anderen Erdteilen seelsorgerlich wirken und Zeugnis dafür geben, dass wir brüderlich und schwesterlich zusammengehören und weltweit das eine Volk Gottes aus den vielen Völkern sind. Ich denke aber auch an die vielen Priester und Ordensleute aus unserer Heimat, die als Missionare in ferne Länder gezogen sind, um dort am Aufbau des Reiches Gottes mitzuarbeiten.

Wir müssen die engen Grenzen unseres Denkens aufsprengen

Was ist denn eigentlich die Kirche? – Das II. Vatikanische Konzil lehrt: „Die Kirche ist in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen gentium 1). Darum haben Provinzialismus und Heimatdümpelei in unserem katholischen Glauben keinen Platz! Wir dürfen vielmehr dankbar sein, dass wir der Weltkirche angehören. Wohin wir auch kommen, überall werden die gleichen Sakramente gespendet. Überall dürfen wir – auch wenn wir vielleicht die Sprache nicht verstehen – teilnehmen an der einen Feier der Eucharistie, unser Herz im Opfer Jesu Christi Gott darbringen und die Gemeinschaft mit Christus in der heiligen Kommunion empfangen. Darum lautet die Botschaft, die von den „drei elenden Heiligen von Griesstetten“ ausgeht: weltweit denken – katholisch denken – die engen Grenzen unseres Denkens, unseres Herzens und unseres Fühlens aufsprengen!

„Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde“, so lesen wir im Buch Genesis (Gen 12,1). In diesen Worten kommt die Grundorientierung menschlicher Existenz zum Ausdruck. Gewiss, wir sind Fremdlinge auf dieser Welt und haben hier keine bleibende Stätte. Aber wir gehen nicht ziellos durch die Landschaft. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern wir sind unterwegs zum Ziel, das wir nicht aus den Augen verlieren: das himmlische Jerusalem. In der ewigen Heimat bei Gott wird uns in aller Klarheit und Wahrheit offenbar werden, dass die Liebe Gottes der Sinn unseres Lebens ist. Sie „ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). Diese Liebe, die uns jetzt schon erfüllt, ist die wahre Heimat im dreifaltigen Gott: Gott selber ist der Ursprung, Christus der Weg und der Heilige Geist die Stärkung auf unserer Pilgerschaft, in der wir verbunden sind mit der Gemeinschaft der ganzen pilgernden Kirche Gottes.

Auf diesem Weg unserer gemeinsamen Pilgerschaft müssen wir uns so mancher Vorurteile und falscher Vorstellungen erwehren, die versuchen, sich in unseren Herzen einzunisten.

1. Das richtige Verständnis von Ehe und Familie

So ist das richtige Verständnis von Ehe und Familie eine große Herausforderung unserer Zeit. Am Anfang der Schöpfung hat Gott den Menschen „als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mk 10,7ff.). Hier ist von einer Lebensgemeinschaft in personaler und persönlicher Liebe und Treue die Rede. Ihr Ziel ist kein bequemes Leben, sondern die Bereitschaft, Verantwortung füreinander zu übernehmen und das Abenteuer der Liebe zu wagen: „Ja“ zu sagen zu den Kindern, die Gott einem liebenden Ehepaar schenkt; diese Kinder entsprechend ihrer Entwicklung und ihrer Altersstufe zu begleiten; ihnen die Geborgenheit zu vermitteln, auf die jeder Mensch ein Recht hat. Geborgen zu sein, beim eigenen Vater und der eigenen Mutter aufwachsen und leben zu können, ist ein Menschenrecht, das jedem einzelnen zukommt.

Wenn ich aber betrachte, wie manche Volks- oder Interessensvertreter der Wirtschaft „herumeiern“ und anderen ihre familienpolitischen Ideologien aufzudrängen versuchen, dann muss ich klar sagen: Volksvertreter werden gewählt, um dem Gemeinwohl zu dienen, nicht aber, um ihre eigenen ideologischen Familienbilder der ganzen Gesellschaft aufzudrängen. Manche wollen mit Steuergeldern Anreize geben. Die Steuergelder aber werden von uns allen bezahlt, um dem Gemeinwohl zu dienen. Darum geht es nicht um ein gegenseitiges Ausspielen von Betreuungsgeld oder Kita-Plätzen, sondern in allererster Linie darum, dass Eltern die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und ihnen die Nähe und Wärme geben können, die jeder Mensch zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung braucht. Das Wohl des Kindes muss im Mittelpunkt stehen! Von diesem Grundsatz her gilt es in einem zweiten Schritt zu fragen, wie das am besten verwirklicht werden kann.

Kinder dürfen nicht unter dem Blickwinkel des Arbeits- oder Rentenmarktes betrachtet werden, so wichtig das alles auch sein mag. Kinder werden nicht zum Rentenzahlen geboren, sondern werden aus der Liebe Gottes ins Dasein hinein verfügt durch die Liebe des eigenen Vaters und der eigenen Mutter. Dieser Daseinssinn ist unverfügbar und darf von keiner Ideologie verdunkelt werden! Die Eltern haben es zu bestimmen, was für ihr Kind gut ist und wie sie ihnen nahe sind. Der Mensch ist nicht für die Wirtschaft und die Arbeit da, sondern die Wirtschaft und die Arbeit sind für den Menschen da! Lasst uns deshalb alle Vorurteile ablegen! Befreien wir uns aus dem Gefängnis falscher Vorstellungen! Sprechen wir ein frohes, überzeugtes „Ja“ zum Kind, „Ja“ zu den jungen Menschen, „Ja“ zum Ehepartner! Lassen wir nicht zu, dass Menschen benutzt und verzweckt werden! Das menschliche Leben ist in seinem innersten Wesen kein Zweck, sondern die Offenbarung des Sinns, den wir von Gott her empfangen haben.

2. Das richtige Verständnis von Kirche

Auch wenn es um die Kirche geht, begegnen uns häufig Vorurteile. Dem gilt es das richtige Verständnis von Kirche entgegenzusetzen. Die Kirche ist kein von Menschen gemachter Verein, sondern kommt von Gott her. Darum ist sie heilig und heiligt uns durch die Gnadenmittel, die Gott ihr eingestiftet und uns anvertraut hat: die Verkündigung des Evangeliums und die Feier der Sakramente. Dazu hat Gott seiner Kirche Hirten als Seelsorger gegeben. Wir wissen: Die Kirche besteht aus Menschen wie du und ich. Wir Menschen können, solange wir noch auf Erden sind, Irrtümern unterworfen sein, uns kontraproduktiv verhalten und ein schlechtes Beispiel geben. Das darf uns aber nicht am Wesen der kirchlichen Sendung irre machen! Wir wollen uns daher nicht in Vorurteilen fangen lassen, sondern mit dem geistlichen Urteil, das uns zusteht, genau unterscheiden zwischen dem, was in der Kirche göttlich, heilig und unzerstörbar ist, und dem, was durch das Fehlverhalten von Menschen – auch unser Fehlverhalten! – verdunkelt wird. Für unsere Sünden bitten wir um Vergebung, indem wir uns im Sakrament der Beichte dem Bußgericht der Kirche unterstellen, Umkehr wagen und mit einem neuen Anfang beschenkt werden. Wir lassen uns nicht auseinandertreiben, sondern bitten den Herrn im Bewusstsein unserer eigenen Schwäche darum, dass er uns unsere Sünden vergibt und die Kirche in der Welt neu und gereinigt aufstrahlen lässt. Denn auf dem Antlitz der Kirche soll die Herrlichkeit Christi widerstrahlen, damit alle Menschen verstehen, dass wir zur „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21) berufen sind.

3. Das richtige Verständnis des Weihesakramentes

Und ein Drittes: Wir müssen uns um ein richtiges Verständnis des Weihesakramentes bemühen und dürfen nicht dem Vorurteil aufsitzen, das zölibatäre Priestertum würde durch das Fehlverhalten einiger weniger in Frage gestellt.

Die Reform der Kirche, kommt nicht von denen, die äußerlich etwas verändern wollen, sondern allein von jenen, die den radikalen Weg der Nachfolge Christi gehen! Wer die Kirchengeschichte auch nur ein wenig kennt, weiß: Erneuerung und Verlebendigung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe geht immer von Menschen aus, die dem Ruf Jesu Christi radikal gefolgt sind. „Wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen?“, so fragen die Jünger den Herrn (Mk 19,27). Jesus hat die Apostel in seine Nähe gerufen. Das beinhaltet auch, dass er sie herausruft aus dem Kreis der eigenen Vorstellungen, Wünsche und Pläne und sie in Dienst nimmt und aussendet zur Verkündigung des Evangeliums, zur Leitung der Gemeinden und zur Spendung der Sakramente.

Darum gilt es im Blick auf die Heiligen, die wir heute verehren, junge Männer werbend anzusprechen und in den Familien ein positives Klima zu schaffen, das jungen Männern hilft, „Ja“ zu sagen zur Berufung, die ihnen von Christus her zukommt. Unser aller Anliegen muss es sein, ein positives Klima für das Wachsen von geistlichen Berufungen zu schaffen. Denn es ist Gottes ureigenes Recht, aus unserem Kreis heraus Menschen zu berufen und sie mit Vollmacht auszustatten, so dass sie zum Heil der Menschen, gleichsam zu einem „göttlichen Gemeinwohl“ beitragen können.

Dazu mögen uns unsere Brüder, die „drei elenden Heiligen von Griesstetten“, helfen. Aus der Fremde und dem Elend dieses sterblichen Daseins wollen sie uns den Weg zeigen hin zur vollen Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott. Diesen Weg hin zur Gemeinschaft der Heiligen gehen wir in der Gemeinschaft der pilgernden Kirche. Gemeinsam dürfen wir Gott loben, preisen und anbeten. Wenn aber Gott „über alles und in allem“ (1 Kor 15,28) herrschen wird, dann wissen wir, dass wir angekommen sind im himmlischen Jerusalem, dem uns niemand mehr entreißen kann. Dann sind wir nicht mehr im „Elend“, im „Ausland“, in der Fremde, im ungesicherten Raum, sondern in der ewigen Heimat, die wir nie mehr verlieren werden.

Eine mutige Entscheidung

Die Ernennung des bisherigen Bischofs von Regensburg, Dr. Gerhard Ludwig Müller, zum neuen Präfekten der Glaubenskongregation hält Pfarrer Erich Maria Fink für eine mutige Entscheidung. Viele hätten sie Benedikt XVI. gar nicht zugetraut. Umso mehr werde sie als Zeichen theologischer Weite und Souveränität gewertet. Doch auch umgekehrt, so glaubt Pfr. Fink, wird der neue Glaubenswächter dem Papst den Rücken freihalten und dessen Anliegen in allen Glaubens- und Sittenfragen unterstützen. Fink begrüßt die Besetzung dieses wichtigen Amtes mit Bischof Müller ohne Einschränkung, hält aber auch Anfragen wie die der Priesterbruderschaft St. Pius X. für berechtigt.

Von Erich Maria Fink

Am 16. Mai 2012 teilte Papst Benedikt XVI. Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller in einem persönlichen Gespräch die definitive Entscheidung mit, ihn zum neuen Präfekten der Glaubenskongregation zu ernennen und verbunden damit auch zum Präsidenten der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei sowie von Amts wegen ebenfalls zum Präsidenten der Päpstlichen Bibelkommission und der Internationalen Theologenkommission. Am 2. Juli wurde die Berufung mit sofortiger Wirkung bekanntgegeben. Gleichzeitig wurde Müller der Titel Erzbischof verliehen. Doch der Plan war schon länger geschmiedet worden. Denn Benedikt XVI. ist von den Fähigkeiten Müllers überzeugt und sieht in dieser Besetzung eine zuverlässige Weichenstellung für die Weltkirche, aber auch eine Stärkung der katholischen Kirche in Deutschland.

Befürchtungen und Sorgen

Gleichzeitig beschäftigt viele treue Katholiken die Frage: Wird Erzbischof Dr. Müller dieser Aufgabe gerecht? Wird sein Wirken der Kirche zum Segen gereichen? Einerseits besteht die Befürchtung, dass Erzbischof Müller mit seiner dezidiert konservativ-katholischen Haltung zu eng vorgehen könnte, sowohl Traditionalisten als auch Charismatikern gegenüber. Umso mehr machen sich die sog. „Reformwilligen“ Sorgen, die sich von Erzbischof Müller keine großen Aufbrüche erhoffen. Auf der anderen Seite aber gibt es auch Vorbehalte gegenüber den Verbindungen Müllers zur Theologie Karl Rahners und zu Richtungen wie der Befreiungstheologie, die tatsächlich selbst einer genauen Prüfung und Korrektur bedürfen.

Meines Erachtens sind die geäußerten Ängste zwar nachvollziehbar, aber nicht nötig. Wir dürfen unseren Gläubigen ehrlich und verantwortlich helfen, Vertrauen zu fassen und ihre Bedenken gegenüber der Entscheidung des Papstes zu überwinden. Für mich verbinden sich in Erzbischof Müller auf einzigartige Weise Begabungen, die ihn für dieses Amt wie geschaffen erscheinen lassen. Er ist ein echter Seelsorger und zugleich ein artistischer Denker. Er scheute sich nicht, Theologen mit unannehmbaren Ansichten zur Besinnung zu rufen und wenn nötig auch zu maßregeln. Er nahm unpopuläre Reformen der Laienräte in Angriff und verteidigte die Kirche tapfer gegen ungerechtfertigte Hetzkampagnen der Medien.

Vertrauen auf die Amtsgnade

Erzbischof Müller hat einen erfrischenden Kommunikationsstil. Schlagfertig geht er auf jedes beliebige Thema ein. Gleichzeitig wählt er seine Worte sachte und besonnen aus. Immer spürt man einen gewissen Humor, selbst wenn es um ernsthafte Auseinandersetzungen geht. Dass er sich auf die Sache konzentriert und der Wahrheit dienen will, entschuldigt manche heftige Reaktionen. Ebenso wohltuend ist der Stil seiner theologischen Abhandlungen. Sie sind von einer ausgesprochenen Dynamik gekennzeichnet, die in die Tiefe geht und Zusammenhänge wunderbar auf den Punkt bringt. Seine Gedanken sprühen von Leben und Glauben. Sie atmen einen ehrlichen und aufgeschlossenen Geist, der sich nicht an Wortspielen erfreut, sondern dem Geheimnis der Liebe Gottes nachspürt.

Dazu gibt es nach katholischem Verständnis so etwas wie eine „Amtsgnade“. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott Erzbischof Müller bei der Ausübung seines neuen Amtes mit einer besonderen Gnade zur Seite stehen wird. Die Amtsgnade führt oft zu großen Überraschungen, so dass Amtsträger nach der Übernahme ihrer neuen Aufgabe fast nicht wieder zu erkennen sind. Vor allem menschliche Unzulänglichkeiten können durch die Hilfe Gottes aufgefangen werden. Und in diesem Sinn ist die ganze Kirche aufgerufen, auch für Erzbischof Müller zu beten.

Karl Rahner und die Befreiungstheologie

Zusammen mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez hat Bischof Müller im Sankt-Ulrich-Verlag 2004 das Buch „An der Seite der Armen“ herausgegeben. Aber das Schöne besteht gerade darin, dass Müller nicht einer ideologisch verbrämten Befreiungstheologie das Wort redet, sondern einfach das Evangelium ernst zu nehmen versucht und den Armen die geforderte Aufmerksamkeit und Liebe entgegenbringen möchte. Die Option für die Armen und Entrechteten verleitet ihn nicht dazu, die Ewigkeit als eigentliches Ziel des Menschen aus dem Blick zu verlieren oder die Versöhnung mit Gott durch den gesellschaftspolitischen Kampf für gerechtere Strukturen zu ersetzen.

Erzbischof Müller erkennt die Verdienste Karl Rahners an, setzt sich aber eindeutig vom philosophischen Ansatz ab, der Zeit und Ewigkeit ineinander aufgehen lassen will. Entscheidend wird diese Frage bei der Lehre über die Göttliche Dreifaltigkeit. Für Müller ist klar, dass die Zuwendung des dreifaltigen Gottes zum Menschen in der Menschwerdung des Sohnes und in der Ausgießung des Geistes vom ewigen innertrinitarischen Leben Gottes unterschieden werden muss.

Das Eucharistische Opfer

In seinem Buch „Die Messe: Quelle christlichen Lebens“ aus dem Jahr 2002 bringt Bischof Müller auf einzigartige Weise den Opfercharakter der hl. Messe zum Ausdruck. Mit einer zeitgenössischen Sprache fasst er die zahlreichen Facetten des Opfers Christi und des Opfers der Kirche ins Wort. Aus dem Unterschied zum reformatorischen Verständnis in Bezug auf die Eucharistie macht er keinen Hehl, unterstützt aber in der Ökumene insgesamt eine intensivere, wenn auch differenzierte Suche nach dem Gemeinsamen.

Etwas untypisch reagierte Müller, als er in einem Interview mit der „Passauer Neuen Presse“ auf den Häretiker-Vorwurf der Piusbruderschaft angesprochen wurde. Er sagte kurz: „Die müssen es ja wissen! Sie verbreiten viele Botschaften auch anonym, um sich zu schützen. Dummheit braucht keinen Kommentar.“ Die Erklärung war jedoch nicht anonym, sondern von P. Matthias Gaudron, dem Dogmatiker der Piusbruderschaft, und in einer sachlichen Form veröffentlicht worden. Sie einfach als „dumm“ zu bezeichnen, wird der Bruderschaft und auch den übrigen Gläubigen nicht gerecht, welche durch die Auseinandersetzung verunsichert worden sind. Ich glaube, sie alle haben ein Anrecht auf eine theologisch einwandfreie Stellungnahme durch Erzbischof Müller. Für ihn dürfte die Klärung kein Problem darstellen. Doch könnte er mit seinem Beispiel den Weg in die Zukunft aufzeigen. Ein reifer und aufrichtiger Glaubensgehorsam bildet das Fundament der Einheit. 

 

Erklärung der Piusbruderschaft vom 4. Juli 2012

Die Kirche hat es immer als eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachtet, das ihr von Christus und den Aposteln anvertraute Glaubensgut getreu zu bewahren und gegen Irrtümer zu verteidigen, um es unversehrt an die kommenden Generationen weitergeben zu können. Zu Recht ist darum das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation eines der höchsten Ämter in der Kirche.

Die Priesterbruderschaft St. Pius X. in Deutschland hat daher mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass der Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, zu diesem Amt berufen wurde. Die Priesterbruderschaft fragt sich, welche Eignung für dieses Amt ein Mann hat, der in seinen Schriften und öffentlichen Reden mehrfach gegen die katholische Lehre verstoßen hat.

Folgende Punkte seien genannt:

• Bischof Müller leugnet in seinem Buch Die Messe – Quelle christlichen Lebens die wirkliche Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi. Brot und Wein bleiben nach ihm, was sie sind, werden aber Mittel, um den Glaubenden in die Lebensgemeinschaft mit Vater und Sohn einzubeziehen. Das ähnelt der kalvinistischen Lehre, nach der Brot und Wein nicht verwandelt, aber Mittel der Gnade werden.[1] 

• Entgegen der katholischen Lehre, nach der die Verwandlung der Gaben sich durch das Aussprechen der Einsetzungsworte „Das ist mein Leib … Das ist der Kelch meines Blutes“ vollzieht,[2] behauptet Bischof Müller, die Frage nach dem Zeitpunkt der Verwandlung gebe „theologisch keinen richtigen Sinn“.[3] 

• Bischof Müller leugnet in seiner Dogmatik das Dogma von der Jungfräulichkeit Mariens in der Geburt,[4] also die Lehre, dass Maria ihren Sohn ohne Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit geboren hat.[5] 

• In einer Laudatio für den protestantischen Landesbischof Dr. Johannes Friedrich sagte Bischof Müller am 11. Oktober 2011: „Auch die Christen, die nicht in voller Gemeinschaft der Lehre, der Heilsmittel und der apostolisch-bischöflichen Verfassung mit der katholischen Kirche stehen, sind durch Glaube und die Taufe gerechtfertigt und in die Kirche Gottes als Leib Christi voll eingegliedert.“ Dies widerspricht der gesamten katholischen Tradition und insbesondere der Lehre Pius‘ XII. in Mystici corporis.

• Entgegen der katholischen Lehre von der Notwendigkeit einer Bekehrung zur katholischen Kirche, wie sie noch im 2. Vatikanischen Konzil ausdrücklich gelehrt wird,[6] bezeichnete Bischof Müller in derselben Rede die sog. „Rückkehrökumene“ als „abwegig“.

Die Bruderschaft würde Bischof Müller dringend bitten, zu diesen umstrittenen Aussagen Stellung zu nehmen bzw. sie zu korrigieren. Es sind nicht persönliche Aversionen, welche die Bruderschaft zu dieser Haltung führen, sondern einzig und allein der Wunsch nach unverfälschter Verkündigung der Glaubenslehre.

Da Bischof Müller in den vergangenen Jahren zudem von seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Bruderschaft keinen Hehl gemacht hat, sieht die Piusbruderschaft darin zunächst kein positives Signal für die Gesprächsbereitschaft in der Frage der kirchenrechtlichen Anerkennung. Sie hofft jedoch, dass der neue Präfekt – im Angesicht der Gespräche innerhalb der Weltkirche – zu einer positiveren Haltung zur Piusbruderschaft finden möge.

Pater Matthias Gaudron, Dogmatiker der Piusbruderschaft


[1] „In Wirklichkeit bedeuten Leib und Blut Christi nicht die materiellen Bestandteile des Menschen Jesus während seiner Lebenszeit oder in der verklärten Leiblichkeit. Leib und Blut bedeuten hier vielmehr Gegenwart Christi im Zeichen des Mediums von Brot und Wein.“ … Wir haben „jetzt Gemeinschaft mit Jesus Christus, vermittelt durch das Essen und Trinken des Brotes und des Weines. Schon allein im zwischenmenschlichen Bereich vermag etwa ein Brief die Freundschaft zwischen Menschen darzustellen und beim Empfänger sozusagen die Zuneigung des Adressaten zu veranschaulichen und zu verleiblichen.“ (Die Messe – Quelle christlichen Lebens, Augsburg: St. Ulrich Verlag: 2002, S. 139 f).
[2] Vgl. den Katechismus der katholischen Kirche, Nrn. 1375, 1377.
[3] Die Messe – Quelle christlichen Lebens, S. 142.
[4] Vgl. den Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 499, 510.
[5] „Es geht nicht um abweichende physiologische Besonderheiten in dem natürlichen Vorgang der Geburt (wie etwas die Nichteröffnung der Geburtswege, die Nichtverletzung des Hymen und der nicht eingetretenen Geburtsschmerzen), sondern um den heilenden und erlösenden Einfluss der Gnade des Erlösers auf die menschliche Natur, die durch die Ursünde ‚verletzt’ worden war. … Der Inhalt der Glaubensaussage bezieht sich also nicht auf physiologisch und empirisch verifizierbare somatische Details“ (Katholische Dogmatik für Studium und Praxis, Freiburg 52003, S. 498). In Wahrheit meint die traditionelle Lehre eben doch solche physiologische Besonderheiten.
[6] „Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten“ (Lumen gentium, 14).

Kathtreff-Früchte

Von Weihbischof Andreas Laun

Wieder ein Paar, das sich gefunden hat, welche Freude! Und es ist nicht das erste; seit der Gründung von Kathtreff im Jahr 2005 sind es schon geschätzte 350 Ehen, die auf diese Weise zustande gekommen sind. Schade, dass wir nicht auch die Zahl derer wissen, die inzwischen eine Familie sind, und auch nicht die Zahl ihrer Kinder kennen! Auf der Startseite von Kathtreff kann man auch einige andere Hochzeitsfotos anschauen!

In letzter Zeit ist Kathtreff auf dem Weg, international zu werden: Eine Anfrage aus Ungarn und dann auch aus anderen Ländern hat uns bewogen, das Programm „fremdsprachen-tauglich“ zu machen, damit man es auch in anderen Sprachen nutzen kann. Sehr bald schon wird es soweit sein!

Liebe kann man nicht erzwingen, aber, mit der Gnade Gottes kann man viel für sie, ihre Festigkeit und ihr Wachsen tun! Kathtreff ist weder für das eine noch für das andere eine Garantie – aber das, was wir zum Entstehen und zum Erhalt der Liebe beitragen können, das tun wir!

Daher: Herzlich eingeladen, herzlich willkommen, wenn Sie als Katholik oder Katholikin auf der Suche nach der ehelichen Liebe sind! Gott segne Sie!

Der „katholische Heiratsdienst“ hat die Website: www.kathtreff.org

Schlüssel zu einem erfüllten Priesterleben

Weihbischof Dr. Andreas Laun hielt am 14. Juli 2012 in Eichstätt bei der Priesterweihe eines „Oblaten des hl. Franz von Sales“ die Predigt. Dabei ging er von den Ratschlägen aus, die der hl. Franz v. Sales im Rahmen einer intensiven geistlichen Begleitung der hl. Johanna Franziska v. Chantal erteilt hatte. Laun zeigte auf, wie sie die Grundlage für die Erfüllung der christlichen Berufung im Allgemeinen, aber insbesondere auch den Schlüssel für ein gelungenes und glückliches Priesterleben bilden können. Die Gedanken seiner Ansprache sind nachfolgend zusammengefasst und als Beitrag für „Kirche heute“ bearbeitet.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Als ich begann, über die Priesterweihe eines Oblaten des hl. Franz von Sales nachzudenken, kam mir der erste Brief des heiligen Bischofs in den Sinn, in dem er Johanna Franziska von Chantal das Programm seiner Seelenführung vorlegt: die Sehnsucht nach Heiligkeit, das Festhalten an der eigenen Berufung und die unbedingte Treue und Liebe zur Kirche!

1. „Meine Seele dürstet nach Gott“

So stelle ich im Gedanken an den Brief des hl. Franz von Sales und an meine eigene Existenz als Priester und jetzt als Bischof uns allen die Frage: Strebe ich, streben wir Christen, wer wir auch sind, nach Heiligkeit? Ich frage nicht: „Seid ihr Heilige?“ Die Antwort wäre natürlich „Nein“ und würde uns auch zum Schmunzeln reizen. Und darin enthalten wäre auch eine Art Zufriedenheit: Gott sei Dank nicht, das wäre mir zuviel, ein Heiliger sein, das kann ich nicht! Aber Gott würde uns wie in der Geschichte des Ahas antworten: „Genügt es euch nicht, Menschen zu belästigen? Müsst ihr auch noch Gott belästigen?“[1] Die „Belästigung bestünde eben in dieser Weigerung, auch nur heilig sein zu wollen, obwohl uns die Heilige Schrift sagt: Gott will kein Mittelmaß, Er will unsere Heiligkeit. Wie wir es auch drehen und wenden: das „Vereinsziel“ der Christen ist Heiligkeit, das „pfeifen die katholischen Spatzen von allen Dächern der Kirche“, es ist die Botschaft aller Heiligen, nicht nur die des hl. Franz von Sales, sondern auch ganz ausdrücklich die des Zweiten Vatikanischen Konzils, auch wenn diese Forderung des Konzils höchst selten zitiert wird!

In diesem Sinn möchte ich uns ein Bild der Psalmen ans Herz legen, das diese mehrere Male abwandeln und wiederholen:

Psalm 42,2-3: Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?

Psalm 63,2-3: Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser. Darum halte ich Ausschau nach dir im Heiligtum, um deine Macht und Herrlichkeit zu sehen.

Psalm 143,6: Ich breite die Hände aus (und bete) zu dir; meine Seele dürstet nach dir wie lechzendes Land.

Ich wünsche mir selbst und jedem Menschen den geheimnisvollen, wunderbaren Gottesdurst: er ist geheimnisvoll, weil er, wenn man ihn stillt, noch größer wird, und weil er, je stärker er wird, desto mehr beglückend ist und nicht quälend. Ich wünsche ihn Dir, weil wir Priester (und eigentlich alle Christen) ohne ihn nicht leben können. Ohne Gottesdurst verkümmern wir, mehr oder weniger, zu vielleicht auch schrulligen Junggesellen – die dann anfangen, den Menschen sich bringen zu wollen statt des lebendigen Gottes. Schlimm, wenn wir Geistliche nicht einmal „die Sehnsucht nach dieser Sehnsucht“ spürten.

2. „Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“

Die zweite „Säule“, auf der der hl. Franz von Sales das geistliche Leben der Baronin von Chantal aufgebaut wissen will, ist die Treue zu ihrer Identität als Witwe, die sie zu dieser Zeit ihres Lebens  bereits war. Er sagt ihr: Wenn Sie ganz Gott gehören wollen, darf auch „Ihr Herz nicht verheiratet sein“!

Aber genau darum geht es auch für uns Priester: ganz Gott zu gehören! Es gibt verschiedene Weisen, dieses „Ganz-Gott-Gehören“ abzuschwächen. – Vielleicht erwartet sich mancher an dieser Stelle Gedanken zum Zölibat? Das wäre sicher möglich und auch sinnvoll. Aber ich möchte sagen:

Die Hauptversuchung der Priester wie aller Christen besteht weder in der (für die meisten Menschen legitimen) Sehnsucht nach einem Partner noch in dem Verlangen nach sexueller Befriedigung! Die Hauptversuchung ist vielmehr die von „Massa und Meriba“, an die das priesterliche Stundengebet jeden Tag erinnert: Das Volk findet auf dem Weg durch die Wüste kein Wasser, die Leute bekommen es mit der Angst zu tun, ihr Ärger und ihr Zweifel münden in die aggressive Frage: „Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“ Und dann gibt Gott das Wasser aus dem Felsen!

Ebenso wie die Juden in der Wüste fragen auch die Christen auf ihrem Wüstenweg durch die Jahrhunderte: „Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“ Dann scheint auch der Gottesdurst zu verschwinden und hinterlässt eine Art Leere. Und die Leere fordert Ersatz für den verlorenen Gott!

Das heißt: Wenn im Leben eines Priesters Gott nicht mehr wirklich im Mittelpunkt steht, wenn der Priester die Sehnsucht nicht mehr spürt und an seine Berufung nicht mehr so richtig glauben kann, was dann? Natürlich kann er alles wegwerfen und „in die Welt“ zurückkehren. Aber er kann auch in Aktivitäten ausweichen, die nicht in sich schlecht sind und sein Leben ihm selbst und der Außenwelt sinnvoll erscheinen lassen:

Sehr oft beginnen Priester, sich der Psychologie zuzuwenden und ihre „Seelsorge“ psychologisch zu deuten!

Andere suchen sich soziale Tätigkeiten, die sie mit Freude erfüllen, zumal sie sicher sein können, von der Umwelt anerkannt zu werden.

Priester, die ein Stück weit ihren eigenen Glauben aufgegeben haben, neigen dazu, statt dem Evangelium eigene, „interessante“ Gedanken weiterzugeben.

Wieder andere verlieren sich in einer Kirchenrenovierung: Auch das macht Freude und verbindet mit der Pfarrgemeinde!

Es gibt auch Priester, die zufrieden sind, wenn sie das soziale Leben mit allen traditionellen Veranstaltungen in ihrer Gemeinde gut im Griff haben, religiöse Feste inbegriffen.

Nochmals andere suchen sich ein Hobby und leisten ihre Priester-Dienste nur noch nebenbei.

Wohlgemerkt: Man kann „gute Gründe“ für alle diese „Dinge“ anführen! Ich sage nur: Sie können sich an eine Stelle im Leben des Priesters drängen, an die sie nicht hingehören. Papst Benedikt stellt im ersten Band seines Jesusbuches die Frage: Was hat Jesus eigentlich gebracht? Frieden, Freiheit von Krankheit und psychische Ausgeglichenheit, soziale Gerechtigkeit, Wohlstand für alle? Nein, aber was hat Er dann gebracht? Die Antwort: Jesus hat Gott gebracht! Wahr ist zwar, dass durch Gott mehr Frieden, mehr Gerechtigkeit, mehr Gesundheit auf allen Ebenen in die Welt gekommen ist, aber wahr ist auch: Noch sind die großen Übel nicht verschwunden, weder die Naturkatastrophen und erst recht nicht die von Menschen gemachten Katastrophen. Und doch: Jesus hat Gott gebracht und die Gemeinschaft mit ihm, darin besteht die Erlösung!

Für Bischöfe und Priester folgt daraus: Ihre zentrale Aufgabe ist und bleibt neben vielem Anderen: den Menschen zu Gott und die Menschen zu Gott zu bringen! Anders gesagt: Durch die Priesterweihe wird man nicht Sozialarbeiter, nicht Psychologe, nicht Manager, nicht eine christliche Variante eines Guru, der „seine Weisheiten“ von sich gibt! Der Priester soll um seine Identität wissen und an ihr festhalten: Er soll das Evangelium verkünden, nicht sich und nicht seine Ideen; er soll die Sakramente spenden und nicht versuchen, Psychologe zu sein, der er nicht ist; er soll helfen, wo er kann, aber die Sozialarbeit dann doch den dazu Berufenen überlassen; er soll seine Kirche renovieren, aber möglichst viel delegieren –  wie es die Apostel machten, indem sie „den Dienst an den Tischen“ den Diakonen anvertrauten. Und vor allem: Er soll sich bewusst sein, dass er ein Mann Gottes in der Kirche Jesu Christi ist, Diener der Kirche, die Er, Jesus, gebaut hat und baut, nicht der Papst, nicht der Bischof und natürlich auch nicht irgendein Priester!

3. „Schau auf den Glauben deiner Kirche!“

Im dritten und letzten Teil seines Briefes kommt Franz auf die Kirche zu sprechen und legt der Empfängerin „die Liebe zu unserem Herrn und die Liebe zu seiner Braut der Kirche“ ans Herz. Klar sollte dabei bleiben: Es gibt nur eine Kirche und es gibt daher auch keine „verschiedenen Kirchenbilder“! Es würde genügen, wenn Priester und Gläubige genau hinhörten auf die Sprache der Liturgie, zum Beispiel in dem Gebet vor der hl. Kommunion: „Schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche…!“ Die Rede ist eindeutig: Es ist die Kirche Jesu, nicht „unsere Kirche“ oder die Kirche dieses oder jenes Priesters oder Bischofs!

Für den hl. Franz von Sales, der selbst in einer Zeit der Spaltung lebte, gab es nicht den geringsten Zweifel: Es gibt nur eine Kirche, die Kirche Jesu, keine andere, und sie ist es, die wir aus ganzem Herzen lieben und der wir gehorchen! Franz v. Sales nennt unter anderem die hl. Teresa von Avila, von der er erzählt, sie habe jeden Tag Gott gedankt, eine „Tochter der Kirche sein zu dürfen“.

So wünsche ich uns, dass wir nicht aufhören zu denken und zu danken wie die hl. Teresa. Und wenn wir in eine Krise kommen sollten, lassen wir uns von Gott neu „umwerben“,[2] wie Er es uns durch den Propheten Hosea versprochen hat! Dann werden wir die Erfahrung von der richtigen Antwort auf die Frage von Massa und Meriba machen: „Ist Gott in unserer Mitte oder nicht?“ Keine Angst: „Ja, ER ist bei Dir!“


[1] Jes 7,10ff.
[2] Hos 2,16.

Das Zeugnis der Kirche im Dritten Reich:

Einsatz der Päpste für die Juden

Dr. Kurt Weiß, Neuphilologe und Theologe, stellt zum Thema „Die Kirche und die Juden“ eine Fülle von Fakten zusammen, die zeigen, wie vielfältig sich die katholische Kirche während der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten im Dritten Reich gegen den Antisemitismus ausgesprochen und an der Rettung von Juden beteiligt hat. In einem ersten Beitrag geht es um den Einsatz der Päpste für die von Hitler verfolgten Juden. In weiteren Ausgaben werden wir als Fortsetzung dieser Reihe darauf eingehen, wie sich die Rettungsversuche der Kirche in Ungarn, Bulgarien und Rumänien gestalteten, welche Haltung die Kirche in Spanien und Portugal gegenüber den Juden einnahm, wie sich namentlich Roncalli für die Juden einsetzte und schließlich wie hoch die Zahl der geretteten Juden in Polen, Frankreich, Holland und Belgien war bzw. wie sehr eine öffentliche Verurteilung der Nazis das Blutbad nachweislich noch verschlimmert hätte.

Von Kurt Weiß

Seit Rolf Hochhuth sein Theaterstück „Der Stellvertreter“ veröffentlichte, in dem er Papst Pius XII. als mitschuldig an der Ermordung der Juden unter Hitler anklagte, hat sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigt, dass die katholische Kirche angesichts der Ideologie und der Gräueltaten der Nationalsozialisten geschwiegen habe und untätig geblieben sei. Dokumente und Berichte, die gegen diese Auffassung sprechen, werden oft nicht beachtet.

Allein in den Jahren 1933 bis 1939 sandte der Vatikan 55 Protestnoten an Hitler. Schon in der ersten vom 1. April 1933 protestierte der Heilige Stuhl gegen den antijüdischen Boykott in Deutschland.[1] 45 von 55 Protestnoten wurden von Hitler überhaupt nicht beantwortet.

Kardinal Eugenio Pacelli, der Nuntius des Vatikans in Deutschland und spätere Papst Pius XII., war an der Abfassung der Enzyklika Vigilanti Cura (Mit brennender Sorge) von Papst Pius XI. im Jahre 1937 beteiligt. Dieses päpstliche Rundschreiben enthielt eine eindeutige Verurteilung des Rassenkults und der Blut- und Boden-Ideologie der Nazis und wurde am 21. März 1937 in allen katholischen Gottesdiensten in Deutschland verlesen. Am 22. März 1937 brachte deshalb das Nazi-Blatt Völkischer Beobachter einen Hetzartikel gegen den Judengott und seinen Stellvertreter in Rom. Diese Reaktion zeigt, wie die Nazis die Enzyklika verstanden.

Pius XI. setzte am 19. Juni 1937 das antisemitische Buch Il Razzismo von C. Cogni auf den Index und stoppte im Sommer 1938 den Antisemitismus der Jesuitenzeitschrift La Civiltà Cattolica. Vor dem Staatsbesuch Hitlers in Rom im Mai 1938 schloss der Papst die Vatikanischen Museen und verbot das Hissen der Nazi-Fahnen an kirchlichen Gebäuden. Am 6. September 1938 sagte Pius XI. in einer Ansprache vor belgischen Pilgern: „Es ist den Christen nicht möglich, am Antisemitismus teilzunehmen. … Der Antisemitismus ist nicht vertretbar. Wir sind im geistlichen Sinne Semiten.“[2] Zwei belgische Zeitungen berichteten über diese Ansprache.[3] 

Nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 verurteilten die Kardinäle van Roey aus Belgien, Verdier von Paris, Schuster von Mailand und Faulhaber von München den Rassismus und die Ausschreitungen. Auf Anweisung des Papstes stellte Kardinal Faulhaber dem Münchener Oberrabbiner einen Lastwagen zur Verfügung, mit dem er die Tora-Rollen retten sollte, bevor die Synagoge zerstört wurde.

Pius XI. bat am 14. Januar 1939 alle beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschafter, den Opfern der Rassenverfolgung in Deutschland und Italien Einreise-Visa für ihre Länder zu beschaffen. Brasilien reagierte positiv. Am 10. Februar 1939 starb der Papst. Jüdische Zeitungen und Persönlichkeiten wie Léon Blum und Bernard Joseph würdigten ihn als mutigen Kämpfer gegen den Rassenwahn und als jenen Papst, der sich in der langen Geschichte der Kirche am stärksten für die Verwandten des ersten Papstes (gemeint ist Petrus) eingesetzt hatte.

Zum Nachfolger von Achille Ratti (Pius XI.) wurde Eugenio Pacelli (Pius XII.) gewählt. Als päpstlicher Nuntius in Deutschland hielt Pacelli zwischen 1917 und 1929 insgesamt 44 Reden, von denen 40 Verurteilungen der Lehre Hitlers und der Nationalsozialisten enthielten. Nach seiner Wahl zum Papst feierte ihn die internationale Presse als Gegner des Rassenwahns und als Vorkämpfer für die Menschenwürde.

Die Juden in Italien

Dass Pius XII. dieses Lob verdiente und sich tatkräftig für die verfolgten Juden einsetzte, ist heute weitgehend nicht mehr bekannt. Berichte jüdischer Zeitzeugen liegen aber vor. In Rom lebten im Jahr 1943 ungefähr 9600 Juden. Darunter waren circa 1500 Menschen, die aus den von den Nationalsozialisten besetzten Ländern kamen. Im Oktober 1943 begannen deutsche Polizeikräfte in Rom mit der Suche nach Juden. Die Deutschen verhafteten 1259 Menschen. Alle anderen Juden waren durch Katholiken versteckt und gerettet worden. Der römische Oberrabbiner Zolli schreibt darüber: „Der Heilige Vater sandte ein Handschreiben an die Bischöfe, in dem er sie anwies, die Klausur in den Klöstern und Konventen aufzuheben, damit sie Zufluchtsstätten für die Juden werden konnten. … Ein Heer von Priestern arbeitet in großen und kleinen Städten, um Brot für die Verfolgten und Pässe für die Flüchtlinge zu beschaffen. Nonnen gehen in Feldküchen, um weiblichen Flüchtlingen Gastfreundschaft gewähren zu können. Ordensobere gehen nachts aus, um deutsche Soldaten aufzuhalten, die Opfer suchen. … Alle folgen Pius XII. mit der Inbrunst jener Nächstenliebe, die den Tod nicht fürchtet.“[4] 

Der Historiker Renzo de Felice veröffentlichte eine Liste von 155 Klöstern, die in Rom ungefähr 5000 Juden Asyl gewährten, solange die Deutschen Rom besetzt hielten.[5] „Einmal fanden nicht weniger als 3000 Juden in der Sommerresidenz des Papstes in Castel Gandolfo Unterkunft; sechzig lebten neun Monate lang an der Jesuiten-Universität Gregoriana, und ein halbes Dutzend schliefen im Keller des päpstlichen Bibelinstituts, dessen Rektor damals Augustin Bea war.“[6] Der deutsche Jesuitenpater Augustin Bea wurde später zum Kardinal ernannt und war maßgeblich an der Abfassung des Dokuments des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) über die Juden beteiligt.

Auch andere Prälaten des Vatikans halfen den Verfolgten. Ein geflohener britischer Kriegsgefangener berichtet: „Neben seiner Arbeit im Heiligen Offizium des Vatikans hatte Monsignore O‘Flaherty genügend Zeit, Unterkünfte für Flüchtlinge und Verstecke für Aristokraten, Juden und Antifaschisten, die in Gefahr waren, zu organisieren. … Die meisten Gespräche fanden in Msgr. O‘Flahertys Büro im Erdgeschoss des Heiligen Offiziums statt, zu dem Entflohene geleitet wurden. … Er konzentrierte sich auf Lebensrettung, eine Aufgabe, in der er ungewöhnlich geschickt war.“[7]

Als Unterhändler des Papstes mit der Polizei und dem Militär der Deutschen fungierte der Ordensobere der Salvatorianer, Dr. Pancratius Pfeiffer. Ihm gelang es, viele zum Tod Verurteilte, unter ihnen auch mehrere Juden, aus der Hand ihrer Henker durch Verhandlungen zu befreien.

Ein Offizier der jüdischen Brigade, die an der Seite der Alliierten gegen die Deutschen kämpfte, berichtet in der Zeitung der israelischen Gewerkschaft: „Als wir in Rom einmarschierten, erzählten uns die jüdischen Überlebenden mit dem Ausdruck tiefer Dankbarkeit und großer Achtung: Wenn wir gerettet worden sind, wenn immer noch Juden in Rom leben, dann kommt mit uns und dankt dem Papst im Vatikan. Denn im Vatikan selbst, in Kirchen, Klöstern und Privathäusern wurden Juden auf seinen persönlichen Befehl versteckt.“[8] 

Historiker schätzen, dass dank der Anweisung des Papstes aus dem Jahr 1942, mit allen Mitteln Menschenleben zu retten (der Oberrabbiner Zolli berichtete darüber, siehe oben), in Italien 40.000 Juden versteckt und vor den Gaskammern der Nazis bewahrt wurden. Ein Neffe des Bischofs Palatucci von Campagna, Dr. Giovanni Palatucci, und viele andere Katholiken Italiens starben in deutschen Konzentrationslagern, weil sie die Weisung des Papstes befolgt und jüdischen Mitbürgern Obdach gewährt hatten.

Erzbischof Montini, der spätere Papst Paul VI., der während des 2. Weltkriegs die Hilfswerke des Vatikans leitete, erhielt 1955 zusammen mit 22 anderen Leuten aus der Hand italienischer Juden eine Dankbarkeitsmedaille. Er nahm die Ehrung an, wies aber darauf hin, dass er auf Anordnung von Pius XII. geholfen habe.


[1] Vgl. Pinchas E. Lapide, Rom und die Juden, Herder-Verlag, Freiburg 1967, S.58 f. Das Buch ist jetzt in verbesserter 3. Auflage im Hess-Verlag, Bad Schussenried, erschienen.
[2] Vgl. Augustin Kardinal Bea: Die Kirche und das jüdische Volk, Freiburg 1966, 13.
[3] La Libre Belgique vom 14.9.38 und Cité Nouvelle vom 15.9.38.
[4] Israel Zolli, Before the Dawn, New York, 1954.
[5] Renzo de Felice, Storia degli ebrei sotto il Fascismo, 681-685.
[6] Pinchas Lapide, Rom und die Juden, 94.
[7] Lt.-Colonel John Furman, Be not fearful, New York 1959.
[8]Tageszeitung „Davar“ vom 10. Oktober 1958.

Marianischer Höhepunkt im "Jahr des Glaubens"?

Die Gottesmutter meint es ernst

Die Erscheinungen von Fatima haben Eingang in das Leben der katholischen Kirche gefunden. Die Botschaft der Gottesmutter ist nicht nur von höchster Stelle anerkannt, sondern prägt Pastoral und Liturgie bis hinein in die offizielle Lehrverkündigung. Die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens, die Feier der ersten Samstage im Monat als sog. „Herz-Mariä-Samstage“ oder die Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens stellen inzwischen feste Bestandteile des kirchlichen Lebens dar. Auch unabhängig vom Ursprung dieser Frömmigkeitsformen besitzen sie ihre allgemeine Gültigkeit. Günther Zoppelt von der sog. „Katholischen Neuevangelisierung Wien“ ruft in seinem Beitrag wichtige geschichtliche Fakten in Erinnerung, die den Weg der Fatima-Botschaft aufzeigen. Vor allem geht es ihm um die Bedeutung der Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens durch Papst, Bischöfe, Priester und Gläubige. Heutzutage wird der Gedanke energisch zurückgewiesen, dass der Menschheit viel Leid erspart geblieben wäre, wenn man die Wünsche des Himmels rechtzeitig erfüllt hätte. Zoppelt weicht diesen Zusammenhängen nicht aus, sondern nimmt sie ernst und schöpft daraus Hoffnungen für das bevorstehende „Jahr des Glaubens“.

Von Günther Zoppelt

Das Wirken Mariens für die Rettung der Welt, das 1830 auf außerordentliche Weise in Paris begann (Wundertätige Medaille), führte über La Salette (1846) nach Lourdes (1854) und erreichte 1917 in Fatima einen Höhepunkt. Die Gottesmutter erbat vom Heiligen Vater mit allen Bischöfen die Weihe der Welt und Russlands an ihr Unbeflecktes Herz und versprach: „Wenn man tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet und es wird Friede sein. Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden“ (13.7.1917).

Bei seiner Pilgerreise nach Fatima am 13. Mai 2010 sagte unser Heiliger Vater Benedikt XVI.: „Ich fordere alle auf, persönlich ihre Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens zu erneuern und diesen Akt der Verehrung mit einem Leben zu erfüllen, das dem göttlichen Willen stets mehr entspricht, sowie im Geist des kindlichen Dienstes und der frommen Nachahmung der Himmelskönigin.“[1] 

Der Weg bis zur Weltweihe durch den Papst

Zu den hauptsächlichen Bitten der Madonna bei ihren sechs Erscheinungen in Fatima (Portugal) vom 13. Mai bis zum 13. Oktober 1917 sowie danach an Sr. Lucia in Tuy und in Pontevedra (Spanien) gehört neben dem täglichen Rosenkranzgebet und der Feier der Herz-Mariä-Sühnesamstage (jeweils am ersten Samstag im Monat an fünf aufeinanderfolgenden Monaten) die Weihe der Welt und Russlands an ihr Unbeflecktes Herz.

• Ankündigung am 13. Juli 1917: Die Muttergottes sagte zu den Seherkindern Lucia, Jacinta und Francesco: „Um das zu verhindern (Krieg, Hungersnot, Verfolgung der Kirche und des Heiligen Vaters), werde ich die Weihe Russlands an mein Unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen fordern. Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen festen Fuß fassen lassen. Wenn man das tut, was ich euch sagen werde, werden viele Seelen gerettet werden, und man wird Frieden haben.“

• 13. Juni 1929: Sr. Lucia erhält in Tuy eine Vision der Heiligsten Dreifaltigkeit und der Gottesmutter von Fatima: Unsere Liebe Frau sagte zu mir: „Es ist der Zeitpunkt gekommen, in dem Gott bittet, dass der Heilige Vater in Vereinigung mit allen Bischöfen der Welt die Weihe Russlands an mein Unbeflecktes Herz vollziehe, wobei Er verspricht, es durch dieses Mittel zu retten.“

• 29. Mai 1930: Sr. Lucia schreibt an P. José Goncalves SJ: „Wenn ich mich nicht täusche, verspricht der gute Gott die Verfolgung in Russland zu beenden, wenn der Heilige Vater bereit wäre, einen feierlichen und öffentlichen Akt der Sühne und Weihe Russlands an die heiligsten Herzen Jesu und Mariens durchzuführen, wenn er anordnen würde, es sollten das gleicherweise die Bischöfe der katholischen Welt machen, und wenn ferner seine Heiligkeit verspräche, nach Erlangung des Endes dieser Verfolgung die Übung der schon angegebenen Sühneandacht (an den ersten Samstagen) gutzuheißen und zu empfehlen.“ Diese Bitte leitete der Bischof von Leiria 1937 an Papst Pius XI. weiter.

• 19. März 1939: Sr. Lucia schreibt an P. Aparicio SJ: „Von der Übung dieser Andacht (der Herz-Mariä-Sühnesamstage), vereint mit der Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens, hängt Krieg oder Frieden in der Welt ab. Deshalb ersehne ich so sehr ihre Verbreitung, und besonders deswegen, weil das der Wille unseres guten Gottes und unserer himmlischen Mutter ist.“

• 21. Februar 1940: Sr. Lucia schreibt an P. Aparicio SJ: „Durch unseren Herrn, durch den Herrn Bischof von Leiria bin ich im Bilde über alles, was man für die Rettung Russlands und für die Weihe der Welt an das Unbefleckte Herz unternommen hat und machen soll. Es tut mir leid, dass man trotz des Gnadenanspornes des göttlichen Heiligen Geistes diese Weihe noch nicht vollzogen hat. Auch unser Herr beklagt sich darüber! Wegen dieses Aktes (der Weihe) hätte er seine Gerechtigkeit besänftigt und die Welt vor dieser Kriegsgeißel bewahrt. Es ist deshalb der Wille unseres Herrn, dass man beim Heiligen Stuhl die Bitte um diese Weihe an das Unbefleckte Herz erneuere! Der Krieg wird erst dann aufhören, wann das Blut, das von den Märtyrern vergossen wird, genug sein wird, um die göttliche Gerechtigkeit zu besänftigen, es sein denn, dass dieser Akt der Weihe vollzogen wird, durch den uns Friede gewährt wird.“

• 2. Dezember 1940: Sr. Lucia schreibt an Papst Pius XII.: „Heiliger Vater … verspricht unser Herr im Hinblick auf die Weihe der portugiesischen Nation an das Unbefleckte Herz Mariens, die die hochwürdigsten Herren Bischöfe Portugals vollzogen haben (am 13. Mai 1931), einen besonderen Schutz unserem Vaterland während dieses Krieges und dass dieser Schutz der Beweis der Gnaden sein wird, die Er den anderen Nationen gewähren würde, falls sie dem Unbefleckten Herzen Mariens wie Portugal geweiht worden wären.“

• 31. Oktober 1942: Erste Radioansprache Pius XII. an Portugal mit anschließendem Weihegebet.

• 8. Dezember 1942: Offizielle und feierliche Weihe des Menschengeschlechtes an das Unbefleckte Herz Mariens durch Papst Pius XII. in St. Peter. Daraufhin ändert sich das Kriegsgeschehen dramatisch. Der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch Hitlers wird jäh gestoppt; er erleidet massive Rückschläge und Niederlagen gerade an großen Marienfesten (Weihe allerdings ohne Erwähnung Russlands).

Eindringlicher Aufruf der Gottesmutter

Die Gottesmutter Maria erschien in Fatima drei Hirtenkindern jeweils am Dreizehnten des Monats. Bei der dritten Erscheinung am 13. Juli 1917 sagte sie zu ihnen: „ … Wenn man tut, was Ich euch sage, werden viele Seelen gerettet und der Friede wird kommen! Der Krieg (Anm.: der 1. Weltkrieg) geht dem Ende entgegen. Aber wenn man nicht aufhört, den Herrn zu beleidigen, wird nicht lange Zeit vergehen, bis ein neuer, noch schlimmerer Krieg beginnt (Anm.: der 2. Weltkrieg mit 56 Millionen Toten). Wenn ihr eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet (Anm.: vom 24. auf 25. Januar 1938), so wisset, dass es das Zeichen ist, das Gott euch gibt, dass die Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist, Krieg, Hungersnot und Verfolgung des Heiligen Vaters und der Kirche. … Um das zu verhindern, werde ich kommen, damit man die Welt meinem Unbefleckten Herzen weihe und die Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats einführe. Wenn nicht, so wird eine glaubensfeindliche Propaganda in der Welt ihre Irrtümer über die Welt verbreiten, indem sie Kriege und Kirchenverfolgungen hervorruft. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden… Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird mir Russland weihen und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden…“

Erinnern wir uns, dass die Kirche Fatima erst 1931 offiziell anerkannt hat; das ist 14 Jahre nach dem Sonnenwunder, das 70.000 Menschen gesehen haben. Erinnern wir uns auch, dass man erst im Jahre 1941 begonnen hat, die Warnungen bekanntzugeben, welche die hl. Jungfrau in Fatima 1917 gegeben hat. Ruinen, Elend, Zerstörung, Vertreibungen und Millionen Tote hätten sich erübrigt, wenn man auf die Botschaft der Muttergottes gehört hätte.

Verlauf des Zweiten Weltkriegs

Die Ereignisse sprechen eine deutliche Sprache:

8. Dezember 1941: Als der Krieg Japan-Amerika begann, war das Fest der Unbefleckten Jungfrau und Gottesmutter Maria.

31. Oktober 1942: Der Papst nimmt die Weltweihe an das Unbefleckte Herz Mariens vor, die Maria durch Sr. Lucia verlangt hatte. Am gleichen Tag begann die Entscheidungsschlacht bei El Alamein (großer Wendepunkt im Krieg).

8. November 1942: Landung der Amerikaner in Nordafrika. Fest Maria Schutz.

8. Dezember 1942: Fest Maria Unbefleckte Empfängnis: Beginn der Entscheidung von Stalingrad.

2. Februar 1943: Maria Lichtmess: Stalingrad fällt; General Paulus muss sich mit seiner Armee ergeben.

13. Mai 1943, Fatimatag: Der deutsche Heeresbericht meldet, dass der Krieg in Afrika zu Ende sei.

15. August 1943, Fest Maria Himmelfahrt: Fall von Sizilien.

8. September 1943, Fest Mariä Geburt: Italien kapituliert.

13. Mai 1944, Fatimatag: Ende des Krieges um die Krim-Halbinsel (deutscher Heeresbericht).

15. August 1944: Maria Himmelfahrt: Invasion der Amerikaner bei Toulon.

12. September 1944, Fest Mariä Namen: Die Amerikaner überschreiten die Grenze des Deutschen Reiches.

8. Mai 1945, Fest Mariens, der Mittlerin aller Gnaden, und Fest der Erscheinung des Erzengels Michael, Schutzpatron Deutschlands: Waffenstillstand in Deutschland.

15. August 1945, Fest Maria Himmelfahrt: Kapitulation Japans.

Am 8. Dezember, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis, hat der Krieg in Japan begonnen, am Fest Maria Himmelfahrt ging er zu Ende.

Bitte an den Heiligen Vater zum „Jahr des Glaubens“

Am 13. Mai 2010 sagte Papst Benedikt XVI. bei seiner Predigt in Fatima: „In Anbetracht einer Menschheitsfamilie, die bereit ist, ihre heiligsten Pflichten auf dem Altar kleinlicher Egoismen im Namen der Nation, Rasse, Ideologie, Gruppe oder des Individuums zu opfern, ist unsere gebenedeite Mutter vom Himmel herabgekommen, um all jenen, die sich ihr anvertrauen, voller Hingabe die göttliche Liebe ins Herz zu legen, die auch in ihrem Herzen brennt. Möge in den sieben Jahren, die uns noch vom hundertsten Jahrestag der Erscheinungen trennen, der angekündigte Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens zu Ehren der Allerheiligsten Dreifaltigkeit näherkommen.“

Bitten wir unseren Heiligen Vater, angesichts einer Welt, die immer mehr in Materialismus, Egoismus und Hedonismus versinkt, die Welt erneut dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen! Dies könnte als marianischer Höhepunkt im „Jahr des Glaubens“ z. B. am 8. Dezember 2012 geschehen. Es wäre schön, wenn wir durch das Sammeln von Unterstützungserklärungen dieser Bitte Nachdruck verleihen würden.


[1] Benedikt XVI., An der Hand Mariens. Den Rosenkranz beten, Augsburg, geb., 144 S., 120 x 190 mm, ISBN: 978-3-86744-089-9, EUR 12,90 (D), sFr 18,90, EUR 13,30 (A).

Programmatische Hinführung zum "Jahr des Glaubens"

20 Jahre Katechismus und Neuevangelisierung

Zum 20. Jahrestag der Veröffentlichung des Katechismus der Katholischen Kirche hielt Kardinal Mauro Piacenza, der Präsident der Kleruskongregation, am 19. Mai 2012 einen Vortrag zum Thema „Zwanzig Jahre Katechismus der Katholischen Kirche zugunsten einer Neuevangelisierung“. Seine Gedanken geben die Richtung an, was aus dem bevorstehenden „Jahr des Glaubens“ werden könnte. Vor allem möchte er dem Wunsch Papst Benedikts XVI. nachkommen, dem Katechismus eine neue Wertschätzung entgegenzubringen und ihn als Instrument der Neuevangelisierung zu nutzen. Die deutsche Übersetzung stammt von P. Thomas Fox (ZENIT). Nachfolgend wichtige Auszüge des Vortrags, der wertvolle Anregungen für das „Jahr des Glaubens“ bietet.

Von Kardinal Mauro Piacenza

Allein die Heiligkeit führt zur Erneuerung

Es freut mich, mit diesem Vortrag zu einem Kongress beitragen zu dürfen, der in gewisser Weise das „Jahr des Glaubens“ vorwegnimmt und uns Gelegenheit bietet, die Beweggründe zu vertiefen, die hinter einem der beiden Anlässe stehen, die zu dieser Feier des Glaubens geführt haben: Ich beziehe mich auf das zwanzigste Jahr der Veröffentlichung des Katechismus der Katholischen Kirche – ein Anlass, der aber in Wirklichkeit nicht von seinem Pendant, dem fünfzigsten Jahrestag der Einberufung des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils, getrennt werden kann.

Bevor ich die Thematik zu entfalten beginne, möchte ich vorausschicken, dass ich mir sehr wohl dessen bewusst bin, dass ein Dokument, ganz gleich welcher Art, nicht ausreicht, um radikale Veränderungen und Reformen im Sinne des Evangeliums herbeizuführen.

Schriftliche Dokumente spielen eine wesentliche Rolle und sind auf jedem echten Weg der Bekehrung – und somit auch der Reform – eine Hilfe, indem sie nämlich Argumente hierfür aufzeigen und wertvolle Hinweise geben, doch die Antriebsquelle für eine persönliche und kirchliche Erneuerung ist sicherlich immer, allein und vor allem, die Heiligkeit! – Sowohl die objektive Heiligkeit der Kirche, insofern als sie der mystische Leib Christi ist, als auch die persönliche Heiligkeit von jedem einzelnen ihrer Mitglieder.

Katechismus garantiert korrekte Auslegung des Konzils

Wie Papst Benedikt vergangene Karwoche bei seiner Predigt im Rahmen der Chrisam-Messe gesagt hat: „All unsere Verkündigung muss Maß nehmen an dem Wort Jesu Christi: „Meine Lehre ist nicht meine Lehre“ (Joh 7,16). Wir verkündigen nicht private Theorien und Meinungen, sondern den Glauben der Kirche, deren Diener wir sind. Aber das darf natürlich nicht heißen, dass ich nicht mit meinem ganzen Ich hinter dieser Lehre und in ihr stehen würde.“ Vor allem diese letzte Passage – der Papst meinte, es sei seine Pflicht, dies klar zu betonen – zeigt, welche Position jeder Christ in Bezug auf die Lehre, die im Katechismus der Katholischen Kirche dargeboten ist, einnehmen sollte – und umso stärker gilt das dann auch für jeden Priester, Theologen und Bischof.

Dass man Diener der kirchlichen Lehre ist und sich völlig in sie hineinversetzt hat, gehört zu jener christlichen und priesterlichen Identität, die letztendlich auch thematisch den Grundtenor und Kern des Priester-Jahres, das wir von 2009-2010 gefeiert haben, stellte.

Der Prozess der offiziellen Rezeption des Katechismus der Katholischen Kirche ist vielleicht langwieriger als jener der realen Rezeption, wie diese sich vor allem auf der Ebene der Gemeinschaften, religiösen Familien, Vereinigungen, Bewegungen usw. abzeichnet. Das Jahr des Glaubens, das aus Anlass der Jahrestage des Konzils und des Katechismus einberufen wurde, hat auch folgenden Zweck: Eine noch intensivere und breitgefächerte Rezeption des Katechismus in seiner Eigenschaft als Werkzeug sicherer Lehre und einer korrekten Auslegung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu gewähren.

Es ist vielleicht an der Zeit, mit hinreichender Deutlichkeit zu sagen, dass diejenigen sich gründlich irren, die behaupten, „der Katechismus habe das Konzil verraten“ oder „der Katechismus sei ein Schritt hinter das Konzil“. Hinter solchen Slogans verbirgt sich, nicht einmal allzu schwer erkennbar, ein Verständnismangel nicht nur für das Konzil selbst, sondern auch für das Wesen der ganzen Kirche als Leib Christi. Behauptungen dieser Art kommen vor allem aus Umfeldern, in denen man sich zu jener Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruchs bekennt, die vom Heiligen Vater ganz klar als für schwere Verwirrung im Volk Gottes verantwortlich ausgewiesen worden ist.

Darüber hinaus meine ich, dass solche Haltungen extrem schädlich sind und dem Konzil einen Bärendienst erweisen, sei es, weil sie leider Gottes zu widersetzlichen Reaktionen führen, die auch das Risiko des Bruchs mit sich bringen, sei es, weil sie hauptsächlich mit ideologischen Verbrämungen den nüchternen Zugang zu den Texten des Konzils verbauen und somit die vergleichende Gegenüberstellung mit der ständigen Tradition und der kirchlichen Lehre sowie die Rezeption der grundlegenden Konzilstexte im nachfolgenden Lehramt, wie sich dieses unter dem Diener Gottes Paul VI. und vor allem unter dem seligen Johannes Paul II. ergeben hat, aufhalten.

Es ist viel geleistet worden, doch bleibt noch viel zu tun, damit der Katechismus der Katholischen Kirche auf rechte Weise rezipiert wird. Je mehr wir uns für seine Rezeption einsetzen und verwenden, umso mehr hat unser Engagement letztlich mit der Neuevangelisierung zu tun.

In der oben zitierten Predigt, die Benedikt XVI. während der Chrisam-Messe hielt, sagte er: „Das Jahr des Glaubens, das Gedenken an die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren soll uns ein Anlass sein, mit neuem Eifer und neuer Freude die Botschaft des Glaubens zu verkündigen. Die finden wir natürlich grundlegend und zuallererst in der Heiligen Schrift, die wir nicht genug lesen und bedenken können. Aber dabei machen wir alle die Erfahrung, dass wir Hilfe brauchen, um sie recht in die Gegenwart zu übertragen; dass sie uns wirklich ins Herz trifft. Diese Hilfe finden wir zuallererst im Wort der lehrenden Kirche: Die Texte des II. Vaticanums und der Katechismus der Katholischen Kirche sind die wesentlichen Instrumente, die uns unverfälscht zeigen, was die Kirche vom Wort Gottes her glaubt. Und natürlich gehört der ganze, noch längst nicht ausgeschöpfte Schatz der Dokumente dazu, die uns Papst Johannes Paul II. geschenkt hat.“

Der Papst selbst also erkennt die ununterbrochene Kontinuität des Lehramtes an, die zwischen den Texten des II. Vaticanums und dem Katechismus besteht und lädt die Kirche ein, den bei weitem noch nicht hinreichend ausgebeuteten Schatz an Dokumenten – ein mehr als zwanzigjähriger Bestand, den uns der selige Johannes Paul II. hinterlassen hat –, nutzbar zu machen.

Übernatürliche Hilfe, die uns wirklich ins Herz trifft

Wenn man vom Zitat des Papstes ausgeht, kann man zwei Aspekte hervorheben, die sich auf die Beziehung zwischen Katechismus und Neuevangelisierung auswirken. Den ersten entnehmen wir den eigenen Worten Benedikts XVI., der feststellt: „Dabei machen wir alle die Erfahrung, dass wir Hilfe brauchen, um sie recht in die Gegenwart zu übertragen; dass sie uns wirklich ins Herz trifft.“

Das Werk der Evangelisierung ist also nicht einfach ein menschliches „Tun“. Vielmehr bedarf es dabei in jedem Fall einer übernatürlichen Hilfe, die sich durch die Vermittlung von Zweitursachen ergibt (unter ihnen auch der Katechismus), die in die Lage versetzen, den rechten Glauben weiterzugeben. Jene Weitergabe muss „in der Gegenwart“ stattfinden, das heißt im Heute des täglichen Lebens und in diesem Sinne ist Evangelisierung stets neu, denn sie ist selbst eine stets neuerliche Verkündigung des Evangeliums in der Gegenwart. Zugleich erneuert sie, denn sie „macht denjenigen neu“, der die Verkündigung annimmt.

Außerdem meint der Heilige Vater mit gewisser prophetischer Vorahnung, dass all das notwendig ist, damit „sie uns wirklich ins Herz trifft“, und bestätigt dabei, dass der Christ gerade bei der Verkündigung des Evangeliums erlebt, wie sein Herz getroffen ist und er somit gemäß dem Prinzip der Übereinstimmung des eigenen Lebens mit der geglaubten Wahrheit, den Ruf zur Erneuerung verspürt.

Vor diesem Hintergrund dürfen wir hoffen, dass wir die Neuevangelisierung nicht entsprechend mehr oder weniger erfolgreichen menschlichen Strategien auszuführen haben oder dass sie nur ein Werk ist, das wir in zukünftigen Jahren vollbringen müssen. Ganz im Gegenteil! Sie wird in dem Maße verwirklicht, in dem der ganze Leib der Kirche den eigenen Glauben bekennt und durch dieses Glaubensbekenntnis von neuem selbst evangelisiert wird. Die Neuevangelisierung wird kein Werk sein, das von Hirten und Gläubigen bewerkstelligt wird. Vielmehr wird sie mit dem Werk der Verkündigung des Evangeliums selbst zusammenfallen, einer Verkündigung, die in dem Moment, in dem sie stattfindet, denjenigen, der sie vollbringt, erneuert. Und zugleich wird sie dabei Samenkorn der Hoffnung für denjenigen sein, der sie beachtet und aufnimmt.

Vergleichsweise könnte man sagen – erlauben Sie mir diesen Exkurs aufgrund meines Dienstes in der Kongregation für den Klerus –, dass die Neuevangelisierung ein wenig so aussieht, wie die Ausübung des Dienstes vonseiten der Priester: Dieser Dienst ist nicht von ihrer Person, von der ihnen eigenen Identität und Mission zu unterscheiden. Vielmehr fällt er damit zusammen und gerade in der Ausübung des Dienstes bekennen die Priester ihren Glauben, nehmen wahr, wie er sich erneuert und in eine Kraft verwandelt, die die Evangelisierung vorantreibt.

Einheit zwischen der verkündeten Wahrheit und der gelebten Liebe

Der zweite Aspekt – und hier tritt nun ganz klar der Katechismus mit seinem ganzen doktrinären Gewicht in Erscheinung – ergibt sich aus der Beziehung zwischen der Verkündigung Christi, den man im eigenen Leben als Heiland und Erlöser anerkennt, und der Annahme dessen, was er uns über sich selbst, den Vater, die Kirche und den Menschen offenbart hat.

Mit anderen Worten ist es nicht möglich, Christus anzunehmen, ohne das anzunehmen, was er uns über Gott mitgeteilt hat. Eine Neuevangelisierung, die sich von den Glaubenswahrheiten und der Lehre trennt, ist nicht möglich, denn gerade diese sind ihr Inhalt und diese stellt sie ins Licht.

In diesem Sinn ist die Kenntnis des Katechismus der Katholischen Kirche, seine Verbreitung und fortschreitende Vermittlung im Netz des kirchlichen Geflechts schon ein Werk, das als Neuevangelisierung bezeichnet werden kann, denn so etwas wird unmöglich seine Wirkung auf die neu zu evangelisierende Zivilgesellschaft verfehlen, da die eigene innere Kraft immer eine ausstrahlende Wirkung hat.

Die Einteilung des Katechismus in vier Teile, Glaube im Bekenntnis, gefeierter Glaube, gelebter Glaube und Glaube im Gebet, übernimmt in treuer Weise die Einteilung des Römischen Katechismus ad parrocos, welcher nach dem Konzil von Trient erarbeitet worden war, und bietet diese von neuem dar. Dieser Einteilung kann man vier fundamentale Leitlinien entlehnen, die man auch auf die Neuevangelisierung anzuwenden vermag.

Die vier oben genannten Bezugnahmen zum Glauben stellen also ebenso viele Pfade dar, deren Begehung für den Erfolg der Neuevangelisierung entscheidend ist. Wie es in den für das Jahr des Glaubens von der Kongregation für die Glaubenslehre gegebenen Hinweisen heißt, bedeutet eine Erneuerung des Glaubens, den man bekennt, sicherlich auch Gelegenheiten zu finden, bei deren man sich öffentlich zu diesem Glauben bekennen kann. Dabei soll natürlich die stets notwendige kulturelle Vertiefung, durch die das Denken fortschreitend erzogen wird, auch nicht vergessen werden. Durch die Lösung der Gedanken von der Verstrickung mit der Welt beginnt der Geist, die Vernunft fortschreitend im Sinne einer Glaubenshaltung einzusetzen und die wertvollen Hinweise des Lehrschreibens vom seligen Johannes Paul II., Fides et ratio, in konkrete Erfahrung umzusetzen.

Wie im zweiten Teil des Katechismus dargestellt, beinhaltet der gefeierte Glaube eine klare, an alle Gemeinschaften, die die Sakramente feiern, gerichtete Einladung, den Sinn für das Heilige wiederzuentdecken. Manche liturgische Feiern werden zu oberflächlich, ja bisweilen sogar auf banale Weise zelebriert, was zu einer inneren Abwendung vom Ritus geführt hat. Und mit dem Verlust der Mysteriendimension gingen auch zugleich der ureigene Sinn und die Bedeutung dieser Handlungen verloren. Man begeht einen eklatanten Fehler, wenn man meint, dass eine Kürzung der Dimension des Heiligen und der Anbetung die Riten besser verstehbar machen würde. Die Seele des Einzelnen, die Kraft des gefeierten Sakraments und die Gnade, die dieses schenkt, treten in einen geheimnisvollen Austausch, der durch den Heiligen Geist und sicher nicht durch unsere „besonders aktiv gestalteten“ Messfeiern zustande kommt. In dem Maße, in dem man in den Teilkirchen und den einzelnen Gemeinschaften sich wieder tiefer dessen bewusst wird, dass zur Feier des Glaubens die Anbetung gehört, wird auch die Neuevangelisierung einen kräftigen Impuls empfangen, denn wo der Glaube entsprechend den liturgischen Normen der Kirche und in Kontinuität mit ihrer ununterbrochenen Tradition gefeiert wird, kommt man mit dem in Berührung, was die größte Anziehungskraft besitzt. So gefeierter Glaube trägt in sich selbst evangelisierende Kraft.

Wir wissen sehr wohl, dass die Verkündigung der Wahrheit einhergehen muss mit der Kraft des Zeugnisses. Seit seinen Anfängen gehörte zum Christentum diese tiefe Einheit zwischen der verkündeten Wahrheit und der gelebten Liebe. In rechter Weise verstanden, stellt der dritte Teil des Katechismus eine große Stütze dar, um zu einer Verlebendigung des Glaubens aufzurufen. Gelebter Glaube trägt in sich eine große evangelisierende Kraft, denn ohne Worte übt er ein unbesiegbares Lehramt aus. Vergessen wir nicht, dass, um die Wahrheit zum Schweigen zu bringen, es in der Geschichte in nicht wenigen Fällen nötig war, nicht nur jene aus dem Verkehr zu ziehen, die die Wahrheit verkündeten, sondern auch jene, die sie lebten. Wie viele Märtyrer, die den Glauben bezeugt haben und bezeugen, hat es doch in nicht zu sehr entfernter Vergangenheit und in der Gegenwart gegeben! Die untrennbare Einheit zwischen dem Glauben, den man bekennt, feiert und lebt, wird also der vorrangigste dynamische Faktor der Neuevangelisierung sein. Wenn die Kirche in authentischerer und treuerer Weise glaubt, feiert und lebt, wird sie ihre Kraft zur Evangelisierung erneuern.

Gebet ist der Dreh- und Angelpunkt der Neuevangelisierung

Schließlich ist, wie vom Katechismus der Katholischen Kirche vorgeschlagen, das Gebet Dreh- und Angelpunkt sowie Quelle der Neuevangelisierung. Ganz gleich, wie sehr wir uns anstrengen, es wird nichts geschehen, wenn nicht alles vom Gebet ausgeht und zum Gebet zurückkehrt: dorthin, wo wir als Einzelne und als Gemeinschaft vor Gottes Angesicht stehen, aufmerksam auf sein Wort und auf seinen Willen hören, für Kirche und Welt.

Nur das Gebet birgt die authentische Kraft zur Reform. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass derjenige, der nicht betet, Charismen zur Reform empfängt. Vielmehr wird er sie sich selbst anmaßen. Inwieweit sich in der Kirche eine authentische Reform ergibt, hängt vom Geist des Gebets ab. Ebenso hängt es vom Gebet ab, inwieweit eine Neuevangelisierung stattfindet, von jenem Gebet, das jeder von uns in der eigenen Existenz entdeckt, im Hören auf die Stimme des Herrn, in geistlicher Verbundenheit mit Petrus und den Aposteln, im Obergemach versammelt mit Maria, der Mutter der Kirche!

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