Der moderne Turmbau zu Babel: die gottlose Welt

Was sich in unserer Welt abspielt, übersteigt die Möglichkeiten und Bestrebungen einzelner Menschen. Wie ein globales Netz legt sich die widergöttliche Finsternis um den ganzen Erdball und verführt die Menschheit zum modernen Turmbau von Babel. Auf der ganzen Breite versucht die moderne Gesellschaft eine weltumspannende Stadt ohne Gott zu errichten. Doch schon jetzt zeigt die Erfahrung, dass sich der Mensch bei diesem Unterfangen in ein gespenstisches Gefängnis verirrt, in dem es weder Glück noch Freiheit gibt. Allein die Stadt Gottes, in der der Schöpfer „mitten unter den Menschen“ wohnt, vermag die Welt in eine Heimat für alle zu verwandeln, in der jeder frei und glücklich werden kann.

Von Weihbischof Andreas Laun

Die alten Versuchungen kehren immer wieder zurück, wieder und wieder, der Teufel gibt nicht auf, dem Menschen das Gott-gleich-Sein zu versprechen und Gott einen Lügner zu nennen. Und die Menschen sind immer noch dieselben, sie neigen dazu, dem „Vater der Lüge“ Glauben zu schenken und es zu versuchen: Gott gleich zu werden in ihren Werken, in der Struktur der großen Weltstadt, in den Gesetzen ihres Zusammenlebens. Und das geht so:

Mit Hilfe der großen, atheistischen Ideologien des Zeitgeistes baut man an der „Stadt des Menschen“. Gott hat keinen Zutritt, ihm ist die Einreise verboten, nicht einmal als Tourist oder Flüchtling soll ihm der Eintritt gewährt sein! Dass Gott einmal als „Einwanderer“ kam und frühere Generationen seine Ankunft als das größte ihrer Feste gefeiert haben, ist ein Kuriosum, aber überholt. Inzwischen hat man gelernt, aus dem Advent, dem Ankommen Gottes, ein Event der Menschen zu machen! Und Weihnachten „feiert“ man, indem man „Weihnachtsmänner“ und bei Bedarf auch „Weihnachtsfrauen“ in lächerlichem Aufzug herumgehen lässt, aber bei näherem Zusehen zeigt sich: Es ist, als ob man eine Hochzeit ohne Bräutigam und Braut feiern wollte, ein rauschendes Fest, auf dem alles erlaubt ist, außer die peinliche Frage zu stellen: Wer heiratet denn, wer ist der Bräutigam, wo ist die Braut? Aber wenn auch unbelehrbare Minderheiten noch anders denken sollten: Es bleibt bei dem Ziel, eine „Gott-freie“ Stadt zu bauen, die darum auch „Juden- und Christen-frei“ sein sollte, weil es vor allem diese Unbelehrbaren sind, die die alten Märchen nicht und nicht aufgeben wollen: die Einen, die glauben, dass Gott kommen wird, die Anderen, dass Gott schon gekommen ist – einig darin, dass Er am Ende unübersehbar sein wird! Gott? In dieser Menschenstadt behandelt man Gott wie einen Krankheitskeim, der durch hygienische Maßnahmen auszurotten ist. Seine Gebote hält man für nicht existent und als „Unterdrückungs-Instrument“, das den Menschen die Freiheit raubt.

Die Menschenstadt soll die „bessere“, wirklich „menschengerechte Stadt“ werden, Stadt der Freiheit, Stadt der Wellness, Stadt des Friedens, weil alle Einwohner „gleich“ sind, genauer gesagt: gleich gemacht werden, und darum gleich denken, gleich funktionieren, gleich fügsam sind und somit keinen Grund mehr haben werden, zu streiten.

In dieser Menschenstadt leugnet man mit der Gender-Ideologie die Schöpfung überhaupt, vor allem auch ihre Vielfalt. Die Folge ist zum Beispiel: In dieser „neuen Welt“ wird es keine „traditionellen“ Familien mehr geben, keine wirklichen Männer und Frauen, keinen Vater und keine Mutter, sondern nur im Grunde Einheits-Menschen, die ihre „sexuelle Orientierung“ selbst bestimmt haben und darum selbstbestimmt „Eltern 1“ oder „Eltern 2“ (statt Vater und Mutter) werden können, sei es durch sexuelle Akte, sei es  durch Manipulation im Labor, mit eigenen oder fremden Gameten, vielleicht mit Hilfe eines Menschen, der sich als „Eltern 2“ selbstbestimmt hat und früher Leihmutter genannt wurde. 

In dieser Menschenstadt ist es nicht Sünde und Blindheit, wie noch Jesaja meinte, sondern Freiheits-Recht des Einzelnen, das Süße sauer und das Sauere süß, das Böse gut und das Gute böse zu nennen. Das ist so, weil der Begriff der „Gebote Gottes“ und in Folge auch die Bezeichnungen „gut“ oder „böse“ einer vergangenen Epoche der menschlichen Evolution angehören, die längst überwunden ist. Und an die Evolution muss „jeder Mensch glauben“, wenn er nicht für dumm gehalten werden will. Auf jeden Fall, die Begriffe „gut“ und „böse“, „Gebot“ oder gar „Gott“ erzeugen nur ein Lächeln zwischen Mitleid und Hohn, wenn sie jemand ernsthaft zu verwenden scheint! Dem modernen Menschen sind sie jedenfalls nicht mehr zumutbar, obwohl eigentlich niemand sagen kann, was der „moderne Mensch“ im Unterschied zum gewöhnlichen Menschen sein soll! Fest steht jedenfalls: Wenn es Gott nicht gibt, kann es auch keine Gebote Gottes geben. Gebote natürlich gibt es, aber nur solche Gebote, die Mehrheiten erlassen haben!

In dieser Menschenstadt proklamiert man dennoch „Menschenrechte“, die man nicht so nennt, weil sie von Gott im Schöpfungsakt in den Menschen hineingelegt worden und in seiner Natur erkennbar wären, sondern in dieser „Menschenstadt ohne Gott“ spricht man von Menschenrechten, insofern diese Rechte vom Menschen gemacht werden, demokratisch natürlich, durch Mehrheitsentscheidungen! Darum kann auch wirklich alles zum „Menschenrecht“ werden, auch Verhaltensweisen, die man früher für Verbrechen hielt, Abtreibung zum Beispiel.

Die Stadt der Menschen ist aber auch eine Stadt der inneren Widersprüche: Man proklamiert die absolute Freiheit von Schöpfung und Gottes Geboten, zugleich verpflichtet man den Einzelnen auf das Wollen und Denken der Mehrheit. Ja, man redet ihm ein und schreibt ihm vor, wodurch er glücklich zu sein hat und was auf keinen Fall sein Wohlgefallen finden darf: Frauen zum Beispiel dürfen nur nach Karriere streben, müssen im noch so eintönigen Beruf glücklich sein, aber auf keinen Fall mit ihren Kindern, die von „Fachkräften“, wie jeder weiß, besser betreut werden! Natürlich „frauenfreundlich“, weil man die armen Frauen entlastet von ihren Kindern, die, das weiß man, vor allem eine Last sind!

Man behauptet, eine Gesellschaft der Freiheit zu errichten, man distanziert sich mit Pathos von den Diktaturen der Vergangenheit und darum auch vom „Patriarchat“, aber gleichzeitig unterbindet man die Freiheit des Einzelnen in mehr und mehr Bereichen des Lebens, bis hinein in den Intimbereich der Menschen. Auch in seiner Sexualität soll der Mensch sein „wie alle“, das heißt so, wie die Machthaber es wollen, und darum hat man die verpflichtende „Sexualerziehung“ in den Schulen eingeführt: Gelehrt wird sexuelle Freiheit, aber keine Selbstbeherrschung. Weil es ohne diese nicht geht, ersetzt man diese durch Strafgesetze. Besonders paradox bei diesem Freiheitsstreben ist: Wissenschaftlich längst gesicherte Einsichten, z.B. in die Bedürfnisse von Kindern, die Grenzen wollen, oder in die der Frauen, die Mütter sein wollen, werden ignoriert. Nicht einmal die Erfahrung, dass immer mehr Jugendliche psychisch gestört, verhaltensauffällig, unerziehbar sind, löst ein Umdenken aus.  

Der uniformierte Einheitsmensch in der – wörtlich – „gottlosen Menschenstadt ohne Gott“ wird gesteuert durch die Gesetze der politischen Korrektheit, die den Menschen nicht nur vorschreibt, wie sie zu reden haben, sondern z.B. auch verbietet, nach „politisch korrekten“ Handlungen wie Abtreibung oder bei einem politisch korrekten Lebensstil wie im homosexuellen Lifestyle unglücklich zu sein. Verstöße gegen dieses Moralsystem der Korrektheit werden streng und ohne Vergebung geahndet durch die alten Pranger-Methoden, freilich auf moderne Art mit Hilfe der Medien exekutiert und durch gesellschaftlichen Ausschluss, der früher „Verbannung“ hieß und dies auch war!

Die gottlose Stadt der Menschen, sie ist die absolut nicht „artgerechte Haltung des Menschen“ in Käfigen, die der Mensch sich selbst gebaut hat, zusperrt und dann den Schlüssel unerreichbar weit wegwerfen will! Und so geschieht, was geschehen muss: Der Mensch, der Gott ähnlich werden wollte, stürzt ab. Aus der ersehnten Macht wird ein Gefängnis, das Glück verwandelt sich in die Verzweiflung des für immer Gefangenen. Seine Herrlichkeit wird zum Vegetieren in endlosen, grauen, fensterlosen Betonbauten, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt. Indem der Mensch Gott gleich sein will, verliert er sich und seine Gott-Ebenbildlichkeit, zurück bleibt ein Häuflein selbst verschuldeten Elends. Der Menschenstadt entrinnt nur der, der die Augen erhebt zu dem, der begonnen hat, „mitten unter den Menschen“ zu leben und so die Menschenstadt in eine Stadt Gottes verwandelt, in das Jerusalem, in dem jeder Mensch, der will, Heimatrecht hat, leben kann, frei ist und glücklich, weil er „dazu“ gehört, zur Gemeinschaft der Heiligen, die bei Gott sind!

Auf sich allein gestellt geht es der Menschenstadt wie dem Turm von Babylon, die Menschen in ihr verstehen sich nicht mehr, sie verlassen die Stadt und diese wird zum Ruinenfeld. Es geht ihr so wie dem Standbild im Buch Daniel (2ff.): Es schien reich, glänzend, groß und für ewig gebaut zu sein. Aber dann löste sich ein Stein oben in den Bergen, rollte herunter und zerschmetterte die tönernen Füße des großen Bildes, und dieses stürzte in sich zusammen! Auch die Stadt der Menschen wird diese Erfahrung machen, wieder und wieder: Unerwartete Elemente werden sich als Bedrohung und als Kräfte der Zerstörung erweisen, sie wird keinen Bestand haben wie – in einem anderen biblischen Bild (Mt 7,24) gesprochen – die Stadt, die auf Sand gebaut war und dem Regen nicht standhielt.

Madonna von Mellieha

Die Gebetsgemeinschaft „Maria Mutter Europas“ hat sich zur Aufgabe gestellt, für die Erhaltung des Christentums auf dem europäischen Kontinent die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter Maria als Mutter Europas zu fördern. Nach und nach haben sich Heiligtümer an den verschiedenen Enden Europas unter diesem Titel zu einer Partnerschaft zusammengeschlossen. Der Gemeinschaft ist nun auch offiziell das bedeutendste Marienheiligtum auf Malta beigetreten.

Von P. Notker Hiegl OSB

Nachdem wir in Gnadenweiler bei Beuron eine Kapelle „Maria Mutter Europas“ errichtet hatten, schlugen wir vor fünf Jahren zunächst eine Brücke nach Gibraltar, wo sich das historische Heiligtum „Unserer Lieben Frau von Europa“ befindet. Schon bald aber war es uns ein Bedürfnis, vom äußersten Südwesten des Kontinents einen Bogen in den Nordosten zu spannen, und so schloss sich unserem Bund die Pfarrei Beresniki im russischen Ural an. Nach einer Predigt über diese Initiative im Sommer 2009 in Schwyz in der Schweiz kam eine Fabrikantenfrau zu mir an die Klosterpforte des Dominikanerinnen-Klosters St. Peter und regte an, diesem Längsbalken des Jesus-Kreuzes auch noch einen Querbalken hinzuzufügen. Und genau so kam es, obwohl ich mich zunächst kräftemäßig nicht in der Lage sah, das Projekt zu erweitern. Im November 2009 konnte ich Bischof Peter Bürcher in Reykjavik, also im Norden Europas, dazu gewinnen, die dortige Bischofskapelle dieser neuen Anrufung Mariens unter dem Titel „Maria Mutter Europas“ zu weihen. Seither ist Bischof Bürcher ein großer Mitkämpfer an meiner Seite, „damit Europa unter dem Schutz Mariens christlich bleibt“.

Entscheidung der maltesischen Bischofskonferenz

Nun fehlte nur noch der Süden Europas mit einem entsprechenden Heiligtum. Die Fahrt im Mai 2011 nach Malta zu Erzbischof Paul Cremona O.P. brachte zunächst eine Gebetsgemeinschaft in dieser Intention zu Wege, vor allem mit dem Priesterseminar in Valetta und seinen 31 Alumnen. Die Frage nach dem Heiligtum wollte der Erzbischof aber erst nach einer entsprechenden Versammlung mit den andern maltesischen Bischöfen entscheiden. Zur „Auswahl“ standen die beiden Marienwallfahrtskirchen „Mellieħa“ auf Malta und das Marienheiligtum auf „Gozo“. Am 15. November 2011 erhielt ich nun eine E-Mail von John Sammut, dem deutschsprechenden Pfarrer der St. Barbara-Gemeinde in der Bischofsstadt Valetta, der uns im Mai als Brückenbauer zu Erzbischof Cremona gedient hatte. Er wurde vom Diözesanbeauftragten für Liturgie, Fr. Jesmond Manicaro, beauftragt, mir mitzuteilen, die Maltesische Bischofskonferenz habe das älteste und bekannteste Marienheiligtum von Mellieħa zur Ehre von „Maria, Mutter Europas“ gewählt und es werde darin eine eigene Nische freigestellt, wo diese Marienandacht stattfinden könne.

Die Marienikone von Mellieħa

Das Marienheiligtum in Mellieħa ist die meistbesuchteste, gewaltig große und schöne Wallfahrtskirche auf Malta in der Nähe der St. Paulus-Bucht (s. Apg 27,41). Die Kirche enthält viele historische Sehenswürdigkeiten der Malteser-Geschichte mit den Großmeistern des Malteser-Ordens, auch aus deutschen Adelsgeschlechtern. Doch das Zentrum der vielen Kapellen, Gänge und Nischen bildet die Gnadenkapelle mit der Darstellung „L-Ikona tal-Madonna tal-Mellieħa“. Der Chor umschließt eine Felsennische mit dem gekrönten Gnadenbild der Madonna, die das Jesuskind auf dem rechten Arm trägt. Das durch die Jahrhunderte stark beschädigte Fresko-Bildnis auf dem Naturfels wird von den Gläubigen als „Lukanische Marienmalerei“ verehrt. Wenn auch die Historiker das Bild späteren Jahrhunderten zuschreiben, so wird die Muttergottes hier jedenfalls seit uralten Zeiten verehrt und bis in die Zeiten von Paulus und Lukas zurück „gefühlt“. Trotz seiner Schlichtheit strahlt die gesamte Konzeption Würde und Erhabenheit aus.

Glückwunschschreiben aus Reykjavik

Die freudige Nachricht über die Wahl des Heiligtums in Mellieħa sandte ich sofort an Bischof Bürcher nach Reykjavik sowie an den Heiligtums-Prälaten Charles Azzupardi nach Gibraltar und an Pfarrer Erich Maria Fink nach Beresniki (Ural) weiter. Bischof Bürcher sandte ein freudiges Antwortschreiben und erklärte sich auch bereit, am 9. Juni 2012 das Fünf-Jahres-Fest der Kapelle „Maria Mutter Europas“ oben auf dem Gnadenweiler als Hauptzelebrant mit uns zu feiern. An Erzbischof Cremona in Valletta schrieb er unter anderem: „Sehr geehrter, lieber Herr Erzbischof Cremona, lieber Mitbruder. P. Notker OSB hat mir die wunderschöne Nachricht mitgeteilt, dass Sie die Kirche von Mellieħa gewählt haben, um auch darin ‚Maria Mutter Europas‘ zu verehren. Das ist eine ganz besondere Gnade für uns alle. Ich gratuliere Ihnen von Herzen und bedanke mich bestens dafür. Zu meiner Freude und derjenigen von vielen Leuten hier in Island konnte ich am Samstag, den 12. Dezember 2009, die feierliche Weihe der Kapelle ‚Maria Mutter Europas‘ im Bischofshaus zu Reykjavik begehen. Mit Ihrem erfreulichen Beschluss ist damit der südlichste und letzte Teil des marianischen Kreuzes, von West nach Ost und Süd nach Nord, geschlagen worden, das christliche Zeichen des Lebens und der Hoffnung über den Tod hinaus. Ganz Europa ist ja durch das Kreuz unseres Erlösers kulturell und religiös gekennzeichnet. Die Neuevangelisierung ist ganz besonders durch ‚Maria Mutter Europas‘ im Gang!“

Was steckt hinter Bibel TV?

„Kirche heute“ widmet katholischen Radio- und Fernsehprogrammen einen breiten Raum. Schon seit längerer Zeit möchte auch Bibel TV mit seinem Programm in die Zeitschrift aufgenommen werden. Nun haben sich beide Seiten verständigt und einer Veröffentlichung den Weg geebnet. Damit ist „Kirche heute“ einen Kompromiss eingegangen, denn Bibel TV ist eigentlich keine katholische Initiative. Was steckt hinter Bibel TV? In der Präambel des Senders heißt es: „Die Bibel quillt geradezu über von Lebensweisheiten und bewährten Ratschlägen. Sie steckt voller spannender Geschichten – alle mit einem Bezug zu unserem Leben heute. In Zeiten der Not findet man in ihr Mut und Zuspruch. Und vor allem weist die Bibel den Weg zu Gott und zum Glauben. Kurz gesagt: Die Bibel ist der beste Lebensbegleiter in Schriftform, den man überhaupt finden kann. Wir sind überzeugt, dass die Bibel jedem Menschen etwas zu sagen hat. Deshalb wollen wir mit Bibel TV dieses wertvolle Buch den Menschen näher bringen.“ Ein weiterführendes Interview mit Henning Röhl, dem Geschäftsführer von Bibel TV.

Interview mit Henning Röhl

Kirche heute: Wann ist Bibel TV entstanden?

Röhl: Im Januar 2001 trafen sich etliche, am Fernsehen interessierte Christen in Bonn/Bad Godesberg zur Gründung eines christlichen Fernsehsenders.

Kirche heute: Wer hat es ins Leben gerufen?

Röhl: Die Initiative ging vom Bonner Verleger Norman Rentrop aus. Er hat eine Anschubfinanzierung zur Verfügung gestellt und den Gründerkreis zusammengerufen.

Kirche heute: Was waren die Beweggründe?

Röhl: Eine Analyse der deutschsprachigen Fernsehprogramme hatte gezeigt, dass es viel zu wenig christliches Fernsehprogramm gibt. Antrieb war die Absicht, die Bibel in die modernen Medien von heute – und dazu gehört vor allem das Fernsehen – hineinzubringen.

Kirche heute: Wer steht heute hinter dem Fernsehsender?

Röhl: Bibel TV hat 16 Gesellschafter. Die größten von ihnen sind die Rentrop Stiftung mit 52 Prozent und die katholische Astratel-Gruppe (Tellux) sowie die EKD-Media mit je 12,75 Prozent Anteil. Wesentliche Entscheidungen fallen mit 75 Prozent der Stimmen, so dass die beiden kirchlichen Gesellschafter nicht überstimmt werden können.

Kirche heute: Wo befindet sich der Sitz von Bibel TV bzw. das Studio oder die Sendezentrale?

Röhl: Bibel TV hat seit Anbeginn (Sendebeginn am 1. Oktober 2002) seinen Sitz in Hamburg. Hier befindet sich auch die Sendezentrale. Beiträge werden von christlichen Organisationen aus ganz Europa zugeliefert.

Kirche heute: Wie wird Bibel TV finanziert?

Röhl: Bibel TV finanziert sich hauptsächlich durch Spenden seiner Zuschauer. Im Jahr 2011 gab es etwa 40.000 regelmäßige Spender. Einnahmen und Ausgaben lagen bei etwa 8,2 Millionen Euro. Knapp 10% der Einnahmen kommen aus Werbung und anderen kommerziellen Erlösen.

Kirche heute: Was sind die inhaltlichen und religiösen Grundlagen des Senders?

Röhl: In der Satzung von Bibel TV heißt es: „Zweck der Gesellschaft ist die Förderung religiöser Zwecke in Form der Verbreitung der biblischen Inhalte über elektronische Medien.“ Die Gesellschaft will möglichst viele Menschen mit der Bibel in Verbindung bringen.

Kirche heute: Mit welchen kirchlichen oder religiösen Gemeinschaften identifiziert sich Bibel TV?

Röhl: Bibel TV ist nicht konfessionsgebunden. Der Sender arbeitet mit den großen Kirchen und Freikirchen zusammen. Er identifiziert sich vor allem mit der Heiligen Schrift und sieht sich eher als Plattform für christliche Sendungen. Zu den Zulieferern von Bibel TV gehören christliche Organisationen, kirchliche Produktionsgesellschaften sowie Privatleute.

Kirche heute: Auf welche Theologen oder theologische Schulen stützt sich der Sender?

Röhl: Bibel TV stützt sich nicht auf besondere Theologen oder theologische Schulen. Der Sender versucht in seinem Programm, enzyklopädisch verschiedenste theologische Inhalte zu erklären und er sendet viele Glaubenszeugnisse von bewusst lebenden Christen.

Kirche heute: Welche Schwerpunkte setzt der Sender in der täglichen Programmgestaltung?

Röhl: Das tägliche Programm besteht aus einer Mischung von Gesprächen, Dokumentationen, Bibellesungen, Spielfilmen, Musiksendungen, Kinderprogramm. Zum Schwerpunkt gehört, dass sich fast alle Programmbestandteile um die Bibel drehen.

Kirche heute: Wie steht Bibel TV zur katholischen Kirche?

Röhl: Bibel TV hat ein gutes Verhältnis zur katholischen Kirche. Der jährliche Dankgottesdienst wird immer als ökumenischer Gottesdienst abgehalten.

Kirche heute: Wie steht Bibel TV zum sakramentalen Verständnis der Kirche und zum katholischen Priestertum?

Röhl: Bibel TV versucht in verschiedenen Sendungen, das Sakramentsverständnis der katholischen Kirche und die Stellung des Priesters zu erläutern. Viele Priester und Ordensleute kommen im Programm zu Wort.

Kirche heute: Kommen das Thema Sakramente wie Eucharistie, Beichte, Ehe oder Krankensalbung vor?

Röhl: Diese Themen werden in Gesprächen an Einzelbeispielen oder in enzyklopädischen Sendungen erklärt. Maria und die Gemeinschaft der Heiligen haben im Bibel TV-Programm durchaus ihren Platz. Zum Programm gehören aber auch Erläuterungen des unterschiedlichen Marienverständnisses zwischen katholischer und evangelischer Kirche.

Kirche heute: Werden auch Sendungen der katholischen Kirche ausgestrahlt?

Röhl: Bibel TV übernimmt die von katholischer und evangelischer Kirche gemeinsam produzierten Wochenmagazine „Kirche in Bayern“ und „Alpha und Omega“ aus Baden-Württemberg. Neben vielen katholischen Produzenten sind „Kirche in Not“, „Steyler Missionare“ und EWTN ständige Programmzulieferer von Bibel TV.

Kirche heute: Ist die katholische Kirche in irgendeiner Weise an Bibel TV beteiligt?

Röhl: Über die Tellux-Gruppe (sieben Ordinariate) ist die katholische Kirche am Kapital von Bibel TV beteiligt.

Kirche heute: Kann Bibel TV als ein ökumenisches Zeugnis bezeichnet werden, oder ist es eher eine evangelikalisch freikirchliche Initiative?

Röhl: Bibel TV ist ein ökumenischer TV-Sender. Er hat diese Haltung von Anfang an durchgehalten und wird sich darin auch nicht beirren lassen.

Kirche heute: Was bewegt Bibel TV, den Sender katholischen Zuschauern anzubieten?

Röhl: Zuschauerreaktionen zeigen, dass Bibel TV in katholischen Gegenden genauso angenommen wird wie in evangelischen.  Bibel TV geht es vor allem um die Gemeinsamkeit zwischen den christlichen Kirchen.

Kirche heute: Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Verbreitung von Bibel TV gemacht?

Röhl: Bibel TV verzeichnet seit Sendebeginn eine stetige Steigerung von Zuschauern und Spendern. Es ist der technisch am weitesten verbreitete christliche TV-Sender in Deutschland. Die Steigerungsrate liegt jährlich zwischen 15% und 20%.

Kirche heute: Welche Personengruppe interessiert sich am meisten für den Sender?

Röhl: Nach den Umfragen von Bibel TV sind die Zuschauer relativ jung im Vergleich zur Zuschauergruppe der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten. Das Durchschnittsalter liegt unter 60 Jahren. Die Zuschauerreaktionen sind relativ hoch. Hier dominieren wohl eher die älteren Zuschauer.

Kirche heute: Wieviel Prozent der Zuschauer sind nach Ihrem Kenntnisstand katholisch und wieviel evangelisch?

Röhl: Nach unseren Umfragen sind etwa 30% unserer Zuschauer katholisch. Interessant ist, dass sehr viele Zuschauer gar keiner Kirche angehören. Die Rückmeldungen kommen aus allen Bereichen. Es wird in katholischen und evangelischen Gemeinden für Bibel TV gesammelt. Bibel TV wird in Klöstern und Pfarrhäusern gesehen. Wir bekommen sehr viele Reaktionen gerade aus diesen Bereichen. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang noch ganz interessant, dass der wichtigste Moderator von Bibel TV – Wolfgang Severin – katholischer Priester ist.

Kirche heute: Wir danken Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch und wünschen Ihnen und uns eine gute Zusammenarbeit.

 

„Unsere Gesellschaft braucht ,Christliche Impulse‘. Wenn Bibel TV als christlicher Familiensender, der sich zum großen Teil aus Spenden finanziert, im Jahr 2012 ein Jubiläumsjahr feiern kann, ist das ein ermutigendes Zeichen: Ein abwechslungsreiches und gewaltfreies Programm mit Spielfilmen, Talkshows, Bibellesungen, Dokumentationen und Nachrichten ist ein Juwel in der Medienlandschaft.

Gottes Segen für Ihre Arbeit und das Jubiläumsjahr, das für uns in der katholischen Kirche auch ein ,Jahr des Glaubens‘ werden wird, wünscht

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch,

Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz“

Leuchtturm für die theologische Wissenschaft

An einem aktuellen Beispiel zeigt Pfarrer Erich Maria Fink die kirchengeschichtliche Bedeutung des derzeitigen Pontifikats auf. Es geht um die Art und Weise, wie Benedikt XVI. als Professor auf dem Stuhl Petri der theologischen Wissenschaft eine zuverlässige Richtung weist. Nach Pfarrer Fink geht Benedikt XVI. im Ringen zwischen der notwendigen Treue zur kirchlichen Tradition und der gebotenen Aufgeschlossenheit gegenüber den Errungenschaften der modernen Geistesgeschichte einen goldenen Mittelweg. Der Papst überwindet eine „antimodernistische“ Verweigerungshaltung in der theologischen Forschung, ohne die Fundamente des Glaubens preiszugeben. Am Beispiel eines geschichtlichen Rückblicks auf den Fall Joseph Schnitzer am Beginn des 20. Jahrhunderts, den Prof. Dr. Manfred Weitlauff „in Erinnerung an die antimodernistischen Erlasse Papst Pius‘ X. vor hundert Jahren“ vornimmt, schlägt Fink die Brücke zum wissenschaftlichen Ansatz und zur Verkündigung des jetzigen Papstes.

Von Erich Maria Fink

Seit 1986 bin ich Mitglied im „Verein für Augsburger Bistumsgeschichte e.V.“ und bekomme regelmäßig das Jahrbuch des Vereins zugeschickt. 2011 erschien der 2. Teilband des 44. Jahrgangs 2010. Herausgegeben und verfasst wurde das 702 Seiten umfassende Werk von Prof. Dr. Manfred Weitlauff, der seit 2003 der Erste Vorsitzende des Vereins ist. Ich habe das Buch mit großem Interesse und mit echtem persönlichen Gewinn gelesen. Es ist dem Augsburger Diözesanpriester und Professor für „Dogmengeschichte, Symbolik und Pädagogik“ an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, Joseph Schnitzer (1859-1939), gewidmet.[1] Er war der spektakulärste „Modernismus-Fall“ an katholisch-theologischen Universitätsfakultäten in Deutschland am Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Anschluss an die antimodernistischen Erlasse Papst Pius‘ X. in den Jahren 1907 bis 1910 geriet er mit voller Wucht in die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen um den „katholischen Modernismus“. Je weiter ich mich durch die Lektüre des Buchs von Prof. Weitlauff in das Schicksal Schnitzers vertiefte, umso mehr galt seinem unglaublichen Ringen meine Sympathie. Zugetan war ich auch dem Autor, der den Leser mit ausgesprochener Leidenschaft und fesselndem Stil durch die Ereignisse der damaligen Zeit hindurchführt. Umso ratloser und bedrückter aber stand ich am Ende meiner Lektüre vor der kirchlich-menschlichen Tragödie, die sich um das Leben Schnitzers abgespielt hat. Ich möchte einige Fragen ansprechen, die mich bewegt und aufgewühlt haben. Prof. Weitlauff hat dankenswerterweise zahlreiche Quellen wie Artikel und Briefwechsel des Gelehrten in den Band mit aufgenommen, um dem interessierten Leser, wie er schreibt, die Möglichkeit zu bieten, sich durch die Lektüre ein eigenes Urteil über den Fall Schnitzer zu bilden (vgl. S. X). Diesem Rat bin ich gefolgt und möchte nun den Ausführungen von Prof. Weitlauff eine andere Sicht der Dinge gegenüberstellen.

Der „Modernismus“ im Denken Joseph Schnitzers

Auf der Grundlage seiner historischen Forschungsarbeit erkannte Professor Schnitzer immer deutlicher den geschichtlichen Charakter der Kirche und ihrer Lehre. Ein unvoreingenommener Blick auf die Entwicklung der kirchlichen Strukturen und Dogmen ließ ihn vieles als zeitbedingt und teilweise auch als haltlos erscheinen. Er wandte die historisch-kritische Methode, wie sie in säkularen Wissenschaftszweigen entwickelt worden war, auf die kirchlichen Fachgebiete an und erlebte das Herausschälen des Ursprünglichen als Reinigung, als frischen Wind, ja als Befreiung. Doch gelangte er auf diesem an sich berechtigten Weg immer mehr in einen ernsthaften Zweifel an den Grundfesten des christlichen Glaubens.

Damals wie heute lautet die entscheidende Frage: Was lässt sich aus den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung tatsächlich als gesicherte Fakten ableiten? Wo ist die Grenze zu ziehen zwischen wissenschaftlich stringenter Schlussfolgerung und lediglich plausibler Vermutung, die durch ideologische Vorentscheidungen bedingt sein kann?

Wiederholt zitiert Prof. Weitlauff ein Wort, das Schnitzer an seinem 70. Geburtstag, dem 15. Juni 1929, im Rahmen eines ausführlichen Lebensrückblicks in sein Tagebuch (Teil III) geschrieben hat: „Das ist die große Errungenschaft meines Lebens, hinter den Altar gesehen zu haben, die große Täuschung, vor welcher ich doch niemals erschrak, niemals ein Grauen, sondern immer nur Erleichterung fühlte. Allerdings ist das Geheimnis nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben; was blieb, ist nur das Wissen, dass es jedenfalls so nicht ist, wie es die Römer für wahr ausgeben. Und das ist immerhin auch etwas, wenigstens subjektiv; objektiv war es Ansporn zur Aufklärung“ (S. 312f.).

 Und in der Tat verstand Schnitzer unter dem, „was die Römer für wahr ausgeben“, nicht nur eine neuscholastische Philosophie oder ein Unfehlbarkeitsdogma, sondern schließlich das gesamte Gedankengebäude der katholisch-christlichen Dogmatik. Und die „Aufklärung“, zu der er sich als Theologe und historischer Wissenschaftler hingeführt sah, bestand in der „Entlarvung“ der biblischen Offenbarung vom Schöpfungsbericht bis zu den Erzählungen über die Wunder Jesu als irdisch-menschlich erklärbare Ausdrucksformen von Vorstellungen, denen keine historisch-übernatürliche Wirklichkeit zugrunde liegt. Diesen Weg bezeichnete er zusammen mit seinen Mitstreitern voller Stolz als „Modernismus“, in dem er die große Zukunft der Kirche erblickte, sollte sie denn überhaupt eine haben.

Bruch mit der Kirche als Befreiungsschlag

Im Kampf der Kirche gegen den Modernismus sind dem hochbegabten und äußerst fruchtbar arbeitenden Kirchenhistoriker Schnitzer zwei kleine Schriften zum Verhängnis geworden. Es handelt sich zunächst um seine kritische Stellungnahme zur antimodernistischen Enzyklika „Pascendi“ Papst Pius‘ X. vom 8. September 1907, die er als unannehmbar ablehnte.

Noch bevor sein Artikel in der „Internationalen Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik“ erschienen war, versuchte ihn ein befreundeter Professor für katholische Kirchengeschichte an der Universität Straßburg, Albert Ehrhard, von der Veröffentlichung abzuhalten. Auch er war mit den „praktischen Maßregeln“ im dritten Teil der Enzyklika überhaupt nicht einverstanden. Er betrachtete – wie zahlreiche andere Gelehrte – das päpstliche Vorgehen als „Anfang vom Ende“ der theologischen Wissenschaft an den Universitäten. Doch wagte er nicht, den dogmatischen Teil der Enzyklika anzutasten.  

Deswegen schreckte auch die Schriftleitung der Wochenzeitschrift vor den Ausführungen Schnitzers zurück und zog zunächst einen Beitrag von Albert Ehrhard vor. Dieser erschien am 18. Januar 1908 unter der Überschrift: „Die neue Lage der katholischen Theologie“ (Sp. 65-84; vgl. Weitlauff, S. 584-596). Ehrhard spricht darin die Überzeugung aus, dass die Erlasse Papst Pius‘ X. eine „innere Krisis der katholischen Theologie“ offenbar machten, „wie sie schärfer nicht gedacht werden kann“. Gleichzeitig weist er auf die ungewisse Zukunft der katholisch-theologischen Fakultäten in Deutschland und Österreich hin. Ihr Verbleib an den staatlichen Universitäten sei aufs äußerste gefährdet. Denn der Papst hätte sie der für wissenschaftliches Arbeiten unabdingbaren Freiheit beraubt. Ehrhard sieht den Ausschluss der Fakultäten von den Staatsuniversitäten sogar als unmittelbar bevorstehende Katastrophe.

Mit dem ersten Teil der Enzyklika „Pascendi“ dagegen hatte er kein Problem. Darin geht es um die inhaltliche Darstellung eines „modernistischen“ Gedankengebäudes, das die Kirche ablehnt. Die abstrakte Beschreibung von Lehrelementen, die in offensichtlichem Widerspruch zum Dogma der Kirche stehen, war auch für Ehrhard nicht anfechtbar. Es sei, so schreibt er, „offenbar: der dogmatische Teil der Enzyklika bietet daher keine Schwierigkeit“ (S. 589). Auch der zweite Teil, der sich mit den Ursachen des Modernismus auf philosophischer und psychologischer Ebene auseinandersetzt, wird von ihm nicht weiter problematisiert, nicht einmal die lehramtliche Festlegung zugunsten der Scholastik als Grundlage theologischer Forschung. Anders dagegen verhielt sich Schnitzer, obwohl er von Ehrhard eindringlich davor gewarnt wurde, sich auf die dogmatische Ebene zu begeben. Er würde damit nicht nur sich selber schaden – so Ehrhard am 13. Dezember 1907 noch vor der Publikation –, „nur zugleich schädigen Sie die moderne Theologie in denkbar gefährlicher Weise. Es liegt mir fern, in das Gebiet persönlicher Überzeugungen eindringen zu wollen; aber es will mir scheinen, als ob Sie zu leicht bereit sind, einen Schritt zu tun, den Sie vielleicht später bereuen werden. Wie ich Ihnen schon wiederholt gesagt habe, finde ich, rein wissenschaftlich, keinen genügenden Grund in der historischen und exegetischen Forschung und deren gesicherten Resultaten, um zur Aufgabe der Zentralgedanken des Christentums genötigt zu sein“ (S. 86f.). Zwei Tage später antwortete Schnitzer: „Die etwaigen Folgen habe ich wohl erwogen. Aber man will mir ja – wie ich bestimmt weiß – ohnehin an den Kragen, weil ich neuerdings wieder – wegen meiner ablehnenden Haltung zum Vierten Evangelium – verklagt worden bin. … wenn mich der Bannstrahl trifft, ich werde es zu ertragen wissen.“ Übrigens meint Weitlauff, dass es bei dieser Ablehnung nur um die Frage der Verfasserschaft des Apostels Johannes geht. Jedenfalls schrieb Schnitzer am 31. Dezember 1907 in sein Tagebuch: „Und so mag nun kommen, was will, ich fürchte auch den kirchlichen Bann nicht, der mir im Gegenteil höchst erwünscht wäre, denn dann bin ich frei.“ Am 1. Februar 1908 erschien sein Artikel im genannten Wochenblatt unter dem Titel: „Die Enzyklika Pascendi und die Katholische Theologie“ (Sp. 129-140; Weitlauff, S. 599-608). Nachdem Schnitzer bereits suspendiert und vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen worden war, wurde ihm nach zähem Ringen und eindeutiger Ablehnung eines Widerrufs am 1. November 1908 die Exkommunikation angedroht, und zwar für den Fall, dass er wieder eine Lehrtätigkeit aufnehmen sollte (vgl. S. 314, 417f.). Schnitzer erklärte sofort, dass er sich an das Verbot nicht halten werde.

Abhandlung über die Legenden-Bildung und Ablehnung von Wundern

Die zweite Schrift, die Schnitzer zum Verhängnis wurde, waren die „Legenden-Studien“, die er in den „Süddeutschen Monatsheften“ ebenfalls am 1. Februar 1908 (S. 209-216; Weitlauff, S. 609-619) veröffentlichte. Darin stellt er überzeugend heraus, wie sich im Lauf der Jahrhunderte ausgehend von schlichten Märtyrerakten Legenden mit abenteuerlichsten Wundererzählungen gebildet haben. Schließlich überträgt er das Ergebnis auf die Heilige Schrift: „Nun unterliegt aber ohne Zweifel das Lebensbild Jesu demselben historischen Gesetze, wie das seiner Heiligen: man wird also von vornherein annehmen dürfen, dass auch das Bild des Erlösers, das ja die Phantasie der Gläubigen unaufhörlich aufs regste beschäftigte, von der stille umschaffenden, leise ausschmückenden und verherrlichenden Tätigkeit, die die begeisterte Liebe treuer Anhänger am Gedächtnisse ihrer Helden zu entfalten pflegt, nicht verschont geblieben sein werde. Bedenken wir nun, dass der übereinstimmenden Versicherung hervorragender Forscher gemäß unsere Evangelien nicht von Aposteln, überhaupt nicht von Augen- und Ohrenzeugen des Wirkens Jesu und überdies nicht gleichzeitig, sondern erst Jahrzehnte nach seinem Tode aufgezeichnet wurden, so werden wir uns nicht bloß nicht wundern, auch in den Evangelien legendäre Zusätze anzutreffen, sondern müssten uns im Gegenteil höchlichst wundern, wenn es anders wäre“ (S. 617). Der Artikel endet mit der Quintessenz: „So suchte man stets die Wunder, die man selbst nicht erlebte, in grauer Vergangenheit; als aber die Vergangenheit selbst Gegenwart war, gab es erst recht keine Wunder, die erst von der Zukunft als duftender Lorbeerkranz dankbarer Bewunderung um das Bild religiöser Heroen geschlungen werden sollten. So sind die Wunder ewig vergangen und künftig zugleich, doch niemals gegenwärtig und wie Phantome ewig unfassbar“ (S. 619).

Die johanneische Liebeskirche

Auf dem Hintergrund dieser Zweifel erschien Schnitzer vor allem das Priestertum als Problem. Öfters spricht er vom „Mysterienkatholizismus“ und vom Priester, der einen „Wort- und Handlungszauber übt“. Der Katholizismus, vor allem wie er in Italien gelebt werde, sei eine „Fortsetzung des althellenistischen Mysterienwesens“: „Aller kirchlicher Gottesdienst, die Messe und die Spendung der Sakramente und Sakramentalien, ist Handlungszauber, der ebenfalls durch und aus sich selbst wirkt – ex opere operato.“ Der Modernismus löse „den ganzen Zauberboden“ des Katholizismus auf (S. 306ff.). Und im besagten Lebensrückblick schrieb er: „Der größte Irrweg des Lebens war das unselige Priestertum… Innerlich war und blieb mir das Priestertum stets etwas Gleichgültiges und Fremdes, es liegt mir ganz fern, niemals erscheint es mir in meinen Träumen, ich kann es nicht mehr begreifen. Wie konnte ich je den Magier spielen?“ (S. 311).

Ähnlich lehnte er auch den Anspruch des Bischofs von Rom ab, Nachfolger des hl. Petrus zu sein und dessen Vollmacht innezuhaben. „Im Bannkreis des weltbeherrschenden römischen Imperatorentums nahm der römische Bischof, der sich für den Nachfolger des galiläischen Fischers hielt, mehr und mehr die starren Züge eines die weltumspannende Kirche beherrschenden Cäsars an; hat sich die Welt erst zum Ideal demokratischer Regierung bekehrt, so wird sich die Kirche sehr bald auf die das demokratische Prinzip der Gleichheit und Brüderlichkeit einschärfenden echten Ansprüche Jesu besinnen und entdecken, dass nicht der Primat des Einen über alle, sondern der Liebesdienst aller an allen auf ‚göttlicher‘ Einsetzung beruht. … Jedenfalls ist das Papsttum, das sich in seinem ganzen Verlauf nicht als göttliches, sondern als menschliches, nur allzu menschliches Gebilde erwiesen hat, keine für die Kirche schlechthin wesentliche Einrichtung. Die Kirche ist älter als das Papsttum…“, so schrieb Schnitzer im Beitrag „Die Zukunft des Modernismus“ für die „Frankfurter Zeitung“ am 5. November 1911 (S. 641-645).

Schnitzer spricht schließlich die Hoffnung aus, dass „das letzte Wort der Kirche an die Menschheit“ eine „höhere, reinere, verklärtere Form des Katholizismus“ darstellt, „in der das Christentum Christi und das von ihm einst so heiß ersehnte und so eindringlich gepredigte Reich Gottes auf Erden zu seliger Auswirkung gelangt: jene johanneische Liebeskirche der Zukunft, … die das von den heiligsten Männern mit unaustilgbarer Begeisterung durch alle Jahrhunderte treu gehütete Ideal bildete.“ Noch einmal bekräftigt er, „dass er sich, von den schwersten Zweifeln an der wissenschaftlichen Haltbarkeit des kirchlichen Lehrsystems immer unausweichlicher bestürmt, unter dem kategorischen Imperativ seines wissenschaftlichen Gewissens gezwungen sah“, den Bruch mit „seiner Vergangenheit“ zu wagen und sich von einer Dogmatik zu lösen, mit der er aufgewachsen war. Sein Resümee: „Der Modernismus ist ja erst Morgenrot; aber schließlich muss es und wird es selbst im dunkelsten Deutschland tagen. Die Ideen sind auf dem Marsch, und kein römischer Priester hält sie auf“ (S. 644f.). Ein Tagebucheintrag vom 1./2. Juli 1929 bestätigt diese Linie: „Nicht die Kirche und nicht der Katholizismus sind das Prinzip des Fortschritts, wie Herman Schell einst träumte, sondern die Humanität: Sie ist die Religion der Zukunft; darin wird Loisy [Begründer des Modernismus in Frankreich] wohl recht behalten“ (S. 591).

Weitlauffs Feldzug gegen Rom

In der gesamten Darstellung habe ich vergeblich nach einer objektiven Einordung des Denkens Schnitzers gesucht. Weitlauff unternimmt vielmehr den Versuch, die theologischen Äußerungen Schnitzers mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was von der kirchlich rezipierten Theologie längst anerkannt sei. Auch wenn Weitlauff betont, dass er nicht beabsichtige, „Schnitzers literarisches Lebenswerk zu untersuchen oder der Entwicklung seiner theologischen bzw. religiös-geistigen Position … auf den Grund zu gehen“ (S. X), so nimmt er ihn dennoch vor dem Urteil in Schutz, er hätte sich vom Glauben der Kirche entfernt. Schon im Vorwort behauptet er: „Was er (Schnitzer) in der genannten Rezension (Legenden-Bildung) vorsichtig artikulierte, ist heute zumindest innerhalb einer historisch orientierten katholischen Theologie längst rezipiert: damals galt es aus neuscholastischer und kirchenamtlicher Sicht ohne weiteres als Verstoß gegen den Glauben, als Glauben zerstörende Häresie.“ Und die Stellungnahme Schnitzers zur Enzyklika „Pascendi“ nennt er als „in der Sache durchaus zutreffend“ (S. VII, vgl. S. 65ff. u. 121). „Es muss mit allem Nachdruck festgehalten werden: Schnitzer … plädiert … für Vorsicht im Umgang mit Wunderbeweisen in dogmatischen Fragen, jedoch leugnete er keineswegs … die Gottheit Christi“, so Weitlauff (S. 102f.).

Gleichzeitig wendet sich Weitlauff mit aller Schärfe gegen einen Text, den Pfarrer Ernst Nachtigall aus der Diözese Speyer auf der Grundlage von Berichten eines Theologen im Georgianum in München verfasst und an den Nuntius weitergeleitet hatte. Darin heißt es auf der Grundlage verschiedener Aussagen: „Professor Schnitzer scheint nämlich die Gottheit Christi zu leugnen… (S. 120f.)“ Zwar bin ich derselben Meinung wie Weitlauff, dass solche „Denunziationen“ nicht Grundlage für ein Amtsenthebungsverfahren sein dürfen. Auf dem Hintergrund des im Buch selbst dokumentierten Schrifttums aber kann meiner Ansicht nach die Deutung Weitlauffs trotzdem nicht standhalten. In welchem Sinn hat Schnitzer – etwa zur Zeit seiner Suspendierung – an der Gottheit Jesu festgehalten? Jedenfalls nicht im Sinn der Trinitätsdogmen der frühen Kirche. Und eine Vorstellung von Glauben im „Sinn der Religiosität Jesu und der Propheten“ nach Alfred Loisy (S. 221) ist noch nicht der wirkliche Glaube an die „Gottheit Christi“. Auch der Versuch, die Gläubigkeit Schnitzers mit einem Zitat aus dem Tagebuch an seinem 77. Geburtstag aufzuweisen, ist nicht überzeugend. Schnitzer hatte geschrieben: „Liebe, gute, selige Mutter, wo bist du heute? Siehst du mich? Weißt du von mir? Ich vergesse dich nicht, und wenn du noch bist, hast auch du mich nicht vergessen, das weiß ich gewiss. Aber bist du noch? Und wie? Und wo? Und wo werde bald auch ich sein? Werden wir zusammenkommen? Werden wir uns wiedersehen? Ich fürchte mich nicht vor dir und auch nicht vor dem Vater; denn wenn er weiß, dass alles so ganz wesentlich anders ist, wird er mich erst verstehen, wie du auch mich verstehen wirst“ (S. 313). Ebenso wenig wird die Frage Weitlauffs: „Was hatte denn Schnitzer Schlimmes verbrochen?“ (S. XI), der ganzen Problematik gerecht.

Nur ein kleiner Hinweis im ganzen Buch deutet an, dass im Weg Schnitzers auch eine Art von Scheitern erblickt werden könnte. Weitlauff schreibt: „Joseph Schnitzer hat es schließlich aus der  – damals lehramtlich verordneten theologisch sehr verengten – ‚Bahn‘ geworfen, allerdings nicht ohne erhebliche Mitschuld der kirchlichen Obrigkeit“ (S. 69). Und über diese Mitschuld ist von der ersten bis zur letzten Seite des Buchs zu lesen. Mit ungestümer Dynamik zieht Weitlauff gegen alle Beteiligten, die auf der Seite Roms standen, ins Feld. Ihren „Schmerz“ und ihr „Bedauern“ lässt er nicht gelten, all ihr Bemühen um Verständigung qualifiziert er nur als „Hilflosigkeit“ ab, ihr Denken gilt ihm als „engstirnig“ und ihr gesamtes Vorgehen als berechnende Maßnahmen zum Machterhalt. Schließlich zieht sich wie ein roter Faden die Tendenz durch das Buch, den Fall Schnitzer dazu zu benützen, auch dem Rom von heute ähnliche Vorhaltungen zu machen. Unter anderem lässt sich Weitlauff dazu hinreißen, eine Aussage Schnitzers mit einem bissigen Kommentar zu versehen. Dieser hatte im Artikel über die Enzyklika geschrieben: „Noch heute sind Rom die verschiedenen Fächer an sich ganz gleichgültig und nur dann willkommen, wenn sie seinen Zwecken und Interessen entgegenkommen. Gelehrte, die in usum Delphini: ad majorem Curiae gloriam [um es unzulässig auszudrücken: zur höheren Ehre der Kurie] schreiben, dürfen der tatkräftigen Erkenntlichkeit des Hl. Stuhles stets gewärtig sein.“ Dazu merkt Weitlauff an: „Wie wahr! In der Tat lieferte die einem kirchengeschichtlichen Fundmental-Apologeten im Jahr 2010 zuteil gewordene höchste Ehrung hierfür ein allerneuestes Beispiel!“ (S. 606). Dass er damit seinen Kollegen Prof. Dr. Walter Brandmüller und dessen Erhebung zum Kardinal gemeint hat, dürfte klar sein. Ob ein solcher Stil allerdings seiner eigenen Forderung im Vorwort (S. XI) nach „Menschlichkeit“ in der Kirche „gemäß dem Liebesgebot und der Goldenen Regel Jesu“ gerecht wird, bleibt dahingestellt.   

Leuchtturm für die Wissenschaft

Auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem sog. „Modernismus“ wird offenkundig, welche historische Bedeutung dem Zeugnis und der Lehre Papst Benedikts XVI. zukommt. Mag sein, dass kein „römischer Priester“ die „Ideen“ des Modernismus, die bereits „auf dem Marsch“ sind, „aufhält“, wie Schnitzer voraussagen zu können glaubte. Doch nun hat Gott ausgerechnet einen deutschen Professor auf den Stuhl Petri berufen, der mit dem Universitätswesen und den wissenschaftlichen Forschungsmethoden bestens vertraut ist. Sein dogmatisches Denken stützt er bibeltheologisch ab und zitiert dabei katholische wie evangelische Exegeten. Er lässt sich in seinem Denken nicht in den Rahmen der Scholastik einzwängen und hat sich auf kein bestimmtes philosophisches System festgelegt. Er fühlt sich weder einer Existential- oder Bewusstseinsphilosophie, noch einer Phänomenologie oder einem Personalismus verpflichtet. Als entscheidende Prämisse hat er vielmehr das geistige Wesen Gottes und der menschlichen Person vor Augen, in welchem der Mensch seinem Schöpfer sowohl im Glauben als auch in der Vernunft begegnen kann.

Mit Weitlauff stimme ich darin überein, dass die Neuscholastik in der Lehre und Disziplin der Kirche zuweilen eine Enge hervorgerufen hat, die dem Evangelium nicht gerecht geworden ist. Mitnichten möchte ich das kirchenpolitische Vorgehen gegen den Modernismus und die eingesetzten inquisitorischen Mittel rechtfertigen. Aber auf der anderen Seite gilt es ehrlich einzugestehen: Die Tragik Joseph Schnitzers besteht darin, dass er Opfer eines Modernismus geworden ist, der sich mit dem Evangelium und der Sendung der Kirche nicht vereinbaren lässt. Er kann nicht als Held der Freiheit und Gewissenstreue gefeiert werden, vielmehr hat er in seinem Glauben Schiffbruch erlitten. Die Konsequenz müsste in dem aufrichtigen Bemühen bestehen, einen Weg zu finden, wie man sich auf die modernen historisch-kritischen Forschungsmethoden einlassen kann, ohne wie Schnitzer abzustürzen. Wo finden wir die Grenze, den festen Grund, Anhaltspunkte für den Glauben der Kirche?

Benedikt XVI. hat auf mehrfache Weise eine echte Hilfe angeboten und einen rettenden Pfad aufgezeigt. Er legte die Kriterien vor, welche die Voraussetzung für eine authentische Schriftauslegung bilden. Unter anderem werden sie im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Verbum Domini“ vom 8. November 2010 entfaltet. Der Papst bekennt sich auf dem Hintergrund der Menschwerdung des „Wortes Gottes“ eindeutig zum geschichtlichen Charakter der Offenbarung. Aus diesem Grund fordert er auch eine geschichtsbezogene Betrachtung und eine historisch-kritische Erforschung des Sinns der Heiligen Schrift (vgl. „Der Glaube der Kirche“, das sehr gelungene „theologische Lesebuch aus Texten Joseph Ratzingers“, das die Deutsche Bischofskonferenz zum Deutschlandbesuch des Papstes im September 2011 herausgebracht hat, z.B. S. 77). Nach Benedikt XVI. ist es kein Widerspruch zur wissenschaftlichen Forschung, wenn dem Geist die Priorität vor der Materie eingeräumt und ein Weltbild auf der Grundlage des überzeitlichen Logos entworfen wird. Vielmehr eröffnet eine solche Vorgabe, die aus dem Glauben und der Vernunfterkenntnis kommt, erst die Möglichkeit, die Schrift als das zu erkennen, was sie ist, nämlich Ausdruck dieses Logos. Die Schrift in ihrer prophetischen Struktur ist dabei sowohl ein Beweis für die Existenz des Logos als auch eine Quelle, aus der sich dieses Wort Gottes als Offenbarung inhaltlich erschließt.

Doch hat Benedikt XVI. nicht nur eine theoretische Grundlage geliefert, sondern auch beispielhaft die praktische Anwendung seiner Kriterien zur Schriftauslegung vollzogen. Auf herausragende Weise geschah bzw. geschieht dies in den Büchern über Jesus von Nazareth, von denen bislang zwei Bände erschienen sind. Hinsichtlich der Gottheit Jesu und ihrer Verankerung in der Heiligen Schrift kommt er darin zu erstaunlichen Ergebnissen. Das Zeugnis Benedikts XVI. steht dem Modernismus nicht einfach unversöhnlich gegenüber, sondern ist geeignet, ihn zu überwinden. Es ist eine einzigartige Antwort der Kirche auf den „Modernismus“, der vor allem im Anschluss an das II. Vatikanische Konzil unter Priestern und Gläubigen für Verunsicherung gesorgt hat. Es stellt das Konzil nicht infrage, sondern bringt es auf diesem Gebiet erst richtig zur Geltung. Die Lehre Benedikts XVI. schenkt Halt, bringt aber auch frischen Wind, an dem sich wohl auch Joseph Schnitzer erfreut, vielleicht sogar wieder gefangen und aufgerichtet hätte. Vom Papst aus Deutschland geht ein Licht aus, das mit einem Leuchtturm verglichen werden kann. Denn es gibt der wissenschaftlichen Forschung in der Theologie eine klare Orientierung.


[1] Manfred Weittlauff, Der „Fall“ des Augsburger Diözesanpriesters und Münchener Theologieprofessors Joseph Schnitzer (1859-1939), 702 S., 16x22,5 cm, 1. Aufl., ISBN 978-3-89870-699-5, Euro 17,90 (D).

Das Wissen der Ärzte über den Tod

Was wissen wir über den Tod des Menschen? Dieser Frage geht Anton Graf von Wengersky nach. In mehreren Folgen veröffentlichen wir in „Kirche heute“ das Ergebnis seiner Überlegungen. Im letzten Heft ging es um das Erfahrungswissen der Menschheit. Der nachfolgende Beitrag behandelt das Wissen der Ärzte, das heißt die medizinischen Todesdefinitionen und Todesfiktionen. Um zu verdeutlichen, dass es sich um eine fortlaufende Reihe handelt, behalten wir die durchgehende Nummerierung bei und beginnen diesen Artikel mit der Nummer 2. Er umfasst die Definitionen des „biologischen Todes“, des „klinischen Todes“ und des „Hirntods“. Ergänzt werden diese Definitionen durch einen eigenen Artikel über den „Individualtod“ bzw. den „Tod der Person“ in der nächsten Ausgabe. Die Überlegungen stehen im Zusammenhang mit der Frage, ob die heutige Praxis der Organtransplantation der menschlichen Person aus christlicher Sicht gerecht wird.

Von Anton Graf von Wengersky

Der Tod des Menschen ist ein schwierig zu erfassender und insbesondere rein naturwissenschaftlich bzw. medizinisch nicht exakt einzugrenzender Vorgang. Es kommt hinzu, dass bei Annäherung an den Tod durch die zunehmende Hinfälligkeit des menschlichen Körpers und seiner Teile nicht nur körperliche, sondern auch geistige und seelische Fähigkeiten des Menschen vorübergehend oder irreversibel zurückgehen bzw. ganz verschwinden können. Wo endet dann das Menschsein? Wann ist der Mensch in solchen Fällen tot? Was ist die Antwort der Fachleute, der Ärzte?

2. Das Wissen der Ärzte

Die Medizin kennt verschiedene Todesdefinitionen bzw. Todesfiktionen.

2.1  Der biologische Tod

Die Wissenschaftler weisen uns darauf hin, dass einige Lebensvorgänge durchaus das Todesereignis (oben 1.) überdauern. Erst das Ende aller noch fortdauernder Lebensvorgänge, grob gesagt: das Absterben aller Organe und Zellen des menschlichen Körpers, wird von den Ärzten als der absolute Tod angesehen und von der Wissenschaft als der „biologische Tod“ des Menschen bezeichnet. Von Lebensvorgängen zu unterscheiden sind einzelne Zellfunktionen. So wachsen etwa auch bei einer Leiche Nägel und Haare noch längere Zeit weiter.

Jeder Mensch erleidet den biologischen Tod nur ein einziges Mal (vgl. Hebr 9,27: „Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben“). Ausnahmen von dieser Regel – wie die Erweckung des Lazarus (Joh 11) – gehören in den Bereich der außerhalb der Naturwissenschaften stehenden Wunder und brauchen uns hier nicht weiter zu beschäftigen.

Gehen der Feststellung des biologischen Todes Bemühungen um die Wiederbelebung des Toten voraus, so werden erst über 30 bis 40 Minuten erfolglose Reanimationsbemühungen ärztlich als ausreichend sicheres Kennzeichen des bevorstehenden biologischen Todes angesehen.

Die Feststellung des eingetretenen biologischen Todes erfolgt aufgrund des Vorliegens der sog. „sicheren Todeszeichen“, wie Totenstarre, Totenflecken, Beginn der Leichenfäulnis. Der Zeitpunkt des Eintretens der sicheren Todeszeichen kann dabei von äußeren Bedingungen abhängig sein, etwa der Umgebungstemperatur.

Von erheblicher Bedeutung ist die Tatsache, dass durch die sicheren Todeszeichen nicht der Eintritt des biologischen Todes als beobachtbares Ereignis festgestellt wird, sondern nur die Tatsache, dass der biologische Tod zu einem bereits zurückliegenden, nur näherungsweise, aber nicht exakt bestimmbaren Zeitpunkt eingetreten sein muss. Es handelt sich also bei der Feststellung des biologischen Todes um eine Todesfeststellung ex post, eine Todesfeststellung im Nachhinein.

2.2  Der klinische Tod

Tut ein Sterbender seinen letzten Atemzug, das Herz seinen letzten Schlag, kommt sein Blutkreislauf zum Stillstand, so ist der Tod des Menschen eingetreten. Dabei liegen alle diese Erscheinungen zeitlich eng, innerhalb einer einzigen Minute, beisammen. Diesen Kreislaufstillstand nach Herzstillstand und Ende der Atemtätigkeit bezeichnen die Ärzte als „klinischen Tod“.

Wegen der mit dem klinischen Tod einhergehenden beobachtbaren Erscheinungen wird er gelegentlich auch als „kardio-respiratorischer Tod“ bezeichnet. Diese Bezeichnung des klinischen Todes kann jedoch in die Irre führen. So wird bei einer kombinierten Herz-Lungen-Transplantation nach Entnahme der alten Organe der Kreislauf aufrechterhalten, so dass der Patient auch ohne Herz und Atmung nicht tot ist. Es ist also nicht der Herztod, sondern der Kreislaufstillstand das entscheidende Kennzeichen des „klinischen Todes“.

Im Begriff „klinischer Tod“ wird das Adjektiv „klinisch“ vorangesetzt, um die dem Wort „Tod“ innewohnende Endgültigkeit zu relativieren.

Endgültig ist nach der Erfahrung der Mediziner der im vorigen Abschnitt abgehandelte biologische Tod. Er folgt dem klinischen Tod im Abstand von einigen Stunden nach. Auch der im nächsten Abschnitt 2.3 behandelte Hirntod folgt dem klinischen Tod im Normalfall zeitlich nach und zwar in geringerem zeitlichen Abstand als der biologische Tod. Die zeitliche Erstreckung dieses Nachlaufs des Hirntods nach dem klinischen Tod ist von verschiedenen Umständen abhängig. So kann etwa bei einem Lawinenverschütteten der Hirntod durch Hypothermie zeitverzögert eintreten.

Die Einschätzung des klinischen Todes als nicht endgültig beruht auf den Erfahrungen der Ärzte mit den Möglichkeiten der Reanimation. Die heute ausgefeilten ärztlichen Techniken zur Wiederbelebung können innerhalb einer gewissen Zeitspanne nach dem Eintritt des klinischen Todes Herzschlag, Atmung und Kreislauf wieder in Gang bringen.

Aus diesem Grunde bezeichnen die Ärzte die Kennzeichen des klinischen Todes – also Herzstillstand, Pulslosigkeit, Atemstillstand, Areflexie, Bewusstlosigkeit, Hautblässe und Temperaturabfall – als „unsichere Todeszeichen“. Dieser Bezeichnung liegt die Annahme zugrunde, dass der durch die unsicheren Todeszeichen angezeigte Zustand, also der klinische Tod, deshalb nicht des Menschen Tod sein könne, weil es immer wieder gelingt, einen diese Todeszeichen aufweisenden menschlichen Leib durch Reanimation wieder in seinen Zustand vor Eintritt des klinischen Todes zurückzuholen, also ins Leben. Gelegentlich springen im Zustand des klinischen Todes Herz, Kreislauf und Atmung sogar selbsttätig, also ohne ärztliche Reanimationsbemühungen, wieder an und der Patient kehrt ins Leben zurück.

Der ärztlichen Definition der „unsicheren Todeszeichen“ liegt die auf den ersten Blick einleuchtende, bei genauerem Hinschauen aber unschlüssige Annahme zugrunde, dass, wer ins Leben zurückkehrt, nicht tot gewesen sein kann.

Ihre These von den „unsicheren Todeszeichen“ wird überdies von den Ärzten selbst ad absurdum geführt, und zwar von den Transplantationsmedizinern. Denn die Organentnahme erfolgt heute vielfach nicht nach nachgewiesenem „Hirntod“ (unten 2.3) des Organspenders, sondern auch bei nicht Hirntoten bereits nach Eintritt des „Herztodes“, der überdies bei Bedarf vom Arzt herbeigeführt werden soll (Dt. Ärztebl., 2008, artdr. 59810). Nun ist der Herztod (Herzstillstand) gerade eines der sog. „unsicheren Todeszeichen“. Dennoch wird heute ein potentieller Organspender nach Eintritt des Herztodes unter Verzicht auf jede Reanimationsbemühung für tot erklärt und sogleich (innerhalb der ersten Minuten nach dem Herztod) mit der Organentnahme begonnen. Für herztote Organspender hat sich die Bezeichnung „Non Heart Beating Donor“ (NHBD) eingeführt. Ist bei Eintritt des Herztodes des NHBD kein Explantationsteam zur Hand, so wird überdies der herztote Patient nach Ausstellen des Totenscheins wiederbelebt, um den Patient und damit seine Organe bis zum Eintreffen des Explantationsteams lebendig zu erhalten, gegebenenfalls auch über Tage. Dieses ärztliche Vorgehen relativiert die Bezeichnung der angeführten Todeszeichen für den klinischen Tod als „unsicher“, da ja Organe nur einem sicher Toten entnommen werden dürfen. Jedenfalls werden bei beabsichtigter Organentnahme die von den Ärzten so bezeichneten „unsicheren Todeszeichen“ von ihnen selbst zu „sicheren Todeszeichen“ umqualifiziert, um mit der Organentnahme beginnen zu können.

Wie steht es nun mit der Feststellbarkeit des klinischen Todes? Der klinische Tod ist Bestandteil jedes Sterbevorgangs, wo immer er stattfindet. Am besten in seinem Ablauf zu beobachten ist der klinische Tod unter den Bedingungen der Apparatemedizin in der Klinik. In der Klinik, etwa bei einem auf der Intensivstation liegenden, apparativ versorgten und kontrollierten Patienten, beginnen bei Eintritt des klinischen Todes augenblicklich die Warnlichter zu blinken und akustische Signale machen auf die eingetretene Situation aufmerksam, die sofortiges Handeln erfordert. Diese Tatsache kennzeichnet den klinischen Tod, und das ist hier wichtig als ein zeitlich punktuelles, ein Augenblicksereignis.

Ob die Bemühungen der herbeieilenden Ärzte, den Patienten ins Leben zurückzurufen, von Erfolg sind, ist für diese Erkenntnis zum „klinischen Tod“ hingegen ohne Belang. Festzuhalten ist vielmehr, dass der Eintritt des klinischen Todes einfach, zuverlässig und auch apparativ ohne Mitwirkung von Menschen und insbesondere ohne qualvolle Einwirkungen auf den Patienten selbst (vgl. dazu unten im Abschnitt 2.3 Hirntod die Bemerkungen zum Apnoe-Test) festgestellt werden kann.

Wichtig für unser Wissen über den Tod des Menschen ist weiter die Erkenntnis, dass der „klinische Tod“ (zumindest auf der Intensivstation eines Krankenhauses) nicht nachträglich, also nicht ex post festgestellt wird, sondern im Augenblick des Todes selbst. Beim klinischen Tod fallen also Eintritt des Todesereignisses und die Feststellung des Eintritts in eins.

2.3  Der Hirntod

Von einem klinisch Toten könnte ein reanimationserfahrener Arzt überspitzt sagen: „Sein Körper ist tot, aber der Mensch lebt noch, falls ich ihn reanimieren kann.“ Beim Hirntoten sagen es uns die Ärzte genau anders herum: „Sein Körper lebt noch, aber der Mensch ist tot.“ Das Herz des sog. „Hirntoten“ schlägt, Atmung, Kreislauf und Stoffwechsel sind in Funktion, das Gehirn jedoch ist abgestorben und damit der Mensch, so sagen die Ärzte und bezeichnen diese von ihnen definierte Todesform deshalb auch als „neuronalen“ Tod.

Stirbt ein Mensch seinen natürlichen Tod, so bedingt der Herz- und Kreislaufstillstand auch ein Erlöschen der Versorgung des Gehirns. Das Gehirn als eigenes Organ stirbt aufgrund der Nichtdurchblutung innerhalb einer gewissen Zeitspanne nach dem Tod ab, es verliert im Verlauf dieser Zeitspanne mehr und mehr seine Funktionsfähigkeit. Dieser allmähliche, teils irreversible Verlust der Funktionsfähigkeit des Gehirns tritt bei jedem Sterbevorgang ein und zwar zeitlich normalerweise zwischen klinischem und biologischem Tod. Im Regelfall folgt also der neuronale Tod dem kardio-respiratorischen zeitlich nach.

Hat jedoch ein Reanimationsversuch nach dem klinischen Tod erst zeitverzögert eingesetzt, so kann das Gehirn auch bei erfolgreicher Reanimation bereits teils oder ganz abgestorben sein. Auch kann, etwa bei Unfällen, der Verlust der Funktionsfähigkeit des Gehirns noch vor dem klinischen Tod eintreten. In beiden Fällen schlägt das Herz des Patienten, er atmet, der Kreislauf ist in Funktion, aber das Gehirn ist geschädigt und unter Umständen ohne jede Funktion. Der Patient wird dann als „hirntot“ bezeichnet.

Die deutsche Bundesärztekammer definiert den „Hirntod“ in zwei Sätzen als „irreversibles Erloschensein der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung künstlich noch aufrechterhaltenen Herz-Kreislauf-Funktion. Mit dem Hirntod ist naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt“.

Dem Satz 1 der vorstehenden „Hirntod“-Definition der deutschen Ärzte ähnliche Hirntod-Definitionen existieren heute in mehr als 30 Ländern der Erde. Im Detail unterscheiden sich aber die von Land zu Land unterschiedlich ausformulierten Hirntod-Definitionen doch so stark, dass beispielsweise ein nach der Definition in einem Land Hirntoter, wie uns zahlreiche Wissenschaftler aufgezeigt haben, nach der Definition eines anderen Landes durchaus noch am Leben sein kann. In Hinblick auf diese Tatsache erstaunt der oben zit. Satz 2 der „Hirntod“-Definition der deutschen Ärzte: Denn der Eintritt des „naturwissenschaftlich-medizinisch“ festgestellten Todes, wie das die Bundesärztekammer ausdrückt, kann nicht von der zufälligen geographischen Befindlichkeit des Sterbenden abhängen. Eine wissenschaftlich begründete, damit weltweit gültige und einheitliche Definition des Hirntodes, wie sie oben (unter 2.1 und 2.2) für den biologischen bzw. den klinischen Tod selbstverständlich ist, steht jedenfalls für den „Hirntod“ nicht zur Verfügung.

Es erscheint mir deshalb wichtig, sich die gemeinsame Herkunft aller Hirntod-Definitionen vor Augen zu führen:

Als Professor Christiaan Barnard am 3. Dezember 1967 die erste Herztransplantation durchführte, verstieß sein Handeln sowohl gegen südafrikanisches Recht, wie gegen die von ihm beschworenen ärztlichen Standesregeln. In Japan wurde wenig später ein Chirurg nach einer Herztransplantation wegen Mordes am Organspender vor Gericht gestellt.

Den dringlichen Handlungsbedarf zum Schutz der Transplantationsärzte vor Strafverfolgung erkannte die Ärzteschaft sofort. So trat 1968 nur wenige Monate nach Prof. Barnards Ersttransplantation an der angesehenen Universität von Harvard ein Ad hoc Committee zusammen, um eine neue Todesdefinition zu verabschieden. Diese Neudefinition des Todes des Menschen hatte einen doppelten Zweck: sie sollte zum einen die Organentnahme entkriminalisieren und zum anderen den Zugriff auf transplantierbare Organe erleichtern. Unter dieser Zielsetzung wurde damals vom Harvard-Komitee das sog. „irreversible Koma“ als neues sicheres Todeszeichen definiert.

Darüber kam es schon im Ad hoc Committee selbst zum Dissens: Sein Vorsitzender Henry K. Beecher und der Neurologe Robert Schwab wollten keine neue Todesdefinition, sondern nur eine Richtlinie, die dem Arzt die Festlegung des Zeitpunkts für einen legitimen Behandlungsabbruch bei „gehirngeschädigten Patienten“ erlaubt, wie die heutigen „Hirntoten“ damals noch genannt wurden. Dem Transplantationschirurgen Joseph Murray und dem Neurochirurgen William Sweet ging es dagegen um die Rechtssicherheit bei der Organbeschaffung. So wurde aus dem „gehirngeschädigten Patienten“ der „Hirntote“ bzw. „Heart Beating Cadaver Donor“ (HBCD) oder, wie es mir, dem Laien, gegenüber ein Professor und Arzt an einem großen deutschen Krankenhaus ausgedrückt hat: die „beatmete Leiche“. Allerdings setzt die Beatmung einen lebenden Körper voraus. Der lebende Körper eines Hirntoten wird auch, eben weil er lebt, nicht zur Beerdigung oder Einäscherung freigegeben. Für die Einäscherung ist er nicht tot genug. Freigegeben wird der nach der Hirntod-Definition tote HBCD nur zur Organentnahme.

Auf dieser Grundlage sind rund um die Welt die unterschiedlichen Hirntod-Definitionen und die Organentnahme bei Hirntoten legitimierenden Transplantationsgesetze ergangen, auf die gestützt heute die Organtransplantationen durchgeführt werden. Der Rechtsschutz für die involvierten Ärzte gegen Strafverfolgung ist erreicht. An der weiteren Erleichterung der Organbeschaffung wird gearbeitet.

Wissenschaftler und Ärzte haben selbstverständlich über den „Hirntod“ weiter geforscht. Die wissenschaftliche Diskussion hat seit dem Dissens im Ad hoc Committee 1968 nie aufgehört. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Diskussion durch kritische Veröffentlichungen zahlreicher Wissenschaftler noch intensiviert. Das der „Hirntod“-Definition zugrunde gelegte Gedankenkonstrukt (die Integration der Körperfunktionen durch das Gehirn) musste 2008 vom US-President‘s Council on Bioethics als unwissenschaftlich und nicht in Übereinstimmung mit den Fakten verworfen werden. Zahlreiche Wissenschaftler – wie D. Alan Shewmon, Franklin G. Miller, Robert D. Truog, Seema K. Shah – sind in ihren Veröffentlichungen der letzten Jahre zu dem Ergebnis gekommen, die „Hirntod“-Definition sei eine die Fakten verschleiernde Fiktion. Einige Wissenschaftler haben aufgrund ihrer Erkenntnisse die Hirntod-Organübertragung als unethisch aufgegeben. Um nicht auf die Organübertragungen unter Lebenden beschränkt zu werden (etwa einer der beiden Nieren des überlebenden Organspenders), nennen andere die Organentnahme ein „justified killing“ (Miller&Truog) und plädieren folgerichtig für den Verzicht auf die sog. „Dead Donor Rule“, also die den Transplantationsgesetzen weltweit gemeinsame zwingende Voraussetzung der Organentnahme: Organe dürfen nur Toten entnommen werden, also ausschließlich nach dem Tod des Menschen.

Wir müssen, wenn es darum geht, was wir heute über den Tod wissen, das Wissen auch derjenigen Ärzte zur Kenntnis nehmen, die uns sagen, dass „Hirntote“ lebende Menschen sind, die im Falle einer Organentnahme durch die Organentnahme selbst zu Tode gebracht werden. Der bestehende breite Dissens innerhalb der wissenschaftlich tätigen Ärzteschaft legt jedenfalls eines klar: Aus naturwissenschaftlich-medizinischer Sicht besteht keineswegs Sicherheit, dass der sog. „Hirntod“ mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist.

Ein zweites, ebenso gravierendes Problem der Hirntod-Definition besteht in der Hirntod-Diagnostik. Wie oben beim „biologischen Tod“ und „klinischen Tod“ ist auch hier zu prüfen, inwieweit der „Hirntod“ und (vgl. oben die Hirntod-Definition der Bundesärztekammer) seine „Irreversibilität“ überhaupt ärztlich feststellbar sind. Gibt es das überhaupt: eine zuverlässige Hirntod-Diagnose?

Die deutsche Bundesärztekammer hat hierzu „Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes“ herausgegeben. Die darin niedergelegten Kriterien der Hirntod-Diagnose sind wissenschaftlich stark umstritten. So ist nachgewiesen, dass heilbar am Guillain-Barré-Syndrom Erkrankte für fünf Tage und mehr die festgelegten klinischen Symptome des Hirntods aufweisen können, obwohl die genannten Richtlinien einen Beobachtungszeitraum von maximal drei Tagen bis zur Erklärung des Hirntods als ausreichend erklären.

Der Apnoe-Test, zur Feststellung des Atemstillstands nach den genannten Richtlinien obligatorisch, ist nicht nur eine Qual für den dadurch an den Erstickungstod herangeführten Patienten, sondern nach Aussage vieler Ärzte, wie etwa des Neurologen Prof. Dr. Cicero Galli Coimbra, ohne Aussagekraft, da der komatöse Patient auf diesen Test gar nicht reagieren könne. Es kommt hinzu, dass der Apnoe-Test schwerste Schädigungen des Patienten bis hin zum Hirntod erst auslöst. Der Apnoe-Test kann deshalb nie im Interesse des auf Hirntod zu diagnostizierenden Patienten sein, auch und gerade wenn dieser sterbend sein sollte.

Bleibt die „Irreversibilität“, die nach dem Transplantationsgesetz und den Richtlinien der Bundesärztekammer Grundvoraussetzung der Diagnose „Hirntod“ ist. Hierzu hat mir ein deutscher Arzt und Professor vor kurzem gesagt, verlässliche Aussagen über die Irreversibilität klinischer Ausfallsymptome seien nicht möglich: Zu oft stellten sich vorgeblich irreversible Symptome im medizinischen Alltag als reversibel heraus. Diese Aussage zur Nichtfeststellbarkeit der Irreversibilität wird durch die Tatsache unterstrichen, dass etwa der polnische Arzt Jan Talar, ein Koma-Rehabilitations-Spezialist, eine eigene Therapiemethode zur Rückführung vorgeblich irreversibel Hirntoter ins Leben erfolgreich anwendet.

Für die Tatsache der häufigen Reversibilität des Hirntods gibt es zahlreiche Nachweise durch die Krankengeschichten derjenigen Patienten, die nach allen Regeln ärztlicher Kunst korrekt als „hirntot“ diagnostiziert wurden, bei denen aber die Angehörigen dem Vorschlag der Ärzte zur Organspende nicht zugestimmt haben. Auch in solchen Fällen sind Patienten selbst ohne Organentnahme verstorben. Zahlreiche der als „hirntot“ diagnostizierten und ärztlich zur Organentnahme vorgeschlagenen Patienten sind aber nach Verweigerung der Organentnahme aus dem hirntoten Zustand ins Leben zurückgekehrt und leben gesund unter uns.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist Jan Kerkhoff. Er wurde für hirntot erklärt und erwachte – nach Ablehnung der Organspende durch seine Frau – vier Tage später aus seinem fälschlicherweise als „irreversibel“ angesehenen Koma. In vielen Vorträgen hat Jan Kerkhoff sein Schicksal seinen Zuhörern vor Augen gestellt, um vor der Fehlerhaftigkeit der ärztlichen Hirntod-Diagnostik aufgrund seiner eigenen qualvollen Angsterlebnisse im Koma und seines Beinahtodes durch Organentnahme zu warnen. Zahlreiche weitere Beispiele für die Rückkehr vorgeblich „Hirntoter“ ins Leben führen Prof. Dr. Wolfgang Waldstein in seinem Buch „Ins Herz geschrieben“ und Stefan Rehder in seinem Buch „Grauzone Hirntod“ an.

Bei den vielen Menschen, die nach der Diagnose „Hirntod“ aufgrund der Verweigerung der Organentnahme gesund ins Leben zurückgekehrt sind, handelt es sich nicht – wie immer wieder behauptet wird – um Fehldiagnosen, sondern im Gegenteil um den Nachweis für die systemische Fehlerhaftigkeit der Hirntod-Diagnose selbst. Nicht umsonst hat kürzlich die Neurologische Gesellschaft der USA erneut angemahnt, dass die heute ärztlich praktizierte Hirntod-Diagnose bisher wissenschaftlich nicht untermauert sei.

Bezüglich des Todeszeitpunktes beim „Hirntod“ formulieren die Richtlinien der Bundesärztekammer: „Festgestellt wird nicht der Zeitpunkt des eintretenden, sondern der Zustand des bereits eingetretenen Todes. Als Todeszeit wird die Uhrzeit registriert, zu der die Diagnose und Dokumentation des Hirntodes abgeschlossen ist.“ Es wird also ein Todeszeitpunkt angegeben, er ist aber fiktiv. Der Text verdeutlicht überdies, dass auch der sog. „Hirntod“ ärztlich nur nachträglich, also ex post festgestellt werden kann.

Zum Abschluss des Abschnitts „Hirntod“ ist noch auf zwei Besonderheiten dieser vorgeblichen Todesart hinzuweisen:

Zum einen weisen uns die Ärzte darauf hin, dass es wegen der Lokalisierung des Schmerzempfindens im Gehirn schlechterdings unmöglich sei, dass ein als „hirntot“ diagnostizierter Patient noch Schmerzen empfindet. Diese Überzeugung von der sicheren Schmerzlosigkeit eines Hirntoten ist der Grund, dass viele deutsche Ärzte bei der Organentnahme auf eine Narkose des Organspenders verzichten, zumal so die transplantierten Organe zugunsten des Organempfängers von Narkotika freigehalten werden. Im Hinblick auf die oben herausgestellten systemischen Unzuverlässigkeiten der Hirntod-Diagnose ist jedoch die Schmerzlosigkeit nicht gesichert. Praktische Erfahrungen bei der Organentnahme bestätigen dieses Problem: Organspender sterben, wenn ihr zu Beginn der Prozedur zunächst noch lebender Leib mit dem Skalpell aufgeschnitten wird, oft unter entsetzlichen Schmerzen. Aus diesem Grund hat etwa die Schweiz die Vollnarkose des Organspenders bei der Organentnahme gesetzlich vorgeschrieben. Das gesetzliche Gebot der Vollnarkose ist ein klarer Nachweis für das Wissen der Ärzte, dass der sog. „Hirntote“ ein lebender, bei der Organentnahme ohne Vollnarkose oft unter Qualen sterbender Mensch ist.

Zum zweiten ist die „Organspende“ Hirntoter keinesfalls eine bloße Zweierbeziehung zwischen Organspender und Organempfänger. Wie der Sterbewillige, der nicht Selbstmord begehen will, der Mitwirkung des Euthanasie-Arztes bedarf, so benötigt auch der großherzige Organspender, um sein Ziel zu erreichen, der Mitwirkung Dritter, der Ärzte. Sie sind es, die beim hirntoten Organspender den Zeitpunkt der Organentnahme und den mit diesem zusammenfallenden Todeszeitpunkt bestimmen.

Karl Borromäus – Graf und Kardinal

Am 25. September 2011 sprach sich Papst Benedikt XVI. in seiner Freiburger Rede vor „engagierten Katholiken aus Kirche und Gesellschaft“ für eine „Entweltlichung der Kirche“ aus. Er erklärte: „Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.“ Gleichzeitig trete das missionarische Zeugnis in einer entweltlichten Kirche klarer zutage. Mit diesen Worten entfachte der Papst heftige Diskussionen. Hat Benedikt XVI. auch die Enteignung von Kirchengütern oder die Streichung von Privilegien durch die Säkularisierung vor Augen? Sicherlich geht es ihm nicht in erster Linie um eine übereilte Abschaffung der Kirchensteuer durch die Bischöfe selbst, sondern um eine geistliche Erneuerung des in Strukturen erstarrten Katholizismus in Deutschland. Eine Orientierung zum richtigen Verständnis der vom Papst angemahnten „Entweltlichung“ kann das Vorbild des hl. Karl Borromäus geben.

Von P. Notker Hiegl OSB

Die Isola Bella im Lago Maggiore

Am Südrand der Alpen taucht in der Bucht von Pallanza eine märchenhaft schöne Insel auf, die Isola Bella mit dem Grafenschloss der Borromäi und seinen hoch über dem See hängenden Gärten. Als ich einmal mit Br. Werner Feger OSB meine Ferien im Graubündner Benediktinerkloster Disentis verbrachte, fuhren wir per Anhalter dorthin. Schneeberge ringsum, doch auf der Insel im Lago Maggiore Zedern und Palmen, Magnolien und Kamelien in zauberhafter Blütenpracht. Wunderbar! Etwas weiter südlich bei Arona liegt ein anderes Schloss der Borromäi. Dort kam am 2. Oktober 1538 der spätere große Mailänder Erzbischof und Kardinal Karl zur Welt. Aufgewachsen aber ist der Knabe auf der Isola Bella in Reichtum, Vornehmheit und Bildung. Er hätte Politiker und Diplomat, Heerführer oder Großgrundbesitzer, Renaissancedespot oder Kirchenfürst werden können. Tür und Tor standen dem Jüngling in jeder Richtung offen. Doch der junge Graf Borromäo entschied sich zunächst für keine bestimme Karriere. Zwar empfing er als nachgeborener Sohn schon früh die Kleriker-Tonsur (nur ein kleines Büschel Haare wurde ihm dabei am Hinterkopf herausrasiert), aber das bedeutete noch keine strenge Bindung. Nachdem er sich in Mailand das Rüstzeug für systematisches wissenschaftliches Arbeiten erworben hatte (ähnlich dem Abitur), wandte er sich dem Rechtsstudium an der Universität in Pavia zu. Sein Fleiß und der durchdringende Scharfsinn seiner juristischen Deduktionen verschafften ihm bei seinen Kommilitonen und bei den Professoren hohe Achtung. Die Tradition des Elternhauses, jede Woche zu kommunizieren, setzte er auch als Student fort. Schon damals verschenkte er mit Genehmigung des Vaters seine reichen Einkünfte an die Armen. In das oft wilde Studententreiben ließ er sich nicht hineinzerren. Mochten die Mitstudenten über sein mangelhaftes Rednertalent auch spotten, die Promotion zum Dr. jur. mit 21 Jahren war seine Antwort auf deren törichtes Gerede.

Ernennung zum Kardinal mit 22 Jahren

Sein Vater, den er hoch schätzte, konnte sich an seiner Jura-Promotion leider nicht mehr erfreuen. Er war ein Jahr zuvor verstorben; aber sein Onkel mütterlicherseits, Kardinal Johann Angelo von Medici, früher selbst Advokat in Mailand, verfolgte die Entwicklung seines Neffen mit größtem Interesse. Zum Papst gewählt berief er ihn sofort zu sich an die Kurie nach Rom. 1560 wurde Karl Borromäo mit 22 Jahren von seinem Onkel zum Kardinal der römischen Kirche und Erzbischof von Mailand, zugleich zum Kanzler und Kardinalstaatssekretär in Rom ernannt. Dies alles ohne Priesterweihe! Man ist versucht, auch auf diese rasche Laufbahn das „unschöne“ Wort „Nepotismus“ anzuwenden und die Schäden aufzuführen, welche die Kirche durch solche Papstneffen-Begünstigungen immer wieder erlitten hat. Dieses Mal aber täuschen sich die pessimistischen Bedenken! Rasch arbeitete sich Karl in die Organisation der Kurie ein, wurde zur rechten Hand des Papstes und bewies bei den schwierigen Verhandlungen infolge der protestantischen Kirchenspaltung nicht nur ein ungewöhnliches Geschick, sondern auch einen brennenden Eifer für die Reinigung der Kirche von all den Missständen, die dem deutschen Augustinermönch mit seinen Epigonen Ärgernis gegeben hatten. Wenn damals das „Konzil von Trient“ nach leider jahrelanger Verzögerung endlich seine Arbeit abschloss und in einer Reihe von Definitionen die katholische Lehre präzise gegen die protestantischen Bekenntnisse abhob, wenn ein umfassendes Reformprogramm die Kirche an Haupt und Gliedern gründlich zu erneuern strebte – so war dies nicht zuletzt der Energie dieses Kardinals zu verdanken, der damit eine neue Epoche in der Geschichte der Kirche einleitete. Das Leben des jungen Kardinals am Hof des Papst-Onkels, der leider ein Renaissance-Lebemann war, leuchtete makellos und rein. Er führte korrekt seinen Hofstaat mit 150 Personen. Der Jungmann war in den Augen vieler Beobachter „papabile“, d.h. ein möglicher Papstkandidat. Da griff Gott in das Leben dieses Subdiakons und Kardinals ein.

Hinwendung zur priesterlichen Berufung

Plötzlich starb sein älterer Bruder und das Recht der Nachfolge in der Familiendynastie ging auf Karl Borromäus über. Er hätte damals trotz seiner Kardinalswürde noch auf das Priesteramt verzichten können, um als reicher Schlossherr zu leben. Stattdessen begab er sich in die strenge Schule der ignatianischen Exerzitien und erteilte durch den Empfang der Priesterweihe allen Alternativen in den Kreisen der Adeligen, bis hin zu einer möglichen Heirat, eine endgültige Absage. Sein Leben sollte nur der Kirche gehören. Es bekümmerte ihn sehr, dass er als Kurienkardinal nicht in seinem Bistum wohnen und das Werk der Trienter Reform in die Hand umsetzen konnte. Er sehnte sich nach der Verbindung mit den Reisbauern in der Po-Ebene und den Hirten im alpinen Gebirge. Er wollte den haltlos zwischen Katholizismus und Kalvinertum schwankenden Schweizer Patrioten religiöse Sicherheit geben. Darum drängte er den Papst, die Ausführungsbestimmungen zu den Trienter Beschlüssen in Kraft zu setzen. Dazu gehörte eben auch die Residenzpflicht der Bischöfe in ihrer Diözese. Karl wollte sich von den Verwaltungsgeschäften der Kurie lösen und frei werden für den Beruf des Seelsorgers und des guten Hirten. Und sein Onkel willigte ein. Sein Empfang in Mailand war über alle Maßen feierlich. Das Gerücht von seinen außerordentlichen Fähigkeiten und seiner persönlichen Heiligkeit war ihm bereits vorausgeeilt. Dennoch war man überrascht, mit welcher Tatkraft er sofort nach seinem Einzug die Reformarbeit in Angriff nahm. Eine erste Provinzialsynode bestimmte die Richtlinien und Etappen der Reform. Sein Sprengel umfasste fünfzehn oberitalienische Bistümer, einen Teil der Schweiz und einen Teil der Republik Venedig. Der Klerus hatte nur dürftige theologische Kenntnisse; die Klöster kümmerten sich weder um das Volk noch um die Ordensregeln; die Kirchen waren zu Dreschkammern und Tanzböden verödet; ein Neuheidentum von Hoch und Niedrig schuf den günstigen Boden für die Aussaat von Zwinglis und Kalvins Lehren über die Alpenpässe bis tief nach Oberitalien hinein.

Visitationsreisen von Dorf zu Dorf

Deutschland war durch die protestantische Reformation dem Katholizismus großteils verloren gegangen, ebenso viele Schweizer Kantone. Die Situation für die katholische Kirche war sogar für Oberitalien bedrohlich geworden. Karl Borromäus verließ sich nicht auf die Berichte seiner Prälaten; er wollte selbst sehen und hören. Kaum hatte er die zur Synode versammelten Bischöfe in ihre Heimatdiözesen entlassen, als er schon zur Visitation aufbrach. Sein persönliches Beispiel wirkte mehr als viele Worte. Von Dorf zu Dorf ziehend gelangte er bis in die letzten Täler und Bergdörfer in der Region des Vierwaldstätter Sees. Der Erzbischof und Kardinal selbst unterrichtete die Kinder und die Jugendlichen, die nicht einmal mehr das Vaterunser beten konnten. Beim Besuch dieser letzten Dörfer lebte er von Kastanien und schlief auf Heubündeln. Gegen ungehorsame Priester ging er mit aller Strenge vor. Dafür wurde ihm eine Kugel verpasst. Sie hatte ihn nur leicht verletzt, auf keinen Fall aber gebeugt. Karl Borromäus war ein ganzer Priester. Er hatte einen Sprachfehler, aber seine vielen Predigten halfen ihm, auch diese Behinderung zu beherrschen. Er predigte mehrmals am Tag und gab Katechismusstunden. Die größte Sorge ließ er den so lange vernachlässigten Landpfarrern zukommen, seine eigene Herzensglut für Jesus zündete er in ihren Herzen an. Im Klerus führte er persönliche Gewissenserforschung und Seelenführung wieder ein und hatte dabei ungeahnte Erfolge. Der Klerus liebte ihn. Reiche Pfründeninhaber konnte er dazu bewegen, die einfache Lebensweise ihres Bischofs zu übernehmen. In den Klöstern begann ein neuer Wind zu wehen; es gab wieder Fasttage, Nachtwachen und entsagungsvolles Studium. Weltlichkeit wurde abgelegt und „Christus wieder angezogen“. Aus einem erstarrten Katholizismus entwickelte sich in wenigen Jahren eine mächtige Bewegung, die auf das Volk übergriff und die Kirchen wieder füllte.

Priesterseminare als Bastionen der Kirche

Jetzt, da das Priestertum eine neue Anziehungskraft auf großmütige Seelen ausübte, strömten nicht nur die nachgeborenen Adelssöhne zu den heiligen Weihen, sondern die Berufungen kamen aus dem Volk selbst. Bislang hatte der Pfarrer aus der Bubenschar des Dorfes einen geistig Beweglichen als Gehilfen ausgewählt, ihm ein etwas spärliches Latein beigebracht und ihn darauf vorbereitet, später sein Nachfolger zu werden.  Dieser „Werdegang“ wurde von Karl Borromäus radikal abgeschafft. Bei seinen Visitationen musste er schmerzlich erkennen, wieviel guter Wille und Seeleneifer oft an ungenügender theologischer Ausbildung gescheitert war. Deshalb schuf er mehrere Seminare, das „Collegium Borromäum“, mit genauer und differenzierter Ausrichtung auf die spätere Bestimmung der aus ihnen hervorgehenden Geistlichen. Der Studiengang der Spätberufenen musste anders sein als der Kurs für Landpriester oder für die Seelsorger in den Alpentälern. Priester und Pfarrhäuser sollten Zeichen der Armut Jesu sein. Sein eigener Bischofs-„Palast“ diente als Vorbild. Er war einfacher als ein Kapuziner-Kloster. Der bischöfliche Tagesablauf war eine Schule der Pflichterfüllung in Gebet, Arbeit, Fasten und Wohltaten. Es ist kein Zufall, dass sich gerade diejenigen, die stets um ihn waren, später als die fähigsten Köpfe und treuesten Diener der wiedererstarkenden Kirche erwiesen haben. Was Karl Borromäus aus Bescheidenheit und Demut geheim zu halten versuchte, das konnte natürlich seinen Hausgenossen nicht verborgen bleiben: sein tägliches Fasten bei Brot und Gemüse, seine Abstinenz von Fleisch und Wein, sein nächtliches Gebet vor dem Kruzifix, sein strenges Stillschweigen vom Abendgebet bis zur morgendlichen Danksagung, seine rauen Bußkleider unter dem Purpur des Kardinalsgewandes, seine tägliche Beichte, die klaglos ertragene Mühsal der Reisen in der Fieberhitze der lombardischen Reissümpfe und in den Schneestürmen der Schweizer Bergkantone, der Verkauf des Silbergeschirrs und die Verteilung des väterlichen Erbes unter die Armen. Stiller seelischer Aufbau des Klerus durch Gebet und Buße durch den Kardinal.

Erneuerung des Ordenslebens

Der Erzbischof war kein Popularitätshascher. Nie machte er um eines äußeren Beifalls willen Abstriche an der Verantwortung seines Amtes oder an seinem Programm, das er durchbetet und durchbüßt hatte. Mit der Klosterreform hatte er zunächst so seine Schwierigkeiten. Die Gegner versuchten aufgrund dieser Bemühungen zwei Mal einen Mordanschlag auf ihn zu verüben. Auch das schreckte ihn nicht ab. Die „Humiliaten“, die sich am heftigsten der erneut verordneten Klosterzucht widersetzten, hob er kurzerhand auf. Neue Orden sprangen dafür in die Bresche: die Jesuiten, die Ursulinen, die Kapuziner. Mit ihrer Hilfe baute Karl Borromäus in den Schweizer Urkantonen Schwyz, Uri, Nid- und Obwalden jene uneinnehmbare Festung des Katholizismus auf, die bis auf den heutigen Tag den alten Glauben hochgehalten und gegen jede Form des „Modernismus“ bis hin zur „Diktatur des Relativismus“ verteidigt hat. Es ist kein Wunder, dass es in Schwyz heute noch ein klausuriertes Dominikanerinnenkloster, ein St. Josef-Anbetungskloster und ein Kloster der Kapuziner gibt, des weiteren in Hochachtung für seine pastorale Leistung eine Karl-Borromäus-Kapelle mit dazugehörendem Pilgerweg. Und in der ganzen Innerschweiz sind noch eine Vielzahl weiterer Klöster zu finden: Ingenbohl, Menzingen, Engelthal, Maria Einsiedeln… Die neu im „Novizeneifer glühenden“ Orden wurden auch die eifrigsten Helfer des Erzbischofs in der religiösen Unterweisung der Kinder und des Volkes, für die er die so genannten „Schulen der christlichen Lehre“ begründete. Die Jugendlichen walten und schalten zu lassen, gerade wie sie wollten – ohne Zucht und Ausrichtung auf die Übernatur – das war Karl Borromäus absolut zuwider. „Man sagt: ,Sie sind jung, man muss sie Zügel und Zaum zerreißen, ihre Jugend vertoben lassen!‘ Sie müssen also Gift trinken, damit sie nachher gesund gemacht werden. Die Blüten ihrer Jugend sollen sie Satan geben und was nachher übrig bleibt, Gott schenken. Welch teuflische Erfindung!“ Die Grundsätze des Erzbischofs waren dagegen übernatürlich ausgerichtet, wieder biblisch fundiert und daher von bleibendem seelischen Gewinn.

Die Pest-Epidemie im Jahr 1576

Dieser Asket und geborene Herrscher war der zartesten Liebe und der hingebendsten Opferfreudigkeit fähig. Dies bewies er im Mailänder Pestjahr 1576, als die Leichen sich in den Straßen der Stadt häuften und die Gesunden und Adeligen auf das Land hinaus flohen. Damals war Karl Borromäus gerade auf einer seiner Visitationsreisen, aber er brach sofort ab und kehrte zurück in „seine Stadt“. Man sah ihn Kranke trösten und Sterbende auf den Tod vorbereiten. Er führte barfuß die Bittprozession durch die Straßen an, trug ein Kreuz auf der Schulter und einen Strick um den Hals. Die Möbel seines Palastes und das Leinen aus seinen Schränken wanderten zu den Börsenhändlern, um Geld für die dringendste Not zu beschaffen. Selbst sein Bett gab der Kirchenfürst für die Seuchenbaracken her und begnügte sich mit einem Strohsack. Solche Kardinäle brachte die so geschmähte katholische Kirche in der Reformationszeit hervor! Nicht alles war dunkel. Innerhalb der Kirche reformieren, nicht außerhalb – das war seine Devise. Die siebzehn Synoden, die unzähligen Briefe und Predigten, die persönliche Leitung des Klerus und die häufigen Reisen durch seinen Riesenbezirk hatten in 20-jähriger Arbeit das Wunder gewirkt, ein schon dem Heidentum verfallenes Volk wieder katholisch zu machen. Mailand war das erste große Bistum, das die Vorschriften des Trienter Konzils in die Tat umgesetzt hatte, das ein Beispiel gab, wie blühendes katholisches Leben in Dorf und Stadt aussieht. Die physische Kraft des Erzbischofs nahm zusehends ab, obwohl er erst 46 Jahre alt war. Einem heftigen Fieberanfall war er nicht mehr gewachsen. In Eile trug man ihn in einer Sänfte von Novara nach Mailand. Er wusste, dass seine Zeit vollendet war. „Sieh, ich komme!“ – Mit diesen Worten verschied er in der Abenddämmerung des 3. November 1584. Seine letzte Verfügung verbot jeden Pomp beim Leichenbegräbnis. Die Strohschütte, auf der er lag, war seine letzte Habe. Alles andere hatte er verschenkt, der Graf und Kardinal.

 

Hexenprozesse

Von Erich Maria Fink

Zum 400. Jahrestag der Heiligsprechung von Karl Borromäus im Jahr 2010 wies das Evangelische Sonntagsblatt für Bayern auf eine Schattenseite des Mailänder Erzbischofs hin. Der Artikel trägt die scharfzüngige Überschrift: „Protestanten auf dem Scheiterhaufen. Karl Borromäus – wie viele Hexen darf ein Heiliger verbrennen lassen?“ Es geht um das Bemühen des Heiligen, die Schweizer Gebiete, die ihm als päpstlicher Visitator anvertraut worden waren, vor dem weiteren Vordringen der  Reformation zu bewahren.

Im Jahr 1583 wurde er vom Generalrat des Misox-Tals, das überwiegend katholisch war, gegen die Protestanten um Hilfe gerufen. Doch die weltliche Obrigkeit in Graubünden ließ keine Verfahren gegen Häresie zu und versagte dem gegenreformatorischen Unterfangen seine Unterstützung. Dieses Hindernis wurde dadurch umgangen, dass die Verdächtigen statt der Häresie nun der Hexerei bezichtigt wurden. Dagegen vorzugehen, stand im Einklang mit der zivilen Justiz. Von der weltlichen Macht wurden schließlich elf Personen verbrannt. Die Verantwortung aber wird dem hl. Karl Borromäus zugeschrieben, für den die zuständigen Jesuiten Francesco Barsotto und Achille Gagliardi gearbeitet haben.

Gleichzeitig gesteht das Sonntagsblatt zu: „Es waren vor allem Gebiete unter evangelischer Herrschaft, in denen der Hexenwahn mörderisch raste und – wie in der Schweiz und in Deutschland – tausende Opfer forderte. Doch es war ein Novum, wie der kühle Glaubenseiferer und Machtmensch Carlo Borromeo den Hexenglauben seiner Zeit gezielt zur effizienten Protestantenverfolgung einsetzte.“ Tatsächlich hatte Martin Luther energisch zur Verfolgung von Hexen aufgerufen, da sie „mannigfaltig“ schadeten: „Also sollen sie getötet werden, nicht allein weil sie schaden, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Satan haben.“                        

Wohin? Auf der Suche nach Zukunft

Christa Meves, die bekannte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (geb. 1925), stellt nachfolgend selbst ihr neues Buch „Wohin? Auf der Suche nach Zukunft“[1] (September 2011) vor. Sie fasst noch einmal ihre jahrzehntelange Erfahrung zusammen und ruft zur Entscheidung auf: Ein Leben kann hierzulande in der Zukunft nur noch auf dem Boden des christlichen Menschenbildes zu Glück und Erfolg führen. Ihr Engagement wird vom Verein Verantwortung für die Familie (VFA e.V.) mitgetragen, aus dem unter ihrer Leitung das Elterncolleg Christa Meves (ECCM) hervorging. Christa Meves hat selbst zwei Töchter, sechs Enkel und einen Urenkel.

Vorstellung von Christa Meves

Neue neurobiologische Erkenntnisse

Ein neues Buch ist entstanden, mein 121., in dem ich versucht habe, die entscheidenden Kernpunkte meiner Lehre auf den Punkt zu bringen: „Wohin? Auf der Suche nach Zukunft“, heißt es, und enthält als Hauptkapitel eine Darlegung des Menschen im Schöpfungsgeschehen aus der Sicht der Grundlebenstriebe: „Die Vielfalt der Ausgestaltung vollzieht sich im Rahmen einer erforschbaren Naturordnung in je entsprechenden Naturgesetzlichkeiten“, versuche ich die neuen neurobiologischen Erkenntnisse einzubinden und weise dann darauf hin, dass die Stringens der Entfaltungsbedingungen des Menschen gefährliche Möglichkeiten von Grenzüberschreitungen seiner nie löschbaren Eingebundenheit in die Natur enthält, besonders während der frühkindlichen Phase der Ausgestaltung des limbischen Systems. Das ist eine These, die wie ein roter Faden durch meine gesamte 40-jährige Öffentlichkeitsarbeit geht, die aber bisher nicht zu einer allgemein verbreiteten, dringend notwendigen pädagogischen Beachtung geführt hat. Als Folge unbekömmlicher Künstlichkeiten ist eine seelisch kranke, leistungsgeschwächte Gesellschaft mit unglücklichen, zum Teil süchtigen Menschen entstanden. 38% der Menschen in Europa sind von seelischen Beeinträchtigungen betroffen, weiß eine neue Fachstudie der Universität Dresden.

Professor António Damásio: „Dauerhafte Narben“

Aber nun ist die Zeit doch reif. Der international maßgebliche Neurologe Professor António Damásio, der an der Universität von Kalifornien forscht und lehrt, konnte – ohne den sonst üblichen kritischen Aufschrei hierzulande – als Gast in einem Interview in 3SAT mit Gert Scobel am 6. Oktober 2011 sagen: „Schädigt man sehr früh emotionale Prozesse, Prozesse, die mit emotionalen Strukturen im Frontallappen zu tun haben, bilden sich dauerhaft Narben. Und bis heute sieht es danach aus, dass so etwas nicht ausgeglichen werden kann … In Bereichen, die sehr alt sind, die man wiederherstellen können möchte, funktioniert das einfach nicht. Dann haben wir es am Ende mit ethischen und sozialen Problemen zu tun.“

Papst Benedikt XVI.: „Ökologie des Menschen“

Und von ganz anderer Seite, nämlich durch die Worte des Papstes vor dem Deutschen Bundestag, bekam ich ebenfalls – nun auch von ranghöchster theologischer Seite – fast wörtliche Unterstützung meiner neurobiologischen Anthropologie: „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen“, sagte er den Abgeordneten des Berliner Parlaments. „Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann… Wir müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten… Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat… Dies wiederum würde einen Schöpfergott voraussetzen, dessen Wille in die Natur mit eingegangen ist.“

Hat der Papst mein neues Buch gelesen? Das wäre kaum möglich. Aber ein anderes von 2006 mit dem Titel. „Aufbruch zu einer christlichen Kulturrevolution“ kommt inhaltlich zu dem gleichen Schluss: „Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes, mit bestimmten Vorgaben versehen, bestimmten Naturgesetzen unterworfen, die sich nicht ohne Schaden willkürlich abändern lassen. ‚Macht euch die Erde untertan‘ – hat Gott am Beginn der Schöpfung dem Menschen, den er sich als Mitarbeiter geschaffen hat, zugerufen. Die Erde, die Natur draußen ist hier in pfleglicher Grenzsetzung ebenso gemeint, wie die Natur in uns selbst… Sonst regredieren wir auf die triviale Stufe von Ebenen, die wir mit den Tieren gemeinsam haben.“

Noch einmal der Papst: „Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“ Die Wahrheit beginnt sich Raum zu schaffen, das ist große, wunderbare neue Hoffnung für ein gesünderes Aufwachsen der neuen Generation!


[1] Christa Meves, Wohin? Auf der Suche nach Zukunft, Gerhard Hess Verlag 2011, DIN A5, 225 S., Euro 14,80 (D), ISBN: 978-3-87336-397-7.

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