Papst Franziskus setzt Zeichen wahren Mitgefühls

In Flüchtlingen Christus aufnehmen

Durch den Syrien-Konflikt ist die Diskussion um die Aufnahme ausländischer Flüchtlinge neu entbrannt und auch zum Wahlkampfthema geworden. Wie verhalten wir uns als Christen zum Flüchtlingsproblem? Die europäischen Länder, die im Nahen Osten bisher ein militärisches Eingreifen von außen abgelehnt haben, sehen in der Sorge um die Flüchtlinge ihre vorrangige Aufgabe. Es scheint im Augenblick die wichtigste Möglichkeit überhaupt zu sein, Hilfe zu leisten. Als Christen dürfen wir die Politiker im Ringen um eine angemessene Asylpolitik nicht allein lassen. Die Kirche muss die politischen Kräfte nach den Maßstäben des Evangeliums unterstützen. Ihr kommt es zu, angesichts der aktuellen Herausforderungen eine Atmosphäre der Offenheit und Hilfsbereitschaft zu schaffen. Papst Franziskus räumt der Flüchtlingsfrage höchste Priorität ein. Unermüdlich appelliert er an die Gewissen aller und ruft zu einer grundlegenden Neuausrichtung in Politik und Pastoral auf.

Von Erich Maria Fink

Am 6. Juni 2013 stellte der Vatikan ein neues Dokument über die christliche Haltung in der Flüchtlingsfrage vor. Es trägt den programmatischen Titel: „In Flüchtlingen und gewaltsam Vertriebenen Christus aufnehmen“. Auf wunderbare Weise sind die theologischen Grundlagen und praktischen Konsequenzen für die Migranten-Seelsorge dargestellt. Auf dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingssituation werden die Rechte und Pflichten der Staaten erörtert und sowohl die Vorbeugung als auch die dauerhafte Lösung von Konflikten angemahnt, welche die Ursachen für Vertreibung und Flucht darstellen. Ausgearbeitet haben die neuen Richtlinien der Päpstliche Rat Cor Unum und der Päpstliche Rat der Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs. Auf knapp 70 Seiten wurde das Vorgänger-Dokument aktualisiert, das 1992 unter dem Titel „Flüchtlinge, eine Herausforderung an die Solidarität“ herausgegeben worden war. Doch wer befasst sich mit solchen Publikationen? Ich wage zu behaupten, dass die wenigsten hauptamtlichen Mitarbeiter der Kirche in Deutschland das Dokument gelesen haben. Es mag noch so gut geschrieben sein. Aber wie soll es eine Wirkung entfalten und das kirchliche oder gar gesellschaftspolitische Leben beeinflussen?

Papst Franziskus rüttelt das Gewissen der Menschheit wach

Nach der Präsentation des neuen Dokuments zur Flüchtlingsseelsorge war nur ein Monat vergangen, da brach Papst Franziskus – knapp vier Monate im Amt – zu seiner ersten Pastoralreise außerhalb Roms auf. Es war am Montag, den 8. Juli 2013. Als Ziel wählte er die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa. Sie ist winzig, etwa 20 Quadratkilometer groß, und liegt 130 Kilometer vor der tunesischen Küste. Bis Sizilien sind es immerhin über 200 Kilometer. Lampedusa ist zum Symbol für das weltweite Flüchtlingsdrama geworden. Man spricht von der „Insel der Tragödien“. Denn die Ärmsten unter den illegalen Einwanderern wählen den Weg über Lampedusa nach Europa. Auf Booten, die einer solchen Überfahrt oft nicht gewachsen und meist überfüllt sind, stürzen sie sich in das Abenteuer, erfüllt von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Doch was die Verzweifelten erwartet, ist nicht selten unsägliches menschliches Leid, und viele von ihnen finden den Tod. Man schätzt, dass bei der Überquerung – vor 21 Jahren ist das erste Schiff mit Einwanderern gestrandet – bisher mindestens 20.000 Menschen ertrunken, verdurstet oder an Unterkühlung und Infektionen gestorben sind. Der sog. „Arabische Frühling“ löste eine neue Welle an Flüchtlingen aus. Allein während des Krieges in Libyen kamen über 60.000 Menschen nach Italien, die meisten über Lampedusa. Im vergangenen Jahr waren es 13.000 aus verschiedenen afrikanischen Ländern und in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden auf der kleinen Insel bereits 7913 Ankömmlinge registriert. In diese Situation hinein tauchte Papst Franziskus auf. Und wie es der Zufall wollte, war nur einige Stunden vor seiner Ankunft wieder ein Boot mit 166 Flüchtlingen eingetroffen. So konnte er zum Auftakt diese Menschen ganz persönlich begrüßen und in seine Arme schließen. Zunächst fuhr er auf einem Schiff der Küstenwache, begleitet von mehr als 100 Fischerbooten, hinaus aufs offene Meer und warf zum Gedenken an die umgekommenen Flüchtlinge einen Kranz aus weißen und gelben Chrysanthemen ins Wasser. Danach feierte er mit etwa 10.000 Menschen auf dem Sportplatz von Salina eine hl. Messe. Der Altar war auf einem kleinen Boot errichtet und auch Ambo, Hirtenstab und Kelch waren aus dem Holz solcher Boote geschnitzt. Nur vier Stunden verbrachte der Papst auf der Insel, aber die ganze Welt hörte seinen eindringlichen Aufruf. Alle wichtigen Medien berichteten davon. Und das Echo selbst unter Atheisten lautete: „Dieser Papst gefällt mir!“ oder: „Danke für die klaren Worte!“

„Adam, wo bist du?“

Seine Predigt begann Papst Franziskus mit den Worten: „Immigranten auf dem Meer umgekommen, auf den Booten, die statt eines Weges der Hoffnung ein Weg des Todes wurden. So die Überschriften der Zeitungen. Als ich vor einigen Wochen diese Nachricht hörte, die sich leider sehr oft wiederholte, drangen die Gedanken immer wieder wie ein Leid bringender Stich ins Herz. Und da habe ich gespürt, dass ich heute hierher kommen musste, um zu beten, um eine Geste der Nähe zu setzen, aber auch um unsere Gewissen wachzurütteln, damit sich das Vorgefallene nicht wiederhole. Es wiederhole sich bitte nicht.“

Warum passieren solche Dinge? Franziskus erinnerte an die Frage, die Gott nach dem Sündenfall an die ersten Menschen gerichtet hat: „Adam, wo bist du?“ Und er erklärte: „Adam ist ein Mensch ohne Orientierung, der seinen Platz in der Schöpfung verloren hat, weil er glaubt, mächtig zu werden, alles beherrschen zu können, Gott zu sein. Und die Harmonie geht zu Bruch, der Mensch geht fehl, und dies wiederholt sich auch in der Beziehung zum Anderen, der nicht mehr der zu liebende Bruder ist, sondern bloß der Andere, der mein Leben, mein Wohlbefinden stört.“

Und Franziskus fuhr fort: „Gott stellt die zweite Frage: ‚Kain, wo ist dein Bruder?‘ Der Traum, mächtig zu sein, groß wie Gott, ja Gott zu sein, führt zu einer Kette von Fehlern, zur Kette des Todes, führt dazu, das Blut des Bruders zu vergießen! Diese beiden Fragen Gottes ertönen auch heute in all ihrer Kraft! Viele von uns, ich schließe auch mich ein, sind wir ohne Orientierung, wir achten nicht mehr auf die Welt, in der wir leben, wir wahren und hüten nicht, was Gott für alle geschaffen hat, und wir sind nicht einmal mehr in der Lage, einander zu hüten. Und wenn diese Orientierungslosigkeit Weltdimensionen annimmt, kommt es zu Tragödien wie jener, die wir erfahren haben.“

Niemand fühle sich heute dafür verantwortlich. Doch das Blut der toten Flüchtlinge schreie zum Himmel. Wir hätten „den Sinn für brüderliche Verantwortung verloren“ und meinten – wie im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter die Priester und Leviten – in „heuchlerischer Haltung“, es sei „nicht unsere Aufgabe“.

Die Wohlstandskultur habe uns „unempfindlich gegen die Schreie der anderen“ gemacht. Franziskus sprach von einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“, die uns die Fähigkeit genommen habe, „zu weinen über die Grausamkeit in der Welt, in uns, auch in denen, die in der Anonymität sozioökonomische Entscheidungen treffen, die den Weg bereiten zu Dramen wie diesem.“ Und er bat um „Vergebung für den, der sich damit abgefunden, der sich im eigenen Wohlstand eingeschlossen hat, der zur Betäubung des Herzens führt; … für alle, die mit ihren Entscheidungen auf weltweiter Ebene Situationen geschaffen haben, die zu solchen Dramen führen.“

Besuch des römischen Zentrums für Flüchtlinge

Am 10. September dieses Jahres fügte Papst Franziskus seinem Engagement für Flüchtlinge einen weiteren Akzent hinzu. Er besuchte das „Centro Astalli“ in Rom. Dabei handelt es sich um ein Zentrum für Flüchtlinge und Migranten, das von Jesuiten unterhalten wird. Täglich werden dort etwa 450 Hilfesuchende verköstigt. Außerdem erhalten sie medizinische Versorgung, Rechtsbeistand und auch Unterstützung beim Erlernen der italienischen Sprache. Für viele Flüchtlinge ist diese Anlaufstelle nach Lampedusa die zweite Etappe auf ihrem Weg in eine neue Zukunft. „Dienen, begleiten und schützen“, anhand dieser drei Worte entfaltete Papst Franziskus den Auftrag des Zentrums. Und zum Abschluss richtete er sich mit den Worten an die Helfer: „Danke, dass ihr eure, unsere menschliche Würde schützt.“

Franziskus plädierte dafür, dass diejenigen, deren Rechte mit Füßen getreten werden, eine Stimme erhalten, ein Recht auf Leben und auch auf Arbeit bekommen und so in Würde eine menschliche Person sein können. Dafür müsse sich die ganze Kirche einsetzen. Die Aufnahme der Armen und das Vorantreiben der Gerechtigkeit dürfe man nicht allein in die Hände von Spezialisten übergeben, darum müssten sich alle Gemeinden und Bewegungen bemühen. Und die zukünftigen Priester müssten entsprechend ausgebildet werden. Die Gedanken des Papstes mündeten in einen Appell ein, der wie ein Paukenschlag aufhorchen ließ: „Liebe Gläubige, die leeren Konvente dienen der Kirche nicht, um sie in Hotels zu verwandeln und Geld damit zu verdienen. Die leeren Konvente gehören euch nicht, sie sind für das ‚Fleisch Christi‘, die Flüchtlinge. Der Herr ruft dazu auf, mit mehr Mut und Großzügigkeit die Aufnahme der Armen in den Gemeinden, in den Häusern, in den leeren Konventen, anzugehen. Dies ist sicherlich nicht einfach, es benötigt Kriterien, Verantwortung, aber auch Mut.“

Solche Worte werden wahrgenommen und finden einen Widerhall in der Öffentlichkeit. Die Berichterstattung zu den Papstbesuchen auf Lampedusa und im „Centro Astalli“ ging meist auch auf das neue Dokument zur Flüchtlingsfrage ein. Was Franziskus zur gesamten Problematik nicht im Einzelnen ausgeführt hat, ist dort ganz konkret beschrieben. Mit seinen Gesten und Appellen gelingt es dem Papst, die Aufmerksamkeit der Welt auf die Stimme der Kirche und das Evangelium Jesu Christi zu lenken. Er leistet der Sendung der Kirche einen unschätzbaren Dienst.

 

Papst Pius XI.: „Die Politik ist das größte Feld der Nächstenliebe!“

Solidarität mit den Armen in Afrika

Vom 13. bis 14. September fand dieses Jahr in Krakau bereits zum 13. Mal die Europa-Kirchen-Konferenz unter dem durchgehenden Titel „Die Rolle der katholischen Kirche im Prozess der europäischen Integration“ statt, die jeweils mit hochrangigen Vertretern aus Kirche und Politik von der Konrad-Adenauer-Stiftung Polen und ihren Partnerorganisationen durchgeführt wird. Heuer behandelte sie das Thema „Stellung der Familie in der EU“. Die Beiträge sind bislang noch nicht veröffentlicht worden. Vor zehn Jahren stand die Veranstaltung unter dem Thema „Europa – vereint oder entzweit?“ Dabei hielt Paul Kardinal Poupard (geb. 1930) einen Vortrag über die christlichen Werte, die nach Johannes Paul II. das Fundament der Freiheit bildeten. Nachfolgend sein letzter Punkt, den er der Nächstenliebe widmete.

Von Paul Kardinal Poupard

Wichtigstes Mittel europäischer Integration

Christus, perfektes Beispiel der Nächstenliebe, muss unser Vorbild sein. So wie mein eigener Patron, der Apostel Paulus, uns lehrte: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand."[1]

Die Nächstenliebe ist nicht nur die bindende Kraft aller anderen Tugenden, sie ist auch das verheißungsvollste Mittel, damit die Nationen Europas und in der Tat alle Nationen eine Haltung des gegenseitigen Respekts annehmen, die Feindschaft und Streit fernhält. Eine Harmonie, die unerlässlicher Bestandteil der europäischen Integration ist. Diese Harmonie jedoch wird noch reicher sein, wenn sie sich nicht in sich selbst verschließt, sondern offen für andere ist, insbesondere solidarisch mit den Armen, seien sie in Europa oder jenseits seiner Grenzen in Afrika, Asien oder anderen Regionen von Gottes Schöpfung. Denn wenn man von „Europa“ spricht, muss dies gleichbedeutend mit „Offenheit“ sein.[2]

Wesentlicher Bestandteil europäischer Politik

Sowohl die Religion als auch die Politik stehen im Dienst der Armen. Ich erinnere hier an die Worte von Papst Pius XI., einen Zeitgenossen von Robert Schuman: „Die Politik, die sich um die Interessen der gesamten Gesellschaft sorgt, ist das größte Feld der Nächstenliebe. Es gibt keinen größeren Bereich mit Ausnahme der Religion."[3] Nächstenliebe ist ein essentieller Bestandteil der Politik, den zu pflegen und zu fördern die Europäische Union die Möglichkeit und auch die Verantwortung hat. Denn Institutionen, die von der Nächstenliebe geprägt sind, sind Institutionen, die sich nicht nur für sich selbst interessieren, sondern für das Gemeinwohl. Dies unterstrich auch Papst Johannes Paul II. bei anderer Gelegenheit: „Die Liebe ist eine große, tief in den Kulturen verborgene Kraft, die diese dazu drängt, ihre unheilbare Endlichkeit zu überwinden, indem sie sich selbst Ihm öffnen, der ihr Ursprung und Ende ist, und ihnen, wenn sie sich seiner Gnade öffnen, bereichernde Fülle schenkt."[4]

Die Vision der Kirche

Lassen Sie mich zusammenfassend den Wunsch der Kirche nochmals aufgreifen, „Europa möge in einer Gesinnung der Treue zu seiner humanistischen und christlichen Tradition den Primat ethischer und spiritueller Werte garantieren“.[5] Der Mensch wird sich durch den Glauben an Gott seiner eigenen Würde bewusst, und dessen, dass er inspiriert durch die Hoffnung auf Gott in Nächstenliebe leben und prosperieren kann. Im Prozess der europäischen Integration ist es Aufgabe der Kirche, dem Menschen seinen wahren Status als Gegenstand der barmherzigen Liebe Gottes aufzuzeigen, so dass er, auch wenn sich seine Visionen, seine Sehnsucht und seine Kultur ändern, eine Kultur der Liebe verfolgen kann, die per Definition nie zugrunde geht.[6] Es ist die Aufgabe der Kirche, den Menschen unserer Zeit die Harmonie, die von Christus befreiender Umarmung ausgeht, zu zeigen, so dass der Aufruf des Heiligen Vaters Johannes Paul II. vom 31.8.2003 wahr werde: „dass Europa eine Symphonie von Nationen werde, der Errichtung einer Gesellschaft der Liebe und des Frieden verpflichtet“.[7]


[1] 1 Kor 13,4-7.
[2] Johannes Paul II., Nach-Synodales Apostolisches Schreiben Ecclesia in Europa, 18. Juni 2003, 111
[3] Pius XI., Rede vor der Vereinigung der italienischen katholischen Universitäten, 18.12.1927.
[4] Johannes Paul II., Brief zur Einsetzung des Päpstlichen Rates für die Kultur, 20.5.1982, AAS LXXIV (1982) 683-688.
[5] Johannes Paul II., Predigt anlässlich der Schlussmesse der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, 23.10.1999.
[6] S. Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York 1997.
[7] John Paul II., Gedanken zum Angelusgebet vom 31.8.2003.

Wiederverheiratete Geschiedene und die heilige Kommunion:

Eine Frage der Barmherzigkeit?

Ein heißes Thema: der Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen. Die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben die Lehre der Kirche bekräftigt. Wenn ein Paar durch eine gültig geschlossene Ehe im Sakrament verbunden ist, bleibt das Eheband bis zum Tod eines der Ehegatten bestehen. Das Band ist letztlich Christus selbst, der die Eheleute durch seine sakramentale Gegenwart miteinander vereint. „Scheitert“ die Ehe, so ist eine zweite kirchliche Trauung ausgeschlossen. Jede neue eheliche Beziehung steht im Widerspruch zum fortbestehenden Ehesakrament und damit auch zum Zeichen der Eucharistie. Nur wenn jemand fest entschlossen ist, in der neuen Verbindung enthaltsam zu leben, kann er die Lossprechung und Kommunion empfangen. Wie kann die Kirche in einer solchen Situation Gottes Barmherzigkeit bezeugen?

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

In dieser Frage muss man endlich „weiterkommen“!

Die Frage, ob Katholiken, die geschieden sind und dann staatlich eine neue Verbindung eingegangen sind, zur hl. Kommunion gehen können oder nicht, ist in der öffentlichen Meinung eines der „heißen Themen“ geworden und manchmal nehmen sogar Menschen dazu Stellung, die gar nicht gläubig und nicht einmal Mitglieder der Kirche sind. Diskutiert wird darüber meistens als eine Frage der Barmherzigkeit: Wäre die Kirche doch barmherziger, würde sie „es“ erlauben, sagt man! Eng verbunden damit ist die Forderung nach „Mahlgemeinschaft“ mit den Protestanten. Manchmal fordert man sogar den Zugang zur hl. Kommunion für Nicht-Christen. Wäre die Kirche dazu „endlich“ barmherzig genug, wäre viel Gutes davon zu erwarten, meinen jene, die sich von der Erfüllung dieser (und auch anderer) Forderungen eine große, wunderbare Reform der Kirche versprechen. Unübersehbar ist dabei: Manchmal sprechen auch Bischöfe und Kardinäle dieses „Problem“ als Frage der Barmherzigkeit an und meinen, in dieser Sache müsse man endlich „weiterkommen“.

Nochmals verstärkt wird der Druck auf die „Kirchenleitung“, wenn man behauptet, wie kürzlich ein Bischof, „wir“ müssten es endlich lernen, auch „irreguläre Situationen wertzuschätzen“, in denen sich zum Beispiel staatlich wiederverheiratete Geschiedene oder auch Homosexuelle befinden, die in einer staatlich anerkannten „Ehe“ oder „Partnerschaft“ leben. Als „Beleg“ führt er die Sorge um die Kinder oder einfach für den Partner an, wer es auch sei. Erstaunlich, wie „schlicht“ hier argumentiert wird, aber auch wie gefährlich irreführend! Denn, dass man jeden Menschen „wertschätzen“ sollte, ist katholische Binsenwahrheit, aber ebenso ist es eine solche, dass die Kirche nicht die objektiv sündhafte Situation „wertschätzen“ kann. Erst recht lässt sich aus solch irriger „Wertschätzung“ keine Zulassung zu einem Sakrament ableiten!

Aber ist es so? Hängt es nur an der „Unbarmherzigkeit bestimmter Kreise“ in der Kirche, die „leider“ am großen „Nein!“ festhalten? Sind wirklich diejenigen im Recht und die wahren, weil „barmherzigen“ Priester, die jetzt in angeblich „heiligem“ Ungehorsam wenigstens die genannten, wieder verheirateten Katholiken oder sogar die Homosexuellen, die in „Homo-Ehe“ leben und Mitglieder des Pfarrgemeinderats sind, an den Tisch des Herrn bitten?

Fünf Denkanstöße zur üblichen Argumentationsweise

Allerdings, bei dieser Fragestellung sollte man sich bewusst machen:

Erstens fällt derjenige, der hier „Barmherzigkeit“ fordert, ein stark abwertendes Urteil über Papst Johannes Paul II. und auch Papst Benedikt XVI. als verstockte, unbarmherzige Geistliche. Er tut das wohl unbewusst, aber logisch zwingend. Auch ist vorauszusehen, dass der um seiner Barmherzigkeit willen oft gerühmte Papst Franziskus in diesem Punkt ebenso „unbarmherzig“ sein wird wie seine Vorgänger!

Zweitens sollte man sich fragen: Welch eigenartige Motivation könnte der „unbarmherzige“ Priester haben, den Zugang zur hl. Kommunion zu verweigern, obwohl er anders auch könnte? Es ist doch für jeden Menschen – und darum auch für den Priester – viel angenehmer, sich beliebt zu machen und sich nicht ohne Notwendigkeit ins Eck der „unbarmherzigen Ewiggestrigen“ stellen zu lassen! Noch dazu, wenn er sich damit selbst bescheinigen könnte, „barmherzig“ zu sein und „mutiger“ Dissident gegenüber einer verhärteten „Kirchenleitung“!

Drittens weist die „Haltung der Barmherzigkeit“ dem Geistlichen eine erstaunliche „Macht“ zu: Ihm billigt man zu, sowohl über das Gebot des Herrn als auch über das Gewissen der Menschen zu entscheiden und zu richten. Die Lehre der Kirche besteht aber immer darauf, dass die Sakramente unabhängig von der Moral oder Unmoral wirksam sind, also auch unabhängig von der Barmherzigkeit oder Unbarmherzigkeit der Spender, solange diese das Sakrament nach den Vorgaben der Kirche spenden. Zudem lehrt die Kirche auch ein Recht der Gläubigen auf das Sakrament, wenn diese die nötigen Voraussetzungen mitbringen. Von einem hoheitlichen Entscheidungsrecht des Geistlichen ist dabei nie die Rede! Dieser kann und soll nur die diesbezügliche Lehre der Kirche darlegen und dann den Gläubigen selbst entscheiden lassen, ob er im Sinn der Kriterien des Glaubens zur heiligen Kommunion gehen kann oder nicht.

Viertens: Über diese Frage reden sollte man ausgehend von dem Argument, mit dem Papst Johannes Paul II. (in Familiaris consortio, Nr. 84) sein „Nein“ begründet. Er sagt nämlich nicht: „Bleibt hart!“, sondern: Die Lebenssituation der Wiederverheirateten „steht im Widerspruch zum Bund der Liebe zwischen Christus und seiner Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht“. Das heißt: Nachzudenken gilt es über diesen „Widerspruch“, nicht über die Barmherzigkeit oder Unbarmherzigkeit des Priesters!

Fünftens: Dem entspricht ganz und gar auch die Lehre des hl. Paulus. Und es handelt sich dabei um eine – wie Karl Rahner es nannte – heute weitgehend „vergessene Wahrheit“. In seinem ersten Brief an die Korinther (11,27ff) schreibt Paulus: „Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt.“

Worin besteht der Dienst der Barmherzigkeit?

Also soll jeder selbst entscheiden, ob er zu hl. Kommunion gehen darf oder nicht? Ja, indem er prüft, ob er würdig ist. Aber das Maß dieser Prüfung ist einerseits die Lehre über die Eucharistie, andererseits über die Ehe, so wie die Kirche sie immer vorgelegt hat. Die Kirche hat keine Vollmacht, an der Wahrheit vorbei neue Regeln zu erlassen, sie kann nur sagen, was „würdig“ ist und was nicht.

Dabei erinnert sie immer auch an die Warnung des hl. Paulus davor, die hl. Kommunion in einem Zustand der Unwürdigkeit zu empfangen. Mit „Unwürdigkeit“ ist dabei natürlich an jeden schwerwiegenden Widerspruch zu Gott und Seinen heiligen Willen zu denken und nicht nur an die Situation der Wiederverheirateten. Wenn objektiv eine Gefahr besteht, dann ist es ein Akt der Barmherzigkeit, den Gefährdeten zu warnen, und das Schweigen wäre Unbarmherzigkeit und Sünde! Es ist so ähnlich, wie wenn ein Arzt einem Leberkranken „verbietet“, Alkohol zu trinken: Das Verbot ist eigentlich kein Verbot, sondern nur ein Benennen der schlechten Folgen des Alkohols für diesen Menschen. Jedes Kind versteht, dass das mit Unbarmherzigkeit nichts, wirklich gar nichts zu tun hat!

„Nur die Wahrheit wird uns frei machen!“

Ich möchte eine Betroffene zu Wort kommen lassen, die mir ihre Lebensgeschichte und ihren geistlichen Weg beschrieben hat. Natürlich wird der Seelsorger immer beachten, wie unterschiedlich die Geschichten sind, die das Leben erzählt. Nun, die genannte Frau schrieb über sich und ihre Geschichte so: „Nach dem selbstverschuldeten Trauma der Scheidung habe ich jahrelang, ganze fünf Jahre lang, innerlich darum gekämpft, auf keinen Fall meine Schuld wegzuerklären oder gar auf meinen geschiedenen Mann abzuwälzen, um auf diese Weise vor mir selbst besser dazustehen und seelische Erleichterung zu erfahren. Ich habe darum gekämpft, mir nicht selbst Sand in die Augen zu streuen und falschen Trost wohlmeinender Zeitgenossen von mir zu weisen. Ich habe darum gerungen, meine Schuld auf mich zu nehmen und aller Versuchung zu widerstehen, mir eine erträgliche Lebensgeschichte zurechtzulegen.

Ich möchte nicht entschuldigen, ich möchte nichts wegerklären oder wegdiskutieren, ganz im Gegenteil. Denn nur die Wahrheit wird uns frei machen. Das war mir immer bewusst. Und ich wollte die Wahrheit!

Den Wiederverheirateten wird ein schlechter Dienst erwiesen, wenn ihre Schuld mit psychologischem Verständnis und wohlmeinendem, jedoch trotzdem falschem Mitgefühl einfach zugedeckt und so ihre Reue und Bußfertigkeit im Keim erstickt werden durch die Rede von einem barmherzigen Gott, der nur noch lieb und nicht mehr gerecht ist! Das mag zunächst beruhigend wirken. Aber nur vorübergehend. Das menschliche Herz lässt sich nicht täuschen. Gott ist auch gerecht und Sünden haben Folgen!“

Leibhafter Ausdruck des Angenommenseins 

Dann spricht die Frau von „der Lösung“, die sie in einer hl. Messe erlebt hat:

„Der Priester hat alle eingeladen, katholisch oder nicht, bei der Kommunion nach vorne zu kommen und einen Segen zu empfangen, wenn er oder sie am Empfang der hl. Kommunion verhindert ist.

Du machst Dir absolut keine Vorstellung, wie wunderbar das für mich war! Nach diesem Erlebnis bin ich bei der hl. Kommunion oft mit nach vorn zum Priester gegangen, ich habe meine Hände vor der Brust gekreuzt, wie ich gelernt hatte, und habe den Priester gebeten: Bitte, segnen Sie mich! Und ohne Zögern hat der Priester mir das Kreuzzeichen gemacht, so wie das der Priester auch bei kleinen Kindern tut. Wirklich, du weißt nicht, was für ein großer Trost das für mich war! Und so eine Stärkung! Wie eine geistliche Wegzehrung.

Ich möchte Dir diesen leibhaften Ausdruck des Angenommenseins sehr ans Herz legen, Dich bitten, diesen „Brauch“ einzuführen für alle, die nicht würdig sind, zur Kommunion zu gehen, aber sich doch sehnen nach dem Segen Christi durch den Priester.

Es ist ein Ausdruck, ein sichtbares Zeichen, dass Menschen wie Wiederverheiratete oder solche mit schwierigen Süchten oder andere, die aus anderen Gründen nicht kommunizieren können oder wollen, nicht aus der Kirche ausgestoßen sind, sondern weiterhin in der Liebe Gottes verbleiben. Und du kannst mir glauben, von den Sakramenten ausgeschlossen zu sein, sozusagen für immer, das ist sehr schwer zu ertragen.

Und dieser priesterliche Segen macht es möglich, dass sich absolut jeder dem Herrn nähern kann, ohne dass das Sakrament missbraucht wird.

Es wäre auch eine wunderbare Möglichkeit der echten Teilhabe von Leuten, die aus irgendeinem inneren Antrieb heraus sich in eine Messe setzen und eigentlich gar nichts mit Christentum zu tun haben. Es muss deutlich gemacht werden, dass alle zu unserer heiligen Messe eingeladen sind, dass aber der Empfang des Sakraments Voraussetzungen hat! Jeder könnte kommen, wie zum Bankett des himmlischen Vaters, wo am Ende die Zerlumpten und Armen zum Tisch geladen sind, ausdrücklich auch Nicht-Christen und schwere Sünder.

Ich würde mir sehr wünschen, dass das allgemein der Brauch würde. Es wäre ein großer Segen für alle. Es ist so was Kleines, Einfaches und doch so groß in der Wirkung! Weil es leibhaft ausgedrückt ist, wird es auch verstanden. Da gibt es doch hoffentlich keine theologischen Schwierigkeiten? Das ist doch ‚die Kirche zu den Sündern bringen‘ – und der ‚Sünder tut seine kleinen Schritte zu Christus hin!‘“

Was begründet „Communio“ mit dem Herrn?

Aus all dem folgt: Die Entscheidung, ob jemand „würdig“ oder „unwürdig“ im Sinn der Kirche ist, die hl. Kommunion zu empfangen, ist eine Gewissensentscheidung des Einzelnen, die dieser gemäß dem Maßstab Gottes fällen sollte. Mit der Barmherzigkeit oder Unbarmherzigkeit des Spenders hat diese Entscheidung nichts, wirklich nichts zu tun. Darauf hat kürzlich auch der Präfekt der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, in einer glänzenden, umfassenden Darlegung hingewiesen.

Die Barmherzigkeit ist wichtig für die Art und Weise, wie der Priester über diese Frage spricht. Nicht ungesagt darf bleiben, dass der Betroffene weiterhin Glied der Kirche ist und von Gott geliebt wird! Papst Johannes Paul II. hat gezeigt, wie man das zur Sprache bringen sollte. Nur zu sagen, der Betroffene dürfe nicht zu den Sakramenten gehen, wäre nur die „halbe Wahrheit“ und würde dem Verdacht, die Kirche sei unbarmherzig, Nahrung geben.

Aus all dem ergibt sich: Die Lehre der Kirche kann sich in dieser Frage nicht ändern, man kann nicht so „weiterkommen“, wie das suggestiv manchmal gesagt wird! Denn nicht die Kirche hat hier die Ordnung festgelegt, diese kommt von Gott selbst, indem er die Ehe geschaffen und die Sakramente eingesetzt hat. Es ist sozusagen ein „übernatürliches Naturrecht“: Aus der „Natur von Ehe und Eucharistie“ ergibt sich das Gebotene und folgerichtig die Warnung des hl. Paulus.

Der demütige Gehorsam wird Jesus Christus erwiesen, nicht irgendwelchen Menschen Und er verbindet mit Jesus auf seine Weise, bringt also eine geistliche Communio mit Ihm, auch wenn sich diese nicht leicht beschreiben lässt. Der selbstherrliche Ungehorsam hingegen begründet keine „Communio“, keine Gemeinschaft mit Christus. Diese lässt sich nicht erzwingen und der bewusste Versuch dazu ist sogar gefährlich, sagt Paulus. Sie, die wirkliche Gemeinschaft mit dem Herrn in der Wahrheit, nur sie ist es, nach der sich Christen sehnen, wenn sie die hl. Kommunion empfangen, nichts anderes!

28. Weltjugendtag 2013 in Brasilien

Der Weltjugendtag war ein „Mysterium“

Über drei Millionen Menschen nahmen am 28. Weltjugendtag teil, der vom 23. bis 28. Juli 2013 mit Papst Franziskus in Rio de Janeiro stattfand. Wie ein roter Faden zog sich durch das ganze Jugendtreffen die Bedeutung der Freundschaft mit Christus. Immer wieder legten junge Menschen Zeugnis davon ab, wie die persönliche Beziehung zu Jesus ihr Leben verwandeln und sie zu Boten seiner Frohen Botschaft machen kann. Papst Franziskus versuchte sich selbst ganz zurückzunehmen, um dem Wirken Gottes Raum zu geben. Er wollte damit die Jugendlichen ermutigen, ohne Furcht ihre Sendung anzunehmen, das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu tragen. Denn dieser Dienst verlange nichts Besonderes, sondern nur das freimütige Bekenntnis dessen, was man selbst durch den Glauben geworden sei. Martin Straub, der Regens des Augsburger Priesterseminars, hat als verantwortlicher geistlicher Betreuer zusammen mit weiteren elf Priestern eine Gruppe von 150 Jugendlichen der JUGEND 2000 aus Deutschland begleitet.

Von Martin Straub

Eindrücke des Papstes

Drei Wochen nach dem Weltjugendtag in Rio de Janeiro hat Papst Franziskus in Rom dem Chefredakteur einer Jesuiten-Zeitschrift ein umfangreiches Interview gegeben. Der Papst spricht darin über seine Berufung, seine geistlichen Erfahrungen als Priester und Bischof und über die Sendung der Kirche in unserer Zeit. Gleich zu Beginn kommt er jedoch auf den Weltjugendtag zu sprechen, den er als eine „wahre Gnade“ betrachte. Die Reise nach Brasilien war die erste große Auslandsreise von Papst Franziskus und sie führte ihn auf jenen Kontinent zurück, auf dem er seine biografischen und geistigen Wurzeln hat. Offensichtlich wirken die Eindrücke der Begegnung mit der Jugend aus aller Welt im Herzen des Heiligen Vaters kräftig nach. Auf die Frage, ob er sich über den Sommer etwas ausruhen konnte, bejaht er das und sagt, es gehe ihm gut, aber vor allem der Weltjugendtag sei für ihn ein „Mysterium“ gewesen.[1]

Glaubensgeheimnis und kein gewöhnliches Meeting

In seiner schon deutlich aufgeleuchteten Fähigkeit, geistliche und persönliche Erfahrungen kraftvoll zum Ausdruck zu bringen, charakterisiert der Papst den Weltjugendtag mit nur einem Wort – „Mysterium“. Und es bleibt nicht nur eine Vermutung, dass ihm die Hunderten von Bischöfen, die Tausenden von Priestern und vor allem die Millionen von jungen Menschen, die den Weltjugendtag in Rio miterlebt haben, in dieser Einschätzung zustimmen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen kehrten aus Brasilien mit einer Erfahrung zurück, die nicht mit Begriffen wie Event und Meeting zu fassen sind, sondern die vielmehr Früchte eines Ereignisses waren, in dem sie selbst, der Glaube und die Kirche in eine tiefere Beziehung gekommen sind. Mit dem Begriff des Mysteriums werden in der Regel die Glaubensgeheimnisse wie Tod und Auferstehung Jesu sowie deren Vergegenwärtigung in den Sakramenten umschrieben oder jedoch die Kirche selbst, die ja „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“[2] ist. Um den Weltjugendtag in seiner Bedeutung zu verstehen, muss man sehen, wie er sich von sonstigen Events und Meetings unterscheidet. Bei genauem Zusehen ist der Weltjugendtag letztlich eine große Eucharistiefeier, auf die alle anderen Elemente des Programmes vorbereitend zusteuern.

Immer ein Impuls der Liebe

Die Tage der Begegnung führten die Jugendlichen zunächst in die Diözesen und Pfarrgemeinden Brasiliens, um dort das Leben der Schwestern und Brüder vor Ort kennen zu lernen und es für eine kurze Zeit im christlichen Geist zu teilen. Auf eine persönliche Weise kamen so die verschiedenen Lebenswirklichkeit zum Vorschein, die sich von den eigenen europäischen Erfahrungen zwar unterscheiden, die aber aus den gleichen Glaubensquellen heraus von Jung und Alt bewältigt und gestaltet werden. Für die Weltjugendtagspilger wurde deutlich: Der christliche Glaube lebt in unterschiedlichen Kulturen und überall auf der Welt trägt er in sich die Kraft der Gestaltung. Das soziale Engagement, das integraler Bestandteil der Vorbereitung auf dem Weg zum Weltjugendtag war, führte sodann die jungen Menschen an soziale Brennpunkte, wo die Wahrheit des christlichen Glaubens aufleuchten sollte, dass nämlich die „Liebe, der wir Glauben geschenkt haben“,[3] auch konkreten Ausdruck im alltäglichen Leben finden muss. Ob bei einer Begegnung in einer der vielen Favelas in Rio oder auf der Fazenda de Esperanza, wo junge Drogenabhängige durch den Glauben einen neuen und heilsamen Sinn für ihr Leben entdecken, immer war der Impuls, dort zu sein, ein Impuls der Liebe. Der Glaube, der unser Herz bewegt, bewegt eben auch die Füße, die uns zum Anderen tragen, und die Hände, die sich helfend dem Nächsten zuwenden.

Millionen in der Anbetung vereint

In den in Rio de Janeiro dann in drei aufeinanderfolgenden Tagen stattfindenden Katechesen durch Bischöfe aus aller Welt wurde das biblische Leitwort des Weltjugendtags „Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern“ (vgl. Mt 28,19) vertieft. Als letzte Etappe der Vorbereitung auf das abschließende eucharistische Ereignis des Weltjugendtags waren die Jugendlichen eingeladen, den Kreuzweg des Herrn in szenischer Darstellung und mit biblischen Texten gemeinsam zu betrachten. In allen Programmpunkten des Weltjugendtags in Rio ist also deutlich geworden, dass das Band, das alle Jugendlichen aus den unterschiedlichen Völkern, Nationen und Sprachen miteinander verbindet, das Bekenntnis zu Jesus Christus ist, den sie als ihren Herrn und Erlöser erkennen. In besonders intensiver Weise wurde dieses Band bei der eucharistischen Anbetung während der Abendvigil erfahrbar. Es dürfte das Bild sein, das keinem der anwesenden jungen Menschen je wieder aus dem Herzen fallen wird: Jesus auf dem Altar gegenwärtig im heiligen Sakrament, umrahmt von einer großen weit sichtbaren Monstranz. Davor Papst Franziskus in stiller Anbetung versunken und in seinem Rücken mehrere Hunderttausend junger Menschen, die im Sand der Copacabana knien und ebenfalls Jesus als ihren Herrn bekennen und anbetend mit ihm vereint sind. 

Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang

„Dann wurde es Abend und es wurde Morgen, siebter Tag …“ Der Weltjugendtag in Rio mündete schließlich ein in die sonntägliche Eucharistie, in das wöchentliche Gedächtnis des Mysteriums von Tod und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus. Im dritten Hochgebet der hl. Messe beten wir: „…damit deinem Namen das reine Opfer dargebracht werde vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang“,[4] und bringen damit zum Ausdruck, dass durch den Dienst der Kirche der Lobpreis und die Feier der Erlösung rund um den Erdball niemals unterbrochen werden. Ein ganz eigenes Moment des Weltjugendtags liegt nun darin, dass sich dieses zeitliche und räumliche Nacheinander gewissermaßen in einem Augenblick bzw. in einer Feier verwirklicht und damit zu einem starken Bekenntnis für die Welt wird. Der Nachfolger des Petrus feiert die heilige Eucharistie mit Millionen von jungen Menschen, die nahezu alle Völker und Nationen repräsentieren, eben vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang. Führt man sich nur die genannten Aspekte des Weltjugendtags vor Augen oder noch besser, man darf durch die persönliche Teilnahme selbst ein Teil dieser Erfahrung sein, dann wird man gewahr, wie zutreffend Papst Franziskus den Weltjugendtag charakterisiert hat, indem er ihn ein „Mysterium“ nannte.

Großes Zeichen der Hoffnung

Ohne jeden Zweifel war der Weltjugendtag in Rio de Janeiro wiederum ein Meilenstein auf dem Weg der Kirche in unserer Zeit. Für die Kirche in Südamerika konnte das Jugendtreffen ein glaubhafter Ausdruck ihrer geistigen Lebendigkeit werden und zugleich eine Hilfe für die Herausforderungen, denen sie heute gegenübersteht. Für die einzelnen Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren die Tage in Brasilien je nach ihren persönlichen  Möglichkeiten eine Bestärkung und Vertiefung auf ihrem Weg mit Christus. Für die Kirche als Ganzes kann der Weltjugendtag als nichts anderes als ein unübersehbares Zeichen der Hoffnung betrachtet werden.


[1] Vgl. Stimmen der Zeit, Heft 10, Oktober 2013.
[2] II. Vatikanum, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 1.
[3] Vgl. 1 Joh 4,16.
[4] Vgl. Genesis, 2,1 ff.

Die Missionare bleiben – trotz Angst und Gewalt

Zentralafrikanische Republik: „Hier wird die Kirche verfolgt!“

Der Bericht von Eva-Maria Kolmann über die Situation der Bevölkerung und insbesondere der christlichen Missionare in der Zentralafrikanischen Republik ist erschütternd. Er wirft ein Licht auf die weltweite islamistische Bewegung, aber auch auf die Hilflosigkeit der Weltgemeinschaft gegenüber dem Terror, der von sog. Rebellen in immer mehr Länder hineingetragen wird. Erschreckend ist vor allem die Gleichgültigkeit der westlichen Welt, welche die furchtbare Verwüstung fast gänzlich ignoriert und kein Interesse für den Schutz christlicher Missionsarbeit aufbringt. Umso wichtiger ist die Öffentlichkeitsarbeit von „Kirche in Not“, aber auch die Verbreitung des gewaltigen Zeugnisses der Missionare vor Ort, eine Ermutigung für jeden von uns.

Von Eva-Maria Kolmann

Pater Anastasio Roggero steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Ich bin schon seit 40 Jahren in der Zentralafrikanischen Republik tätig. Hier war die Lage immer schlimm, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen!“ Der 74-jährige Italiener, der die fünf Missionsstationen der italienischen Karmelitenpatres in der Zentralafrikanischen Republik aufgebaut hat, ist fassungslos: „Die neuen Herren des Landes haben alles zerstört: die Schulen, die öffentlichen Einrichtungen, einfach alles. Sie verüben völlig ungestraft jegliche Verbrechen. Niemand kann sie aufhalten, niemand kontrolliert sie. Als Christen dürfen wir nicht die Hoffnung verlieren, aber wie sieht die Zukunft dieses Landes aus?“

Die „neuen Herren“, das sind die Rebellen der „Séléka“, die sich am 24. März dieses Jahres an die Macht geputscht haben. Die selbsternannte Regierung unter Michel Djotodja hat von Anfang an angekündigt, eine islamische Republik einrichten zu wollen. Pater Anastasio nimmt kein Blatt vor den Mund: „Hier wird die Kirche verfolgt! Ich habe Angst, dass das Land ein Stützpunkt von Al-Kaida wird. Dabei sind nur 15 Prozent der Bevölkerung Muslime!“ Mit vielen der einheimischen Muslime arbeitet er seit Jahren gut zusammen. Die Rebellen stammen jedoch meist aus dem Ausland, beispielsweise aus dem Tschad oder dem Sudan. Viele von ihnen sprechen nur Arabisch und bringen einen extremistischen Islam ins Land, den es vorher nicht gegeben hat. Wer hinter den Rebellen steht und wer sie finanziert, ist unklar.

Das Morden und Plündern lässt nicht nach. 97 Prozent der Übergriffe richten sich gegen Christen, heißt es aus kirchlichen Kreisen. Muslime bleiben in der Regel verschont. Die Séléka-Rebellen kommen in die Dörfer, vor allem aber in die Missionsstationen, und nehmen sich, was sie gebrauchen können: Autos, Computer, Medikamente, Benzin, Lebensmittel. Es gibt Diözesen, in denen die Kirche kein einziges Auto mehr hat, um ihre Arbeit zu verrichten. Was die Rebellen zurücklassen, verwüsten sie. Sie machen keinen Halt vor Behinderteneinrichtungen oder Waisenhäusern. Entführungen, Vergewaltigungen, Plünderungen und Massaker gehören zum Alltag.

Auch zahlreiche Kirchen wurden geschändet. Mehrere Male wurde beispielsweise die Pfarrkirche von Mobaye überfallen. Die Rebellen verbrannten die geweihten Gegenstände, veranstalteten in dem Gotteshaus Zechgelage, sangen und tanzten. Zahlreiche andere Kirchen teilen dieses Schicksal, so beispielsweise die Kirche der Ordensschwestern in Marcunda. In der Kathedrale von Bangui schossen die Rebellen während der heiligen Messe am Palmsonntag in die Luft. In Yolé zwangen sie die Karmelitenpatres, sich auf den Boden zu knien, und schlugen den Rektor des „Kleinen Seminars“, Pater Maurice, ins Gesicht. Aus der Ortschaft Bohong wurden Mitte August die Priester und die dort arbeitenden Barmherzigen Schwestern vertrieben. Der Pfarrer der Kathedrale von Bangui wurde von den Rebellen zusammengeschlagen, als er sich weigerte, ihnen seine Autoschlüssel auszuhändigen. Zwei weitere Priester in Bangui wurden gefoltert.

Pater Anastasio kennt auch den 78-jährigen italienischen Kapuzinerpater Valentino Vallarino, der schon seit 52 Jahren in Afrika lebt. Bereits während des letzten Staatsstreiches im Jahr 2002 wurde er an einen Baum gefesselt und schwer geschlagen, weil die Rebellen mehr Geld von ihm wollten, als er hatte. Trotz dieser schlimmen Erlebnisse ist er geblieben. Jetzt wurde seine Missionsstation in Gofo an der Grenze zum Tschad vollkommen zerstört. Die Rebellen überfielen die Kapuziner bei Nacht und schossen um sich, so dass sich die Patres unter den Betten in Sicherheit bringen mussten. Aber Pater Valentino gibt nicht auf: Nach einem zweimonatigen Aufenthalt in seiner Heimat Italien will er wieder in die Zentralafrikanische Republik zurückkehren. „Bei unserem Gespräch sagte er mir: ‚Wir werden wieder aufstehen‘“, berichtet Pater Anastasio.

Wenn die Rebellen in Not geraten, kommen sie jedoch zu den Missionaren und verlangen, dass sie ihnen helfen. Der 51-jährige Mitbruder von Pater Anastasio, Pater Aurelio Gazzera, hat so etwas schon erlebt. „Eines Tages kam eine Frau völlig aufgelöst und verängstigt zu mir gerannt und sagte, die Rebellen näherten sich unserem Missionskrankenhaus. Ich rannte los, um vor ihnen dort anzukommen und alle aufzufordern, ruhig zu bleiben. Schwester Sira und der Krankenpfleger Samuel behandelten gerade kranke Frauen und Kinder. Und plötzlich kamen die Rebellen an. Es waren drei, mit Maschinengewehren bewaffnet. Einer von ihnen klagte, er habe die ganze Nacht lang Zahnschmerzen gehabt und kein Auge zugetan. Ich konnte mir nicht verkneifen, ihnen zu sagen, dass ihretwegen die Einwohner von Bozoum schon seit Monaten nicht mehr schlafen können. Unsere Zahnärztin hat den Rebellen untersucht und ihm den schmerzenden Zahn gezogen.“ Aber Pater Aurelio ließ diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen, sondern sprach mit den Rebellen darüber, dass die Schulen schon seit Monaten geschlossen seien und die Kinder ein ganzes Schuljahr verlieren würden. „Der Rebell mit den Zahnschmerzen meinte, wir sollten den Unterricht wieder aufnehmen“, berichtet der Missionar.

Pater Aurelio Gazzera ist seit 20 Jahren in der Zentralafrikanischen Republik tätig und Caritasdirektor der Diözese Bouar. Seine Missionsstation in Bozoum wurde Anfang August von Flüchtlingen nahezu überflutet.  Mehr als 2400 Menschen waren tagelang zu Fuß unterwegs, um sich in Sicherheit zu bringen. Denn mehr als ein Dutzend Dörfer entlang der Straße von Bozoum nach Bossangoa waren von den Rebellen überfallen worden. Es kam zu Massakern, die Überlebenden flohen. Pater Aurelio, der wenige Tage später die Schauplätze der Verbrechen persönlich besucht hat, berichtet: „Es war schrecklich. Viele Dörfer gleichen Geisterstädten, weil sie komplett leer sind. Zeugen haben mir gesagt, dass die Rebellen die Leichen der Getöteten in den Fluss geworfen haben. Es waren wohl 40-50 Tote. Auch ein fünf Monate altes Baby wurde getötet.“

Die Menschen, die fliehen konnten, haben ihre Dörfer mitten in der Regenzeit verlassen. Das bedeutet nicht nur, dass sie auf dem tagelangen Fußmarsch dem Regen schutzlos ausgeliefert waren, sondern auch, dass es keine Ernte geben wird. „Jetzt ist die Zeit, in der die Felder bestellt werden müssen. Es ist immer schlimm, wenn eine Familie ihr Dorf verlassen muss, aber wenn die Leute jetzt in dieser Jahreszeit ihre Felder zurücklassen, bedeutet es, dass sie keine Hoffnung mehr haben“, erklärt der italienische Karmelitenpater.

Manchmal können die Missionare aber auch das Schlimmste verhindern. Pater Aurelio ist einer der Priester, die von ihren Bischöfen damit beauftragt worden sind, mit den Rebellen zu verhandeln. Schon in der Vergangenheit hat er Erfahrungen damit gesammelt. Pater Aurelio ist in der Bevölkerung zur Legende geworden als „der Mann, der die Gewehre der Rebellen niedergebeugt hat“. Er berichtet: „Manchmal gehen wir Priester die Rebellen holen, um etwa ein Problem zu lösen, die Befreiung von jemanden zu veranlassen, um sie zu überzeugen, mit den Schießereien, Plünderungen und der Gewalt aufzuhören, oder um Schulen oder Krankenhäuser zu schützen. Es muss eindeutig sein, dass wir Priester nicht zu unserem eigenen Vorteil zu ihnen gehen, sondern im Interesse der Bevölkerung. Zumindest meinerseits bedeutet das, mutig und entschlossen zu ihnen zu gehen, ohne allzu viel Angst, weil ich mich nicht für mich selbst dorthin begebe, sondern für meine Brüder und Schwestern.“  Und er fügt hinzu: „Sie sind immer bewaffnet, und ich gehe ohne alles dahin, ohne Schutz-Eskorte und ohne Waffe. Ich bin aber der Stärkere. Und ich habe außerdem einen Trumpf: das Gebet und die Gegenwart Gottes.“

Die Kirche ist eine der wenigen Institutionen, die ihre Stimme für die gequälte Bevölkerung erhebt und an ihrer Seite steht. Das Interesse der internationalen Gemeinschaft und der Medien an der dramatischen Lage des Landes hält sich in Grenzen, obgleich Beobachter immer wieder betonen, das Land könne sich zu einem zweiten Somalia entwickeln.

Die Missionare bleiben. P. Aurelio Gazzera erklärt, was sie hält: „Wenn es Aufruhr gibt, sind die Autoritäten und das Militär die Ersten, die weglaufen. Das heißt, genau jene, die bis gestern die Schwächsten tyrannisierten, sind plötzlich klein und unsichtbar. Gegangen sind auch die Ärzte, die Krankenschwestern, die Lehrer. Die Städte und Dörfer sind kaputt. Wir bleiben, weil die Menschen einen Vater brauchen, eine Mutter, eine Schwester. Auch wenn man nicht viel tut, gibt man ihnen Hoffnung und Hilfe. Unsere Anwesenheit ist das Zeichen für eine andere Anwesenheit! Man weiß: Wenn man weggeht, könnte alles, wofür man all diese Jahre gearbeitet hat, zerstört werden. Und man muss befürchten, dass keine Kraft und keine Mittel mehr da sein werden, um alles wieder von vorne zu beginnen.“ Was ihnen die Kraft dazu gibt? Das erklärt Pater Aurelio so:

„Wir wissen: ER ist immer an unserer Seite, sogar, wenn das Schiff zu sinken scheint. Und ab und zu sagt ein Mann oder eine Frau: ‚Danke, dass Sie geblieben sind!‘ Oder ein Kind, das zur Schule gehen konnte, sieht dich an und lächelt trotz allem. Deshalb, trotz der Angst, trotz der Bauchschmerzen, der schlaflosen Nächte, versteht man dann, dass man etwas Gutes und Wichtiges macht: Man gibt denen Jesu Hand, die sie am meisten nötig haben. Ob wir tapfer sind? Vielleicht ein bisschen, obwohl unsere Angst groß ist. Aber jemand ist da, der uns nie verlässt. Deshalb bleiben wir.“

Das Hilfswerk KIRCHE IN NOT unterstützt die Kirche in der Zentralafrikanischen Republik beim Wiederaufbau und Erhalt ihrer pastoralen Strukturen:

Spendenkonto/Empfänger: Kirche in Not, Kontonummer: 215 20 02, BLZ: 750 903 00, LIGA Bank München, IBAN: DE63750903000002152002, BIC: GENODEF1M05, Verwendungszweck: Zentralafrikanische Republik.

„Der Herr ruft mich, den Berg hinaufzusteigen“

Am 11. Februar 2013 hatte Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt zum 28. Februar 2013, 20.00 Uhr, erklärt. Die zweieinhalb Wochen, in denen er noch im Amt war, nützte er, um die Gläubigen an all dem teilhaben zu lassen, was nun in seinem Herzen vor sich ging. Die Reden aus diesen Tagen sind kürzlich in einem Buch unter dem Titel „Ich habe mich nie allein gefühlt“ veröffentlicht worden. Nachfolgend die Ansprache beim Angelus am Sonntag, den 24. Februar 2013, auf dem Petersplatz. Sie beginnt mit den Worten: „Liebe Brüder und Schwestern, danke für eure Zuneigung!“

Von Papst em. Benedikt XVI.

Heute, am zweiten Sonntag der Fastenzeit, hören wir einen besonders schönen Text des Evangeliums, den der Verklärung des Herrn. Der Evangelist Lukas betont besonders die Tatsache, dass Jesus verklärt wurde, während er betete: Es handelt sich um die Erfahrung einer besonders tiefen Beziehung zum Vater während einer Art geistlicher Einkehr, die Jesus auf einem hohen Berg in Begleitung von Petrus, Jakobus und Johannes verbringt, der drei Jünger, die in den Augenblicken immer zugegen sind, in denen sich das göttliche Offenbarwerden des Meisters zeigt (vgl. Lk 5,10; 8,51; 9,28). Der Herr, der kurz zuvor seinen Tod und seine Auferstehung angekündigt hatte (vgl. Lk 9,22), schenkt den Jüngern eine Vorwegnahme seiner Herrlichkeit. Und auch bei der Verklärung ertönt wie bei der Taufe die Stimme des himmlischen Vaters: „Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören!“ (Lk 9,35). Das Erscheinen von Mose und Elija, die das Gesetz und die Propheten des Alten Bundes repräsentieren, ist sehr bedeutungsvoll: Die gesamte Geschichte des Alten Bundes ist auf ihn, auf Christus, ausgerichtet, der einen neuen „Exodus“ vollbringt (vgl. Lk 9,31), der nicht in das gelobte Land führen wird wie zur Zeit des Mose, sondern hin zum Himmel.

Die Worte Petri: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind“ (Lk 9,33), stellt den aussichtslosen Versuch dar, diese mystische Erfahrung festzuhalten. Der hl. Augustinus erklärt dazu: „(Petrus) … hatte auf dem Berg … Christus als Speise der Seele. Warum hätte er herabsteigen sollen, um zu den Mühen und Schmerzen zurückzukehren, während er dort oben voller Gefühle heiliger Liebe zu Gott war, die ihn daher zu einem heiligen Lebenswandel inspirierten?“ (Sermones, 78,3: PL 38,491).

Wenn wir diesen Abschnitt aus dem Evangelium betrachten, können wir daraus eine sehr wichtige Lehre entnehmen. Wichtig ist vor allem der Primat des Gebets, ohne das jeder Einsatz im Apostolat und in der Nächstenliebe auf Aktivismus reduziert werden würde. In der Fastenzeit lernen wir, dem persönlichen und gemeinschaftlichen Gebet genügend Zeit einzuräumen, denn das Gebet ist der Atem unseres Geisteslebens. Beten bedeutet auch nicht, sich aus der Welt und ihren Widersprüchen zurückzuziehen, wie Petrus es auf dem Tabor gern getan hätte, sondern das Gebet führt uns zurück auf den Weg, zurück zum Handeln. „Das christliche Leben“, habe ich in der diesjährigen Botschaft zur Fastenzeit geschrieben, „besteht darin, den Berg der Begegnung mit Gott immer wieder hinaufzusteigen, um dann, bereichert durch die Liebe und die Kraft, die sie uns schenkt, wieder hinabzusteigen und unseren Brüdern und Schwestern mit der gleichen Liebe Gottes zu dienen“ (Nr. 3).

Liebe Brüder und Schwestern, ich fühle, wie dieses Wort Gottes in diesem Augenblick meines Lebens besonders auch an mich gerichtet ist. (Applaus) Danke! Der Herr ruft mich, den „Berg hinaufzusteigen“, um mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, dass ich die Kirche im Stich lasse, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir verlangt, so gerade deshalb, damit ich ihr weiterhin mit derselben Liebe und Hingabe dienen kann, wie ich es bisher zu tun versucht habe, nur auf eine Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist. Bitten wir um die Fürsprache der Jungfrau Maria: Möge sie uns allen helfen, im Gebet und in der tätigen Nächstenliebe immer Jesus, dem Herrn, zu folgen.

 

Benedikt XVI.: Ich habe mich nie allein gefühlt. Geb., 112 Seiten. ISBN 978-3-9815943-2-4. Direkt bestellen unter Telefon 07303-9523310, Fax: 07303-9523315 oder via E-Mail an: buch@media-maria.de – Internet: www.media-maria.de

Europapreis 2013 für Altötting

Es wird zu Recht als eine Sensation bezeichnet: Am 14. September 2013 wurde dem Wallfahrtsort Altötting der Europapreis 2013 verliehen. Dabei handelt es sich um die höchste Auszeichnung, die der Europarat seit 1955 an Gemeinden vergibt, „die hervorragende Leistungen für die Verbreitung des europäischen Einigungsgedankens erbracht haben“. Den Preis erhielten beispielsweise 1957 Turin, 1958 Wien, 1959 Istanbul oder 1967 Straßburg. Altötting ist der 16. Träger dieses Titels in Deutschland. In der offiziellen Begründung wird ausdrücklich die Arbeitsgemeinschaft „Shrines of Europe“ genannt, in der die sechs bedeutendsten Marienwallfahrtszentren Europas zusammengeschlossen sind: Altötting, Fatima, Loreto, Lour­des, Mariazell und Tschenstochau. Hervorgehoben werden vom Europarat die Zusammenarbeit mit diesen Orten und die damit verbundene Organisation von Veranstaltungen. Die Stadt Altötting selbst dankte in diesem Zusammenhang offiziell der Gemeinschaft Emmanuel für deren Verdienste. Ein Auszug aus der Festansprache des emeritierten Bischofs Wilhelm Schraml.

Von Bischof em. Wilhelm Schraml, Altötting

Unsere Kreis- und Wallfahrtsstadt Altötting ist Träger des Europapreises 2013, der ihr durch den Europarat verliehen wurde: eine hohe Auszeichnung unserer geschichtsträchtigen Stadt und eine würdige Ehrung für das unermüdliche Wirken ihrer Verantwortlichen in Blick auf das innere Zusammenwachsen der Völker Europas gerade in den letzten Jahrzehnten. …

Die Arbeitsgemeinschaft „Shrines of Europe“ mit ihren zahlreichen Austauschprogrammen besonders für junge Menschen ist ein wichtiger Baustein für den Bau des europäischen Hauses und ein ermutigender und ein hoffnungsfroher Beitrag auf diesem Weg.

Deshalb habe ich bewusst die uns allen bekannte Szene aus dem Evangelium gewählt: die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-12). Die heutige Situation in Europa erinnert mich daran. „Sie haben keinen Wein mehr“, sagt Maria zu Jesus. Wie sehr beschreibt doch dieses Wort die Lage in unseren Ländern. Die Macht des Menschen hat sich fast bis ins Grenzenlose gesteigert, aufgrund des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts können wir beinahe alles. Nur das Eigentliche können wir nicht mehr: Mensch sein. Es ist so vieles glanzlos und leer geworden. Auch das Heilige, das Große und Schöne durchschauen wir, ziehen es herunter und finden dann überall nur noch unsere eigene Erbärmlichkeit, keinen Wein, sondern nur unser Wasser, und auch unsere Wasser sind trüb und schmutzig geworden.

Diskussionen, Dialoge und Gremien werden eingerichtet, und am Ende ist es vielfach nur unser Wasser, mit dem wir kochen. Welt und auch Kirche erscheinen weithin wie eine Hochzeit ohne Liebe und ohne Wein. Und im Stillen warten wir wohl darauf, dass da die Mutter sei, unsere Hohe und Liebe Frau, die dies dem Herrn sagt, die sein Herz anrührt, damit er es ändere.

Damals in Kana waren die Krüge leer, sie hatten „keinen Wein mehr“. Es mag sein, dass nicht alle Krüge unseres Kontinents leer sind. Sie sind teilweise gefüllt mit dem Wasser der menschlichen Sorge und der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen. Aber Wasser bleibt Wasser. Durch rein menschliche Anstrengungen werden wir das Wasser nicht in Wein verwandeln, das Trennende und die Zwietracht, die Unversöhntheit und den Unfrieden nicht überwinden können.

Das wirklich geeinte Europa kann nur das Werk der göttlichen Gnade sein. Nur Gott kann die Herzen der Menschen wandeln und sie zu einer innigen Gemeinschaft verbinden. Die Rolle des Menschen ist damit nicht unwichtig. Denn das Wirken der Gnade Gottes setzt das volle Engagement aller beim Bau des europäischen Hauses voraus. …

Vor allem junge Menschen werden durch falsche Propheten in ihrem Leben in eine oft geradezu tödliche Sackgasse verstrickt und leiden am Leben. Maria hat ein Gespür, wo das Gift und die Schlange im Leben sitzen. Darum konnte sie ja der Schlange den Kopf zertreten. Das tut sie auch heute noch.

„Sie haben keinen Wein mehr.“ Maria wird unsere Mängel und Bedürfnisse vor ihren Sohn tragen. Sie wird Fürsprache einlegen, aber auch zu uns sagen: „Alles, was Er euch sagt, das tut!“ Sie verweist uns auf das Evangelium und auf die Gebote Gottes, die er einmal unter Blitz und Donner in die steinernen Tafeln eingeschrieben hat.

Europa wird nicht ohne Gott entstehen, der in Jesus Christus ein menschliches Gesicht angenommen hat, der uns durch sein Sterben am Kreuz erlöst und den Schuldschein unserer Sünde durch sein Blut durchgestrichen hat. Sein Kreuz ist der Wegweiser und der Grundriss für den Bau des europäischen Hauses.

In diesem Sinn sagen wir zu Maria gerade an diesem großen Tag für Altötting: Sieh uns an, wir haben keinen Wein mehr. Sag du es deinem Sohn. Öffne unseren Willen in deinen Willen hinein, damit in den Völkern Europas die herrliche Gabe Gottes, sein verwandelter Wein, gegenwärtig sei.

Die Lage der Kirche und des Glaubens in Deutschland

„Der schwierigste Beruf ist der eines Bischofs“

In einem ermutigenden Interview nahm der Pastoraltheologe Prof. Dr. Andreas Wollbold freimütig zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland Stellung. Einerseits brachte er deutlich seine Erwartungen an die Bischöfe zum Ausdruck, andererseits nahm er sie auch in Schutz und meinte: „Der schwierigste Beruf in Deutschland ist derzeit sicher der eines Bischofs!“ Ein für „Kirche heute“ bearbeiteter Auszug aus dem Interview, das die Verlegerin Gisela Geirhos für K-TV geführt hat.

Interview mit Prof. Dr. Andreas Wollbold

Gisela Geirhos: Herr Professor, es ist ein klarer Befund, dass die katholische Kirche in Deutschland bzw. in Europa die jungen Menschen so gut wie nicht mehr erreicht. Könnte man angesichts der allgemeinen Lage des Glaubens nicht von einem Scheitern des Christentums sprechen?

Prof. Wollbold: Das Christentum hat immer Gegenwind. Es war nie so in seinen zweitausend Jahren, dass das Christentum einfach auf offene Herzen, offene Türen getroffen ist und sozusagen die Herzen im Sturm genommen hätte. Gewiss gibt es ein Auf und Ab, aber wir müssen realistisch sagen: Was in einer Generation geworden ist, kann und konnte auch in früherer Zeit immer wieder verloren gehen. Ich denke etwa daran: Das Mittelalter gilt als die christliche Zeit. Wir wissen aber, nach einer Untersuchung aus dem Bistum Magdeburg vor 600 Jahren etwa konnten in einem Dorf von über hundert Familien nur zwei Leute überhaupt das Vaterunser aufsagen. Also, das heißt, es hat auch in allerchristlichsten Zeiten ganze Landstriche gegeben, die im Grunde heidnisch gewesen sind. Das soll nicht die Situation schönreden, aber das soll uns Mut machen, dass wir eben erkennen: Es gibt immer Gegenwind, aber es gibt auf der anderen Seite auch den viel mächtigeren Rückenwind des Heiligen Geistes. Wenn wir auf ihn vertrauen, in seinem Sinn die Botschaft unverkürzt verkünden, dann kann sie die Menschen zu jeder Zeit erreichen.

Gisela Geirhos: In Deutschland haben große Teile der kirchlichen Einrichtungen wie Kindergärten oder Krankenhäuser ihre kath. Identität verloren. Hat die institutionelle Kirche mit ihrem Verwaltungsapparat überhaupt noch eine Daseinsberechtigung?

Prof. Wollbold: Auf der einen Seite können wir sicher dankbar sein, dass wir viele, viele Institutionen etwa der Krankenpflege und der Erziehung haben, für die ganz Kleinen, die kaum mehr als ,Mama‘ sagen können, bis hin zu Menschen in den letzten Lebensphasen. Und ich weiß auch aus vielfältiger Erfahrung, dass zum Beispiel katholische Krankenhäuser, da wo sie sich etwa auch um die Sterbenden in eigener Art und Weise kümmern und den Tod nicht nur als ein Scheitern der Schulmedizin verstehen, viel im Sinn eines christlichen Zeugnisses und einer wirklichen Zuwendung zum Nächsten in höchster Not leisten. Auf der anderen Seite gilt das Wort, das Papst Benedikt im Konzerthaus zu Freiburg gesagt hat: das Wort von der Verweltlichung, dass die Kirche sich an die Welt anpasst, dass sie nur noch auf den eigenen Erhalt der Institution und Strukturen schaut, aber gar nicht mehr die Menschen im Herzen zu erreichen versucht. Dieses Wort gilt unverändert und das ist eine Gewissenserforschung für die Kirche: Nutzen wir all diese Institutionen, also zum Beispiel einen Kindergarten, um den Kindern im frühkindlichen Alter wirklich den Glauben beizubringen? Ein Kindergarten, in dem nicht mehr gebetet wird, in dem an Ostern höchstens noch der Osterhase kommt – dafür brauchen wir keine katholischen Kindergärten!

Gisela Geirhos: In ganz Europa werden Dinge legalisiert, die krass im Widerspruch zur katholischen Lehre stehen. Warum hat die katholische Kirche eigentlich so wenig Einfluss auf die Politik und auf den Mainstream in der Gesellschaft?

Prof. Wollbold: Die katholische Kirche ist keine Staatskirche. Ich möchte sagen: Gott sei Dank! Aber das heißt, sie kann in unseren Demokratien nur dadurch Einfluss gewinnen, dass sich möglichst viele Menschen möglichst überzeugt, auch möglichst hartnäckig für ihre Werte, Ideale eben auch einsetzen. Wenn ich etwa sehe: Derzeit geht in Frankreich eine ganze Million auf die Straße, um gegen die Homo-Ehe zu demonstrieren, exponiert sich, und das fällt keinem Einzigen dieser Million einfach leicht, da sage ich: Das ist so, wie die Kirche eben über ihre Gläubigen wirken könnte, und das wird auch gehört. Dass man sich das bei uns in Deutschland kaum vorstellen kann, ist Anlass zur Gewissenserforschung. Vielleicht haben wir zu oft gesagt: Wenn wir ein katholisches Büro haben, jemanden, der den Ministerpräsidenten vielleicht per Du kennt, das reicht schon. Das reicht eben nicht mehr.

Gisela Geirhos: In Amerika ist es üblich, dass die Bischöfe bei Pro-Life-Bewegungen mitgehen, mitdemonstrieren, die Gläubigen durch ihr Mitgehen bestärken. Das sieht man in Deutschland nicht. Haben wir da allgemein von oben bis unten Nachholbedarf?

Prof. Wollbold: Das ist gar keine Frage. Manchmal ist im Selbstverständnis der Bischöfe und der führenden Positionen der Kirche eben dieses Vermitteln: Ich darf mich nicht zu sehr exponieren. Aber: Das Zweite Vatikanische Konzil sagt, die Bischöfe sind vor allem Propheten, und der Prophet, der nicht auf die Marktplätze hinausgeht und sagt, was Sache ist, gelegen oder ungelegen, der hat ein bisschen den Beruf verfehlt.

Gisela Geirhos: Viele Gläubige monieren, dass unsere Bischöfe so angepasst sind. Weshalb haben sie Angst vor den Medien? Natürlich möchte niemand negativ kommentiert werden. Aber muss diese Stimme nicht auch in den Medien zu Wort kommen?

Prof. Wollbold: Ja, aber ein kleines Wort der Fürsprache für die Bischöfe möchte ich dann doch auch sagen. Der schwierigste Beruf in Deutschland ist derzeit sicher der eines Bischofs. Denn sie müssen’s allen recht machen, können’s keinem recht machen, und wissen oft selber nicht genau, was der Weg in die Zukunft der Kirche ist, weil eben vieles auch nebelverhangen ist. Aber es gibt natürlich eine Gefahr, nicht das persönliche Versagen – das sind alles prächtige Männer der Kirche –, sondern dass man sich zu sehr auf die Institution verlässt, z.B. Lebensschutz: Man hat vor vielen Jahren die „Woche für das Leben“ eingeführt. Das läuft alles ganz professionell, auch mit der entsprechenden Medienbegleitung, aber eher so routiniert: „Die Kirche ist für das Leben!“ Und dann kommen der Reihe nach noch alle Themen daran, etwa auch Behinderung und Ausländer. Das ist politisch alles korrekt, das ist alles schön, das ist auch alles christlich, aber dem fehlt die prophetische Stoßrichtung, im besten Sinn auch die Provokation, die wachrütteln kann, zum Beispiel beim Thema Abtreibung. Wenn man sich zu sehr auf dieses schön institutionell Routinierte verlässt, dann kommt natürlich das Herausfordernde etwas zu kurz und die Gläubigen haben den Eindruck, dass sie von den Bischöfen dort im Stich gelassen werden, wo sie selber auf die Straße gehen und auch nass werden.

Gisela Geirhos: Viele haben mit der Kirche an sich ein Problem. Könnte man sagen, dass ein Mensch auch ohne die Kirche ein Verhältnis, einen lebendigen Glauben zu Jesus und zu Gott leben kann?

Prof. Wollbold: Ich glaube es nicht wirklich. Ich glaube, man kann ohne die Kirche ein ernsthafter Mensch sein, ein suchender sein, ein Mensch, dem Jesus auch etwas bedeutet, das gewiss. Aber ich denke immer an ein großes und auch herausforderndes Wort von Romano Guardini, der einmal gesagt hat: Wer schützt Christus vor mir selbst? Also, wer schützt den wahren Herrn Jesus Christus mit all seiner auch mich herausfordernden, umstürzenden Botschaft der Umkehr und des Glaubens. Wer schützt ihn vor all meinen Vorstellungen, Lieblingsideen, Wünschen, also dass ich mir so meinen Jesus light zurechtzimmere. Und seine Antwort ist: Niemand anders als die Kirche. Nur wenn ich mich an die Kirche halte, wenn ich den ganzen Glauben der Kirche tatsächlich auch versuche zu übernehmen, auch wenn es vielleicht im ersten Moment schwer erscheint, nur dann werde ich ein wahrhaftes Verhältnis auch zu Jesus haben.

Gisela Geirhos: Die Suche nach der Wahrheit betrachten Sie als die Grundfrage des Lebens. Ist es nicht intolerant, zu behaupten, dass die christliche Religion die einzige Wahrheit ist?

Prof. Wollbold: Toleranz ist ja so ein Modebegriff. Den kann man jeden um die Ohren schlagen und damit alles erreichen, was man will. Wirkliche Toleranz beruht auf Achtung und Wertschätzung eines anderen Menschen. Und die höchste Achtung, die ich ihm entgegenbringen kann, ist: Der andere ist ein Ebenbild Gottes. Er ist von Gott eingesetzt auf diese Welt, er ist geschaffen, um Gott zu suchen, um nach der Wahrheit sich auszustrecken, um ein ganzes Leben lang darauf hin unterwegs zu sein. Und das ist die christliche Haltung der Toleranz, wahrer Toleranz, die heißt nicht: Du bist mir gleichgültig, mir ist egal, was du machst, es hat sowieso alles keinen Zweck, sondern: Du bist so wertvoll, dass du dich nicht mit Götzen, mit oberflächlichem Konsum, mit Nichtigkeiten abgeben kannst. Also, eine Toleranz, die den andern auch infrage stellt, die auch das Gespräch mit dem andern sucht und die ihm die Wahrheit zumutet, ohne ihn zwingen zu wollen.

Gisela Geirhos: Der Titel Ihres Buches „Die versunkene Kathedrale“ bezieht sich auf eine Legende: Eine Kathedrale, der Dom von Yves in der Bretagne, der im Meer versunken ist, blieb nicht versunken, sondern ist in aller Schönheit wieder aufgetaucht. Glauben Sie – nach diesem immensen Glaubensabfall, den wir hier in Deutschland, aber auch in ganz Europa feststellen können –, dass Ähnliches wieder geschehen könnte?

Prof. Wollbold: Da bin ich sicher. Das ist das Schöne dieser Legende wie vieler Legenden, dass sie ganz tiefe Wahrheiten erzählerisch anschaulich zur Geltung bringen. Also hier: Die Kathedrale, das heißt der Glaube selbst, mag vielleicht sogar über Generationen hinweg verschwunden sein. Aber der Glaube ist etwas Göttliches, etwas Heiliges, was Gott uns selber schenkt. Und deshalb gelten hier nicht die menschlichen, die weltlichen Gesetze. Da wäre es so: Was über Jahrzehnte verschwunden war, das ist entstellt, verstaubt – oder eben hier aus dem Meer: voll von Tang, von Muscheln. Da muss man erst sagen: Jetzt gibt es ein 50-Millio­nen-Projekt zur Renovierung und deshalb wird die Kathedrale erst einmal für Jahre weggesteckt. Aber beim Glauben ist es nicht so. Jeder Mensch, der tatsächlich sein Herz für Gott öffnet, wird die Neuheit, die Schönheit des Glaubens erfahren, als wäre der Glaube allein für ihn genau in diesem Moment ganz frisch und heilig entstanden. Da bin ich sicher und habe es auch mehr als einmal bei Menschen erfahren, gerade auch bei jenen, die ganz ohne Glauben aufgewachsen sind, oder bei Menschen, die vielleicht über Jahre hinweg ganz fern vom Glauben waren: Es gibt so den einen Moment, wo es wie Schuppen von den Augen fällt, und da ist der Glaube eben etwas Herrliches und Schönes wie diese Kathedrale am Tag ihrer Weihe.

 

Andreas Wollbold: Die versunkene Kathedrale – Den christlichen Glauben neu entdecken. Gebunden mit Schutzumschlag, 288 Seiten. ISBN 978-3-9815698-5-8. Direkt bestellen unter Telefon 07303-952331-0, Fax 07303-952331-5 oder via E-Mail an: buch@media-maria.de

Die verbindende Kraft der Partnerschaft „Maria – Mutter Europas“

Die Gebetsgemeinschaft lebt

Die Partnerschaft „Maria – Mutter Europas“, die von Pater Notker Hiegl OSB ins Leben gerufen wurde, entfaltet eine kraftvolle Wirkung. Pater Notker ist vom vielfältigen Interesse an der Initiative überrascht und stellt sie als Beitrag zur Erneuerung der christlichen Fundamente Europas voll Vertrauen der Gottesmutter anheim. Er berichtet vom Besuch einer russischen Delegation beim Heiligtum in Gnadenweiler und von der Entwicklung der erst kürzlich gegründeten Bruderschaft als vertiefendes Element der Gebetsgemeinschaft.

Von P. Notker Hiegl OSB

Die Gebetsgemeinschaft „Maria – Mutter Europas“ lebt. Vor allem unsere Partner im äußersten Osten entwickeln ein erstaunliches Engagement, um die Verbindung unter den zusammengeschlossenen Heiligtümern mit Leben zu erfüllen.

Bande zwischen Russland und Malta

In den ersten beiden Juliwochen besuchte eine Pilgergruppe von über 90 Gläubigen aus der Pfarrei „Maria, Königin des Friedens“ im russischen Beresniki das Partnerheiligtum in Mellieħa auf Malta. Die Teilnehmer aus dem Ural, die ohne die Partnerschaft nie den Weg zu der entfernten Mittelmeerinsel auf sich genommen hätten, konnten das urwüchsige katholische Leben in diesem kleinsten Mitgliedsstaat der Europäischen Union kennenlernen und geistliche Bande mit der Pfarrei von Mellieħa knüpfen. Genau in die Tage ihres Aufenthalts auf Malta fielen eine Primiz in der dortigen Pfarrei und das Hauptfest des hl. Paulus in der alten Hauptstadt Rabat, wo der Völkerapostel nach seinem Schiffbruch auf dem Weg nach Rom drei Monate lang im örtlichen Gefängnis, der sog. Paulus-Grotte, festgehalten worden sein soll. Außerdem wurde die Gruppe aus Russland mit zahlreichen anderen Schätzen bekannt gemacht, die gewöhnliche Touristen nie zu sehen bekommen. Beispielsweise führt vom Heiligtum in Mellieha aus eine lange Treppe den Berg hinab zu einer weiträumigen Höhle, in der sich eine überlebensgroße weiße Marienfigur befindet. Im 20. Jahrhundert berichteten immer wieder Pilgergruppen davon, dass während des Gebets die Gottesmutter ihre rechte Hand erhob und die Anwesenden segnete. Dasselbe widerfuhr einmal auch einer Gruppe von Soldaten, deren einhelliges Zeugnis die Verantwortlichen der Kirche mehr als alle anderen überzeugte, da es absolut unverfänglich erschien. Der Ortspfarrer, Fr. Joe Caruana, der diese Ereignisse ernstnimmt, hat auch die russischen Pilger eingeladen, zu dieser verborgenen Perle hinunterzusteigen und ihre Anliegen vorzutragen.

Vom Ural ins Donautal

Ebenso bemühten wir uns, im August dieses Jahres eine andere Gruppe aus Beresniki in Beuron aufzunehmen. Schon im Vorfeld veröffentlichten wir Artikel unter der Überschrift: „Hurra, die Russen kommen!“ Wer hätte es vor 70 Jahren gewagt, so zu sprechen oder zu schreiben! Doch es wächst auch Vieles zum Guten. Und so durften wir am 9. und 10. August im Rahmen unserer Partnerschaft voller Freude die erste russische Delegation in Gnadenweiler empfangen, wo die Gebetsgemeinschaft ihren Ausgang genommen hatte, und ihr gleichzeitig den Reichtum des Klosters Beuron vorstellen.

Pfarrer Erich Maria Fink kam mit 49 Gästen aus seiner Pfarrei angereist. Es handelte sich zur einen Hälfte um Schüler, die Deutsch lernen und in seiner Pfarrei die religiösen Feste der Russlanddeutschen aktiv mitgestalten, und zur anderen Hälfte um deren Lehrer und Eltern. Zuvor waren sie vier Tage lang bei Gastgebern im Westallgäu untergebracht, um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen und mit der Bevölkerung in Deutschland in einen persönlichen Kontakt zu kommen.

In Beuron übernachteten sie im ehemaligen Vinzentinerinnen-Hotel „Maria Trost“, das bis zum heutigen Tag auch als Exerzitienhaus genutzt wird. In der ansprechenden Hauskapelle feierte die Gruppe eine Eröffnungsandacht und dankte für die geglückte Herfahrt. Beim anschließenden Abendessen im hoch über dem Donautal gelegenen Speisesaal konnte sie den Rundblick über das ganze Klostertal genießen, die klösterliche Anlage, die Felder, die Donau, die Felsen, das Petruskreuz, einfach ein Stück Himmel. Edith Stein, die spätere Karmelitin Sr. Teresa Benedicta vom Kreuz, war ebenfalls einmal hier zu Gast und bezeichnete bei diesem Anblick das Dörflein Beuron als „ihren Vorhimmel“.

Die Delegation aus Beresniki in Gnadenweiler

„Gnadenweiler“ ist, wie der Name sagt, ein „Weiler der Gnaden“. Im Jahr 1832 wurde der Weiler auf der früheren Schafsweide des Klosters Beuron (1803 säkularisiert) oben auf der Schwäbischen Alb auf den Bära-Weiden durch einen Gnadenakt des Fürsten Carl von Hohenzollern-Sigmaringen gegründet. Dass dann 175 Jahre später im Jahr 2007 dort eine Wallfahrtsstätte „Maria – Mutter Europas“ entsteht, das konnte keiner voraussehen, ein „Gnadenweiler“ dem Namen und der Berufung nach. Und hier fanden sich die russischen Gäste und die mitfeiernden deutschen Gläubigen am Samstagvormittag ein. Weiter „oben“, nämlich auf dem „Vogelbühl“, stellten wir uns in Beuroner Prozessionsordnung auf und zogen hinter dem Vortragskreuz einher, russisch und deutsch den Rosenkranz betend, dazwischen singend die schönen weichen russischen Melodien. Die hl. Messe feierten wir darauf bei der Wallfahrtskapelle in russisch-deutscher Konzelebration, auch meine Predigt wurde von Pfarrer Fink ins Russische übersetzt. Russland und Deutschland waren hier „ein Herz und eine Seele“. Der Einsatz, dass Europa christlich bleibt, ist ein Herzensanliegen dieser Gebetsstätte. Die unermüdlichen Anstrengungen brachten in dieser Stunde hundertfältige Frucht.

Der Austausch mit den internationalen Partnern Island, Gibraltar, Malta und Russland ist nur ein Teil des Gnadenstroms, der von dieser Quelle „Gnadenweiler“ ausgeht. Eingebunden sind auch alle Ortschaften in Europa mit dem Namen „Bärenthal“ sowie die bereits in die Hunderte gehende Zahl der Mitglieder der Gebetsbruderschaft. Jeder, der sich der Bruderschaft „Maria – Mutter Europas“ anschließt, nimmt sich vor, täglich ein Gesätzchen des Rosenkranzes für die Erhaltung des Christentums als Grundlage unseres Kontinents zu beten.

Alle russischen Pilger erhielten nach dem Gottesdienst eine Buchbeschreibung der Kapelle, einen Europa-Rosenkranz mit blauen Perlen und goldener Kordel, welche mit ihrer Farbe an die zwölf Sterne erinnert.

Begegnung mit dem Benediktinerkloster Beuron

Nachmittags traf sich die russische Gruppe an der Klosterpforte zur Ausstellung „150 Jahre benediktinisches Leben in Beuron“. Seit 1863 beten und arbeiten hier Benediktiner in den Räumlichkeiten des ehemaligen Augustiner-Klosters (1077-1803). Die Goldschmiede-Arbeiten mit Kelchen, Leuchtern, Monstranzen, Mantelschließen und Abtsinsignien machten den größten Eindruck auf die russischen Jugendlichen.

Danach machten wir eine Fußwallfahrt hinaus ins „Liebfrauental“ zu einer Lourdes-Grotte, wo wiederum in deutscher und in russischer Sprache gesungen und gebetet wurde. Einen weiteren Höhepunkt bildete am Abend die „Lateinische Vesper“ zusammen mit den Mönchen des Klosters. Heute zählt die Klostergemeinschaft 53 Mönche, Priester und Brüder. Und da es Samstagabend war, folgte die Marienprozession der Mönche durch die Kirche hinüber in die Gnadenkapelle, während die Lauretanische Litanei gesungen wurde.

Zur großen Freude unserer Gäste kam Vater Erzabt Tutilo Burger nach dem Gebet aus dem Klaustrum eigens zur Pilgergruppe heraus in die Kirche und spendete den Reisesegen für die Heimfahrt über Vilnius und Moskau nach Beresniki. Tiefen Eindruck machte es auf viele deutsche Vesper-Besucher, dass sich die Gläubigen aus Russland, jung und alt, beim Segen mit beiden Knien auf den Boden niederbeugten. Bei der Verabschiedung in der Hauskapelle von „Maria Trost“ konnte ich in Dankbarkeit von meinem Leben, vom Leben im Kloster Beuron und von den Segenswellen, welche nun schon seit sechs Jahren von Gnadenweiler ausgehen, erzählen. Gott segne diese russischen Pilger, Gott segne das russische Volk, Gott segne unser deutsches Volk, Gott erhalte den Frieden in ganz Europa – in Jesus und Maria!

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