Benedikt XVI. meldet sich zu Wort

Der Beweis für die Wahrheit des Christentums

Papst Benedikt XVI. ist emeritiert und hält sich vollkommen zurück. Doch nun hat er sich mit einer deutlichen Botschaft zu Wort gemeldet, in der es um die Frage der christlichen Mission geht. Anlass war die Entscheidung der Päpstlichen Universität Urbaniana, ihre Aula Magna im Zug einer Neugestaltung nach Benedikt XVI. zu benennen. Zur Wiedereröffnung am 21. Oktober 2014 trug Erzbischof Georg Gänswein die Botschaft Benedikts vor, die ohne Zweifel mehr ist als nur ein Grußwort. Der emeritierte Papst warnt davor, die christliche Mission durch Dialog ersetzen zu wollen. Wer auf die Wahrheitsfrage verzichte, töte den Glauben. Gleichzeitig gebe es ein klares Kriterium für den Wahrheitsgehalt einer Religion, nämlich die Liebe. Wie sie von den Heiligen verwirklicht worden sei, stelle einen wirklichen Beweis für die Wahrheit des Christentums dar. Im Blick auf die derzeitige Entwicklung der islamischen Welt erhält die Botschaft mit ihren Maßstäben höchste Aktualität.

Von Papst em. Benedikt XVI.

Aula Magna nach Benedikt XVI. benannt

Zunächst möchte ich meinen ganz herzlichen Dank dem Rector Magnificus und den anderen akademischen Autoritäten der Päpstlichen Universität Urbaniana, den Vertretern der Verwaltung und der Studenten für den von ihnen gemachten Vorschlag ausdrücken, die restrukturierte Aula Magna unter meinen Namen zu stellen. Mein ganz herzlicher Dank gilt besonders auch dem Großkanzler der Universität, Kardinal Fernando Filoni, dafür, dass er dieser Initiative zugestimmt hat. Es ist für mich eine große Freude, dass ich auf diese Weise in der Arbeit der Päpstlichen Universität Urbaniana immer mit gegenwärtig sein darf.

Das Prädikat „katholisch“ für die Kirche Jesu Christi gehört zum Glaubensbekenntnis

Bei den verschiedenen Besuchen, die ich dort als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre machen konnte, war ich immer beeindruckt von der weltweiten Atmosphäre dieser Universität, in der junge Menschen aus fast allen Ländern der Erde sich auf den Dienst des Evangeliums in der Welt von heute vorbereiten. So sehe ich auch heute die Gemeinschaft vieler junger Menschen vor mir, die in diesem Saal versammelt sind und uns die wunderbare Realität der katholischen Kirche lebendig spüren lassen. „Katholisch“ – dieses Prädikat der Kirche, das seit ältesten Zeiten dem Glaubensbekenntnis zugehört, hat etwas Pfingstliches an sich: Es erinnert daran, dass die Kirche Jesu Christi nie eine Sache eines einzelnen Volkes oder einer einzelnen Kultur gewesen ist, sondern von Anfang an für die Menschheit bestimmt war. „Macht alle Menschen zu meinen Jüngern“, hat der Herr als letztes Wort zu seinen Jüngern gesagt (Mt 28,19). Und in der Stunde von Pfingsten haben die Apostel in allen Sprachen gesprochen und so die innere Weite ihres Glaubens durch die Kraft des Heiligen Geistes darstellen können.

Der Prophet Sacharja hat die in der Eucharistie geeinte Weltkirche angekündigt

Seitdem ist die Kirche wirklich über alle Kontinente hin gewachsen. Eure Anwesenheit, liebe Studentinnen und Studenten, spiegelt die weltweite Gestalt der Kirche. Der Prophet Sacharja hatte ein messianisches Reich angekündigt, das von Meer zu Meer reichen und ein Reich des Friedens sein werde (Sach 9,9f). In der Tat, wo immer Eucharistie gefeiert wird und Menschen vom Herrn her ein Leib miteinander werden, ist etwas von dem Frieden Jesu Christi anwesend, den zu geben er seinen Jüngern versprochen hatte. Ihr, liebe Freunde, seid Mitträger dieses Friedens, den in einer zerrissenen und gewalttätigen Welt zu bauen und zu hegen immer noch dringender wird. Deshalb ist die Arbeit Eurer Universität so wichtig, in der Ihr Jesus Christus näher kennenlernen wollt, um zu seinen Zeugen werden zu können.

Der Missionsauftrag des auferstandenen Herrn wird vom II. Vaticanum bekräftigt

Der auferstandene Herr hat seine Apostel und durch sie hindurch die Jünger aller Zeiten damit beauftragt, sein Wort bis an die Enden der Erde zu tragen und die Menschen zu seinen Jüngern zu machen. Das II. Vaticanum hat, die Tradition aller Jahrhunderte aufgreifend, im Dekret Ad Gentes die inneren Gründe für diesen missionarischen Auftrag beleuchtet und ihn damit mit neuer Kraft in die Kirche von heute hineingesprochen.

Aber gilt das wirklich noch, so fragen sich viele Menschen heute innerhalb und außerhalb der Kirche? Ist Mission wirklich noch zeitgemäß? Ist es nicht angemessener, im Dialog der Religionen einander zu begegnen und miteinander dem Frieden in der Welt zu dienen? Die Gegenfrage lautet: Kann der Dialog die Mission ersetzen?

Der Verzicht auf die Wahrheit ist tödlich für den Glauben

 Viele Menschen sind heute in der Tat der Auffassung, die Religionen sollten einander gegenseitig respektieren und im Dialog miteinander zu einer gemeinsamen Kraft des Friedens werden. Bei solchen Auffassungen ist meistens vorausgesetzt, dass die verschiedenen Religionen Variationen ein und derselben Wirklichkeit seien; dass „Religion“ das gemeinsame Genus sei, das sich in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich gestaltet und dabei doch dieselbe Realität ausdrückt. Die Frage nach der Wahrheit, die die Christen ursprünglich vor allem bewegt hatte, wird hier ausgeklammert. Man setzt voraus, dass die eigentliche Wahrheit über Gott letztlich unerreichbar sei und dass nur in verschiedenen Symbolen allenfalls das Unaussprechliche vergegenwärtigt werden könne. Dieser Verzicht auf die Wahrheit scheint realistisch und dem Frieden der Religionen in der Welt dienlich. Aber sie ist zugleich tödlich für den Glauben. Denn er verliert seine Verbindlichkeit und seinen Ernst, wenn dies alles nur letztlich austauschbare Symbole sind, die nur von weitem auf das unzugängliche Geheimnis des Göttlichen verweisen.

Zwei Ausgangspunkte für die Beantwortung der Frage nach der Mission

Liebe Freunde, Ihr seht, dass uns die Frage nach der Mission vor die Grundfragen nicht nur des Glaubens, sondern des Menschseins überhaupt stellt. Im Rahmen eines kleinen Grußwortes kann ich diese Problematik, die uns alle heute zutiefst betrifft, selbstverständlich nicht auszuleuchten versuchen. Aber ich möchte doch eine Andeutung formulieren, in welche Richtung unser Denken gehen sollte. Ich tue es von zwei verschiedenen Ausgangspunkten her.

I. Die christliche Offenbarung bringt Licht in die Geschichte der Menschheit

1. Die Stammesreligionen warten im stillen auf die Begegnung mit Christus

Die allgemeine Vorstellung ist es wohl, dass die Religionen sozusagen nebeneinander stehen, wie die Kontinente und die einzelnen Länder auf der Landkarte. Dies trifft aber nicht zu. Die Religionen sind in einer geschichtlichen Bewegung, wie die Völker und Kulturen in Bewegung sind. Es gibt wartende Religionen. Die Stammesreligionen sind von dieser Art: Sie haben ihre geschichtliche Stunde und warten doch auf eine größere Begegnung, die sie ins Ganze hineinführt. Wir als Christen sind überzeugt, dass sie im stillen auf die Begegnung mit Jesus Christus warten – auf das Licht, das von ihm kommt und sie erst ganz zu ihrem Eigentlichen bringen kann. Und Christus wartet auf sie. Die Begegnung mit ihm ist nicht das Einbrechen eines Fremden, das die eigene Kultur und Geschichte zerstören würde. Sie ist vielmehr das Aufbrechen ins Größere hinein, auf das sie unterwegs sind. So ist diese Begegnung immer zugleich Reinigung und Reifung. Die Begegnung ist im übrigen durchaus zweiseitig. Christus wartet auf ihre Geschichte, deren Weisheit und Einsichten. Heute sehen wir auch noch einen anderen Aspekt immer deutlicher: Während das Christentum in den Ländern seiner großen Geschichte vielfach müde geworden ist und manche Äste des großen Baumes aus dem Senfkorn des Evangeliums verdorren und zur Erde fallen, bricht durch die Begegnung der wartenden Religionen mit Christus neues Leben auf. Neue Dimensionen des Glaubens zeigen sich und bringen Freude, wo vorher nur Müdigkeit gewesen war.

2. Der christliche Glaube muss zwischen Wesen und Unwesen der Religionen unterscheiden

Religion ist in sich kein einheitliches Phänomen. In ihr sind immer verschiedene Dimensionen zu unterscheiden. Da steht auf der einen Seite das Große des Aufbruchs über die Welt hinaus zum ewigen Gott hin. Auf der anderen Seite aber finden sich die Elemente, die aus der eigenen Geschichte der Menschen und ihrem Umgang mit der Religion entstanden sind. Darin kann durchaus Schönes und Ehrwürdiges enthalten sein, aber auch Niedriges oder gar Zerstörerisches, in dem die Eigensucht des Menschen sich der Religion bemächtigt und sie, statt zu öffnen, zur Verschließung ins Eigene umgestaltet hat. Deshalb ist Religion nie einfach nur ein positives oder negatives Phänomen, sondern beides ist vermischt in ihr. Die christliche Mission hat in ihren Ursprüngen in den heidnischen Religionen, auf die sie traf, vor allen Dingen deren negative Elemente sehr stark wahrgenommen. Aus diesem Grunde war die christliche Verkündigung zunächst extrem religionskritisch. Nur im Überwinden ihrer negativen Traditionen, die sie teils auch als dämonisch angesehen hat, konnte der Glaube seine erneuernde Kraft entfalten. Der evangelische Theologe Karl Barth hat von solchen Sachverhalten her Religion in Gegensatz zum Glauben gesetzt und sie durchaus negativ eingestuft – als selbstmächtiges Verhalten des Menschen, der von sich aus Gott zu ergreifen versucht. Dietrich Bonhoeffer hat diese Linie aufgenommen und für ein „religionsloses“ Christentum plädiert. Dies ist zweifellos eine einseitige Sicht, die so nicht aufgenommen werden kann. Richtig aber ist, dass jede Religion, um recht zu bleiben, immer auch zugleich religionskritisch sein muss. Dies gilt von seinen Ursprüngen und seinem Wesen her ganz klar für den christlichen Glauben, der einerseits in Ehrfurcht vor dem inneren Warten und dem inneren Reichtum der Religionen steht, andererseits aber auch kritisch das Negative sieht. Selbstverständlich muss christlicher Glaube auch gegen die eigene Religionsgeschichte immer wieder solch kritische Kraft entfalten. Für uns Christen ist Jesus Christus der Logos Gottes, das Licht, das uns hilft, zwischen Wesen und Unwesen der Religion zu unterscheiden.

3. Die Vernunft allein kann die ganze Größe menschlicher Existenz nie ausfüllen

In der Gegenwart werden die Stimmen lauter, die uns einreden wollen, dass Religion an sich überholt sei. Nur die kritische Vernunft dürfe das Handeln des Menschen bestimmen. Hinter solchen Auffassungen steht die Meinung, mit dem positivistischen Denken sei nun die Vernunft in ihrer ganzen Reinheit endgültig zur Herrschaft gekommen. In Wirklichkeit ist auch diese Art zu denken und zu leben historisch bedingt und an historische Kulturen gebunden. Sie als alleingültig zu betrachten, würde den Menschen verkleinern und ihm wesentliche Dimensionen seiner Existenz nehmen. Wo das Ethos in seinem über das Pragmatische hinausweisenden wahren Wesen und der Blick auf Gott keinen Raum mehr findet, ist der Mensch nicht größer, sondern kleiner geworden. Die positivistische Vernunft hat ihren Ort in den großen Handlungsfeldern von Technik und Wirtschaft, aber sie füllt nicht das Ganze des Menschseins aus. So kommt es uns, den Glaubenden, zu, immer wieder die Türen aufzustoßen über das bloß Technische und Pragmatische hinaus zur ganzen Größe unserer Existenz, zur Begegnung mit dem lebendigen Gott.

II. Die bezeugte Liebe ist der wirkliche Beweis für die Wahrheit des Christentums

1. Wir müssen die empfangenen Schätze der Wahrheit, der Liebe und der Freude weitergeben

Diese vielleicht etwas mühseligen Überlegungen sollten zeigen, dass auch heute in einer tiefgehend veränderten Welt der Auftrag sinnvoll bleibt, den anderen das Evangelium von Jesus Christus mitzuteilen. Es gibt aber auch eine zweite, einfachere Weise, diesen Auftrag heute zu begründen. Freude muss sich mitteilen. Liebe muss sich mitteilen. Wahrheit muss sich mitteilen. Wer eine große Freude empfangen hat, kann sie einfach nicht für sich behalten, er muss sie weitergeben. Das Gleiche gilt für das Geschenk der Liebe, für das Geschenk der Einsicht in Wahrheit, die einem aufleuchtet. Als Andreas Christus begegnet war, konnte er einfach nicht anders, als seinem Bruder zu sagen: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,41). Und Philippus, dem die gleiche Begegnung geschenkt war, konnte nicht anders, als dem Nathanael sagen, dass er den gefunden hatte, von dem Moses und die Propheten gesprochen hatten (Joh 1,45). Wir verkünden Jesus Christus nicht, um möglichst viele Mitglieder für unsere Gemeinschaft zu sammeln, und schon gar nicht, um auf diese Weise Macht zu erhalten. Wir erzählen von ihm, weil wir die Freude weitergeben müssen, die uns geschenkt wurde.

Überzeugende Verkünder Jesu Christi werden wir dann sein, wenn wir Ihm wirklich in der Tiefe unserer Existenz begegnet sind, wenn durch die Begegnung mit Ihm uns die große Erfahrung der Wahrheit, der Liebe und der Freude geschenkt worden ist.

2. Mission entspringt der gleichzeitigen Berührung mit Gott und seinen Geschöpfen

Zum Wesen der Religion gehört die innere Spannung zwischen der mystischen Hingabe an Gott, die sich ganz Ihm übergibt, und der Verantwortung für die Mitmenschen und für die Welt, die Gottes Geschöpf ist. Maria und Martha sind immer untrennbar, auch wenn die Akzente jeweils anders ausfallen können. Die Vermittlung, in der sich die beiden Pole treffen, ist die Liebe, in der wir Gott und seine Geschöpfe zugleich berühren. „Wir haben die Liebe erkannt und geglaubt“ (1 Joh 4,16): Dieser Satz drückt das wahre Wesen des Christentums aus. Die Liebe, die sich in den Heiligen aller Jahrhunderte auf vielfältige Weise realisiert und spiegelt, ist der wirkliche Beweis für die Wahrheit des Christentums.

Offizielle Stellungnahme des Vatikans

Gewalt besiegt man nicht mit Gewalt

Bereits am 12. August 2014 hat Jean-Louis Kardinal Tauran (Bild), seit 2007 Präsident des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog und Leiter der Päpstlichen Kommission für religiöse Beziehungen zu den Muslimen, die nachfolgende Erklärung zum sog. „Islamischen Staat“ veröffentlicht. Inzwischen wurde er noch deutlicher. Auch in Pakistan habe die Gewalt gegen Nichtmuslime eine nie gekannte Brutalität erreicht. Er rief die internationale Gemeinschaft zum Protest gegen das dort seit 1988 geltende Blasphemiegesetz auf. Am 4. November 2014 wurde das christliche Ehepaar Shabaz Masih und Shama Bibi, Eltern von vier Kindern, im Anschluss an einen Tötungsaufruf des Imams von Lahor über die Moschee-Lautsprecher von Arbeitskollegen grausam ermordet. Zwei Tage später sagte Tauran in Radio Vatikan: „Ich frage: Kann man angesichts solcher Verbrechen, die mit der Religion gerechtfertigt werden, passiv bleiben? Mir fehlen die Worte für eine so barbarische Tat. Nicht einmal Tiere verhalten sich so!“ Seit Monaten warte er vergeblich auf islamische Proteste gegen die eskalierende religiöse Gewalt in Pakistan. Es müsse vor allem im Interesse der Muslime selbst liegen, das so erzeugte Schreckensbild vom Islam in der Welt zu korrigieren. Dennoch gebe es, wie auch Papst Franziskus betone, zum Dialog mit der islamischen Welt keine Alternative.

Von Jean-Louis Kardinal Tauran

Bestürzung angesichts der Vorgänge im Nahen Osten

Die ganze Welt steht fassungslos vor der sog. „Wiederherstellung des Kalifats“, das am  29. Oktober 1923 von Kamal Atatürk, dem Gründer der modernen Türkei abgeschafft worden war.

Der Widerstand vonseiten der Mehrheit der religiösen Institutionen und muslimischen Politiker gegen diese „Wiedererrichtung“ hat die Dschihadisten des „Islamischen Staats“ nicht daran gehindert, unsägliche Verbrechen zu begehen und damit fortzufahren.

Unvorstellbare Vergehen gegen Gott und die Menschheit

Dieser Päpstliche Rat, all jene, welche sich für den interreligiösen Dialog engagieren, die Anhänger aller Religionen sowie alle Männer und Frauen guten Willens können nicht anders, als diese menschenunwürdigen Praktiken unzweideutig anzuprangern und zu verurteilen:

• das Massaker an Menschen allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit;

• die abscheuliche Praxis der Enthauptung, der Kreuzigung und des Aufhängens der Leichen an öffentlichen Plätzen;

• der Zwang für Christen und Jesiden, zu konvertieren, eine Sondersteuer (jizya) zu zahlen oder aber zu flüchten;

• die Vertreibung Zehntausender von Menschen, darunter Kinder, Alte, Schwangere und Kranke;

• die Entführung von Mädchen und Frauen aus jesidischen und christlichen Gemeinschaften als Kriegsbeute (sabaya);

• die Auferlegung der barbarischen Praxis der Infibulation;

• die Zerstörung christlicher und muslimischer Kultorte und Mausoleen;

• die gewaltsame Besetzung oder Entheiligung von Kirchen und Klöstern;

• das Entfernen von Kruzifixen und anderer religiöser Symbole von Christen sowie anderer religiöser Gemeinschaften;

• die Zerstörung christlich religiösen Kulturgutes von unschätzbarem Wert;

• die niederträchtige Gewalt mit dem Ziel, die Menschen zu terrorisieren und sie zu zwingen, sich auszuliefern oder zu flüchten.

Jahrhundertelanges Zusammenleben von Christen und Muslimen

Kein Grund kann solche Barbareien rechtfertigen und sicherlich nicht eine Religion. Es handelt sich um ein äußerst schwerwiegendes Vergehen gegen die Menschheit und gegen Gott, der der Schöpfer ist, wie Papst Franziskus oft in Erinnerung gerufen hat.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Christen und Muslime – zwar mit Höhen und Tiefen – es jahrhundertelang fertig gebracht haben, miteinander zu leben, wobei sie eine Kultur des Zusammenlebens und eine Zivilisation geschaffen haben, auf die sie stolz sind. Das ist auch die Basis, auf der in den letzten Jahren der Dialog zwischen Christen und Muslimen kontinuierlich vertieft worden ist.

Religion verliert jegliche Glaubwürdigkeit

Die dramatische Situation der Christen, der Jesiden und der anderen religiösen Gemeinschaften und ethnischen Minderheiten im Irak erfordert eine klare und mutige Stellungnahme vonseiten der religiösen Führer, vor allem der Muslime, der Personen, die sich im interreligiösen Dialog engagieren, und aller Menschen guten Willens. Alle müssen diese Verbrechen und die Berufung auf die Religion zu deren Rechtfertigung einhellig verurteilen. Wenn nicht, welche Glaubwürdigkeit haben dann die Religionen, deren Anhänger und deren Führer? Welche Glaubwürdigkeit kann der interreligiöse Dialog noch haben, den wir in den letzten Jahren geduldig verfolgt haben?

Religionsführer müssen sich für ein Ende der Verbrechen einsetzen

Die religiösen Verantwortlichen sind auch aufgefordert, ihren Einfluss auf die Regierenden auszuüben, um diesen Verbrechen ein Ende zu setzen, diejenigen, welche sie begehen, zu bestrafen und die Rechtsstaatlichkeit im ganzen Land wiederherzustellen, wobei allen Vertriebenen die Rückkehr in ihre Heimat gewährleistet werden muss. Während die Religionsführer selbst die Notwendigkeit einer Ethik bei der Gestaltung der menschlichen Gesellschaften in Erinnerung rufen müssen, kommen sie nicht umhin, die Unterstützung, die Finanzierung und die Ausstattung des Terrorismus mit Waffen als moralisch verwerflich zu brandmarken.

Papst Franziskus: „Gewalt besiegt man mit Frieden!“

Das heißt, der Päpstliche Rat für den interreligiösen Dialog dankt all denen, die bereits ihre Stimmen erhoben haben, um den Terrorismus, vor allem denjenigen zu verurteilen, der die Religion benutzt, um sich zu rechtfertigen.

Vereinigen wir also unsere Stimmen mit der von Papst Franziskus: „Möge der Gott des Friedens in allen den authentischen Wunsch nach Dialog und Versöhnung wecken. Gewalt besiegt man nicht mit Gewalt. Gewalt besiegt man mit Frieden!


Kardinal Cordes zum IS-Terror

„Den Teufel nicht mit Beelzebul austreiben“

Am 5. September dieses Jahres feierte der langjährige Präsident des Päpstlichen Rates „Cor Unum“, der deutsche Kurienkardinal Paul Josef Cordes, seinen 80. Geburtstag. In einem Interview mit Kirche heute blickt er auf seine Erfahrungen im Dienst der Weltkirche zurück und nimmt ausführlich zum IS-Terror im Nahen Osten Stellung. Doch bewegt ihn nicht nur das Szenarium im Nordirak und in Syrien, sondern auch dessen Auswirkungen auf Europa und unsere Gesellschaft. Er warnt davor, sich der Haltung dieser Welt anzupassen und nur mit Gegengewalt zu reagieren. Auch erteilt er einer zunehmenden Islamfeindlichkeit eine klare Absage. Als Christen sind wir berufen, das Böse im Geist des Evangeliums zu überwinden.

Interview mit Paul J. Kardinal Cordes

Kirche heute: Eminenz, 15 Jahre lang haben Sie den Päpstlichen Rat Cor Unum geleitet, den der selige Papst Paul VI. bereits 1971 ins Leben gerufen hatte. Was ist die Aufgabe dieser Einrichtung?

Kardinal Cordes: Entsprechend der Kompetenzverteilung des Apostolischen Stuhles, festgelegt in der Konstitution Pastor bonus von 1988, soll diese Abteilung der „Sorge der katholischen Kirche für die Bedürftigen Ausdruck geben, damit menschliche Brüderlichkeit und die Caritas Christi sichtbar“ wird; außerdem hat sie die „Katechese der Caritas“ zu inspirieren und zu orientieren.

Kirche heute: 1995 wurden Sie mit der Leitung beauftragt. Haben Sie in Ihrer doch sehr langen Dienstzeit dem Rat ein besonderes Gepräge gegeben?

Kardinal Cordes: Bis zu meiner Ernennung war die Leitung von Cor Unum der Präsidentschaft des „Rates für Gerechtigkeit und Frieden“ unterstellt. Mit mir erhielt nun der Rat unvorhergesehen einen eigenen Präsidenten, den ersten.

Kirche heute: Und worauf kam es Ihnen besonders an?

Kardinal Cordes: Bei der Arbeit in Cor Unum sah ich zunächst das große Engagement des Rates, Bedürftigen zu helfen. Das diakonische Werk der Kirche konnte ich nur bewundern. Aber ich kam ja von meiner Aufgabe im „Rat für die Laien“. Dort hatte ich unter den Geistlichen Bewegungen einen erstaunlichen Glaubensaufbruch erlebt. So fiel mir bald auf, dass der breite Fächer caritativen Engagements da und dort in seiner Kirchenverbundenheit kränkelte. Ich fragte mich: Müssten die Hilfswerke nicht stärker von der Vitalität des Erlösungswerkes Christi entzündet werden? Sie waren gewiss nicht in geistliche Neuaufbrüche des Vaticanum II umzufunktionieren. Doch brauchten sie sich von UNICEF und vom Roten Kreuz nicht zu unterscheiden? Hatten wir nicht in unserer Verwiesenheit auf Gottes Liebe und auf große geschichtliche Gestalten der Nächstenliebe – etwa der seligen Mutter Teresa – eine hoch kostbare Besonderheit? Schon bald bestätigte meine Teilnahme an einem Studienseminar, durchgeführt von der Sektion „Pastoral Socio-Caritativa“ (DEPAS) des Zusammenschlusses der Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen CELAM in Bogota/Kolumbien (November 1996), die Berechtigung solcher Fragen. Ich erlebte eine politisierte Zusammenkunft, in der die Glaubenselemente stark zurücktraten.

Kirche heute: Können Sie noch ein wenig genauer beschreiben, worin Sie das Problem gesehen haben?

Kardinal Cordes: Wohl ist der Dienst am Notleidenden in der Gesellschaft heute ein wichtiger Grund für die Hochschätzung der Kirche. Linderung der menschlichen Not ist ja ein Kriterium engagierten Christseins. Darüber können sich die Glieder der Kirche nur freuen. Aber gelegentlich wird bei der Sorge um die Armen Jesu Wort und Beispiel vergessen. Christliche Nächstenliebe verdünnt sich zur weltlichen Philanthropie, zu einem edlen Zug gehobenen Menschseins. Das ist in sich nicht schlecht, aber eine Verarmung Gott-verbundener zu selbstloser Liebe. So musste dringend Jesu Doppelgebot der Nächsten- und der Gottesliebe wieder akzentuiert werden (vgl. Mk 12,28-31). 

Kirche heute: Wie kann die katholische Kirche überhaupt humanitäre Hilfe auf Weltebene koordinieren?

Kardinal Cordes: Die Aufgabe unserer Abteilung war nicht vorrangig die Koordination des Einsatzes gegen Hunger und Elend. Diesem Ziel dienen die zahlreichen Strukturen und Institutionen auf der Ebene der Bischofskonferenzen oder in kontinentalen Zusammenschlüssen – etwa Caritas Afrika oder DEPAS für Lateinamerika und vor allem die Caritas Internationalis. Cor Unum hat hingegen den Auftrag, zu „inspirieren“ und im Namen des Papstes gelegentlich konkrete Zeichen zu setzen.

Kirche heute: Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Kardinal Cordes: Ich habe etwas Interessantes erfahren: Die Notleidenden werden nicht selten stärker ermutigt in ihrer Hoffnung und im Willen zum Wiederaufbau durch die Tatsache, dass gerade der Papst sie nicht allein lässt, als durch den Geldbetrag, der auf dem Scheck steht. Hier zeigt sich die auch psychologische Kraft des gemeinsamen Glaubens. Und es bewährt sich ein Satz, welcher schon in der frühen Kirche Gemeingut der Christen war: „Rom hat den Vorsitz in der Nächstenliebe“. 

Kirche heute: Wie kann Rom diesen Vorsitz ausüben?

Kardinal Cordes: Zum Beispiel in Sondersituationen: So trafen sich etwa am 30. Mai 2014 in Rom 25 Hilfsorganisationen, die im Mittleren Orient und in einigen Nachbarstaaten tätig sind. In einer Privataudienz richtete der Papst eine Botschaft an sie. Der Kardinal-Staatssekretär führte in die Gespräche ein. Die Arbeit bezog sich auf drei Bereiche: die Nöte in Syrien, die der Nachbarländer und Vorkehrungen für die Zukunft.

Kirche heute: Haben Sie selbst Krisen- oder Katastrophengebiete besucht?

Kardinal Cordes: Natürlich! Und irgendwann habe ich angefangen, die Länder zu vermerken. Es gibt eine größere Anzahl. Ich kann die Ziele meiner Reisen stichpunktartig nennen:

• Kolumbien: Erdbeben (20. November 1996);

• Kuba: Begegnung mit Caritas u. Regierungsrepräsentanten (18. März 1998);

• Mittelamerika: nach dem Wirbelsturm „Mitch“ Treffen mit den geweihten Hirten der Ortskirchen von Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua   (27. November - 5. Dezember 1998);

• Taiwan: Erdbebenopfer (11.-18. Januar 2000);

• Mozambique: Flutkatastrophe (9.-12. März 2000);

• El Salvador: Besuch der Erdbebenopfer (22.-27. Januar 2001);

• Panama und Peru: Begegnung mit Caritas-Mitarbeitern und Verantwortlichen (19.-22. Juli 2001);

• Uganda: Hilfe im Kampf gegen AIDS (25.-30. Oktober 2002);

• Hl. Land: Begegnung mit Opfern des Terrorismus (7.-10. November 2002);

• Ukraine : Förderung der caritativen Zusammenarbeit zwischen lateinischen und griechischen Katholiken (2.-3. Dezember 2002);

• Vietnam: Begegnung mit Christen und Caritashelfern (14.-20. Januar 2003);

• Kolumbien, Kolumbianische Bischofskonferenz (12.-19. Mai 2003);

• Irland (8.-10. Juli 2003);

• Irak: Nach der Erklärung des Kriegsendes durch Präsident Bush (28. Mai - 3. Juni 2003);

• Haiti und Dominikanische Republik: Flutopfer der Überschwemmung in „Rio Soleil“ (19.-25. Juni 2004);

• Südostasien: Opfer des Tsunami (29. Januar - 4. Februar 2005);

• New Orleans: „Katrina“-Überschwemmung (10. September 2005).

Kirche heute: Sie haben bereits den Nahen Osten angesprochen. Zurzeit blickt die Welt voller Entsetzen auf den Nordirak und Syrien. Wie beurteilen Sie auf dem Hintergrund all dessen, was Sie erlebt haben, die dortigen Vorgänge, insbesondere den IS-Terror und seine Folgen?

Kardinal Cordes: Da ist einmal die Flut von Nachrichten von dem Vormarsch des „Islamischen Staates“ (IS). Der IS hat mittlerweile große Gebiete in Irak und Syrien unter seine Kontrolle gebracht und durch brutale Gewaltakte nicht nur an westlichen Geiseln auf sich aufmerksam gemacht. Offenbar verfügt er auch über „deutsche Brigaden“, denn aus Deutschland reisten gleichfalls junge Idealisten dorthin, um sich für das Töten ausbilden zu lassen.

Am stärksten tun sich bei dem Terror neo-islamische Fundamentalisten hervor, die Salafisten. Sie machten in unserm Land erst kürzlich mit großem Getöse auf sich aufmerksam. Schon seit längerer Zeit hatten sich Hooligans untereinander über das Internet kontaktiert, mit dem Ziel, „etwas gegen Salafisten zu tun“. Zunächst geschah dies in einem nichtöffentlichen Internetforum mit dem Titel: „Deutsche, die sich was trauen“. Dann organisierte man sich unter dem Logo: „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa). Man putschte Fanatiker und Gewaltbereite gegen alles Muslimische in Deutschland auf. Gleichzeitig – und das war neu – solidarisierten sich Hooligans mit Gruppen des Rechtsextremismus. Wie bekannt, kam es dann jüngstens in Köln bei Demonstrationen zu spektakulären gewaltsamen Zusammenstößen.

Kirche heute: Helfen Sie unserm Gedächtnis etwas auf…

Kardinal Cordes: Die heftigen Ausschreitungen ergaben sich am 26. Oktober in Köln, als Hooligans auf Salafisten trafen und die beiden Gegner mit ihren mehr als 4.000 Teilnehmern aufeinander einschlugen. Dutzende Demonstranten schleuderten Böller, Flaschen und Steine auf die Polizei, die mit Pfefferspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken reagierte. Gleichzeitig wurden am Rande der Demonstration Passanten und Journalisten angepöbelt und angegriffen.

Die Öffentlichkeit war geschockt. Solches Aufmerken kann nur hilfreich sein. Doch wir Christen wissen, dass man „den Teufel nicht mit Beelzebul austreiben“ kann. Wer das Zuschlagen der HoGeSa auf die Islamisten als gesellschaftliches Alarmzeichen einfach nur gutheißt, denkt nicht im Sinn des Evangeliums. Er leitet außerdem das Wasser den Rechts-Radikalen auf ihre Mühlen oder erhofft sich gar eine generelle Zunahme von Islam-Feindlichkeit. Als Kirche dürfen wir uns nicht auf so oberflächlich-politische Konsequenzen einlassen. 

Kirche heute: Und was ist Ihrer Ansicht nach zu tun? Wie sollte man als Christen diesen Gewaltausbrüchen begegnen?

Kardinal Cordes: Die Gewaltausbrüche sind fraglos ein Alarmsignal. Die Ordnungskräfte widersetzen sich und wir sind froh, dass es sie gibt und dass sie sich für unser aller Sicherheit einsetzen. Die Ursachen der Exzesse liegen jedoch tiefer und sie sind nicht mit Wasserwerfern und Pfefferspray zu bannen. Gesellschaft und Staat haben eine fundamentale Erneuerung vor sich: Wie können junge Menschen, die im modernen Umfeld aufwachsen, für die Nächstenliebe, für ein christliches Menschenbild, für das Eingeständnis von persönlicher Schuld und für die Bereitschaft für Vergebung gewonnen werden? Für eine Vielzahl der Medien ist Gott ein Fremdwort und das Christentum ein rotes Tuch. Die Stimmen der Kirchen sind leise oder werden leise gestellt. Wer trägt bei zur Verinnerlichung von Werten? Sie beginnt im privat-persönlichen Raum, der freilich den Schutz der Öffentlichkeit braucht. Sie ist für Christen, zu denen sich ja immer noch zwei Drittel unseres Volkes zählen, gebunden an die Person Jesu Christi und an den kirchlichen Glauben.

Kirche heute: Wie könnte eine solche Erneuerung gelingen?

Kardinal Cordes: Kleine Schritte gelingen anspruchsvollen Zusammenschlüssen innerhalb des Christentums. In ihnen erfahren Heranwachsende die Freude am Christsein: aktive Pfarrgemeinden, Gruppen der Geistlichen Bewegungen wie der Charismatiker, des Neukatechumenats, der Schönstatt-Familie, der Jugend 2000 etc. Die Appelle der letzten Päpste zur Neuevangelisierung bleiben hochaktuell.

Kirche heute: Ist es das, was Sie dem IS-Terrorismus entgegenstellen möchten?

Kardinal Cordes: Eine neue Vitalität des Glaubens wäre einem blutigen Jihad weit überlegen. Und sie erfüllt und erfreut die Apostel.

Kirche heute: Wie kommt es Ihrer Meinung nach dazu, dass sich so viele junge Menschen auch in Europa von der Bewegung des IS angesprochen fühlen?

Kardinal Cordes: Die Wurzeln eines Teils der Terrorgruppen liegen bei islamischen Fanatikern. Sie kamen aus dem salafistischen Milieu und man beteiligte sich in unterschiedlicher Form an den militärischen Auseinandersetzungen und an unvorstellbaren Grausamkeiten. Dabei scheint seltener das Streben nach dem sog. Märtyrertod die ausschlaggebende Motivation für die idealistischen Neuzugänge zu sein, sondern zumeist eine angebliche Verpflichtung des Koran.

Kirche heute: Wie müsste in dieser entscheidenden Stunde der Weltgeschichte der Beitrag der katholischen Kirche für den „Aufbau einer Zivilisation der Liebe und des Friedens“ aussehen?

Kardinal Cordes: Als Kirche und als Christen obliegt es uns vor allem, die Ereignisse in Staat und Gesellschaft nüchtern wahrzunehmen und sie mit Klugheit sowie im Geist des Glaubens zu prüfen und zu beeinflussen. Gegebenenfalls müssen wir auch gegensteuern. Wir sind gerufen, nicht einfach „mit dem Strom zu schwimmen“, sondern die „Geister zu unterscheiden“. Männer und Frauen sind gefragt, die nicht dem „Geist der Welt“ folgen, sondern Wege zum Leben zeigen – aus Gott-Verbundenheit und durch Eintreten für seinen Willen. Das schließt den Kampf gegen die Not und für eine gerechte soziale Ordnung ein.

Kirche heute: Denken wir konkret an den Irak. Wie kann es dort weitergehen?

Kardinal Cordes: Ich bin selbst im Irak gewesen, als Präsident Bush den Krieg schönredend für beendet erklärt hatte. Papst Johannes Paul II. hatte mehrfach selbst öffentlich vor einer Intervention gewarnt. Er sandte mich 2003 nach Bagdad – nach dem angeblichen Kriegsende: Ich sollte eine Trostbotschaft bringen. Damals war ich auch im Norden in Mossul, der zweitgrößten Stadt, wo damals noch viele Christen lebten. Im vergangenen Juni sind auch die letzten Getauften aus ihr geflohen. Einheiten der Miliz nahmen die Millionenstadt und die umliegende Provinz Ninive ein.

Papst Franziskus machte am 10. August dieses Jahres nach dem „Angelus-Gebet“ einen dramatischen Appell. Er zählte knapp die ganze Grausamkeit auf, die die Bevölkerung erleiden muss: „Tausende von Menschen, unter ihnen viele Christen, die in brutaler Weise aus ihren Häusern vertrieben werden; Kinder, die auf der Flucht verdursten und verhungern; sequestrierte Frauen; niedergemetzelte Personen; Vergewaltigungen aller Art; Zerstörung der Häuser, des religiösen, historischen und kulturellen Erbes. All das beleidigt auf Schwerste Gott und beleidigt auf Schwerste die Menschheit. Man verbreitet nicht Hass im Namen Gottes! Man führt keinen Krieg im Namen Gottes! Angesichts dieser Lage und im Blick auf diese Menschen wollen wir jetzt still werden und beten.“ Der Papst dankte dann allen, die den Betroffenen Hilfe brachten, rief die Politiker zu wirksamer Intervention auf und kündigte an, Kardinal Filoni aus dem Vatikan in seinem Namen in den Irak zu entsenden, damit dieser der gequälten Bevölkerung die persönliche Nähe des Papstes zusichere.

Kirche heute: Wie kann die Kirche außer durch Appelle und Gebet den Christen im Nahen Osten helfen?

Kardinal Cordes: Vom 28. bis 31. Oktober war der Sekretär des Rates Cor Unum, Mons. Dal Toso, im Irak. Nach seinem Bericht kam die im Mai initiierte Hilfe der katholischen Organisationen ca. 2.200.000 Menschen in Syrien und den Nachbarländern zugute. Die wichtigsten Felder der Unterstützung: Nahrung, Gesundheit, Wohnraum, Erziehung und Schule, psycho-sozialer und rechtlicher Beistand, Hilfe für alte Menschen. Neben der Caritas engagieren sich eine große Zahl von Hilfswerken: die Vinzenzkonferenzen, der Malteser-Orden, das katholische Flüchtlingswerk, Kirche in Not, Misereor, Manus unidas (Spanien) und andere. Eine besondere Beachtung verdient Catholic Relief Services, die Caritas der Vereinigten Staaten.

Kirche heute: 2010 haben Sie Ihre Verantwortung für Cor Unum in die Hände Ihres Nachfolgers Robert Kardinal Sarah übergeben und nun zu Ihrem 80. Geburtstag am 5. September dieses Jahres einen Rückblick auf Ihr Leben und Wirken veröffentlicht. Was hat Sie zu dieser Biographie bewogen? 

Kardinal Cordes: Vor Jahren schon hatte mir ein Buch-Verleger den Floh ins Ohr gesetzt, einen schriftlichen Rückblick auf mein Leben zu machen. So habe ich dann jetzt meine Biographie auf den Markt gebracht („Drei Päpste – mein Leben“, Herder, Freiburg).[1] Wenn ich mich nach längerem Zögern und mit Befangenheit durchgerungen habe, über mich selbst zu sprechen, so bewegten mich zwei Motive: dass Gott in meinem Leben so manche überraschende Dinge passieren ließ und aus einem Zick-Zack-Kurs eine logische Lebenslinie machte – und dass ich eine für mich ganz wichtige Erfahrung weitergeben wollte: Die Nachfolger des hl. Petrus – die „drei Päpste“, die ich aus der Nähe erlebte – sind keine repressiven Exponenten eines knall-harten Systems. Sie sind sensible Menschen mit Fleisch und Blut, deren Glaube gewinnend ist und die unsere Zuneigung verdienen.

Kirche heute: Wofür sind Sie Gott in Ihrem Leben am meisten dankbar?

Kardinal Cordes: Für die Berufung zum Priestertum. Ich bin nicht immer nur „auf Wolken“ gegangen. Aber der priesterliche Dienst hat mir unübersehbar die Kraft des Evangeliums und der Gnade Gottes im Menschen gezeigt. So erlebte ich immer wieder neu, wie der Glaube an Christus auch andere Menschen froh machte, und ich bin dankbar, der „Freund des Bräutigams“ sein zu dürfen, der dabeisteht und die „Stimme des Bräutigams“ hört – wie es der Täufer Johannes im Evangelium von sich sagt.

Kirche heute: Eminenz, von Herzen danken wir Ihnen für dieses wertvolle Gespräch. Wir empfehlen unser Apostolat Ihrem bischöflichen Segen und werden Sie auch gerne in unser Gebet einschließen.

Interview: Pfr. Erich Maria Fink


[1] Paul J. Kardinal Cordes: Drei Päpste – mein Leben, 336 S., Euro 19,99. Zu bestellen: Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5 oder mit E-Mail unter: buch@media-maria.de  – www.media-maria.de

Religiöse Pluralität verstehen und gestalten

Katholische Theologie im Angesicht des Islam

Am 24. Oktober 2014 wurde an der Jesuitenhochschule Sankt Georgen eine Stiftungsprofessur eingerichtet. Der neue Lehrstuhl trägt die programmatische Bezeichnung „Katholische Theologie im Angesicht des Islam“. Als Zugang zum interreligiösen Dialog wurde also bewusst konfessionelle „Theologie“ und nicht Religions- oder Islamwissenschaft gewählt. Unter Teilnahme von Kurienkardinal Jean-Louis Tauran wurden gleichzeitig die neuen Geschäftsräume der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO), einer Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz, eingeweiht. Erzbischof Dr. Ludwig Schick (Bamberg), der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, hebt die Bedeutung dieses Ereignisses angesichts der weltweiten Spannungen hervor.

Von Erzbischof Ludwig Schick

Wir fordern eine klare Distanzierung von Gewalt

Der Dialog mit den Muslimen und die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islam ist derzeit nicht leicht und stockt auch vielerorts. Politische und kriegerische Ereignisse, die im Namen des Islam vor allem im Nahen Osten, aber auch in Afrika geschehen und die Weltgemeinschaft erschrecken, stellen uns vor große Fragen, Herausforderungen und Aufgaben im islamisch-christlichen Dialog. Nostra aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils bleibt verbindlich. Die Kirche will und kann sich durch diese schrecklichen Geschehnisse in ihrem Bemühen um Verständigung und Frieden nicht beeinträchtigen lassen. Wir fordern aber auch, dass unsere islamischen Gesprächspartner den Dialog mit uns verstärkt fortsetzen. Dazu gehört auch die klare Distanzierung von Mord, Gewalt, Krieg, Terror und Verletzung der Menschenrechte im Namen der Religion.

Christen und Muslime begegnen sich heute überall

Der islamisch-christliche Dialog muss fortgesetzt werden um der Zukunft von uns allen willen. Die Migrationsbewegungen im Zeitalter der Globalisierung haben in Europa und auch andernorts die Religionen zusammengebracht. Heute begegnen sich überall auf allen Ebenen, auch im Alltag, Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit; hier bei uns sind es mehrheitlich Muslime und Christen, die Angehörigen der größten Religionen auf der Welt.

Wir dürfen und wollen die religiöse Pluralität nicht nur stumpf und unbewusst ertragen, sondern verstehen und gestalten. Wir wollen die Religionen als Quelle des Friedens in versöhnter Verschiedenheit erachten und nutzen. Dazu müssen wir bestrebt sein, die Religion der Nachbarn zu begreifen und einen kontinuierlichen Dialog der Wahrheit und der Liebe in Klugheit zu führen.

Wir müssen uns als Christen für den Dialog rüsten

Dafür müssen auch wir Christen lernen, uns selbst im Angesicht des Islam neu und besser zu verstehen. Das Verstehen der anderen und das Verstehen unserer selbst als Christen gehen Hand in Hand und durchdringen sich gegenseitig. Fruchtbarer Dialog setzt Gleichberechtigung und auch gleichstarke Partner, Partner auf Augenhöhe, voraus. Dazu müssen wir Christen, vor allem in Deutschland und Europa, im Wissen, im Bekenntnis und in der religiösen Praxis neu gefestigt werden.

Die neuerrichtete Stiftungsprofessur „Katholische Theologie im Angesicht des Islam“ soll ihr Augenmerk auf diese Gegebenheiten richten. Sie soll unter anderem folgende Fragen stellen und beantworten: Wie müssen, können, dürfen wir als Kirche und Christen uns selbst verstehen in der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Islam? Was bedeuten die Erfahrungen und die Theologie der Muslime, die uns heute so nahe sind wie nie, für die theologische, spirituelle und lebenspraktische Entfaltung des christlichen Glaubens? Was ist hier – in Aneignung und Kritik – für die christliche Theologie und Praxis zu lernen?

Der christliche Wahrheitsanspruch soll fundiert werden

Mit Hilfe der neuen Professur will der Orden der Jesuiten an der Hochschule Sankt Georgen dazu beitragen, unseren katholischen Glauben gewissermaßen unter den Augen unserer muslimischen theologischen Gesprächspartner in neuer Weise zu bedenken. Ein solcher Ansatz soll zu einer tieferen Reflexion unseres Glaubens und zu seiner neuartigen und zugleich vertieften Fundierung führen. So kann uns dieses wissenschaftliche Projekt helfen, unseren christlichen Wahrheitsanspruch gerade auch im Gegenüber zum Islam vertieft zu denken und unter den Gegebenheiten des Dialogs mit dem Islam neu zu formulieren und zu vertreten. Dies ist ein weiterführender und mutiger Ansatz, der – so hoffen wir – auch über manche Stereotypen des christlich-muslimischen Gesprächs, die nicht weiterbringen, hinausführen wird.

Was wir uns dabei gewiss auch wünschen, ist, dass muslimische Theologen, die derzeit an den neu gegründeten islam-theologischen Zentren in unserem Lande herangebildet werden und denen wir auf dieser erneuerten Grundlage begegnen wollen, sich ihrerseits ermutigt sehen, in neuer Weise – nämlich „im Angesicht des Christentums“ – an der Rezeption ihrer heiligen Überlieferungen zu arbeiten und auf neuer Grundlage das Gespräch mit uns Christen darüber zu führen.

Pater Professor Christian Troll, Frau Professorin Rotraud Wielandt und Pater Professor Felix Körner haben hier in Sankt Georgen wichtige Vorarbeiten für die Errichtung des neuen Lehrstuhls geleistet und für das Konzept, das ihm zugrunde liegt, viele wichtige Überlegungen eingebracht. Juniorprofessor Dr. Tobias Specker SJ tritt nun die Stiftungsprofessur „Katholische Theologie im Angesicht des Islam“ an.

Christlich-Islamisches Begegnungs- und Dokumentationszentrum

Seit über drei Jahrzehnten ist das „Christlich-Islamische Begegnungs- und Dokumentationszentrum“ (CIBEDO) tätig, um den christlich-islamischen Dialog zu fördern. Es ist für alle, die sich ernsthaft und intellektuell redlich mit dem Islam beschäftigen wollen, zu einer unverzichtbaren Adresse in den Angelegenheiten des christlich-muslimischen Dialoges geworden. Von den Weißen Vätern gegründet, ist CIBEDO heute eine bewährte Arbeitsstelle der Dt. Bischofskonferenz.

Dr. theol. Timo Güzelmansur wurde in Antiochien, in dem bis heute zum Teil arabisch geprägten Teil der Türkei, geboren, wo nach der Apostelgeschichte die Anhänger Jesu erstmals als Christen bezeichnet wurden (vgl. Apg 11,26). Über das Studium der katholischen Theologie legte er einen bemerkenswerten Weg bis hin zur Übernahme der Leitung der CIBEDO für den Dialog mit dem Islam am 1. Februar 2012 zurück. Ich wünsche ihm wie auch Pater Professor Specker, dass Gott sie auf ihren Wegen im Dienste seines Reiches „der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude“ (vgl. Röm 14,17) weiterhin begleiten und ihr Tun im christlich-muslimischen Dialog reichlich segnen möge.

500 Jahre Spaltung dürfen uns nicht gleichgültig sein

Damit die Welt glaubt!

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Reinhard Kardinal Marx, hat am 9. November 2014 an der siebten Tagung der 11. Synode der EKD in Dresden teilgenommen. Im Namen der katholischen Kirche in Deutschland richtete er nachdrückliche Worte an die Synodenteilnehmer. Auszüge aus seiner Ansprache.

Von Reinhard Kardinal Marx

Reichspogromnacht ist bleibendes Mahnmal

Der 9. November ist ein denkwürdiger Tag in der Geschichte Deutschlands. Die Erinnerung an die Reichspogromnacht des 9. November 1938 muss ihren festen Platz in der Gedächtniskultur Deutschlands behalten. Sie erfüllt uns mit Scham und Trauer, und zugleich ist sie bleibendes Mahnmal, jeglicher Form von Antijudaismus und Antisemitismus beherzt entgegenzutreten. Dies muss ein gemeinsames Anliegen der Christen sein. Deshalb war es auch gut, dass die Dt. Bischofskonferenz und die EKD die Kundgebung des Zentralrates der Juden gegen Antisemitismus am 14. September 2014 in Berlin unterstützt haben.

Mauerfall vor 25 Jahren verdankt sich der Kraft des Glaubens

Mit dem 9. November verbindet sich auch eine freudige Erinnerung. Heute vor 25 Jahren fiel die Mauer, und wir sollten immer wieder dankbar sein für das großartige Geschenk der Wiedervereinigung. Seither ist nicht alles geradlinig und positiv verlaufen, und manchmal brauchen Mauern in den Köpfen länger, bis sie einstürzen, als Mauern aus Steinen. So kann bisweilen in Vergessenheit geraten, dass das Ende der DDR vielen Menschen bis dahin verwehrte Freiheiten gebracht und neue Chancen eröffnet hat. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung – so könnte man sagen. Ein wirkliches Gemeinwesen zu bauen, bleibt eine ständige Aufgabe. Auch für die Kirchen stellt sich diese Herausforderung in besonderer Weise; hatten sie doch einen wesentlichen Anteil an der friedlichen Revolution, die schon im September 1989 im Anschluss an die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche ihren Anfang nahm. Gestern und heute erinnert die Deutsche Bischofskonferenz in Berlin mit einer Diskussionsveranstaltung, einer Eucharistiefeier und einem Konzert an den 25. Jahrestag des Mauerfalls und verdeutlicht damit, dass der christliche Glaube eine treibende Kraft für die Einheit Europas, für Freiheit und Würde des Menschen war und ist.

Erinnerung an eine andere Trennungsgeschichte seit 500 Jahren

Das Jahr 2017, in dem die evangelischen Christen des 500. Jahrestages der Reformation gedenken, erinnert an eine andere Trennungsgeschichte, die durch die Spaltung der abendländischen Kirche ausgelöst wurde. Es stimmt hoffnungsvoll, dass mit dem 500. Jahrestag der Reformation erstmals ein Reformationsgedenken im Zeitalter der Ökumene stattfindet. Die Ökumenische Bewegung, die vor 100 Jahren entstanden ist, hat uns näher zueinander geführt und erkennen lassen, wie tief wir in unserem Glauben miteinander verbunden sind. 2017 berührt auch Katholiken, gerade weil wir uns in der Ökumene so nahe gekommen sind und weil wir, durch das sakramentale Band der Taufe geeint, zu dem einen Leib Christi gehören. Wir sind eins in Christus, und das ist Gabe und Aufgabe zugleich. Es fordert uns heraus, unsere Einheit immer deutlicher sichtbar werden zu lassen. In diesem Sinn kann das vor uns liegende Reformationsgedenken Ansporn und Chance sein, weiter auf dieses Ziel hin zu arbeiten.

Katholische Kirche hält unumkehrbar am ökumenischen Weg fest

Das Zweite Vatikanische Konzil hat im Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio, dessen Verabschiedung sich in wenigen Tagen zum 50. Mal jährt, die außerhalb der katholischen Kirche entstandene Ökumenische Bewegung als ein vom Heiligen Geist gewirktes Instrument zur Wiederherstellung der Einheit aller Christen gewürdigt. Mit dem Konzil hat die katholische Kirche sich unumkehrbar das ökumenische Anliegen zu Eigen gemacht. Vieles wurde in den zurückliegenden Jahren erreicht. Auch hier gilt: Wir dürfen dafür dankbar sein, auch wenn noch nicht alle Differenzen beseitigt und alle offenen Fragen beantwortet sind. Wir sind gemeinsam auf dem Weg. In unserem kürzlich veröffentlichten Wort zur Ökumene haben wir katholischen Bischöfe bekräftigt, diesen Weg fortzusetzen, und wir haben die Gläubigen dazu ermutigt, mit uns für die volle Einheit zu beten und zu wirken, damit sich der Auftrag Jesu Christi erfüllt: Alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt (Joh 17,21).

Das Flüchtlingsproblem verlangt unser gemeinsames Zeugnis

Die Frage, wie wir unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen die Frohe Botschaft verkünden und von der frohmachenden, befreienden und orientierenden Kraft des Evangeliums glaubwürdig Zeugnis geben können, beschäftigt auch die Deutsche Bischofskonferenz. Bezeichnenderweise hat Papst Franziskus sein erstes Apostolisches Schreiben der Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute gewidmet und damit die Dringlichkeit dieser Frage unterstrichen. In unserer Gesellschaft ist der Glaube an Gott alles andere als selbstverständlich. Umso wichtiger ist es, dass wir als Christen gemeinsam Zeugnis davon geben, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, um uns das Leben in Fülle zu schenken. Jesu Leben und Sterben für uns verpflichtet zur Solidarität mit dem Nächsten, insbesondere mit den Schwachen und Notleidenden. Dazu gehören ganz aktuell auch die vielen Flüchtlinge, die ihre von Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen geschüttelten Heimatländer verlassen müssen und bei uns Zuflucht suchen. Der Einsatz für die, die keine eigene Stimme haben, wird umso größere Wirksamkeit entfalten, je mehr wir uns in geschwisterlicher Verbundenheit zum Sprachrohr für sie machen, Hilfe leisten und auf Hilfe drängen.

Die wahre Bedeutung von Weihnachten

Triumph über das Dunkel der Welt

Erzbischof Dr. Karl Braun lädt dazu ein, sich nicht von einer oberflächlichen Festatmosphäre in Bann ziehen zu lassen, sondern zum Wesentlichen der heiligen Weihnacht vorzustoßen. Allein das göttliche Licht von Bethlehem vermag die Nacht dieser Welt zu durchbrechen und endgültig zu überwinden. Ergreifen wir angesichts von Terror und Unheil in kühnem Glauben die siegreiche Liebe des Erlösers!

Von Erzbischof em. Karl Braun

Was ist das Wesentliche an Weihnachten? Für die meisten Menschen sind es Dinge wie Mitmenschlichkeit und Herzenswärme, Schenken und Gutsein, Familie und Kinder. Ohne Zweifel passt all dies wunderbar zur Geburt des Herrn. Doch die Ereignisse, die in diesen Tagen die ganze Welt erschüttern, lassen uns das Geheimnis der heiligen Weihnacht tiefer verstehen. Den Schlüssel dazu bietet uns ein alttestamentlicher Schrifttext, der in die weihnachtliche Liturgie Eingang gefunden hat. Gleich zweimal bildet er den Eröffnungsvers, nämlich am 6. Tag der Weihnachtsoktav und am 2. Sonntag nach Weihnachten.

„Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron“ (Weish 18,14f.)

In der Mitte der Nacht

„Als die Nacht bis zur Mitte gelangt war …“: Weihnachten ist eine Feier der Nacht. Zu ihr gehört das Dunkel, wie auch das Licht zu ihr gehört. Weihnacht ist geweihte Nacht.

Nur zwei Feste der Christenheit werden nachts gefeiert: Weihnachten und Ostern. Es sind dies die beiden Feste, die grundlegend den Charakter und den Lauf der Welt geändert haben.

Die Nacht gehört zu unserem Leben. So sehr wir es versuchen, gelingt es uns doch nicht, die Nächte in Tageshelle zu verwandeln. Vor allem die innere Nacht, für die alles im Dunkel versinkt, hat ihren Schrecken behalten. Nichts ist so schwer für den Menschen wie das innere Dunkel, in das er ohne persönliches Zutun, aber auch durch eigene oder fremde Schuld geraten kann und mit dem er allein bleibt. Daneben sind es besonders die Nächte der durch die Sünde verfinsterten Weltgeschichte. Tagtäglich werden wir Zeugen dafür, dass sie nicht aufgehört haben, die Menschen zu ängstigen. Es sind die Krisenherde in der weiten Welt, aber nicht weniger die furchtbaren Verbrechen gegen das Leben wie die millionenfache Tötung ungeborener Kinder im Mutterschoß. Finsternis liegt über unseren verfolgten Mitchristen in islamisch beherrschten Ländern, unter kommunistischen Diktaturen und in Gebieten des hinduistischen Extremismus. Nacht herrscht in den menschenverachtenden Zonen des Terrors, der Gewalt und des Elends in aller Welt. Ratlosigkeit und Resignation breiten sich aus. Sorgen und Ängste, Unfälle und Krankheit, Streit und Krieg machen auch am Weihnachtsfest keine Pause.

Es ist das Vorrecht des Kindes, sorglos Weihnachten zu feiern. Der reife Mensch weiß um die Nächte, die bleiben. Er hat nur die Wahl, die Hoffnung ganz fahren zu lassen oder an das siegreiche Licht zu glauben, an das Licht von Weihnachten, das unsere Nächte tröstlich macht.

Das allmächtige WORT steigt herab

In die Mitte unserer nächtlichen Dunkelheit „stieg dein allmächtiges WORT herab“, so betet die Kirche. Wir leben nicht vom Trost der Natur. Sie bringt die Nacht und sie bringt den Tag. Wenn uns die Nacht schwer ist, wissen wir, dass wieder ein heller Tag anbrechen wird. Aber es ist uns ebenso bewusst, dass die Nacht – auch die schwere – wiederkommen wird. Die Natur tröstet nur kurz. Mit dem Fortgang der Jahre wird uns immer deutlicher, dass auch nach dem Tag des Lebens der Abend kommen wird, das Ende.

Doch bei allem ist uns eine große, hoffnungsvolle Freude gegeben: Das Licht dessen, den wir als den Schöpfer der Natur bekennen, hat sich unserer Nacht eingestiftet. Sie ist nicht mehr dieselbe wie früher. Im Grunde hat sich alles geändert. Die geweihte Nacht – Weihnachten – verwandelt alle Nächte der Welt. Das Licht, das in jener Nacht zu Bethlehem aufgeleuchtet ist und sich als wahr bestätigt in der Osternacht, kann nicht mehr erstickt werden. Es vergeht nicht mehr, es wird nicht mehr „verschluckt“ von einer neuen Nacht, von all der Finsternis des Bösen und der Sünde. Es ist – seit Bethlehem – das Licht in der Nacht. Sie ist für uns zwar nicht zu Ende. Weihnachten bringt uns keine konfliktlose, heile Welt ab sofort. Aber die Nacht ist völlig anders geworden. Seitdem dieses Licht in der Nacht leuchtet, ist – eingehüllt in die Nacht unserer jetzigen Welt – jener Tag angebrochen, welcher der „Ewige Tag“ unserer zukünftigen „Stadt“ sein wird. Diese „braucht“, so sagt die Schrift, „weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm. Nacht wird es dort nicht mehr geben“ (Offb 21,23.25). Seitdem kann die Nacht nicht mehr sein wie früher. Nicht mehr für jene, die Augen haben zu sehen, für jene, die mit den von Gott erleuchteten Augen des Herzens (vgl. Eph 1,18) „schauen“. Niemand ist mehr der Finsternis der Welt ausgeliefert, niemand braucht in sie abzustürzen.

Ergreifen wir das Licht im Glauben!

Können wir daran glauben? Ist es vielleicht „zu schön, um wahr zu sein“, wie manche moderne Denker über das Christentum sagen? Und wenn Weihnachten uns wieder vor die Frage stellte, vor die Frage unseres Lebens: Kann und will ich dann glauben, was eigentlich über die Maßen schön wäre? Oder lasse ich mich abdrängen zu einer anderen Nacht, die ich mit irdischen Lichtern zu erhellen suche, mit den vergeblichen Mitteln menschlicher Leuchtkraft?

Es ist das allmächtige WORT, das die Nacht unendlich mehr erhellt hat, als es die Natur mit ihrem vergänglichen Leuchten fertigbringen kann. Nehmen wir das ernst? Sind wir heute nicht mehr oder weniger verlegen oder verzagt gegenüber der Allmacht unseres Gottes und Seines Sohnes, des WORTES, das zu uns herabstieg? Glauben wir vielleicht nicht mehr recht daran, dass das Dunkel endgültig beendet werden kann? Stehen wir im Banne der Natur mit ihrem ohnmächtigen, vom Sündenfall gezeichneten Kreislauf, der letztlich die Hoffnung enttäuscht und die Zuversicht tötet? Ein Wort, das herabsteigt oder heraufsteigt und nicht allmächtig ist, ist nicht viel wert. Seine Hilfe versagt sehr bald.

Herausforderung esoterischer Heilslehren

Sehr bald versagen werden auch neue Formen modernen Fortschrittsglaubens, die Mensch und Welt aus eigener Kraft der Nacht entreißen und zum Licht emporheben wollen. Das Krisenbewusstsein, der Traditionsabbruch in den westlichen Industrienationen und die Hoffnung auf eine neue Spiritualität führen viele Menschen zum neuen Heidentum. Als Kehrseite der Aufklärung verspüren sie eine tiefe Sehnsucht nach einer „Verzauberung“ der Welt, nach Mythen, nach Naturreligiosität und archaischen Religionsformen. In dem Maße, wie der Glaube an den wahren Gott sinkt, steigt die Nachfrage nach Ersatzreligionen. Die Esoterik-Branche boomt mehr denn je und scheut mit ihren Angeboten auch nicht vor kirchlichen Bildungshäusern und Klöstern zurück. Eine der bekanntesten Erscheinungen der Esoterik, die sich mit Erfahrungen auf „übersinnlicher“ Ebene beschäftigt, ist eine neue weltanschauliche religiöse Strömung, die sich unter dem Sammelbegriff „New Age“ – „Neues Zeitalter“ – ausbreitet. Als „endgültige Weltreligion“ will sie im dritten Jahrtausend das Reich des Friedens und der Harmonie heraufführen.

Ihre Lehre steht im schärfsten Gegensatz zu der Glaubenswahrheit, die wir an Weihnachten feiern. Nicht durch die Menschwerdung, die Geburt, den Kreuzestod und die Auferstehung des Sohnes Gottes werde der Mensch heil, er finde seine Vollendung vielmehr in der Vereinigung mit dem „kosmischen Bewusstsein“.

Vollendung des Menschen einzig durch Christus

Als Christen müssen wir die Herausforderung dieser neuen Heilslehre aufgreifen, zumal sie sich – nach Art des Wolfs im Schafspelz – auch christlicher Begriffe bedient und diese für die eigenen Zwecke einsetzt. In der Auseinandersetzung mit New Age spielt das Geheimnis der Menschwerdung und Geburt Jesu Christi eine entscheidende Rolle: Der zu Bethlehem geborene Heiland allein kann uns, unser Leben und unsere Welt neu machen, nur er kann uns die Erfüllung schenken, nach der wir uns sehnen. Sein Kommen hat die neue Weltzeit heraufgeführt. Der Gott der Bibel und unseres Glaubens ist nicht ein unpersönliches Etwas, eine „kosmische Kraft“ oder „göttliche Energie“, er hat einen Namen und ein Gesicht. Sein Name ist Vater – Sohn – Geist. Sein Gesicht ist jenes von Jesus, von dem wir in der Weihnachtsmesse kniend bekennen: „geboren von der Jungfrau Maria“.

Die Antworten von New Age auf die Bedürfnisse des Menschen von heute klingen verlockend, einfühlsam und zunächst ebenso angenehm wie „einleuchtend“ und plausibel, sie erweisen sich jedoch als eine Utopie, um die Sehnsucht des Menschen nach Glück und Harmonie zu beantworten, sie halten den Menschen in vergeblichen Selbsterlösungsversuchen gefangen. Er bleibt auf dieser Erde stecken, er vermag die „Nacht“ nicht zu erhellen. Ohne das göttliche Kind in der Krippe sind das Leben, die Welt und die Geschichte undurchsichtig und rätselhaft, kann sich der Mensch nicht verstehen, tappt er im Dunkeln.

Christus siegt mit seiner Liebe, die stark ist wie der Tod

„Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab.“ Dieser alte liturgische Text aus dem alttestamentlichen Buch der Weisheit hat dort eine Fortsetzung, die uns befremden mag. Das allmächtige Wort „sprang“ vom Himmel herab „als harter Krieger mitten in das dem Verderben geweihte Land. Es trug das scharfe Schwert und erfüllte alles mit Tod“ (Weish 18,15f.). Gemeint ist die Not Israels in Ägypten, aus der Jahwe Sein Volk von den Feinden mit harter Hand, mit Seinem Schwert befreite. Das allmächtige WORT, Christus, der in der Fülle der Zeiten in Bethlehem herabstieg und allem eine neue und endgültige Wende gab, richtete nicht mehr Hand und Schwert gegen die Feinde derer, die an Ihn glauben. Er ließ die Blindheit, Wirrnis und Bosheit der Weltnacht, in die Er kam, gegen Sich Selbst anrennen. So sollte all das Dunkle zu einem Ende kommen. Christus hat es in Seiner Liebe, die „stark war wie der Tod“ (vgl. Hld 8,6), besiegt.

Die Zukunft gehört dem Licht der Weihnacht

Die Menschen können auf verschiedene Weise vor der Botschaft des Weihnachtsfestes ausweichen. Sie können sich mit gemütvollen Stunden zufrieden geben, nachdem sie andere beschenkt haben: Das sind dann kleine Oasen des Lichtes und der Wärme, wie Frühlingstage, die bald wieder von der Kälte und dem Dunkel des Alltags eingeholt werden. Oder die Menschen reisen in die Ferne, stürzen sich in ein lärmendes Fest, weil sie die Erinnerung an ihre Enttäuschungen nicht ertragen können: „Zu schön, um wahr zu sein.“ Alle jedoch, die sich – trotz allem – das Beste ihres Lebens nicht nehmen lassen, werden Weihnacht feiern als jene Nacht, in der ein großes Licht aufgegangen ist: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf“ (Jes 9,1).

Darum zünden wir sie an und lassen wir sie brennen, all die schönen Weihnachtslichter. Sie haben mehr Recht als alles Dunkel. Darum lassen wir uns das Geheimnis der Menschwerdung nicht nehmen und verleiden, auch wenn wir für töricht erachtet werden, wir immer einsamer glauben müssen und uns oft ohnmächtig fühlen vor den „Fortgeschrittenen“ moderner Ideologien. Die Zukunft gehört dem Licht der Weihnacht und allen, die ihm folgen. Nur eines ist erfordert: Wir müssen uns Tag für Tag im Glauben an dieses Licht erneuern und in Liebe umfangen, was uns in der Heiligen Nacht zuteilgeworden ist. In dieser Gesinnung wagen wir den Weg aus der Weltnacht zur Lichtnacht Christi:

„Noch manche Nacht wird fallen / auf Menschenleid und -schuld. / Doch wandert mit uns allen / der Stern der Gotteshuld. / Beglänzt von seinem Lichte, / hält euch kein Dunkel mehr. / Von Gottes Angesichte / kam euch die Rettung her“ (Jochen Klepper).

Bekenntnisökumenische Erklärung zur Gender-Ideologie

„Der Kampf lohnt sich!“

Die nachfolgende Erklärung zur Gender-Ideologie wurde am Institut Diakrisis in Gomaringen bei Tübingen erarbeitet. Die Autoren warnen vor der schweren Bedrohung, die von der mit Nachdruck verbreiteten Gender-Ideologie ausgeht. Sie laden alle Menschen guten Willens dazu ein, sich diesem Aufruf nach sorgfältiger Prüfung und bei persönlicher Zustimmung anzuschließen und ihn weiterzuverbreiten (institut.diakrisis@peter-beyerhaus.de). Zu den zahlreichen Erstunterzeichnern gehört auch Weihbischof Dr. Andreas Laun, Salzburg.

Von Peter Beyerhaus

Gott hat in seiner Weisheit als Krone seiner Schöpfung den Menschen in der Polarität von Mann und Frau und zur gegenseitigen Ergänzung erschaffen (1. Mose 1,26-27; 2,21-24), als Widerspiegelung der Gemeinschaft in Liebe, die in ihm selber als dem Dreieinigen zwischen dem Vater und dem Sohn, verbunden durch den Heiligen Geist, besteht. Deswegen erkennt die Bibel in der ehelichen Verbindung der beiden Geschlechter und der daraus hervorgehenden Familie eine Schöpfungsordnung, die grundlegend für den Bestand der Menschheit ist und bis zum Ende dieser Zeit gilt.

Jesus Christus hat die Ehe als eine einzigartige, unauflösliche Gemeinschaft bestätigt und geheiligt (Mt 19,6). Auch hat er sich in schützender Liebe gerade den Kindern zugewandt und erklärt: „Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde“ (Mt 18,6).

Die Apostel richten ihre ethischen Anweisungen in erster Linie an Elternpaare und ihre Kinder (z.B. Eph 5,21 bis 6,4; Petr 3,1-7). Paulus beschreibt (in Eph 5,23 und 1 Kor 11,3) die Mann-Frau-Beziehung als gleichnishaft für das Verhältnis Christi zu seiner Gemeinde.

Die Kirche hat in ihrer ganzen Geschichte und in allen Konfessionen bis in die Gegenwart an dieser Sicht festgehalten. Es ist ihre hohe Pflicht, diese Schöpfungsordnungen gegen alle heutigen Auflösungstendenzen zu verteidigen.

Alarmierende Vorgänge

Nicht nur Christen beobachten mit Erschrecken, wie in der Gegenwart Ehen in immer größerem Umfang zerbrechen und Familien sich dadurch auflösen. Mehr noch: Die Institution der Ehe und sogar die jeweilige Aufgabe der beiden Geschlechter werden durch moderne Ideologien (bzw. „Quasi-Religionen“) völlig infrage gestellt. Als vermeintlich gleichwertig werden der monogamen Verbindung eines Mannes mit einer Frau alternative Lebensgemeinschaften homosexueller, lesbischer, transsexueller und intersexueller Gestalt an die Seite gesetzt. Dabei wird der Begriff „Geschlecht“ in seiner Bipolarität durch das ursprünglich grammatische englische Wort „gender“ verdrängt, das mehrdeutig ist.

I. Der Begriff „Gender Mainstreaming“

Definition

Unter dem nur schwer durchschaubaren Fremdwort „Gender Mainstreaming“ verbirgt sich ein ideologisches Programm, dessen Ziel die völlige Aufhebung der schöpfungsgemäßen Polarität zwischen den beiden Geschlechtern Mann und Frau und von deren Stellung als Eltern in einer Familie ist.

Das Wort „Gender“ bezeichnet dabei die von einem Menschen ausgeübte soziale Rolle, unabhängig von seinem biologischen Geschlecht. Die Einführung des Begriffs „Gender“ geht auf den neuseeländischen Psychologen John Money (1921-2008) zurück. Er behauptete auf der Basis eines äußerst gefährlichen Experiments mit Kleinkindern, dass nicht die biologische Veranlagung, sondern die Erziehung maßgeblich für die Ausprägung der Geschlechterrollen sei. Dem entspricht die These der französischen Philosophin Simone de Beauvoir (1908-1986): „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.“

Geschichtliche Entfaltung

Das Programm des „Gender Mainstreaming“ entstand in Fortentwicklung der ihm seit dem 19. Jahrhundert vorangegangenen Frauenrechtsbewegung. Während diese zunächst nur gleiche Rechte für Frauen und Männer gefordert hatte, geht es der Feministischen Bewegung in der „dritten Welle“ (seit Anfang der 1990er Jahre) darüber hinaus um die rechtliche Gleichstellung der Frauen in allen Lebensbereichen. Jetzt aber behauptet man sogar die Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht.

Der Begriff „Gender Mainstreaming“ (GM) wurde erstmalig 1985 bei der 3. UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi diskutiert und in Peking 1995 auf ihrer 4. Weltkonferenz weiterentwickelt. Die Pekinger Beschlüsse wurden von den Vereinten Nationen in Resolutionen umgesetzt und so vier Jahre später als „Gender Mainstreaming“ im Amsterdamer Vertrag der EU verankert. Die Europäische Union erklärte GM schon 1997 zur verbindlichen Aufgabe für ihre Mitgliedstaaten. Dies trat am 1. Mai 1999 in Kraft und wurde rechtlich verbindlich festgeschrieben. Folglich verankerten alle Regierungen – auch die der Bundesrepublik Deutschland – GM in ihren gesetzlichen Richtlinien. Das bedeutete zunächst, dass in allen Sektoren des öffentlichen Lebens keinerlei Unterschiede in der Behandlung der Menschen beiderlei Geschlechts gemacht werden dürfen. An zahlreichen Universitäten wurde als neues Fach „Gender-Studien“ eingeführt, in dem die Studierenden lernen sollen, die Geschlechts-Identität von Mann und Frau in Frage zu stellen.

Die Vordenkerin der Gender-Ideologie ist die sich als Lesbe vorstellende Philosophin Judith Butler (*1956), Professorin an der University of California, Berkeley sowie Gastprofessorin an der Columbia University, New York. In ihrem 1990 erschienenen Buch „Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity“ (deutsch: „Das Unbehagen der Geschlechter“) zeigt sie schon in dessen Titel, dass es ihr um die Untergrabung der Identität von Mann und Frau geht. Nach ihrer Meinung haben Mann und Frau, Ehe und Familie, Vater und Mutter keinen Anspruch auf Natürlichkeit. Weil sie die Vorherrschaft des Mannes begründen, will sie diese Unterscheidung ausmerzen. Trotz der Absurdität dieser Ideen hat Judith Butler hohe öffentliche Anerkennung gefunden. So erhielt sie u.a. im September 2012 den Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt. Innerhalb von zwei Jahrzehnten sind Judith Butlers Ideen an vielen Hochschulen unter der Bezeichnung „Gender Studies“ zum regulären Lehrfach geworden.

II. Implikationen und Auswirkungen von „Gender Mainstreaming“

Vertreter der Gender-Ideologie bemühen sich, die absolute Gleichheit der Geschlechter auf allen Gebieten durchzusetzen. Darüber hinaus erklären sie, es gebe nicht nur die beiden Geschlechter Mann und Frau, sondern eine Vielfalt von Geschlechtern. Alle sexuellen Orientierungen seien gleichwertig und jeder Mensch habe die Freiheit, sich sein eigenes Geschlecht auszuwählen und auch entsprechend respektiert zu werden.

Gleichzeitig werden überlieferte Werte wie Tugend, Moral und Keuschheit negativ bewertet sowie zentrale Begriffe der europäischen Kultur entleert, um sie mit Inhalten der neuen Ideologie zu füllen. So wird zum Beispiel der Begriff „Freiheit“ von Wahrheit und Verantwortung gelöst und auf ein „Tu, was du willst“ umfunktioniert. Menschen, die die Aufwertung der Homosexualität und ihre Gleichstellung mit der Heterosexualität (Zweigeschlechtlichkeit) ablehnen, werden der Diskriminierung oder „Homophobie“ (Angst vor Homosexuellen bzw. Hass gegen sie) beschuldigt und für krankhaft erklärt.

III. Die biologische bzw. anthropologische Revolution

Gender Mainstreaming ist ein Ergebnis der biologischen Revolution. Sie stellt nach den beiden vorangegangenen großen Revolutionen, der Französischen (1789) und der bolschewistischen (1917), die dritte weltgeschichtliche Revolution dar. Während sich jene gegen von Menschen geschaffene Institutionen wandten, den politischen Ständestaat und die ökonomische Klassengesellschaft, richtet sich diese dritte Revolution gegen die Schöpfungsordnung Gottes und damit gegen Gott selbst. Der Genderismus ist also a-theistisch und anti-theistisch und somit, wie Papst Franziskus hervorhebt, satanischen Ursprungs.

In einer Ansprache an das Kardinalskollegium am 21. Dezember 2012 warnte Papst Benedikt XVI. vor der tiefen Unwahrheit der Gender-Ideologie und der ihr zugrunde liegenden „anthropologischen Revolution“. Er erklärte: „Im Kampf um die Familie geht es um den Menschen selbst. Und es wird sichtbar, dass dort, wo Gott geleugnet wird, auch die Würde des Menschen sich auflöst.“

IV. Die Gender-Ideologie als Ausdruck der endzeitlichen anomia (Gesetzlosigkeit)

Indem sich der Genderismus grundsätzlich gegen die von Gott gesetzten Ordnungen wendet, erfüllt er die biblischen Prophetien im Blick auf die Endzeit, die von der kommenden „anomia“ (Gesetzwidrigkeit) sprechen. So sagt Jesus in Mt 24,12: „Und weil die Ungerechtigkeit (griechisch anomia) überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.“ Paulus schaut in 2 Thess 2, 1-12 den „Menschen der Gesetzlosigkeit“ (anthroopos tees anomias) …, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, erhebt und sich sogar in den Tempel Gottes setzt.“

Aus dem biblischen Zusammenhang geht hervor, dass der Apostel dabei den kommenden Antichrist im Auge hat.

Insofern erkennen wir im Gender Mainstreaming eine ideologische Bewegung, die – wie zuvor andere moderne Ideologien totalitärer Art: Marxismus, Faschismus und der von Wilhelm Reich (1897-1957) begründete Freud-Marxismus – dem Antichristen den Weg bereitet.

Das ist umso erschreckender, als wir dem Genderismus in sublimeren Formen auch in der Kirche und der Theologie begegnen. Dies geschieht z.B. in dem 2013 von der EKD veröffentlichten und von ihrem Ratsvorsitzenden Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider verteidigten Familienpapier „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“. Auch hier wird eine Vielfalt anderer Lebensgemeinschaften als gleichwertig neben der traditionellen Ehe und Familie vorgestellt. Alle dagegen gerichteten Proteste wurden bisher von der Leitung der EKD ungerührt übergangen.

V. Die Abwehr der Gender-Ideologie

In der Auseinandersetzung mit Gender Mainstreaming gilt es zu erkennen, dass sie eine praktizierte totalitäre Ideologie ist. Sie steht im krassen Widerspruch zum Schamgefühl jedes Menschen – das sie zu zerstören sucht! –, zur gesunden Vernunft, zum allen Menschen ins Herz geschriebenen Naturrecht wie zur biblisch geoffenbarten Schöpfungsordnung Gottes. In ihrer Forderung nach Akzeptanz und Toleranz ist sie selber höchst intolerant und fanatisiert ihre Anhänger gegen jeglichen Widerspruch.

Die Gender-Ideologie folgt in ihrem Ansatz und ihrer Durchführung dem Grundmuster aller Ideologien. Sie ist wie diese eine von Visionären erdachte moderne Weltanschauung, welche die gesamte Wirklichkeit aus einem einzigen, innerweltlichen Prinzip heraus zu deuten versucht, um sie mit entsprechenden Methoden auf ihre utopischen Zielvorstellungen hin umzuwandeln. In diesem Fall ist das innerweltliche Prinzip die zentrale Stellung des sog. Gender. Ihm spricht man die Rolle zu, den Hauptstrom in der heutigen geistigen und sozialen Entwicklung der Menschheit zu bilden und sie voranzutreiben. Damit werden zugleich alle anderen geistigen Bewegungen als nebensächlich zur Seite geschoben und ihnen Wahrheit und Existenzberechtigung abgesprochen. Das gilt insbesondere für das biblische Verständnis des Verhältnisses der beiden Geschlechter zueinander. Ihm wird das Recht aberkannt, maßgebend für die Gestaltung von Ehe und Familie sowie der Kindererziehung zuhause und in der Schule zu sein. Damit werden die Grundlagen der christlich-abendländischen Kultur unterwandert, um sie durch die Utopie des Gender Mainstreaming zu ersetzen. Wenn dieser Plan aufgehen sollte, würde unsere bislang geordnete Gesellschaft durch die Auflösung aller wesensmäßigen Unterscheidungen und Ordnungen im Chaos versinken.

Alle verantwortungsbewussten Staatsbürger, Männer und Frauen, Väter und Mütter, besonders aber Christen, sind deswegen dazu aufgerufen, sich in voller Kraft dagegen zur Wehr zu setzen. Es gilt, Hintergründe und Ziele der Gender-Bewegung öffentlich zu entlarven, gegen sie zu protestieren und ihnen ihre Einflussmöglichkeiten in Politik und Kultur – vor allem in den Schulen! – zu entwinden. Denn nur dadurch kann verhindert werden, dass durch den Genderismus die Seelen unserer Kinder für ihre Zukunft als Erwachsene sexualistisch verdorben werden.

Unsere Aufgabe ist es, wachsam gegenüber dem Vordringen der Gender-Ideologie in die Kindertagesstätten, in die Bildungspläne der Kultusministerien, in den Sexualkunde-Unterricht an den Schulen – der heute bedrohlicherweise sogar fächerübergreifend erteilt wird – sowie auch in die Gesetzgebung zu sein. Mit Eingaben an Regierungen und Kirchenleitungen müssen wir diese hinsichtlich der ihnen oft noch nicht bewussten Gefahr alarmieren und sie zum entschlossenen Eingreifen bewegen.

Wir sind dankbar dafür, dass mutige Frauen wie als erste die Psychotherapeutin und Autorin Christa Meves sowie Dr. Gabriele Kuby durch ihre Bücher und Vorträge gewarnt haben. Ebenso hat Hedwig von Beverfoerde durch Großdemonstrationen, zu denen sie in Stuttgart und Köln aufrief, solche notwendige Entlarvung öffentlich vollzogen. Wir danken auch jenen katholischen Bischöfen bzw. Bischofskonferenzen (u.a. die in der Slowakei, in Polen und Portugal), die in solide fundierten Lehrschreiben die Gender-Ideologie widerlegt haben.

Noch vermissen wir nach dem Debakel des Familienpapiers der EKD leider ähnliche Aufrufe von evangelischen Kirchenleitungen!

Wir sind uns dessen bewusst, dass wir mit unserer Warnung vor der Gender-Ideologie die Feindschaft ihrer Anhänger auf uns ziehen werden. Ja, in dem Maße, wie der Genderismus sich sogar in Politik und Gesetzgebung zur herrschenden Lehrmeinung aufschwingen wird, müssen wir uns als deren Gegner womöglich auf Verfolgungen in Gestalt von Anprangerung und beruflicher Schikane gefasst machen.

Auf solche Weise werden die Grundrechte der Menschen bezüglich Religion und freier Meinungsäußerung zunehmend beschnitten. Schon jetzt sind in vielen Ländern wie z.B. Großbritannien und Schweden sog. hate laws (Hassgesetze) eingeführt. Diese stellen jede Äußerung unter Strafe, durch die sich homosexuelle und lesbische Minderheiten „diskriminiert“ fühlen. Das trifft besonders Christen, die an der biblischen Schöpfungsordnung festhalten.

Schlussfolgerung

Die Bedrohung durch die Ausbreitung der Gender-Ideologie ist ernst und unser Kampf schwierig und hart. Aber wir stehen nicht allein. Viele gleichgesinnte Christen – ja auch Humanisten, und selbst Juden und Muslime – stehen mit uns zusammen. Gott sei Dank regt sich in mehreren europäischen Ländern wie Ungarn, Norwegen, Russland ein wachsender Widerstand gegen die Gender-Revolution.

Das geschieht auch in Deutschland: Anfang 2014 unterzeichneten 200.000 Bürger eine Petition gegen den Bildungsplan der rot-grünen Regierung von Baden-Württemberg, der die Ziele von Gender Mainstreaming festschreibt.

Dem folgten im selben Jahr in Stuttgart und Köln Demonstrationen besorgter Eltern zum Schutz der Kinder vor staatlicher Umerziehung. Bei ihrem Umzug durch die Straßen der Innenstadt skandierten sie unentwegt: „Kinder brauchen Liebe und keinen Sex!“

Ihnen ging und geht es darum, für eine Erneuerung unserer Gesellschaft von innen her zu arbeiten – in der Hoffnung auf die Rückkehr vieler Hörbereiter zu den biblischen Ordnungen und Geboten Gottes.

Tröstlich ist die Vision des Sehers Johannes in Offb 12,7-9: Er schildert, wie Michael und seine Engel mit uns gegen die Mächte des Bösen streiten. Damit zeigt er uns: Der Kampf lohnt sich und hat die Verheißung echten Sieges. Denn Gott selbst ist mit uns, und der wiederkommende Christus (Offb 19,11-16) wird dem Treiben der antichristlichen Kräfte ein Ende setzen.


„Freiheit des offenen Wortes“?

Von Weihbischof Andreas Laun

Die Forderung, es müsse „eine offene Diskussion“ geben und jeder Teilnehmer müsse „alles sagen“ und „seine persönliche Meinung in aller Freiheit einbringen“ dürfen, klingt bestechend gut. Sie wurde im Kontext der römischen Bischofssynode überall verbreitet. Aber gelten nicht auch für dieses „Ideal“ Grenzen, über die hinaus das Ideal aufhört ein Ideal zu sein und sich in eine Gefahr verwandelt? Ein Beispiel: Wer auf einer wissenschaftlichen Tagung zur Erforschung des Stalinismus oder Nationalsozialismus die Ideologien dieser Systeme des Teufels darlegt, kann nicht wegen „Wiederbetätigung“ belangt werden, sondern handelt im Sinn einer solchen Unternehmung. Aber Werbung für eine Wiedererrichtung einer dieser Diktaturen würde man nicht dulden, auch nicht unter Berufung auf die „Freiheit des offenen Wortes“, sondern umgekehrt, um die Freiheit nicht wieder zu verlieren!

Die Logik dieses Gedankens übertragen auf die Bischofssynode: „Offene Diskussion“ räumt auch Bischöfen und Kardinälen nicht das Recht ein, offenkundig häretische Positionen werbend einzubringen! Natürlich, der Eine oder Andere mag sich guten Glaubens irren, das ist menschlich und kann passieren. Aber für alle müsste klar sein: Ihr katholisches Gewissen verpflichtet jeden Synodenteilnehmer, selbstkritisch zu prüfen, um nur ja nicht gegen die katholische Lehre anzurennen und dadurch viele Menschen zu verunsichern und zu verwirren. Denn die Gefahr eines solchermaßen unkontrollierten „offenen Redens“ besteht darin, dass viele Menschen denken: „Wenn dies und jenes sogar Bischöfe und Kardinäle vertreten, muss dies wohl katholisch denkbar, mit dem Glauben der Kirche vereinbar sein!“ Freiheit so viel als möglich – ja, aber keine „offenen Türen“ für den „Vater der Lüge“ und für jene, die Häresien „katholisch korrekt“ zu machen versuchen. Daher: Ja, die offene Rede soll sein, aber nach Maßgabe des Glaubens der Kirche!

Jeder, der die Berichte über die Wortmeldungen auf der Synode verfolgt hat, kennt Beispiele für diese Gefahr! Wenn der zweite Teil der Synode zu einem wirklich guten Ergebnis führen soll, wäre es den Synodenteilnehmern dringend zu empfehlen, keine Positionen zu vertreten, die mit der – ihnen hoffentlich bekannten – Lehre der Kirche nicht vereinbar sind. Mehr noch, sie sollten daran danken, dass es eine Sünde wäre, den Gläubigen, die sich „nicht so gut auskennen“ oder ohnehin schon verunsichert sind, ein Ärgernis zu geben. Für solchen Missbrauch der Freiheit würde sie vielleicht nicht der Papst, aber Gott zur Rechenschaft ziehen. Entsprechende Worte Jesu dürfen als bekannt vorausgesetzt werden.

Fortbildung für Beichtväter

Barmherzigkeit und Wahrheit

Vom 12. bis 15. Januar 2015 findet in Wigratzbad die VII. Pastorale Fortbildung für Beichtväter über das Forum internum statt, welche von den Teilnehmern aus dem deutschen Sprachraum stets als große Bereicherung empfunden worden ist. Sie wird in Zusammenarbeit mit der Apostolischen Pönitentiarie in Rom durchgeführt. Deren Mitarbeiter Msgr. Dr. Carlos Encina Commentz hat die Veranstaltung mit angestoßen und begleitet sie seit deren Beginn im Jahr 2008.

Von Carlos Encina Commentz

Das Angebot stößt auf große Dankbarkeit

Seit 2008 findet in der Gebetstätte Wigratzbad jedes Jahr eine pastorale Fortbildung für Beichtväter statt. Sie geht auf die Initiative des damaligen Direktors Dr. Thomas Maria Rimmel zurück. Die Anregung dazu hatte er von der Apostolischen Pönitentiarie erhalten, welche schon seit 25 Jahren in Rom Weiterbildungskurse zum Forum internum anbietet. Jedes Mal nehmen dort über 600 Priester und Priesteramtskandidaten teil. Rimmel hatte sein Interesse zum Ausdruck gebracht, etwas Ähnliches in der Gebetstätte Wigratzbad zu organisieren. Der damalige Großpönitentiar, Kardinal James Francis Stafford, ging sofort positiv auf diesen Vorschlag ein. Auch das Ordinariat Augsburg signalisierte seine Zustimmung. So konnte, wie gesagt, im Januar 2008 die erste pastorale Fortbildung für Beichtväter stattfinden. Die Veranstaltung wurde von den teilnehmenden Priestern als große Bereicherung empfunden. Schon während der Tagung wurde die Bitte geäußert, jedes Jahr eine solche Fortbildung durchzuführen. So wurden verschiedene wichtige Themen vertieft, wofür überzeugende Referenten gewonnen werden konnten.

Der neue Direktor der Gebetstätte, Geistlicher Rat Nikolaus Maier, knüpfte an diese positive Entwicklung an und setzte sie fort. Wir sind ihm dankbar, dass er zum Gelingen der Veranstaltung beiträgt, indem er weder Mühe noch Aufwand scheut. Diese Dankbarkeit gilt ebenfalls dem Großpönitentiar, Kardinal Mauro Piacenza, wie auch dem Diözesanbischof Dr. Konrad Zdarsa.

Die Beichte – ein Buch mit sieben Siegeln

Warum lohnt es sich eigentlich, an einer Fortbildung für Beichtväter teilzunehmen? So könnte mach einer fragen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Katholiken mit der Beichte nichts mehr anzufangen wissen und auch nicht mehr zur Beichte gehen. Die Beichte ist für viele zu einem Buch mit sieben Siegeln geworden, die oft aus Vorurteilen oder schlechten Erfahrungen bestehen. Gerade deswegen ist es so wichtig, an einer Fortbildung für Beichtväter teilzunehmen, um gleichsam diese Siegel zu öffnen und das Buch wieder zugänglich zu machen. Nicht wenige der teilnehmenden Priester teilen diese Ansicht. Viele von ihnen haben schon an sechs Fortbildungen teilgenommen. Immer wieder werden alte und neue Aspekte aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, so dass am Ende ein reichhaltiges Bild entsteht, welches hilft, das Bußsakrament wiederzuentdecken und mehr zu schätzen.

Instrument der barmherzigen Liebe Gottes

Die Liebe zum Bußsakrament, das zur Versöhnung von Gott und Mensch führt, charakterisiert eine der wichtigsten Aufgaben des Priesters. Denn jede Beichte bedeutet Umkehr und Neubeginn. Aus ihr erwächst die Kraft, auch untereinander zu vergeben und durch Versöhnung Frieden zu stiften. In der Beichte wird den Menschen die Barmherzigkeit Gottes zugewendet.

Im kommenden Januar wird bereits die 7. Fortbildung in der Gebetstätte Wigratzbad stattfinden. Alle Priester und Priesteramtskandidaten, die mit der deutschen Sprache zurechtkommen, sind zur Teilnahme herzlich eingeladen. Am letzten Tag wird Seine Eminenz Kardinal Mauro Piacenza durch einen Vortrag der Veranstaltung eine besondere Gewichtung verleihen und sie mit einer Messe abschließen.

Programm der Fortbildung im Januar 2015

Eröffnet wird die Veranstaltung am Montag, 12. Januar 2015, von Generalvikar Msgr. Harald Heinrich aus Augsburg mit einer Heiligen Messe um 17:00 Uhr. Auf dem Programm stehen desweiteren Vorträge von Msgr. Alessandro Perego (Augsburg) zum Thema „Ursachen für die Nichtigkeit der Ehe. Die Aufgaben des Beichtvaters zur rechten Orientierung von Menschen“, von Msgr. Dr. Carlos Encina Commentz: „Die befreiende Kraft der Wahrheit“ und „Reue und Barmherzigkeit“, Prof. Dr. Dr. Ralph Weimann (Rom): „Das Beichtsakrament im Leben des Priesters“, Prof. Dr. Wolfgang Vogl (Augsburg): „Traumatisierte Menschen in der Beichte“, P. Prof. Dr. Karl Wallner OCist (Heiligenkreuz): „Priesterliche Spiritualität als existenzielle Beziehung zur Dreifaltigkeit“, „Die Beichte und die Heiterkeit des Herzens“ und „Der Priester und die Einsamkeit“, Prof. Dr. Dr. Ralph Weimann (Rom): „Bioethische Herausforderungen für den Dienst als Beichtvater“ und „Beichte und der übernatürliche Glaubenssinn“. Den Abschluss bildet Mauro Kardinal Piacenza (Rom): „Barmherzigkeit und Wahrheit begegnen sich: das Sakrament der Versöhnung“.

Anmeldungen bei: Gebetsstätte „Maria vom Sieg“, Kirchstr. 18, D-88145 Wigratzbad. Tel.: 08385/9207-0, Fax: 08385/9207-26, E-Mail: info@gebetsstaette.de

Beitrag zu einer "Theologie der Frau"

Die Rolle der Frau in der Kirche

Die universale Sendung der Frau

Papst Franziskus habe wiederholt die Vertiefung einer „Theologie der Frau“ gefordert. Als Beitrag dazu versteht Prof. Dr. Josef Kreiml sein neues Buch mit dem Titel „Die Rolle der Frau in der Kirche“.[1] Kreiml, der an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten Fundamentaltheologie doziert, vermittelt mit seinen Ausführungen einen wunderbaren Einblick in das Denken des hl. Johannes Paul II. und bietet eine einzigartige Hilfe, um angesichts der heutigen Gender-Verwirrung das grundlegend Positive der Differenz und zugleich Komplementarität der Geschlechter im Licht der christlichen Offenbarung zu verstehen. Der nachfolgende Auszug aus seinem Buch geht vom Amtspriestertum aus und beleuchtet die universale Sendung der Frau für die Kirche und die ganze Menschheit.

Von Josef Kreiml

Die Einsetzung der „Zwölf“ war eine völlig freie Tat Jesu

Vor dem Hintergrund des „tiefen Geheimnisses“, das in der bräutlichen Beziehung zwischen Christus und der Kirche zum Ausdruck kommt, ist es möglich, in entsprechender Weise auch die Berufung der „Zwölf“ zu begreifen. Wenn Christus nur Männer zu seinen Aposteln berief, „tat er das völlig frei und unabhängig. Er tat es mit derselben Freiheit, mit der er in seinem Gesamtverhalten die Würde und Berufung der Frau betonte, ohne sich nach den herrschenden Sitten und nach der auch von der Gesetzgebung der Zeit gebilligten Tradition zu richten.“[2] Deshalb entspricht die Hypothese, er habe Männer zu Aposteln berufen, indem er der damals verbreiteten Mentalität folgte, „ganz und gar nicht der Handlungsweise Christi“. Die in Mt 22,16 überlieferten Worte der Jünger („Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst…; denn du siehst nicht auf die Person.“) beschreiben „vollständig das Verhalten Jesu“. Darin liegt auch eine Erklärung für die Berufung der „Zwölf“. Sie allein empfingen im Zusammenhang mit der Einsetzung der Eucharistie den sakramentalen Auftrag: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,19; 1 Kor 11,24); sie empfingen am Abend des Ostertages den Heiligen Geist, um die Sünden zu vergeben (vgl. Joh 20,23).

Christus gibt sich in der Eucharistie als „Bräutigam“ hin

Das Ostergeheimnis offenbart – so Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben – „zutiefst“ Gottes bräutliche Liebe. Christus ist der Bräutigam, weil er „sich hingegeben hat“: Sein Leib wurde „hingegeben“, sein Blut wurde „vergossen“ (vgl. Lk 22,19 f). So hat er den Seinen „seine Liebe bis zur Vollendung erwiesen“ (Joh 13,1). Die „aufrichtige Hingabe“, die im Kreuzesopfer enthalten ist, hebt „endgültig“ den bräutlichen Sinn der Liebe Gottes hervor. Christus ist als Erlöser der Welt der Bräutigam der Kirche. Die Eucharistie ist das Sakrament unserer Erlösung. Sie ist „das Sakrament des Bräutigams und der Braut“. Die Eucharistie vergegenwärtigt und verwirklicht auf sakramentale Weise aufs neue den Erlösungsakt Christi, der die Kirche als seinen Leib „erschafft“. Mit diesem „Leib“ ist Christus verbunden wie der Bräutigam mit der Braut.

Der Priester vertritt den Bräutigam Christus als „Mann“

Wenn Christus die Eucharistie bei ihrer Einsetzung so ausdrücklich mit dem priesterlichen Dienst der Apostel verbunden hat, darf man annehmen, dass er auf diese Weise die gottgewollte Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen dem „Männlichen“ und dem „Fraulichen“, „sowohl im Schöpfungsgeheimnis wie im Geheimnis der Erlösung ausdrücken wollte.“[3] Vor allem in der Eucharistie wird in sakramentaler Weise der Erlösungsakt Christi, des Bräutigams, gegenüber der Kirche, seiner Braut, ausgedrückt.[4] Das wird dann „durchsichtig und ganz deutlich“, wenn der sakramentale Dienst der Eucharistie, in der der Priester in persona Christi handelt, „vom Mann vollzogen wird.“[5] Diese Deutung bestätigt – so Johannes Paul II. – die Lehre der im Auftrag von Papst Paul VI. veröffentlichten Erklärung Inter Insigniores, die Antwort geben sollte auf die Frage nach der Zulassung der Frauen zum Priesteramt.[6]

Die ganze Kirche ist als „Braut“ mit Christus vereint

Das Zweite Vatikanum hat in der Kirche das Bewusstsein des allgemeinen Priestertums erneuert. Im Neuen Bund gibt es „nur ein Opfer und nur einen Priester“: Christus. An diesem einen Priestertum Christi haben alle Getauften teil, denn sie sollen sich „als lebendiges und heiliges Opfer darbringen, das Gott gefällt“ (Röm 12,1), überall von Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von ihrer Hoffnung auf das ewige Leben (vgl. 1 Petr 3,15).[7] Die allgemeine Teilhabe am Opfer Christi, in dem der Erlöser dem Vater die ganze Welt und insbesondere die Menschheit dargebracht hat, bewirkt, dass alle in der Kirche „Könige und Priester“ sind (vgl. Offb 5,10; 1 Petr 2,9), d.h. nicht nur an der priesterlichen, sondern auch an der prophetischen und königlichen Sendung des Messias teilhaben. Diese Teilhabe bestimmt die organische Verbundenheit der Kirche als Volk Gottes mit Christus. In ihr kommt das „tiefe Geheimnis“ des Epheserbriefes zum Ausdruck – die mit ihrem Bräutigam vereinte Braut: vereint, weil sie sein Leben lebt; vereint, weil sie an seiner dreifachen Sendung teilhat; vereint in einer Weise, dass sie mit ihrer „aufrichtigen Hingabe“ das unermessliche Geschenk der Liebe des Bräutigams, des Erlösers der Welt, erwidert. Das betrifft alle in der Kirche, Frauen ebenso wie Männer, und es betrifft natürlich auch jene, die am Amtspriestertum teilhaben, das Dienstcharakter besitzt.[8]

Maria ist als „Frau“ das vollkommene Bild der Kirche

Das ist von grundlegender Bedeutung, um die Kirche „in ihrem eigentlichen Wesen“ zu begreifen. Die Kirche besitzt zwar eine „hierarchische“ Struktur,[9] aber diese ist „ganz für die Heiligkeit der Glieder Christi bestimmt“. Diese Heiligkeit wird an dem „tiefen Geheimnis“ gemessen, in dem die Braut mit der Hingabe der Liebe die Hingabe des Bräutigams erwidert, und das tut sie „im Heiligen Geist“; denn „die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). Das Zweite Vatikanische Konzil hat daran erinnert, dass in der Hierarchie der Heiligkeit gerade die „Frau“, die Mutter Jesu, das „Bild“ der Kirche ist. „Sie geht allen auf dem Weg zur Heiligkeit voran; in ihrer Person hat die Kirche bereits ihre Vollkommenheit erreicht“.[10] In diesem Sinn ist die Kirche zugleich marianisch und apostolisch-petrinisch.[11]

In Frauen erlangt die bräutliche Liebe ihre volle Ausdruckskraft

In der Geschichte der Kirche gab es seit den frühesten Zeiten – neben den Männern – zahlreiche Frauen, in denen die Antwort der Braut auf die erlösende Liebe des Bräutigams ihre „volle Ausdruckskraft“ erlangte. Als erste sehen wir jene Frauen, die Christus persönlich begegnet und ihm gefolgt waren und nach seinem Abschied zusammen mit den Aposteln im Abendmahlssaal „einmütig im Gebet verharrten“ bis zum Pfingsttag. Jene Frauen und später noch andere hatten durch ihre Gnadengaben und ihren vielfältigen Dienst einen „aktiven und wichtigen Anteil“ am Leben der Urkirche, an der Grundlegung der ersten und der nachfolgenden christlichen Gemeinden.[12] Die apostolischen Schriften nennen ihre Namen wie z.B. „Phöbe, die Dienerin der Gemeinde von Kenchreä“ (Röm 16,1), Priska mit ihrem Gatten Aquila (vgl. 2 Tim 4,19), Evodia und Syntyche (vgl. Phil 4,2), Maria, Tryphäna, Tryphosa und Persis (vgl. Röm 16,6.12). Der Apostel spricht von ihren „Mühen“ um Christi willen: Diese Mühen weisen auf die verschiedenen Bereiche des apostolischen Dienstes der Kirche hin, angefangen bei der „Hauskirche“. In ihr nämlich geht der „aufrichtige Glaube“ von der Mutter auf die Kinder und Enkel über (vgl. 2 Tim 1,5).

Das Charisma der Frau formt die Sendung der Kirche

Dasselbe wiederholt sich im Laufe der Jahrhunderte von Generation zu Generation. Die Kirche hat, „indem sie für die Würde der Frau und ihre Berufung eintrat, Verehrung und Dankbarkeit für jene zum Ausdruck gebracht, die – in Treue zum Evangelium – zu allen Zeiten an der apostolischen Sendung des ganzen Gottesvolkes teilgenommen haben.“[13] Es handelt sich um heilige Märtyrerinnen, Jungfrauen, Mütter, die mutig ihren Glauben bezeugt und dadurch, dass sie ihre Kinder im Geist des Evangeliums erzogen, den Glauben der Kirche weitergegeben haben. In jedem Zeitalter und in jedem Land finden wir zahlreiche „tüchtige“ Frauen (vgl. Spr 31,10), die – trotz Verfolgungen, Schwierigkeiten und Diskriminierungen – an der Sendung der Kirche teilgenommen haben. Johannes Paul II. nennt dabei folgende Frauen namentlich: Monika, die Mutter des Augustinus, Makrina, Olga von Kiew, Mathilde von Toscana, Hedwig von Schlesien und Hedwig von Krakau, Elisabeth von Thüringen, Birgitta von Schweden, Jeanne d`Arc, Rosa von Lima, Elisabeth Seton und Mary Ward.[14]

Heiligmäßige Frauen verkörpern die Kirche als Braut Christi

„Das Zeugnis und die Taten christlicher Frauen haben sich prägend auf das Leben von Kirche und Gesellschaft ausgewirkt.“[15] Selbst unter schweren gesellschaftlichen Diskriminierungen haben heilige Frauen, durch ihre Verbundenheit mit Christus gestärkt, „frei“ gehandelt. Aus einer ähnlichen Verbundenheit und in Gott verwurzelten Freiheit erklären sich z.B. das große Wirken der hl. Katharina von Siena im öffentlichen Leben der Kirche und der hl. Theresia von Avila im kontemplativen Ordensleben.[16] Auch in unseren Tagen wird – so Johannes Paul II. – die Kirche durch das Zeugnis zahlreicher Frauen bereichert, die ihre Berufung zur Heiligkeit verwirklichen. „Heiligmäßige Frauen sind eine Verkörperung des weiblichen Ideals; sie sind aber auch ein Vorbild für alle Christen, ein Vorbild der ‚Nachfolge Christi‘, ein Beispiel dafür, wie die Braut die Liebe des Bräutigams in Liebe erwidern soll.“[17]

Der Heilige Geist offenbart unserer Zeit die Würde der Frau

Christus schenkt dem Menschen „Licht und Kraft durch seinen Geist, damit er seiner höchsten Berufung nachkommen kann.“[18] Der besondere Hinweis auf die Würde der Frau und ihre Berufung in unserer heutigen Zeit kann und muss – so Papst Johannes Paul II. – in dem „Licht“ und mit der „Kraft“ aufgenommen werden, die der Geist Christi dem Menschen schenkt – auch dem Menschen unserer von vielfältigen Wandlungen geprägten Zeit. Die Kirche bekennt, dass „allen Wandlungen vieles Unwandelbare zugrunde liegt, was seinen letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit.“[19] Mit diesen Worten weist die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute den Weg, der einzuschlagen ist, wenn wir uns den Aufgaben bezüglich der Würde der Frau und ihrer Berufung vor dem Hintergrund der für unsere Zeit bedeutsamen Veränderungen stellen. Wir können uns – so Johannes Paul II. – mit diesen Wandlungen nur dann auf korrekte und angemessene Weise auseinandersetzen, wenn wir auf den Grund zurückgehen, der in Christus gegeben ist, zu jenen Wahrheiten und „unwandelbaren“ Werten, deren „treuer Zeuge“ (vgl. Offb 1,5) und Meister er selbst ist. Eine andere Vorgehensweise würde zu zweifelhaften oder sogar falschen Ergebnissen führen.

Nach dem Plan Gottes nimmt zuerst die Frau seine Liebe auf

Der „bedeutsame“ Vergleich des Epheserbriefes, der die Wahrheit der Ehe als Sakrament des „Anfangs“ benennt, lässt vollkommen klar werden, was für die Würde der Frau sowohl in den Augen Gottes, des Schöpfers und Erlösers, als auch in den Augen des Menschen, des Mannes und der Frau, entscheidend ist. Auf der Grundlage des ewigen Planes Gottes ist „die Frau diejenige, in der die Ordnung der Liebe in der geschaffenen Welt der Personen das Erdreich für ihr erstes Wurzelfassen findet.“[20] Die „Ordnung der Liebe“ gehört zum Leben des dreifaltigen Gottes.[21] Im inneren Leben Gottes ist der Heilige Geist die personhafte Verkörperung der Liebe. Durch den Geist, die ungeschaffene Gabe, wird die Liebe zu einer Gabe für alle geschaffenen Personen. Die Liebe, die von Gott stammt, teilt sich den Geschöpfen mit. Die Berufung der Frau zur Existenz neben dem Mann in der „Einheit der zwei“ bietet in der Welt der Geschöpfe besondere Voraussetzungen, damit „die Liebe Gottes ausgegossen wird in die Herzen“ (vgl. Röm 5,5) der nach seinem Bild geschaffenen Wesen. Wenn der Epheserbrief Christus „Bräutigam“ und die Kirche „Braut“ nennt, bestätigt er mit dieser Analogie indirekt die Wahrheit über die Frau als Braut. Der Bräutigam ist der Liebende; die Braut empfängt die Liebe, um ihrerseits zu lieben.

Die Frau offenbart der Menschheit das Geheimnis der Liebe

Der im Licht der bräutlichen Symbolik neu gelesene Abschnitt des Buches Genesis lässt uns eine Wahrheit erkennen, die für die Frage nach der Würde der Frau und ihrer Berufung entscheidend ist: Die Würde der Frau wird von der „Ordnung der Liebe“ bestimmt, die im Wesentlichen eine Ordnung von Gerechtigkeit und Nächstenliebe ist.[22] Die Liebe ist ein ontologisches (= seinsmäßiges) und ein ethisches Bedürfnis der Person. „Die Person muss geliebt werden; denn allein die Liebe entspricht dem, was eine Person ist“[23] (Nr. 29). So erklärt sich das bereits im Alten Testament bekannte Liebesgebot, das Christus in den Mittelpunkt des evangelischen Ethos stellt.

Das „Prophetentum“ der Frau hat universalen Charakter

Ohne Anwendung dieser Ordnung und dieses Vorrangs ist eine vollständige Antwort auf die Frage nach der Würde und Berufung der Frau nicht möglich. Wenn wir sagen, die Frau empfängt Liebe, um ihrerseits zu lieben, ist nicht nur und vor allem die der Ehe eigene bräutliche Beziehung gemeint. Vielmehr ist damit etwas Universaleres gemeint, das sich auf die Tatsache des Frauseins in den interpersonalen Beziehungen gründet, die dem Zusammenleben und -wirken der Personen, von Männern und Frauen, die „verschiedenste Gestalt“ verleihen. Der Epheserbrief lässt uns an eine Art von besonderem „Prophetentum“ der Frau – in ihrer Fraulichkeit – denken. Die Analogie des Bräutigams und der Braut spricht von der Liebe, mit der jeder Mensch von Gott in Christus geliebt wird. Doch im Rahmen der biblischen Analogie und aufgrund der inneren Logik des Textes ist es „gerade die Frau“, die diese Wahrheit allen offenbar macht: die Braut. Dieses „prophetische“ Merkmal der Frau in ihrer Fraulichkeit findet seinen „erhabensten Ausdruck“ in der Jungfrau und Gottesmutter.

In der Frau vollzieht sich ein dramatischer Kampf um den Menschen

Die Würde der Frau ist eng verbunden mit der Liebe, die sie gerade in ihrer Fraulichkeit empfängt und ihrerseits schenkt. So wird die Wahrheit über die menschliche Person und über die Liebe bestätigt. Die Frau kann sich – wie der Mann – nicht selbst finden, wenn sie nicht den anderen ihre Liebe schenkt. Dieselbe „Frau“, die zum biblischen „Urbild“ wird, hat auch in der von der Offenbarung des Johannes zum Ausdruck gebrachten eschatologischen Perspektive der Welt und des Menschen ihren Platz (vgl. Offb 12,1 ff). Wenn wir in diesem Text einen Widerschein des Kindheitsevangeliums sehen (vgl. Mt 2,13.16), wird deutlich, dass zum biblischen „Urbild“ der „Frau“ vom Beginn der Geschichte bis zu ihrem Ende „der Kampf gegen das Böse und den Bösen in Person“ gehört. Dies ist auch ein Kampf um den Menschen, um sein wahres Wohl, um sein Heil. Will uns die Bibel damit nicht sagen, dass die Geschichte gerade in der „Frau“ – in Eva und Maria – einen dramatischen Kampf um jeden Menschen verzeichnet? Den Kampf um sein grundlegendes „Ja“ oder „Nein“ zu Gott und zu seinem ewigen Plan für den Menschen?

Gott hat der Frau in besonderer Weise den Menschen anvertraut

Wenn die Würde der Frau von der Liebe zeugt, die sie empfängt, um ihrerseits zu lieben, scheint das biblische „Urbild“ der Frau auch die rechte „Ordnung der Liebe“ zu enthüllen, welche die eigentliche Berufung der Frau darstellt. „Es handelt sich hier um die Berufung in ihrer fundamentalen und geradezu universalen Bedeutung, die dann konkrete Gestalt annimmt und in den vielfältigen ‚Berufungen‘ der Frau in Kirche und Welt zum Ausdruck kommt.“[24] Die moralische und die geistige Kraft der Frau verbinden sich mit dem Bewusstsein, dass Gott „ihr in einer besonderen Weise den Menschen anvertraut“. Natürlich vertraut Gott jeden Menschen allen und jedem einzelnen an. Doch dieses Anvertrauen betrifft in besonderer Weise die Frau – wegen ihrer Fraulichkeit. Die aus diesem Bewusstsein und diesem Anvertrauen geschöpfte moralische Kraft der Frau findet in zahlreichen Frauengestalten – seit den Zeiten des Alten Testaments bis herauf in unsere Tage – ihren Ausdruck. Die Frau ist stark im Bewusstsein der ihr anvertrauten Aufgabe, stark, weil Gott „ihr den Menschen anvertraut“, immer und überall, auch unter den Bedingungen gesellschaftlicher Diskriminierung, unter der sie vielleicht leben muss. Diese Berufung erinnert die Frau an die Würde, die sie von Gott selbst empfängt; das macht sie „stark“ und festigt ihre Berufung. So wird die „tüchtige Frau“ (vgl. Spr 31,10) zu einer unersetzlichen Stütze und einer Quelle geistiger Kraft für die anderen. Diesen „tüchtigen Frauen“ haben ihre Familien und oft ganze Nationen viel zu verdanken.

Die heutige Welt braucht die Sensibilität der Frau für das Menschliche

In unserer Zeit ermöglichen die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik einen materiellen Wohlstand in bisher ungeahntem Ausmaß, der einige begünstigt, andere aber an den Rand drängt. So kann dieser „einseitige Fortschritt“ auch schrittweise zu einem Verlust der Sensibilität für den Menschen, für das eigentlich Menschliche, führen. Unsere Zeit erwartet – so Johannes Paul II. –, dass jener „Genius“ der Frau zutage trete, der die Sensibilität für den Menschen, eben weil er Mensch ist, „unter allen Umständen sicherstellt“ und so bezeugt: „… am größten … ist die Liebe“ (1 Kor 13,13). Ein aufmerksames Bedenken des biblischen „Urbildes“ der Frau bestätigt, worin Würde und Berufung der Frau bestehen und was an ihnen „unwandelbar und immer aktuell“ ist.[25] Wenn der Mensch von Gott „in besonderer Weise“ der Frau anvertraut ist, dann erwartet Christus von ihr die Verwirklichung jenes „königlichen Priestertums“ (1 Petr 2,9), die Verwirklichung jenes Reichtums, den er den Menschen zum Geschenk gemacht hat. Christus, der oberste und einzige Priester des Neuen Bundes und Bräutigam der Kirche, hört nicht auf, dem Vater dieses Erbe im Heiligen Geist darzubringen, damit Gott „alles in allem“ (1 Kor 15,28) sei. Dann wird sich die Wahrheit, dass „die Liebe am größten“ ist, endgültig erfüllen.


[1] Josef Kreiml: Die Rolle der Frau in der Kirche. Geb., 13,5 x 20,5 cm, 192 Seiten ISBN 978-3-9816344-6-4, Euro 17,95 (D) Euro 18,40 (A), Bestellung unter Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5, E-Mail: buch@media-maria.de – Homepage: www.media-maria.de
[2] Papst Johannes Paul II.: Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem über die Würde und Berufung der Frau anlässlich des Marianischen Jahres (15. August 1988), Nr. 26.
[3] Ebd. – Vgl. auch Manfred Hauke: Die Problematik um das Frauenpriestertum vor dem Hintergrund der Schöpfungs- und Erlösungsordnung, Paderborn 41995.
[4] Vgl. Joseph Kardinal Ratzinger: Gott ist uns nah. Eucharistie: Mitte des Lebens, hg. von Stephan Otto Horn und Vinzenz Pfnür, Augsburg 2001; Gerhard Ludwig Müller: Die Messe. Quelle christlichen Lebens, Augsburg 2002, und Josef Kreiml: Die Feier der Eucharistie als höchster Lebensvollzug der Kirche, in: Franz Breid (Hg.): Die heilige Eucharistie, Augsburg 2005, 132-153; auch Veronika Hoffmann: Skizzen zu einer Theologie der Gabe. Rechtfertigung – Opfer – Eucharistie – Gottes- und Nächstenliebe, Freiburg 2013.
[5] Mulieris dignitatem, Nr. 26.
[6] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre: Erklärung zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt – Inter Insigniores (15.10.1976), in: AAS 69 (1977), 98-116.
[7] Davon spricht die Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium (Nr. 10) des Zweiten Vatikanums.
[8] Vgl. Lumen gentium, Nr. 10.
[9] Vgl. das dritte Kapitel (Die hierarchische Verfassung der Kirche, insbesondere das Bischofsamt) von Lumen gentium (Nr. 18–29); auch Margit Weber: Hierarchie, in: Elisabeth Gössmann u.a. (Hg.): Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloh 22002, 288-290.
[10] Mulieris dignitatem, Nr. 27. – Vgl. auch Lumen gentium, Nr. 63.65 und Papst Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris mater über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche (25. März 1987), Nr. 2-6.
[11] Das marianische Profil ist ebenso grundlegend und charakteristisch für die Kirche wie das apostolische und von Petrus geprägte Profil. Die marianische Dimension der Kirche geht der Petrusdimension sogar voraus, wenn sie auch mit dieser eng verbunden ist und sie ergänzt. – Hans Urs von Balthasar (Neue Klarstellungen, Einsiedeln 1979, 114) hat es so ausgedrückt: „Maria ist ‚Königin der Apostel’, ohne apostolische Vollmachten für sich in Anspruch zu nehmen. Sie hat anderes und mehr.“
[12] Vgl. auch F. Kamphaus: Mutter Kirche und ihre Töchter, 79 und W. Kasper: Katholische Kirche, 310.
[13] Mulieris dignitatem, Nr. 27. – Die Geschichte der Kirche kennt – so Johannes Paul II. in seinem Brief an die Frauen (Nr. 11) – „Frauen von erstrangiger Größe“, die „in der Zeit ihre tiefe und heilsame Prägung hinterlassen haben“. Der Papst erinnert an die lange Reihe von Märtyrerinnen, von Heiligen und von außergewöhnlichen Mystikerinnen, an die zahlreichen Frauen, die „auf Antrieb ihres Glaubens Initiativen ins Werk gesetzt haben von außerordentlicher sozialer Bedeutung im Dienst vor allem der Ärmsten“. Auch in der Kirche des dritten Jahrtausends werde es „neue und wunderbare Äußerungen des ‚Genius der Frau’“ geben.
[14] Mary Ward (1585-1645), die Gründerin der „Englischen Fräulein“ (heute: Congregatio Jesu), wollte, dass ihre Mitschwestern nicht in klösterlicher Abgeschiedenheit, sondern nach der entsprechend angepassten Regel des Ignatius von Loyola leben. Sie begegnete deshalb vielen Widerständen – nicht zuletzt aus den Reihen der Jesuiten selbst. Mary Ward hat nicht aufgegeben; aber erst mehr als 50 Jahre nach ihrem Tod wurde der Orden kirchlich anerkannt. Inzwischen ist die Seligsprechung Mary Wards nähergerückt (vgl. W. Kasper: Katholische Kirche, 314). – Ich verweise auch auf folgende Literatur: Immolata Wetter, Mary Ward. Große Gestalten des Glaubens, Aschaffenburg 1985; Walter Nigg: Mary Ward. Eine Frau gibt nicht auf, Zürich 1999 und Cosima Kiesner u.a. (Hg.): Frauen und keine Fräulein. Maria Ward und die Congregatio Jesu (Topos plus, 697), Kevelaer 2009.
[15] Mulieris dignitatem, Nr. 27. – Vgl. auch Anton Rauscher (Hg.): Die Frau in Gesellschaft und Kirche. Analysen und Perspektiven (Soziale Ordnung, 4), Berlin 1986.
[16] Vgl. auch Benedikt XVI.: Heilige und Selige. Große Frauengestalten des Mittelalters. Mit einem Vorwort von Joachim Kardinal Meisner, Illertissen 2011; außerdem Gerda Riedl: Katharina von Siena und die (neue) Evangelisierung, in: Harald Heinrich u.a. (Hg.): Neue Evangelisierung – Kirche konkret. Personen – Positionen – Perspektiven. Festschrift für Bischof Dr. Konrad Zdarsa zum 70. Geburtstag, Paderborn 2014, 126–148.
[17] Mulieris dignitatem, Nr. 27. – Stephan Baier (Die Frau, die mehr als hundert Kinder taufte, in: Die Tagespost, Nr. 112 / 20.09.2014, 5) berichtet – anlässlich des Besuches von Papst Franziskus in Albanien – über die heute 84-jährige albanische Ordensfrau Maria Kaletta: Im kommunistischen Albanien wurde jede Form von Religionsausübung schwer bestraft. Als die Kommunisten 1946 ihr Kloster schlossen, musste die Franziskanerin Maria Kaletta ihr Ordensgewand ablegen; aber von ihrer Berufung ließ sie nicht. Sie arbeitete in einer Kolchose; die Leute dort wussten um ihren religiösen Weg. Sie hat die Kinder getauft, die katholische Eltern mit der Bitte um die Taufe zu ihr brachten. „Der Heldenmut der Schwester sprach sich unter den Gläubigen rasch herum.“ Dass Maria Kaletta in einem Land, in dem Gläubige für geringere „Vergehen“ inhaftiert, gefoltert und sogar hingerichtet wurden, nichts Schlimmeres passierte, „grenzt an ein Wunder“.
[18] Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute – Gaudium et spes, Nr. 10.
[19] Ebd.
[20] Mulieris dignitatem, Nr. 29.
[21] Zur Ehe als Abbild des dreifaltigen Gottes vgl. K. J. Wallner: Sinn und Glück im Glauben (Anm. 146), 130: In der Ehe verwirklicht sich diese „Einheit aus Verschiedenen im Füreinander“. – Zum Thema „Trinität als ewiges Ereignis des Liebens“ vgl. ders.: Wie ist Gott? (Anm. 147), 226-230.
[22] Vgl. dazu Augustinus: De trinitate Liber, VIII, VII, 10-X, 14 (CCL 50, 284-291).
[23] Mulieris dignitatem, Nr. 29.
[24] Ebd., Nr. 30.
[25] Johannes Paul II. hat – so Sara Butler (Erlöste Beziehungen, 11) – das Verständnis der Komplementarität der Geschlechter, das in der christlichen Offenbarung enthalten ist, „geklärt und weitergebracht“. Johannes Paul II. „bietet keine Theorie, die auf Zügen des männlichen oder weiblichen Charakters gründet, noch setzt er voraus, dass diese Züge in gegenseitiger Ausschließlichkeit entweder den Männern oder den Frauen zuzuschreiben seien, oder dass sie hierarchisch zugunsten des Mannes geordnet seien. Er regt auch nicht an, dass gerechterweise nur die Männer Führungsrollen in der Sphäre des öffentlichen Lebens übernehmen sollten, sondern er ermutigt auch Frauen dazu, an diesem teilzunehmen“ (ebd.). Butler erwartet allerdings, sich auch über den „Genius“ des Mannes Klarheit zu verschaffen. Worin besteht der spezifisch männliche Beitrag? „Wenn das Lehramt bekräftigen will, dass die Komplementarität der Geschlechter etwas grundlegend Positives sei, wenn also Männer und Frauen jeweils einen in bestimmter Hinsicht besonderen Beitrag leisten müssen, dann ist es erforderlich, dass eine Antwort auf diese Frage erteilt wird. Wenn man sie außer Acht lässt, dann scheint es so, als ob die Norm des Menschen mit dem Männlichen gleichgesetzt würde, wogegen das Weibliche ein weiteres Mal als das ‚Andere’ erscheint und als ein komplementärer Ausdruck der Menschheit. Dieser Eindruck kann nur dann korrigiert werden, wenn man identifiziert, worin der ‚Genius des Mannes’ besteht. Wenn die Vordenkerinnen des Feminismus das ‚positiv Weibliche’ dem ‚negativen Männlichen’ gegenüberstellen, dann liegt die Abhilfe dafür in einer wie auch immer gearteten Ausformulierung des ‚positiv Männlichen’. Wenn die Kirche sich als unfähig erweist, eine positive Definition des Mann-Seins und der Männlichkeit zu geben, dann darf man sich nicht darüber wundern, wenn wir weiterhin ambivalente Gefühle hegen im Hinblick auf die Vaterschaft Gottes, auf die theologische Bedeutung dessen, dass Jesus ein Mann war, und auf die Tatsache, dass Gott das Priestertum den Männern vorbehalten hat“ (ebd., 12). Das Beispiel Christi, eines Mannes, der sich selbst entäußert im Gehorsam bis zum Tod am Kreuz, der sich selbst in liebevollem Dienen ganz der sündigen Menschheit schenkt, „verkehrt alle Muster patriarchalischer Herrschaft. Wir sehen in ihm die Verwirklichung der Berufung eines jeden Menschen, die sich über das Geschenk des Ich an den Letzten, letztendlich aber an Gott, erfüllen muss. Dieses zutiefst gegen die Kultur gehende Beispiel eines dienenden Jesus spiegelt sich wider im Bild Marias, die aus freier Entscheidung zugestimmt hat, die Magd des Herrn zu sein, indem sie ihrem Sohn einen menschlichen Leib geschenkt und ihn bis ans Kreuz begleitet hat. Unser Glaube zeigt uns dieses Bild ‚erlöster’ Beziehungen zwischen den Geschlechtern“ (ebd.).

Papst bekräftigt die Lehre vom Schutzengel

Unser himmlischer Weggefährte

Am 2. Oktober 2014, dem Fest der hl. Schutzengel, feierte Papst Franziskus in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses „Domus Sanctae Marthae“ die heilige Messe und hielt eine engagierte Predigt über die Wirklichkeit der hl. Engel. Er ging von den beiden Tageslesungen aus und forderte die Gläubigen auf, eine lebendige Beziehung zu ihrem Schutzengel aufzubauen. Es handele sich nicht um eine der Fantasie entsprungene Lehre. Der Schutzengel existiere wirklich. In kindlichem Vertrauen sollten wir seine Führung annehmen. Nachfolgend die Worte des Papstes in teilweise zusammengefassten Auszügen.

Von Papst Franziskus

Die Kirche legt uns zwei Bilder vor, das „Bild des Engels“ (Ex 23,20-23a) und das „Bild des Kindes“ (Mt 18,1-5.10).

Das Buch Exodus (23,20-23a) präsentiert uns das Bild des Engels, den der Herr seinem Volk schickt, um ihm auf seinem Weg beizustehen: „Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht. Er soll dich auf dem Weg schützen und dich an den Ort bringen, den ich bestimmt habe.“ Also ist das Leben ein Weg, der an jenem Ort endet, den der Herr uns bestimmt hat. Aber niemand geht allein: niemand! Denn niemand kann allein gehen. Und wenn einer von uns der Ansicht sein sollte, allein gehen zu können, dann würde er sich schwer irren und er würde in jenen sehr schwerwiegenden Irrtum verfallen, der im Hochmut besteht: zu meinen, groß zu sein. Er würde der Überheblichkeit verfallen, die einen dazu bringt, zu sich selbst zu sagen: ich kann es, ich schaffe es selbst.

Der Herr hingegen gibt seinem Volk einen ganz klaren Hinweis: „Geh, tu das, was ich dir sagen werde. Du gehst den Weg deines Lebens, aber ich werde dir eine Hilfe schicken, die dich unentwegt daran erinnern wird, was du tun sollst.“ Und so sagt er zu seinem Volk, wie es sich seinem Engel gegenüber verhalten soll. Die erste Empfehlung lautet: „Achte auf ihn.“ Und weiter: „Hör auf seine Stimme! Widersetz dich ihm nicht!“ Deshalb muss man es verstehen, ihn nicht nur zu achten, sondern zu verstehen, zuzuhören und sich nicht zu widersetzen. Im Grunde ist es jene fügsame Grundhaltung des Gehorsams, die dem Vater geschuldet wird, die zum Gehorsam des Kindes gehört. Im Grunde handelt es sich um jenen Gehorsam der Weisheit, jenen Gehorsam, Ratschläge anzuhören und sich für den besten unter diesen zu entscheiden. Man muss ein Herz haben, das dafür offen ist, Rat einzuholen und anzuhören.

Das Matthäus-Evangelium (18,1-5.10) präsentiert das zweite Bild, das des Kindes. Die Jünger stritten darüber, wer von ihnen der Größte sei. Jesus aber lehrt sie, wie man sich richtig verhalten soll: Er ruft ein Kind zu sich, stellt es mitten unter sie und lehrt sie die wahre Haltung, die sie einnehmen müssen, die des Kindes: die Fügsamkeit, das Bedürfnis nach Rat, das Bedürfnis nach Hilfe; denn das Kind ist gerade ein Zeichen für Hilfsbedürftigkeit und Fügsamkeit, um weiterzugehen. Das ist der Weg! Nicht: Wer ist der Größte?

An diesem Punkt stellt der Herr eine geheimnisvolle Verbindung her, die man nicht erklären kann, die aber wahr ist. Er sagt: „Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“

Wer sich der Haltung eines Kindes annähert, kommt auch der Betrachtung des Vaters am nächsten. Sie hören offenen und fügsamen Herzens auf den Schutzengel.

Gemäß der Tradition der Kirche haben wir alle einen Engel an unserer Seite, der uns beschützt, der uns die Dinge spüren lässt. Wie oft haben wir sagen hören: „Aber das da … das sollte ich so machen … das ist nicht in Ordnung … pass auf!“ Gerade das ist die Stimme dieses unseres Weggefährten. Wir können uns sicher sein, dass er uns bis ans Ende unseres Lebens mit seinen Ratschlägen begleiten wird. Deshalb muss man auf seine Stimme hören und darf sich nicht auflehnen. Wir alle verspüren die Rebellion, den Wunsch nach Unabhängigkeit. Es ist derselbe Hochmut, der unserem Vater Adam im himmlischen Paradies zu eigen war. Du aber, widersetze dich nicht, folge seinen Ratschlägen!

Niemand geht allein und keiner von uns sollte meinen, er sei allein: dieser Gefährte ist immer dabei! Wenn wir aber nicht auf seinen Rat, auf seine Stimme hören wollen, dann ist es, als würden wir zu ihm sagen: „ Ja jetzt verschwinde doch!“ Aber den Weggefährten wegzujagen, ist gefährlich; denn kein Mann, keine Frau kann sich selbst Rat erteilen. Ich kann einen anderen beraten, aber nicht mich selbst. Es ist da der Heilige Geist, der mich berät, da ist der Schutzengel, der mich berät. Und deshalb brauchen wir sie.

Diese Lehre über die Engel ist keine bloße Fantasie. Nein: das ist die Wirklichkeit. Es ist Jesus selbst, Gott selbst, der gesagt hat:  „Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht! Er soll dich auf dem Weg schützen, damit du keine Fehler machst.“

Ich möchte eine Frage stellen: Wie steht es um die Beziehung zu meinem Schutzengel? Höre ich auf ihn? Sage ich in der Frühe zu ihm: „Guten Morgen!“? Sage ich zu ihm: „Behüte mich während des Schlafs!“? Spreche ich mit ihm? Bitte ich ihn um seinen Rat? Ist er an meiner Seite? Auf diese Frage kann jeder von uns antworten, um zu überprüfen, wie das Verhältnis zu diesem Engel ist, den der Herr geschickt hat, um mich zu beschützen und auf meinem Weg zu begleiten, und der immer das Antlitz des Vaters sieht, der im Himmel ist.

 

Fatima – wenn nicht jetzt, wann dann?

Bei dem neuen Buch „Fatima Jetzt“[1] handelt es sich um ein äußerst umfangreiches, einmaliges Werk mit einer ganz neuen christologischen Interpretation. Bereits zehn Vorträge aus diesem Buch mit den Titeln „Fatima aktuell“ sowie „Fatima und die Barmherzigkeit Gottes“ hat die Autorin Anna Roth im K-TV-Fernsehen gehalten und damit ein sehr reges Interesse ausgelöst.

Fatima ist zunächst ein Ort nördlich von Lissabon in Portugal. Und hier in Fatima befindet sich das große marianische Wallfahrtszentrum, wohin jährlich ca. drei bis vier Millionen Menschen pilgern. Genau an dieser Stelle erschien 1917 Maria, die Muttergottes, den drei Hirtenkindern Lucia, Jacinta und Francisco und gab ihnen eine wichtige Botschaft. Sie besteht insgesamt aus drei Geheimnissen. Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. fasst die Gesamtbotschaft von Fatima inhaltlich in einem Dreischritt zusammen als: „Buße – Umkehr – Glaube“.

In diesem neuen Buch zeigt Anna Roth auf, dass Fatima gerade jetzt wieder hoch aktuell ist. Um was geht es? Es geht um die praktische Umsetzung der Botschaft Marias weltweit, denn Gott will, dass die Menschheit gerettet wird. Einerseits kann diese Rettung nur geschehen, wenn wir bereit sind, uns der Bitte Marias, für die Bekehrung der Sünder zu beten und Opfer zu bringen, zu stellen. Andererseits bedürfen wir, um diese Aufgabe erfüllen zu können, der Gnade Gottes. Der uns liebende Gott kommt uns in seiner großen Barmherzigkeit mit seiner Gnade schon immer zuvor. Diese Aussage konkretisiert sich im Gleichnis vom verlorenen Sohn, wo der Vater dem Sohn schon von Weitem entgegenkommt, schon „bevor“ der Sohn den Vater um Verzeihung bittet (vgl. Lk 15,11-32).

Die Botschaft von Fatima wird völlig neu und zwar christologisch im Licht der Barmherzigkeit und der Liebe Gottes interpretiert. Viele Fragen werden diskutiert und es wird versucht, sie im Lichte des Glaubens zu lösen, z.B.:

Wie frei ist der Mensch wirklich? Was geschieht im Augenblick des Todes? Was bedeutet die End-Entscheidung? Ist sie unwiederbringlich? Ist sie endgültig? Kann der Mensch auch im Angesicht des Todes noch auf die Barmherzigkeit Gottes hoffen, obwohl er sich in seinem Leben um eine Beziehung zu Gott nicht sonderlich gekümmert hat? Was sollen wir tun, damit Gott uns in der letzten Sekunde doch noch verzeiht? Dürfen wir auf einen uns verzeihenden Gott hoffen? Eröffnet die Gnade das Prinzip Hoffnung? Was hat es mit der Höllenvision auf sich?

Weitere wichtige Aspekte wie: die Beichte an sich und die Beichte bei Adrienne von Speyr, der konkrete Lucia-Weg, die gelebte Nächstenliebe der Mutter Teresa, die Liebesthematik bei Therese von Lisieux und Franz von Sales, die Barmherzigkeit Gottes bei Schwester Faustina, sowie der Begriff der Barmherzigkeit an sich und die Gnadenthematik werden neben vielen weiteren anderen Themen ausführlich dargestellt und verständlich erklärt. Natürlich ist der genaue Wortlaut des dritten Geheimnisses mit einer Deutung der Botschaft von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. enthalten. Und die Engelgebete werden noch einmal extra christologisch gedeutet.

Ein religiöses Sachbuch, das neue Erkenntnisse und Zusammenhänge aufzeigt und zum Nachdenken anregt. Fatima spannt uns ins Tun – jetzt!

Von der Autorin sind auch zwei Lyrik-Bände erschienen: „Rosenduft der Liebe“ und „Rosenduft des Lebens“. Dipl.-Theologin Anna Roth führt den Leser in eine Welt der christlichen Nächstenliebe und der Lebensbewältigung, wobei der Rosenduft assoziativ für eine optimistische Lebenseinstellung steht, die das Herz anrührt und beglückt. Und es ist die Liebe, die Frieden schenkt und verzeiht. Wunderschöne, farbige Rosenabbildungen schmücken beide Bände. Ein kostbares Geschenk für viele Anlässe. Die Paperback-Ausgaben können auch bei der Autorin bestellt werden. Kontakt: Tel. 02244-3470www.anna-roth.com


[1] „FatimaJetzt“ ist im Buchhandel oder bei der Autorin erhältlich. ISBN 978-3-86279-642-7, 200 S., 4 farb. Abb., Euro 12,90. www.anna-roth.com

Zum Umgang mit der menschlichen Geschlechtlichkeit

Bewertung sexueller Befriedigung

Im Beitrag „Die Erlösung des Leibes“ (Nr. 11/2014) äußerte sich Pfarrer Erich Maria Fink sehr dezidiert über sexuelle Befriedigung und deren sittliche Bewertung. Professor Dr. Karl Philberth wünscht sich dazu jedoch eine noch weitergehende Präzisierung. Fink geht auf die ethischen Überlegungen von Prof. Philberth ein und beleuchtet die Frage nach einem verantwortlichen Umgang mit der menschlichen Sexualität sowohl aus lehramtlicher als auch aus pastoraler Sicht.

Von Erich Maria Fink

Todsünde oder lässliche Sünde?

Professor Dr. Karl Philberth plädiert für eine reine Sachethik, um nicht einen Türspalt zum reinen Subjektivismus zu öffnen. Deshalb wäre es ihm wichtig, klar zu unterscheiden, inwiefern es sich bei ungeordneter sexueller Befriedigung um eine lässliche oder um eine schwere Sünde handelt, welche vom Empfang der hl. Kommunion ausschließen würde. Er schreibt:

„Der Katechismus der Katholischen Kirche – Kompendium ist im Jahr 2005 erschienen und von unserem emeritierten Papst Benedikt XVI. eingeleitet. Darin ist nach Nr. 394 unterschieden zwischen Todsünden und lässlichen Sünden. Von der Todsünde heißt es nach Nr. 395, sie „führt uns zum ewigen Tod der Hölle, wenn wir sie nicht bereuen“. Von der heiligen Kommunion heißt es in Nr. 291, dass man sich zu deren Empfang keiner Todsünde bewusst sein darf, und in Nr. 292, dass sie die lässlichen Sünden tilgt.

Im Artikel ,Die Erlösung des Leibes‘ von Pfr. Erich Maria Fink steht im Ausblick: „Warum wird nicht eindeutig gesagt, dass alle Formen direkter sexueller Befriedigung außerhalb des ehelichen Aktes, auch gelebte homosexuelle Beziehungen, ungeordnet und damit eine Sünde sind?“ Handelt es sich hier um Todsünden oder lässliche Sünden? Freilich kann man entgegnen, das hänge von den konkreten Gegebenheiten des Falles ab – aber damit öffnet man einen Türspalt zum Subjektivismus und verlässt die reine Sachethik. Ich befürworte eine klare Sachethik auf dem Boden des kirchlichen Lehramtes, die aber Spielraum für freie persönliche Entscheidung lässt.“

Unzulänglichkeit einer „reinen Sachethik“

Ich bin mir bewusst, dass es sich bei der Frage nach einem sittlich verantwortbaren Umgang mit der menschlichen Geschlechtlichkeit um eine sehr sensible und diffizile Angelegenheit handelt. Deshalb wagt heutzutage kaum jemand, dazu konkrete Aussagen zu machen. Außerdem kann man in einem kurzen Artikel nie ein zulängliches Gesamtbild von der christlichen Einordnung der Sexualität zeichnen. Dennoch will ich versuchen, auf die von Dr. Philberth aufgeworfenen Fragen kurz einzugehen und einige Orientierungspunkte aufzuzeigen. Dabei möchte ich weniger einen Wahrheitsanspruch erheben, als vielmehr von meiner pastoralen Erfahrung als Mensch und als Seelsorger ausgehen.

Zunächst stellt Philberth die Frage nach der Schwere der Sünde. Die Aussage, „dass alle Formen direkter sexueller Befriedigung außerhalb des ehelichen Aktes, auch gelebte homosexuelle Beziehungen, ungeordnet und damit eine Sünde sind“, kann man nur auf dem Hintergrund verstehen, dass die Kirche auch in dieser konkreten Frage eine klare Unterscheidung zwischen lässlicher Sünde und Todsünde vorsieht. Einerseits müssen wir im Auge behalten, dass ungeordnete Befriedigung nie richtig ist, andererseits ist zu beachten, dass nicht jedes Vergehen bzw. Versagen in diesem Bereich eine Todsünde darstellt, welche von Gott trennt.

Vom ethischen Gesichtspunkt aus, d.h. auf dem Boden der Sachethik, steht also fest, dass die Handlung an sich nicht dem Willen Gottes entspricht und sittlich nicht gerechtfertigt werden kann. So sagt der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK): „Das gewählte Objekt kann allein schon ein Handeln als Ganzes zu etwas Schlechtem machen. Es gibt konkrete Verhaltensweisen wie etwa die Unzucht, für die sich zu entscheiden stets falsch ist, weil in der Entscheidung für sie ein Fehlgriff des Willens liegt, das heißt etwas sittlich Schlechtes“ (Nr. 1755). Doch greift zur Feststellung der Schwere der begangenen Sünde eine reine Sachethik zu kurz. Ob es sich nämlich um eine Todsünde handelt oder nur um eine lässliche Sünde, hängt tatsächlich von zahlreichen Faktoren ab.

Zur persönlichen Verantwortung und damit zur Schuldfrage heißt es im KKK: „Aufgrund seiner Freiheit ist der Mensch für seine Taten soweit verantwortlich, als sie willentlich sind. Fortschritt in der Tugend, Erkenntnis des Guten und Askese stärken die Herrschaft des Willens über das Tun.

Die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung für sie können durch Unkenntnis, Unachtsamkeit, Gewalt, Furcht, Gewohnheiten, übermäßige Affekte sowie weitere psychische oder gesellschaftliche Faktoren vermindert, ja sogar aufgehoben sein“ (Nr. 1734 u. 1735).

Besonders im Blick auf die menschliche Geschlechtlichkeit ist diese lehramtliche Aussage der Kirche höchst brisant und direkt anwendbar. Sie besagt nämlich, dass eine Handlung, welche objektiv gesehen eine Sünde ist, im konkreten Fall nicht unbedingt eine subjektive  Schuld bedeuten muss. Gerade aufgrund psychischer Faktoren oder Gewohnheiten kann die Verantwortung sogar ganz aufgehoben sein, das heißt, dass beim Betreffenden keine persönliche Schuld vorliegt. Diese Berücksichtigung der konkreten Situation des Menschen, seines Umfelds, seiner Absichten und seines Verantwortungsbewusstseins bedeutet keine reine „Gesinnungsethik“ oder ein Abgleiten in den Subjektivismus (vgl. KKK Nr. 1756). Sie ist vielmehr die Voraussetzung, um dem Menschen in seiner Entwicklung gerecht werden zu können und ihn auf dem Weg der Heiligung fruchtbar zu begleiten.

Die Frage nach dem würdigen Kommunionempfang

Konsequenterweise bringt Dr. Philberth im Blick auf die Schwere der Schuld die Frage nach dem Kommunionempfang ins Gespräch. Entscheidend ist zunächst, ob der Gläubige den Sachverhalt grundsätzlich anerkennt und innerlich bejaht, dass beispielsweise die Selbstbefriedigung keinen richtigen Umgang mit seiner Geschlechtlichkeit bildet.

Stellt sich nun ein junger Mensch dieser Herausforderung und versucht ehrlich, seine Selbstbefriedigung zu überwinden, so muss ein Versagen in diesem Ringen nicht unbedingt von der hl. Kommunion ausschließen. Hier kommen die genannten Faktoren wie Gewohnheit oder äußere Reize zum Tragen.

In der Seelsorge habe ich die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die dieses Problem überhaupt noch ernst nehmen, aber jedes Mal bis zur nächsten Beichte warten, bevor sie die heilige Kommunion empfangen, oft jahrelang auf der Stelle treten, sich unnötig auf diese Schwäche fixieren und den Blick für den wahren Aufbau des Reiches Gottes verlieren. Wenn der Betreffende jedoch ehrlich zu sich sagen kann, dass er letztlich Gott nicht beleidigen und ihn schon gar nicht verlieren wollte, dass er bereut und den Kampf nicht aufgibt, dann darf er sich bewusst machen, eben keine Todsünde begangen zu haben und die heilige Kommunion empfangen zu dürfen. Dies schließt nicht aus, dass er sich bereits in diesem Augenblick vornimmt, in der nächsten Beichte die Sünde auszusprechen und das Erlebte als Schule der Demut zu nützen. Anstatt sich zu sehr auf diese sexuellen Schwierigkeiten zu konzentrieren, kann er seinen Blick auf den Dienst am Nächsten lenken und erleben, wie er in der wahren Hingabe Erfüllung findet und von seiner Selbstbefriedigung immer weniger berührt wird. Durch die Loslösung von der Angst vor der Todsünde, welche sogar zu krankhaften psychischen Zuständen führen kann, stellt sich in der Regel eine ganzheitliche Befreiung von innerer Verkrampfung und eine überraschend schnelle Überwindung der sexuellen Probleme ein.

Darin zeigt sich, wie sehr wir als Seelsorger in der Pflicht stehen, verantwortungsvoll und sorgfältig zwischen lässlicher und schwerer Sünde zu unterscheiden. Dies gilt auch für sexuelle Kontakte mit Partnern. Selbstverständlich sind voreheliche Beziehungen nicht zu rechtfertigen. Doch kann es im Austausch der Zärtlichkeiten zu weit kommen, ohne dass beide der Verlobten zunächst wirklich die Absicht hatten zu sündigen. Auch bei Ehepaaren, welche beispielsweise den Weg der natürlichen Familienplanung verwirklichen, kann es zu direkter gegenseitiger Befriedigung außerhalb des ehelichen Aktes kommen. Es wäre abwegig, dabei sofort von einer Todsünde zu sprechen. Letztlich muss beim Abwägen der Schwere der Schuld jeder Einzelne in seinem Gewissen die Entscheidung fällen, ob er sich würdig fühlt, die heilige Kommunion noch vor einer gültigen Beichte zu empfangen. Gefragt ist jedoch absolute Ehrlichkeit. Wer im klaren Bewusstsein und mit freiem Willen die Ehe bricht, begeht eine Todsünde und kann nur dann die heilige Kommunion empfangen, wenn er seine Schuld aufrichtig bereut und mit dem klaren Vorsatz der Abkehr von dieser Sünde beichtet.

Zusammenwirken von Wille und Gnade

Ich kann mich an ein Gespräch des Schülerkreises des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger erinnern. Thema unter den Teilnehmern war die künstliche Befruchtung einer Frau mit dem Samen des eigenen Mannes, um eventuell einer Kinderlosigkeit abzuhelfen. Noch bevor der Kardinal den Saal betreten hatte, kam zur Sprache, dass die Glaubenskongregation, also Kardinal Ratzinger selbst, allein schon deshalb keine Möglichkeit dazu sehe, weil der Samen des Mannes durch Masturbation gewonnen werden müsste, was aber Sünde wäre. Da ging ein unverständliches Raunen durch den Saal, das bis zur entsetzten Ablehnung einer solchen Argumentation ging. Mir aber hat sich damals die strenge und doch so einfache Haltung des Kardinals tief eingeprägt.

Auf einem Seminar zum Thema „Verkündigung mit Macht“ in der Nähe von Rom erlebte ich vor vielen Jahren das Zeugnis einer jungen Frau. Sie erzählte von ihrer Beichte, in der ihr der Beichtvater soeben erklärt habe, die künstliche Empfängnisverhütung sei Sünde. Sofort habe sie ihre Pillen in den Abfall geworfen. Nun verspüre sie über die klare Entscheidung für Gott eine ungeheure Freude. Sie sei sich sicher, auch ihren Mann davon überzeugen zu können. Schon mehrere Jahre nehme sie seit ihrer Bekehrung an einem Gebetskreis teil und habe auch begonnen, die Sakramente zu empfangen. Hätte ihr jemand am Beginn ihres Weges von der Pille gesprochen, hätte sie sich gewiss von der Kirche und von Gott wieder abgewendet. Nun aber sei genau der richtige Zeitpunkt für dieses Thema gekommen, auf den sie durch die Gnade und Kraft des Heiligen Geistes vorbereitet worden sei.

Beim Thema Sexualität kommt alles darauf an, dass wir nie das Ziel aus dem Auge verlieren, nämlich die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit. Nur im Zusammenwirken von Wille und Gnade kann die Fähigkeit zur Liebe und Hingabe geformt werden.

Neuen Kommentar schreiben

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder! Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare gegebenenfalls nicht für die Veröffentlichung freizugeben oder in Abstimmung mit den jeweiligen Autoren zu kürzen.