Zur Seligsprechung Pauls VI.
Der erste „moderne“ Papst
Am 19. Oktober dieses Jahres wird Papst Paul VI. (1963-1978) seliggesprochen. Für viele kam diese Ankündigung völlig überraschend. Denn im Licht der bereits heiligen Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. war sein gewaltiger Einsatz für die Kirche in den Hintergrund getreten, ja fast vergessen worden. Wer war dieser große Papst? Ulrich Nersinger vermittelt einen aufschlussreichen Überblick über das Leben und Wirken Pauls VI., der als erster wirklich „moderner“ Papst in die Geschichte eingegangen ist. Der Beitrag wurde als Vorwort zum Buch „Papst Paul VI. und der Glaube“ verfasst, das Mons. Leonardo Sapienza, der sog. „Regens“ des Päpstlichen Hauses, zunächst auf Italienisch und nun auch auf Deutsch herausgegeben hat.[1]
Von Ulrich Nersinger
Es ist fast ein halbes Jahrhundert vergangen, seitdem Papst Paul VI. am 22. Februar 1967 mit dem Apostolischen Schreiben Petrum et Paulum apostolos ein Jahr des Glaubens ausrief. Es war dem damaligen Oberhaupt der katholischen Kirche wichtig, an das machtvolle Glaubenszeugnis der Apostel Petrus und Paulus zu erinnern, das diese 1900 Jahre zuvor durch ihr Martyrium in Rom besiegelt hatten. Der Papst wünschte sich von der ganzen Kirche für diese Feier, dass sie des Erbes der beiden Apostel gedachte und den Glauben, der in der Frühzeit des Christentums so viele Menschen fasziniert und sie ins Herz getroffen hatte, zu ihrer eigenen lebendigen Erfahrung machen würde.
Bei einer Generalaudienz im März des Jahres 1967 hob Paul VI. hervor: „Wenn wir dem Glauben zustimmen, den die Kirche uns vorlegt, treten wir unmittelbar mit den Aposteln in Verbindung, deren Gedächtnis wir begehen wollen, und durch sie mit Jesus Christus, dem ersten und einzigen Meister; wir begeben uns in ihre Schule, überwinden den Abstand der Jahrhunderte, die uns von ihnen trennen, und machen aus dem jetzigen Augenblick eine lebendige Geschichte, die immer gleiche und der Kirche eigentümliche Geschichte.“ Der Glaube, erklärte der Papst in der gleichen Ansprache und nahm damit die Definition des Konzils von Trient auf, „ist für den Menschen der Anfang seines Heils“ (Humanae salutis initium est).
Im Juni 1968 beschloss der Heilige Vater das Jahr des Glaubens mit einem Glaubensbekenntnis, das er als „Credo des Gottesvolkes“ bezeichnete. Wie der Papst erklärte, „haben wir damit Unsere unerschütterliche Treue zum Depositum Fidei, dem Glaubensgut, bekundet, das sie uns überliefert haben, und unseren Wunsch bekräftigt, es in der geschichtlichen Situation der pilgernden Kirche in der Welt zur Lebensgrundlage zu machen“. Paul VI. sah sich in die Pflicht genommen, den Auftrag zu erfüllen, „den Christus Petrus übertragen hat, die Brüder im Glauben zu stärken. Wir sind sein Nachfolger, wenn auch dem Rang nach der geringste.“
Wer war dieser Nachfolger des Apostelfürsten, der in einer schwierigen Zeit, einer Epoche, die die Welt in Bewegung und Unruhe versetzte, der Kirche Jesu Christi auf Erden vorstand? Giovanni Battista Montini war am 26. Sept. 1897 im norditalienischen Concesio (Brescia) geboren worden. Er entstammte einer großbürgerlichen, weltoffenen Familie, die tief im katholischen Glauben verwurzelt war. Der Vater war Herausgeber einer Tageszeitung und Abgeordneter des italienischen Parlaments. Der junge Montini hatte sich schon früh für das Priestertum entschieden. Da er über eine schwache Gesundheit verfügte, besuchte er von seinem Elternhaus aus die Vorlesungen im Seminar von Brescia. 1920 empfing er die Priesterweihe.
Er kam nach Rom, wo er 1921 in die päpstliche Diplomatenakademie eintrat. Ein Einsatz in der Apostolischen Nuntiatur in Warschau im Jahr 1923 dauerte weniger als ein halbes Jahr, da ihn Gesundheitsgründe zwangen, in die Ewige Stadt zurückzukehren. Im Oktober 1924 wurde er in den Dienst des Päpstlichen Staatssekretariates berufen. Zeitgleich erfolgte die Ernennung zum Geistlichen Assistenten des Zusammenschlusses der katholischen Studentenschaft in Italien (FUCI). 1937 stieg er in den Rang eines Substituten im Päpstlichen Staatssekretariat auf und wurde damit engster Mitarbeiter des damaligen Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli und späteren Pius XII. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges arbeiteten Monsignore Montini und der Papst Hand in Hand.
1952 bat er Pius XII., auf die ihm angetragene Kardinalswürde verzichten zu dürfen; der Papst ernannte ihn dann zu einem seiner beiden Pro-Staatssekretäre. Zwei Jahre später berief ihn Pius XII. zum Erzbischof von Mailand, der größten Diözese Italiens. Dort bemühte er sich, mit den ihm anvertrauten Gläubigen in unmittelbaren Kontakt zu treten: Er fuhr in die Pfarreien, nahm Firmungen vor und besuchte die Arbeiter in den Fabriken. 1957 initiierte er eine große und erfolgreiche Volksmission. Im Konsistorium vom Dezember 1958 erhob ihn der im Jahr 2014 heiliggesprochene Papst Johannes XXIII. zum Kardinalpriester von SS. Silvestro e Martino. 1962 wurde er Mitglied der Zentralen Vorbereitungskommission des Zweiten Vatikanischen Konzils. Am 21. Juni 1963 folgte er Papst Johannes XXIII. auf den Stuhl des heiligen Petrus nach.
Mit bewundernswerter Tatkraft führte er als Paul VI. das Konzil weiter und beendete es zwei Jahre später. Der katholischen Kirche gab er durch seine Enzykliken, Pastoralreisen in alle Welt und Reformen – vor allen im Bereich der Liturgie – ein erneuertes Gesicht. Spontane Handlungen des Pontifex verblüfften Kirche und Welt: Seine persönliche Tiara, die dreifache Papstkrone, legte er als Gabe an die Armen auf dem Altar der Peterskirche nieder; vor dem Abgesandten des Patriarchen von Konstantinopel kniete er in der Sixtinischen Kapelle nieder. Mit seiner Enzyklika Humanae vitae setzte er ein unübersehbares Zeichen für die Würde der christlichen Ehe. Nicht zuletzt seine Glaubensstärke und Demut führten zu einem kirchlichen Verfahren, das ihm am 19. Oktober 2014 die Ehre der Altäre zuteilen wird.
Jean Guitton, Philosoph, Schriftsteller, Mitglied der Académie française und von Johannes XXIII. offiziell als Beobachter zum Zweiten Vatikanischen Konzil eingeladen, kam in der Beurteilung Pauls VI. zu der Überzeugung: „Die Päpste der letzten Zeit konnten den modernen Menschen lieben und unterstützen, aber ihre Mentalität stimmte im tiefsten mit der modernen Denkart nicht überein. Pius XI. war kernig, geradlinig wie ein Gebirgsbewohner; Pius XII. besaß die römische Festigkeit, mystische Glut und humanistische Bildung – aber fühlte er wie ein moderner Mensch? Johannes XXIII. war zwar modern in seinen Plänen, doch nicht in seinen Nerven und seiner Substanz. In Paul VI. stellt sich der moderne Mensch dar.“
Für den französischen Denker war die Ähnlichkeit des Papstes mit dessen Namensvetter, dem Völkerapostel aus Tarsus, bestechend. Der heilige Paulus habe jene Züge, die man modern nenne; er rühme sich seiner Schwachheiten, er bezeichne sich als zerrissen, als versucht, als unsicher: „Paul VI. gleicht in seinen Bestrebungen, in seinen quälenden Sorgen, in seiner ganzen Natur dem Menschen unserer Tage.“ In dieser Schwäche aber liege eine Stärke, die Kraft, Schwierigkeiten ungeahnten Ausmaßes anzugehen und zu bewältigen. Und so könne der Papst von sich sagen: „Gerade weil ich eine ängstliche Natur habe, bin ich so energisch; gerade, weil mich Furcht beschleicht, überwinde ich sie besser als einer, der sie nicht kennt.“
Paul VI. empfand in dem Anspruch, in die Welt von heute einzutauchen – „modern“ zu sein – keine Missachtung der Tradition. Im Gegenteil, ohne Tradition, ohne in dieser verwurzelt zu sein, aus ihr zu schöpfen und sie hoch zu achten, wäre für ihn der Schritt in die Neuzeit ein Fehltritt gewesen. Der durch fast zwei Jahrtausende überlieferte Glaube der Apostel und der frühen Kirche waren ihm ein unverzichtbares Erbe. Am Ende seines Lebens konnte er sich mit Recht auf die Worte des heiligen Paulus berufen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt“ (2 Tim 4,7).
Der Glaube Papst Pauls VI. zeigt sich eindrucksvoll und berührend in den Worten seines geistlichen Testaments: „Im Angesicht des Todes, dieser totalen und endgültigen Loslösung vom irdischen Leben, empfinde ich es als meine Pflicht, das Geschenk, das Glück, die Schönheit und die Bestimmung dieser flüchtigen Existenz zu rühmen: Herr, ich danke Dir, dass Du mich ins Leben gerufen hast, mehr noch, dass Du mich zum Christen gemacht, mich wiedergeboren und zu der Fülle des Lebens bestimmt hast.“
Gebet Papst Pauls VI. um Stärkung des Glaubens
Zum Abschluss des „Jahres des Glaubens“ am 30. Oktober 1968
Herr, ich glaube; ich will an Dich glauben.
O Herr, gib, dass mein Glaube ungeschmälert ist, ohne Vorbehalte, und dass er mein Denken durchdringt, meine Weise, die göttlichen und die menschlichen Dinge zu beurteilen.
O Herr, gib, dass mein Glaube frei ist, dass er also die persönliche Mitwirkung meiner Zustimmung hat, dass er den Verzicht und die Pflichten annimmt, die er mit sich bringt, und dass er das Beste meiner Persönlichkeit zum Ausdruck bringt: Ich glaube an Dich, Herr.
O Herr, gib, dass mein Glaube gewiss ist, gewiss aufgrund der Konvergenz der Beweise außen und aufgrund des Zeugnisses des Heiligen Geistes innen, gewiss durch ein Licht, das uns Sicherheit gibt, durch eine Lösung, die uns Frieden verschafft, durch ein Annehmen, das uns Ruhe bringt.
O Herr, gib, dass mein Glaube stark ist, dass er die Widrigkeiten der Probleme nicht fürchtet, von denen unser nach Licht dürstendes Leben voll ist, und dass er den Widerstand derjenigen nicht fürchtet, die ihn bestreiten, bekämpfen, ablehnen, negieren, sondern sich durch den Beweis Deiner Wahrheit im Innersten festigt, dass er der mühevollen Herausforderung der Kritik widersteht und sich in der fortwährenden Bejahung kräftigt, welche die dialektischen und spirituellen Schwierigkeiten überwindet, in denen sich unsere zeitliche Existenz vollzieht.
O Herr, gib, dass mein Glaube froh ist und meinem Geist Frieden und Freude gibt und dass er ihn zum Gebet zu Gott und zum Gespräch mit den Menschen befähigt, so dass in das heilige und das profane Gespräch die innere Seligkeit seines glücklichen Besitzes hineinstrahlt.
O Herr, gib, dass mein Glaube wirksam ist und der Liebe die Gründe für ihr moralisches Sich-ausbreiten gibt, so dass sie wahre Freundschaft mit Dir ist und in den Werken, im Leiden, in der Erwartung der endgültigen Offenbarung eine fortwährende Suche nach Dir, ein fortwährendes Zeugnis von Dir, eine fortwährende Nahrung für die Hoffnung ist.
O Herr, gib, dass mein Glaube demütig ist und sich nicht anmaßt, sich auf die Erfahrung meines Denkens und meines Empfindens zu gründen, sondern dass er sich dem Zeugnis des Heiligen Geistes ergibt und dass er keine bessere Garantie als in der Folgsamkeit gegenüber der Tradition und der Autorität des Lehramtes der heiligen Kirche hat. Amen.
[1] Leonardo Sapienza: Papst Paul VI. und der Glaube. Gebunden, 12 x 19 cm, 112 Seiten. Zu bestellen unter Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5, E-Mail an: buch@media-maria.de – Internet: www.media-maria.de
Bestätigung der prophetischen Enzyklika „Humanae vitae“
Paul VI.: „Märtyrer“ des Lehramts
Weihbischof Dr. Andreas Laun betrachtet die bevorstehende Seligsprechung von Papst Paul VI. als wichtiges Signal. Denn dadurch wird der Blick auf einen großen Hirten der Kirche gelenkt, der bislang zu Unrecht im „Schatten der Erinnerungen“ stand. Neben dem „Credo des Gottesvolkes“ hebt Weihbischof Laun besonders die Enzyklika „Humanae vitae“ hervor. Dieses mutige Wort, das Paul VI. gegen alle Widerstände in „einsamer“ Verantwortung verkündet hatte, lässt nicht nur die Größe seiner Persönlichkeit aufleuchten, sondern stellt auch einen Schlüssel zum Verständnis der gesamten kirchlichen Entwicklung seit 1968 dar.
Von Weihbischof Andreas Laun
Papst Paul VI. war nicht so populär wie sein Vorgänger Papst Johannes XXIII., und er wurde dies auch nie wie seine Nachfolger Papst Johannes Paul I. und vor allem Johannes Paul II. oder jetzt Papst Franziskus. So stand und steht er im Schatten der Erinnerungen. Und doch, er war ein großer Papst! Man könnte sagen: Er hat die Kirche in die neue Zeit geführt vor allem dadurch, dass er das Konzil, das große Werk von Papst Johannes XXIII., zu Ende brachte und auch darüber hinaus viele wichtige Dokumente veröffentlichte.
Hervorzuheben ist darunter vor allem, scheint mir, das heute fast vergessene „Credo des Gottesvolkes“. Vergessen, aber gerade dieses „sein“ Credo, das er natürlich als das Credo der Kirche verstanden wissen wollte, ist in höchstem Maße „zeitgemäß“, das heißt: nicht dem Zeitgeist entsprechend, sondern, im Gegenteil, gegen dessen Krankheiten immunisierend und korrigierend. Der Papst sah und roch den „Rauch Satans, der in den Tempel Gottes eingedrungen“ war und immer noch weiter eindringt durch verdrehte Auslegungen des Glaubens, des Konzils, durch offene Häresien und, wie man heute mit Entsetzen entdeckt hat, durch Brutstätten der Unmoral in der Kirche selbst. All dem setzte er, auch darin prophetisch, sein „Credo des Gottesvolkes“ entgegen. Viel ausführlicher als alle anderen Credos, die wir als kostbaren Schatz der Kirche besitzen, hat Papst Paul VI. den Glauben der Kirche zusammengefasst und so den Glauben der Kirche verkündet, wie eine Kurzfassung des Katechismus, den Jahre später Papst Johannes Paul II. veröffentlicht hat. Dieses Glaubensbekenntnis von Papst Paul VI. könnte noch sehr wichtig werden im ökumenischen Dialog!
Die größte, weil mutigste Tat Papst Pauls VI. war, nach langen Vorbereitungen, 1968 die Veröffentlichung der Enzyklika Humanae vitae! Sehenden Auges hat er dieses Lehrschreiben der Welt vorgelegt! Man könnte sagen: „Und er nahm sein Kreuz aus freiem Willen auf sich“! Denn dass man ihn steinigen, kreuzigen, beschimpfen, verspotten würde, das hat er gewusst, das war keine Überraschung, und er hat sein Leiden getragen.
Damals, in der Zeit des Konzils und unmittelbar danach, wurde das Thema Verhütung immer wieder angesprochen, indem man unzählige Male fragte: Wird die Kirche ihre Lehre zur Verhütung ändern oder nicht? Die Einen wünschten es, andere waren in Sorge, jeder auf seine Weise erzeugte Spannung, Hoffnung oder Furcht. Natürlich wurde darüber auch an den theologischen Lehrstätten gesprochen, es ist aber zu bezweifeln, ob die „alte Lehre“ der Kirche wirklich bekannt war. Das Resultat „Nein – ist Sünde“ wohl schon, nicht aber die tiefere Begründung. Unter den Studenten herrschte der Kitzel des Neuen, aber zugleich wohl auch des Interessanten, weil Unbekannten! Erst recht wussten natürlich die Nichtkatholiken nicht Bescheid. Sogar ein so großer Denker und später ein Verteidiger der katholischen Lehre über Verhütung wie Dietrich von Hildebrand hat gestanden: Im Konvertiten-Unterricht war er aufs äußerste erstaunt über die katholische, ihm unverständliche Lehre, die er nur aus Gehorsam annehmen konnte!
So lag eine große Erwartung in der Luft! Spekuliert wurde viel, aber niemand konnte voraussagen, was die Antwort des Papstes sein werde und wann sie kommen würde.
Und dann war sie auf einmal da, im August 1968! Wahrscheinlich ist es nicht übertrieben zu sagen: Die ganze Welt hielt den Atem an, einige „Schrecksekunden“ lang sprach niemand, dann aber ging ein Schrei des Entsetzens und der Empörung um die Welt: Der Papst der katholischen Kirche hatte „Nein!“ gesagt. In dem Text fand sich kein Schlupfloch, durch das hindurch ein geschickter Theologe diesem Nein hätte entkommen und ein wenigstens bedingtes Ja hätte herauslesen können. Natürlich, es gab auch damals viele, die begeistert waren und dem Papst dankten für seine Haltung und sein mutiges Wort. Aber die breite Mehrheit der öffentlichen Meinung in- und außerhalb der Kirche war sich einig: Der Papst hat sich geirrt! Noch heute, im Jahr 2014, nannte sogar ein deutscher Bischof das Dokument eine „nachkonziliare Verirrung des kirchlichen Lehramtes“! Und genau besehen sagt er damit nur einmal mehr, was damals eine breite Mehrheit dachte und sagte: Man verwies auf die „Mehrheit der Theologen-Meinung“, man berief sich darauf, dass doch bereits die im Vorfeld beratende Kommission gespalten war und die „Mehrheit“ der Kommissions-Mitglieder anders dachten, und schließlich meldeten sich eine Reihe von Bischofskonferenzen mit „Erklärungen“ zu Wort, in Deutschland mit der so genannten „Königsteiner Erklärung“, in Österreich mit der „Mariatroster Erklärung“. Direkt und frontal widersprachen sie dem Papst nicht, aber ihr gemeinsamer Nenner war die Botschaft an die Gläubigen: „Ihr könnt auch anders leben, ohne dabei zu sündigen!“ Man muss zugeben: das intellektuell-theologische Niveau dieser Erklärungen war alles andere als ein Ruhmesblatt der Konferenz-Teilnehmer. Aber, um gerecht zu bleiben, muss man sehen: Die Bischöfe waren selbst auch überrascht von der Antwort des Papstes und waren der Frage nicht gewachsen. Sie waren guten Willens und wollten die aufgeregte Menge beruhigen. In gewisser Weise gelang ihnen dies auch, aber zugleich richteten sie einen schweren Schaden an, der bis heute die Kirche vor allem in Europa schwer belastet. Denn die Menschen wandten die Botschaft der Bischöfe auch auf alle anderen Fragen an und zwar mit logischer Konsequenz: Wenn es möglich ist, sich gegen die Lehre der Kirche bezüglich der Verhütung auf die eigene Meinung und die der Mehrheit zu berufen, muss dies auch bezüglich anderer Lehren erlaubt sein! In diesem Sinne missdeutete man die Lehre von der „Gewissensfreiheit“, glaubte sich auf Kardinal Newman berufen zu können, und meinte, es könne in der Kirche auch einen moralisch erlaubten Ungehorsam geben. Dazu trug auch bei, dass man die Lehre der Kirche als eine „Meinung“ und „Anordnung“ des Papstes deutete und sie so zu Menschenwerk machte. Aus dem Blick geriet die eigentliche Frage, ob es dabei um ein Gebot Gottes geht, das die Kirche und der Papst weder einführen noch abschaffen, sondern nur weitergeben können, oder eben um bloßes Menschenwerk.
Wie dieses Prinzip des Ungehorsams in der Kirche praktiziert werden kann, zeigte sich in jener Moraltheologie, die allen Scharfsinn aufbot, um zu zeigen, dass sich der Mensch seine Lebensregeln selbst machen kann und sogar machen muss. Praktisch sichtbar wurde die Auflehnung gegen die Autorität der Kirche und die Behauptung der eigenen Autorität in den so genannten „Reformbewegungen“, deren Ziel es war, die Lehre der Kirche in der Verhütungsfrage, bezüglich der Homosexualität, zur Priesterweihe der Frau und sogar zur Abtreibung als veränderbar darzustellen und der Meinung des je einzelnen zu überlassen. Es kann nicht überraschen, dass sich dieser Geist auch der liturgischen Ordnung bemächtigte: Weithin begann zu gelten: Wir, die Gemeinde, feiern „unsere“ Messe und wir bestimmten die Riten und auch die Texte.
Alles in allem, man hat die Kirche mehr und mehr als eine Art Demokratie neu erfunden, in der „das Volk“ die Lehre, die Moral und auch die Ordnung „selbständig“ und „mündig“ bestimmen kann. Papst und Bischöfe dürfen mitdiskutieren, aber nicht mehr, sie sollten sich an die „Regeln“ der Mitbestimmung halten.
Alles in allem: Der Protest gegen Humanae vitae und die bischöflichen „Erklärungen, die die Lehre nicht erklärten, sondern der Ablehnung ein gutes Stück weit rechtgaben, standen am Anfang der skizzierten Entwicklung.
Und doch, die Frage nach Wahrheit oder Irrtum von Humanae vitae ist nie zur Ruhe gekommen. Immer wieder tauchten „Erklärungen“ von Moraltheologen auf, die das Nein zu Humanae vitae wiederholten und es gerne von den Medien verstärken ließen. Umgekehrt versuchte Papst Johannes Paul II. mit seiner „Theologie des Leibes und der Liebe“ eine Annahme der Lehre zu erreichen, aber gelungen ist dies bis heute nicht. Sogar wenn er z.B. die österreichischen Bischöfe direkt aufforderte, ihre Erklärung zu revidieren, diplomatisch gesagt „weiterzuschreiben“, stieß er auf taube Ohren. Humanae vitae für wahr zu halten und zu verteidigen, ist bis heute der sicherste Weg, um ins „innerkirchliche Exil“ geschickt zu werden.
Allerdings, auch in dieser Frage bewahrheitet sich das Wort: „Die Wahrheit kann untergehen, aber sie ertrinkt nicht!“ Denn neben den Strukturen, die das Thema bis heute mit einem Tabu belegt haben, gibt es eine junge unbelastete Kirche, die wächst, Bekehrungen hervorbringt und die keine Probleme hat, sich auch mit Humanae vitae mit einem offenen Herzen zu beschäftigen. Wenn es oft und oft hieß: „Viele Leute werden sich wegen Humanae vitae von der Kirche abwenden“, gibt es heute prominente Beispiele, die das Gegenteil zeigen: Das Theologen-Ehepaar Scott und Kimberly Hahn sind wegen dieser Lehre katholisch geworden. Dasselbe gilt für Siegfried Ernst und nicht wenige andere Konvertiten! Dazu kommt noch etwas: Mit heiligmäßiger Geduld hat der katholische Arzt Dr. Josef Rötzer den Weg der natürlichen Empfängnisregelung nach der Lehre der Kirche auch medizinisch weiter entwickelt und konnte viele, viele Ehepaare überzeugen: Der Weg der Kirche ist richtig und tut ihrer Liebe gut!
Zudem haben viele junge Theologen sich der Frage angenommen, indem sie die Lehre von Papst Johannes Paul II. zum Thema „Eheliche Liebe und Sexualität“ studierten und verbreiteten. Viele beginnen zu verstehen: Die Lehre der Kirche zu Liebe und Sexualität, wie sie seit dem Konzil weiter entwickelt wurde, ist eine großartige Antwort der Kirche auf die unheilvolle sexuelle Revolution.
Nicht zu vergessen ist auch dies: Papst Paul VI. sagte in seiner Enzyklika bereits einige schlimme Folgen der Verhütungstechniken voraus, die inzwischen empirisch belegbar sind:
• Die Verhütungsmittel erleichtern eheliche Untreue und fördern die Bereitschaft zu vorehelichen sexuellen Beziehungen.
• Die Verhütungsmittel bergen die Gefahr, die Frau mehr als Mittel zur Befriedigung zu benützen, statt sie zu achten und zu lieben.
• Der Staat kann und wird sich in die Intimsphäre der Menschen einmischen.
• Die Verfügungsmacht über den Körper des Menschen wird weiter ausgedehnt und die unverfügbaren Grenzen werden überschritten werden.
Wahrscheinlich müsste man heute hinzufügen: Auch der Siegeszug der homosexuellen Ideologie hängt mit der Ablehnung von Humanae vitae zusammen, ebenso die aggressive Gender-Ideologie und natürlich das globale Problem des Geburtenrückgangs. Übrigens hat es sich auch längst als falsch erwiesen, dass man mit Verhütung die Zahl der Abtreibungen senken könne. Und nicht zuletzt – auch wenn es zunächst unverständlich zu sein scheint: Tatsache ist, dass die Verhütungspraxis die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung um etwa 50% steigert!
Angesichts des Leidens, das Paul VI. mit der Veröffentlichung dieser Enzyklika auf sich genommen hat und um der großen Bedeutung seines prophetischen Wortes willen ist es würdig und Grund der Freude, dass wir ihn als katholische Christen auch als Seligen verehren dürfen. Es wird wohl die Zeit kommen, in der die Wahrheit, die er verkündet hat und für die er so viel gelitten hat, anerkannt werden wird. Absurd? Eine doppelte Erfahrung wird diesen Umschwung der Wertung der Lehre der Kirche herbeiführen: Auf der einen Seite werden die Menschen die katastrophalen Folgen der Verhütungsmentalität und Verhütungspraxis leidvoll erfahren und als Folgen ihres eigenen Tuns verstehen. Auf der anderen Seite wird das Zeugnis vieler glücklicher Paare viele andere überzeugen. Dazu kommt: Je klarer die Begründung der Lehre der Kirche dargelegt wird, desto mehr Menschen werden sie verstehen und beginnen, nach ihr zu leben! Die Welt und nicht nur die Gläubigen haben allen Grund, Gott für Papst Paul VI., diesen großen, prophetischen und tapferen Papst, zu danken!
Pilgerreise Papst Pauls VI. nach Fatima
Das große Zeichen
Paul VI. war ein zutiefst marianisch gesinnter Papst. Pfarrer Erich Maria Fink wirft einen Blick auf den 13. Mai 1967, einen Tag, der wie kaum ein anderer die innige Liebe und das hingebungsvolle Vertrauen des Konzilspapstes zur Gottesmutter zeigt. An diesem Tag leitete Paul VI. in Fatima die Feier zum 50. Jahrestag der ersten Marienerscheinung. Auf diesen Tag datierte er auch ein Apostolisches Mahnschreiben über die Marienverehrung, dem er den bezeichnenden Titel gab: „Signum magnum“ – „Das große Zeichen“. Die bevorstehende Seligsprechung ist für Pfr. Fink ein willkommener Anlass, dieses Vermächtnis Pauls VI. in Erinnerung zu rufen.
Von Erich Maria Fink
Papst Paul VI., mit bürgerlichem Namen Giovanni Battista Montini, gab der Ausübung des Obersten Hirtenamtes der Kirche ein vollkommen neues Gesicht, indem er anfing, Reisen ins Ausland zu unternehmen. Er spürte, dass er dem Anspruch seiner „universalen“ Verantwortung vollkommener gerecht werden kann, wenn er die modernen Reisemöglichkeiten nützt. Jahrhundertelang hatten die Päpste italienischen Boden so gut wie nicht mehr verlassen. So war die Ankündigung Pauls VI. auf dem II. Vatikanischen Konzil, vom 4. bis 6. Januar 1964 ins Heilige Land reisen zu wollen, eine vollkommene Überraschung. Noch im selben Jahr besuchte er den Libanon und Indien. Anfang Oktober 1965 erschien er in New York, um vor der UNO eine viel beachtete Friedensrede zu halten. Weitere Reisen führten ihn im Juli 1967 nach Istanbul in die Türkei, 1968 nach Kolumbien und auf die Bermuda-Inseln, im Juni 1969 nach Genf in die Schweiz und einen Monat später nach Uganda und schließlich im Herbst 1970 auf einer zehntägigen Route in acht verschiedene Länder: Iran, Pakistan, Philippinen, Samoa-Inseln, Australien, Indonesien, Hong Kong und Sri Lanka. Angesichts dieser Mobilität verwundert es nicht allzu sehr, dass er zwei Monate vor seiner Türkeireise noch Zeit für einen Kurzbesuch in Fatima fand. Dort feierte er am 13. Mai 1967 den 50. Jahrestag der ersten Marienerscheinung. Zwar betonte er mehrfach, dass er auf die nachdrückliche Bitte der portugiesischen Bischöfe hin gekommen sei, doch stand hinter der Pilgerreise ein tiefes persönliches Bedürfnis des Papstes.
Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens
Paul VI. nützte die eintägige Reise nach Portugal, um an die Wünsche der Gottesmutter zu erinnern und die Gläubigen zur Erfüllung der Fatimabotschaft aufzurufen. An erster Stelle nannte er die Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens. Gleich zu Beginn seiner Predigt in der Basilika von Fatima betonte er, dass es nicht nur um das Jubiläum der Erscheinungen gehe, sondern auch um „das Gedenken an den 25. Jahrestag der Weihe der Welt an das Unbefleckte Herz Mariens“. Sein Anliegen war es, dass diese Weihe von allen Gläubigen auch persönlich vollzogen und erneuert wird. Über 20 Jahre hindurch stand Montini dem damaligen Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli bzw. – nach dessen Wahl zum Papst im Jahr 1939 – Pius XII. als einer der engsten Mitarbeiter zur Seite, gerade auch während des II. Weltkriegs. So war er mit den Ereignissen um die Weltweihe bestens vertraut. Das Fatima-Jubiläum hob er auch durch ein Apostolisches Mahnschreiben hervor, das er bewusst auf den 13. Mai 1967 datierte. Er nannte es „Signum magnum“ – „Das große Zeichen“ und gab darin als Anlass an: „Fünf Jahrzehnte sind seit den Erscheinungen der Mutter Gottes in Fatima vergangen.“ (Teil II, Nr. 8; vgl. auch die Einleitung) Und als ob beide Dinge für ihn ein einziges Ereignis darstellten, führt er ohne Übergang fort: „In der Radioansprache an das portugiesische Volk am 31. Oktober 1942 weihte Pius XII. die Kirche und das ganze Menschengeschlecht Maria, der Mutter Gottes, und ihrem Unbeflecktem Herzen.“ Seine persönliche Anteilnahme kommt deutlich zum Ausdruck, wenn er hinzufügt: „Diese Weihe haben Wir selbst, am 21. November 1964 erneuert.“ Damit leitet er zum eigentlichen Anliegen über. Er schreibt: „Nun aber bitten Wir, und rufen dazu alle Söhne und Töchter der Kirche auf, sich persönlich und von neuem aufrichtig dem Unbefleckten Herzen der Mutter der Kirche anzuvertrauen. Und dieses Zeichen vollständiger kindlicher Liebe, die Nachahmung des Beispiels der Mutter, soll in ein tatkräftiges Leben übertragen werden!“ Gleichzeitig erwarte er von den Bischöfen, dass sie ihre Priester und Gläubigen „anleiten und ermutigen, dieser Aufforderung nachzukommen“ (Teil II, Nr. 8).
Aufruf zu Gebet, Umkehr und Sühne
Maria habe „eine Botschaft von allergrößter Wichtigkeit für alle Christgläubigen in unserer Zeit überbracht“, so Paul VI. Sie helfe den Gläubigen, „vertrauensvoll zu beten, umzukehren und die rechte Ehrfurcht vor Gott zu leben“, und sie erinnere an die Worte Christi: „Kehrt um und glaubt dem Evangelium!“ (Mk 1,15; vgl. Mt 3,2; Mt 4,17) und: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle zugrunde gehen!“ (Lk 13,5) Auf dem Hintergrund der sog. „Höllenvision“ der Fatimakinder scheut sich der Papst nicht, von der Gefahr ewiger Verdammnis und von Sühne zu sprechen. Wörtlich schreibt er: „Gestärkt durch das Vertrauen in Seine Barmherzigkeit, müssen wir als Ausgleich gegen das Gott in seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit zugefügte Unrecht die Bedrängnisse und Leiden des Leibes und der Seele annehmen. Denn damit sühnen wir die eigenen Sünden und die aller Mitmenschen. So entgehen wir dem doppelten Verderben: dem ewigen Tod und der läuternden Strafe! Denn es heißt: „Damit wir nicht Gott, das höchste Gut, verlieren und – damit wir nicht in das ewige Feuer geworfen werden!“ (vgl. Mt 25,41; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, Nr. 48)“ (Teil II, Nr. 4). „Möge das Unbefleckte Herz der seligsten Jungfrau Maria“, so der Papst weiter, „alle bewegen, die Abwendungen der Menschen aus der Ordnung der Ebenbildlichkeit Gottes zu sühnen“ (Teil II, Nr. 7). Und seine Predigt in Fatima schloss er mit dem Aufruf, wir sollten das Versprechen ablegen, der Ermahnung zu folgen, die uns die Madonna selbst gegeben habe, „jener des Gebets und der Buße“, damit Gott die Welt vor „Kämpfen, Tragödien und Katastrophen“ bewahre und ihr „Eroberungen der Liebe“ und „Siege des Friedens“ schenke. Hier klingt die Verheißung der Gottesmutter von Fatima an: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren … und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden!“
Frieden für die Kirche und die Völkerfamilie
In Fatima hielt Paul VI. an diesem einen Samstag, den 13. Mai 1967, außer der Predigt noch sechs weitere kurze Ansprachen. Immer wieder nannte er seine zwei großen Anliegen, mit denen er sich auf diese Pilgerfahrt gemacht habe. Zum einen bewege ihn die Sorge um die Einheit innerhalb der Kirche. Ganz offen beklagt er, dass die vom Konzil angestoßene Erneuerung von falschen Interpretationen torpediert werde. Die Kirche stehe vor einer ungeheuren Zerreißprobe und könnte der Möglichkeit beraubt werden, ihre Sendung für die Menschheit zu erfüllen. In der Predigt rief er aus: „Welcher Schaden wäre es, wenn eine willkürliche und vom Lehramt der Kirche nicht autorisierte Auslegung aus diesem Erwachen eine Unruhe schaffte, welche die traditionelle und konstitutionelle Gemeinschaftsstruktur auflösen würde, wenn sie die Theologie der wahren und großen Lehrer durch neue und partikuläre Ideologien ersetzte, welche darauf ausgerichtet sind, das moderne Denken von der Norm des Glaubens abzutrennen, oft ohne das Licht der Vernunft, ohne Einsicht oder den guten Willen dazu, und wenn sie den apostolischen Eifer der Erlöserliebe zugunsten negativer Formen der profanen Denkweise und des weltlichen Gewands aufgeben würde!“ Und um die Verantwortung für die ganze Welt herauszustellen, fuhr er fort: „Welche Enttäuschung wäre unser Bemühen um eine universelle Annäherung, wenn unseren christlichen Brüdern, die immer noch von uns getrennt sind, und der Menschheit, die unseren Glauben in seiner authentischen Klarheit und in seiner ursprünglichen Schönheit noch nicht besitzt, nicht das Erbe der Wahrheit und der Liebe angeboten würde, dessen Treuhänderin und Ausspenderin die Kirche ist.“
Zum anderen wolle er die ganze Menschheitsfamilie der Gottesmutter übergeben und sie um den Frieden anflehen, der heute aufs äußerste bedroht sei. Einerseits „scheint alles die Welt zur Brüderlichkeit, zur Einheit zu drängen“, so der Papst, andererseits aber „brechen im Schoß der Menschheit von neuem gewaltige, anhaltende Konflikte aus“. Und er nennt zwei Hauptgründe für die extrem ernste geschichtliche Lage der Menschheit: die Existenz furchtbarer Massenvernichtungswaffen und die Tatsache, dass die moralische Entwicklung dem technischen Fortschritt nicht standhalten könne. Außerdem leide ein Großteil der Menschheit an Hunger und Armut. Paul VI. kommt zu dem Schluss: „Deshalb sagen Wir: Die Welt ist in Gefahr. Deshalb sind Wir hierher zu Füßen der Königin des Friedens gekommen, um von ihr das Geschenk des Friedens zu erbitten, das allein Gott geben kann.“
Das „große Zeichen“ der Offenbarung
Das Mahnschreiben wird mit dem programmatischen Satz eingeleitet: „Das Große Zeichen, das der heilige Apostel Johannes am Himmel sah (vgl. Offb 12,1), die Frau, von der Sonne umkleidet, wird von der Liturgie der katholischen Kirche (vgl. Lesung der Messe am Fest der Erscheinung der Unbefleckten Jungfrau, 11. Februar) zurecht gedeutet als die Allerseligste Jungfrau, die, aufgrund der Gnade Christi, die Mutter aller Menschen ist.“ Für Papst Paul VI. steht fest, dass es sich bei den Erscheinungen in Fatima um eine besondere und aktuelle Erfüllung der heilsgeschichtlichen Aufgabe Mariens handelt, wie sie in der Offenbarung des Johannes beschrieben ist. Auch bestätigt er indirekt die symbolische Verbindung, die gewöhnlich zwischen dem Zeichen der „sonnenumkleideten Frau“ und dem Sonnenwunder von Fatima hergestellt wird, das am 13. Oktober 1917 etwa 70.000 anwesende Pilger gesehen haben. Dem Papst aber geht es darum, dass Maria, die er in besonderer Weise als „Mutter der Priester“, „Mutter der Kirche“ und „Mutter aller gläubigen Christen“ bezeichnet, doch auch als Mutter für alle Menschen eingesetzt worden ist und heute mehr denn je in dieser weltumspannenden Verantwortung anerkannt und angerufen werden will.
Franziskus und der Aufbruch der Kirche
Der Papst geht voran
Für Walter Kardinal Kasper ist Papst Franziskus ein „Geschenk des Himmels“ und er ist überzeugt, dass es die große Mehrheit der katholischen Christen ebenso empfindet. „Seine Wahl war eine Überraschung und sein Pontifikat wird eine Überraschung bleiben“, so Kasper. Franziskus dürfe nicht einfach mit unseren westeuropäischen Maßstäben gemessen werden; denn als erster Papst aus der südlichen Hemisphäre, aus einer Megapole der südlichen Erdkugel, sei er von deren Kultur und von den dortigen Elendsquartieren geprägt. Aber gerade deshalb könne die Kirche durch ihn einen neuen Aufbruch erleben. Welche Akzente setzt Papst Franziskus? Kardinal Kasper arbeitet sechs Grundzüge seines Pontifikats heraus.
Von Walter Kardinal Kasper, Rom
1. Als Mensch unter Menschen
Papst Johannes Paul II. war ein Missionar, der rastlos um die Welt reiste, Papst Benedikt war ein Lehrer und Katechet, Papst Franziskus ist ein Pastor. Er ist gewissermaßen Pfarrer für die Welt. Ihn deshalb als einen schlichten Dorfpfarrer zu bezeichnen, unterschätzt ihn freilich ganz erheblich. Grundlegend für Franziskus ist eine Theologie des Volkes Gottes, die er von seinem wichtigsten theologischen Lehrer, Juan Jorge Gera, gelernt hatte und die er in den villas miserias von Buenos Aires praktizierte.
Franziskus hat und sucht den direkten Kontakt zu den Menschen; er versteht es, Menschen, praktizierende und nichtpraktizierende Christen wie auch Anders- oder Nichtgläubige anzusprechen. Er ist einer, der das Leben kennt, der mitten im Leben steht und mitten unter den Menschen leben will und der so das Evangelium nicht nur durch Worte, sondern die Art seines Seins und Lebens verkündet. Das ist der Grund dafür, dass er nicht in die Papstwohnung im dritten Stock des Apostolischen Palasts einziehen will. Diese Papstwohnung ist nicht etwa luxuriös, sie zeigt keine barocke Pracht und keinen Prunk; aber sie sondert ab. Franziskus aber will als Mensch unter Menschen sein. Darin ist er authentisch.
2. Apostolische Einfachheit
Damit verbunden die Rückkehr zu apostolischer Einfachheit und Schlichtheit. Der Hof-Stil und Hof-Staat ist praktisch verschwunden. Auch Benedikt XVI. wies am Schluss seines Deutschlandbesuchs am 25. September 2011 in Freiburg/Br. mit dem Stichwort der Entweltlichung in diese Richtung. Leider wurde er in Deutschland kaum verstanden. Jetzt machte Franziskus deutlich, worum es geht. Erneuerung bedeutet für ihn nicht Anpassung an die Welt, die will ja Glanz und Glamour, spirituelle Mondänität, wie Franziskus es nennt und kritisiert (EG 93-97). Er aber will Erneuerung aus der Kraft des apostolischen Ursprungs. Er will eine Erneuerung, welche den Unterschied des Christlichen und die Alternative des Christseins hervorhebt, dies aber nicht als ein altmodisches im Gestern und Vorgestern Stehen-bleiben, sondern als die die Zukunft eröffnende Alternative des Evangeliums, die man niemand aufzwingen und auferlegen kann, die vorzulegen es sich aber lohnt. Denn in den Aporien der Gegenwart, in denen sich die Moderne postmodern totzulaufen droht, wird sie von viel mehr Menschen als wir ahnen erwartet, als befreiend und anziehend, oder zumindest als interessant empfunden. Sie ist sozusagen up to date.
3. Erneuerung vom Evangelium her
Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt: Papst Franziskus ist im ursprünglichen (nicht konfessionellen) Sinn des Wortes ein evangelischer Papst. Ihm geht es um das Evangelium und um eine evangeliumsgemäße Erneuerung der Kirche. Das Apostolische Schreiben, in dem er sein Programm vorlegt, trägt nicht umsonst den Titel bzw. beginnt mit den Anfangsworten: „Evangelii gaudium“ – „Die Freude des Evangeliums“.
Erneuerung vom Evangelium her war schon das Anliegen des Franz von Assisi, der mit seinen Brüdern einfach „sine glossa“ gemäß dem Evangelium leben wollte. Zusammen mit Dominikus und dem Predigerorden hat er damals eine im ursprünglichen, nicht konfessionellen Sinn des Wortes evangelische Bewegung ausgelöst, welche ihrerseits die Theologie des Thomas von Aquin nachhaltig geprägt hat. Darauf nimmt Papst Franziskus ausdrücklich Bezug (EG 37). Das Evangelium ist nach Thomas keine lex scripta, kein Kodex von Lehren und Geboten, sondern Gabe des Heiligen Geistes, der den Glauben und im Glauben wirkt.
Da das Evangelium lumen fidei, Gabe des Lichts des Lebens ist, ist es zuerst ermutigender Zuspruch und dann erst ethische Antwort. Vor dem Imperativ kommt der Indikativ. Das ist urbiblisch. So will der Papst nicht mit dem moralischen Zeigefinger kommen; der Glauben ist für ihn keine Moral. Er ist auch kein Kodex von Lehren. Man kann es nicht mit inquisitorischen Stockhieben des Verurteilens verkünden. Jesus steht für Milde, Sanftmut, Langmut, Barmherzigkeit, Brüderlichkeit. Der Glaube ist kein fixer Standpunkt, sondern ein Weg, den Gott mit uns geht und den die Kirche mit den Menschen gehen soll. Der Papst will nichts von der Lehre oder den Geboten aufgeben. Er will nicht den Glauben revolutionieren, sondern die Gläubigen inspirieren, sich mit Christus auf den Weg zu machen. Dabei gibt es eine Hierarchie der Wahrheiten und der Gebote. Auf dem Weg sein heißt freilich auch, nicht auf dem Weg stehen bleiben, sondern offen und bereit sein zum Weitergehen, zum Umdenken und Neudenken.
Mit diesem urevangelischen Anliegen bringt Papst Franziskus einen Grundzug des neueren Katholizismus zum Ausdruck, den intelligente Beobachter für die katholische Kirche des 21. Jahrhunderts für charakteristisch halten. Der Papst repräsentiert also eine große Tradition und zugleich einen charakteristischen Zug in der gegenwärtigen weltweiten katholischen Kirche. Er hat deren Herzschlag verstanden und deren Nerv getroffen. Damit passt Papst Franziskus weder in eine liberale noch in eine traditionalistische Ecke. Er ist weder restaurativ konservativ noch liberal, er ist radikal im ursprünglichen Sinn des Wortes. Er geht an die Wurzel.
4. Kirche als „communio“
Die Rückbesinnung auf das Evangelium und die apostolische Einfachheit macht auch institutionelle Reformen notwendig. Sie wurden bereits am ersten Abend deutlich, als Papst Franziskus sich als Bischof von Rom bezeichnet hat. Das bedeutet keinen Verzicht auf das universal-kirchliche Petrusamt; vielmehr kommt nach ursprünglichem Verständnis dem Papst als Bischof von Rom seine universale pastorale Verantwortung zu. Bischof von Rom ist nicht ein Anhängsel an das Petrusamt, sondern dessen Grundlage. Franziskus will den Impuls von Papst Johannes Paul II. aufgreifen, der in seiner Ökumene-Enzyklika „Ut unum sint“ (1995) um einen Dialog bat, wie das Petrusamt, ohne dessen Substanz aufzugeben, heute in einer Weise ausgeübt werden kann, die allgemein akzeptiert werden kann.
Dahintersteht nicht nur eine bestimmte Konzeption des Petrusamtes, sondern der Kirche als communio. Als solche ist sie weder ein Zusammenschluss oder eine Föderation von Ortskirchen noch ein zentralistisches System, in dem die Ortskirchen nur von der Zentrale verwaltete Provinzen sind. Die Kirche hat als communio eine eigene Struktur. Die eine Kirche ist in den Ortskirchen gegenwärtig und nimmt in ihnen am Ort konkrete Gestalt und ein lokales Angesicht an. Sie müssen aber in, mit und aus der einen Kirche leben. Dazu hat der Bischof von Rom in der communio der einen Kirche den Vorsitz. So hat die eine Kirche in Jesus Christus ihr inneres Zentrum, im Petrusamt ein sichtbares Zentrum. Zentrum bedeutet aber nicht Zentralismus. Dass in einer so vielgestaltigen Welt nicht alles von Rom aus reglementiert werden kann, hat Erzbischof Bergoglio – wie man weiß – als Erzbischof von Buenos Aires selbst erfahren; er ist darüber öfters in Konflikt mit einigen Leuten in der Kurie geraten. Durch neue Ausbalancierung von Einheit und Vielfalt verliert das Petrusamt nicht an Gewicht, im Gegenteil, es gewinnt in neuer Weise an Gewicht, Akzeptanz und Anziehungskraft, wie dieses Pontifikat ja bereits in den ersten Monaten deutlich zeigt (EG 30-32).
Die Einheit in der Vielfalt wird nach altkirchlicher Tradition durch synodale Prozesse gewahrt. Dieser Weg ist bereits durch das Apostelkonzil (Apg 15) vorgezeichnet. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat Papst Franziskus mit der Berufung von acht Kardinälen aus allen Kontinenten, der sog. G-8-Kommission, getan, und mit dem Plan der Synode über „die pastoralen Herausforderungen für die Familie im Kontext der Evangelisierung“. Zur Vorbereitung ist ein Fragebogen an die Diözesen und Pfarreien verschickt worden. Noch wichtiger ist das vorbereitende und begleitende Gebet. Eine außerordentliche Bischofssynode (5.-10. Oktober 2014) soll den Status quaestionis klären und ein Jahr später die ordentliche Synode den Schlusspunkt setzen. Dazwischen ist immer wieder Raum für die Einbeziehung des Volkes Gottes, der einzelnen Diözesen und der Bischofskonferenzen und der ganzen communio der Kirche.
5. Arme Kirche für die Armen
Keine selbstbezogene Kirche. Kirche, die hinausgeht. Die Zukunft der Kirche als arme Kirche und Kirche für die Armen. Dieses Thema ist kein primär sozial-politisches Thema, sondern ein biblisches Thema. Jesus ist gekommen, um den Armen das Evangelium zu verkünden (Lk 4,18). Die erste Seligpreisung der Bergpredigt lautet: „Selig ihr Armen“ (Lk 6,20) oder „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3). Für Franziskus ist das auch ein christologisches Thema. Es findet sich bereits in dem alten vorpaulinischen Hymnus: „Er war Gott gleich …, entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil 2,6f). Paulus nahm dieses Motiv auf: „Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9).
Dieses Motiv hat in der gesamten Kirchengeschichte eine Rolle gespielt, angefangen von der Jerusalemer Urgemeinde, die eine Gemeinschaft bildete, in der alle alles gemeinsam hatten (Apg 2,44); Paulus sprach von den Armen von Jerusalem. Das frühe Mönchtum war eine Armutsbewegung. Der Mönchsvater Antonius hörte das Wort „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen…, dann komm und folge mir nach“ (Mt 19,21), er hörte es und tat es und wurde so zum Ursprung des Mönchtums. Im Mittelalter gab es als Gegenbewegungen zu einer mächtigen und reichen Kirche immer wieder Armutsbewegungen, am bekanntesten und fruchtbarsten bis heute bei Franziskus von Assisi.
Auch während des Konzils spielte das Motiv der armen Kirche eine wichtige Rolle. Wenige Wochen vor dem Ende des Konzils am 16. November 1965 schlossen 40 Bischöfe aus der ganzen Welt in der Domitilla-Katakombe den Katakomben-Pakt „Für eine dienende und arme Kirche“. Sie griffen dabei ein Wort von Johannes XXIII. von einer Kirche der Armen auf.
Das Thema wurde besonders in der Befreiungstheologie Lateinamerikas aktuell. Die 2. Vollversammlung des lateinamerikanischen Episkopats in Medellin (Kolumbien) hat 1968 die Option für die Armen formuliert; die Versammlung in Puebla in Mexiko hat 1979 von der vorrangigen Option gesprochen, was 2007 nochmals von der 7. Generalversammlung in Aparecida in Brasilien wiederholt wurde, die zudem von einer Option für die Ausgeschlossenen sprach. Der theologische und pastorale Architekt war der damalige Erzbischof Bergoglio.
Papst Franziskus steht also in einer großen Tradition, nimmt ein wichtiges Anliegen des Konzils auf und setzt in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium die Armut und das Elend in der Kirche der südlichen Hemisphäre als einen himmelschreienden Skandal auf die Tagesordnung. Er ist geprägt von seinen lateinamerikanischen Erfahrungen in den Elendsquartieren (villas miserias, Favelas, Slums) von Buenos Aires und vieler südlichen Megapolen. Die US-amerikanische Zeitschrift National Catholic Reporter titelte: „Pope Francis gets his oxygen from the slums.“ Wenn Millionen Menschen von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen sind, dann hört sich das Wort von der globalisierten Welt merkwürdig und fast wie ein Hohn an. Papst Franziskus spricht darum von der Globalisierung der Gleichgültigkeit, gegen die er seine Stimme erhebt.
Für seine deutlichen Worte ist der Papst kritisiert worden, auch in Deutschland. Das war zu erwarten. Vor allem mit dem Satz „Diese Wirtschaft tötet“ (EG 53) hat für Aufregung und Widerspruch gesorgt. Man muss freilich genau lesen. Es heißt nicht „Die Wirtschaft tötet“, sondern „diese Wirtschaft tötet“, also eine ganz bestimmte Art des Wirtschaftens. Damit will der Papst keine wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Analyse vorlegen (EG 51), er spricht von keinem System. Das Wort Kapitalismus kommt gar nicht vor. Es geht ihm nicht um irgendeinen „Ismus“, es geht ihm um Menschen und um den prophetischen Aufschrei: Wenn ein Weltwirtschaftssystem so viel Armut und so viel Elend produziert, dann stimmt etwas nicht.
Die Antwort der Kirche kann nicht nur und nicht in erster Linie in Hilfsorganisationen (Misereor, Adveniat, Missio/Sternsinger, Caritas International, Kirche in Not u.a.) bestehen. In dieser Hinsicht wurde von der deutschen Kirche Großes geleistet, das Anerkennung verdient und auch Anerkennung findet. Doch Franziskus geht weiter. Die Kirche ist keine NGO. Ihm geht es darum, in den Armen Christus zu begegnen, ja Christus zu berühren. Wir müssen konkret begegnen, Wunden berühren. Die Kirche ist der Leib Christi; in den Wunden der anderen begegnen wir den Wunden Christi. Das erinnert an die Gerichtspredigt Jesu in Mt 25: „Was ihr für einen der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Das ist, wenn man so will, eine mystische Sicht. Sie erinnert an Franz von Assisi, der einen Aussätzigen umarmte, an die Berufserfahrung der Mutter Teresa, die einen Sterbenden in ihr Kloster trug und dabei die Erfahrung machte, dass sie Christus in den Armen trägt.
Hinausgehen an die Peripherien der menschlichen Existenz meint missionarisches Christentum. Evangelii gaudium beschreibt eine Kirche in permanenter Mission, keine Kirche, welche selbstbezogen um sich selber kreist. Ein selbstbezogener Mensch ist ein kranker Mensch, so eine selbstbezogene Kirche eine kranke Kirche. Mit dem Programm einer armen Kirche für die Armen hat der Papst einen wesentlichen Aspekt der Krise der Kirche und einer wahrhaft evangeliumsgemäßen Erneuerung der Kirche herausgestellt, der für uns in den wohlhabenden Regionen dieser Welt Grund zum Nachdenken und Anlass zur Erneuerung sein sollte. Franziskus geht über den westeuropäischen Modernisierungsdiskurs, wie wir ihn seit dem Konzil führen, hinaus und stellt ihn aus dem Blickwinkel der südlichen Hemisphäre neu. Dabei geht es um soziale Gerechtigkeit, aber es geht zugleich um mehr als soziale Gerechtigkeit, es geht um Barmherzigkeit.
6. Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit
Mit Barmherzigkeit ist ein weiteres wichtiges Stichwort genannt. Wahrlich kein neues. Fundamental ist Barmherzigkeit schon im Alten Testament, etwa bei der Offenbarung an Mose, und dann in den Psalmen. „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott“ (Ex 34,6). „Der Herr ist barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Gnade“ (Ps 103,8; 111,4). Grundlegend ist Barmherzigkeit in der Botschaft Jesu. Denken wir nur an das Gleichnis vom verlorenen Sohn (barmherzigen Vater) und vom barmherzigen Samariter, oder an den Epheserbrief: „Gott voll an Erbarmen“ (Eph 2,4). Die Botschaft von Gottes Barmherzigkeit ist zugleich ein Aufruf für uns. Denken wir an die Seligpreisungen der Bergpredigt: „Selig sind, die Barmherzigkeit tun“ (Mt 5,7). „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Hos 6,6; Mt 9,13), an die Gerichtsrede Jesu (Mt 25), wo allein die Werke der Barmherzigkeit als im letzten Gericht ausschlaggebend genannt werden.
Die Tradition kennt die leiblichen und die geistlichen Werke der Barmherzigkeit. Große Heilige der christlichen Barmherzigkeit sind zu nennen: Nikolaus von Lyra, Martin von Tours, Elisabeth von Thüringen, Vinzenz von Paul, Mutter Teresa von Kalkutta, Schwester Faustina Kowalska, die für Johannes Paul II. wichtig war und die er bewusst und programmatisch als erste im Jubiläumsjahr 2000 heiligsprach.
Papst Johannes Paul II. hat seine zweite Enzyklika Dives in misericordia (1980) diesem Thema und den Sonntag nach Ostern zum „Barmherzigkeitssonntag“ gemacht. Benedikt XVI. hat das in seiner ersten Enzyklika Deus caritas est (2005) weitergeführt. Wieder steht Papst Franziskus ganz in der Tradition, wenn sein bischöfliches und päpstliches Motto lautet: „Miserando et eligendo“ – „Indem er mit seinen Augen der Barmherzigkeit geschaut hat, hat er erwählt“ (Beda Venerabilis, 7./8. Jh.). Dahinter steht eine persönliche Erfahrung, als er seine Berufung zum Priestertum erfuhr. Als Papst sagt er immer wieder: Gottes Barmherzigkeit ist unendlich; er wird nie müde, barmherzig zu sein für jeden, der danach verlangt – und wer ist nicht darauf angewiesen! Gott gibt keinen auf und verloren, der auf die Barmherzigkeit Gottes vertraut. Das ist für Franziskus Kern des Evangeliums. Auch dafür kann er sich auf Thomas v. Aquin berufen: Gott ist in sich Liebe, nach außen gewendet zeigt sich diese Liebe in der misericordia; sie hat nach Thomas den Primat vor der Gerechtigkeit. Im Grunde wird damit die Gottesfrage neu gestellt.
Die Barmherzigkeit Gottes muss sich im Verhalten des einzelnen Christen wie auch der Kirche widerspiegeln. Es ist schlimm, dass die Kirche von vielen als unbarmherzig erfahren wird. Wenn das der Fall ist, wird die Kirche zum Gegenzeugnis des Evangeliums.
Dieses Problem wird gegenwärtig im Blick auf die Synode in Bezug auf die wiederverheiratet Geschiedenen diskutiert. Das ist ohne Zweifel ein drängendes pastorales Problem, wenngleich in diesem Zusammenhang nicht das einzige. Barmherzigkeit ist wichtig, aber man darf aus der Barmherzigkeit keine Pseudo-Barmherzigkeit machen. Barmherzigkeit ist mehr als Mitleid, sich von der Not des anderen anrühren zu lassen ist schon ein Stück Menschlichkeit und besser als Gleichgültigkeit. Die Barmherzigkeit geht darüber hinaus, sie wird aktiv und sucht dem Elend abzuhelfen. Sie ist aber nicht schwächliche Nachgiebigkeit. Sie ist nicht schwache, sondern starke Barmherzigkeit. Barmherzigkeit unterbietet die Gerechtigkeit nicht, sie überbietet sie; sie ist Ausdruck der Treue Gottes zu sich selbst als Liebe. Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Treue und Wahrheit gehören zusammen.
Der Papst geht voran. Nun kommt es auch auf die Kirche in Deutschland an. Auch wir müssen uns bewegen. Papst Franziskus ist für die Kirche in Deutschland eine Herausforderung. Wir werden lernen müssen, ihn nicht an unseren Vorstellungen und an der Liste unserer heißen Eisen zu messen, sondern unsere Positionen zu überprüfen. Wir brauchen mehr Freude am Glauben und an der Kirche. Wir brauchen „Evangelii gaudium“, die Freude des Evangeliums. Die Freude an Gott ist unsere Stärke (Neh 8,10)!
Wer war Fritz Gerlich? (Teil II)
Journalist mit Sendungsbewusstsein
Der Lebensweg von Dr. Fritz Gerlich (1883-1934) lässt das erstaunliche Wirken der göttlichen Gnade und Vorsehung aufleuchten. Menschlich gesehen begegnen wir zahlreichen Ungereimtheiten. Doch Schritt für Schritt wächst Gerlich in seine Sendung als prophetischer Zeuge hinein, die er schließlich mit dem Martyrium krönt. Der zweite Teil eines Vortrags, den der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer anlässlich des 80. Todestages Gerlichs am 30. Juni 2014 in Konnersreuth gehalten hat, vermittelt uns einen tiefen Eindruck davon, wie in Gerlich langsam, aber konsequent das Bewusstsein herangereift ist, den offenen Kampf gegen Hitler und die nationalsozialistische Ideologie aufnehmen zu müssen.
Von Bischof Rudolf Voderholzer, Regensburg
Studium der Geschichte in der Wahlheimat München
Am 15. Februar 1883 in Stettin geboren, kam Fritz Gerlich mit dem Wintersemester 1901/02 zum Studium nach München. Er sollte seiner Wahlheimat fortan treu bleiben. Die Atmosphäre Münchens sei es gewesen, so wird er Jahre danach seinem Freund und späteren Biografen Erwein von Aretin erzählen, die er nicht mehr habe entbehren können.[10] Es scheint ihn vor allem auch beeindruckt zu haben, welche Bedeutung die Religion im öffentlichen Leben des katholisch geprägten München spielte. Dem kalvinistisch erzogenen Studenten war Religion bisher vornehmlich als Privatsache begegnet. In München aber beobachtete er aufmerksam so einfache Dinge wie das Läuten der Kirchenglocken; besonders imponierten ihm die Fronleichnamsprozessionen,[11] und dabei das öffentliche Bekenntnis sogar der Studenten zu ihrem Glauben. Nichts deutet allerdings darauf hin, dass Gerlich damals den auf diese Weise bezeugten Glauben schon selbst von Herzen geteilt hätte.
Im Juni 1910 erwarb Gerlich die bayerische Staatsbürgerschaft. Dies ermöglichte ihm, der 1907 mit der Promotion sein Studium der Geschichte abgeschlossen und seither im Vorbereitungsdienst am Allgemeinen Reichsarchiv gestanden hatte, im Königlich Bayerischen Geheimen Staatsarchiv fest angestellt zu werden.[12]
Neben seinem Beruf war Gerlich noch in manch anderen Bereichen aktiv. Als Student hatte er sich zeitweise seinen Lebensunterhalt in der Werbeabteilung der Firma Kathreiners Malzkaffee verdient. Die dabei gewonnenen praktischen Einblicke ins Wirtschaftsleben ergänzten seine umfassenden Geschichtskenntnisse und flossen ein in Gerlichs erste Buchveröffentlichung „Geschichte und Theorie des Kapitalismus“.[13] Es ist bis heute nicht geklärt, woran die damit angestrebte akademische Laufbahn Gerlichs scheiterte.
Gefahr des Kommunismus als neue Heilslehre
Wegen einer Sehschwäche war Gerlich untauglich für den Militärdienst, zu dem er sich anlässlich des Kriegsbeginns 1914 gerne freiwillig gemeldet hätte. So versuchte der in diesen Jahren stark national, um nicht zu sagen nationalistisch gesinnte Gerlich auf seine Weise, von der „Heimatfront“ aus zum erfolgreichen Verlauf des Krieges beizutragen. 1917 meldete er sich bei der „Bayerischen Lebensmittelstelle“ und wurde sogar „zur Erprobung eines Verfahrens der Umwandlung von Waldabfall [...] in tierisches Fett und Eiweiß“[14] von seiner Archivtätigkeit beurlaubt. Das Experiment misslang ebenso, wie Gerlichs erster Versuch, publizistisch auf das politische Geschehen Einfluss zu nehmen. Anfang März 1917 erschien die erste Nummer der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift Die Wirklichkeit. Darin griff Gerlich die zögernde Politik der Reichsregierung heftig an und unterstellte ihr mangelnden Siegeswillen. Kein Wunder, dass Die Wirklichkeit noch im Jahre 1917 der Zensur zum Opfer fiel.
Daneben beschäftigte sich Gerlich intensiv mit dem Marxismus-Leninismus. Vorbereitet durch eine Reihe von Aufsätzen erschien 1920 das Buch „Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich“.[15] Darin vertrat Gerlich als einer der ersten die These, dass der Kommunismus mehr sei als nur eine volkswirtschaftliche Theorie: es handle sich vielmehr um eine neue Religion, um eine neue Heilslehre.[16] Es ist dies eine nach wie vor gültige Interpretation.
Von nicht geringem Interesse ist ferner aus heutiger Perspektive, darauf weist Michael Schäfer hin,[17] dass Gerlich sich der Tendenz widersetzt, Kommunismus und Judentum zu identifizieren: „Manche unserer Zeitgenossen sehen allerdings diese zerstörende Wirkung des Marxismus nicht als Folge des Systems, sondern als solche der Beteiligung von Juden an seiner Leitung. So unhaltbar diese Auffassung auch ist, wir müssen ihr doch ein paar Worte widmen, denn die Hetze gegen unsere jüdischen Mitbürger droht zu einer öffentlichen Gefahr zu werden und die Elemente der Zerreißung von Volk und Staat noch zu verstärken.“[18]
Hauptschriftleiter der „Münchner Neuesten Nachrichten“
Der mit den erwähnten Publikationen erworbene Ruf, sowohl national gesinnt wie auch konsequent antimarxistisch eingestellt zu sein, ließ jetzt die neuen Eigentümer der Münchner Neuesten Nachrichten (MNN), der Vorgängerin der heutigen Süddeutschen Zeitung, auf ihn aufmerksam werden und brachte Gerlich im Jahre 1920 einen für ihn geradezu sagenhaften Aufstieg: Hauptschriftleiter der Münchner Neuesten Nachrichten, die größte Schlüsselstellung, die die deutsche Presse im Süden des Reiches kannte. Sollte ein journalistischer Laie auf dem einflussreichsten Zeitungsposten in ganz Süddeutschland das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigen können? Zunächst schienen die Zweifler recht zu behalten. Gerlich begann mit vierspaltigen Leitartikeln, noch dazu mit Fortsetzungen. Erst allmählich gelang ihm die Umstellung von der wissenschaftlichen auf die journalistische Darstellungsform. Doch sie gelang. Gerlich wuchs in seine neue Aufgabe hinein.[19] Die MNN gewannen noch an Profil und konnten sogar die Auflage erhöhen.
Zwei Ereignisse prägten Gerlichs weiteres Leben. Das erste ist die Begegnung mit Adolf Hitler und das Miterleben von dessen Putschversuch in München am 9. November 1923. Hitler hatte gehofft, den einflussreichen und mit den nationalen Strömungen sympathisierenden Gerlich für seine Ziele gewinnen zu können. Doch Gerlich wurde zunehmend skeptisch. Hitler wollte vermeiden, von Parteifreunden mit Gerlich in der Redaktion der MNN gesehen zu werden. So traf man sich in Gerlichs Privatwohnung.[20] Doch nicht nur diese Abhängigkeit Hitlers von den Stimmungen seiner Anhänger macht Gerlich stutzig. Gerlich erlebte in Hitler vor allem einen egozentrischen, zu keinem echten Gedankenaustausch fähigen Menschen.[21] Der Novemberputsch Hitlers schließlich, den Gerlich sogleich als „gewissenlosen Leichtsinn“ und als „Verrat“ brandmarkte, heilte ihn endgültig von allen nationalistischen Neigungen. Gerlich nahm es in Kauf, auch zahlreiche Leser der MNN durch seine vielen abrupt erscheinende Meinungsänderung vor den Kopf zu stoßen. Hitler und Gerlich aber sollten sich fortan nicht mehr aus den Augen lassen.
In der Schule von Konnersreuth
Noch folgenreicher sollte für Fritz Gerlich eine zweite Begegnung werden. Am 2. Mai 1926 erscheint in den MNN der Artikel „Das Mirakel von Konnersreuth“,[22] worin wohl erstmals überregional von Therese Neumann (1898-1962) Kenntnis genommen wird: eine junge Frau im oberpfälzischen Konnersreuth, [1925] auf unerklärbare Weise von schwerer Krankheit geheilt, hat Passionsvisionen, sie trägt [seit Februar 1926] die Wundmale Christi, und man sagt, sie nehme keine andere Nahrung zu sich als die Heilige Kommunion. Ein ausführlicher Bericht von Erwein von Aretin in der Beilage der MNN „Die Einkehr“ ein Jahr und drei Monate später, vom 3. August 1927, der innerhalb von zehn Tagen viermal nachgedruckt und in 32 Sprachen übersetzt wurde, machte das Ereignis schließlich international bekannt. Gerlich, vom außerordentlichen Erfolg dieser Beilage überrascht, war als verantwortlicher Hauptschriftleiter zugleich besorgt um den Ruf seiner Zeitung, denn er fürchtete, dass sich alles bald als Betrug entpuppen würde. Mit dem erklärten Ziel, „dem Schwindel auf die Spur kommen“, fuhr er persönlich – begleitet von Franz-Xaver Wutz, Professor für Altes Testament in Eichstätt und Kenner der orientalischen Sprachen, vor allem des Aramäischen – nach Konnersreuth, forschte an Ort und Stelle, konnte aber keine Anhaltspunkte für einen Schwindel entdecken. Es folgten noch im Herbst 1927 weitere Besuche in Konnersreuth. Die Erlebnisse dort ließen Fritz Gerlich keine Ruhe mehr, und er wurde durch die Begegnung mit Therese Neumann zum überzeugten Christen. Er bekennt: „Sie lebt völlig in dem Gedanken an Christus. [...] Den stärksten Eindruck machte auf mich dieser Mensch in seiner absoluten Einstellung auf die christliche Religion. [...] Ich habe eine vollkommenere Erfüllung der christlichen Forderungen bisher noch nicht erlebt.“[23]
Die Stellung Gerlichs bei den MNN war mittlerweile zunehmend angefochten. Am 15. Februar 1928, Gerlichs 45. Geburtstag, kam es in der Redaktion zu einem handfesten Krach mit der Verlagsleitung, der die Entlassung Gerlichs zur Folge hatte.
Wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens
Gerlich hatte sich zwar zunächst den Weg zurück in den Archivdienst offen gehalten, doch die letzte Rückkehrfrist war gerade abgelaufen. Erst auf Vermittlung des Ministerpräsidenten Held wurde Gerlich im November 1929 wieder in den Staatsdienst übernommen. Die freie Zeit nützte Gerlich für die wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens Konnersreuth. Es entsteht ein zweibändiges Werk „Die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth“. Auf insgesamt über 700 Seiten schildert er bis ins einzelne die Lebensgeschichte, und das heißt vor allem die Krankheits- und Heilungsgeschichte, sowie die Visionen der „Resl“. Ferner dokumentiert er ihre Nahrungslosigkeit und stellt alle Argumente zusammen, die ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen.[24]
Über Freunde der Therese Neumann stieß Gerlich schließlich zu einem Kreis in Eichstätt, der etwa ab 1930 als Gruppe entschiedenster Gegner Hitlers gelten kann. Diesem Kreis gehört auch der Kapuzinerpater Ingbert Naab (1885-1935) an.[25] Vorbereitet durch ihn trat Gerlich am 29. September 1931 zur katholischen Kirche über. Den dabei zusätzlich angenommenen Namen des Erzengels Michael trug er nicht in der Öffentlichkeit. Am 9. November 1931 wurde er schließlich vom Erzbischof von München und Freising, Kardinal Michael von Faulhaber, in der Erzbischöflichen Hauskapelle gefirmt.
Therese Neumann wies Gerlich nicht nur auf den Weg des Glaubens. Gerlich traf fortan keine wichtigen Entscheidungen mehr ohne sich vorher bei ihr Rat geholt zu haben. Therese Neumann ist es auch, die im Bewusstsein der heraufziehenden Gefahr des Nationalsozialismus Naab und Gerlich ermuntert, ihren Fähigkeiten entsprechend wieder auf dem Gebiet des Journalismus tätig zu werden. So wird überliefert, dass sie eines Tages zu Naab und Gerlich sagte: „Ihr zwei (...) müßt kämpfen. Helfen wird es ja nichts, aber ihr müßt es doch tun!“[26]
Zurück zum Journalismus
Zu den Eichstätter Freunden zählt auch Fürst Erich von Waldburg zu Zeil († 1953). In ihm gewann Gerlich einen gleichgesinnten und zugleich finanzkräftigen Gefährten. Gemeinsam mit Pater Naab verwirklichten sie den Plan einer Zeitung mit der erklärten Zielsetzung, dem Nationalsozialismus mit aller Entschiedenheit publizistisch entgegenzutreten. So wurde 1930 der Illustrierte Sonntag, eine politisch farblose und wirtschaftlich desolate Wochenzeitung gekauft. Sie hatte zuvor einem gewissen Graf Pestalozza gehört und war in das Verlagshaus Adolf Müller übergegangen. Gerlich und Erich Graf von Waldburg-Zeil übernahmen je 50 % der Anteile, wobei der Graf ganz für die Finanzierung aufkam und Gerlich seinen Geist und seine journalistische Erfahrung investierte. Um nicht gleich Verdacht zu erregen, wurde der wenig bekannte und noch junge Dr. Johannes Steiner als „Strohmann“ zum Geschäftsführer gemacht. Als problematische Begleiterscheinung galt es zu berücksichtigen, dass in demselben Haus in der Münchener Schellingstraße, in dem der Illustrierte Sonntag hergestellt wurde, auch das Parteiorgan und Hetzblatt der NSDAP, der Völkische Beobachter gedruckt wurde. Da man Probleme voraussehen konnte, vereinbarte man vertraglich, dass die Verlagsleitung keinerlei Mitspracherecht bei inhaltlichen Fragen hat.
Eine weitere Schwierigkeit war zu lösen: Um nicht durch einen zu heftigen Richtungswechsel den vorhandenen ohnehin schon sehr begrenzten Leserstamm auch noch zu verlieren, musste der Illustrierte Sonntag langsam und Schritt für Schritt in ein politisches Organ umgestaltet werden. Gerlich tat dies mit großem Geschick. Es darf als journalistische Meisterleistung bezeichnet werden, die ohne Beispiel in der deutschen Zeitungsgeschichte ist, wie Gerlich sich sein publizistisches Schwert zurecht schmiedete.[27] Von Aretin schreibt: „Die Nr. 37 des ‚Illustrierten Sonntag‘ vom 14. September 1930 war die erste Nummer nach Übernahme der Zeitung durch Gerlich. Die Umstellung eines Blättchens ohne politischen Teil, dem man wohl nicht sehr unrecht tut, wenn man es als Skandalblättchen bezeichnet, in ein Blatt mit politischer Stoßkraft ist in publizistischer Hinsicht eine der allerschwierigsten Aufgaben. Gerlich unterzog sich ihr mit einem bemerkenswerten Geschick, indem er, um seine Leserschaft zunächst kennenzulernen, zunächst an Form und Inhalt wenig änderte, aber durch Preisausschreiben ‚Wie verhalten Sie sich als Arbeitgeber?‘ oder ‚Wie verhalten Sie sich als Krankenschwester?‘ Diskussionen einleitete, bei denen die Leserschaft eifrigst mitging, und ihm Gelegenheit gab, seine eigenen naturrechtlichen Gedanken in einer Form zu entwickeln, die der Aufmerksamkeit der Leser sicher sein konnte.“[28]
Beginn des Kampfes: „Der gerade Weg“
Im Juli 1931 hielt Gerlich die Zeit für reif, um mit dem Kampf zu beginnen. Mit der Ausgabe Nr. 28 vom 12. Juli 1931 wird zum Angriff auf die nationalsozialistische Bewegung und ihren Führer geblasen: „Hitler und Wilhelm II.“, so lautete die – wie auch beim Völkischen Beobachter üblich – in leuchtend roten Lettern gesetzte Schlagzeile. Gerlich ließ, literarisch verfremdet, einen Schweizer Staatsbürger einen Vergleich anstellen zwischen Kaiser Wilhelm II. und Hitler: Wie der eine sich aus dem Staub gemacht hat, nachdem er Deutschland 1918 in den Untergang geführt hatte, so wird es auch mit Hitler kommen, der ja schon 1923, als der Marsch auf die Feldherrnhalle auf Widerstand gestoßen war, feige ausgerissen war – um nur eine der zahlreichen von Gerlich erkannten Ähnlichkeiten anzuführen. Von wahrlich prophetischer Weitsicht ist seine Charakterisierung des Führers der nationalsozialistischen Bewegung: „Wer Hitlers Entwicklungsgang so genau verfolgt hat wie ich, kann nur über jene Politiker lächeln, die da glauben, er gewährleiste überhaupt noch einmal in seinem Leben die beharrliche Vertretung von Grundsätzen, mit Ausnahme des einen: ‚Ich will an die Macht, und ich will die öffentliche Beweihräucherung‘.“[29]
Der nunmehr offen vertretenen politischen Ausrichtung des Blattes entsprach der Titel Illustrierter Sonntag nicht mehr. Bei der Suche nach einem passenderen Namen scheint schon im Laufe des Jahres 1931 die Wahl auf Der gerade Weg gefallen zu sein. Die Anregung dazu ging, so ein Hinweis des Verlegers Dr. Hugo Schnell an Bernhard Zittel, vom Generaldirektor der staatlichen Archive Bayerns, Dr. Wilhelm Winkler, aus.[30] Jedenfalls muss Kardinal Faulhaber von der geplanten Änderung des Titels schon gewusst haben, als er am 9. November 1931 Fritz Gerlich in seiner Hauskapelle in München das Firmsakrament spendete. Gerlich war, wie schon gesagt, am Michaelstag 1931 in Eichstätt zum katholischen Glauben konvertiert und hatte sub conditione die Taufe und dann die Erstkommunion empfangen. Das Kommuniongeschenk der Resl – eine Kreuzigungsdarstellung mit rückseitiger geistlicher Widmung –, das im Besitz von Herrn Klaus Schumann ist, hatte ich am 19. Mai 2014 anlässlich der Ausstellungseröffnung „Fritz Gerlich – was für ein Mensch?“ in Regensburg erstmals in Händen.
Die Firmung hielt Kardinal Faulhaber einige Wochen später, am 9. November 1931 in seiner Hauskapelle. Faulhaber verknüpfte in seiner Predigt, deren stenographisches Konzept in seinen Akten zu finden war, den in Aussicht genommenen neuen Namen der Zeitung mit der Schriftstelle Apg 9. Dort wird davon berichtet, wie Christus dem Jünger Hananias erscheint und ihn in die „Gerade Straße“ in Damaskus schickt, wo er den Apostel Paulus nach seiner Bekehrung antreffen werde. Aretin berichtet, dass der Kardinal Gerlich mit dem ihnen nunmehr gemeinsamen Namen „Michael“ – Michael Kardinal von Faulhaber – angesprochen habe, „mit dem Namen des Vorkämpfers der heiligen Scharen, der ihm Vorbild und Fürbitter sein sollte in dem unerhörten Kampf gegen das Böse, gegen das Satanische des heraufziehenden Hitlertums [...]. Die Worte des Kardinals haben ihn ungemein gefreut und ermuntert.“[31]
Seit drei Jahren kennen wir auch den persönlichen Rückblick von Gerlich auf das Ereignis in Form einer Passage eines Briefes an den damaligen Bischof von Chur, Georgius von Grüneck, abgedruckt in den von Rudolf Morsey veröffentlichten Gerlich-Akten: „Es war eine wunderschöne Feier. Der Herr Kardinal hielt eine Predigt über Paulus bei Damaskus, in der [er] auch eine Bemerkung: Paulus wohne in der geraden Straße, zu einer Anspielung auf unseren zukünftigen Zeitungstitel ‚Der gerade Weg‘, verwandte, wobei es mir eiskalt über den Rücken herunterlief, da ich daran nie gedacht hatte. Resl und Wutz wohnten bei seiner Eminenz. Die Feier fand ganz geheim statt, da Eminenz ebenfalls der Ansicht war, mit Rücksicht auf die Wirkung meiner publizistischen Tätigkeit die religiösen Handlungen des Übertritts nicht zu einer öffentlichen Sensation zu machen. Aus dem gleichen Grunde verhalte ich mich auch einer Aufforderung des Dr. Eberle, des Herausgebers der ‚Schöneren Zukunft‘ [FN: 1925 gegründete katholisch-konservative Wochenschrift in Wien], gegenüber ablehnend, in einer kurzen Biographie die Gründe meines Übertritts darzulegen.
[10] Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), 21.
[11] Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), 22f.
[12] Den Personalakt Gerlichs konnte erstmals auswerten Bernhard Zittel, Dr. Fritz Michael Gerlich. Ein Märtyrer für die Wahrheit, in: Der Mönch im Wappen. Aus Geschichte und Gegenwart des katholischen München, München 1960, 521-532. Vgl. Karl Otmar Freiherr von Aretin, Vorwort zur zweiten Auflage von Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), 12.
[13] Fritz Gerlich, Geschichte und Theorie des Kapitalismus, München/Leipzig 1913.
[14] Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), 26.
[15] Fritz Gerlich, Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich, München 1920.
[16] Vgl. wenig später Carl Christian Bry, Verkappte Religionen, Gotha/Stuttgart 1924, 109-117.
[17] Michael Schäfer, Ein katholischer Märtyrer. Zum 60. Todestag von Fritz Michael Gerlich – ein Mann des katholischen Widerstandes, in: Münchener Theologische Zeitschrift 45 (1994), 343-348, hier: 345. Die Dissertation von Michael Schäfer, Fritz Gerlich 1883-1934. Publizistik als Auseinandersetzung mit den „politischen Religionen“ des 20. Jahrhunderts, Diss. München 1998, ist online publiziert auf: www.eo-bamberg.de/eob/dcms/sites/gerlich/forschung/texte/dissertation/index.html
[18] Fritz Gerlich, Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich (wie in Anm. 15), 227.
[19] Karl Otmar von Aretin, Fritz Gerlich als Journalist, in: Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), hier: 150.
[20] Gerlich erinnerte selbst an diese Begegnung und führte sie als Beleg an für Hitlers Abhängigkeit von den Stimmungen seiner Gefolgsleute: „Ich habe es in den Jahren meiner Tätigkeit als Hauptschriftleiter der ‚Münchner Neuesten Nachrichten‘ mehr als einmal erlebt, wie abhängig er sich selbst von den Stimmungen seiner Gefolgschaft fühlt. So wollte er mich einmal – es war im Frühjahr 1923 – persönlich sprechen. Ich erklärte mich bereit, ihn in meinem Büro in der Redaktion der ‚M.N.N.‘ zu empfangen. Darauf erhielt ich die Antwort, er könne nicht zu mir in die Redaktion kommen. Sein Besuch könne nämlich bei dem starken Verkehr in der Sendlinger Straße und im Hause der ‚M.N.N.‘ gesehen und seinen Anhängern mitgeteilt werden. Diese aber würden einen Besuch bei den ‚M.N.N.‘ ‚nicht verstehen‘. Er schlug mir selber einen neutralen, wenig beobachteten Ort vor, und die Besprechung fand dann in meiner Privatwohnung statt“ (Fritz Gerlich in: Illustrierter Sonntag, Nr. 29 vom 19. Juli 1931, zitiert nach: Prophetien wider das Dritte Reich. Aus den Schriften des Dr. Fritz Gerlich und des Paters Ingbert Naab O.F.M. Cap. [wie in Anm. 6], 83).
[21] Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), 82.
[22] Vgl. den Artikel von G. O. Bayer, Das Mirakel von Konnersreuth, in: „Die Einkehr“, Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, vom 2. Mai 1926; vgl. Hans-Günter Richardi/Klaus Schumann, Geheimakte Gerlich/Bell. Röhms Pläne für ein Reich ohne Hitler (wie in Anm. 3), 38.
[23] Fritz Gerlich, in: „Die Einkehr“, Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, vom 6. November 1927, zitiert nach: Hans-Günter Richardi/Klaus Schumann, Geheimakte Gerlich/Bell (wie in Anm. 3), 38.
[24] Fritz Gerlich, Die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth, 2 Bände, München 1929. 1. Teil: Die Lebensgeschichte der Therese Neumann. 2. Teil: Die Glaubwürdigkeit der Therese Neumann. Zwei Jahre später erschien: Fritz Gerlich, Der Kampf um die Glaubwürdigkeit der Therese Neumann. Eine Auseinandersetzung mit den Professoren Wunderle und Mager, München 1931.
[25] Vgl. Maximilian Neumayr, Pater Ingbert Naab. Seher. Kämpfer. Beter, München 1947, und: Helmut Witetschek, Pater Ingbert Naab O.F.M. Cap. (1885-1935). Ein Prophet wider den Zeitgeist, München/Zürich 1985.
[26] Helmut Witetschek, Pater Ingbert Naab O.F.M. Cap. (wie in Anm. 25), 47.
[27] Vgl. hierzu: Oskar Bender, Der Gerade Weg und der Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur katholischen Widerstandspresse vor 1933, Diss. masch., München 1953. Bender zeigt im Einzelnen auf, wie zunächst auf niveaulose Werbeanzeigen und entsprechende Illustrationen verzichtet wurde. Gerlich, der noch nicht als der Verantwortliche in Erscheinung tritt, lädt die Leserschaft ein, über allgemein ethische Fragen zu diskutieren. Die Leser machten mit. Nach und nach flossen dann auch politische Themen ein.
[28] Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), 75.
[29] Fritz Gerlich in: Illustrierter Sonntag vom 19.7. 1931, zitiert nach: Prophetien wider das Dritte Reich (wie in Anm. 6), 86.
[30] Bernhard Zittel, Dr. Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 12), 529. Im Übrigen trug die von Pater Naab herausgegebene Monatszeitschrift für die oberen Klassen der höheren Lehranstalten den Titel „Der Weg“. Vgl. Helmut Witetschek, Pater Ingbert Naab O.F.M. Cap. (wie in Anm. 25), 34.
[31] Erwein Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich (wie in Anm. 7), 66. Die Erinnerungen Aretins können mittlerweile durch das im Nachlass Faulhabers sich befindende weitgehend stenographierte Predigtkonzept Faulhabers für den 9.11.1931 eindrucksvoll bestätigt werden. Bestand: Erzbischöfliches Archiv München, Nachlass Faulhaber, Nr. 6392.
Zum Vorbereitungsdokument der Synode über Ehe und Familie
Gibt es die „gescheiterte Ehe“?
Dr. Daniel Langhans erwartet von einer katholischen Ehe-Pastoral, dass sie von der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe ausgeht und die Ehepartner im Konfliktfall ermutigt, nach den Grundsätzen des Evangeliums die Krise zu überwinden. Viel zu schnell finden sich seiner Meinung nach die Seelsorger einfach damit ab, das „Scheitern der Ehe“ feststellen zu müssen, anstatt die Beteiligten zur Umkehr und zur gegenseitigen Vergebung aufzurufen. Wer den anderen in Ehe und Familie das Leben schwer macht, muss sein Fehlverhalten einsehen und ändern. Wer unter den Eigenheiten oder Attacken eines Familienmitglieds leidet, muss seine Liebe beweisen, indem er immer wieder vergibt und dadurch den Weg zum Neuanfang eröffnet. Das Böse muss durch das Gute besiegt werden. Wir dürfen uns nicht vom Geist der Welt anstecken lassen, der oft schon durch eine irreführende Sprache unser Denken beeinflusst und am Ende unser Handeln bestimmt.
von Daniel Langhans
Es gibt keinen schwulen Pass“, war unlängst auf der Bande des Kölner Stadions zu lesen. Die Club-Führung wollte ein Zeichen setzen gegen das, was man „Homophobie im Alltag“ auf Fußballplätzen nennt; da wird ein Zuspiel, das – etwa, weil der Ball zu schwach geschossen war – den eigenen Mitspieler nicht erreicht, schon mal als „schwuler Pass“ bezeichnet.
Die überraschende Formulierung „Es gibt keinen…“ war sozusagen ein Stop-Zeichen; ein Aufruf zum Hinschauen – und Nachdenken. So soll auch die Überschrift zu diesem Beitrag ein „Stop“-Schild sein. An die Wendung von der „gescheiterten Ehe“ haben wir uns alle gewöhnt. Warum ist sie falsch?
Wo steckt im Satz „Die Ehe von A und B ist gescheitert“ eigentlich das Subjekt? Zweifellos ist es weder A noch B (noch etwa beide), sondern „die Ehe“. Es wird also „jemand“ als Urheber für einen Zustand bezeichnet, der selbst weder entscheiden noch handeln kann. Dieselbe Unschärfe findet sich in Sätzen wie: „Mit den beiden hat es nicht geklappt“; oder auch mundartlich gefärbt: „Es geit nimma“.
Von der „gescheiterten Ehe“ reden alle. Auch viele Priester haben diese Redeweise unkritisch übernommen. Gibt es so etwas wie eine „Sprach-Anpassung“? Oder sollten wir besser von „Sprach-Gehorsam“ reden? Oder von „gruppendynamischen Prozessen“?
Sprache enthält immer auch Deutungsmuster. Da kriselt es mal nachhaltig zwischen zwei Eheleuten, und – weil der Satz so schnell verfügbar ist, wie die Luft, in der wir atmen – flugs steht für die beiden das Deutungsmodell bereit: „Jetzt gehören auch wir zu den Paaren, bei denen ,es‘ (wir beachten: auch hier wieder so ein eigentümliches Satz-Subjekt…) – nicht funktioniert hat.“ Na, wenn „es“ nicht mehr geht, muss man sich trennen, oder?
Wer ist denn der Urheber? Offensichtlich wird die Verantwortung einem nicht-realen, nicht-entscheidungsfähigen, weil nur grammatikalisch existenten „Subjekt“ zugewiesen. Wo ist da die Überzeugung von der Person als Träger der Entscheidung? Haben wir es hier nicht mit einer „Anonymisierung der Verantwortung“ zu tun? Wenn aber, wie erwähnt, in Krisensituationen besonders die beiden Hauptbeteiligten auf solche Sätze und somit Deutungshilfen zurückgreifen, dann ist zu konstatieren: In einem beträchtlichen Maß bringt die gängige Deute-Formel das, was sie diagnostiziert, überhaupt erst hervor.
Das unzerstörbare Eheband
Und der christliche Horizont? Unnötig erscheint es zu wiederholen, dass nach dem katholischen Verständnis des Herrenworts „Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,12) das Band der Ehe schlicht und einfach unauflösbar ist. Mit den Augen Jesu betrachtet, ist der Gedanke einer Ehescheidung ebenso abwegig wie jener, sich ein Bein abzuhacken, weil es halt im Moment weh tut. Wir wissen: Wo eine von zwei Christen vollzogene Ehe durch die katholische Kirche doch als „ungültig“ erklärt wird, hat sie – nach ihrem Verständnis – von vorneherein überhaupt nicht als solche bestanden, und zwar insofern bei ihrer Schließung Ehehindernisse bestanden haben oder der „Ehekonsens“ nicht vollständig gegeben war – wie in solchen Fällen dann nachzuweisen ist.
Jedem bleibt unbenommen, die – übrigens nicht allein auf den „katholischen“ Raum beschränkte, sondern als Sehnsucht allseits vorhandene – Vorstellung einer unauflöslichen, lebenslangen Gemeinschaft von Mann und Frau als „weltfremd“ oder als „nicht mehr in unsere Zeit passend“ zu kritisieren. 50% „geschiedene Ehen“ scheinen da eine deutliche Sprache zu sprechen. Tatsache ist, dass es bei jeder so genannten „Scheidung“ meist nur Verlierer gibt – von den betroffenen Kindern, die in der Regel seelische Verletzungen davontragen, gar nicht zu reden.
Dennoch wird seitens vieler Medien, die das Meinungs- und Wertungsmonopol innehaben, versucht, die kirchliche Ehelehre den veränderten Zeitumständen anzupassen. Von dem jahrelangen Druck – besser passt das Bild vom „Sog“, einem Meeresstrudel vergleichbar, denn der zieht nach unten – beeinflusst, haben sich längst auch Bischöfe, ja Kardinäle, dem Trend angeschlossen. Ihre Sorge gilt dem seelsorglichen Umgang mit den „Wiederverheiratet-Geschiedenen“. Wieder haben wir so ein – sorry – Ungetüm der Zeitgeist-Sprache vor uns. Ja, so muss man es nennen – bei allem Respekt für die Menschen. Denn nach dem Verständnis Jesu gibt es keine „Wiederverheirateten“.
Davon unbeeindruckt haben Bischöfe im Vorfeld der Außerordentlichen Bischofssynode im Oktober in Rom ihre Sichtweisen an ausgewählte Medien lanciert. Das Anliegen eines dieser Meinungsmacher, so berichtet ein Journalist,[1] ist es, die Begründungsstrategie der Enzyklika Humanae vitae aus dem Jahr 1967 zu „dekonstruieren“. Es ging um die leibliche Vereinigung von Eheleuten: Wenn der Schöpfer die Fortpflanzung und den Ausdruck liebender Hingabe in einen einzigen Akt gelegt hat, dann darf das von den Eheleuten durch Anwendung von künstlichen Verhütungsmitteln nicht ignoriert werden. Das war und ist im Kern die Argumentation, welche Theologen, die als besonders wissenschaftlich gelten wollen, seit den 80er Jahren ein Dorn im Auge ist: die Interpretation des Geschaffen-Seins als Gewollt-Sein (durch den Schöpfer), welche Auswirkungen auf das Sollen hat. Diese Art der Herleitung von ethischer Orientierung soll „dekonstruiert“ werden.
Von „Dekonstruktion“ spricht Judith Butler. Sie habe sich, berichtet Gabriele Kuby, in einer Art „Schwebe-Identität“ zwischen Mann und Frau befunden und aus ihrer Not dann ein philosophisches Konzept gemacht: Jeder habe die Chance, aus dem Zwang, sich für Mann- oder Frau-Sein entscheiden zu müssen, auszubrechen.[2] Mit dieser „Dekonstruktion“ der sexuellen Identität des Menschen war für Frau Butler ihr eigenes Mangel-Bewusstsein überwunden. Der Mensch finde seine sexuelle Identität nicht vor, sondern könne und solle darüber selbst entscheiden. Thesen, die dann später Eingang fanden in Bildungspläne für die verschiedensten Altersgruppen.
Wäre – vor dem Hintergrund solcher biografischen Details – nicht eher von einer „Pathologisierung des Menschenbilds“ zu reden? Um es sogleich gerade zu rücken: Auf der Basis des Schöpfungsbegriffs ist die sexuelle Identität eines Menschen ein vom Schöpfer empfangenes Geschenk. Das gilt, auch wenn nicht jeder es als ein solches zu erkennen vermag.
Wer hier – wie manch ein Politiker – mit dem seltsamen Argument widerspricht, Gott selbst sei es doch gewesen, der Homosexuelle als homosexuell (!) erschaffen habe, was wird ihn daran hindern, dieselbe Gedankenführung früher oder später auch für Menschen anzuwenden, welche pädophil oder inzestuös oder auf sexuellen Kontakt mit Tieren orientiert sind? Und in der Tat finden sich in Tageszeitungen bereits die ersten ganzseitigen Artikel, die aus der Perspektive von inzestuösen oder pädophilen Menschen verfasst sind.[3] Mit solchen Innen-Ansichten beginnt meist die Demontage. Offenbar stehen unserer Kultur nach der Abschaffung kultureller Errungenschaften wie es beispielsweise die Unterschiedlichkeit der Kleidung von Mann und Frau, die vor- und außereheliche Enthaltsamkeit, die Unauflöslichkeit der Ehe waren, demnächst weitere „Dekonstruktionen“ bevor.
Inzwischen ist sogar das Ost-West-Schema zerbrochen. Was vor kurzem noch unvorstellbar war: Einen schöpfungsorientierten Gläubigen – egal, welcher Religion – scheint in weltanschaulicher Hinsicht heute manchmal mehr zu verbinden mit dem russischen Präsidenten als mit Barack Obama.[4] Die Kultur des Westens: in der Sackgasse?
Die Sprachdiktatur des Genderismus
Entlarvend übrigens, dass sich für das heute üblich gewordene, finale Überarbeiten von Texten (Satzsubjekte nicht allein in grammatisch-männlicher, sondern zusätzlich auch -weiblicher Form zu formulieren) inzwischen der Begriff „Gendern“ durchgesetzt hat. Wer sich als Student nicht an diese „Gender“-Vorgaben hält, dem droht schlicht Gewalt in Form von nachteiliger Benotung.
Geistliche gibt es, die den Gottesdienst mit der gut gemeinten Formel abschließen: „Es segne euch der wie Vater und Mutter liebende Gott“. So ist die Sprachdiktatur bereits in den innersten kirchlichen Raum eingedrungen – den der Liturgie. Was dabei übersehen wird: Es geht um mehr als eine bloß sprachliche „Anpassung“. Mit der Erweiterung des Gottes-Bildes „Vater“ auf „Mutter“ befinden wir uns definitiv außerhalb des Deutungsrahmens, den die Heilige Schrift vorgibt, worauf beispielsweise auch Papst Benedikt XVI. hinweist.
Im Sudetenland haben sich nach dem Einmarsch der NS-Truppen in Österreich im März 1938 sämtliche kirchliche Vereinigungen freiwillig „gleichgeschaltet“: den Hitler-Verbänden ein- und untergeordnet. Mir scheint, wir Heutigen sind Zeugen einer Sprach-„Gleichschaltung“ der Kirchen geworden. Hat diese bereits damit begonnen, dass in den Gottesdienst-Lesungen die paulinische Anrede („Brüder“) „ge-gendert“ wurde, um sie den veränderten Zeitumständen anzupassen?
Für die Sprachfigur, welche beide Geschlechter unter dem grammatisch-Männlichen zusammenfasst – die „Einwohner Deutschlands“ oder „Brüder“ für Christinnen und Christen – ist der Ausdruck masculinum repraesentale vorgeschlagen worden.[5] Es scheint ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Mann und Frau auszudrücken: „Der Mann steht im Vordergrund der Kraft“, sagt die Dichterin Gertrud von le Fort (1876-1971), „die Frau lagert in ihrer Tiefe.“[6]
Ist diese Einsicht heute vermittelbar? In einer Zeit, da unsere Zeitgenossen, auch Priester, von einem Wesens-Unterschied zwischen Mann und Frau nichts hören wollen? Verwiesen wird darauf, es könne nur ein „Wesen“ geben, den Menschen nämlich. Doch ist in die Sache inzwischen Bewegung gekommen. Mehrfach schon hat Papst Franziskus das Fehlen einer „Theologie der Frau“ angemahnt. Unlängst hat er auf die Journalisten-Frage „Sie sprechen wenig von Frauen, höchstens von Frauen als Müttern und Bräuten. Heutzutage leiten Frauen auch Staaten, Großkonzerne, Heere. Welchen Platz haben in Ihrer Sicht Frauen in der Kirche?“ ebenso erstaunlich wie vielsagend entgegnet:
Die Frauen sind das Schönste, was Gott gemacht hat. Die Kirche ist Frau. Kirche ist ein weibliches Wort. Man kann ohne diese Weiblichkeit keine Theologie betreiben. Davon wird nicht genug gesprochen, da haben Sie ganz Recht. Ich bin einverstanden damit, dass man mehr an der Theologie der Frau arbeiten muss. Das habe ich gesagt, und das ist auch in Arbeit.[7]
Unglaublich! Mit der Selbstsicherheit dessen, der Erkenntnis von „Wahrheit“ für möglich hält, macht der Papst deutlich, dass die Sichtweisen der „Welt“, auch wenn sie in Frage-Form daherkommen, nicht notwendig mit denen des Christen übereinstimmen (vgl. Röm 12,2). Sieht er möglicherweise in der Entdeckung einer weiblichen – und, wegen der Bipolarität alles Geschaffenen, damit auch männlichen – Identität einen Ausweg aus der Krise der westlichen Kultur?
Um den Schaden für den Menschen – der inzwischen vielerorts im Säuglingsalter bereits in frühkindlichen „Bildungs“-Stätten abgegeben wird, um seiner erwerbstätigen Mutter die ersehnte gesellschaftliche Anerkennung zu ermöglichen – zu bezeichnen, nimmt Franziskus kein Blatt vor den Mund: Der Teufel will die Familie nicht und versucht sie zu zerstören.[8] So wird unter dem derzeitigen Pontifikat – allen „Dekonstruktions“-Versuchen zum Trotz nichts geschehen, was die Bindungskräfte von Ehe und Familie noch weiter schwächen könnte.
Familienkrisen haben meist psychische Ursachen. Für unsere Überlegungen ist es unerheblich, wie in einer Familienkrise die Geschlechter-Rollen üblicherweise verteilt sind. Oft wurzelt der Konflikt in negativen Affekten, die sich gegen den Partner richten. Was würde die vielfach geforderte Änderung der Seelsorge wie z. B. die volle Zulassung der „Wiederverheiratet-Geschiedenen“ zu den Sakramenten bei jener Frau bewirken, die – aus Verantwortung für Kinder wie aus Liebe zu ihrem Ehepartner – am Eheband unerschütterlich festhält?
Schade, dass die Wendung von der „gescheiterten Ehe“ auch in das Vorbereitungsdokument der Synode hineingerutscht ist („fallimento matrimoniale“: Ziffer 103). Denn nach unseren Überlegungen sollte aus dem Mund eines Christen der Satz „Die Ehe von A und B ist gescheitert“ eigentlich gar nicht kommen. Was es gibt, ist Fehlverhalten der Person A und/oder der Person B. Fehlverhalten jedoch ist zu korrigieren und vom Geschädigten zu vergeben.
Eine Trennung kann dazu nicht wirklich eine Alternative sein. Jesus hat gesagt: „Wenn dein Bruder Schuld auf sich geladen hat, dann sag‘ ihm, was er falsch gemacht hat. Tut es ihm leid, dann vergib ihm! Und wenn er dir siebenmal am Tag Unrecht tut und dich immer wieder um Vergebung bittet, vergib ihm!“ (Lk 17,3-4).
[1] Daniel Deckers, Der Kampf um Rom hat erst begonnen, in: F.A.Z. v. 4.9.2014.
[2] Für weitere Analysen sei auf das Werk verwiesen: Gabriele Kuby, Die sexuelle Revolution (September 2012)
[3] www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ein-paedophiler-erzaehlt-leben-mit-dem-tabu.95fe06d9-3afb-403e-bad6-4a6b3af2c722.html
[4] www.gabriele-kuby.de/wortmeldungen/ obama-der-homo-aktivist/
[5] Daniel Langhans, Liebe Brüder (2 Kor 13,11). Vom Sinn einer neutestamentlichen Sprachfigur, in: Kirche heute, 12/1999, 15-21; in leicht veränderter Form auch zugänglich unter: stjosef.at/dokumente/masc-repraesentalis_langhans.htm
[6] Gertrud von le Fort, Die ewige Frau (München 1935). Ein heutiger Ansatz, die weibliche von der männlichen Identität zu unterscheiden: Jo Croissant, Die priesterliche Frau oder das Priestertum des Herzens (2011; Original französisch: 1992).
[7] Interview, Il messagero v. 28. Juni 22014, vgl. www.de.radiovaticana.va
[8] Ansprache an 52.000 Mitglieder der charismatischen Bewegung „Rinnovamento dello Spirito“ in Rom, nach: Die Tagespost v. 3.6.2014.
Mit Bernd Cassau auf dem Libori-Fest
Am Puls des kirchlichen Lebens
Das Paderborner Libori-Fest, das jeweils neun Tage lang gefeiert wird, ist eines der ältesten und größten Volksfeste in Deutschland. Es erinnert an die Ankunft der Reliquien des hl. Liborius 836 in Paderborn. Durch die Überführung der Reliquien aus dem französischen Le Mans wollte der damalige Bischof Baduard eine Verbindung zwischen dem noch jungen Bistum und den schon gefestigten Ortskirchen des Frankenreichs herstellen. Seither ist der hl. Liborius, übrigens ein Freund des hl. Martin von Tours, Patron des Bistums. Das diesjährige Fest, an dem 1,7 Millionen Besucher teilnahmen, stand unter dem Motto: „Sucht mich, dann werdet ihr leben!“ (Am 5,4) Der Paderborner Goldschmied Bernd Cassau gewährte Pfarrer Erich Maria Fink einen besonderen Einblick.
Von Erich Maria Fink
Vor zehn Jahren wurde unsere Pfarrkirche „Maria – Königin des Friedens“ in Beresniki im russischen Ural eingeweiht. Damals hatten wir für unseren Altar von der Kongregation der „Schwestern der Muttergottes von der Barmherzigkeit“ in Krakau eine Reliquie der hl. Schwester Faustyna Kowalska erhalten. Doch noch immer bewahren wir diese Altarreliquie in einem Provisorium auf. Durch die langjährige Zusammenarbeit mit dem Paderborner Goldschmied Bernd Cassau kam uns der Gedanke, von ihm ein Reliquiar anfertigen zu lassen, das auf der zentralen Marmorsäule unter der Altarplatte seinen festen und zugleich sichtbaren Platz finden sollte, das man aber beispielsweise für den Einzelsegen an besonderen Festtagen auch abnehmen könnte. Um mit mir seinen Entwurf zu besprechen, lud mich Bernd Cassau zu sich nach Paderborn ein und schlug für diesen Besuch den Abschlusstag des „Libori-Festes“ vor.
Brücke zwischen Tradition und heutigem Leben
So kam ich am Sonntag, den 3. August 2014, nach Paderborn. Der Teilnahme am Fest maß ich vor meiner Abfahrt keine besondere Bedeutung bei, doch wurde ich von der Größe dieses Ereignisses vollkommen überrascht. Eine ganze Stadt in Bewegung, Massen von Menschen, die sich frohgelaunt durch die Straßen und Stände drängen, feierliche Gottesdienste im jeweils brechend vollen Dom, eine Ausstellung über sakrale Kunst im benachbarten Pfarrzentrum, unzählige Veranstaltungen und eine überwältigende Atmosphäre, welche das Libori-Fest nicht nur als Volksfest erscheinen lässt, sondern ganz und gar vom religiösen Hintergrund der neuntägigen Feier durchdrungen ist! Bernd Cassau, dessen Werkstätte sich nur wenige Schritte vom Dom entfernt befindet, nahm mich „an der Hand“ und führte mich mit solcher Begeisterung zu den wertvollsten Sehenswürdigkeiten seiner Heimatstadt, dass seine Liebe zu Paderborn und sein Stolz auf dessen kulturelles Erbe mit Händen zu greifen waren. Voll innerer Anteilnahme erzählte er mir die Geschichte des Bistums und stellte mir die Porträts der 22 Bischöfe im Eingangsbereich des Doms vor, die am diesjährigen Libori-Fest als Zelebranten mitgewirkt hatten. Mit fast jedem dieser Würdenträger konnte er eine persönliche Erinnerung verbinden und brachte seine Hochachtung vor deren Lebensleistung zum Ausdruck. Ich habe selten eine so positive Haltung zum aktuellen Leben der katholischen Kirche und gleichzeitig zur Tradition, die sich in den Gebäuden und Schätzen der christlichen Kunst widerspiegelt, erlebt wie in der Gestalt von Bernd Cassau. Er stellt eine lebendige Brücke zwischen der Vergangenheit und dem Heute, zwischen den Wurzeln und den sichtbaren Früchten des Reiches Gottes dar, angenehm konservativ und modern zugleich. Und auf dem Weg durch die Stadt zeigte sich auch sein Bekanntheitsgrad, fast bei jedem Schritt wurde er begrüßt und in ein kurzes Gespräch verwickelt.
Die Tradition der Pfauenwedel
Als er mich am nächsten Morgen durch sein privates Museum führte, durfte ich noch einmal mehr seine tiefen Gedanken und Empfindungen erspüren, die sein Herz und seine tägliche Arbeit erfüllen. Gewiss kann man das Museum mit seinen Exponaten in Broschüren und Publikationen vorstellen. Doch nicht im Geringsten wird darin das vermittelt, was mich der persönliche Besuch mit der einstündigen Führung durch den „Schöpfer“ dieser Kunst- und Glaubensoase erleben ließ. Mir wurde auch bewusst, dass ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit von Bernd Cassau in der fachkundigen Restaurierung und Renovierung von hochwertigen sakralen Gegenständen besteht. Gerade dazu ist ein umfassendes Wissen und Einfühlungsvermögen in die verschiedensten Stilepochen nötig. Im Museum schloss sich auch der Kreis zum Libori-Fest; denn immer wieder taucht in den Kunstwerken Cassaus das Motiv des Pfaus auf. Nach einer Sage sei bei der Abreise der Paderborner Gesandten aus Le Mans mit den Reliquien ein Pfau erschienen und der Delegation vorausgeflogen. Bei jeder Pause habe auch er innegehalten, bis die Träger mit den Reliquien die Bischofskirche in Paderborn betreten hätten. In diesem Augenblick sei er tot zur Erde gefallen. Das Symbol des Pfauenwedels, das in der christlichen Kunst Auferstehung und ewiges Leben versinnbildet, ist so zu einem unverwechselbaren Zeichen der Stadt Paderborn geworden.
In der Schule der sel. Sr. Euthymia
Begleitung von Sterbenden
Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff schildert in ergreifender Weise seine erste Begegnung mit einem Sterbenden.[1] Zur Vorbereitung auf den priesterlichen Dienst machte er gleich nach dem Abitur ein Praktikum in der Münsteraner Raphaelsklinik. Dort durfte er einen an Speiseröhrenkrebs erkrankten Mann bis zu dessen Tod begleiten und wurde auch mit Fragen wie Euthanasie konfrontiert. Eine wunderbare Fügung machte ihn genau in dieser Zeit auf das Leben der inzwischen seliggesprochenen Schwester Euthymia Üffing aufmerksam, die 1948 die Leitung der Raphaelsklinik übernommen hatte und 1955 selbst an den Folgen eines Krebsleidens gestorben war. Ihr Zeugnis half ihm „auf wunderbare Weise“ die Aufgabe der Sterbebegleitung zu verwirklichen.
Von Peter Dyckhoff
Schon vor dem Abitur hatte ich den geheimen Wunsch, Priester zu werden, sagte aber niemandem etwas davon. Bei diesem erfüllenden Gedanken gab es jedoch einen Schatten, der mir Angst machte. Als Priester würde ich zu Sterbenden gerufen – entweder in ein Krankenhaus oder gar an eine Unfallstelle. Und oft – so hörte ich – war der Verunglückte schon gestorben, bevor der Priester eintraf. Die Ambulanz darf den Toten dann nicht mehr befördern, sondern nur noch der Bestatter. Wie sollte ich nur mit all dem umgehen, wenn ich Priester werden würde? Der Wunsch und der innere Anruf jedoch waren so stark, dass ich beschloss, mich als Erstes nach dem Abitur dem Sterben und dem Tod zu stellen.
Ich sprach unter vier Augen mit Kaplan Heinz Löker darüber, der oft zu uns ins Haus kam. Er hatte Verständnis für mich und besorgte mir eine Stelle in der Raphaelsklinik, wo ich für ein knappes Jahr ein Krankenpflegepraktikum machen konnte. Gegen den Willen meines Vaters – Mutter hielt sich zurück – begann ich auf der „Station Sieben“ für innere Medizin, da hier die meisten Sterbefälle vorkamen. Ich bat Sr. Felicia, die Stationsschwester, eine Ordensfrau von außerordentlicher Güte, mich neben all der anfallenden täglichen Arbeit mit einem sterbenden Menschen vertraut zu machen. Auch sie brachte mir gegenüber ein großes Verständnis und vor allem Geduld auf, denn die Angst, die ich überwinden wollte, stand mir im Gesicht geschrieben. Nach einigen Tagen durfte ich bereits das Essen austeilen, wobei genau darauf geachtet werden musste, welcher Patient welches Essen bekam. Verwechslungen konnten schlimme Folgen haben. Ich war dabei, wenn Verbände gewechselt wurden und sah zum ersten Mal bei einer zuckerkranken Frau den Stumpf nach ihrer Beinamputation; ich half die Patienten zu waschen, machte die Betten und leerte die Urinflaschen. An all das und mehr hatte ich mich schnell gewöhnt.
Da drei und mehr Patienten sich ein Zimmer teilten, wurden die Sterbenden in ein Einzelzimmer verlegt, um ihnen individuelle Pflege und Betreuung zukommen zu lassen und ihnen so das Sterben leichter zu machen. Die Mitpatienten wurden entlastet und das Sterben und der Tod hatten einen eigenen Raum. Und in diesen „Raum“ wurde ich langsam und sehr einfühlsam von Sr. Felicia eingeführt. Ich hatte sie in mein Geheimnis eingeweiht und sie wusste, dass ich nicht Arzt, sondern Priester werden wollte. Obwohl ich gern mehr mit ihr gesprochen hätte, bestand infolge der vielen Arbeit kaum die Möglichkeit dazu.
Eines Tages jedoch nahm sie sich die Zeit und erzählte mir von einer Mitschwester, die heiligmäßig gelebt habe und vor drei Jahren gestorben sei. „Haben Sie den Namen Sr. Euthymia schon einmal gehört?“ Ich musste zugeben: „Nein.“ – „In Sr. Euthymia hätten Sie einen Menschen erlebt, der immer auf ganz natürliche Weise übernatürlich war. Sie machte zwar Zeit ihres Lebens keine Schlagzeilen, doch verbreitete sie eine heilende Atmosphäre. 1934 wurde sie bei den Clemensschwestern aufgenommen und machte 1939 ihre Prüfung zur Krankenschwester. 1948 wurde sie unverständlicherweise aus der Krankenpflege herausgenommen und musste Arbeiten für die Waschküche der Raphaelsklinik und das Mutterhaus übernehmen. Der große Wäschereibetrieb der Klinik und des Mutterhauses war durch Bomben völlig zerstört. Die Baracke, auf die Sie von hier oben schauen, und in der Sr. Euthymia sieben Jahre ihre schwere Arbeit in Holzschuhen getan hat, ist heute noch unsere Waschküche.“
Meine Arbeit auf der „Station Sieben“ nahm jetzt eine andere Dimension an, da mir Sr. Felicia einen schwer kranken, ja, sterbenden Mann anvertraute, der unheilbar an Speiseröhrenkrebs erkrankt war. Er lag in einem kleinen Einzelzimmer – und ich wusste Bescheid. Ich durfte jeweils längere Zeit bei ihm verbringen; einen Teil meiner sonstigen Arbeit hatte eine Krankenpflegeschülerin übernommen. In diesem Zimmer sollte meine erste Begegnung mit einem Sterbenden und seinem Tod sein. Der Mann mittleren Alters – ich habe leider seinen Namen vergessen, ihn dafür aber lieb in Erinnerung – hatte keine Angehörigen. Zumindest kam in all den Wochen seiner schweren Krankheit wie auch während seines Sterbens und nach seinem Tod niemand zu ihm, um ihn zu besuchen und Abschied zu nehmen.
Als ich mit ihm vertraut wurde, konnte er noch ein wenig sprechen. Ich musste mein Ohr dicht an seinen Mund legen, um zu verstehen und später zu erahnen, was er mir sagen wollte. Die Luftröhre und der Mund-, Schlund- und Rachenraum waren bereits angegriffen und voll von Metastasen. Täglich wurde er dünner, denn er konnte weder essen noch trinken. Wenn man jedoch täglich mit einem Menschen zusammen ist, bemerkt man seine Veränderung nicht so sehr. Als es ihm noch besser ging, erzählte er mir viel aus seinem Leben. Ich hatte den Eindruck, dass es ihm guttat, darüber zu sprechen und jemanden bei sich zu haben, der ihm aufmerksam zuhörte. Außer Schmerzmittel zu verabreichen, konnten die Ärzte nichts mehr für ihn tun. Es wurde sehr still in seinem Zimmer, denn mit zunehmender Ausbreitung der Metastasen konnte er eines Tages nicht mehr sprechen. Wenn ich es eben einrichten konnte, war ich bei ihm. Sr. Felicia unterstützte das, denn sie wusste, was der Grund meines Pflegedienstes war.
Das einzige schmale Fenster dieses Raumes war auf den Hof gerichtet, in dem die Waschbaracke stand. In gewissen Abständen stiegen weiße Rauchschwaden auf und verschleierten den Ausblick. Sr. Felicia hatte mir ein kleines broschiertes Buch von Pater Wendelin Meyer gegeben mit dem Titel „Sr. Maria Euthymia“, das 1957 im Selbstverlag der Clemensschwestern erschienen war. Wenn der schwer kranke Mann, für dessen Betreuung ich mehr oder weniger ganz verantwortlich war, ein wenig schlief, las ich in diesem Buch. Zwischendurch schaute ich auf die letzte Stätte, in der Sr. Euthymia gewirkt hatte: die Waschbaracke. Als gelernte und engagierte Krankenpflegerin unterwarf sie sich gehorsam ihrer Bestimmung als Wäscherin. Sie stand da im blauen Arbeitskittel, in brauner Lederschürze, zog und hob die schweren Wäschewagen, drehte die schweren Maschinen zum Entleeren herunter und transportierte die Wäsche, als ob das alles für sie gar keine besondere Anstrengung bedeutete. Die Devise von Sr. Euthymia lautete: „Zu Ende führen“, auch die geringste Aufgabe ganz erfüllen. Manchmal ließen Assistenzärzte oder Krankenpflegeschülerinnen ihre Füllhalter, Tintenstifte oder sogar Prontisol-Tabletten (Chrom-Quecksilber) in den Taschen ihrer weißen Kittel. Dann färbte sich die Lauge in den Bottichen schwarz, blau oder rot und war verdorben. Sogar das entschuldigte Sr. Euthymia. Allen und allem gegenüber strahlte sie eine nie versiegende Freundlichkeit aus.
Die kurzen Einblicke in das Leben von Sr. Euthymia halfen mir auf wunderbare Weise, meine Aufgabe der Sterbebegleitung auch innerlich anzunehmen und zu verwirklichen – ohne davonzulaufen. Der schwer kranke Mann konnte nichts mehr zu sich nehmen und wurde künstlich ernährt. Das, was er versuchte, mir mit wenigen Worten zu verstehen zu geben, war erschreckend für mich. Er muss entsetzliche Schmerzen gehabt haben, denn die Medikamente brachten keine oder nur kaum Linderung. Es dauerte lange – und er musste mehrmals neu und mühsam ansetzen – bis ich wirklich verstand, was er mir sagen wollte. Sein sehnlichster Wunsch und seine Bitte bestanden darin, nicht länger leiden und diese entsetzlichen Qualen aushalten zu müssen. Er bat um ein Mittel, das seinem Leben ein Ende setzte. Hilflos, absolut hilflos stand ich da. Ich war zwar ein wenig von der Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit einer zwangsweise durchgeführten Euthanasie vertraut, aber dass jetzt in meiner Gegenwart jemand vor lauter Schmerzen freiwillig danach verlangte, war für mich wie ein Schock.
Nach einigem Zögern sprach ich mit der behandelnden Assistenzärztin darüber und staunte nicht wenig, wie offen sie mit diesem Thema umging. Um keine Verwirrung und unnötige Diskussionen zu schaffen, behielt ich ihre Meinung für mich. Bei diesem Patienten mit dieser entsetzlichen und fortschreitenden Krebskrankheit könne sie sich einen solchen Schritt durchaus vorstellen, doch wisse sie um die Unmöglichkeit der Durchführung. Wir sprachen nicht mehr darüber; doch wie sollte ich mit meinen zwanzig Jahren mit einer solchen Problematik umgehen? Einerseits … – andererseits … Im Angesicht eines so furchtbaren Leidens kamen in mir Momente hoch, in denen ich den Eingriff zur Verkürzung dieses Lebens als Erlösung sogar bejahte. Dann wiederum und vom Glauben her war es eine Unmöglichkeit, auf diese „tötende“ Weise in das Leben eines Menschen einzugreifen. Ich begann zu spüren, dass Gebete zu Sr. Euthymia für mich zu einem großen Trost wurden und in mir zu einer klaren Antwort führten, niemanden und unter keinen Umständen zu töten. Aus dieser Überzeugung konnte ich dem Sterbenden in seinem unsagbaren Leid noch liebevoller begegnen. Die Tage wurden lang und zogen sich dahin, aber es geschah immer noch keine Veränderung und der Tod ließ auf sich warten.
Ich spürte, wie wichtig und beruhigend es für den Kranken war, dass jemand ihn begleitete und oft anwesend war. Sein Sterben als wahrhafte Erlösung erwartend las ich das kleine Büchlein über Sr. Euthymia zu Ende. Ich hatte das Gefühl, sie begleitete mich wie ein Engel auf diesem schweren Gang in etwas für mich Neues und Ungewisses, das nicht mehr mit einem Schrecken beladen und mit Angst besetzt war. Sr. Euthymia hatte in ihrer Waschbaracke ein kleines Oratorium eingerichtet, damit sie und alle ihre Mitarbeiterinnen unaufhörlich an Christus und die Heiligen im Himmel erinnert würden und um mit ihnen in Verbindung zu treten. Im Juli 1955 erlitt sie einen Schwächeanfall und wurde in die Klinik eingeliefert. Die Diagnose lautete „Krebs“ – eine Krebsgeschwulst im Unterleib, die bereits Metastasen in der Leber gebildet hatte. An eine Heilung war nicht mehr zu denken. Am 9. September empfing Sr. Euthymia zum letzten Mal die hl. Kommunion. Es war um sechs Uhr am Morgen. Sie richtete sich in ihrem Todeskampf auf und sagte: „Noch zehn Minuten …“ Dann nahm sie ihr Sterbekreuz und erwartete ruhig den Tod.
Mit völlig neuem Bewusstsein las ich das Kapitel über ihr Sterben ein zweites Mal. Es war, als ob Sr. Euthymia mich vorbereitete auf meine Aufgabe, die mir jetzt bevorstand. Das Thema Sterbehilfe sprach ich bei dem Schwerkranken nur kurz an, indem ich versuchte, ihm meine Einstellung zu vermitteln. Ich betete umso inständiger für ihn, dass er die Kraft erhalte, sein Leiden und die unsagbar langsam voranschreitende Zeit in Geduld anzunehmen. Bei den Ärzten sorgte ich dafür, dass ihm andere und stärkere Schmerzmittel verabreicht wurden. Die letzten Tage seines Lebens wurden lichter und waren nicht mehr von diesen unsagbaren Schmerzen belastet, sodass er in Ruhe und innerem Frieden Abschied nehmen konnte. Eine wunderbare Erfahrung, die ich am Ende seines Lebens machen durfte: Nicht mehr ich und meine Angst vor dem Tod standen im Vordergrund, sondern die Hilfe, die ich dem Sterbenden geben konnte. Mein Gebet begleitete ihn, als er eines Nachmittags die Augen schloss, ein letztes Mal ausatmete und für immer einschlief. Es war ein wunderbarer Übergang von dieser Welt in die jenseitige, und ich hatte das Gefühl, dass Engel ihn begleiteten.
Durch Sr. Felicia und Sr. Euthymia wohl vorbereitet und geführt, durfte ich über Wochen einen schwer kranken Mann begleiten und ihm in seinem Sterben nahe sein. Ich glaubte, meine Angst vor dem Tod überwunden zu haben, doch eine Herausforderung kam noch, bei der ich fast versagt hätte.
Als der Tote gewaschen und angekleidet wurde, war ich nicht anwesend. Ich hatte darum gebeten. Doch dann rief mich Sr. Felicia und fragte mich, ob ich den Verstorbenen nach unten in den Keller fahren und ihn in den Leichenraum bringen würde. Im ersten Augenblick war es selbstverständlich für mich, diesen Dienst zu tun. Ich schob die Bahre mit dem Verstorbenen, den ein weißes Laken bedeckte, über den Flur und holte den Aufzug, der nicht für Besucher, sondern nur für Krankentransporte bestimmt war. Als sich automatisch die Tür hinter uns schloss und der Aufzug sich ruckartig in Bewegung setzte, kam auf einmal alle Angst in mir wieder hoch: ich allein, eingeschlossen mit einem Toten auf einer Fahrt nach unten … Meine Beine versagten und ich konnte mich nirgends festhalten. Mir wurde schwindlig und übel. Sollte dieser Schrecken das Ergebnis meiner so sanften und langen Annäherung an den Tod sein? Doch ehe ich recht Luft holen und mich besinnen konnte, hielt der Aufzug und ich konnte seine Türen weit öffnen. Diese Bewegung war erlösend und ich folgte der Ausschilderung „Leichenhalle“. Bevor ich die Doppeltür öffnete, durchzuckte mich einen Moment lang die bange Frage, was und wer mich drinnen erwarten würde. Zwei Menschen – ähnlich wie mein Verstorbener – lagen unter weißen Tüchern friedlich auf ihrer Bahre. Nichts Fremdes und Erschreckendes rührte mich mehr an. Ich schob den Verstorbenen neben sie, verweilte einen Moment, sprach ein Gebet in den Frieden und die Ruhe dieses Raumes hinein und verabschiedete mich. Ein tiefes Gefühl, getragen zu sein, umgab mich nicht nur, sondern kehrte auch in mein Inneres ein.
Sr. Euthymia wurde am 7. Oktober 2001 – 46 Jahre nach ihrem Tod – seliggesprochen. Ich bin sicher, dass der krebskranke Mann, den ich bis zu seinem Tod pflegen durfte und aus dessen Kranken- und Sterbezimmer ich auf die Waschbaracke sehen konnte, zwar nicht durch die katholische Kirche auf Erden, aber von Gott seliggesprochen wurde. Er hat das Unabänderliche seiner Krankheit, die entsetzlichen Schmerzen und sein langsames Sterben, das von vielen entsetzlichen Versuchungen begleitet war, in Geduld angenommen und ist tief in das Geheimnis des Glaubens eingetaucht: in den Tod und die Auferstehung Jesu Christi.
[1] Peter Dyckhoff: Sterben im Vertrauen auf Gott. Gebunden, 244 Seiten. Bestellen unter: Tel. 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5, E-Mail an: buch@media-maria.de – Internet: www.media-maria.de
Oswald Sattler verkörpert authentisches Laienapostolat
Verkündigung mit sakralen Liedern
Ungebrochen ist die Anziehungskraft des Solosängers Oswald Sattler aus Kastelruth in Südtirol. Interessant ist seine Hinwendung zu religiösen Liedern. Mit den Kirchenkonzerten überbietet er seine eher weltlich ausgerichtete folkloristische Vergangenheit und vermittelt den Menschen tiefe geistliche Werte. Das Echo zeigt, dass heute ein riesiger Hunger nach einer erfüllten Gottesbeziehung besteht. Oswald Sattler ist zu einem echten Laienapostel geworden, dessen Konzerte regelrechte Predigten darstellen und die Geheimnisse des Reiches Gottes verkündigen.
Interview mit Oswald Sattler
Kirche heute: Herr Sattler, sicher wurden Sie schon als Kind auf Ihre schöne Stimme aufmerksam gemacht. In welchem Alter haben Sie begonnen, Ihr musikalisches Talent aktiv einzusetzen?
Oswald Sattler: Im Alter von ca. 17 Jahren haben wir eine Volksmusikgruppe gegründet. Aus Spaß an der Freude sangen wir bei diversen Anlässen wie z.B. Geburtstagen etc.
Kirche heute: Sie sind in einer kinderreichen Familie auf einer Landwirtschaft groß geworden. Haben Sie auch miteinander musiziert?
Sattler: In der Familie wurde die Musik sehr in den Vordergrund gestellt. Wir haben gemeinsam mit meinen Eltern und meinen sieben Geschwistern sehr viel musiziert.
Kirche heute: Wie kam es zum musikalischen Engagement in der großen Öffentlichkeit? Gab es einen bestimmten Auslöser oder sind Sie einfach in diese Aktivität hineingewachsen?
Sattler: Unsere Gruppe ist im Laufe der Zeit allmählich gewachsen.
Kirche heute: Wann sind Sie zum ersten Mal im Fernsehen aufgetreten?
Sattler: Im Jahr 1984 bin ich zum ersten Mal bei der TV-Sendung „Nachbar komm rüber“ aufgetreten.
Kirche heute: Sie haben inzwischen eine ungeheure Fülle an Ehrungen und Preisen erhalten. Über welche Auszeichnungen freuen Sie sich am meisten?
Sattler: Ich freue mich über alle meine Auszeichnungen sehr, jedoch am meisten über den Grand Prix-Sieg.
Kirche heute: Wann haben Sie Ihr erstes religiöses Album bzw. Ihr erstes religiöses Video veröffentlicht?
Sattler: Im Jahr 1999 habe ich meine erste CD „Gloria in excelsis Deo“ veröffentlicht. Und das erste Video „Wege zum Glauben“ wurde im Jahr 2004 veröffentlicht.
Kirche heute: Wie sind Sie auf diese Titel gekommen?
Sattler: Die Titel wurden in engster Zusammenarbeit mit den Autoren und dem Produzenten erstellt.
Kirche heute: Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie die religiösen Lieder aus?
Sattler: Die einzelnen Lieder werden nach Texten sowie eingängigen Melodien von mir ausgesucht.
Kirche heute: Mit Ihrer Musik legen Sie in der Öffentlichkeit ein freimütiges Zeugnis für den christlichen Glauben ab. Sie vermitteln Werte wie Ehrlichkeit, Vertrauen, Liebe zu Gott, zum Nächsten und zur Natur. Was hat den Ausschlag dazu gegeben, sich ganz bewusst auch religiösen Inhalten zuzuwenden?
Sattler: Ich wollte eine andere Musikrichtung einschlagen; denn mich hat von jeher die Atmosphäre der Kirche interessiert. Es geht mir in erster Linie um die tiefgründigen Texte, die ich den Menschen näherbringen möchte.
Kirche heute: Es gibt unzählige Menschen, die durch Ihre Lieder neue Hoffnung geschöpft haben. Was gibt Ihnen persönlich Halt im Leben? Woher bekommen Sie die Gewissheit und Festigkeit in Ihrem Glauben?
Sattler: Meinen persönlichen Halt im Leben gibt mir meine Familie.
Kirche heute: Man spürt, dass Sie tief im Glauben verwurzelt sind? Wie sind Sie überhaupt zum Glauben gekommen?
Sattler: Durch die Erziehung der Eltern.
Kirche heute: Seit wann geben Sie Kirchenkonzerte? Was hat den Anstoß dazu gegeben?
Sattler: Nach der Veröffentlichung der zweiten sakralen CD „Kyrie Eleison“ wurden die ersten Kirchenkonzerte in Ostdeutschland durchgeführt.
Kirche heute: Sie erleben tagtäglich die Begeisterung der Menschen für Ihre Musik. Wie gehen Sie persönlich damit um?
Sattler: Es ist schön, die Menschen mit meiner Musik begeistern zu können.
Kirche heute: Haben Sie das Empfinden, dass die Menschen heute auf der Suche nach Gott sind?
Sattler: Es war immer schon so, dass die Menschen auf der Suche nach Gott sind, und das hat sich im Laufe der Jahre auch nicht geändert.
Kirche heute: Sollte man Ihrer Ansicht nach in der Kirche mehr auf das Bedürfnis der Menschen nach gefühlvoller geistlicher Musik eingehen?
Sattler: Ja.
Kirche heute: Danken Sie manchmal Ihrem Schöpfer für die Talente, die er Ihnen geschenkt hat?
Sattler: Ja, jeden Tag aufs Neue.
Kirche heute: Wie bereiten Sie sich auf die Konzerte vor? Beten Sie vor Ihren Auftritten?
Sattler: Vor den Konzerten meditiere ich.
Kirche heute: Welchen Wunsch oder Rat möchten Sie gerne unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Sattler: Dass Ihre Leser stets den richtigen Weg finden.
Kirche heute: Herr Sattler, wir danken Ihnen von Herzen für das wunderschöne Gespräch und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Einsatz viel Kraft von oben und reiche Inspirationen des Heiligen Geistes.
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