Die hoffnungsvolle Botschaft der Kirche

Wahre Liebe ist möglich

In einer neuen Publikation über Ehe und Familie[1] zeigt Professor Dr. Stephan Kampowski auf, dass die Lehre Jesu im Evangelium gelebt werden kann und nicht nur ein unerreichbares Ideal darstellt. Er geht zu Beginn auf einen Aufsatz einer deutschen Theologin ein,  die der Kirche eine „notorische Idealisierung von Ehe und Familie“ vorwirft. Auch in kirchlichen Kreisen sieht Kampowski die Tendenz, an der Lehre der Kirche Abstriche zu machen, um sie leichter vermitteln zu können. Diesem „pragmatischen“ Ansatz stellt er einen „prophetischen“ gegenüber, der die Erlösungsgnade ernst nimmt. Nachdem er den Nachweis liefert, dass die in der Diskussion stehenden „Familienmodelle“ in keiner Weise einfach nur „unvollkommene Ausdrücke desselben Ideals“ der christlichen Familie bilden, sondern größtenteils im Widerspruch zu ihr stehen, stellt er die christliche Sicht der menschlichen Liebe dar. Nachfolgend das zusammenfassende Ergebnis seiner Überlegungen.

Von Stephan Kampowski

Versuch der „Ent-Idealisierung“

Die Kirche steht derzeit einem Problem gegenüber, das ohne Zweifel von absoluter Dringlichkeit ist: Wie kann man der Welt von heute das Evangelium vermitteln? Welche Rolle spielen Ehe und Familie dabei? Wie kann man die Kluft zwischen der Lehre der Kirche über Sexualität, Ehe und Familie auf der einen Seite und den konkreten Lebenssituationen der Menschen auf der anderen Seite überbrücken? Es scheint, dass zahlreiche Theologen und auch die Mehrheit der deutschen Bischöfe vorschlagen, das Problem anzugehen, indem man Schritte in Richtung einer Ent-Idealisierung macht, die sich mit der menschlichen Schwäche abfindet und die es erlauben würde, Elemente der Wahrheit und Gutheit in Situationen zu entdecken, die als solche von Unvollkommenheit, wenn nicht Gebrochenheit gekennzeichnet sind. Diese „konstruktiven Elemente“ stellen allerdings ein heikles Problem dar. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich nicht einfach um unvollkommene Verwirklichungen des Ideals der christlichen Ehe und Familie, die von einer gewissen Mangelhaftigkeit gekennzeichnet sind, aber im Wesentlichen in dieselbe Richtung gehen. Vielmehr sind die kennzeichnenden Merkmale von nichtehelichen Verbindungen weit davon entfernt, eine Analogie zu den in anderen nichtchristlichen Religionen und Kulturen vorhandenen „Samen des Wortes“ zu bilden. Sie bereiten nicht auf das christliche Ideal von Ehe und Familie vor, sondern sind diesem vielmehr diametral entgegengesetzt. Es handelt sich nicht um Elemente, auf die man aufbauen kann, sondern um Elemente, die eine radikale Umkehr erfordern.

… … …

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Stephan Kampowski: Familienmodelle in der Diskussion: unvollkommene Verwirklichungen desselben Ideals?, Klappbroschur, 116 S., ISBN 978-3-932085-51-2, Euro 9,95 (D) – direkt bestellen unter Tel. 08671/9885-0, E-Mail: info@grignion-verlag.de

Stellungnahme der deutschsprachigen Synodengruppe

Das Evangelium von der Ehe

Die Teilnehmer der Bischofssynode waren zu ihren Beratungen in 13 Sprachgruppen aufgeteilt. Die deutsche Sprachgruppe setzte in ihrer abschließenden Stellungnahme bemerkenswerte Akzente. Sie bekennt sich zur unersetzlichen Bedeutung von Ehe und Familie und betont darüber hinaus, die Eheleute seien „Sakrament für die Welt“, sie lehnt die Gender-Ideologie ausdrücklich ab und hebt hervor, „die Hinführung heranwachsender Kinder und Jugendlicher zu einer gereiften menschlichen Sexualität“ sei „in erster Linie Aufgabe der Eltern“ und dürfe „nicht allein dem schulischen Unterricht oder den Medien und sozialen Medien überlassen werden“, sie empfiehlt dringend die Einführung eines Ehekatechumenats und unterstreicht, zur Frage nach einer „verantworteten Elternschaft“ und dem „rechten Weg der Familienplanung“ sollten „die Enzyklika Humanae vitae (10-12) und das Apostolische Schreiben Familiaris consortio (14,28-35) neu erschlossen werden“, damit „entgegen einer oft lebens- und teilweise kinderfeindlichen Mentalität die Bereitschaft zu Kindern geweckt“ werde. Zwei Punkte nachfolgend im Wortlaut.

Ehesakrament und Glaube

Wir haben über den Zusammenhang von Tauf- und Ehesakrament und der Notwendigkeit des Glaubens gesprochen.

Das katholische Glaubensbekenntnis zur Ehe gründet auf den Worten des Herrn in der Heiligen Schrift und der Apostolischen Tradition und wurde durch das Lehramt in seiner Substanz treu bewahrt. Dennoch gibt es in der theologischen Ausarbeitung Spannungen zwischen dem dogmatischen, moraltheologischen und kanonistischen Zugang, die in der pastoralen Praxis zu Schwierigkeiten führen können.

So muss das Axiom „Jeder Ehevertrag unter Christen ist per se ein Sakrament“ neu bedacht werden. In nicht mehr homogen christlichen Gesellschaften oder Ländern mit unterschiedlicher kultureller und religiöser Prägung kann ein christliches Verständnis der Ehe auch bei Katholiken nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Ein Katholik ohne Glauben an Gott und seine Offenbarung in Jesus Christus kann nicht automatisch eine sakramentale Ehe vollziehen ohne oder sogar gegen sein Wissen und seinen Willen. Es fehlt die Intention, wenigstens das mit diesem Geschehen zu wollen, was die Kirche darunter versteht. Zwar kommen die Sakramente nicht durch den Glauben des Empfängers zustande, aber auch nicht ohne ihn oder gar gegen ihn; zumindest bleibt die Gnade unfruchtbar, weil sie nicht mit dem Glauben, der durch die Liebe bestimmt ist, frei willentlich aufgenommen wird.

Auch stellt sich die Frage bei unseren Mitchristen, die ihrem Bekenntnis gemäß die Sakramentalität der Ehe (mit ihren darauf sich ergebenden Wesenseigenschaften) ablehnen, ob ihrer Glaubensüberzeugung entgegen eine sakramentale Ehe zustande gekommen ist. Das würde nicht bedeuten, dass man von katholischer Seite die Legitimität nicht-katholischer Ehen bestreitet oder auch das Gnadenwirken Gottes in nicht-sakramentalen Ehen in Frage stellen würde. Wir erkennen die Vielfalt der Studien zu dieser Frage an und empfehlen ein vertieftes Studium dieser Fragen mit dem Ziel einer lehramtlichen Neubewertung und einer größeren Kohärenz der dogmatischen, moraltheologischen und kanonistischen Aussagen zur Ehe mit der pastoralen Praxis.

Eine Ergänzung haben wir zu den interkonfessionellen Ehen: Im Hinblick auf das Thema der interkonfessionellen Ehe müssen vor allem die positiven Aspekte und die besondere Berufung einer solchen Ehe erwähnt werden, da die nicht-katholischen Christen keineswegs außerhalb der Einen Kirche stehen, sondern ihr durch die Taufe und eine gewisse wenn auch unvollständige Gemeinschaft mit der katholischen Kirche angehören (vgl. UR 3). Auch die interkonfessionelle Ehe ist als Hauskirche anzusehen und hat eine spezifische Berufung und Aufgabe, die im Austausch der Gaben innerhalb des Ökumenismus des Lebens besteht.

Gerechte Familienpolitik

Im Hinblick auf die Bedeutung der Familie in Gesellschaft und Staat, unterstrich die Arbeitsgruppe als Ausgangspunkt, dass Ehe und Familie dem Staat vorausgehen. Sie sind Grundlage und „Lebenszelle der Gesellschaft“ (AA 11). Ohne Familien kann kein Gemeinwesen bestehen. Deshalb ist das politische Gemeinwesen verpflichtet, alles zu tun, um diese „Lebenszelle“ zu ermöglichen und dauerhaft zu fördern. Die immer wieder beklagte „strukturelle Rücksichtslosigkeit“ gegenüber Familien ist zu überwinden. Mittel dazu sind vor allem der Zugang zu Wohnung und Arbeit, die Ermöglichung von Bildung und Kinderbetreuung sowie ein fairer Familienleistungsausgleich in der Steuergesetzgebung, der das, was Familien der Gesellschaft geben, in gerechter Weise anerkennt. Es muss klar sein: Nicht die Familie hat sich wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen, sondern umgekehrt. Der Einsatz für die Familie steht im Zentrum der Katholischen Soziallehre, die ein unverzichtbarer Teil der kirchlichen Verkündigung und der Evangelisierung ist. Alle Christen sind aufgerufen, sich im Feld der politischen Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu engagieren und so zu helfen, dass Familien besser leben und sich entfalten können. Dabei muss die Politik besonders das Prinzip der Subsidiarität beachten und darf die Rechte der Familien nicht einschränken. Hier ist an die „Charta der Familienrechte“ zu erinnern. Die Kirche insgesamt soll sich mit ihrem Engagement im Bereich von Familienbildung, Kindergärten, Schulen, Beratungsstellen, Einrichtungen der Familienhilfe aktiv und exemplarisch einbringen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting) 

Rückblick auf die Synode

Glanz der Wahrheit

Gabriele Kuby sieht Bestrebungen, die Lehre der Kirche über Ehe und Familie an entscheidenden Punkten der Zeit anzupassen. Dies sollte gelingen, ohne dass es dabei zu einer Rebellion oder zu einem Schisma komme. Doch am Wort Gottes könne nicht so leicht gerüttelt werden. Dank derer, die auf der Bischofssynode für die Wahrheit des Evangeliums gekämpft hätten, sei Schlimmeres verhindert worden. Ohne sie wäre die Kirche vom Mainstream mitgerissen worden.

Von Gabriele Kuby

Gemäß der Genesis ist der Mensch als Abbild Gottes, als Mann und Frau geschaffen, zur gegenseitigen Ergänzung bestimmt und zur Fruchtbarkeit berufen (Gen 1,26-28). Die bindende Liebe zwischen Mann und Frau, welche sich im Kind erfüllt, ist eine Analogie für die trinitarische Liebe des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Weil Gott die Liebe ist, hat er den Menschen aus Liebe geschaffen und zur Liebe berufen. Er hat ihn zum Mitschöpfer des neuen Menschen bestimmt. Von der ersten bis zur letzten Seite spricht die Bibel in der Analogie der Brautschaft über das Verhältnis Gottes zu den Menschen. Die Bibel beginnt mit dem Menschenpaar Adam und Eva und endet mit der Hochzeit des Lammes mit seiner Kirche. Jesus Christus hat den ursprünglichen Schöpfungsplan der liebenden Ganzhingabe zwischen Mann und Frau neu aufgerichtet.

Dieser Plan Gottes ist eingeschrieben in die Natur, eingeschrieben in das menschliche Herz, und äußert sich in der Sehnsucht nach Liebe. Aufgabe der Kirche ist es, den Menschen den Weg zu weisen, wie sich diese Sehnsucht nach Liebe im Diesseits in der Ehe erfüllen und im Ewigen Leben in die Liebesgemeinschaft mit Gott führen kann.

Um Fragen dieser Tragweite ging es bei der Bischofssynode zu Ehe und Familie in Rom im Herbst 2014 und 2015. Es wurden aber Themen ins Zentrum gerückt, die weniger die Familien betreffen als jene, die in irregulären Beziehungen leben: die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion (und Beichte), die Haltung der Kirche zu Menschen mit homosexueller Neigung und zu jenen, die in außerehelichen Beziehungen leben. Diese Themen eigneten sich als Hebel zur Veränderung des katholischen Eheverständnisses.

Taktische Manöver

Nachdem durch die Synode 2014 viel Verwirrung entstanden war und niemand wusste, was eigentlich die Position von Papst Franziskus ist, wartete die katholische Welt gespannt auf die zweite Synode im Oktober 2015. Die säkularen Medien lauerten darauf, ob die Kirche endlich fallen und sich dem Zeitgeist anpassen würde.

Wieder gab es vom ersten bis zum letzten Tag im Oktober 2015 heftige Kämpfe, aufgeregte Presseerklärungen, Interviews, Indiskretionen. Dreizehn Kardinäle schrieben  einen vertraulichen Brief an den Heiligen Vater, in dem sie ihre Sorgen vor „vorgefertigten Ergebnissen“ äußerten, dass die Geschäftsordnung zu diesem Zweck geändert worden sei, dass die Synodenväter nicht an der Zusammensetzung der Redaktionskonferenz für das Abschlussdokument beteiligt worden seien etc. Dieser Brief wurde „geleakt“, also entgegen der Absicht der Unterzeichner der Presse zugespielt. Daraufhin warnte der Papst vor einer „konspirativen Hermeneutik“.

Nachdem die Synodenväter zwei Wochen lang in 36 Sprachgruppen beraten hatten, wurde ihnen am Donnerstag, dem 22. Oktober, ein Entwurf der relatio finalis vorgelegt – ausschließlich auf Italienisch. Der Entwurf enthielt wieder die Paragraphen zu Homosexualität und wiederverheirateten Geschiedenen, welche während der Beratungen den größten Widerstand hervorgerufen hatten. Am Freitagmorgen wurde das Dokument abgelehnt. Eilig wurde in der Nacht zum Samstag eine Kompromissversion erstellt, welche am Samstagmorgen auf Italienisch verlesen wurde. (Die relatio finalis ist bis heute, Mitte November, immer noch nicht übersetzt.) Nachmittags wurde über jeden der 94 Paragraphen abgestimmt. Für die Annahme war jeweils eine Zweidrittelmehrheit notwendig, also 177 Stimmen. Der umstrittene Paragraph 85, welcher eine Öffnung für die wiederverheirateten Geschiedenen enthält, wurde mit einer Stimme Mehrheit angenommen. Darin wird Paragraph 84 aus Familiaris Consortio von Johannes Paul II. zitiert, aber der entscheidende Satz ausgelassen: „Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen.“

Die relatio erklärt nicht explizit, dass wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zugelassen werden, aber die Entscheidung wird dem einzelnen Priester und dem Gewissen des wiederverheirateten Geschiedenen überantwortet. Es ist das gleiche Vorgehen wie bei der Ablehnung der Enzyklika Humanae Vitae – eine scheinbar kleine Weichenstellung mit riesigen gesellschaftlichen Konsequenzen. Eine Zeitung brachte es auf den Punkt: „Das absolute Verbot der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene fällt.“

Strategien zur Veränderung der kirchlichen Lehre

Die Lehre der Kirche, gegründet auf den Fels des Wortes Gottes (Mt 7,24-27), kann nicht geändert werden, ohne Rebellion, gar Schisma zu riskieren. Was sind die Strategien, die Lehre dennoch an entscheidenden Punkten der Zeit anzupassen, ohne dass es zur Spaltung kommt?

1. Das Gesetz der Gradualität

Um das absolute Gebot Jesu von der Unauflöslichkeit der vor Gott geschlossenen sakramentalen Ehe (Mk 10,11-12; Mt 5,31-32) zu relativieren, wurde das „Gesetz der Gradualität“ in Anspruch genommen. Danach sei der Mensch nur schrittweise fähig, dem moralischen Gesetz zu gehorchen, und folglich könne von ihm auch nicht verlangt werden, sich den Geboten Gottes zu fügen, wenn er noch nicht reif genug dafür sei. Dies würde beispielsweise bedeuten: Du kannst ruhig unverheiratet zusammenleben, bis du reif bist, diesen Zustand zu ändern. Von Sünde wäre keine Rede. So wird begründet, dass die Pastoral von der Lehre der Kirche abweichen dürfe.

Jeder von uns weiß, dass auf dem Weg mit Jesus das Bewusstsein für das von Gott Trennende wächst und auch die Kraft, es zu verändern. Das Sakrament der Beichte steht uns für die immer wieder neue und tiefere Umkehr offen. Aber das bedeutet nicht, dass die Kirche Abstriche an ihrer Lehre macht.

Johannes Paul II. sagt dazu in Familiaris Consortio von 1981 (Nr. 34): „Die Eheleute können das Gesetz nicht als ein reines Ideal auffassen, das es in Zukunft einmal zu erreichen gelte, sondern sie müssen es betrachten als ein Gebot Christi, die Schwierigkeiten mit aller Kraft zu überwinden. Daher kann das sogenannte ‚Gesetz der Gradualität‘ oder des stufenweisen Weges nicht mit einer ‚Gradualität des Gesetzes‘ selbst gleichgesetzt werden, als ob es verschiedene Grade und Arten von Gebot im göttlichen Gesetz gäbe, je nach Menschen und Situationen verschieden.“

Die Pflicht der Kirche ist es, dem Menschen die Sünde bewusst zu machen und ihm den Weg von der Sünde zu Gottes Willen zu eröffnen. Er kann fallen, und wir fallen alle, aber wir brauchen die klare Orientierung. Bekehrung entzündet das Licht, in dem die Sünde erkennbar wird, und schenkt die Gnade, ihr zu entsagen. 

2. Wahrheit und Barmherzigkeit

Um die absoluten moralischen Gebote zu relativieren, wird die Barmherzigkeit gegen die Wahrheit ausgespielt. Wahrheit und Barmherzigkeit können aber nur gemeinsam existieren. Wenn sie sich voneinander trennen, verlieren sie sich selbst. Barmherzigkeit ohne Wahrheit ist ein süßes Gift, welches dem Menschen seine Sünde verschleiert. Wahrheit ohne Barmherzigkeit ist ein kaltes Schwert, welches es dem Menschen unmöglich macht, die Wahrheit anzunehmen. Die Einheit von Wahrheit und Barmherzigkeit ist immer fragil. Es ist der Heilige Geist, der allein beide zu einer echten Einheit bringen kann. Je nach Typ neigen wir dazu, dem einen oder dem anderen das Übergewicht zu geben: in der oft blinden Verteidigung von Wahrheit den Menschen aus den Augen zu verlieren, oder in weicher Nachgiebigkeit die Wahrheit nicht zur Geltung zu bringen. Jeder – Vater, Mutter oder Seelsorger – kennt die Herausforderung. Es ist keine Barmherzigkeit, jemanden in sündhaftem Tun zu bestärken. Aber es ist barmherzig, ihm deswegen die Liebe nicht zu entziehen. Jesus begegnet den Sündern immer in dieser Einheit. Er beschützt die Ehebrecherin vor den Wahrheitsfanatikern, welche sie steinigen wollen, führt sie zur Selbsterkenntnis ihrer eigenen Sünden und verurteilt die Ehebrecherin nicht. Aber er sagt: „Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr (Joh 8,11)!“

Die auf das WORT gegründete Lehre der Kirche ist die Leuchte auf unserem Weg. Wenn wir erkennen, dass wir ihr nicht entsprechen, wissen wir doch, dass der barmherzige Gott uns genauso liebt und von hier den nächsten Schritt mit uns geht. Er hat unsere Schuld am Kreuz bezahlt und wir können das in jeder Beichte in Anspruch nehmen, die uns mit Gott immer neu versöhnt. Es ist keine Barmherzigkeit, dieses Licht etwas weniger hell zu machen, damit wir unsere Sünden nicht sehen. Es sind nicht die unumstößlichen Gebote, welche uns daran hindern, in einer lebendigen Beziehung zu unserem barmherzigen Gott zu leben, vielmehr ist es der Mangel an Selbsterkenntnis und Demut.

Das „Jahr der Barmherzigkeit“ soll uns erinnern und neu erfahrbar werden lassen, dass Gott uns Sündern zugeneigt ist und sich über einen Sünder, der umkehrt, mehr freut als über neunundneunzig Gerechte.

Abschlussrede des Papstes

Es scheint als hätten bei dieser Synode alle gewonnen. In Wirklichkeit haben alle verloren, am meisten die Kirche. Sie spricht nicht mehr mit klarer, eindeutiger Stimme. Wir hören viel Wahres, aber auch viel Ambivalentes, was oft zurechtgerückt werden muss und unterschiedlich interpretiert werden kann. Wo ist er hin der Glanz der Wahrheit, der unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ein so großer Trost war?

Am Samstag, den 24. Oktober 2015, hielt Papst Franziskus die Abschlussansprache der Synode. Dabei sagte er: „[Die Synode] bedeutet, allen bezeugt zu haben, dass das Evangelium für die Kirche eine lebendige Quelle ewiger Neuheit bleibt – ein Zeugnis gegen die, welche es ‚indoktrinieren‘ und zu toten Steinen machen wollen, mit denen man die anderen bewerfen kann. Es bedeutet auch, die verschlossenen Herzen entblößt zu haben, die sich oft sogar hinter den Lehren der Kirche oder hinter den guten Absichten verstecken, um sich auf den Stuhl des Mose zu setzen und – manchmal von oben herab und mit Oberflächlichkeit – über die schwierigen Fälle und die verletzten Familien zu richten.“ Äußert Papst Franziskus damit Kritik an den Synodenvätern, welche konservative Positionen verteidigt hatten? Jedenfalls unterscheidet er nicht zwischen denen, die auf das Gesetz pochen, ohne sich selbst als Sünder zu erkennen – Fundamentalisten im negativen Sinn, und jenen, die an der ganzen Lehre Jesu Christi festhalten und sie selbst als Jünger Jesu praktizieren.

Die Jünger Jesu, welche die Berufung zur Heiligkeit, die grundsätzlich jedem Christen gilt, tatsächlich in ihrem Leben annehmen, sie sind das Salz und der Sauerteig, der das Christentum lebendig hält – in den Gemeinden, in der ganzen Kirche. Sie verkünden die ganze Botschaft Jesu mit ihrem Wort und noch mehr mit ihrem Leben. Sie streben nach der Verwirklichung der Bergpredigt, die das Christentum zu einem unauslöschlichen Feuer in der Geschichte macht. Sie sind bereit, ihr Leben für die Wahrheit hinzugeben, die Jesus Christus ist, und haben es in der Geschichte des Christentums millionenfach getan. Sie tun es heute vor unseren Augen in vielen Ländern dieser zerrütteten Welt. Sie sind sanftmütig, friedfertig, gütig, barmherzig – sie sterben lieber selber, als anderen im Namen der Wahrheit Gewalt anzutun, denn sie folgen dem Gekreuzigten nach. Sie allein sind es, welche die Kirche erneuern können.

Hätten sie nicht gekämpft und ihr Gewicht in die Waagschale der Synode geworfen, so wären die Anker der katholischen Kirche gelichtet worden und das Kirchenschiff vom Mainstream mitgerissen worden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Botschaft der Bischofssynode

Bekenntnis zur Kontinuität der kirchlichen Lehre

Prof. Dr. Stephan Kampowski hat die beiden Bischofssynoden aus unmittelbarer Nähe mitverfolgt. Noch ist das erwartete Apostolische Schreiben des Papstes natürlich nicht erschienen, doch ein erstes Resümee lässt sich nach Kampowski bereits ziehen. Er kommentiert die Ergebnisse „zwischen Geist und Buchstabe“, bewegt sich gleichsam „zwischen Ereignis und Abschlussdokument“.

Von Stephan Kampowski

Mit der Heiligen Messe am 25. Oktober 2015 hat der lange synodale Prozess einen vorläufigen Abschluss gefunden. Die versammelten Bischöfe hatten Papst Franziskus am Vortag ihr Abschlussdokument überreicht, die Frucht zweier Bischofsynoden, die natürlich schon an sich ein Ereignis waren und sich nicht auf die Relatio synodi reduzieren lassen. Auch ist zu betonen, dass das Abschlussdokument kein lehramtliches Gewicht hat. Eine Synode hat, im Gegensatz zu einem Konzil, nur eine den Papst beratende Funktion. Das Abschlussdokument ist als ein Brief der Bischöfe an den Papst zu verstehen; es ist kein Lehrschreiben für die Kirche als Ganze. Es ist Papst Franziskus vorbehalten, wenn er will, ein Apostolisches Schreiben aufzusetzen, das die Anliegen der Synodenväter aufgreift. Er ist dabei aber nicht an das Dokument gebunden.

Zwischen Geist und Buchstabe

Dennoch ist das Abschlussdokument höchst bedeutsam. Ihm ging ein zweijähriger Dialogprozess voraus, der die ganze Kirche zutiefst bewegt hat. Und auch wenn die Synoden ohne Zweifel ein Ereignis waren, dessen Bedeutung nicht auf den produzierten Text beschränkt werden kann, so ist es doch auch wahr, dass ein eventueller „Geist der Synoden“ – wie schon der analoge „Geist des Zweiten Vatikanums“ – ohne den Buchstaben der Synoden (oder eben des Konzils) nicht richtig gedeutet werden kann. Die Absicht der Synodenväter und das Ereignis ihres Austausches kann und darf nicht ohne das gedeutet werden, was sie am Ende als Text erarbeitet haben.

Gleichzeitig ist es auch wahr, dass sich die volle Bedeutung des Textes nur im Licht des Ereignisses, das heißt in seiner Entstehungsgeschichte ganz erschließt. Die Kommission hatte ein Dokument vorbereitet, von dem sie hoffte, die Väter würden es ohne weiteres annehmen. Auch war in diesem Jahr die Verfahrensregelung so ausgelegt, dass von vornherein kaum etwas anderes zu erwarten gewesen wäre. Der Geist der Synode zeigte sich darin, dass die Synodenväter das Kollegialitätsprinzip zu behaupten wussten und die zentralistisch und deterministisch ausgelegte Prozedur herausforderten, die dann in der Tat geändert wurde und den Beiträgen der versammelten Bischöfe mehr Gewicht gab. Der Geist der Synode zeigte sich auch ganz besonders darin, dass das vorliegende Instrumentum laboris (Arbeitspapier) am Ende kaum noch wiederzuerkennen war. Behauptungen, Vorschläge und Ansätze, die im Arbeitspapier enthalten waren und es dann nicht in das Schlusspapier geschafft haben, sind somit als Positionen zu betrachten, die von den Synodenvätern bewusst verworfen wurden.

Bestätigung von Humanae vitae

Während zum Beispiel das Instrumentum laboris die Verbindlichkeit der Lehre von Humanae vitae in Frage stellte (vgl. 137), hat das Abschlusspapier Humanae vitae ausdrücklich bestätigt: „In Übereinstimmung mit dem personalen und gänzlich menschlichen Charakter der ehelichen Liebe, ist der rechte Weg für die Familienplanung der des übereinstimmenden Dialogs zwischen den Eheleuten, der Respektierung der Zeiten und der Beachtung der Würde des Partners. In diesem Sinn müssen die Enzyklika Humanae vitae (vgl. 10-14) und das Apostolische Mahnschreiben Familiaris consortio (vgl. 14; 28-35) neu entdeckt werden, um die Bereitschaft zur Zeugung wiederzuerwecken, die im Kontrast steht zu einer dem Leben oft feindlich eingestellten Gesinnung“ (63).

Zudem hatte das Arbeitspapier einen subjektivistischen Begriff des Gewissens gezeichnet, demzufolge es denkbar wäre, dass in einer bestimmten Situation Gott von jemandem wollen könnte, das Sittengesetz zu überschreiten (vgl. 137), womit es dann eben auch – im direkten Widerspruch zur ausdrücklichen Lehre des hl. Johannes Paul II. in seiner Moralenzyklika Veritatis splendor – keine in sich schlechten Handlungen mehr geben könnte, von denen jeder mit Sicherheit wissen kann, dass sie dem Willen Gottes und dem wahren Guten des Menschen immer und unter allen Umständen widersprechen. Es ist unverständlich, wie diese in der kirchlichen Tradition gegründete Lehre Johannes Pauls II. z.B. in Anbetracht der Gräueltaten des islamistischen Terrorismus in Frage gestellt werden kann. Die Tatsache ist jedoch auch, dass die Synodenväter den betreffenden Paragraphen gestrichen und dagegen die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Gewissen bekräftigt haben, um dabei zugleich deutlich zu machen, dass Gottes Wille nicht von seinen Geboten zu trennen ist: „Die verantwortliche Wahl der Elternschaft setzt die Bildung des Gewissens voraus, das ,die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen [ist], wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist‘ (GS 16). Je mehr die Eheleute danach streben, in ihrem Gewissen auf Gott und seine Gebote zu hören (vgl. Röm 2,15), und sich geistlich begleiten lassen, desto mehr wird ihre Entscheidung zutiefst frei von subjektiver Willkür und von Anpassung an Verhaltensweisen ihrer Umgebung“ (63).

Frage nach Kommunionempfang

Dann ist da natürlich auch die heiß debattierte Frage nach dem Kommunionempfang für zivilrechtlich wiederverheiratete Geschiedene. Das Arbeitspapier hatte über die Möglichkeit eines Bußweges reflektiert (vgl. 122-123) und über das Verhältnis von geistlicher und sakramentaler Kommunion nachgedacht (vgl. 124). Nun ist der Clou am Abschlussdokument, dass es diese Frage gar nicht mehr explizit aufgreift. Das Nichteingehen auf die Frage kann plausibel als ihre Zurückweisung interpretiert werden: für die Synodenväter ist es die falsche Frage, oder eben eine Frage, die schon zu genüge Beantwortung gefunden hat. So sprechen die Paragrafen, die sich mit den zivilrechtlich wiederverheirateten Geschiedenen beschäftigen (84-86), mit keiner Silbe vom Kommunionempfang. Es heißt zwar: „Die Logik der Integration ist der Schlüssel zu ihrer pastoralen Begleitung“ (84), doch wird diese Logik dann im folgenden Paragrafen mit Hilfe des Apostolischen Schreibens Familiaris consortio von Johannes Paul II. interpretiert und gesagt, dieser habe ein „umfassendes Kriterium dargelegt, welches die Grundlage für die Beurteilung dieser Situationen bleibt“. Danach folgt ein Auszug aus Familiaris consortio 84. Wenn auch nur ein Teil von Familiaris consortio 84 angeführt wird, macht es dennoch Sinn, sich zu fragen, ob nicht dieser Paragraf in seiner Gesamtheit als von den Synodenvätern bestätigt anzusehen ist. Welchen Sinn machte es, zu sagen, einer der in Familiaris consortio 84 enthaltenen Sätze bildet die Grundlage für die Beurteilung des Umgangs mit den zivilrechtlich wiederverheirateten Geschiedenen, der kurz darauf folgende Satz dagegen sei außer Kraft gesetzt? Wenn Familiaris consortio 84 die Grundlage für die Beurteilung dieser Situationen ist, dann gilt auch der Satz, der zwar nicht ausdrücklich zitiert wird, der aber auf den zitierten Satz in kurzem Abstand folgt: „Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht.“

Ganz ohne Zweifel hat diese Frage als pastorales Problem einen zu hohen Stellenwert eingenommen. Die Zahl der wirklich Betroffenen ist am Ende doch relativ klein. Zudem ist es gerade dort, wo am lautesten nach einer Veränderung der kirchlichen Praxis verlangt wird, ja ohnehin schon gängige, wenn auch inoffizielle, Praxis, diese Paare eben doch zum Kommunionempfang einzuladen. Bei ihrer eventuellen offiziellen Zulassung dürfte sich dann besonders in Deutschland kaum irgendetwas ändern. Dabei wäre doch gerade hier aufgrund der weltkirchlich gesehen eher schwachen Glaubensdynamik in den Ortsgemeinden eine kraftgebende Veränderung doch sehr wünschenswert. Ein Wandel könnte zum Beispiel dahin gehen, dass man sich von der Idee der Eucharistiefeier als gesellschaftliches Zusammentreffen einer sich selbst feiernden Gemeinde abwendet. Es ist ja erst dieses Verständnis, das die Nichtzulassung zur Kommunion auch nur irgendeiner Person notwendigerweise als ein Skandal erscheinen lässt. Eine solche Sicht auf das, was sonntags gefeiert wird, gibt nun aber niemandem eine Antwort auf die Frage, warum er sich überhaupt aufmachen soll, in die Kirche zu gehen, und die wenige freie Zeit, die er hat, nicht lieber mit seiner Familie beim ausgiebigen Frühstück verbringt. Aber man kann die Eucharistiefeier eben auch anders verstehen. Dann wird sie auch für Viele wieder interessant. Es wird dann auch einsichtig, warum die Zulassung zum Kommunionempfang nicht so etwas wie grundlegendes Menschenrecht sein kann. Man kann die Eucharistiefeier nämlich als einen Moment verstehen, in der die Gemeinde Gott feiert, in der sie in etwas eintritt, das größer ist als sie selbst, das sie nicht gemacht hat oder je machen könnte. Sie tritt ein in das Geheimnis der Selbsthingabe Christi an den Vater, das zugleich die Liebe Christi zu seiner Kirche offenbart.

Lehre und Praxis untrennbar

Während kaum davon auszugehen ist, dass die Zulassung der zivilrechtlich wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion positive Auswirkungen auf die Dynamik und Lebendigkeit des Gemeindelebens hätte, würde eine dahingehende Veränderung der kirchlichen Praxis die sakramentale Struktur der Kirche grundsätzlich in Frage stellen. Diese Struktur basiert auf dem Grundgeheimnis des Christentums: Das Wort ist Fleisch geworden. Wenn nun Gott selbst in Christus Fleisch geworden ist, dann hat auch das, was wir im Leibe tun, Auswirkungen auf die Weise, wie wir vor Gott stehen. Dann ist auch gerade die menschliche Sexualität, die ja ein ganz besonderer Ausdruck unserer Leiblichkeit ist, von elementarer Bedeutung: dann können Ehepaare im Leib, durch ihre leibliche Treue und Fruchtbarkeit, die Liebe Christi zu seiner Kirche in der Welt verkörpern; dann kann sich ein Gottgeweihter durch sein Gelübde der Enthaltsamkeit Gott im Leib schenken. Zu behaupten, es reiche doch, dass Menschen einander gerne haben, und dass es die Kirche nichts angehe, was sie im Bett tun, verkennt sowohl die Bedeutung der menschlichen Leiblichkeit als auch die Bedeutung der Selbsthingabe Christi im Leib, die wir ja in der Eucharistie vergegenwärtigen und aus der die Kirche ihr Leben schöpft.

Wir sehen, dass die Synodenväter in ihrem Abschlussdokument ein Bekenntnis zur Kontinuität der kirchlichen Lehre und der untrennbar mit ihr verbundenen Praxis abgelegt haben. Das Wort ist Fleisch geworden. Was wir tun und was wir glauben, können nicht zwei Paar Schuhe sein. Was die Kirche gestern geglaubt hat und wofür Märtyrer sogar ihr Leben gegeben haben, kann nicht heute vom Wind des geschichtlichen Wandels weggeweht worden sein. Mit dem Evangelium besitzt die Kirche einen Schatz, den sie allen Menschen zugänglich machen möchte. Sie wird diesen Schatz aber nie verfälschen, um ihn leichter an den Mann zu bringen. Vielmehr versucht sie, sowohl das Evangelium als auch ihre Gesprächspartner immer besser zu verstehen.

Und dabei wird sie das Gute in den Menschen suchen, wo immer es zu finden ist, um sie auf dieser Grundlage zur Umkehr und somit zur Fülle des Lebens in Christus einzuladen. Dies ist meiner Meinung nach die Botschaft, sowohl des Geistes als auch des Buchstabens der vergangenen Bischofssynoden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Ihr fehlt uns!

In dem Tiroler Dorf Tarrenz, das zur Pfarrei Nassereith im Bistum Innsbruck gehört, ließ Pfarrer Josef Ahorn zum Gedenken an die ungeborenen Kinder einen ansprechenden Grabstein aufstellen. Als Inschrift wählte er eine Kombination aus den Versen Jesaja 49,1 und 16. Gestaltet wurde das Denkmal vom Künstler Fidelius Larcher.

Von Weihbischof Andreas Laun, Salzburg

Menschen aller Zeiten setzen Denkmäler für das, was zur Erinnerung und zum Denken führen soll: denken an schöne oder traurige Ereignisse, denken an berühmte und vor allem an geliebte Menschen, die uns immer noch fehlen – etwa wie eine fast 100jährige Mutter, die noch immer das altmodische Schwarz-weiß-Foto von ihrem kurz nach der Geburt verstorbenen Kind neben ihrem Bett stehen hat – zur Erinnerung!

Gedenkstein für die ungeborenen Kinder

Es hat lang gedauert, aber jetzt beginnen diejenigen, die mit dem millionenfachen Morden ungeborener Kinder nicht mehr ruhig schlafen können, Denkmäler zu setzen. Einen solchen, besonders schön gemachten und liebevoll beschrifteten Stein habe ich in einem kleinen Dorf in Tirol entdeckt. Er steht erst seit kurzem, aber die Leute stellen schon jetzt kleine Kerzen hin. Offenbar verstehen die Menschen, ob Betroffene oder „nur“ Anteil-Nehmende, die Botschaft. Schon vor vielen Jahren las ich von einem „Tempel“, also einem nicht-christlichen Gebäude, in Japan, in den Frauen kommen, um zu trauern oder zu weinen. Ein ungeborenes Kind zu töten, empfinden alle Frauen, auch Nicht-Christen, als schrecklich. Es kommen wohl auch Männer, die mitgewirkt haben, oder auch solche, die die Tat nicht verhindern konnten. Sie alle sollen durch solche Gedenkstätten auf Gott und seine Barmherzigkeit verwiesen werden.

Botschaft des hl. Johannes Paul II. an alle Menschen

Orte des Gedenkens sind für alle gedacht, denen der große, heilige Papst Johannes Paul II., der Papst der Liebe und des Lebens, ins Herz schreiben wollte, den Frauen, die Opfer der Abtreibung geworden sind – denn neben ihrem Kind sind sie das zweite Opfer jeder Abtreibung, wie Mutter Teresa sagte –, und allen Menschen, damit sie lernen, wie man über die Betroffenen denken und wie man mit ihnen umgehen sollte:

„Einen besonderen Gedanken möchte ich euch, den Frauen, vorbehalten, die sich für eine Abtreibung entschieden haben. Die Kirche weiß, wie viele Bedingtheiten auf eure Entscheidung Einfluss genommen haben können, und sie bezweifelt nicht, dass es sich in vielen Fällen um eine leidvolle, vielleicht dramatische Entscheidung gehandelt hat. Die Wunde in eurem Herzen ist wahrscheinlich noch nicht vernarbt. Was geschehen ist, war und bleibt in der Tat zutiefst unrecht. Lasst euch jedoch nicht von Mutlosigkeit ergreifen und gebt die Hoffnung nicht auf. Sucht vielmehr das Geschehene zu verstehen und interpretiert es in seiner Wahrheit. Falls ihr es noch nicht getan habt, öffnet euch voll Demut und Vertrauen der Reue: der Vater allen Erbarmens wartet auf euch, um euch im Sakrament der Versöhnung seine Vergebung und seinen Frieden anzubieten. Euer Kind aber könnt ihr diesem Vater und seiner Barmherzigkeit mit Hoffnung anvertrauen. Mit Hilfe des Rates und der Nähe befreundeter und zuständiger Menschen werdet ihr mit eurem erlittenen Zeugnis unter den beredtesten Verfechterinnen des Rechtes aller auf Leben sein können. Durch euren Einsatz für das Leben, der eventuell von der Geburt neuer Geschöpfe gekrönt und mit der Aufnahme und Aufmerksamkeit gegenüber dem ausgeübt wird, der der Nähe am meisten bedarf, werdet ihr eine neue Betrachtungsweise des menschlichen Lebens schaffen.“

Die Botschaft eines solchen Steines und Ortes des Gedenkens gilt vor allem den Christen, aber – so wie die Botschaft Jesu überhaupt – eigentlich allen Menschen, die auf ihr Herz hören und lesen, was Gott jedem Menschen „ins Herz geschrieben hat“!

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Zum bundesweiten Gesprächsprozess

Die vertrockneten Wurzeln neu beleben

Professor Dr. Hubert Gindert (geb. 1933), Sprecher des „Forums Deutscher Katholiken“, blickt auf den Gesprächsprozess zurück, den die deutschen Bischöfe vor fünf Jahren angestoßen hatten. Ziel war es, so die Bischöfe in einem gemeinsamen Hirtenwort vom 17. März 2011 an alle Gemeinden, „dem Glaubensweg unserer Kirche in Deutschland in das anbrechende neue Jahrhundert hinein theologisches Profil und kirchlichen Zusammenhalt zu verleihen“. Mit einem bundesweiten Forum am 11. und 12. September 2015 in Würzburg ist der Gesprächsprozess nun zu Ende gegangen. Gindert beurteilt das Schlussdokument kritisch und stellt dem Ergebnis die Erfahrungen von Pfarrer Wolfgang Marx gegenüber, welche dieser in seinem Rückblick auf „40 Jahre Neokatechumenat in St. Philipp Neri, München-Neuperlach“ beschrieben hat. Wie können die vertrockneten Wurzeln neu belebt werden?

Von Hubert Gindert

Fünf Jahre Gesprächsprozess – ein wichtiger Schritt?

Ist vom bundesweiten Gesprächsprozess ein Neuaufbruch im Glauben ausgegangen, ein Impuls für die kirchliche Erneuerung? Nach fünf Jahren Gesprächsprozess wurde in Würzburg nach siebenstündiger Debatte von den 300 Delegierten bei neun Gegenstimmen und drei Enthaltungen eine Abschlusserklärung verabschiedet. Sie bejaht „das Ziel einer geschlechtergerechten Kirche. Sie fordert die Bischöfe auf, die Einschränkungen zu beseitigen oder auf deren Beseitigung hinzuwirken, die eine echte Teilnahme wiederverheirateter Geschiedener am Leben der Kirche kaum möglich machen (Vergleichsweises gilt für eingetragene Lebenspartnerschaften Homosexueller)."[1]

Kardinal Reinhard Marx nannte den Dialogprozess einen wichtigen Schritt: Die Kirche habe „neue Formen des vertrauensvollen Miteinanders erprobt“. Denen, die den Dialogprozess als folgenlos kritisierten, hielt er entgegen, es sei eine Liberalisierung des Arbeitsrechtes für kirchliche Mitarbeiter, eine stärkere Beteiligung von Frauen an kirchlichen Führungspositionen und eine neue Debatte über Ehe, Familie und Sexualität erfolgt. In den fünf Jahren des Dialogprozesses standen die bekannten Reizthemen wie Zölibat, Diakonat der Frau oder der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen im Mittelpunkt der Debatten.

Kardinal Marx verkauft die nahezu vollständige Aufgabe von Forderungen nach einer Lebensführung gemäß den Geboten Gottes und der katholischen Moral bei kirchlichen Angestellten als eine Errungenschaft. Damit gibt die deutsche Ortskirche sogar bei ihren rund 700.000 Mitarbeitern das auf, was von allen Katholiken gefordert wird.

Mutloser Grundton – Salz der Erde?

Bischof Rudolf Voderholzer erklärt in seiner Stellungnahme: „Das Dokument bleibt in einer Nabelschau stecken, die einer ausgeprägten Innenperspektive geschuldet ist. Es fehlt die Begeisterung der frohen Botschaft, deren Bekenner sie hinaustragen sollten in alle Welt“. Stattdessen herrsche ein mutloser Grundton vor. „Hoffnungsvolle und glaubensstarke Christen wirken in die Gesellschaft hinein und sind Salz der Erde“. Voderholzer sieht die „Aufgabe der Kirche darin, sich im Dialog den Herausforderungen der Welt zuzuwenden und mitten in der Welt Zeugnis abzulegen für Christus“.[2] Wenn ein Delegierter (Bernd Wehner) zum Gesprächsprozess anmerkte: „Der Notstand der Kirche heute bestehe … in einer Krise des Glaubens“, so traf er den eigentlichen Punkt und bestätigte, was der junge Theologieprofessor Joseph Ratzinger bereits 1958 (!) konstatiert hatte: „Die Statistik täuscht. Das dem Namen nach christliche Europa ist seit langem zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, das im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen heraus auszuhöhlen droht. Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen, aber in Wahrheit zu Heiden wurden. Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst.“ Das heißt, dass die Betroffenen „sich nicht mehr einfach den Glauben zueignen, sondern eine sehr subjektive Auswahl aus dem Bekenntnis der Kirche zu ihrer eigenen Weltanschauung machen“.[3] „Nur wenn die Kirche anfängt sich selbst wieder als das darzustellen, was sie ist, wird sie das Ohr der neuen Heiden mit ihrer Botschaft zu erreichen vermögen, die sich bisher noch in der Illusion gefallen können, als wären sie gar keine Heiden."[4]

Kirche gleicht einer weltlichen Organisation

Das Wort von Joseph Ratzinger, dass die Katholiken „sich nicht mehr einfach den Glauben zueignen, sondern eine sehr subjektive Auswahl … zu ihrer eigenen Weltanschauung machen“, erleben wir in der deutschen Ortskirche und in ihren Pfarrgemeinden. Katholiken verhalten sich z.B. in Bezug auf Ehescheidungen, Zusammenleben ohne Trauschein etc. kaum anders als Nichtchristen. Warum? Weil viele Katholiken, wie repräsentative Umfragen zeigen, nicht mehr an einen persönlichen Gott, ein Leben nach dem Tod und eine Verantwortung für ihr Tun glauben.

Pfarrer machen in dieser Situation einen eher hilflosen Eindruck. Sie suchen Rat bei Kommunikations- und Marketingexperten, die die Kirche nicht als Leib Christi, sondern als ein wirtschaftliches Unternehmen betrachten. Um „Außenstehende“ mit der Kirche in Kontakt zu bringen und leerstehende Pfarrheime auszulasten, werden sogenannte „niederschwellige“ Angebote und Veranstaltungen durchgeführt – mit Tanz- und Bastelkursen, Kegelabenden und Vorträgen, die mit dem Glauben der katholischen Kirche wenig zu tun haben. Die Menschen lernen Gebäude, aber nicht den Glauben der Kirche kennen. Betriebsamkeit verdeckt die geistliche Leere.

Augenblickserfolge ohne Nachhaltigkeit

Um Kinder zurückzugewinnen und über sie mit den Eltern in Kontakt zu kommen, werden vielerorts bei der Vorbereitung auf die Erstkommunion und Firmung große Anstrengungen unternommen. Das Resultat ist bekannt: Kinder und Eltern sind am Kommunion- und Firmtag anwesend. Am nächsten Sonntag sind Ausschlafen, Fußball und ein Ausflug wieder wichtiger als der Besuch der heiligen Messe. Ein Lichtblick sind allenfalls einige Kinder, die der Pfarrer für den Ministrantendienst begeistern kann. Ähnliches gilt für jene „Augenblickserfolge“, wie sie bei religiösen Festen und Events auftreten.

Bei den Maßnahmen zur Bewahrung der Schöpfung spricht man viel von „Nachhaltigkeit“. Sie wäre auch bei den Bemühungen um einen Neuaufbruch im Glauben entscheidend.

Warum die Versuche einer Neuevangelisierung vor Ort dem Begießen von Pflanzen gleichen, die schon bis zu den Wurzeln vertrocknet sind, dazu äußert sich der erfahrene Pfarrer Heinrich Marx der Münchner Stadtpfarrei St. Philipp-Neri. Er sieht den eigentlichen Grund dafür im fehlenden Ort zu einer bewussten Entscheidung für den Glauben der Kirche. Aus Tradition werden die Kinder getauft und nehmen am schulischen Religionsunterricht teil. Dazu gehört dann noch, an der Kommunion und an der Firmung teilzunehmen.

Rückgriff auf die Kirche der ersten Jahrhunderte

  Wie können die vertrockneten Wurzeln neu belebt werden? Wenn jemand in der jungen Kirche der ersten Jahrhunderte Christ werden wollte, nahm er den Weg des Taufkatechumenats auf sich. Dieser konnte bis zu zwei Jahre dauern. Er diente dem Kennenlernen des Glaubens und der persönlichen Erprobung. Am Ende stand die Entscheidung für die Kirche und die Aufnahme in sie.

Das Wort Katechumenat ist wieder in die Diskussion gekommen z.B. als „Ehekatechumenat“. Den Anstoß dazu gaben u.a. die massenhaften Ehescheidungen und die zunehmende Anzahl von Anträgen auf Eheannullierung, weil junge Leute heute oft heiraten, ohne sich über die Konsequenzen einer Eheschließung im Klaren zu sein.

Die Wiederbelebung des Taufkatechumenates heißt, dass in den meisten Fällen bereits Getaufte eine bewusste Entscheidung für den Glauben der katholischen Kirche vollziehen. Es ist eine Neubekehrung vom Unglauben zum Glauben, eine Umkehr, die sich auf das gesamte Leben auswirkt. Diese Entscheidung ist ein Versprechen, vergleichbar einem Gelöbnis. Ein feierlicher Akt, der häufig in der Osternacht vollzogen wird. Man fühlt sich an die Vereidigung der neuen Schweizer Gardisten erinnert, die jedes Jahr am 6. Mai stattfindet im Gedenken an das Jahr 1527, als 147 von den 189 Gardisten bei der Verteidigung des Papstes ihr Leben ließen. Sie schwören noch heute, „selbst ihr Leben“ für den Papst hinzugeben.

Beitrag des Neokatechumenats in einer Pfarrei

Pfarrer Marx beschreibt in seinem Rückblick auf „40 Jahre Neokatechumenat in St. Philipp-Neri, München-Neuperlach“ wie sich eine Bekehrung auf das Leben der gesamten Pfarrgemeinde auswirkt. Diese Veränderung hat mit der neokatechumenalen Bewegung zu tun, die sich in seiner Pfarrei entfalten konnte. Pfarrer Marx verschweigt nicht die Schwierigkeiten des Nebeneinanders von neokatechumenaler Bewegung und „normalem“ pfarrlichen Leben. Er tabuisiert auch nicht die Schwierigkeiten, die bei der Scheidung der Geister auftreten, wenn Bekehrung und Umkehr vom Gewohnten geschehen.

Ein Neuanfang ist nicht ausschließlich an eine bestimmte geistliche Bewegung gebunden. Entscheidend ist die Bereitschaft, einen wirklichen Neuanfang zu machen. Die katholische Kirche kennt in ihrer zweitausendjährigen Geschichte viele Wellen des Aufbruchs und des Niedergangs, der aufgegriffenen und verspielten Chance mit den Personen und Ordensgründern, die hinter den Reformen standen. Auch heute gibt es geistliche Bewegungen, die einen Neuanfang im Glauben auslösen können. Die eigentliche Ursache ist in jedem Fall Gott, der sie bewirkt. In der Beurteilung gilt immer das, was in dem Wort „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ zum Ausdruck kommt.

Bilanz nach 40 Jahren

Wenn Wolfgang Marx nach 40 Jahren als Pfarrer Bilanz zieht, kann er zu Recht sagen: „Am Ende meiner Dienstzeit in St. Philipp-Neri gab es zwölf Gemeinschaften der neokatechumenalen Bewegung (jeweils mit 25 bis 40 Personen). Wir durften sieben (!) Primizen feiern, viele Hochzeiten, in denen immer etwas von der ursprünglichen Schönheit der Liebe aufleuchtet“, und er nennt weiter:

„dass die Ehen stabil bleiben,

dass Kinder den Eltern wichtiger sind als Berufstätigkeit und Karriere,

dass Gott die Macht hat, ihnen trotzdem alles zu geben, was sie zum Leben brauchen,

dass die Jugendlichen anfangen, sich ernsthaft mit dem Wort Gottes zu beschäftigen und regelmäßig an den Liturgien teilnehmen,

dass ihre konkreten Ziele nicht Spaß am Sex, sondern eine ernsthafte christliche Ehe und Familie sind,

dass das Bußsakrament und die Feier der Eucharistie als lebensnotwendige Elemente für das Hineinwachsen in eine christliche Gemeinschaft erkannt und praktiziert werden,

dass eine Liebe zur Kirche entsteht, so wie sie ist,

dass mit dem Papst auch das Lehramt als authentische Auslegung der Glaubenswahrheiten angenommen wird.“

Das Bild der von Pfarrer Marx geschilderten Gemeinde spiegelt das Bemühen katholischer Christen wider, die ernsthaft bemüht sind, den Glauben, nicht aber einen religiösen Hochleistungssport zu leben. Das Meiste davon geschieht unauffällig und im gewöhnlichen Alltag.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Die Tagespost, 15.09.2015.
[2] Ebd.
[3] Hochland I/59, zitiert nach Wolfgang Marx: 40 Jahre Neokatechumenat in St. Philipp Neri, München-Neuperlach, S. 22.
[4] Das neue Volk Gottes, Patmos-Verlag 1969, S. 325 f. und 330, zitiert nach Wolfgang Marx: a.a.O., S.22.

Anerkennung der Marienerscheinungen von Lipa

Mittlerin aller Gnaden

Mit Gewissheit stehe der übernatürliche Charakter der Marienerscheinungen von Lipa auf den Philippinen im Jahr 1948 fest, so erklärte in diesen Tagen der zuständige Erzbischof Ramon Cabrera Argüelles, der die Erzdiözese Lipa seit dem 16. Juli 2004 leitet. Damit findet ein dramatisches Ringen seinen Abschluss, das sich auch in dem ausführlichen Dekret vom 12. September 2015 widerspiegelt. Denn 1951 hatte die Diözesanleitung zunächst ein ablehnendes Dokument veröffentlicht. Darin heißt es sogar, es stehe fest, dass an den Ereignissen von Lipa nichts Übernatürliches zu finden sei. Gleichzeitig wurde den Gläubigen untersagt, Maria als „Mittlerin aller Gnaden“ zu verehren. Jetzt erinnert der Erzbischof mit Hochachtung an die Hirten und Gläubigen, die unter dem Verbot gelitten haben, und ermutigt die ganze Kirche, zu Maria als „Mittlerin aller Gnaden“ ihre Zuflucht zu nehmen. Er betrachte es als Berufung der Philippinen, mit der Verehrung Marias als Mittlerin aller Gnaden der ganzen Welt den Weg für eine neue Evangelisierung im dritten Jahrtausend zu ebnen. Besonders hebt er den Beistand Mariens für die Verteidigung der christlichen Ehe und Familie hervor. Nachfolgend der vollständige Text des Dekrets vom 12. September 2015 in unserer eigenen Übersetzung.

Von Erzbischof Ramon Cabrera Argüelles, Lipa

In Erwägung der Tatsache, dass der Titel „Mittlerin aller Gnaden“ der heiligsten Mutter Gottes schon in früheren Zeiten auch während der Epoche der frühesten Kirchenväter zugeschrieben worden ist;

dass die Gläubigen von Belgien unter der Hirtensorge des damaligen Kardinals Mercier die Verehrung der Mittlerin aller Gnaden gepflegt und sich für die dogmatische Definition Marias als Mittlerin aller Gnaden eingesetzt haben;

dass die katholischen Bischöfe Chinas im Jahr 1942 die Kirche in China Maria, der Mittlerin aller Gnaden, geweiht haben, um die Treue der Katholiken zur Kirche auch in den schwierigsten Augenblicken sicherzustellen und so die Kirche in China stark und gläubig werden zu lassen;

dass die Gottesmutter einer Postulantin der Karmelitinnen mit dem Namen Teresita Castillo im Jahr 1948 mehrere Male erschienen ist und sich selbst als die Mittlerin aller Gnaden zu erkennen gegeben hat;

dass die besagte Postulantin wie auch verschiedene Andere im Zusammenhang mit den Erscheinungen schwere Leiden erduldet haben, wodurch sie einen Beweis für die Erfüllung der von der Gottesmutter selbst gegebenen Ermahnung geliefert haben: „Du wirst leiden, du wirst verlacht werden, aber fürchte dich nicht, denn dein Glaube wird dich in den Himmel bringen!“;

dass der zweite Bischof von Lipa, der erste philippinische Bischof dieser Ortskirche, der 34 Jahre lang (1916-1950) einen treuen Dienst in dieser Diözese ausgeübt hatte, die sich damals von der heutigen Provinz Aurora bis zu den Grenzen von Bicolandia erstreckte, und der wegen Misswirtschaft und der Förderung der Andacht zur Mittlerin aller Gnaden gedemütigt in seine Heimatstadt Vigan, Ilocos Sur, zurückgeschickt wurde, dass dieser Bischof bis zu seinem frühzeitigen Tod Heiligkeit des Lebens und vollkommene Unterwerfung unter den heiligen Willen Gottes gezeigt hat;

dass der erste batangueño-stämmige Bischof, der erste Weihbischof der Diözese Lipa, der, nachdem er seinen Glauben an die Marienerscheinungen von Lipa zum Ausdruck gebracht hatte, als Folge davon frühzeitig versetzt wurde, um lediglich als Administrator der damals neu errichteten Diözese Lucena zu dienen, bis zum Augenblick seines Ablebens Heiligkeit gezeigt und dem Urteil, das über ihn gefällt worden war, demütig gehorcht hat;

dass das Dokument vom 10. April 1951, das festgestellt hatte, dass an den angeblichen Erscheinungen und Wundern in Lipa nichts Übernatürliches gewesen war, von Anfang an in einem Schatten des Zweifels erschienen ist, und zwar aufgrund der notariell beglaubigten Zeugnisse darüber, dass die bischöflichen Unterzeichner gegen Ende ihres Lebens ihren Glauben an die besagten Marienerscheinungen zum Ausdruck gebracht haben;

dass der Administrator der Diözese Lipa nach dem Weggang des residierenden Bischofs in einem Dokument vom 11. April 1951 die Andacht zur Mittlerin aller Gnaden verboten hat, dass jedoch am 26. September 1963 die Verbreitung der besagten Verehrung anerkannt und erlaubt worden ist;

dass Erzbischof Mariano Gaviola am 16. Juli 1992 das Verbot der Andacht zur Mittlerin aller Gnaden aus dem Jahr 1951 nach gebührendem Gebet und Studium aufgehoben und öffentlich seinen Glauben an die Echtheit der Marienerscheinungen von 1948 in Lipa zum Ausdruck gebracht hat;

dass die Andacht der Gläubigen aus nah und fern zur Mittlerin aller Gnaden während der Zeit des Verbots niemals nachgelassen und sich offenkundig nach der Erklärung von Erzbischof Gaviola noch stärker entwickelt hat;

dass trotz des vermeintlichen Verbots der Verehrung der Gottesmutter als Mittlerin aller Gnaden die Diözese Digos und die Diözese Kidapawan unter das Patronat Mariens, der Mittlerin aller Gnaden, gestellt und viele Pfarreien in Luzon, Visayas und Mindanao zu Ehren der Gottesmutter unter diesem bevorzugten Titel geweiht worden sind;

dass der unterzeichnende, amtsinhabende Erzbischof von Lipa, der öffentlich seinen Glauben an das Phänomen von Lipa und die starke Gegenwart Mariens in Lipa bekundet hat, offiziell die jährlichen Marianischen Gebets- und Pilgertage nach Lipa genehmigt hat, welche am 12. September 2004 begonnen haben, während sich eine ständig wachsende Zahl von Pilgern nicht nur von den Philippinen, sondern auch aus anderen Teilen der Welt abzeichnet;

dass sich dieses Gebetstreffen mit Maria in vielen Ländern Europas, Amerikas, auch Afrikas und Ozeaniens wiederholt hat, wobei sich immer die offizielle Begleitung der Gläubigen durch die Kirche manifestiert, in der heiligen Nachahmung Mariens und in der Erfüllung des Willens Gottes, wie es von der Mittlerin aller Gnaden verlangt worden ist;

dass derselbe Erzbischof am 12. November 2009 die Erklärung von Gaviola zur Förderung der Andacht zur Mittlerin aller Gnaden aus dem Jahr 1992 bekräftigt hat und überall gläubige und liebende Verehrer der Gottesmutter zu finden sind;

dass außer der Erzdiözese Lipa andere Ortskirchen in den Philippinen und auch in anderen Ländern und Kontinenten damit fortfahren, die Verehrung der Mittlerin aller Gnaden zu verbreiten und Einheit unter Völker und Gemeinschaften zu bringen und unermessliche Segnungen über sie auszugießen;

dass die Liebe zur Gottesmutter und die Würdigung der Dringlichkeit der Bitte der Mittlerin aller Gnaden weiter zunehmen, wie man an der großen Schar sieht, die sich in Lipa und bei den sogar noch schöneren Feiern der Marianischen Schiffsprozession (Regatta) auf dem Taal See versammelt;

dass sich mehrere (Erz-) Bischöfe, Priester und Laienführer zusammengeschlossen haben, um viele Verehrer zur Wallfahrt in den Karmel von Lipa aufzurufen, was zur Anerkennung der Mittlerin aller Gnaden durch die Katholische Bischofskonferenz der Philippinen (CBCP) im Januar 2013 geführt hat;

dass die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter unter ihrem Titel Mittlerin aller Gnaden die katholischen und marianischen Philippinen im beharrlichen Kampf zur Verteidigung des Lebens, der Heiligkeit der Einrichtung der Ehe, der Integrität der Familie, der Wichtigkeit der natürlichen und der übernatürlichen Verbindung von Mann und Frau führt;

dass die Hilfe der Mittlerin aller Gnaden ganz wesentlich ist, damit die Philippinen, dieses „PUEBLO AMANTE DE MARIA“ (Volk, das Maria liebt), für die Welt richtungweisend werden in dem Bemühen, die Integrität der Schöpfung zu bewahren, sie nach dem Standpunkt des Glaubens an Gott zu erneuern, die Vorherrschaft des Materialismus, Säkularismus und Atheismus zurückzuweisen und die Kultur der Güte, Liebe, Großzügigkeit, Selbstlosigkeit, des Teilens und der Solidarität zwischen Menschen und Nationen hochzuhalten;

dass der Beistand der Mittlerin aller Gnaden dringend erforderlich ist, um die Forderungen nach einer Kirche der Armen, für die Armen und mit den Armen zu leben, so dass das „Jahr für die Armen“ kein bloßes Schlagwort bleibt, sondern eine Realität im Leib Christi wird, der in seiner Armut die ganze Menschheit reich macht;

dass die Mittlerin aller Gnaden sehr stark gebraucht wird, um in dieser Nation einen wahren und dauerhaften Wandel herbeizuführen, deren Berufung, Träger der Frohen Botschaft zu sein, sich in ihrer Gesamtheit erfüllen muss: nämlich in der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und geistlichen Sphäre;

dass die Philippinen, die berufen sind, demütige Instrumente und ein eifriger Begleiter des Sterns der Evangelisierung im dritten Jahrtausend, nämlich Mariens, der Mittlerin aller Gnaden, zu sein, sie brauchen, um alle Arten der Korruption zu bekämpfen, alle Arten von Süchten auszumerzen, alle Formen der Selbstzentriertheit auszulöschen und sich der Kultur der Habsucht zu widersetzen –

in Anbetracht und Erwägung all dessen erkläre ich, durch die Gnade Gottes und die Autorität des Apostolischen Stuhls der siebte Bischof dieser Ortskirche von Lipa, der fünfte Erzbischof dieses Metropolitansitzes, der unwürdigste SERVUS ANCILLAE FILIUS („Knecht und Sohn Deiner Magd“), deshalb mit moralischer Gewissheit und mit den besten Absichten und Hoffnungen im Geist, im Bestreben, die Normen des Heiligen Stuhls zu beachten, im Wirken für die größere Ehre Gottes und im Erweis einer immer größeren Liebe zur heiligen Mutter Kirche,

dass die Ereignisse und die Erscheinung von 1948, auch als das marianische Phänomen in Lipa bekannt, sowie seine Nachwirkungen auch in neuerer Zeit einen übernatürlichen Charakter aufweisen und glaubwürdig sind.

So empfehle ich die Verehrung der heiligsten Mutter Maria unter ihrem ehrenvollen und würdigen Titel „Mittlerin aller Gnaden“.

Gegeben am 12. September, dem Fest des heiligen Namens Mariens, das in der Erzdiözese Lipa als Fest Mariens, der Mittlerin aller Gnaden, begangen wird, im Jahr 2015 unseres Herrn.

(gezeichnet) Ramon Cabrera Argüelles, DD

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Lebensweg einer deutschen Märtyrerin

Schwester Aloysia Löwenfels

Am 14. Oktober 2015 wurde in Limburg das Seligsprechungsverfahren für Schwester Maria Aloysia von den Dernbacher Schwestern, den „Armen Dienstmägden Jesu Christi“ (ADJC), eröffnet. Mit bürgerlichem Namen hieß sie Luise Löwenfels. Sie wurde 1915 geboren und starb mit nur 27 Jahren als Märtyrerin der NS-Diktatur. Ähnlich wie die hl. Edith Stein stammte sie aus einer jüdischen Familie, ließ sich taufen, wurde eine katholische Ordensfrau, floh in die Niederlande und wurde schließlich im Konzentrationslager Ausschwitz ermordet. Während Edith Stein mit ihrem unübersehbaren öffentlichen Wirken ein eindrucksvolles Erbe hinterlassen hat, erscheint der Lebensweg von Luise Löwenfels ganz unauffällig. Dennoch haben sich die Dernbacher Schwestern nun dazu entschlossen, den Seligsprechungsprozess in die Wege zu leiten. Es war vor allem das Anliegen von Schwester M. Christiane Humpert ADJC, die sich seit Jahren intensiv mit der Biografie und dem Glaubenszeugnis ihrer Mitschwester beschäftigt hatte. Verständlicherweise wurde sie nun auch als Postulatorin des Verfahrens eingesetzt. Es ist ihre Aufgabe, ein möglichst umfassendes Lebensbild der Märtyrer-Schwester zu erarbeiten.

Von Schwester M. Christiane Humpert ADJC

Kindheit in einer orthodox jüdischen Familie

Luise wurde am 5. Juli 1915 in einer kinderreichen, gut situierten, orthodox jüdischen Familie in Trabelsdorf im Landkreis Bamberg geboren. Die Familie der Mutter war seit mehreren Generationen in dem Ort ansässig. Der Vater, der aus Kaubenheim, heute einem Ortsteil von Ipsheim, stammte, war ein von allen Seiten geschätzter Viehhändler. Da sowohl eine ältere als auch die nach ihr kommende Schwester im Säuglingsalter starben, wuchs Luise als jüngstes von 10 Kindern auf.

Neben einer Gruppe jüdischer Familien, die seit dem 18. Jahrhundert in Trabelsdorf lebten, war die Bevölkerung überwiegend protestantisch. Noch heute wird in dem inzwischen der Verbandsgemeinde Lisberg zugeordneten Dorf erzählt, dass Luise als kleines Mädchen mit einem katholischen Nachbarskind die Marienkirche im Nachbarort besuchte – zum Ärger ihrer Mutter.

Nach dem Ersten Weltkrieg zog die Familie 1921 – wohl aufgrund der für einen Viehhändler in diesem Raum schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Situation und wohl auch wegen familiärer Verbindungen der mütterlichen Familie zu Ingolstadt –  in den kleinen, nahe Ingolstadt gelegenen Ort Buxheim.

Dieser hatte zu der damaligen Zeit eine rein katholische Bevölkerung und ein vielgestaltiges kirchliches Leben. Luise besuchte hier die Grundschule. Unmittelbar nach ihrem achten Geburtstag starb ihr Vater, dessen Liebling sie war. Sie litt sehr unter seinem unerwarteten Tod.

Ausbildung bei katholischen Ordensschwestern

1926 zog die Mutter mit den jüngeren Kindern nach Ingolstadt. Dort besuchte Luise das Mädchenlyzeum der Gnadenthaler Schwestern. Eine Notiz in den Schulunterlagen der ersten Klasse weist darauf hin, dass Luises Mutter „mit Strenge darauf“ dringt, „dass Luise eine gute Bildung erhält“.

Luise war eine eifrige, aber auch ehrgeizige Schülerin, mit besseren schriftlichen als mündlichen Leistungen. In der 9. Klasse stellten ihre Lehrerinnen bei ihr eine deutliche Neigung zum katholischen Glauben fest. Nach Abschluss der „Mittleren Reife“ besuchte sie noch zwei Trimester des an der Schule angebotenen einjährigen Handelsschulkurses.

Daran schlossen sich zwei Jahre der Ausbildung zur Kindergärtnerin an in der von Franziskanerinnen geleiteten Fachschule „Maria-Stern“ zu Nördlingen. Aus dieser Zeit stammt auch der Hinweis auf Luises Teilnahme am Konvertiten-Unterricht. Dies könnte auch ihren Besuch in der Benediktinerinnenabtei St. Walburg in Eichstätt, wohl nach Beendigung ihrer Zeit in Nördlingen, erklären. Einzelheiten über diesen Besuch liegen nicht vor. Es steht aber fest, dass es nach ihrer Rückkehr von Nördlingen nach Ingolstadt – am 30. März 1935 – zu einer Trennung zwischen ihr und ihrer Familie kam.

Es folgte ein kurzer Aufenthalt als Kindermädchen in einer wohlhabenden jüdischen Familie in Recklinghausen. Zurzeit ist noch unklar, wie Luise zu dieser Stelle kam. Ihre engen Beziehungen zu den Schwestern der Göttlichen Vorsehung, die den Kindergarten leiteten, den eines der Kinder der Familie besuchte, führen allerdings nach weniger als zwei Monaten zu ihrer Entlassung. Bei den Schwestern kann sie nicht bleiben, da deren Niederlassung unter Beobachtung der Gestapo steht.

Taufe in der Kapelle der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“

Von Recklinghausen führte sie ihr Weg in ein von der jüdischen weiblichen Fürsorge geführtes Kinderhaus in Frankfurt-Sachsenhausen. Es lag in der Nähe eines Konvents der Armen Dienstmägde Jesu Christi (ADJC), zu denen sie Kontakte knüpfte. Über die Schwestern lernte sie den Kaplan der nahe gelegenen St. Bonifatiuskirche kennen, der zu ihrem geistlichen Begleiter wurde.

Die gerade in Frankfurt schnell zunehmende Bedrohung der jüdischen Bewohner ließ Luise auch hier nach kurzer Zeit wieder aufbrechen. Da ein Großteil der Melderegister in Frankfurt den Bombenangriffen oder der Vernichtung am Kriegsende zum Opfer fiel, ist der genaue Zeitpunkt, zu dem sie die Stadt verlassen hat, wohl nicht ermittelbar. Wir wissen nur, dass sie am 25. November 1935 in Mönchengladbach-Hehn in der Kapelle der Dernbacher Schwestern, wie die ADJC oft genannt werden, getauft worden ist. Die Schwestern leiteten dort eine größere Niederlassung, zu der u.a. ein Krankenhaus mit einer Haushaltungsschule und auch ein Kindergarten gehörten. Vermutlich kam sie mit Hilfe einer katholischen Familie, mit deren jüngerer Tochter sie sich in Recklinghausen angefreundet hatte, nach Mönchengladbach. Die Familie hatte eine Verwandte bei den ADJC. Diese war von der Familie um Hilfe gebeten worden.

Flucht in die Niederlande

Als eine der Haushaltungsschülerinnen, die im Haus arbeiteten und wohnten und von Luise nachmittags betreut wurden, sie als Jüdin erkannte und denunzierte, entscheidet sie sich, sofort in die Niederlande zu gehen, wo die Dernbacher Schwestern nicht allzu weit von der Grenze entfernt Niederlassungen haben. Sie wartete nicht auf die Realisierung des Angebots, das ihr die Schwestern gemacht hatten, einen Aufenthalt bei den Mitschwestern in England zu ermöglichen. Vater und Tochter der Recklinghäuser Familie begleiteten sie an die Grenze, die sie am 3. März 1936 überschritt.

Bis zum 2. August 1942, dem Tage, an dem die Ordensleute jüdischer Abstammung ebenso wie sonstige getaufte Juden zusammen mit zahlreichen weiteren Juden aus den Häusern geholt wurden, lebte und arbeitete sie in den Niederlanden, den größten Teil der Zeit in Lutterade, einem Ortsteil von Geleen-Sittard.

Ordenseintritt und Martyrium

Die Gefangennahme war eine Reaktion auf den Hirtenbrief der katholischen Bischöfe, in dem diese öffentlich gegen die Behandlung der Juden durch die deutsche Besatzungsmacht, die am 10. Mai 1940 in die Niederlande einmarschiert war, protestiert hatten, vor allem gegen die Abtransporte in Richtung Osten.

Im September 1937 hatte Luise um Aufnahme in die Gemeinschaft gebeten und am 8. September 1940 ihre Erste Profess abgelegt. Auf ihren Wunsch hin hatte sie den Namen Schwester Maria Aloysia erhalten.

Zusammen mit Edith Stein und anderen Ordensleuten wurde sie über das Lager Amersfort in das Kamp Westerbork gebracht und von dort am 7. August 1942, zusammen mit insgesamt 987 Juden, in Viehwaggons nach Auschwitz transportiert. Dort wurden die Ordensfrauen, sofort nach ihrer Ankunft, zusammen mit zahlreichen anderen Häftlingen in die Gaskammer geschickt. Zeugenaussagen erlauben es, als Datum der Hinrichtung den 9. August 1942 als verbindliches Todesdatum festzuhalten.

Gewissenhafte und opferbereite Schwester

Es liegen nicht viele schriftliche Zeugnisse über Luises Leben vor, aber auch kaum mündliche Äußerungen, da sie, wie Schwestern später berichteten, kaum etwas von ihrem Leben vor dem Eintritt und von Schwierigkeiten in der Familie erzählt habe.

Neben sehr wenigen Texten, die von ihr selber stammen, haben wir vor allem die Briefe, die der Frankfurter Kaplan und spätere Pfarrer Richard Keuyk nach dem Krieg, nachdem er von ihrem Tod erfahren hatte, an die Generalleitung der Armen Dienstmägde in Dernbach schrieb und in denen er von seinen Begegnungen mit ihr berichtete. Es gibt allerdings auch eine Reihe von schriftlichen Äußerungen ihrer Mitschwestern über ihr Leben im Konvent. Diese sind vor allem in den Jahren, in denen auch die Unterlagen über den Aufenthalt von Edith Stein in den Niederlanden gesammelt wurden, zusammengetragen worden. Sie schildern Schw. Aloysia als eine äußerst gewissenhafte, opferbereite und das Gebet liebende Ordensfrau.

Es wird auch berichtet, dass einer ihrer Brüder sie vor der Auswanderung in die USA aufgesucht habe, um sie einzuladen, mitzukommen. Sie habe das Angebot ihres Glaubens wegen abgelehnt.

Auch ein nur flüchtiger Blick auf Luises kurzen Lebensweg lässt erkennen, dass sie konsequent versuchte, den Willen Gottes zu erkennen und ihn in die Tat umzusetzen, ungeachtet der damit verbundenen Schwierigkeiten und Leiden. Dazu gehörten der Bruch mit ihrer Familie, die immer wieder erfahrene Ablehnung als Jüdin und das Leben in der Fremde.

Diese beharrliche Suche nach der Erfüllung des Willens Gottes verband sie eng mit unserer Gründerin, der sel. Katharina Kasper aus Dernbach.

Einleitung des Seligsprechungsprozesses

Vor allem unsere holländischen Mitschwestern haben früh begonnen, die Spuren des Lebens von Schw. M. Aloysia Löwenfels zu verfolgen und sie auch in den anderen Provinzen der Gemeinschaft bekannt zu machen. Es waren verschiedene Gründe, die uns zögern ließen, den Weg zur Seligsprechung einzuschlagen. Im April 2013 war es dann so weit, dass das Generalkapitel des Ordens, nicht zuletzt auch auf zahlreiche von außen kommende Anstöße hin, beschloss, den Seligsprechungsprozess anzustreben.

Am 14. Oktober 2015 eröffnete der Apostolische Administrator der Diözese Limburg, Weihbischof Grothe, das Verfahren und setzte ein sog. Seligsprechungstribunal aus Kirchenrechtlern, Dogmatikern, und Kirchenhistorikern ein, die, wie er sagte, die „schöne und ehrenvolle“ Aufgabe haben, sich ein Bild von Leben, Tugenden, Martyrium und Wundertätigkeit Schw. Aloysias zu machen. Mit den dafür notwendigen Vorbereitungen hatte der Orden eine der Schwestern, gemäß der von der römischen Kongregation für  Heilig- und Seligsprechungen erlassenen Instruktion „Sanctorum Mater“ als „Postulatorin“ beauftragt. Ihre Beauftragung gilt für den diözesanen Teil des Verfahrens, bis die Unterlagen nach gründlicher Überprüfung nach Rom gehen werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Die Religionsbücher von Weihbischof Laun sind gefragt

Anfang eines neuen Aufbruchs

Großes Lob erhielt Weihbischof Dr. Andreas Laun für seine Religionsbücher aus Kroatien. Erzbischof Đuro Hranić von Đakovo und Osijek, der ein Vorwort zur kroatischen Ausgabe des achten Bandes der Serie „Glaube und Leben“ mit dem Titel „Der Christ in der modernen Welt“ verfasst hat,[1] sieht im Werk des Weihbischofs einen wertvollen Beitrag zur neuen Evangelisierung seines Landes. Mit seiner Initiative ging Laun auf das Herzensanliegen des hl. Papstes Johannes Paul II. ein. Nun finden seine Religionsbücher eine immer größere Beachtung, vor allem in den östlichen Nachbarländern. Zunächst wurde der achte Band ins Ungarische übersetzt und von Kardinal Peter Erdö von Budapest seinen Priestern wärmstens empfohlen. Es folgten Slowenien und schließlich Kroatien.

Von Erzbischof Đuro Hranić, Đakovo und Osijek

Anfang eines neuen Aufbruchs! Während ich das Vorwort zu diesem Buch schreibe, höre ich in meinen Ohren immer noch die Frage, die Jesus an die Söhne des Zebedäus gerichtet hat: „Was soll ich für euch tun?“ (Mk 10,36) Nicht nur deshalb, weil die darauf folgende Erklärung Jesu auch eine Antwort auf die Frage nach meinem eigenen Weg ist, sondern weil sie jener Frage gleicht, die ich dem Übersetzer vieler katechetischer Werke zur Evangelisierung gestellt habe, als er vor wenigen Tagen zu mir kam und in seinen Händen die Übersetzung des Religionsbuchs mit dem Titel „Der Christ in der modernen Welt“ hielt. Autor dieses Werks ist Andreas Laun, Weihbischof von Salzburg.

„Ich bitte Sie um einige Begleitworte zu diesem Text“, sagte der Übersetzer. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob ich die Erwartungen des Autors und des Übersetzers dieses Buches erfüllen kann, doch hat das Buch auf jeden Fall meine eigenen Erwartungen übertroffen.

Das Buch „Der Christ in der modernen Welt“ ist eines von jenen Büchern, die man nicht nur durchblättern darf. Es ist nämlich so geschrieben und aufgebaut, dass man an jedes behandelte Thema von verschiedenen Gesichtspunkten aus herangehen kann. Das Buch ist einerseits so aktuell und dem heutigen Menschen, der Antworten auf die vielen Fragen unserer Zeit sucht, so nahe, andererseits aber theologisch so klar artikuliert, dass wir uns unweigerlich fragen müssen: Steckt nicht in dieser Art der Verkündigung ein Weg zur Begegnung zwischen dem Christentum und der modernen Welt? Beziehungsweise: Ist das nicht der Weg zur Begegnung zwischen Gott und Mensch? Ich glaube, dass der Grund für diesen Eindruck nicht nur in der Darstellung der einzelnen Inhalte, sondern im persönlichen Zugang des Autors liegt, der schon in den ersten Sätzen des Buchs betont: „Ich erzähle Dir von Gott, so wie die Christen an Ihn glauben.“ Diese persönliche Zwiesprache zwischen Autor und Leser, gleich um welche Themen es sich handelt, ist eine andauernde Inspiration für die weiteren Überlegungen derer, die das Buch zur Hand nehmen und sich selbst wie auch ihr Leben, die sie umgebende Welt und den christlichen Glauben verstehen wollen, den Glauben, in dem sie den Sinn von allem finden wollen.

Die Anziehungskraft dieses Buches liegt darin, dass die moderne Welt nicht so dargestellt wird, wie sie der Autor selbst sehen möchte. Die Welt erscheint so, wie sie ist. Über sie reden diejenigen, die in ihr leben und die ihre eigenen Standpunkte und Meinungen haben. Wie in der Welt, so kommen im Buch auch Atheisten und Nichtgläubige zu Wort, Kämpfer für das Recht auf Abtreibung und Euthanasie, Vertreter des Kreationismus, der Evolutionslehre und der Kunstintelligenz, Wissenschaftler, die sich mit dem Klonen beschäftigen, wie auch jene, die mit der Schaffung neuer Arten experimentieren, Vertreter des Gender-Mainstreaming und die Macher der Pornoindustrie. Natürlich werden vor allem die Juden, aber auch die Moslems und Buddhisten angesprochen. Niemandem wird in diesem Buch das Recht genommen, beachtet zu werden! Doch der Autor wird nicht müde, das Anliegen eines ehrlichen Dialogs zu verfolgen, indem er versucht, den Plan Gottes, die christlichen Wahrheiten, die moralischen Normen, die zeitgenössischen Stellungnahmen der Kirche zu komplexen Fragen zu vertreten und unmissverständlich zu erklären. Doch klingt in diesem Gespräch die Hoffnung des Autors auf eine neue Welt mit, auf eine Welt, wie sie aus christlicher Perspektive gesehen wird, eine Welt, die nicht nur modern, sondern auch gerecht und wahrhaftig ist. Es wäre eine Welt ohne Voreingenommenheit, eine Welt, in der die Christen sagen dürfen, was sie denken, und in der sie angenommen werden, so wie sie glauben und wie sie leben.

Gerade die Art und Weise des Zugangs zu allen Themen wirkt wie eine Oase, in der wir als Christen mit unserem Gott allein sein dürfen. Diese Oase befindet sich nicht außerhalb der Welt, in der wir leben, sie ist vielmehr der Ort, an dem wir unseren Glauben und unsere persönliche Beziehung zu Gott verwirklichen und vertiefen können. Die Inhalte sind vernetzt mit den Themen Kreuz, Tod und Auferstehung Christi, seinen Zeichen und wunderbaren Werken, die uns verheißene Ewigkeit, die grundlegende missionarische Sendung der Kirche, die Liebe, mit der Gott den Menschen liebt. In den Texten wird der Christ nicht nur zu den Quellen seines christlichen Glaubens zurückgeführt; nein, die Texte bieten ihm auch zusätzliche Deutungen aus der Perspektive der Kirche, die seine Überlegungen weiten und auch eine Kenntnis vor der Wirkung vermitteln, welche die Kirche auf den verschiedenen Gebieten entfaltet. Veranschaulicht sind die Texte durch viele Beispiele aus dem Leben, aus der Geschichte, aber auch aus der heutigen Zeit, Beispiele, die jeden von uns bereichern können.

Zwar ist das Buch wie ein katechetisches Handbuch oder Religionsbuch geschrieben und enthält daher auch manche gut verständliche didaktische Elemente, doch bleibt es ein Erzählen des Autors über Gott, über den christlichen Glauben und über sein Gespräch mit der modernen Welt. Diese Art des Erzählens, wie sie dem Stil des Autors entspricht, ermöglicht uns ein leichtes Lesen und ein einfaches Verstehen wie auch ein wirkliches und persönliches Fortschreiten in der eigenen Beziehung zum christlichen Glauben und zu seinen Geheimnissen. Wer dieses Buch so nimmt, wie es geschrieben ist, wird erleben, wie in ihm der Wunsch des Autors in Erfüllung geht:

„Meine Absicht war es, Dich geistig und brüderlich an der Hand zu nehmen wie Andreas seinen Bruder Simon und in jenen Lichtkegel hineinzuführen, der von Jesus Christus ausgeht – damit sich sein Bruder selbst ein Bild von Jesus machen kann! (Joh 1,40).“

Das Buch „Der Christ in der modernen Welt“ ist der achte Band in der Reihe „Glaube und Leben“, das uns hilft, den richtigen Weg eines ehrlichen Gesprächs zwischen einem Kind oder jungen Menschen und seinem Gott zu suchen und zu finden, das diesen Weg erklärt und uns auf diesem Weg begleitet. Wir hoffen, es stellt den Anfang eines neuen Aufbruchs dar, der vor uns liegt, auf der Suche nach den besten Wegen für die neue Evangelisierung unseres Landes.

Wenn mich jemand zufällig, so wie Jesus seine Jünger Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus, fragen würde: „Was soll ich für euch tun?“, würde ich gerne antworten: „Nehmen Sie dieses Buch in die Hand, lassen Sie sich führen, damit Sie selbst aufs Neue sehen, wer Christus ist und welchen Schatz wir in unserem christlichen Glauben besitzen! Und natürlich, erwarten Sie – zusammen mit mir – auch die weiteren Bücher des geschätzten Autors!“

Nachwort von Weihbischof Andreas Laun

So viele und liebe Worte des Hwst. Herrn Erzbischof Đuro Hranić lassen mich erröten und ich danke ihm von ganzem Herzen! Und wenn sein Lob zutrifft, danken wir beide Gott, dem Geber alles Guten. Möge unser beider Wunsch in Erfüllung gehen, dass das Werk suchenden Menschen hilft, ihren Weg zum Glauben an Jesus Christus in Seiner geliebten Kirche zu finden! Wenn ich es wie Erzbischof Đuro „biblisch“ sagen darf: Andreas, so heißt es im Johannes-Evangelium (1,42), traf seinen Bruder Simon, erzählte ihm von Jesus und „führte ihn zu Jesus“. Das ist es, was auch ich, schreibend, tun wollte: uu Jesus führen. Er wird alles machen, was nötig ist.

Und wenn Sie in der kommenden Zeit für Ihre kleineren und größeren Kinder oder auch für erwachsene Freunde ein Geschenk zu Weihnachten suchen – vielleicht wäre ein Band aus meiner Religionsbuch-Reihe sinnvoller als manch anderes? Dabei empfehle ich natürlich alle Bände, angefangen von denen für die Kleineren bis zum 8. Band für junge und wohl auch ältere Erwachsene. Übrigens, der hier vorgestellte 8. Band ist deutsch, ungarisch (Keresztény ember a modern világban), slowenisch (Bog Ljubi) und nun auch kroatisch (Krscanin u modernome sijetu) verfügbar.

Wenn Sie möchten, können Sie die Bücher auch mit einer Widmung von mir, dem Verfasser, zugeschickt bekommen. Den Gewinn investiere ich wieder in weitere Übersetzungen für Länder, in denen die Kirche nur wenig Geld hat und diese Glaubensbücher ebenfalls anbieten möchte. Ich nütze die Gelegenheit, Sie auch noch an die wichtigsten anderen Laun-Bücher zu erinnern: „Liebe und Partnerschaft“, „Geschichten von Gott, Menschen und Tieren“ und nicht zuletzt nenne ich den „Bestseller“ meines Vaters: „So bin ich Gott begegnet“.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Herausgeber: Referat für Ehe und Familie der Erzdiözese Salzburg, Dreifaltigkeitsgasse 12, A-5020 Salzburg Tel. 0043(0)662-879613, Fax: 0043(0)662-8754494, E-Mail: ehe@familie.kirchen.net – Internet: www.familie.kirchen.net oder www.glaube-und-leben.at

Der Einsatz der Kirche für die Jugend (Teil V)

Glückserfahrung der Jugendlichen

Papst Benedikt XVI. war von den Weltjugendtagen, die sein Vorgänger Johannes Paul II. ins Leben gerufen hatte, „begeistert“. Dies zeigt Kurienbischof Dr. Josef Clemens auf, indem er Antworten zitiert, die Benedikt XVI. bei Interviews auf den Flügen zu den Weltjugendtagen in Madrid und Sydney gegeben hat. Was den Papst in seinem Innersten erfüllte, kommt auch in seinen Ansprachen bei den vorweihnachtlichen Treffen mit der Römischen Kurie zum Ausdruck. Immer wieder thematisierte er in diesem Rahmen die Bedeutung der Weltjugendtage. Daraus stellt Bischof Clemens fünf Punkte vor, die nach Benedikt XVI. die Glückserfahrung der jungen Menschen auf den Weltjugendtagen ausmachen und für die Erneuerung des Christseins entscheidend sind. Sie münden ein in die Gewissheit der Jugendlichen: „Es ist gut, dass ich bin!“

Von Bischof Josef Clemens, Rom

Universales Netz der Freundschaft

Papst Benedikt XVI. hat mit Begeisterung das „Projekt WJT“ seines Vorgängers aufgenommen und er hat es mit seinen besonderen Gaben und seinem eigenen theologischen Talent bereichert.

Auf dem Flug zum Weltjugendtag in Madrid gab Benedikt XVI. wie üblich ein Interview. Dabei legte er ausführlich seine Sicht der Weltjugendtage dar. In seiner spontanen Äußerung ist zu spüren, was ihn beim Gedanken an die Weltjugendtage bewegt:

„Nachdem ich zwei Weltjugendtage auch persönlich miterlebt habe, kann ich nur sagen, dass Papst Johannes Paul II. wirklich eine Eingebung geschenkt wurde, als er diese große Begegnung der Jugendlichen und der Welt mit dem Herrn ins Leben gerufen hat. Ich würde sagen, die Weltjugendtage sind ein Signal, eine große Flut von Licht; sie verleihen dem Glauben sichtbaren Ausdruck, sie verleihen der Gegenwart Gottes in der Welt sichtbaren Ausdruck und machen so Mut zum Glauben.

Oft fühlen sich die Gläubigen in dieser Welt isoliert, fast verloren. Hier sehen sie, dass sie nicht allein sind, dass es ein großes Netz des Glaubens gibt, eine große Gemeinschaft der Gläubigen in aller Welt, dass es schön ist, in dieser universalen Freundschaft zu leben. Und so scheint mir, dass Freundschaften entstehen, Freundschaften, die über die Grenzen der verschiedenen Kulturen, der verschiedenen Länder hinausreichen. Dieses Entstehen eines universalen Netzes der Freundschaft, das die Welt und Gott miteinander verbindet, ist eine wichtige Wirklichkeit für die Zukunft der Menschheit, für das Leben der heutigen Menschheit.

Natürlich darf der Weltjugendtag kein isoliertes Ereignis sein, sondern er ist Teil eines größeren Weges. Er wird durch den Weg des Kreuzes vorbereitet, das verschiedene Länder durchzieht und das die Jugendlichen bereits im Zeichen des Kreuzes vorbereitet und im wunderbaren Zeichen der Gottesmutter vereint. So ist die Vorbereitung des Weltjugendtages natürlich viel mehr als die technische Vorbereitung eines Ereignisses mit vielen technischen Problemen: Sie ist eine innere Vorbereitung, ein Aufbruch zu den anderen, gemeinsam zu Gott. Und danach folgt dann die Gründung von Freundschaftsgruppen.

Dieser universale Kontakt, der die Grenzen der Kulturen, der menschlichen und religiösen Gegensätze öffnet, muss erhalten bleiben: Es ist ein fortlaufender Weg, der dann zu einem neuen Höhepunkt führt, einem neuen Weltjugendtag. Ich glaube, dass man den Weltjugendtag in diesem Sinne als Zeichen sehen muss, als Teil eines großen Weges; er stellt Freundschaften her, öffnet Grenzen und macht deutlich, dass es schön ist, bei Gott zu sein, dass Gott bei uns ist. In diesem Sinne wollen wir die große Idee des sel. Papstes Johannes Paul II. fortführen."[1]

Eingangstor in das Pontifikat Benedikts XVI.

Ohne eine künstliche Übertreibung ist erkennbar, dass die Themen der drei von Papst Benedikt geführten WJT (Köln 2005, Sydney 2008, Madrid 2011) in überraschender Weise wichtigen Feldern seiner theologischen Reflexion entsprechen.[2]

Zweifellos gehören die Themen Eucharistie und sakramentale Anbetung (Köln 2005) zu seinen bevorzugten theologischen Sujets.[3] Das Gleiche gilt für die Reflexion über die dritte Person der Dreifaltigkeit, über das Wesen und das Wirken des Heiligen Geistes (Sydney 2008).[4] Auch die christologische Akzentuierung des WJT in Madrid (2011) besitzt einen herausragenden Platz in seiner theologischen Arbeit, wie nicht zuletzt seine Trilogie über Jesus von Nazareth beweist.[5]

Dem Kölner WJT kam die Rolle eines Eingangstors in sein Pontifikat zu, das sich in vollständiger inhaltlicher Kontinuität mit seinem Vorgänger erwiesen hat.[6] So unterstrich Papst Benedikt XVI. am Ende der WJT gegenüber den deutschen Bischöfen, dass die WJT nicht nur eine Intuition, sondern eine wahre Inspiration Papst Johannes Pauls II. gewesen seien.[7] In diesen Tagen ereigne sich durch die Fragen der Jugendlichen, ihre Hoffnung, ihre Freude und ihren Enthusiasmus im Glauben ein wechselseitiges Geben und Nehmen zwischen der Kirche und der Jugend. Die WJT seien eine wahre Provokation gegen die verbreitete Kleingläubigkeit und Müdigkeit vieler Gläubigen[8] und sie böten neue Impulse für die Jugendpastoral nicht nur im gastgebenden Land, sondern auch für alle teilnehmenden Länder. Wörtlich sagte er: „Mir scheint, dass am Ende dieses Ereignisses die Bitte der jungen Leute an uns im wesentlichen so lauten könnte: ,Ja, wir sind gekommen, ihn anzubeten. Wir sind ihm begegnet. Helft uns jetzt, seine Jünger und Zeugen zu werden.‘ Das ist ein anspruchsvoller Anruf, aber für das Herz eines Seelsorgers tröstlich. Möge die Erinnerung an die in Köln unter dem Zeichen der Hoffnung verbrachten Tage unseren gemeinsamen Dienst unterstützen.[9]

Freude als Frucht eines langen Wegs

Wie sein Vorgänger, so nutzte auch Papst Benedikt XVI. die Gelegenheit des vorweihnachtlichen Treffens mit der Römischen Kurie am Ende des Jahres 2008, um seine Bewertungen bezüglich des WJT in Sydney darzulegen. Auch den Widerspenstigen hat sich der WJT von Sydney als ein „Fest der Freude“ offenbart, einer Freude, die eine Frucht des Heiligen Geistes ist. Dabei unterstrich Benedikt XVI.: „Endlich ist die festliche Liturgie deshalb der Mittelpunkt des Ganzen, weil in ihr geschieht, was wir nicht machen können und doch immer erwarten. ER ist gegenwärtig. ER tritt zu uns herein. Der Himmel ist aufgerissen, und das macht die Erde hell. Das macht das Leben froh und weit und verbindet miteinander in einer Freude, die mit der Ekstase eines Rockfestivals nicht vergleichbar ist. Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt: „Nicht das ist das Kunststück, ein Fest zu veranstalten, sondern solche zu finden, welche sich an ihm freuen.“ Die Freude ist nach der Schrift Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,22): Diese Frucht war in den Tagen in Sydney reichlich zu spüren.“[10]

Diese Tage setzen jedoch einen langen Weg voraus, der aus einem „ante“ und einem „post“ besteht. Bei seinem Interview auf dem Weg nach Australien sagte er: „Ein Weltjugendtag ist nicht einfach ein Augenblicksereignis: er wird auf einem langen Weg mit dem Kreuz und der Ikone der Gottesmutter vorbereitet; er ist also sowohl unter einem organisatorischen als auch unter einem geistlichen Gesichtspunkt vorbereitet. Somit bilden diese Tage nur den Höhepunkt eines langen Weges, der ihm vorangeht. Alles ist Frucht eines Weges, eines Miteinander-unterwegs-Seins zu Christus. Der Weltjugendtag bringt dann eine Geschichte hervor, das heißt Freundschaften entstehen, neue Inspirationen kommen auf: so setzt sich der Weltjugendtag fort. Es scheint mir dies sehr wichtig zu sein: nicht nur drei, vier Tage im Blick zu haben, sondern den ganzen Weg, der vorhergeht und dann nachfolgt. In diesem Sinn, so scheint es mir, ist der Weltjugendtag – wenigstens für die nächste Zukunft – eine gültige Formel, die uns auf das Verständnis vorbereitet, dass wir von verschiedenen Gesichtspunkten und verschiedenen Teilen der Erde aus vorwärts gehen zu Christus und zur Gemeinschaft. Wir lernen so ein neues Miteinandergehen. In diesem Sinn hoffe ich, dass dies auch eine Formel für die Zukunft ist."[11]

Die WJT sind ein wahrer geistlicher Pilgerweg hinter dem Kreuz Christi und der Ikone Mariens. Dazu sagte er: „In Australien ist nicht zufällig der lange Kreuzweg durch die Stadt zum Höhepunkt der Tage geworden. Er fasste noch einmal zusammen, was in den Jahren zuvor geschehen war und wies auf den hin, der uns alle zusammenführt: den Gott, der uns bis ans Kreuz liebt. So ist auch der Papst nicht der Star, um den alles kreist. Er ist ganz und nur Stellvertreter. Er verweist auf den anderen, der in unserer Mitte ist."[12]

Papst Benedikt XVI. geht hier sehr diskret auf den vor allem im deutschsprachigen Raum geäußerten Vorbehalt gegenüber einem überzogenen Papstkult ein, der die WJT von Anfang an begleitete und der ihre nur langsam wachsende Akzeptierung erklärt. Der XII. WJT in Paris 1997 dürfte in dieser Hinsicht ein gewisser Wendepunkt sein.

Erneuerung des Christseins in fünf Punkten

In einer zweiten Weihnachtsansprache im Jahre 2011 bezeichnete Benedikt XVI. den Madrider WJT als einen erneuten Beweis „einer Medizin gegen die Glaubensmüdigkeit“ und als eine „gelebte Neuevangelisierung“,[13] um im Folgenden mit fünf Punkten die Erneuerung des Christseins mittels dieser großen Jugendtreffen zu charakterisieren.[14]

1. Schönheit der Universalität der Kirche

An erster Stelle steht für Papst Benedikt XVI. die Erfahrung der Katholizität oder Universalität der Kirche, die viele Jugendliche mit tiefer Freude erfüllt hat. Alle Teilnehmer waren vom einen Herrn Jesus Christus berührt, „in dem sich uns das wahre Menschsein und zugleich das Angesicht Gottes selbst manifestiert hat“.[15] Aus dieser Erfahrung erwächst eine neue Art zu leben und des Christseins.

2. Freude am freiwilligen Einsatz für andere

Der zweite Punkt betrifft die tiefe Glückserfahrung der zwanzigtausend Freiwilligen, die in Madrid ihren Dienst geleistet haben. Sie sind ein Beispiel, dass der freiwillige Einsatz für andere eine tiefgehende, existenzielle Erfüllung vermittelt. “Diese jungen Menschen haben Gutes getan, auch wenn es schwer war, auch wenn es Verzichte forderte, weil es schön ist, das Gute zu tun, für die anderen da zu sein. Man muss nur den Sprung wagen. All dem geht voraus die Begegnung mit Jesus Christus, die in uns die Liebe zu Gott und zu den anderen entzündet und uns frei macht von der Suche nach dem eigenen Ich."[16]

3. Eucharistische Anbetung als Quelle des Glücks

Im dritten Punkt stellt der Papst den Kern der wahren Katholizität und die Quelle des Glücks vor, d.h. die eucharistische Anbetung, die auf dem WJT von Köln (2005) eingeführt worden war. Die Anbetung ist ein Glaubensakt gegenüber der Realpräsenz Gottes, des unter uns weilenden Auferstandenen.[17]

4. Sakrament der Versöhnung ohne Angst und Scham

Im vierten Punkt unterstreicht der Papst die Wichtigkeit des Sakramentes der Versöhnung, das der Mensch als Gegengewicht gegenüber der Schwerkraft des Bösen bedarf.[18] Zudem sind die Sakramente der Eucharistie und der Versöhnung zwei Pfeiler einer wahren Glaubenserziehung. Der Verlauf der letzten WJT hat gezeigt, dass die Jugendlichen keine Angst vor der Stille während der liturgischen Feiern haben und sie sich nicht schämen, Sünder zu sein und der Vergebung Gottes und der Mitmenschen zu bedürfen.

5. Erfahrung des vollkommenen Angenommenseins

Als fünften und letzten Punkt stellt der Papst erneut die Freude als Frucht vieler Faktoren heraus, die hier zusammenwirken. „Aber der entscheidende ist nach meinem Dafürhalten die aus dem Glauben kommende Gewissheit: Ich bin gewollt. Ich habe einen Auftrag in der Geschichte. Ich bin angenommen, bin geliebt […] Wer nicht geliebt wird, kann sich auch nicht selber lieben. Dieses Angenommenwerden kommt zunächst vom anderen Menschen her. Aber alles menschliche Annehmen ist zerbrechlich. Letztlich brauchen wir ein unbedingtes Angenommensein. Nur wenn Gott mich annimmt und ich dessen gewiss werde, weiß ich endgültig: Es ist gut, dass ich bin. Es ist gut, ein Mensch zu sein. Wo die Wahrnehmung für das Angenommensein des Menschen von Gott, für unser Geliebtsein durch ihn verschwindet, da findet die Frage, ob es überhaupt gut ist, ein Mensch zu sein, keine Antwort mehr. Der Zweifel am Menschsein wird immer unüberschreitbarer. Wo der Zweifel an Gott dominierend wird, da folgt der Zweifel am Menschsein selbst unausweichlich. Wir sehen heute, wie sich dieser Zweifel ausbreitet. Wir sehen es an der Freudlosigkeit, an der inneren Traurigkeit, die man in so vielen menschlichen Gesichtern lesen kann. Nur der Glaube macht mich gewiss: Es ist gut, dass ich bin. Es ist gut, ein Mensch zu sein, auch in schwieriger Zeit. Der Glaube macht von innen her froh. Das ist eine der wunderbaren Erfahrungen der Weltjugendtage.“[19]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Benedikt XVI.: Interview auf dem Flug nach Madrid, 7.
[2] Vgl. Johannes Paul II.: Botschaft für den XX. Weltjugendtag (Köln, 18.-21. Aug. 2005) „Wir sind gekommen, um ihn anzubeten“ (Mt 2,2), 6. Aug. 2004, in: O.R. dt., Nr. 36, 3. Sept. 2004, 7; Benedikt XVI.: Botschaft für den XXIII. Weltjugendtag (Sydney, 12.-21. Juli 2008) „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird und ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8), 20. Juli 2007, in: O.R. dt., Nr. 32/33, 10. Aug. 2007, 7 f.; Benedikt XVI.: Botschaft für den XXVI. Weltjugendtag (Madrid, 18.-21. Aug. 2011) „In Christus verwurzelt und auf ihn gegründet, fest im Glauben“ (vgl. Kol 2,7), 6. Aug. 2010, in: O.R. dt., Nr. 37, 17. Sept. 2010, 7 f.
[3] Vgl. Joseph Ratzinger: Eucharistie, Mitte der Kirche, in: Theologie der Liturgie. Die sakramentale Begründung christlicher Existenz, in: Joseph Ratzinger, Gesammelte Schriften, Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2008, bes. 342-358, auch 473-497.
[4] Vgl. Joseph Ratzinger: Der Heilige Geist als Communio. Zum Verhältnis von Pneumatologie und Spiritualität bei Augustinus, in: Id., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio. Festgabe zum 75. Geburtstag, hrsg. vom Schülerkreis, Redaktion Stephan Otto Horn und Vincenz Pfnür, Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2002, 34-52; Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Über den Heiligen Geist, Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2012.
[5] Vgl. Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2007; Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2011; Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Die Kindheit Jesu, Verlag Herder, Freiburg i. Br. 2012 (= Joseph Ratzinger, Gesammelte Schriften 6/1, 41-635).
[6] Vgl.. Benedikt XVI.: Ansprache während der Begrüßungszeremonie, Flughafen Köln/Bonn, 18. Juli 2005, in: O.R. dt., Nr. 34, 26. Aug. 2005, 9; Benedikt XVI.: Rede bei der Willkommensfeier auf dem Schiff am Rhein, 18. Aug. 2005, in: O.R. dt., Nr. 34, 26. Aug. 2005, 10 f.
[7] Vgl. Benedikt XVI.: Ansprache bei der Begegnung mit den deutschen Bischöfen, Köln, 21. Aug. 2005, in: O.R. dt., Nr. 35, 2. Sept. 2005, 12 f.
[8] Ibid.
[9] Vgl. Benedikt: Ansprache an die dt. Bischöfe, 12.
[10] Vgl. Benedikt XVI.: Ansprache beim Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie, Sala Clementina, 22. Dez. 2008, in: O.R. dt., Nr. 1, 2. Jan. 2009, 4 f., 5.
[11] Ebd.; vgl. auch Benedikt XVI.: Interview während des Fluges nach Australien, 12. Juli 2008, in: O.R. dt., Nr. 29, 18. Juli 2008, 2 f., 2.
[12] Benedikt XVI.: Ansprache beim Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie, Sala Clementina, 22. Dez. 2008, in: O.R. dt., Nr. 1, 2. Jan. 2009, 4 f., 5.
[13] Benedikt XVI.: Ansprache beim Weihnachtsempfang für die Römische Kurie, Sala Clementina, 22. Dez. 2011, in: O.R. dt., Nr. 1, 6. Jan. 2012, 12 f., 12.
[14] Benedikt XVI.: Weihnachtsempfang 2011, 12-13.
[15] Benedikt XVI.: Weihnachtsempfang 2011, 12.
[16] Ebd.
[17] Benedikt XVI.: Weihnachtsempfang 2011, 12-13.
[18] Vgl. Benedikt XVI.: Weihnachtsempfang 2011, 13.
[19] Ebd.

Die vier Marianischen Dogmen (4 – Teil I)

Maria Immaculata Conceptio

Am 8. Dezember 1854 verkündete der sel. Papst Pius IX. das Dogma von der unbefleckten Empfängnis. Darauf geht Anna Roth nun am Ende ihrer Reihe über die vier Marianischen Dogmen ein. Doch bietet sie zunächst eine Hinführung zu dieser Lehre der Kirche, indem sie Maria als besonderes Instrument der Heiligsten Dreifaltigkeit und ihres Wirkens betrachtet. So erschließt sich die erhabene Würde Marias durch einen Blick auf die Herrlichkeit des „Logos“, des Wortes Gottes, das in Maria Fleisch geworden ist. Erst in einem zweiten Teil, der in der nächsten Ausgabe veröffentlicht wird, geht Roth näher auf das Dogma selbst ein und widmet sich den Fragen der „Vorerlösung“ und „Willensfreiheit“ der Gottesmutter.

Von Anna Roth

Wenn wir über Maria sprechen, müssen wir zuerst über Jesus sprechen. So wie der Weg zu Jesus über Maria führt, so führt der Weg zu Maria über Jesus. Wir können uns der Erhabenheit und der königlichen Würde Marias nur nähern, wenn wir den Logos betrachten.

Zeugnis der hl. Bernadette Soubirous von Lourdes

So wollen wir einmal kurz innehalten und versuchen, uns hineinzuversetzen in das Jahr 1858, als Maria der Seherin Bernadette Soubirous in Lourdes erschienen ist. Wer bist du, schöne Frau? Diese Frage trug Bernadette Soubirous in ihrem Herzen, denn sie war von der Schönheit Marias wie trunken. Die Schönheit der Dame war eine Macht, die Bernadette nicht freigeben wollte. Sie wurde nach den Erscheinungen Marias in ihrem Innern von einem erhabenen Gefühl erfasst. Die Anmut, die Schönheit Marias beflügelte, beglückte sie. Und diese überaus schöne Frau sagt von sich, dass sie „die Unbefleckte Empfängnis“ ist. Die erste Erscheinung Marias in Lourdes fand am 11. Februar 1858 statt. Maria hat also der Seherin Bernadette das Dogma der „Immaculata conceptio“, der „Unbefleckten Empfängnis“ von 1854 bestätigt.

Die „Immaculata“ und ihre Schönheit

Wenn wir die Immaculata betrachten, müssen wir auch ihre Schönheit betrachten. Sie strahlt uns auf sämtlichen Darstellungen der Gottesmutter entgegen. Zur Thematik Schönheit bemerkt Leo Tolstoi 1892 in einem seiner Tagebücher: „Das Gute ohne Schönheit ist qualvoll. Erst die Vereinigung von beiden und nicht die Vereinigung, sondern die Schönheit als Krönung des Guten, so könnte die Wahrheit lauten.“ Das heißt, Tolstoi setzt hier nicht nur die Schönheit über das Gute, sondern er setzt die Schönheit als eine gewünschte Bedingung für die Wahrheit.

Maria ist das Meisterwerk Gottes, des Schöpfers. Sie ist das Meisterwerk Gottes unter allen Geschöpfen im Himmel und auf Erden. In ihr ist die ursprüngliche Schönheit der Schöpfung unversehrt bewahrt. Oder wir müssten besser sagen, in Maria scheint sie erneut auf und tritt heraus, nehmen wir sie wahr.

Unter Schönheit verstehen wir auch die Anmut ihres Wesens, in der sich hohe natürliche und übernatürliche Haltungen vereinigen, übernatürlich, bedingt durch ihre Unbeflecktheit. Unter übernatürlichen Haltungen verstehen wir z.B. Heiligkeit, Treue, Hingabefähigkeit, Glaubensstärke, Demut, Reinheit.

So betont Pius IX.: „Der unaussprechliche Gott hat von Anfang an und vor den Zeiten seinem Einziggeborenen Sohn eine Mutter erwählt und bestimmt (diese, nicht irgendeine), aus der Er – Fleisch geworden – in der seligen Fülle der Zeiten geboren werden sollte. Und Er hat ihr, Maria, eine solch große Liebe vor allen anderen Geschöpfen erwiesen, dass Er sich in jener einen, d.h. in Maria, mit geneigtestem Wohlgefallen gefiel."[1]

Wenn wir die Schönheit Marias betrachten, müssen wir sie von zwei Perspektiven aus betrachten:

1. aus der Perspektive ihrer Unbeflecktheit;

2. aus der Perspektive ihrer Gottesmutterschaft, d.h. von der Schönheit, Würde und Erhabenheit des Logos.

Die Herrlichkeit des „Logos“

Der Johannes-Prolog und das große Credo betonen diese zweite Perspektive, und zwar die Würde und Erhabenheit des Logos. Betrachten wir zunächst den Johannes-Prolog. Der Text lautet: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“[2]

Und von diesem Wort heißt es kurz danach: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“[3]

Im großen Credo bekennen wir: Dass wir glauben … an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; Durch Ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.

Die Strahlkraft des „Logos“ durchwirkt die Jungfrau

In diesen beiden Texten spiegelt sich die Erhabenheit und Würde des Logos Jesus Christus, der zweiten göttlichen Person, wieder, die Strahlkraft Gottes, die in der Jungfrau inkarniert. Diese Strahlkraft des Logos ist voll himmlischer und verbal nicht auszudrückender Schönheit, Glanz, Heiligkeit, Reinheit. Diese Strahlkraft des Logos erfasst und durchwirkt die Jungfrau durch und durch. Das macht die Schönheit Marias aus.

Maria wird auch „die Logos-Trägerin“ genannt.[4] Aber wer ist der Logos, der in Maria inkarniert? Wer ist der Logos, der Fleisch annimmt – aus Maria, der Jungfrau? Es ist der Logos, der eine Sohn Gottes, der seiner Gottheit nach ewig aus dem Vater hervorgeht und der in der Zeit als Mensch aus Maria geboren wird. In Christus ist der eine und derselbe, der in zwei verschiedenen Naturen, der Gottheit und der Menschheit nach, existiert.

Es ist klar, dass für dieses große Heilsgeschehen, dieses nie ganz zu begreifende Wunder, Maria von Gott her besonders bereitet werden musste. Und so begegnet uns im Kompendium der Glaubensbekenntnisse und christlichen Lehrentscheidungen folgende Aussage: „Deswegen überhäufte er sie noch weit vor allen Engelgeistern und allen Heiligen mit der aus dem Schatz der Göttlichkeit genommenen Fülle aller himmlischen Gnadengaben so wunderbar, dass sie, von gar allem Makel der Sünde immer frei und ganz schön und vollkommen, eine solche Fülle an Unschuld und Heiligkeit zu erkennen gab, wie man sie sich unter Gott in keiner Weise größer vorstellen kann und wie sie außer Gott niemand in Gedanken erfassen kann.“[5]

Maria erscheint von vornherein als einzige aus der Geschichte herausgelöste Ausnahme. Und die Begründung dafür ist die Einzigartigkeit Christi nach der Maxime: Jesus Christus geziemte nur eine vollkommene Mutter. Aufgrund dieser besonderen Bereitung Marias durch ihren Schöpfer ragt Maria über alle Geschöpfe im Himmel und auf der Erde hervor. So können wir die Schönheit Marias sehr wohl nachvollziehen, denn der Herr selbst wirkte sie. Denn Maria ist die über alles Begnadete. Und so konnte der Engel Gabriel sie grüßen als die, die voll der Gnade ist (Lk 1,28).

Maria als Braut des Heiligen Geistes

Wir nennen Maria auch die Braut des Heiligen Geistes. Als der Engel der Jungfrau die Empfängnis Christi ankündigte, sagte er: „Der Heilige Geist wird dich überschatten und die Kraft des Allerhöchsten wird über dich kommen.“ Der Heilige Geist also ist der Träger göttlich zeugender Kraft – und diese Kraft ist geistig – und deshalb bleibt die Jungfrau unversehrt, d.h. Jungfrau. Diese Kraft aber geht letztlich von Gott Vater, also der ersten göttlichen Person, aus. Die Menschheit des Sohnes ist grundgelegt im Ratschluss des Vaters, geschieht durch das Ja-Wort des Sohnes und das Wollen des Heiligen Geistes. Das heißt, die Menschwerdung des Sohnes ist eine Aktion des dreifaltigen Gottes.

Johannes von Damaskus führt aus: „Nach der Zustimmung der Jungfrau, also nach ihrem ‚fiat‘, kam der Heilige Geist über sie (…), gab ihr (…) zum Erzeugen die nötige Kraft. Und damals überschattete sie die persönliche Weisheit und Macht Gottes, des Höchsten, der Sohn Gottes, der dem Vater wesensgleich ist, wie ein göttlicher Same und bildete sich aus ihrem heiligen und reinsten Blute Fleisch, von einer vernünftigen und denkenden Seele belebt (…), nicht samenhaft, sondern schöpferisch durch den Heiligen Geist. (…) Denn nicht mit einem Fleische, das vorher für sich selbst existierte, vereinigte sich das göttliche Wort, sondern es wohnte dem Schoße der heiligen Jungfrau inne und bildete aus dem heiligen Blut der immerwährenden Jungfrau Fleisch, von einer vernünftigen und denkenden Seele belebt.“[6]

Anschaulicher kann man es kaum ausdrücken. Und theologisch können wir festhalten: Zwei wunderbare Geburten finden sich in Ihm, dem Logos, dem göttlichen Sohn, er ist vom Vater ohne Mutter vor aller Zeit gezeugt und er ist am Ende der Zeiten von der Mutter ohne Vater geboren worden.[7]

In Maria wirkt die ganze Dreifaltigkeit

Maria, die von Gott einzigartig Begnadete, nimmt eine Sonderstellung in der Heilsgeschichte der Menschheit ein. An ihr offenbart sich, zeigt sich das Handeln des Dreifaltigen Gottes, das Welthandeln. Das heißt, das Hineintreten Gottes in die Welt wird konkret, bzw. tritt in einzigartiger Konkretheit an der Person Marias für uns Menschen greifbar in Erscheinung.

Durch ihre Unbeflecktheit kann über Maria ausgesagt werden, dass sie zur Trinität in eine besondere Beziehung gestellt ist.[8] Denn die ganze Heiligste Dreifaltigkeit wirkte in ihr. Dies kommt sonst keinem Menschen zu, keinem Heiligen. Maria ist wirklich das Ruhebett der ganzen Heiligsten Dreifaltigkeit.

So ist es einleuchtend, dass wir die ganze Dreifaltigkeit ehren, wenn wir Maria als Gottesmutter verehren. Wir ehren den ewigen Vater, dem wir es verdanken, dass er durch seine Allmacht den Schoss der Jungfrau zum Vollbringen des großen Geheimnisses fähig machte. Wir ehren den Sohn, dessen Liebe zu uns wir es verdanken, dass er, der Logos, aus dem Schoß des Vaters in den Schoß der Jungfrau hinabstieg. Wir ehren den Heiligen Geist, weil wir es seiner Güte verdanken, dass in Maria, wie in einem Heiligtum, der Leib Christi auf wunderbare Weise empfangen und geformt wurde. So ist Maria ein tausendfältiges Wunder, ein Wunder über alle Wunder. 

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 12/Dezember 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] DH 2005, 2800.
[2] Joh 1-3.
[3] Joh 1,14.
[4] Bäumer, Scheffczyk, L. (Hg.); Marienlexikon, St. Ottilien, 1989, Bd. 4, 144.
[5] DH – Denzinger/Hünermann, Freiburg 402005, 2800.
[6] Scheeben-Feckes: Die bräutliche Gottesmutter, Essen 1951, 47-48.
[7] Vgl. DH 402005, 536.
[8] Vgl. Scheffczyk: Marienlexikon, 1989, Bd. 2, 233.

Neuen Kommentar schreiben

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder! Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare gegebenenfalls nicht für die Veröffentlichung freizugeben oder in Abstimmung mit den jeweiligen Autoren zu kürzen.