Dr. Peter Dyckhoff (geb. 1937), der vor allem durch seine Studien und Publikationen über das sog. „Ruhegebet“ bekannt geworden ist, hat ein neues Buch herausgegeben.[1] Es verbindet seine Lebensgeschichte mit marianischer Spiritualität und theologischen Impulsen. Alles dreht sich um eine Marienikone, die Dyckhoff bereits im Jahr 1979 während eines Studiensemesters in Jerusalem erworben hatte. Beim Kauf machte ihn damals der Ikonenhändler darauf aufmerksam, dass sich kurze Zeit vor ihm der Kunde Henri Nouwen ebenfalls für das Motiv der „Gottesmutter mit den drei Händen“ entschieden hätte. Dyckhoff trat daraufhin mit Nouwen (1932-1996) in Briefkontakt und tauschte sich mit ihm über die Bedeutung der Ikone aus. Sowohl persönliche Briefe aus dem Jahr 1980 als auch Betrachtungen dieses weltberühmten geistlichen Schriftstellers werden von Dyckhoff wiedergegeben.
Geschichtlicher Hintergrund der Ikonen-Darstellung ist eine Wunderheilung, die der Kirchenlehrer Johannes von Damaskus (650-754) erlebt haben soll. Dyckhoff beschreibt nachfolgend den Lebensweg des Gelehrten, welcher auch den Ausgangspunkt für die theologische Deutung der Ikone bildet.
Von Peter Dyckhoff
Die Ikone der Gottesmutter mit den drei Händen, die als einziges Bild in meinem Zimmer des Priesterseminars hing, steht in der Tradition, die mit Johannes von Damaskus beginnt. In der wunderschönen alten Bibliothek der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen fand ich neben den Werken des Johannes von Damaskus in griechischer Sprache auch einige Angaben über sein Leben, die mich in besonderer Weise interessierten.
Im Dienst des Kalifen von Damaskus
Leider sind nur wenige Einzelheiten aus seinem Leben bekannt. Johannes wurde um 650 in einer syrisch-stämmigen Damaszener Familie geboren. Sein Vater war Finanzminister unter dem Kalifen von Damaskus. Während dieser Zeit erhielt sein Sohn eine Ausbildung als Schriftsteller und Dichter. Später trat er dann wie sein Vater in den Dienst des Kalifen von Damaskus. Der byzantinische Kaiser Leo III. der Syrer (695-741) schützte Europa zwar gegen das Vordringen des Islams, doch entfachte er als Urheber den Bilderstreit und verfolgte gnadenlos alle Bilderverehrer. Johannes, der sehr unzufrieden mit der kaiserlichen Politik war, kritisierte durch Predigten und Schriften, die er verfasste, die ikonoklastische (ikonenfeindliche) Vorgehensweise des Kaisers. Als dieser die Zerstörung aller Ikonen befahl, widersetzte sich vehement der Damaszener. Der Kaiser war darüber so erbost, dass er einen an ihn gerichteten Brief mit dem Rat, den Kalifen von Damaskus abzusetzen, Johannes unterschob. Der Kaiser ließ diesen Brief in der Handschrift des Johannes abschreiben, fälschte die Unterschrift und ließ ihn dem Kalifen von Damaskus überbringen.
Heilung der abgeschlagenen Hand
Der Kalif, der die Handschrift für echt hielt, ließ Johannes zur Strafe die rechte Hand abschlagen. „Auf diese Weise“, so wird wörtlich überliefert, „wurde die Hand, die zuvor im Kampf gegen die Feinde des Herrn mit Tinte befleckt war, rot gefärbt durch ihr eigenes Blut.“
Die abgeschlagene Hand wurde zur Abschreckung für andere Ikonenverehrer an einem öffentlichen Platz aufgehängt. Johannes litt so unsagbare Schmerzen, dass er weder ein noch aus wusste. Schließlich bat er den Kalifen, er möge ihm seine Hand zurückgeben lassen. Der Kalif ließ sich erweichen. In seiner Not trat Johannes mit der abgeschlagenen Hand vor die versteckt gehaltene wundertätige Ikone der Gottesmutter und flehte sie an, ihm Heilung zu schenken, damit er die Verteidigung der Ikonen wieder aufnehmen könne. Die Ikone begann zu leuchten und die Gottesmutter versprach, ihn zu heilen. Gleichzeitig gab sie Johannes den Auftrag, die geheilte Hand „als das Rohr eines rasch schreibenden Schreibers zu benützen, um Hymnen an Christus und die Gottesmutter zu verfassen“.
Während Johannes schlief, soll eine Hand aus der Ikone hervorgekommen sein, die die verblutete Hand des Johannes wieder mit dem Stumpf zusammenfügte. Die Hand wuchs an und die Wunde verheilte, doch blieb eine rote Linie um das Handgelenk sichtbar als Zeichen für das, was sich ereignet hatte. Als der Kalif von diesem Wunder erfuhr, hegte er zunächst den Verdacht, dass man nicht Johannes, sondern jemand anderem die Hand abgeschlagen habe. Als er sich jedoch persönlich überzeugte und das rote Band an der Schnittstelle am rechten Handgelenk sah, glaubte er an das Wunder und bat Johannes um Verzeihung.
Eine silberne Hand als Votivgabe
Aus Dankbarkeit ließ Johannes von Damaskus eine silberne Hand fertigen und befestigte sie an der Ikone. Daher erhielt sie ihren Namen „Ikone der Gottesmutter mit drei Händen“, auf Griechisch: „Tricherusa“. Diese Legende ist in die Ikonografie eingedrungen.
Typisch für diese Ikone ist, dass das Gewand der Gottesmutter mit großen Blattmotiven verziert ist; das Haar unter ihrem Schleier hat eine tiefschwarze Farbe, sie trägt das Kind, das eine majestätische Haltung einnimmt, auf ihrem rechten Arm, und der Heiligenschein der Gottesmutter ragt weit über den Bildrand hinaus.
Mönch im Sabbas-Kloster bei Jerusalem
Als sich später in Damaskus mehr und mehr ein antichristlicher Kurs durchsetzte, verließ Johannes den Hof des Kalifen, um Mönch zu werden. Mit seinem Adoptivbruder Kosmas zog er sich in das Kloster des heiligen Sabbas zurück, das in der Wüste nahe bei Jerusalem lag. Johannes nahm die Ikone mit, und fast vierhundert Jahre blieb sie dort.
Das Sabbas-Kloster ist eines der ältesten Klöster Palästinas. Es entstand um 483 um die von dem Mönchsvater Sabbas (439-532) bewohnte Höhle an der westlichen Felswand des Kidron-Tales.
In Jerusalem ergänzte Johannes von Damaskus seine theologische Ausbildung und wurde vom Patriarchen Johannes V. (706-735) zum Priester geweiht. Besonders im Bilderstreit holte der Patriarch sich oftmals Rat und Hilfe bei Johannes. Bis ins hohe Alter von ungefähr 104 Jahren arbeitete er in strenger Disziplin an seinen Werken. Vor 754 starb Johannes von Damaskus und wurde im Sabbas-Kloster beigesetzt. In der östlichen Tradition wurde er schon immer als Kirchenvater angesehen. Die römische Kirche dagegen erklärte Johannes von Damaskus erst im Jahr 1890 zum Kirchenvater.
Die drei Reden zur Bilderverehrung
Die drei berühmten Reden „gegen die Verleumder der heiligen Ikonen“ machten Johannes von Damaskus zum klassischen Theologen der Bilderverehrung. Die erste Verteidigung der Bilderverehrung schrieb er im Jahr 726, nachdem Kaiser Leo III. das Edikt gegen die Bilderverehrung erlassen hatte. Die Wahrheit über die Verehrung der Ikonen stand ihm höher als die Hoheit des Kaisers.
Der Anlass seiner zweiten Rede, die Johannes im Jahr 730 schrieb und hielt, war die Forderung des Kaisers, alle Ikonen zu zerstören. Er spricht dem Kaiser das Recht ab, sich in kirchliche Angelegenheiten einzumischen, und verlangt die Freiheit der Kirche von der Staatsgewalt.
Die darauf folgende dritte Bilderrede ist eine systematisch-theologische Abhandlung über die Ikonen. Johannes unterscheidet scharf und genau zwischen der nur Gott gebührenden Anbetung und der den Geschöpfen zukommenden Verehrung. Ist die auf einer Ikone abgebildete Person voll der Gnade, dann hat auch der Betrachter und der vor dieser Ikone Betende Anteil an dieser Gnade.
In der Gottesgebärerin ruhte Gott, der allein Heilige. Maria ist Gott ähnlich geworden, daher ist sie am verehrungswürdigsten. Ihr Bild ist das heiligste unter den Heiligen-Ikonen. Die Verehrung der Gottesmutter bezieht sich auf Christus, der durch sie Mensch geworden ist. Die Ehre, die wir ihr erweisen, geht somit auf Gott selbst zurück.
Weil Gott unsichtbar ist, mach dir kein Bild von ihm. Aber da du sehen kannst, dass der Körperlose einen menschlichen Leib angenommen hat, mache ein Bild der menschlichen Gestalt. Wenn der Unsichtbare im Fleisch sichtbar wird, male das Abbild des Unsichtbaren. (Johannes von Damaskus)
[1] Peter Dyckhoff: Gottesmutter mit drei Händen, geb., 12 x 19 cm, 112 S., mit Lesebändchen, ISBN 978-3-9454010-4-0, Euro 13,95 (D), Euro 14,40 (A) – Preis der Ikone: Euro 34,90 – Preisvorteil: Buch und Ikone zusammen für Euro 44,90. Bestelladresse: Media Maria Verlag & Versandbuchhandlung, Postfach 4040, 89254 Illertissen, Tel. 07303-952331-0, Fax 07303-952331-5, E-Mail: buch@media-maria.de
Deutung der Ikone
Es ist ergreifend, wie die beiden geistlichen Schriftsteller Henri Nouwen und Peter Dyckhoff über die Ikone der „Gottesmutter mit drei Händen"[1] zueinander gefunden haben. Zeichenhaft ist sowohl der Ort Jerusalem, an dem sie unabhängig voneinander jeweils eine Kopie dieser Ikone erworben haben, als auch die Art, in der sie sich auf die Suche gemacht hatten. Sie ließen die Ikonengalerie längere Zeit auf sich wirken und fühlten sich innerlich von der Ausstrahlung eben dieser Darstellung angezogen, noch bevor sie die Besonderheit der drei Hände bemerkt hatten. Gleichzeitig spürten sie ihre geistliche Verwandtschaft bereits zu einer Zeit, als Dyckhoff noch auf dem Weg zum Priestertum war und Nouwen gerade mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit begonnen hatte. Die nachfolgende Betrachtung atmet den Geist, der auch seine über 40 Bücher durchzieht.
Von Henri Nouwen
Die Gottesmutter erlaubt keinen Blickkontakt
Die Ikone der „Gottesmutter mit drei Händen“ auf dem Hintergrund ihrer bewegenden Geschichte anzuschauen und sie meditativ zu betrachten, wurde zu einer tief greifenden Erfahrung für mich. Es ist nicht einfach, diesen inneren Vorgang in Worte zu fassen. Mir kommt es vor, als ob ich auf die Fürsprache der Gottesmutter für Momente in das innere verborgene Leben Gottes hineingehoben würde.
Bei der Begegnung mit Menschen habe ich es mir angewöhnt, zuerst Blickkontakt mit ihnen aufzunehmen. Blicken auch sie mir in die Augen, weiß ich, dass ich angenommen bin. So habe ich auch die „Gottesmutter mit drei Händen“ lange angeschaut, doch sie erwiderte meinen Blick nicht. Ich spürte jedoch, dass sie mein Schauen annahm, es jedoch sanft von sich auf ihren göttlichen Sohn lenkte. Diese ihre Geste erinnert mich an die Worte des Täufers: Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden (Joh 3,30), und an ihre eigenen Worte, die sie bei der Verheißung der Geburt Jesu zum Engel spricht: Ich bin die Magd des Herrn (Lk 1,38).
Das Kind ist der Mittelpunkt des Bildes
Beim näheren Betrachten der Ikone sah ich, dass Maria selbst auf ihren Sohn schaut. Es ist ein zurückhaltender, eher abwartender Blick, jedoch voller Innigkeit und voll des Glaubens. Wie die drei Hände Mariens, so erhalten auch ihre Augen wie ihre gesamte Haltung ihre vielsagende und tief greifende Bedeutung durch das Kind.
Beim Beten vor der Ikone und beim längeren Betrachten offenbart sich das Kind als Mittelpunkt des Bildes, auf das alles hingeordnet ist: der Blick und die Kopfhaltung seiner Mutter, die linke Hand, die von der dritten unterstützt wird, die großrankigen Ornamente auf ihrem Gewand und der Saum ihrer Kopfbedeckung, der in den Saum ihres roten Mantels übergeht. All das weist auf das göttliche Kind, in dessen Nimbus das Wort „Das Sein“ geschrieben steht. Mit der Anordnung der Buchstaben ist das Kreuz Christi gekennzeichnet, das ihn am Ende seines irdischen Lebens erwarten wird. Und somit gibt auch das Kind allem auf dieser Ikone tieferen Sinn. Der Knabe Jesus, der mit reifem Gesichtsausdruck und üppigen Haaren, aufrecht sitzend auf dem rechten Arm der Gottesmutter dargestellt ist, erinnert eher an den Pantokrator (Herr der Heerscharen oder Alleinherrscher) als an ein Kind, das noch der liebenden Gegenwart und der Nähe seiner Mutter bedarf.
Der Sohn offenbart Gottes liebende Fürsorge
Das Kind eröffnet jetzt einen ganz neuen Zugang zur Ikone. Während seine Mutter ehrfurchtsvoll zurücktritt und alles an ihr und in ihr auf den Sohn Gottes verweist, offenbart er sich seiner Mutter und allen Menschen gegenüber als der Machtvollere und Wissendere. Seine rechte Hand hat er zum Segensgruß erhoben, um zu zeigen, dass er es mit allen Geschaffenen und mit allem Geschaffenen unendlich gut meint. In seiner linken Hand hält der Sohn ein kleines verschlossenes Buch, das geradlinig nach unten weist. Später wird er dieses Buch öffnen, daraus vorlesen und nach seinem Tod und seiner Auferstehung als Pantokrator das aufgeschlagene Buch der göttlichen Weisheit allen und der gesamten Schöpfung entgegenhalten.
Auffallend sind die elf Blumenkreise auf seinem Gewand, die jeweils wieder aus sieben Kreisen bestehen. Das Untergewand, das Jesus trägt, scheint dem der Mutter ähnlich zu sein, jedoch grenzen sich die Obergewänder von Mutter und Sohn stark voneinander ab.
Aus der Haltung, dem Gesichtsausdruck und den Gesten des Jesuskindes auf dem Arm seiner Mutter wird mir Gottes liebende Fürsorge für alle Menschen und die gesamte Schöpfung bewusst. Aus der für mich zuerst „herrschenden“ Bildaussage wird beim langen Schauen auf die Ikone zunehmend eine Heilszusage.
Denn der Herr schaut herab aus heiliger Höhe, vom Himmel blickt er auf die Erde nieder; er will auf das Seufzen der Gefangenen hören und alle befreien, die dem Tod geweiht sind (Ps 102,20-21).
Das Gold versinnbildlicht Gottes Gegenwart
Jesus Christus, der Herr, als Kind auf den Armen der Mutter, ist das Fleisch gewordene Wort Gottes, die Quelle aller Weisheit, das Alpha und das Omega der Schöpfung, die Herrlichkeit Gottes. Wie lichtvoll es im Kind, aber auch in der Mutter ist, deutet der goldene Hintergrund an, der die Gegenwart Gottes versinnbildlicht. Ein von oben einfallendes Licht erleuchtet das Gesicht des Kindes, seine rechte segnende Hand und ein wenig auch das Gesicht der Gottesmutter und ihre linke Hand. Es ist das Licht der im Herzen des Kindes und seiner Mutter aufstrahlenden göttlichen Liebe, die die tiefe Verbindung zwischen Mutter und Sohn zum Ausdruck bringt. Diese Verbindung und Verbundenheit zwischen Mutter und Sohn zeigt sich dem Betrachter der Ikone nicht sofort – sie geht ihm erst langsam auf, wenn er vor diesem Bild betet.
Jesus schenkt allen Menschen seine Mutter
Nachweislich ab dem 14. Jahrhundert befindet sich die wundertätige Ikone der „Gottesmutter mit drei Händen“ (Tricherusa) im serbischen Athos-Kloster Chiliandar. Seit dieser Zeit haben sowohl vor dem hochverehrten Gnadenbild als auch vor seinen Nachbildungen unzählige gläubige Menschen aus der ganzen Welt gebetet und die „Tricherusa“ angefleht, ihnen in ihrer inneren und äußeren Not zu helfen.
Maria tritt mit allem, was sie an Wissen, Weisheit und Gnade von Gott empfangen hat – alles in ihrem Herzen bewahrend – zurück und weist mit einer innerlich starken, doch gleichzeitig verhaltenen Geste auf ihren Sohn. Das Kind scheint aller Umarmung, wie sie auf den meisten Gottesmutter-Ikonen dargestellt wird, entwachsen zu sein. Und doch bedarf es noch eines geheimnisvollen Austausches mit der Mutter. Ihre Liebe geht mit ihrem Sohn bis unter das Kreuz und darüber hinaus bis in die Ewigkeit. Und Jesus schenkt uns nicht nur Vergebung, sein Licht und seine Gnade, sondern auch seine Mutter als Fürsprecherin und Mutter aller Menschen. Wie auf dieser Ikone die Augen und damit die innere Bewegung der Gottesmutter den Betrachter auf das göttliche Kind verweisen, so übergibt Jesus im Todeskampf am Kreuz dem Jünger, den er liebte – und damit auch uns –, seine Mutter mit den Worten: Siehe, deine Mutter! (Joh 19,27).
Die Hände Mariens bilden einen Dreiklang
Das Besondere, was diese Ikone von anderen Darstellungen der „Gottesmutter mit dem Kind“ unterscheidet, sind ihre drei Hände. Vielen Betrachtern der „Tricherusa“ geht dieses Geheimnis nicht sofort auf. Sie brauchen lange, bis sie die dritte Hand der Gottesmutter entdecken. So erging es auch mir, als ich zum ersten Mal – es war in Jerusalem – vor der „Gottesmutter mit drei Händen“ stand. Ich sah zunächst ihre Linke, die über ihrem Herzen liegt und auf Jesus verweist – einladend, damit wir ihm näherkommen und durch ihn Gott erkennen, der uns geschaffen hat und zu dem wir gehören.
Als ich neben der rechten Hand, die Jesus trägt, die dritte Hand entdeckte, die die Linke zu unterstützen scheint, sah ich, dass sie neben den beiden Heiligenscheinen einen dritten geheimnisvollen Kreis bilden: das Haus der Liebe, in dem die Heilige Dreifaltigkeit wohnt. Durch seine Menschwerdung entsteigt Jesus Christus diesem göttlichen Raum, der – wie der Kreis – kein Anfang und kein Ende kennt, und wendet sich dem Menschen zu. Die elf Kreise auf seinem Gewand, von denen jeder wiederum aus sieben Kreisen besteht, bringen das Geheimnis Gottes vielfältig in die Schöpfung hinein, damit es einem jeden von uns und überall offenbar werden kann.
Die Hände der Gottesmutter bieten, so wie es ihre innere Berufung und Bestimmung ist, das Kind als Erlöser und Heiland allen Menschen der Welt an, die bereit sind, den Gottessohn Jesus Christus glaubend anzunehmen.
Die Hände der Gottesmutter bilden einen Dreiklang, so als ob sie singen würden:
Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter! (Lk 1,46-47).
Doch dies geschieht ganz im Geheimen, im inneren Raum. Trotz der überwältigenden Freude über ihren göttlichen Sohn weiß Maria, was es heißt, arm und auf der Flucht zu sein, im Ungewissen zu leben, nicht verstanden zu werden, unter dem Kreuz zu stehen und Gefühle zu haben, die sie niemandem offenbaren kann.
Deshalb ist sie nicht nur liebende Mutter für ihren Sohn, der gekreuzigt wurde, sondern für alle Menschen, denen Leiden und Schmerzen in dieser Welt nicht erspart bleiben.
Die drei Hände der Gottesmutter unterstreichen ihren Ruf, der an alle geht, Jesus Christus nicht nur in den Blick, sondern auch in unser Herz aufzunehmen. Denn er, ihr göttlicher Sohn, möchte uns zum Haus Gottes geleiten, das reine Liebe ist und in der wir beheimatet sind.
[1] Peter Dyckhoff: Gottesmutter mit drei Händen, geb., 12 x 19 cm, 112 S., mit Lesebändchen, ISBN 978-3-9454010-4-0, Euro 13,95 (D), Euro 14,40 (A) – Preis der Ikone: Euro 34,90 – Preisvorteil: Buch und Ikone zusammen für Euro 44,90. Bestelladresse: Media Maria Verlag & Versandbuchhandlung, Postfach 4040, 89254 Illertissen, Tel. 07303-952331-0, Fax 07303-952331-5, E-Mail: buch@media-maria.de
Die drei Hände der Gottesmutter
Deutlich unterscheiden sich die beiden Ikonen von Nouwen und Dyckhoff. So setzen sie in ihrer Deutung auch unterschiedliche Akzente. Dyckhoff widmet der spirituellen und theologischen Interpretation der Ikone den dritten Teil seines Buchs.[1] Er beginnt mit einer trinitarischen Betrachtung und führt auf diesem Hintergrund vier heilsgeschichtliche Aspekte aus: „das Geheimnis des Kreuzes“, „das göttliche Kind“, „die kosmische Dimension“ und „die göttliche Mutter“. Daran schließen sich Überlegungen zur existenziellen Bedeutung einer solchen Sicht der Beziehung zwischen Maria und ihrem göttlichen Sohn an: „Wir werden, was wir schauen“ und „Der Frucht bringende Weinstock“. Nachfolgend die kurze Zusammenfassung, in welche das wertvolle Buch einmündet.
Von Peter Dyckhoff
Werkzeug und Spiegel der Seele
Durch das Wunder der geheilten Hand, das Johannes von Damaskus vor seiner Ikone der Gottesmutter erfuhr, kam es zur Darstellung der dritten Hand auf der Ikone. Dadurch erhalten die Hände, die Werkzeug und Spiegel der Seele sind, besonderes Gewicht. Die Hände Mariens sind ganz zum Gebet geworden. Sie sagen mehr als ein Wort, denn sie hüten noch das verborgene Geheimnis Gottes: Gott händigt sich dem Menschen aus Liebe in Jesus Christus bis zum Tod am Kreuz aus. Auch die Hände der Gottesmutter sind geöffnet. Damit sind sie ebenso Zeichen des Aushändigens und der totalen Hingabe an den Willen Gottes. Groß ist die leise Sprache ihrer Hände – und sie ist schön.
Die „Tragende“, „Ruhende“ und „Weisende“
Die Kirche sagt, Gott habe uns die Hand gegeben, damit wir die Seele darin tragen. Die geöffneten Hände der Gottesmutter, die den Seelenstrom frei fluten lassen, vermitteln dem Betrachter der Ikone, was die Seele meint. Mit ihrem rechten Arm und der rechten Hand umfasst sie das göttliche Kind. So möchte ich diese Hand die „Tragende“ nennen. Die mittlere Hand der Gottesmutter berührt ihre Leibmitte, aus der Jesus geboren wurde und aus der die Urkraft strömt; daher möchte ich sie die „Ruhende“ nennen. Die linke Hand, die von der „Ruhenden“ und der Kopfhaltung Mariens unterstützt wird, weist mit einladender Gebärde auf ihren Sohn, auf die Menschwerdung Gottes. Ich nenne sie die „Weisende“.
Einladung an den betenden Betrachter
Beim Beten und Ruhigwerden vor der Ikone spüre ich, dass diese Einladung auch mir gilt. Keine einzige Bedingung wird an mich gestellt. Ich bin eingeladen: wer ich auch bin und woher ich auch komme, ob aus der Ferne, der Skepsis, der Dunkelheit oder gar der Gottabgewandtheit. Und immer geleitet mich diese weisende Hand der Gottesmutter ins Innerste, zu ihrem göttlichen Sohn. Christi Mutter erhebt fürbittend für mich und alle Menschen ihre Hände zum Herrn. Wie Maria als Brücke bezeichnet wird, über die der Gottessohn zu den Menschen gekommen ist, so wird sie auch Leiter genannt, über welche die Menschen ihre Gebete und Anliegen zum Heiland und Erlöser senden.
Der lehrende und segnende Christus
Durch Demut und Hingabe der Gottesmutter wird die Ikone zu einer Christus-Ikone. Die linke Hand Jesu, die eine Schriftrolle umfasst, möchte sagen, dass in ihm die ewige Weisheit wohnt. Die rechte Hand hat er zum Segen erhoben und möchte damit der gesamten Schöpfung und allen Menschen Gutes sagen und Gutes tun. In diesem Segen liegt die Überwindung der Angst und die Überwindung des Todes, die Befreiung zum Leben und zum ewigen Leben. Die segnende Hand Jesu wird immer hingebend und einladend geöffnet bleiben – bis zum Tod am Kreuz und darüber hinaus, bis alle Menschen und die gesamte Schöpfung Erlösung erfahren haben. Die Hand Jesu, die die Welt trägt, und sein Blick möchten aufrichten und Liebe schenken. Der Vater liebt den Sohn und alles hat er in seine Hand gegeben (Joh 3,35).
Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Lebendiger und Unsterblicher, geboren von der Jungfrau, erbarme dich unser!
Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Lebendiger und Unsterblicher, gekreuzigt an unserer statt, erbarme dich unser!
Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Lebendiger und Unsterblicher, auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel, erbarme dich unser!
[1] Peter Dyckhoff: Gottesmutter mit drei Händen, geb., 12 x 19 cm, 112 S., mit Lesebändchen, ISBN 978-3-9454010-4-0, Euro 13,95 (D), Euro 14,40 (A) – Preis der Ikone: Euro 34,90 – Preisvorteil: Buch und Ikone zusammen für Euro 44,90. Bestelladresse: Media Maria Verlag & Versandbuchhandlung, Postfach 4040, 89254 Illertissen, Tel. 07303-952331-0, Fax 07303-952331-5, E-Mail: buch@media-maria.de
Benedikt XVI. über Johannes von Damaskus
Es geht nicht nur um Bilderverehrung
Die Betrachtung der Ikone Mariens mit den drei Händen wird auf eindrucksvolle Weise durch eine Katechese Papst Benedikts XVI. über den Kirchenvater Johannes von Damaskus weitergeführt. 1890, also vor 125 Jahren, hatte ihn Papst Leo XIII. zum Kirchenlehrer ernannt. Benedikt XVI. stellte bei der Generalaudienz am 6. Mai 2009 die bleibende Bedeutung seiner theologischen Aussagen heraus.
Von Benedikt XVI.
Augenzeuge des Übergangs zur Kultur des Islams
Johannes von Damaskus ist in der byzantinischen Theologie von größter Bedeutung, zugleich ein großer Gelehrter in der Geschichte der ganzen Kirche. Er ist vor allem ein Augenzeuge des Übergangs von der griechischen und syrischen Kultur der Christen im Ostteil des Byzantinischen Reichs zur Kultur des Islam, der sich mit seinen militärischen Eroberungen in dem Gebiet, das üblicherweise als Mittlerer oder Naher Osten bekannt ist, Raum schaffte. Johannes, der in einer reichen christlichen Familie geboren wurde, übernahm als junger Mann das Amt – das möglicherweise bereits sein Vater vorher innehatte – dessen, der im Kalifat für die Wirtschaft verantwortlich war. Da er unzufrieden mit dem Leben am Hof war, reifte in ihm jedoch bald die Entscheidung zum Mönchsleben und er trat in das Kloster Mar Saba bei Jerusalem ein. Das geschah in etwa um das Jahr 700. Er entfernte sich nie vom Kloster und widmete sich mit all seiner Kraft der Askese und der literarischen Tätigkeit, wobei er eine gewisse pastorale Tätigkeit nicht ablehnte, was vor allem seine zahlreichen „Homilien“ bezeugen. Sein liturgisches Gedächtnis wird am 4. Dezember gefeiert. Papst Leo XIII. hat ihn 1890 zum Kirchenlehrer ernannt.
Inkarnation als Grundlage für die Bilderverehrung
Im Osten erinnert man sich vor allem an seine drei „Reden gegen die Verleumder der heiligen Bilder“, die nach seinem Tod beim ikonoklastischen Konzil von Hiereia (754) verurteilt wurden. Diese Reden wurden jedoch auch der Hauptgrund für seine Rehabilitation und für seine Kanonisation seitens der orthodoxen Väter, die zum Zweiten Konzil von Nizäa (787), dem siebten Ökumenischen Konzil, zusammengekommen waren. In diesen Texten lassen sich die ersten wichtigen theologischen Versuche erkennen, die Verehrung der heiligen Bilder zuzulassen, indem sie mit dem Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes im Leib der Jungfrau Maria verbunden wurde.
Unterscheidung zwischen Anbetung und Verehrung
Johannes von Damaskus gehörte außerdem zu den ersten, die sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Kult der Christen zwischen Anbetung (latreia) und Verehrung (proskynesis) unterschieden: ersteres kann sich nur auf Gott beziehen und ist etwas höchst geistliches, zweiteres hingegen kann ein Bild zur Hilfe nehmen, um sich an denjenigen zu wenden, der auf dem Bild dargestellt wird. Natürlich darf der Heilige in keinem Fall mit dem materiellen Bild identifiziert werden. Diese Unterscheidung erwies sich sogleich als äußerst wichtig, um denjenigen auf christliche Weise zu antworten, welche verlangten, dass die Beachtung des strengen Verbots der kultischen Verwendung von Bildern aus dem Alten Testament als allgemeingültig und unabänderlich angesehen werden musste. Das war auch in der islamischen Welt eine große Debatte, die der jüdischen Tradition des völligen Ausschlusses von Bildern aus dem Kult beigestimmt hat.
Hochschätzung der Materie als Mittel des Heils
Die Christen haben hingegen in diesem Zusammenhang über die Frage diskutiert und eine Rechtfertigung für die Verehrung der Bilder gefunden. Johannes von Damaskus schreibt: „In alter Zeit wurde Gott, der keinen Körper und keine Gestalt besitzt, bildlich überhaupt nicht dargestellt. Jetzt aber, da Gott im Fleische sichtbar wurde und mit den Menschen umging, kann ich das an Gott sichtbare Bild darstellen. Ich bete nicht die Materie an, sondern ich bete den Schöpfer der Materie an, der um meinetwillen selbst Materie wurde und es auf sich nahm, in der Materie zu leben, der mittels der Materie meine Rettung ins Werk setzte. Ich werde daher nicht aufhören, die Materie zu verehren, durch die meine Rettung bewirkt ist. Doch ich verehre sie keinesfalls als Gott! Denn wie könnte das Gott sein, was aus dem Nichtseienden sein Dasein erhielt? … Die übrige Materie aber verehre und achte ich, durch die meine Rettung zustande kam, da sie von göttlicher Wirkkraft und Gnade erfüllt ist. Das Kreuzesholz, das überglückliche und überselige, ist es vielleicht nicht Materie? … Und die Tinte und das heilige Buch der Evangelien, sind sie nicht Materie? Der rettende Altar, von dem aus das Brot des Lebens ausgeteilt wird, ist er nicht Materie? …Und ist nicht vor all dem anderen der Leib und das Blut meines Herrn Materie? Du musst also den Kult und die Verehrung all dieser Dinge abschaffen oder der kirchlichen Überlieferung auch die Verehrung der Bilder Gottes und der Freunde Gottes lassen, die durch den Namen, den sie tragen, geheiligt sind, sodass aus diesem Grund die Gnade des Heiligen Geistes in ihnen wohnt. Mach also die Materie nicht schlecht: sie ist nicht verachtenswert, denn nichts, was von Gott kommt, ist verachtenswert“ (Contra imaginum calumniatores, I, 16).
Materielle Dinge als Vermittler der Gnade
Wir sehen, dass die Materie aufgrund der Fleischwerdung gewissermaßen vergöttlicht erscheint, dass sie als Wohnstatt Gottes angesehen wird. Es handelt sich um eine neue Sicht der Welt und der materiellen Wirklichkeit. Gott ist Fleisch geworden und das Fleisch ist wirklich Wohnstatt Gottes geworden, dessen Herrlichkeit im menschlichen Antlitz Christi erstrahlt. Die Aussagen des östlichen Kirchenlehrers sind daher auch heute noch von höchster Aktualität, angesichts der äußerst großen Würde, die der Materie in der Menschwerdung zuteil wurde, so dass sie im Glauben Zeichen und wirksames Sakrament des Begegnung des Menschen mit Gott werden konnte. Johannes von Damaskus bleibt also ein besonderer Zeuge der Bilderverehrung, die schließlich – bis heute – zu einem besonders wichtigen Aspekt der östlichen Theologie und Spiritualität wird. Es ist jedoch eine Form des Kults, die einfach zum christlichen Glauben gehört, zum Glauben an jenen Gott, der Fleisch geworden ist und sich sichtbar gemacht hat. Die Lehre des heiligen Johannes von Damaskus fügt sich so in die Tradition der universalen Kirche ein, deren sakramentale Lehre vorsieht, dass der Natur entstammende materielle Dinge kraft der Anrufung (epiclesis) des Heiligen Geistes und begleitet vom Bekenntnis des wahren Glaubens, Vermittler der Gnade werden können.
Verehrung der Reliquien von Heiligen
In den Zusammenhang mit diesen Grundgedanken stellt Johannes von Damaskus auch die Verehrung der Heiligenreliquien – basierend auf der Überzeugung, dass die christlichen Heiligen, da sie an der Auferstehung Christi teilhaben, nicht einfach als „Tote“ angesehen werden können. Bei einer Aufzählung derjenigen etwa, deren Reliquien oder Bilder der Verehrung würdig sind, präzisiert Johannes in seiner dritten Rede zur Verteidigung der Bilder: „Vor allem (verehren wir) diejenigen, unter denen Gott geruht hat, der allein Heilige, der bei den Heiligen ruht (vgl. Jes 57,15), wie die heilige Mutter Gottes und alle Heiligen. Es sind diejenigen, die, soweit es möglich ist, durch ihren Willen und weil Gott in ihnen wohnt und ihnen hilft, Gott ähnlich geworden sind. Sie werden wirklich Götter genannt (vgl. Ps 82, 6). Ähnlich wie das glühende Eisen, das nicht das Feuer selbst ist, aber doch zum Teil seine Eigenschaften übernommen hat, sind die Heiligen vom göttlichen Leben durchdrungen. So sagt er: ,Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig‘ (Lev 19, 2)“ (III, 33, col. 1352A). Nach einer Reihe von Hinweisen dieser Art konnte der Damaszener daher ruhig folgern: „Gott, der gut ist und über jede Güte erhaben, hat sich nicht mit der Betrachtung seiner selbst begnügt, sondern er wollte, dass es Wesen gebe, die – von ihm beschenkt – an seiner Güte teilhaben könnten: Daher hat er aus dem Nichts alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge geschaffen, einschließlich des Menschen, sichtbarer und unsichtbarer Wirklichkeit. Er hat ihn geschaffen, indem er ihn als ein Wesen gedacht und verwirklicht hat, das denken kann (ennoema ergon), der Sprache mächtig (logo[i] sympleroumenon) und auf den Geist ausgerichtet ist (pneumati teleioumenon)“ (II, 2, PG 94, col. 865A).
Staunen über alle Werke der Vorsehung
Und um seinen Gedanken weiter zu verdeutlichen, fügt Johannes hinzu: „Man muss sich von Staunen erfüllen lassen (thaumazein) über alle Werke der Vorsehung (tes pronoias erga), sie alle loben und sie alle annehmen und die Versuchung überwinden, in ihnen Aspekte auszumachen, die vielen unrecht oder ungerecht (adika) erscheinen, und stattdessen zuzugeben, dass der Plan Gottes (pronoia) über die Erkenntnis- und Verstehensfähigkeit (agnoston kai akatalepton) des Menschen hinausgeht, während Er im Gegenteil unsere Gedanken, unsere Handlungen und sogar unsere Zukunft kennt“ (II, 29, PG 94, col. 964C). Schon Platon hat übrigens gesagt, dass die gesamte Philosophie mit dem Staunen beginnt. Auch unser Glaube beginnt mit dem Staunen über die Schöpfung, über die Schönheit Gottes, die sichtbar wird.
Optimistische Sicht der Schöpfung
Die optimistische Sicht der natürlichen Kontemplation (physike theoria), dieses Sehens des Guten, Schönen, Wahren in der sichtbaren Schöpfung, dieser christliche Optimismus ist kein argloser Optimismus: Er berücksichtigt die Wunde, die der menschlichen Natur durch eine von Gott gewollte und vom Menschen auf falsche Weise benutzte Entscheidungsfreiheit zugefügt wurde, mit allen Folgen der Disharmonie, die sich daraus ergeben haben. Von daher die Notwendigkeit, die der Theologe aus Damaskus klar erkannt hat, dass die Natur – in der sich die Güte und die Schönheit Gottes spiegeln, die durch unsere Schuld verletzt werden – durch das Herabsteigen des Sohnes Gottes in das Fleisch „gestärkt und erneuert werde“, nachdem Gott selbst auf unterschiedliche Weise und zu verschiedenen Anlässen versucht hatte zu zeigen, dass er den Menschen geschaffen hatte, damit er nicht allein im „Sein“, sondern im „Gut-Sein“ sei (vgl. Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, II, 1, PG 94, col. 981).
Das große Meer der Liebe Gottes zum Menschen
Mit leidenschaftlicher Begeisterung erklärt Johannes: „Zudem galt es, die Natur zu stärken und zu erneuern und den Weg der Tugend durch die Tat zu weisen und zu lehren (didachthenai aretes hodon), der vom Verderben weg- und zum ewigen Leben hinführt. Da endlich zeigt er das große Meer der Liebe, die er zu ihm [= dem Menschen] hat (philanthropias pelagos).“ Das ist ein schöner Ausdruck. Wir sehen auf der einen Seite die Schönheit der Schöpfung und auf der anderen die Zerstörung, die durch die menschliche Schuld erfolgt. Doch wir sehen im Sohn Gottes, der hinabsteigt, um die Natur zu erneuern, das Meer der Liebe Gottes zum Menschen. Johannes von Damaskus fährt fort: „Denn der Schöpfer und Herr selbst übernimmt für sein Gebilde den Kampf und wird Lehrer durch die Tat. … Denn der Sohn Gottes, … der in göttlicher Gestalt existierte, der neigt nach dem Wohlgefallen Gottes des Vaters die Himmel und steigt herab … zu seinen Knechten … Er vollbringt das Neueste von allem Neuen, das allein Neue unter der Sonne, wodurch sich die unendliche Macht Gottes offenbart“ (III, 1. PG 94, coll. 981C-984B).
Wir können uns den Trost und die Freude vorstellen, die diese an so faszinierenden Bildern reichen Worte in den Herzen der Gläubigen verbreitet haben. Auch wir hören sie, heute, mit denselben Gefühlen der Christen von damals: Gott will in uns ruhen, er will die Natur auch durch unsere Umkehr erneuern, er will uns an seiner Gottheit teilhaben lassen. Möge der Herr uns helfen, diese Worte zur Grundlage unseres Lebens zu machen.
Nicht aus politischen Überlegungen, sondern aus christlicher Verantwortung heraus ruft Pfarrer Erich Maria Fink dazu auf, Russland nicht als Gefahr zu betrachten und in die Isolierung zu drängen, sondern zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zurückzukehren. Als Beitrag schlägt er einen Brückenschlag zur Russisch-Orthodoxen Kirche im Zeichen der Gottesmutter vor.
Von Erich Maria Fink
Gefahr einer verhängnisvollen Weichenstellung
Der Ukraine-Konflikt hat zu einem schwerwiegenden Zerwürfnis zwischen der Europäischen Union und Russland geführt. Als Christen dürfen wir dieser Entwicklung nicht gleichgültig gegenüberstehen. Denn wir müssen uns im Klaren darüber sein, welches Potential die christliche Kultur innerhalb der gesamten Völkerfamilie verliert, wenn sich Russland dem christlichen Westen entfremdet. Angesicht der zunehmenden internationalen Isolierung aber bleibt dem Land gar nichts anderes übrig, als sich vorrangig Indien und China zuzuwenden. Und dieser Prozess ist bereits im Gang.
Eine zunehmende wirtschaftliche Verflechtung aber würde bedeuten, dass sich Russland mit einer Kultur des Hinduismus, mit chinesischen Weltanschauungen und einem bis ins Mark hinein materialistischen Kommunismus verbindet. Gleichzeitig gingen die christlichen Kräfte, die in der russischen Seele und in der Russisch-Orthodoxen Kirche verborgen sind, für das europäische Christentum mehr und mehr verloren. Welche verhängnisvolle historische Weichenstellung!
Wir sollten aufwachen und erkennen, dass wir einander brauchen. Gerade angesichts der weltweiten Herausforderungen wie der des aggressiven Säkularismus und der des politischen Islam, sollte das Christentum die Notwendigkeit eines kulturellen Zusammenwachsens des noch christlichen Westens Europas mit Russland begreifen, bevor es zu spät ist.
Der christliche Auftrag zur Versöhnung
Der hl. Johannes Paul II. hatte dieses Gebot der Stunde sehr deutlich gesehen. Sein Bild von den beiden Lungenflügeln, dem slawisch geprägten christlichen Kulturkreis im Osten und dem romanisch-germanischen Kulturkreis im Westen, welche im Gleichklang miteinander atmen sollten, ist nicht nur eine schöne religiöse Idee für ökumenische Begegnungen, sondern eine heilige Verpflichtung zu konkreten politischen Bemühungen um Frieden und neuer Annäherung. Es ist sehr bedauerlich, dass die christlichen Kirchen in der Ukraine nicht die Kraft besitzen, über den politischen Machtkämpfen zu stehen und sich für Versöhnung einzusetzen. Gewiss sind die Wunden aus der Vergangenheit so tief, dass sie ein übermenschliches Maß an Vergebungsbereitschaft verlangen, um beispielsweise die Erinnerung an die grausamen Verfolgungen der griechisch-katholischen Kirche unter Stalin überwinden zu können und gegen jede Form von nationalistischen Versuchungen gefeit zu sein. Doch genau ein solches, der Gnade Gottes entspringendes Zeugnis wäre jetzt gefordert. Welches Glück, dass Papst Franziskus den Forderungen der ukrainischen Bischöfe nicht nachgekommen ist, Russland als eigentlichen und einzigen Aggressor zu bezeichnen. Vielmehr nützte er deren jüngsten Ad-limina-Besuch in Rom, um ihnen eine deutliche Mahnung zu erteilen: Es sei nicht ihre Aufgabe, politische Kommentare abzugeben, vielmehr sollten sie sich aus der Tagespolitik heraushalten. Dies hat besonders die Russisch-Orthodoxe Kirche sehr lobend zur Kenntnis genommen, zumal sich ein großer Teil der Pfarreien des Moskauer Patriarchats auf ukrainischem Gebiet befindet.
Zuflucht zur Gottesmutter als Königin des Friedens
Ich bin der Überzeugung, dass die Kirche im jetzigen Augenblick zur Gottesmutter ihre Zuflucht nehmen sollte. Es ist nicht unbedingt die Zeit zu diskutieren, ob die in Fatima gewünschte Weihe Russlands an das Unbefleckte Herz Mariens wirklich durchgeführt wurde, oder ob die bereits vollzogenen Weiheakte noch nicht genügen. Meiner Ansicht nach sollte die katholische Kirche auf die Russisch-Orthodoxe Kirche zugehen und sie einladen, auf höchster Ebene durch ein gemeinsames Gebet vor der Weltöffentlichkeit Europa der Gottesmutter, der Königin des Friedens, anzuvertrauen. Dabei sollten die beiden Kirchen völlig gleichberechtigt miteinander auftreten und ihre gemeinsame Verantwortung für Europa zum Ausdruck bringen. Dies wäre auch ein Weg, um sich über theologische Differenzen hinweg anzunähern. Die Gnade Gottes könnte die Bekehrung Russlands vorbereiten, wie sie Johannes Paul II. verstanden hat. Nach ihm wäre sie erst in der Wiederherstellung der sichtbaren Einheit des Moskauer Patriarchats mit dem Papst wirklich erfüllt.
Das „Jawort“ Marias als höchstes Vorbild für christliches Leben
Die Fruchtbarkeit des Loslassens
Prof. Dr. Anton Štrukelj greift eine Ansprache auf, in der Papst Franziskus die Haltung Marias als Vorbild und Wegweisung für alle Christen aufgezeigt hat. Ausgehend von diesem Impuls entfaltet er die Rolle Marias in der Kirche, wie sie in den Werken des Theologen Hans Urs von Balthasar zu finden ist. Dabei kommt er zu überraschenden Ergebnissen und stellt als Schlüssel die vollkommene Verfügbarkeit Marias Gott gegenüber heraus.
Von Anton Štrukelj
Das gesamte Leben Marias entfaltet sich aus ihrer vorbehaltlosen Bereitschaft, Gottes Willen zu tun. Ebenso ist ihr bedingungsloses „Jawort“ der Ausgangspunkt für das richtige Verständnis der Kirche. In der ursprünglichen Zustimmung, die Maria bei der Verkündigung ausgesprochen hat und der sie ihr ganzes Leben treu geblieben ist, bis hin zu ihrer endgültigen Einwilligung unter dem Kreuz, ist schon im Voraus der innere Kern der Kirche verwirklicht.
Papst Franziskus hat in seiner Homilie am 31. Mai 2013 die Grundhaltung Marias mit drei Worten beschrieben: „Drei Worte fassen die Haltung Marias zusammen: das Hören, die Entscheidung und die Handlung. Diese Worte zeigen auch für uns den Weg dessen, was der Herr von uns im Leben erwartet."[1]
Verzicht auf Ungebundenheit macht fruchtbar
Bereits auf der ersten Seite ihres Meisterwerks, des Marienbuchs Magd des Herrn, sagt Adrienne von Speyr: „Wie eine Garbe in der Mitte zusammengerafft wird und sich an ihren Enden entfaltet, so wird das Leben Marias in ihrem Jawort zusammengefasst; von ihm aus erhält es seinen Sinn und seine Gestalt und entfaltet sich nach rückwärts und nach vorwärts. Das einmalig Zusammenfassende ist zugleich das, was sie jeden Augenblick ihres Daseins begleitet, was jede Wendung ihres Lebens bedeutet, jeder Lage ihren besonderen Sinn verleiht und ihr selber immer neu in allen Situationen die Gnade des Verstehens schenkt. Jedem Atemzug, jeder Bewegung, jedem Gebet der Mutter des Herrn gibt ihr Jawort den Vollsinn. Denn dies ist die Natur eines Jaworts: es bindet den, der es ausspricht, und lässt ihm dabei doch volle Freiheit in der Gestaltung. Er füllt sein Jawort mit seiner Persönlichkeit, er gibt ihm deren Gewicht und einmalige Färbung, aber er wird auch selber durch sein Jawort geformt, befreit, verwirklicht. Alle Freiheit entfaltet sich durch Hingabe und durch Verzicht auf Ungebundenheit. Und von dieser Freiheit in der Bindung geht jede Art der Fruchtbarkeit aus."[2]
Lassen-Können ist das Prinzip aller Leistung
Im menschlichen Leben spielt das „Loslassen“ eine entscheidende Rolle. Der Mensch muss sich selbst hingeben, auf die eigene Wichtigkeit verzichten, um etwas Dauerhaftes zu gestalten. Die Philosophie nennt dieses Prinzip „Gelassenheit“. Hans Urs von Balthasar sagt dazu: „Jeder, der im Leben etwas Endgültiges will, sei es eine Liebe oder eine Leistung, muss sich hingeben. Er muss, was er erkaufen will, mit sich selber bezahlen. Auch und gerade wenn er sich so machtvoll wie möglich ausdrücken will, er muss sich selber um seines Ausdruckes willen lassen. … Das Lassen-Können ist das Prinzip aller Leistung und alles liebenden Besitzes. Das Werk soll sein, mag ich daran zugrunde gehen! Du sollst sein, auch wenn es mir das Leben kostet! Große Kunst wurde nicht anders erkauft… Wir möchten behaupten, dass diese schönste und fruchtbarste menschliche Haltung schließlich doch gemeint war in dem, was das deutsche mystische Mittelalter mit dem Wort Gelassenheit anpries und als die wichtigste Kunst im Leben bezeichnete."[3]
Bräutliches Leben lässt über sich verfügen
Das Leben Marias ist deshalb so fruchtbar, weil sie es Gott vollkommen zur Verfügung gestellt hat. Ihr Leben ist das höchste Vorbild für das Handeln des Menschen vor Gott. Über Maria und ihre Rolle in der Kirche sagt Hans Urs von Balthasar: „Das Marienleben muss als Prototyp dessen gelten, was die Ars Dei aus einem menschlichen Stoff zu gestalten vermag, der sich ihm nicht widersetzt. Es ist weibliches Leben, das ohnehin mehr als männliche Gestaltung vom Mann, vom Bräutigam, von Christus und von Gott her erwartet. Es ist jungfräuliches Leben, das kein Gestaltungsgesetz kennen will außer Gott und der Frucht, die Gott ihm zu tragen, zu gebären, zu nähren und aufzuziehen gibt. Es ist mütterliches und bräutliches Leben zugleich, dessen Hingabekraft vom Physischen bis zum höchsten Geistigen reicht. In alledem ist es schlicht verfügenlassendes Leben. Aus ihm hat Christus die Gestalt gemeißelt, die er brauchte: schonungslos sich bedienend und bis zum letzten und unbegreiflichsten verwendend und verschwendend, und dann doch in höchster Rücksichtnahme ehrend, verherrlichend. Die Situationen dieses Lebens sind unnachahmlich, unvergesslich, sowohl einmalig wie allgültig und allbedeutsam."[4]
Die wesentliche Haltung Marias besteht im Hören des Wortes und in ihrem Gehorsam Gott gegenüber. Indem Maria ihr Jawort spricht, nimmt das ewige Wort Wohnung in ihrem Schoss: „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Maria wird zur lebendigen Wohnstätte des ewigen Wortes: „Sie horcht aus Leibeskräften auf das immer größer, immer göttlicher und scheinbar fremder tönende Wort, dessen Dimensionen sie beinah zerreißen und dem sie doch im Voraus und von vornherein für alles ihr Jawort geschenkt hat."[5]
In der Zustimmung Marias wird am deutlichsten sichtbar, welch ungeahnt weite Dimensionen die christliche Hingabe des Menschen an Gott haben kann. Das Jawort führt immer weiter, als man es sich vorstellen kann: „Es führt weiter, als du denkst."[6] Wer zu Gott unbedingt Ja sagt, hat keine Ahnung, wie weit ihn dieses Jawort führen wird; sicher weiter als er vermuten und abschätzen kann, sicher auch in eine Teilnahme an Misserfolg und Verspottung, an Kreuz und Gottverlassenheit. Gleichzeitig ist dieses Jawort die unabdingbare Voraussetzung alles christlichen Verstehens, aller Theologie und kirchlichen Weisheit; ohne das Ja wächst kein Verständnis für jenen Herrn, in dem „sämtliche Verheißungen Gottes ihr Ja gefunden haben“ (2 Kor 1,20).
Zustimmung zum Willen Gottes befreit
Daraus wird ersichtlich, dass der marianische und katholische Grundakt jenseits des Begreifbaren liegt. Denn unser Ja gründet im unbedingten und vorwegnehmenden Jawort Gottes. Wenn der Mensch sich Gott übergibt, kümmert er sich nicht mehr um sich selbst, er denkt nicht daran, was die Zukunft ihm bringen wird, denn er hat schon alles Gott überlassen. Er hat alle Sorgen auf den geworfen, der für ihn sorgt. Eine solche Hingabe befreit den Menschen. Der Mensch wird frei, wenn er Gott erlaubt, über ihn zu verfügen. So liegt „der marianische oder katholische Grundakt in seiner Ursprünglichkeit jenseits von Kontemplation und Aktion. Das ,Ja‘, das die Kirche und alle christliche Existenz in ihr grundlegt, ist sowohl Gebet zu Gott wie Mitvollzug des Einsatzes Gottes für den Menschen. Gebet in der Kirche müsste dahin streben, Ausformung dieses Ja zu sein: als Anbetung, als Dank, als Bitte, die sich innerhalb des Gnadenwillens Gottes bewegt und ihn konkretisiert, und gleichzeitig als mitgehendes Einverständnis mit allem, was Gott in der Welt tut, Bereitschaft, in seinem Werk verwendet und verbraucht zu werden."[7]
Maria stimmt von der Verkündigung bis zur Kreuzigung mit allem überein, was Gott von ihr will. Ihr Jawort kennt keine Einschränkung. So handelt die Frau, die zur Mutter des menschgewordenen Gottes auserwählt ist. Maria ist Mutter Christi und der Kirche, Mutter des Hauptes und der Glieder.
Maria ist das unüberbietbare Vorbild der Kirche
Es ist typisch, dass Balthasar von der „marianischen Prägung der Kirche“ spricht. Maria ist nicht nur Modell und Typos der Kirche, sondern ihr Urbild, das heißt, die vollkommen und unüberbietbar verwirklichte Idee der Kirche.
Nach den Kirchenvätern ist Maria die zweite Eva, die mit ihrem Gehorsam gutmacht, was die erste mit ihrem Ungehorsam verdorben hat (Irenäus). Maria ist wahre Gehilfin beim Werk Christi und gleichzeitig das Gefäß der Kirche (Ambrosius). Die Kirchenväter betonen mit Vorliebe, dass Maria dies alles deswegen ist, weil sie Jungfrau und Mutter zugleich ist.
Maria verwirklicht die vollkommenste Idee von der Kirche. Das ideale Bild der Kirche ist schon immer real in Maria. Sie ist in ihrem Gehorsam Gott gegenüber keine private Person, sondern Urbild der gesamten Kirche (personam Ecclesiae gerens). Die Kirche ist da schon vor jedem einzelnen Christen und ist viel mehr als alle Glieder zusammen. Das Wesen der „Catholica“ besteht in diesem „voraus“ und „mehr“. Die genannten Eigenschaften der Kirche sind konkretisiert in der Person der gehorsamen Magd des Herrn. Somit ist jede Einwilligung der einzelnen Gläubigen schon im allumfassenden Jawort der Mutter eingeschlossen. Nur innerhalb dieses tragenden Raumes wird die allgemeine Berufung aller zur Heiligkeit möglich.[8]
Jeder Getaufte muss sich die Gestalt der dienenden Magd des Herrn „einprägen“ lassen,[9] und demzufolge muss jede christliche Spiritualität immer auch eine zutiefst „marianische Spiritualität“ sein.[10] Die „urbildliche Identität“ zwischen Maria und Kirche muss neu entdeckt und gelebt werden.
Im Sinne der Mutterschaft Marias „gälte es dann, die Gestalt der Kirche im ganzen und gerade auch das Amtliche an ihr so umzuprägen, dass sie als ganze Mütterlichkeit ausstrahlt (was gewiss nicht Laxheit besagt), jene Weiblichkeit, die sich nicht selber ins Licht setzt, sondern durch ihr dienendes und echt häusliches Walten dem Herrn in den Herzen, in der menschlichen Gesellschaft als ganzer eine Stelle bereitet, wo er sein Haupt hinlegen kann.
An einem solchen erneuerten Bild der Kirche sind alle Gläubigen mitzuarbeiten verpflichtet. Bloße Forderung marianischer Frömmigkeit und Andachten genügt hierzu nicht. Das marianische Wesen, das objektiv immer schon die Kirche in ihren besten Gliedern durchprägt, muss auch von der ,Kirche der Sünder‘, die wir bilden, als das Urbild des Dienstes an Christus und an seinem Weltwerk nach Möglichkeit ausgeprägt werden, in der Hoffnung, dass der Geist, der die Jungfrau überschattet hat, auch unserer Schwachheit aufhilft."[11]
[1] Papa Francesco: Pensieri dal cuore, Edizioni San Paolo, Milano 2013, 70. [2] Adrienne von Speyr: Magd des Herrn. Ein Marienbuch, Johannes Verlag Einsiedeln 31988, 7. [3] Hans Urs von Balthasar: Leben aus dem Tod. Betrachtungen zum Ostergeheimnis, Johannes Verlag Einsiedeln, Neuausgabe 31997, 22f., 25 (die folgenden Werke von Hans Urs von Balthasar sind im Johannes Verlag Einsiedeln erschienen). [4] Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Bd. 1: Schau der Gestalt, 31988, 542. [5] Das betrachtende Gebet, 52003, 24. [6] Wer ist ein Christ?, 51993, 72-76. [7] Das Katholische an der Kirche, in: Joseph Kardinal Ratzinger/ Hans Urs von Balthasar: Maria – Kirche im Ursprung, 41997,149. [8] Das betrachtende Gebet, 73-86. [9] Schleifung der Bastionen, 78. [10] Verbum Caro, 227. [11] Die marianische Prägung der Kirche, 129f; vgl. Der antirömische Affekt, 153-187, Theodramatik, Bd. II/2, 291f.
Die vier Marianischen Dogmen (2)
Maria Immerjungfrau
In der Artikelreihe über die vier Marianischen Dogmen der katholischen Kirche (vgl. Nr. 1/2015) stellt Anna Roth in einem zweiten Beitrag die Lehre von der „immerwährenden Jungfräulichkeit“ Marias vor. Darin ist nicht nur die Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist ausgedrückt, sondern auch das Wunder, dass Jesus bei der Geburt in ähnlicher Weise zur Welt kam, wie er nach seiner Auferstehung durch verschlossene Türen in die Mitte der Apostel trat. Für Anna Roth stehen bei der Deutung des Dogmas der Beweis für die Gottheit Christi und der Hinweis auf die Erlösung als Neuschöpfung im Vordergrund.
Von Anna Roth
Maria virginitas ante partum – Maria virginitas in partu – Maria virginitas post partum. Unter dieser Textaussage ist zu verstehen, dass Maria vor, während und nach der Geburt Jesu Jungfrau war und blieb. Dieses Wunder steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Menschwerdung Jesu Christi aus Maria, welche die innerweltlichen Gesetzmäßigkeiten von Zeugung und Geburt übersteigt. Es ist dem Wirken des Heiligen Geistes zu verdanken.[1]
Auch die Kirche hat in ihren ersten Aussagen des Glaubens fest bekräftigt, „dass Jesus einzig durch die Kraft des Heiligen Geistes im Schoß der Jungfrau Maria empfangen wurde.[2] Der genaue Text lautet wie folgt: „Wer nicht gemäß den heiligen Vätern im eigentlichen Sinne und der Wahrheit entsprechend die heilige, allzeit jungfräuliche und unbefleckte Maria als Gottesgebärerin bekennt, da sie ja eigentlich und wahrhaftig Gott, das Wort, selbst, der vor allen Zeiten von Gott, dem Vater, geboren wurde, am Ende der Zeiten ohne Samen aus Heiligem Geist empfangen und unverletzlich geboren hat, wobei ihre Jungfrauschaft auch nach seiner Geburt unzerstörbar blieb, der sei verurteilt."[3]
Konkret wird diese Glaubensaussage, wenn die Gemeinde am Sonntag in der Heiligen Messe das große Credo betet. Zunächst bekennen wir dann, „dass unser Herr Jesus Christus Gottes eingeborener Sohn ist, dass er ist Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt – nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, und dass er um unseres Heiles willen vom Himmel herabgekommen ist. Es folgt eine wichtige Bezeugung der geistgewirkten Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria. Dieses Zeugnis ist Grund gelegt in dem dann folgenden Bekenntnis der Gemeinde, dass er Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria und Mensch geworden ist."[4]
Hier bekennen sich also ganz ohne Zweifel die im Gottesdienst anwesenden Gläubigen zur geistgewirkten Empfängnis Marias. Und eine weitere wichtige Aussage ist die, dass Jesus Christus Fleisch angenommen hat, d.h. er ist Mensch geworden, er ist einer geworden von uns, in allem uns gleich, außer der Sünde. Speziell bei dieser Thematik wird offenkundig, dass in den lehramtlichen Aussagen über Maria auch immer Aussagen implizit über Jesus Christus enthalten sind.
Anders ausgedrückt kann man das Dogma der Immer-Jungfrau Maria wie folgt deuten: „Maria ist ihrem Sohn bleibend vorbehalten; die Geburt des Erlösers ist der Anfang der neuen Schöpfung, die die menschliche Natur heiligt und erhebt."[5]
Die im „Immer-Jungfrau-Titel“ involvierte Christozentrik
Wir können also sagen, dass Gott selbst mit der Inkarnation Jesu in Maria einen Anfang gesetzt hat, der eben direkt auf den unbewegten Beweger (so Thomas v. Aquin in seinen Gottesbeweisen), nämlich Gott abzielt. Diese Inkarnation selbst fällt aus den irdischen, weltlichen Gesetzen heraus. Sie fällt aus dem „Aus der Zeit“ – „in die Zeit“, sie fällt aus dem „Ewig“ – in das „Jetzt“. Hier setzt Gott einen „Neuanfang“, eine „Neu-Schöpfung“.[6]
So kann denn auch Courth in seiner Mariologie ausführen, „dass Gott selbst mit der Geburt Jesu Christi einen aus den Gesetzen der Welt und ihrer Geschichte nicht ableitbaren Anfang der neuen Schöpfung gesetzt hat. … Zwischen der jungfräulichen Mutterschaft und der Gottessohnschaft besteht eine unablösbare Zuordnung; sie verweist auf den innergöttlichen Ursprung Jesu."[7]
So kann festgehalten werden, dass der Titel „Immer-Jungfrau“ für Maria konkret bedeutet, dem Herrn ihr ganzes Leben zu schenken, für ihn bereit zu sein. Anders ausgedrückt heißt das, dass ihr Glaubens-Ja nicht nur ein Ja des Willens und des Herzens, sondern auch des Leibes und damit der ganzen Person ist. Sie ist also ganz in die Sache des Herrn verwoben. Ihr Leben ist nicht mehr ihr Leben, ihr Wollen ist nicht mehr ihr Wollen, sondern alles in ihrem Leben, ihr ganzes Sein zielt ab auf ihn, ihren göttlichen Sohn.[8]
Differenzen um den Titel „semper virgo“ bzw. „Immer-Jungfrau“
Die Differenzen um das Dogma wollen wir hier nur kurz in den Blick nehmen. Fakt ist, dass das Bekenntnis zur „jungfräulichen Mutterschaft“ gläubig angenommen wurde, während es um den Begriff „Immerjungfrau“ auch kontroverse Ansichten gab. Besonders bei der Lehre von der „virginitas in partu“, d.h. dass Maria auch während der Geburt Jungfrau geblieben ist, gab es differenzierte Meinungen. Dagegen bezeichnet das Zweite Konzil von Konstantinopel (553) Maria (als) die „heilige glorreiche … Gottesgebärerin und immerwährende … Jungfrau Maria“.[9]
„Die Lateransynode des Jahres 649 unter Papst Martin I. hebt die drei Momente der Jungfräulichkeit Marias hervor, wenn sie von der „heiligen, immer jungfräulichen und makellosen Maria“ lehrt, „sie habe ohne Samen vom Heiligen Geist empfangen, ohne Verletzung (ihrer Jungfräulichkeit) geboren, und ihre Jungfräulichkeit habe auch nach der Geburt unversehrt fortbestanden."[10]
Abschließende Thesen
Nach Scheffczyk sahen die Väter die „Gottesmutterschaft“ und die „Jungfrauschaft“ Marias als eine Einheit an. Dabei steht die Gottesmutterschaft dafür, dass der Erlöser wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Und die Jungfrauschaft deutet auf die göttliche Herkunft und Gottheit des Erlösers hin. Athanasius (+373) bekräftigt, dass die Geburt aus der Jungfrau der sichtbarste Beweis für die Gottheit des Sohnes ist.[11]
Diese Aussage erweitert Ziegenaus noch einmal, indem er darauf hinweist, dass die Jungfrauschaft Marias nicht nur auf die Gottheit des Erlösers, sondern auch auf seine Sohnschaft verweist.[12]
In seiner Betrachtung über den Sinn der Jungfräulichkeit betont Schmaus, dass Christus durch seine Abstammung von einer irdischen Mutter in der Abfolge der Geschlechter steht. Allerdings ist Christus nicht wie die Menschheit an sich voll und ganz in die menschliche Geschichte hinein verwoben, sondern er ist zugleich über diese erhaben. Diese Aussage wird zweifach begründet, einmal durch seine Gottheit und andererseits durch die Art und Weise der geistgewirkten Empfängnis und seine Geburt. Hier zeigt sich ganz deutlich die enge Verknüpfung zwischen der Mariologie und der Christologie.[13]
So werden wir hineingenommen in diese Verwobenheit zwischen Mutter und Sohn.
Abschließend kann festgehalten werden, dass das Dogma von der „Immerjungfrau“ uns noch einmal mehr die Größe, Erhabenheit und die besondere Auserwählung Marias von Gott her aufzeigt.
[1] Vgl. Franz Courth: Maria, die Mutter des Herrn, 1991, 7. [2] KKK 2003, 496. [3] DH 2005, 40. Aufl., 503. [4] Anna Roth: Maria – Ihre Christozentrik, 2008, 21. [5] Vgl. Franz Courth, a.a.O., 7. [6] Anna Roth, a.a.O., 23. [7] Franz Courth, a.a.O., 66. [8] Vgl. ebd., 73. [9] DH 2005, 40. Aufl., 422. [10] Ludwig Ott: Grundriss der Dogmatik, 1959, 245. [11]Vgl. Leo Kardinal Scheffczyk: Maria – Mutter und Gefährtin Christi, 2003, 107. [12] Vgl. Anton Ziegenaus: Katholische Dogmatik, Band 5, 1998, 248. [13] Vgl. Michael Schmaus: Der Glaube der Kirche, V/5: Maria Mutter Christi, 21982, 127f.
Das Zeichen Gottes unter den Menschen
Die gekreuzigte Kirche
Oft werde er auf die „Verfehlungen“ der Kirche angesprochen, so Benediktinerpater Notker Hiegl, doch wie arm seien die Leute, welche alle Vergehen der letzten 2000 Jahre wie am Schnürchen aufzählen könnten, die „göttliche Seite“ der Kirche aber ganz übersähen. Er liebe die Kirche trotz ihrer zahlreichen menschlichen Fehlleistungen; denn sie sei der durch die Geschichte hindurch weiterlebende Christus selbst, er das Haupt, wir die Glieder. Wie er verhöhnt und gekreuzigt worden sei, so müsse auch die Kirche den Weg der Ablehnung und Verfolgung durchleiden. Doch mit ihm sei sie auch zur Teilnahme an der Herrlichkeit des Vaters berufen.
Von P. Notker Hiegl OSB
Christus ist der Anfang und das Ende der Kirchengeschichte; mit seiner Menschwerdung in Bethlehem beginnt sie und mit seiner Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit wird sie enden. Als Gottmensch ist Jesus Christus unser Heil, er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Durch ihn haben wir im Heiligen Geist Zugang zum Vater und zu seinem Ewigen Reich.
Christus ist kein Märchen und kein Mythos, sondern eine geschichtliche Wirklichkeit. Er wurde unter Kaiser Augustus geboren und hat sich unter Pontius Pilatus für uns ans Kreuz schlagen lassen. Als Auferstandener ist er im verklärten Leib zum Vater heimgekehrt und als solcher setzt er sein Erlösungswerk für alle Zeiten und alle Völker geheimnisvoll fort. Das geschieht in der Kirche.
Als der Herr die Botschaft vom Gottesreich verkündete, da sammelte er Apostel um sich und gab ihnen den Auftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20).
Am Pfingstfest entstand die Kirche als neue Gottesschöpfung. Der Gottesgeist ergriff die 120 Personen, welche um Jesu Mutter Maria versammelt waren und verband sie mit Christus und untereinander wie die Glieder eines Leibes. Das Haupt dieses Leibes ist Christus. Glieder sind alle Getauften. Als Leib Christi hat die Kirche Anteil am gottmenschlichen Geheimnis des Herrn, ja sie ist der sichtbar in Raum und Zeit erscheinende Christus. Wie ein Samenkorn entfaltet sie sich. Und wie der Gottmensch sich „entäußerte“, so erniedrigt er sich noch geheimnisvoller in seinem Leib, der Kirche.
Die Kirche trägt die Zeichen menschlicher Größe und Schwäche, der Heiligkeit und der Sünde, erlebt Zeiten der Höhe und der Tiefe. In der Kirche trägt der Herr sein Kreuz weiter durch die Geschichte hinauf nach Kalvaria, dornengekrönt, angespien, unansehnlich, verachtet und verhöhnt, aufs Kreuz kriechend, angenagelt und bloß, aber er schenkt ihr auch die Kraft seiner Auferstehung und den Geist der Heiligkeit. Die Kirche auf Erden kennt keine Vollendung, sie bleibt nach den Texten des Zweiten Vatikanums stets „Pilgerin“, bis der Herr wiederkommt und seine Braut heimholt in die Herrlichkeit des Vaters.
Der Weg der Kirche ist oft rätselhaft bis zu Seiner Wiederkunft; erst dann wird er alle Siegel lösen und das Buch der Kirchengeschichte wird seine Geheimnisse enthüllen. In der Zeit zwischen Anfang und Ende, zwischen Alpha und Omega, pilgern wir, die Kirche, den Blick glaubend und liebend auf den Herrn und Heiland, den Kyrios, gerichtet – mit dem Herzensgebet: „Komm, Herr Jesus, komm!“ (Offb 22,20).
Österreich bereitet Antidiskriminierungsgesetz vor
Schweigen wäre Sünde
Nun wird auch in Österreich ein Antidiskriminierungsgesetz vorbereitet. Der entsprechende Gesetzesentwurf heißt „Levelling Up“ und möchte zunächst alle geschäftlichen Beziehungen regeln. Doch Weihbischof Dr. Andreas Laun sieht einen Gesinnungsterror heraufziehen und warnt eindringlich vor den Folgen einer solchen Entwicklung. Die jüdisch-christliche Botschaft stehe für Freiheit und werde mit dieser neuen Diktatur unvermeidlich mehr und mehr in Konflikt geraten. Schon jetzt müssten wir alle nachdrücklich unsere Meinungs- und Redefreiheit einfordern, um letztendlich den Rechtsstaat zu retten.
Von Weihbischof Andreas Laun
Grundrechte der Freiheit werden bedenkenlos geopfert
Es ist gespenstisch, wie neue moralische Imperative erfunden, in Gesetze transformiert und dann als Waffen eingesetzt werden gegen jene, die der „politischen Korrektheit“ der jeweiligen Zeit nicht entsprechen wollen, nicht im Denken und nicht im Tun! Die neueste Keule in diesem ideologischen Waffenarsenal ist der Schlachtruf „Diskriminierung“, zu deren Bekämpfung man diskussions- und bedenkenlos wichtige Grundrechte der Freiheit opfert. Der „Diskriminierer“ ist für die einen ein besonders schwerer Sünder, in den Augen der heute bestimmenden Gender- und Gleichheitsideologen ein Täter, der entsprechend bestraft und gezwungen werden muss: Freiheiten und Rechte, die er nicht willig hergibt, können und müssen ihm genommen werden! Nicht nur das: Auch seine Gesinnung, sein Denken muss sich ändern, und seine Kinder will der Staat ohnehin so früh als möglich in seine Obhut nehmen und zu willigen „Ich meine wie alle“ machen. Hier ist auch eine „Brücke“ zur verderblichen „Sexualaufklärung“: Es soll doch keine sexuelle Neigung „diskriminiert“ werden, indem man sie den Kindern vorenthält! Diesem Ziel opfert man bedenkenlos die Elternrechte! Man mag da und dort andere Begriffe verwenden, aber unter dem Strich ist es immer dasselbe und führt zu totalitären politischen Systemen mit ihrem Terror im Namen der politisch geforderten „Tugend“ des „Nicht-Diskriminierens“. Früher, unter anderen politischen Vorzeichen, hätte man die „Diskriminierer“ „Volksfeinde“ oder „Verräter“ genannt. Den Begriff Diskriminierung gibt es im allgemeinen Sprachgebrauch erst seit verhältnismäßig wenigen Jahren, er lässt sich aber gut füllen, indem man autoritativ entscheidet, welche Rechte einer bestimmten „Opfergruppe“ zukommen, woraus zwingend folgt: Ihnen diese Rechte vorzuenthalten, ist „Diskriminierung“. Tatbestand kann sogar ein Wort sein oder die von der öffentlichen Meinung abweichende andere Bewertung eines bestimmten Verhaltens.
Die Gesetzesvorlage „Levelling Up“ und ihre Konsequenzen
Der drohende Ruf, wir bräuchten Gesetze gegen „Diskriminierung“ hat nun auch Österreich erreicht. Betroffen sind vorläufig nur geschäftliche Beziehungen. Die Regierung hat vor, alle geschäftlichen Beziehungen unter ein Diskriminierungsverbot zu stellen. Diese Gesetzesvorlage heißt „Levelling Up“. Auf Twitter und Facebook gibt es dazu Aktuelles und Argumente unter dem Stichwort NoLevellingUp. – Zur Veranschaulichung ein erstes Beispiel aus einem europäischen Land, in dem ein im Wesentlichen gleichlautendes Gesetz bereits besteht: Eine Frau vermietet ihr schönes Haus für Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Tagungen und sie lebt von diesem Einkommen. Das Gesetz zwingt sie, ihr Haus auch an homosexuelle Verpartnerungs-Feiern oder die Tagung einer Abtreibungslobby zur Verfügung zu stellen. Das heißt: Sie kann über ihr Eigentum nicht mehr frei verfügen und verliert damit auch ihre Lebensgrundlage, wenn sie ihrem Gewissen folgt! – Erste Entwürfe liegen jetzt auch auf den Tischen der österreichischen Politiker, die angefangen haben zu streiten und zu handeln wie am Marktplatz, am Gewinn der eigenen Macht interessiert, kaum oder überhaupt nicht am Gemeinwohl nach den Vorgaben der Gerechtigkeit und Wahrheit!
Um die Problematik zu verstehen, muss man sich das dahinter stehende moralische Grunddogma von der „Gleichheit für alle“ durch Beispiele anschaulich und in seiner Tragweite verstehbar machen. Dr. Gudrun Kugler hat, wie man in der Tagespost (v. 11. 04.2015) nachlesen kann, Beispiele aus anderen Ländern, in denen solche Gesetze schon bestehen, angeführt, Geschichten, die sich schon ereignet haben und dann auch in Österreich geschehen würden: In England haben Klöster ihre Gasthäuser zugesperrt, weil sie gezwungen gewesen wären, auch an unverheiratete und homosexuelle Paare zu vermieten. Ein katholischer Eventplaner müsste auch für Homosexuelle Verpartnerungs-Feiern organisieren. Ein katholisches Bildungshaus könnte sich nicht weigern, die Tagung einer Abtreibungs-Organisation aufzunehmen. Fraglich wäre ebenso, ob ein Pfarrer gezwungen wäre, den Pfarrsaal für die Planung einer Loveparade oder auch für eine Sitzung von Scientology zur Verfügung zu stellen. Aber auch im nicht-kirchlichen Kontext würde das Gesetz absurde Möglichkeiten schaffen: Jüdische Einrichtungen wären gezwungen, antisemitisch orientierten Gruppen ihre Räume zu überlassen. Überlebende des kommunistischen Terrors müssten ihre Wohnung an ein kommunistisches Paar vermieten. Besonders pikant wäre die Frage, ob ein islamisches Reisebüro Christen nach Mekka mitnehmen müsste? Oder auch: In England mussten auf Grund einer entsprechenden Gesetzeslage katholische Adoptionsvermittlungen schließen, weil sie sich weigerten, Kinder auch an homosexuelle Paare zu vermitteln. – Zum genauen Verständnis gilt für alle Beispiele: Das Gesetz greift, wenn es um bezahlte Leistungen geht. Aber das heißt im Klartext, wie das oben angeführte Beispiel zeigt, auch: Es kann in bestimmten Fällen die Existenzgrundlage von Menschen vernichten, weil es die Handels-Freiheit einschränkt und in bestimmten Fällen vernichtet!
Wir müssen auf Gedanken- und Redefreiheit bestehen
Die Beispiele ließen sich fast ins Endlose vermehren. Man sollte nicht sagen, es werde doch nie so heiß gegessen wie gekocht, denn erstens sollte man Ungenießbares überhaupt nicht auf den Tisch bringen und zweitens hat die Erfahrung der Geschichte gelehrt: Die zwei großen Terror-Regime des 20. Jahrhunderts haben die Menschen gezwungen, noch viel heißer zu „essen“, als sich dies ihre späteren Opfer hätten vorstellen können!
Ein US-Kardinal hat angesichts dieser Entwicklungen, die von der heute international mächtigsten politischen Klasse überall in der Welt vorangetrieben werden, ahnungsvoll gesagt: „Ich werde wohl noch in meinem Bett sterben, mein Nachfolger im Gefängnis, aber der, der dann folgt, wird vielleicht hingerichtet werden.“ Gut möglich, weil die jüdisch-christliche Botschaft für die Freiheit steht und mit allen totalitären Machtansprüchen früher oder später immer in Konflikt, manchmal sogar einen tödlichen Konflikt, geraten muss. Wer noch mehr wissen will: Es gibt schon viel Literatur zu dem Thema, besonders empfehle ich die Publikationen von Gabriele Kuby und das Buch „Die Löwen kommen“ von V. Palko. Wer dann noch sagt „nicht so schlimm“, dem ist wirklich nicht zu helfen. Er gleicht einem Mann mit Leberzirrhose, der weitertrinkt, oder einem mit Lungentumor, der nicht aufhört zu rauchen. Wer aber verstanden hat, worum es geht, Christ oder nicht Christ, möge sich das Wort von Th. Haecker zu Herzen nehmen: „Ich habe nicht die Macht, diejenigen zu hindern, die heute an der Macht sind, aber gegen eines kann ich mich, Gott sei Dank, noch wehren, so schwach ich auch bin, dass mir nämlich die herrschenden Ideologen die Welt erklären! Hier bin ich nicht wehrlos!“ Und dieses Bestehen auf Gedanken- und Redefreiheit wäre der erste Schritt zur Verteidigung und letztlich der Rettung des Rechtsstaates und damit einer lebenswerten Welt! Nach altkirchlicher Überzeugung ist Reden nicht immer eine Pflicht, aber in bestimmten Fällen ist Schweigen Sünde!
Papst Johannes Paul II. hat Mirjam von Abellin am 13. November 1983 seliggesprochen. Nun findet am 17. Mai 2015 die Heiligsprechung durch Papst Franziskus statt. Diese höchste Anerkennung durch die Kirche aber ist keineswegs selbstverständlich. Vorausgegangen war ein hartes Ringen, in das schließlich Johannes Paul II. persönlich eingegriffen hatte.
Von Erich Maria Fink
Mirjam von Abellin, die kleine sympathische Araberin aus Palästina, von der Kirche offiziell zur Patronin des Friedensprozesses im Nahen Osten erklärt, vermag die Herzen zu erobern. Bekannt ist ihr Morgengebet, das auf so wunderschöne Weise ihren Geist widerspiegelt: „Herr Jesus, im Schweigen dieses anbrechenden Morgens komme ich zu Dir und bitte Dich mit Demut und Vertrauen um Deinen Frieden, Deine Weisheit, Deine Kraft. Gib, dass ich heute die Welt betrachte mit Augen, die voller Liebe sind…“ Und ihre Lebensgeschichte hört sich an wie ein spannender Kriminalroman: nach dem Tod von zwölf Geschwistern wird sie von ihrer Mutter auf einer Wallfahrt in der Grotte von Bethlehem als 13. Kind erbeten, seit ihrem dritten Lebensjahr wächst sie als Vollwaise auf, vom Onkel wird sie nach Ägypten gebracht, wo sie mit knapp dreizehn Jahren verheiratet werden soll, durch einen Impuls von oben entzieht sie sich der Vermählung und wird fortan wie eine Sklavin erniedrigt, von einem muslimischen Bekannten der Familie wird ihr mit einem Krummsäbel die Kehle durchgeschnitten, weil sie den katholischen Glauben nicht verleugnen möchte, auf wunderbare Weise ins Leben zurückgeholt wird sie von einer Frau gesund gepflegt, die sie als Gottesmutter erkennt, entsprechend der Voraussage dieser geheimnisvollen Gestalt wird sie in Frankreich Karmelitin und baut in Bethlehem ein Karmelkloster, in dem sie am 26. August 1878 im 33. Lebensjahr stirbt.
„Ihr ganzes Leben, von der Geburt bis zum Tod, war ein einziges Gewebe wunderbaren Geschehens.“ So drückte sich ein Priester aus, der sie begleitet hatte. Es ist rührend, wie sie genau das Pontifikat von Papst Pius IX. (1846-1878) mit ihren Charismen der Prophetie und Bilokation begleitet und Leo XIII. als Nachfolger vorhergesagt hat. Ekstasen, Visionen, Schwebezustände, Wundmale und Durchbohrung des Herzens, all diese Dinge gibt es auch im Leben anderer Heiliger. Was aber die Theologen vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt hat, ist ein Phänomen, das wahrlich schwer einzuordnen ist. Über Jahre hinweg durchlebte Maria von Jesus dem Gekreuzigten, wie sie sich als Schwester nannte, Gottesferne und teuflische Bedrängnisse, unvorstellbare Prüfungen und Leiden. Sie wurde von Zwangsvorstellungen und Zweifeln gequält, die sie zum Verlassen des Klosters bringen sollten und bis an den Rand der Verzweiflung trieben. Und im Zustand echter Besessenheit sprachen die Dämonen aus ihr. Als sie 1870 mit einigen Schwestern nach Indien zur Gründung eines Karmels in Mangalore gesandt wurde, durfte sie 1871 vor Bischof Marie Ephrem Garrelon ihre feierliche Profess ablegen. Doch bald deutete der Bischof die ganzen übernatürlichen Phänomene als Teufelswerk und schickte sie im November 1872 nach Frankreich zurück. Obwohl er später seine Entscheidung bereute, dauerte es bis zu Johannes Paul II., dass die Kirche ihren Weg ohne Einschränkung positiv bewerten konnte. Das Urteil lautete: Sie hat stellvertretend für gottferne Sünder gelitten und durchlebt, was auf diese ohne ihre Hilfe zugekommen wäre. Es war eine sog. „Sühnebesessenheit“, in der sie bzw. Jesus in ihr für die gefallene Welt den Kampf gegen die Mächte des Bösen geführt hat.
Hauptanliegen des Konzils: die allgemeine Berufung zur Heiligkeit
Ohne Umkehr ist Christsein eine Illusion
Papst Franziskus hat überraschend ein Heiliges Jahr ausgerufen, das unter dem Zeichen der Barmherzigkeit stehen soll. Doch mit Barmherzigkeit verbinden die Menschen sehr unterschiedliche Erwartungen und Vorstellungen. Dem Papst geht es vor allem um ein versöhntes Leben mit Gott, wozu die Beichte das privilegierte Mittel darstellt. Prof. Dr. Dr. Ralph Weimann sieht einen Schlüssel zum Verständnis der Barmherzigkeit in der vom Papst geförderten Beichtpraxis, die auch für das Leben der Priester und kirchlichen Mitarbeiter von Relevanz ist. Weitergabe des Glaubens setzt voraus, dass man selber davon überzeugt ist und ihn lebt.
Von Ralph Weimann
Nachfolge Christi und der Ruf nach Heiligkeit
Die Nachfolge Christi ist für jeden Christen die wesentliche Aufgabe, denn der Name „Christ“ kommt nicht von ungefähr. Worin aber besteht eigentlich die Nachfolge Christi? Oder etwas kritischer gefragt, ist der Anspruch nicht viel zu hoch, kann man überhaupt Christus nachfolgen, wäre es nicht angebrachter, etwas demütiger zu sein und diesen Anspruch herunterzufahren? Dieser Eindruck mag hin und wieder entstehen, gerade, wenn man den aktuellen innerkirchlichen Debatten folgt. Zeitweilig wird der Anschein erweckt, dass man den Glauben nicht so ernst nehmen sollte, vielmehr seien Kompromisse und eine Anerkennung der jeweiligen Situation (Zeitgeist) angebrachter. Doch dies wäre der falsche Weg, ein Weg, der wegführt vom Evangelium und von Christus. Nachfolge Christi bedeutet dem Aufruf Christi zu folgen, der sagt: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist (Mt 5,48).“ Dieser Aufforderung nach Vollkommenheit entspricht die Berufung zur Heiligkeit. Nun wird der Leser gegebenenfalls stutzig werden. Anstelle des Eindrucks, dass wir es doch gar nicht so ernst nehmen sollen, stellt uns das Evangelium das Gegenteil vor Augen, wir sollen sogar heilig – vollkommen sein. Dieser Aufruf richtet sich nicht bloß an einige wenige Auserwählte, wie beispielsweise an den hl. Franz von Assisi, Thomas von Aquin oder Pater Pio, sondern alle Christen sind zur Heiligkeit berufen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesen Gedanken aufgegriffen und ihn gleichsam zum Hauptanliegen des Konzils werden lassen, wenngleich er kaum rezipiert wurde. Jeder Christ ist zur Heiligkeit berufen, so sagt es die Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium. Ein ganzes Kapitel dieser Konstitution ist der „allgemeinen Berufung zur Heiligkeit in der Kirche“ gewidmet. Darin heißt es: „Alle Christgläubigen sind also zum Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit eingeladen und verpflichtet“ (Nr. 42). Und an anderer Stelle wird hinzugefügt: „Daher sind in der Kirche alle, mögen sie zur Hierarchie gehören oder von ihr geleitet werden, zur Heiligkeit berufen gemäß dem Apostelwort: Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung (1 Thess 4,3; vgl. Eph 1,4)“ (Nr. 39).
Die vom Konzil geforderte „Verpflichtung zur Heiligkeit“ wird zur ureigensten Aufgabe des Christen, denn die Gemeinschaft mit dem Heiligen setzt voraus, dass man selber um Heiligkeit bemüht ist. Heiligkeit zeigt sich in der Liebe zu der Wahrheit, die Christus selber ist. Es reicht also nicht, ein „gutes Leben“ zu führen, sondern es geht darum, ein heiligmäßiges Leben zu führen. In diesem Kontext wird auch die Priestern und Bischöfen zukommende Aufgabe verständlich. Es erstaunt oft, wenn neu ernannte Pfarrer oder Bischöfe ihre Prioritäten für ihr apostolisches Handeln bekannt geben. Dabei werden manchmal „interessante“ Prioritäten gesetzt. Was einigen unbekannt zu sein scheint, ist die Tatsache, dass die Kirche selbst vorgibt, worin diese Prioritäten bestehen, die sich in den klassischen tria munera (drei Ämtern) auf den Punkt bringen lassen. Priestern und Bischöfen kommt die Aufgabe zu, zu heiligen, zu lehren und zu leiten. Der Heiligungsdienst gehört demnach zu den wesentlichen Verpflichtungen des Hirten. Damit verbindet sich zweierlei: zum einen das eigene Streben nach Heiligkeit, zum anderen der Auftrag, die ihnen Anvertrauten auf dem Weg der Heiligkeit anzuleiten. Dies ist die wesentliche Aufgabe von Priestern, Bischöfen und von allen anderen Kirchenmitarbeitern.
Heiligkeit und Umkehr
Nach dem bisher Gesagten dürfte deutlich werden, dass es keine Heiligkeit ohne Umkehr, ohne eine radikale Veränderung des eigenen Lebens gibt. So heißt es beispielsweise zu Beginn des Markusevangeliums: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Heiligkeit ohne Umkehr wäre eine Illusion. Papst Benedikt XVI. hat im Motu Proprio Porta fidei – Tür des Glaubens, vom 11. Oktober 2011, dargelegt, dass Umkehr die Hinkehr zum Herrn bedeutet, er schrieb: „Aus dieser Sicht ist das Jahr des Glaubens eine Aufforderung zu einer echten und erneuerten Umkehr zum Herrn, dem einzigen Retter der Welt.“ Er fügte hinzu: „Im Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung hat Gott die rettende Liebe vollends offenbart und ruft die Menschen durch die Vergebung der Sünden zur Umkehr des Lebens (vgl. Apg 5,31). Diese Liebe – so der Apostel Paulus – führt den Menschen in ein neues Leben: ‚Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben‘ (Röm 6,4).“
Umkehr ist die Tür, durch die der Mensch in die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott tritt. Es geht dabei nicht um ein „abgegriffenes Verständnis“ von Umkehr, sondern um eine Umkehr, die im Herzen beginnt und das ganze Leben auf Gott hin ausrichtet. Bekehrung bedeutet, das alte Leben hinter sich zu lassen und sich entschieden dem Herrn zuzuwenden. Dies ist ein radikaler Prozess, den der hl. Paulus mit einem Todesvorgang vergleicht (vgl. Röm 6,4f). Der Christ stirbt sich selbst, um für Gott und in Gott zu leben. Alle Gläubigen, vor allem aber geweihte Amtsträger, haben es nötig, sich diesem Prozess zu unterwerfen, denn ontologisch wohnt Christus in ihnen, sie handeln in persona Christi capitis. Christus wird umso mehr durch sie handeln können, je mehr sie selber zurücktreten und Christus Platz lassen. Mit anderen Worten: Je mehr sie sich selber bekehren (im Sinne von einer Hinkehr zu Gott), umso mehr wird Christus wachsen. Johannes der Täufer hatte dies mit den Worten zum Ausdruck gebracht: „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“ (Joh 3,30).
Ein Hirte führt die ihm Anvertrauten zu Christus
Die pastorale Wirklichkeit macht es Priestern heute oft nicht leicht, dieser Aufgabe nachzukommen. Schon Papst Pius XII. bemängelte, dass das Sünden- und Schuldbewusstsein verloren gehe, eine Tendenz, die sich seitdem weiter fortgesetzt hat, wie auch der hl. Papst Johannes Paul II. wiederholt unterstrichen hatte. Dadurch schwindet auch das Bewusstsein, dass Umkehr nötig ist. Und dennoch ist die Umkehr auch in der heutigen Zeit gleichsam die Tür, durch die Christsein erst möglich wird. Es ist eine Tatsache, dass auch heute Menschen sündigen, auch heute laden Menschen (große) Schuld auf sich, so dass Umkehr und Neuausrichtung auf Christus hin, der allein die Schuld zu nehmen vermag, notwendig sind. Der Kirche kommt die Aufgabe zu, die Barmherzigkeit Gottes, die sich besonders in der Sündenvergebung zeigt, den Menschen zugänglich zu machen und Abhilfe zu schaffen. Daher besteht nach Papst Franziskus ein innerer Zusammenhang zwischen der Barmherzigkeit und dem Sakrament der Beichte, zu deren regelmäßigen Empfang er die Gläubigen immer wieder einlädt. In der Generalaudienz vom 19. Februar 2014 sagte er, „dass die Vergebung unserer Sünden nicht etwas ist, das wir uns selbst geben können. Ich kann nicht sagen: Ich vergebe mir die Sünden. Um Vergebung bittet man, bittet man einen anderen, und in der Beichte bitten wir Jesus um Vergebung. Die Vergebung ist nicht Frucht unseres Mühens, sondern sie ist ein Geschenk, sie ist ein Geschenk des Heiligen Geistes, der uns in die Barmherzigkeit und Gnade eintaucht, die unablässig vom geöffneten Herzen des gekreuzigten und auferstandenen Christus ausströmt.“ Er fügte hinzu: „Habt keine Angst vor der Beichte! Wenn man ansteht, um zu beichten, spürt man all diese Dinge, auch die Scham, aber dann, nach der Beichte, geht man frei heraus, groß, schön, versöhnt, weiß, glücklich. Das ist das Schöne an der Beichte!“
Gerade in deutschsprachigen Ländern ist die Beichte in der pastoralen Praxis stark vernachlässigt worden und damit auch der Aufruf zur Umkehr und zur Heiligkeit. Man begegnet Gläubigen mit viel guten Willen, doch gibt es gerade im Hinblick auf die Beichte viele Hemmschwellen: Vorurteile, ggf. ungute Erfahrungen, ein laxes Gewissen, Angst und Unsicherheit über die fehlende Erfahrung mit dem Sakrament, usw. Ein weiterer Grund, der sich noch verstärkend auswirkt, besteht darin, dass zahlreiche Ordensleute, Priester und kirchliche Mitarbeiter nicht wissen, wie man eine gute Beichte ablegt. Dies mag hart klingen, ist jedoch eine traurige Wirklichkeit. Wenn aber Priester keine „Experten“ mehr für die Beichte sind, wenn sie selber nicht wissen, wie man richtig beichtet, dann können sie unmöglich die Gläubigen entsprechend unterweisen. Wie könnte man auch anderen empfehlen, den Weg der Heiligkeit einzuschlagen, der mit Bekehrung und Beichte in Verbindung steht, wenn man selber ihn nicht praktiziert und kennt?
Das Beichtsakrament befindet sich in deutschsprachigen Ländern in einer tiefen Krise, weil man zum einen den Sinn für die Sünde verloren hat, zum anderen, weil kirchliche Mitarbeiter, Priester, Ordensleute oft selber dieses große Geschenk nicht genug schätzen und praktizieren. In diesem Kontext kann das Vorbild von Papst Franziskus anspornen, der nach einem Bußgottesdienst im Petersdom der erste war, der sich hinkniete und seine Sünden bekannte. Natürlich darf es dabei nicht um eine „Zur-Schau-Stellung“ gehen, sondern es muss Teil des gelebten Glaubens sein.
Es braucht gute Beichtväter
Das Sakrament der Beichte zu fördern bedeutet, die Barmherzigkeit Gottes den Menschen zugänglich zu machen. Es bedeutet ferner, den Gläubigen zu helfen, dem Ruf nach Umkehr und Heiligung nachzukommen. Dies wird aber nur dann gelingen, wenn man dies selber vorlebt und häufig das Beichtsakrament empfängt. Es wäre gut, wenn auch Priester diesen großen Schatz neu entdecken würden, dies würde die Verkündigung neu beflügeln. Im Hinblick auf die Beichte befinden sich Gläubige wie Priester in einem Lernprozess, der das ganze Leben dauert. Dazu sollte die Demut nicht fehlen, immer wieder hilfreiche Anregungen anzunehmen, damit gewisse Aspekte des Beichtsakraments besser verstanden werden und tiefer gelebt werden können.
Die Beichte, wie jedes Sakrament, ist eine Begegnung mit Gott, der der eigentlich Handelnde ist. Es ist daher wichtig, den Blick auf die Größe dieses göttlichen Geschehens zu richten. Wenn Priester regelmäßig und gut beichten und das Bußsakrament als kraftvolles Mittel auf dem Weg zur eigenen Heiligung wertschätzen, dann werden sie ihrer Hirtenaufgabe der Heiligung gerecht. Dann werden sie fähig, auch den Gläubigen den Schatz des Bußsakramentes zu erschließen und ihnen die göttliche Barmherzigkeit zukommen zu lassen, die viele Gläubige heute nötiger denn je brauchen. Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit bietet dazu eine einzigartige Gelegenheit.
Im Februar dieses Jahres veröffentlichte der Deutsche Ethikrat eine 189 Seiten umfassende Stellungnahme zum Thema „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“. Anton Graf von Wengersky (vgl. seine Serie zum Tod des Menschen in Kirche heute 11/2011 bis 4/2012) richtete als Antwort auf die Publikation einen offenen Brief an den Ethikrat. Einerseits begrüßt er nachdrücklich die klare Aussage einer Minderheit des Ethikrates, dass der „hirntote“ Patient ein lebender Mensch ist, dessen Sterbevorgang erst durch die Organentnahme beendet wird. Andererseits kritisiert er, dass das Dokument im Ergebnis einseitig „pro Organspende“ ausfällt und damit sein Ziel verfehlt, die breite Bevölkerung ergebnisoffen über das Thema Organspende aufzuklären. Der Brief ist an Frau Prof. Dr. Christiane Woopen gerichtet, da die Stellungnahme unter ihrem Vorsitz erarbeitet worden ist.
Von Anton Graf von Wengersky
Sehr geehrte Frau Professor Dr. Woopen, mit großen Interesse habe auch ich die unter Ihrem Vorsitz erarbeitete Stellungnahme (01) „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“ des Deutschen Ethikrates (DER) zur Kenntnis genommen und das mir liebenswürdiger Weise zugesandte Exemplar des Textes studiert. Ein mutiges Papier. Trotz der beiden im Ausgangspunkt diametralen Positionen im Ethikrat (Position A: Der Hirntote ist tot und kann durch die Organentnahme nicht mehr getötet werden, Position B: Der Hirntote lebt und wird durch die Organentnahme legitim getötet) konnte das Ergebnis vom Bundesminister für Gesundheit Hermann Gröhe und vom ganzen großen Kreis der Transplantationsmedizin als Bestätigung eigenen Tuns mit Erleichterung zur Kenntnis genommen werden. Bitte erlauben Sie mir dennoch einige, teils zustimmende, teils kritische Anmerkungen:
1. Das mentalistische Todesverständnis ist jedem, der die Diskussion der letzten 25 Jahre verfolgt hat, wiederholt als Begründung für die Akzeptierung des Hirntod-Konzepts begegnet. Ich bin deshalb dankbar, dass der DER ein ausschließlich mentalistisches Todesverständnis einmütig verwirft. Auch Ihr ablehnender Hinweis, „gemäß dieser Auffassung sind konsequenterweise anenzephale Neugeborene und möglicherweise auch apallische Patienten als Tote zu qualifizieren“ (01: S. 68) ist mir als Lebensschützer zur Verteidigung meiner Position wertvoll.
2. Zur Bedeutung des Gehirns als Integrationsorgan (Position A – mir ist bewusst, dass Sie diese Position nicht teilen) wird in der Stellungnahme auf das offenbar auch vom DER als wissenschaftlich maßgebend angesehene White Paper (02) von 2008 rekurriert. Dessen auf die Forschungsergebnisse von D. Alan Shewmon zurückgehender zentraler Satz: „The brain is not the integrator of the body’s many and varied functions … Integration, rather, is an emergent property of the whole organism“ (02: 40) bleibt jedoch unerwähnt. Hätte nicht dieser für den Leser leichtverständliche Satz zur Verdeutlichung der Aussage des White Paper in der Stellungnahme (01) zitiert werden müssen?
3. Position B: „Der Hirntod ist keine hinreichende Bedingung für den Tod des Menschen.“ Hier stimmen Sie mit der Kernerkenntnis von D. Alan Shewmon überein. Als international angesehensten Hirntod-Experten hatten Sie ihn am 21.03.2012 im DER zu Gast. Sein Referat endete damals mit dem Ihre Position B auf das schönste bestätigenden Satz: „Abschließend kann zusammengefasst werden, dass ein hirntoter Patient schwer geschädigt und völlig von der Hilfe anderer abhängig ist und sich in einer höchst prekären Situation befindet. Es handelt sich bei einem solchen Patienten jedoch um einen lebenden und integrierten Organismus“ (03: 14). Auch dieser für den Leser der Stellungnahme leichter verständliche und die grundlegende Substanz der Position B greifbar verdeutlichende Satz fehlt mir in Ihrem Text.
4. Sie selbst, Frau Dr. Woopen, und die Minderheitsfraktion des DER sehen den „Hirntod“ nicht als den Tod des Menschen, den hirntoten Patienten nicht als schon verstorben an. Erstmals in Deutschland wird so im politischen Umfeld öffentlich zugegeben, dass der sog. „Hirntote“ in Wirklichkeit ein Patient in großer Not, aber ein lebender Mensch ist. Das ist die von Ihnen erkannte Wahrheit, zu der Sie stehen. Für diese Ihre eindeutige und mutige Positionierung haben Sie (und mit Ihnen die gesamte Minderheitsfraktion des DER) meine allergrößte Hochachtung.
5. Für Sie und die der Position B zustimmende Minderheit des DER besteht nicht nur die abstrakte Möglichkeit, den beatmeten hirntoten Patienten zu töten. Der hirntote Patient, „der noch nicht tot ist“ (01: 102), wird vielmehr nach Ihrer Erkenntnis erst durch die ärztliche Organentnahme getötet. Genau das wirft Ihnen die der Position A anhängende Mehrheit des DER auch vor (01: 163). Für Sie (und die Minderheit des DER) kann jedenfalls die ärztliche Organentnahme in der Tat nicht mehr postmortal genannt werden. Sie ist letal.
6. Die nach Ihrer (und der Minderheit des DER) Meinung letale Organentnahme sehen Sie dennoch als ethisch und verfassungsrechtlich legitim an, sofern sie dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht. Das ist kongruent mit Ihrer Positionierung Ihrer Ablehnung eines umfassenden Verbots der ärztlichen Suizidhilfe (04).
7. „Legitim“ steht hier im Unterschied zu „legal“. Legal ist nach dem Transplantationsgesetz die Organentnahme nur nach dem Tod zulässig (TPG §3 Abs.1 Nr.2). Der Verstoß gegen diese Vorschrift ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht (TPG §19 Abs.2). Und §216 StGB? Die in den Augen der Minderheit des DER zugleich letale und doch legitime Organentnahme ist jedenfalls ein strafbedrohter Gesetzesverstoß. Ich akzeptiere freilich, dass in raren Fällen „illegal“ und „legitim“ unter demselben Zylinderhut Platz finden.
8. Verfassungsrechtlich haben wir den Spruch des Bundesverfassungsgerichtes (05): Die biologisch-physische Existenz jedes Menschen ist nach Art.2.2 GG „unabhängig von den Lebensumständen des Einzelnen, seiner körperlichen und seelischen Befindlichkeit“ geschützt. Kann dieser dem Patienten verfassungsrechtlich garantierte Schutz für Leben und körperliche Unversehrtheit durch Verzicht des Betroffenen (etwa in Form eines Organspendeausweises) aufgehoben und die Organentnahme damit „legitim“ werden? Ich kann Ihnen und der Minderheit des DER in dieser Auffassung keinesfalls folgen. Wäre sie richtig, dann müsste dem Bürger auch sein Verzicht auf die ihm nach Art.1.1 GG verfassungsrechtlich garantierte Menschenwürde offenstehen.
9. Ethisch sehe ich bei Position B (legitime Tötung des zustimmenden Organspenders durch Organentnahme) als Christ die mir durch Gottes fünftes Gebot gezogene Grenze überschritten. Diese Meinung müssen Sie, Frau Dr. Woopen, natürlich nicht teilen. Bedenken Sie aber bitte die Möglichkeit, dass einige Mitglieder des DER entgegen den ihnen bekannten wissenschaftlichen Evidenzen deshalb die Position A eingenommen haben könnten, weil sie sich nur so vor ihrem Gewissen vom Tötungsvorwurf befreien konnten: dem von Position B legitimierten „justified killing“ (06) des Organspenders.
10. Vor dem gleichen Dilemma steht im Umgang mit dem Hirntod-Organspender auch das intensivmedizinische Fachpersonal. Dieses urteilt aus eigener Erfahrung und Praxis mit der praefinalen Konditionierung des potentiellen Spender-Patienten, mit der Hirntod-Diagnose, mit der Betreuung des hirntoten Patienten und schließlich der Organentnahme selbst. Unabhängig von ihrer tatsächlichen Einstellung zu den Fakten konnten befragte Transplantationsärzte bei der auch von Ihnen reportierten Befragung (07) das ihrem Tun zugrundeliegende Hirntod-Konzept wohl kaum ablehnen.
11. Unrichtig ist übrigens Ihre Darstellung, dass sich die angegebene 40%-Ablehnung des Hirntod-Konzepts beim intensivmedizinischen Fachpersonal nur auf den Teil der Befragten bezieht, der, wie Sie schreiben, „die Organspende für sich ablehnt“. Der Autor der Befragung, Prof. Dr. Gerold Söffker, hat vielmehr auf Nachfrage am 01.02.2014 mitgeteilt, die prozentuelle Verteilung der abgegebenen Antworten beziehe „sich keinesfalls nur auf die Befragten, die einer Organspende nicht zustimmen. Da allerdings nicht alle der 1045 Befragten diese Frage beantworten konnten, beträgt die Grundgesamtheit bei dieser Frage n = 758“. Beim aus eigener Erfahrung mit der Hirntod-Organentnahme urteilenden intensivmedizinischen Fachpersonal ist also die Ablehnung des Hirntod-Konzepts trotz des die Ablehnungsquote mindernden Dilemmas mit 40% deutlich höher als im Deutschen Ethikrat: Bei Ihnen betrug (Dr. Peter Radtke hat offenbar nicht mitgestimmt, also n = 25) bei 7 Vertretern der Minderheitsposition B die Ablehnung gerademal 28%. Die eigenen Erfahrungen bei Ausübung der Hirntod-Praxis erhöhen also ganz offensichtlich die Ablehnung des Hirntod-Konzepts signifikant.
12. Die Zweifel an der Plausibilität des Hirntod-Konzepts erstrecken sich auch auf die Feststellung des Hirntods, also die sog. „Hirntod-Diagnose“. Die Hirntod-Diagnose kann im Grunde nicht mehr leisten, als eine Verfestigung der infausten Prognose für den jeweiligen Patienten (vgl. White Paper, Abschnitt IVB). Die Hirntod-Diagnose ist also, geht man von der Fiktion zu den Fakten über, jedenfalls eines nicht: eine Todesfeststellung.
13. Zu den wissenschaftlichen Zweifeln an der Aussagekraft der Hirntod-Diagnose nenne ich Ihnen nur zwei Beispiele: Prof. Cicero Galli Coimbra hat für den Apnoe-Test, bei uns die Kernuntersuchung der Hirntod-Diagnose, in „The Apnea Test – a Bedside lethal Disaster“ (08) die Grenzen von dessen diagnostischer Aussagekraft deutlich aufgezeigt. Auch die American Academy of Neurology AAN (09) hat sich mit der bloßen Behauptung, mit den neurologischen Verfahren der Hirntod-Diagnose könne die irreversible Zerstörung des Gehirns nachgewiesen werden, nicht zufrieden gegeben. Sie hat deshalb bei 41 vorab als hirntot diagnostizierten Patienten nach der Organentnahme die Leichen obduzieren lassen. Zur Überraschung der Ärzte fanden sich dabei nur leichte Hirnschäden und nicht ein einziger Fall von irreversibler Zerstörung des Gehirns. Das Urteil der AAN ist vernichtend: „Neuropathologic examination is therefore not diagnostic of brain death“ (09). Bewegt sich die Stellungnahme des DER hier auf dünnem Eis?
14. Kennen Sie dazu die von D. Alan Shewmon abgegebene Declaration vom 03.10.2014 zum Fall der Patientin Jahi McMath? Der Kernabsatz von Shewmons Ausführungen lautet: „Clearly Jahi is not currently brain dead. Yet I have no doubt that at the time of her original diagnosis, she fullfilled the AAN diagnostic criteria, correctly and rigorously applied by the several doctors who independently made the diagnosis then. That diagnosis was even backed up by two ancillary tests: an EEG that was reportedly isoelectric and a radionuclide scan that reportedly showed no intracranial blood flow. A likely explanation for the discrepancy (in fact the only explanation I can think of) ist that (1) the standard clinical diagnostic criteria are not as absolutely 100% reliable as commonly believed, and (2) radionuclide blood flow studies are not sensitive enough to distinguish no flow from low flow.“ Hirntod-Diagnose nicht zuverlässig? Irreversibilität des Hirntods, Schmerzfreiheit des Hirntoten mehr bloße Behauptung als Fakt?
15. Die Hirntod-Diagnose setzt voraus, dass beim Spenderpatienten die Schmerztherapie und die Palliativbegleitung unterbrochen werden. Selbst ist sie mit willentlicher ärztlicher Schmerzzufügung verbunden (Sie nennen das Durchstechen der Nasenscheidewand beschönigend einen „adäquaten Schmerzreiz“, 01: 19) und dem risikovollen (01: 21) und wegen der Erstickungsanfälle beim Sauerstoffentzug für den Patienten unter Umständen qualvollen Apnoe-Test. Ich würde das alles weder selbst erleiden wollen noch je bei einem Familienmitglied zulassen. Muss die heutige Hirntod-Diagnose als ärztliche Körperverletzung eines Sterbenden qualifiziert werden? Sollte sie nicht ausschließlich bei Vorabgenehmigung des Patienten (auf seinem Organspendeausweis) zulässig sein? Dann wäre der Spenderpatient auch besser abgesichert gegen den ärztlichen Entzug seines weiteren Versicherungsschutzes durch nicht autorisierte Hirntod-Feststellung.
16. Ihre Empfehlungen an die Politik zielen nur teilweise auf die an sich nötige Absicherung durch Gesetze ab. Für eine solche Absicherung habe ich selbst 2013 den beiliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes ausgearbeitet und an die Fraktionsvorsitzenden aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien geschickt. Es wird Sie nicht wundern, dass es zu den angeregten Änderungen nicht gekommen ist.
17. Der DER hält an der Hirntod-Organspende fest. Den Patiententod (Dead-Donor-Rule) sieht er teils (Position A) als zwingende Voraussetzung, teils (Position B) als entbehrlich. Die Organentnahme nach Herzstillstand (Non-Heart-Beating-Donation) lehnt der DER einmütig ab. Shewmon schlägt stattdessen die Kombination „Herztod und Hirntod“ als Voraussetzung für die Organentnahme vor (10): Liegt die Zustimmung des Spenders zu Hirntod-Diagnose und Organentnahme vor, soll nach festgestelltem Hirntod mit dem Beginn der Organentnahme bis nach dem natürlichen Eintritt des sowieso kurz bevorstehenden Herztodes zugewartet werden. Die Organentnahme wäre dann tatsächlich postmortal und die Dead-Donor-Rule gerettet. Könnte dieser Shewmon-Vorschlag für eine legale und verfassungsfeste Fortführung der Organtransplantation der Königsweg sein?
18. Ich glaube das nicht. Zu übergriffig ist mir dafür der heutige ärztliche Umgang mit möglicherweise als Organspender in Frage kommenden Patienten. Das belastende Legen von Zugängen für die Organentnahme schon bei der „praefinalen Konditionierung“ (11), das „Therapieziel Hirntod“ (12), die beim Hirnverletzten hochriskante Gabe von Blutverdünnungsmitteln zur Organprotektion, alles lange vor Eintritt des Hirntods und ohne Vorab-Einholung einer Zustimmung, sind schwere Körperverletzungen. Weit mehr als die von Ihnen als ärztliche Körperverletzung eingeschätzte therapeutische Weiterbehandlung des Patienten nach Hirntod-Diagnose. Übergriffig ist auch die bei Multiorganentnahmen immer wieder erfolgende Mitnahme von Organen und verwertbaren Körperteilen, nicht nur der Augen, die von Angehörigen oder dem Patienten selbst ausdrücklich von der Organentnahme ausgeschlossen waren. Auch dass die Ärzte Angehörigen, die sich nach der Organentnahme von der Leiche ihres lieben Toten verabschieden wollen, von einer Konfrontation mit der explantierten Leiche regelmäßig abraten, spricht für sich.
19. Durch die Transplantationsskandale ist nur die Spitze eines Eisbergs sichtbar geworden. Sein größerer Teil liegt, auch er außerhalb der Legalität, für die Öffentlichkeit unsichtbar unter der Wasserlinie. Die Zahnlosigkeit der TPG-Schutzbestimmungen zur Einhaltung seiner Regeln unterstützt noch die Übergriffigkeit gegenüber potentiellen Organspendern unter den anvertrauten Patienten. Gleiches gilt für die von Transplantationsärzten selbst ausgeübte Kontrolle des Systems. Die Kritik der Kommission nach §11.3 und §12.5 TPG erfolgt meist erst nach Ablauf der Verjährungsfrist für Verstöße, so dass strafrechtliche Konsequenzen nicht mehr gezogen werden können. Sie kennen sicher den Spruch: „Eine Krähe hackt der andern kein Auge aus“? Was sollte da jetzt ein Übergang zum Shewmon-Vorschlag (oben Ziffer 17) ändern, gegen den sich überdies die Transplantationsmediziner mit Händen und Füßen wehren würden?
20. Ist, Frau Professor Dr. Woopen, der Text „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“ als Stellungnahme des DER trotz oder wegen seiner fast 200 Seiten vielleicht doch nicht, was er sich vorgenommen hatte: ein Beitrag zur Information und ergebnisoffenen Aufklärung der breiten Bevölkerung „über die gesamte Tragweite“ einer Entscheidung zur Organspende? Sie haben mit diesem mühevoll erarbeiteten Text und mit der klaren Aussage der Minderheit des Deutschen Ethikrates: der „hirntote“ Patient ist ein lebender Mensch, dessen Sterbevorgang erst durch die Organentnahme beendet wird, wahrlich Großes geleistet. Ihr Text sollte aber, das scheint mir unverkennbar, eine Stellungnahme pro Organspende sein. Eine ergebnisoffene Aufklärung der breiten Bevölkerung hat er möglicherweise gerade deshalb verfehlt. So steht wohl auch Ihr Text, das ist schade, unter der Vorgabe des deutschen „Transplantationspapstes“ Prof. Dr. Robert Pichlmayr: „Wenn wir die Gesellschaft aufklären, bekommen wir keine Organe mehr!“
Diesen Brief schreibe ich Ihnen, sehr geehrte Frau Dr. Woopen, als offenen Brief. Denn ich möchte ihn in Anbetracht der Bedeutung und Reichweite Ihrer Hirntod-Stellungnahme auch anderen Mitgliedern des Ethikrates, der Ärzteschaft, der Politik und der Kirchen zuleiten. Es würde mich freuen, einmal von Ihnen zu hören.
Ihr Anton Wengersky
Anlage: Mein „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes“ vom 01.03.2013.
Literatur: 01 Deutscher Ethikrat (2015): Hirntod und Entscheidung zur Organspende. Stellungnahme. 02 Presidents Council on Bioethics (2008): Controversies in the Determination of Death. A White Paper. 03 D. A. Shewmon (2012) in: Medizin & Ideologie 34, 5-14. 04 In: Die Tagespost v. 06.12.2014: 1 und 13f. 05 BVerfGE 115: 118 (139). 06 F. G. Miller/R. D. Truog (2008): Rethinking the Ethics of Vital Organ Donation, in: Hastings Center Report 38, no. 6. 07 G. Söffker et al (2014): Einstellung des intensivmedizinischen Fachpersonals zur postmortalen Organspende in Deutschland, in: Medizinische Klinik–Intensivmedizin und Notfallmedizin 109 (1), 41-47. 08 R. Mattei (Hrsg.) (2006): Finis Vitae, 113-145. 09 E. F. M. Wijdicks et al (2008): Neuropathology of brain death in the modern transplant era, in: Neurology 70, 1234-1237. 10 D. A. Shewmon (1998): Brainstem Death, Brain Death and Death, in: Law & Medicine 14, 137ff. 11 B. Schöne-Seifert (2011): Behandlung potentieller Organspender im Präfinalstadium, in: Dt. Ärzteblatt 2011, B1770. 12 F. Erbguth et al (2014): Therapieziel Hirntod?, in: Bayerisches Ärzteblatt 3/2014, 116-119.
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