Zum Beginn des „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“

Barmherzigkeit und Sühne

Papst Franziskus hat große Erwartungen an das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“, das er für die Zeit vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 ausgerufen hat. Die grenzenlose Barmherzigkeit Gottes möge die ganze Welt umfangen, sich wie der Morgentau auf ihre Geschichte legen und sie durchtränken, sodass alle Menschen ihr Salböl, die Güte und Zärtlichkeit Gottes, erfahren. Das ist der sehnliche Wunsch des Papstes. Aber dazu müsse die Kirche auf die Menschheit zugehen. In seiner Verkündigungsbulle „Misericordiae vultus“ – „Antlitz der Barmherzigkeit“ schreibt Papst Franziskus: „Die Kirche spürt die dringende Notwendigkeit, Gottes Barmherzigkeit zu verkünden. Ihr Leben ist authentisch und glaubwürdig, wenn sie die Barmherzigkeit überzeugend verkündet. … Die Kirche ist berufen, als Erste glaubhafte Zeugin der Barmherzigkeit zu sein, indem sie diese als die Mitte der Offenbarung Jesu Christi bekennt und lebt“ (MV 3). Diesem Auftrag weiß sich eine Publikation verpflichtet, die in diesen Tagen erscheint. Es ist ein Buch von Prof. Dr. Karl Wallner OCist mit dem Titel: „Sühne. Suche nach dem Sinn des Kreuzes“.[1] In einem Interview zeigt P. Wallner den Sühnegedanken auf, den er als Schlüssel zum Verständnis der christlichen Offenbarung betrachtet, und schlägt die Brücke zur Botschaft der göttlichen Barmherzigkeit.

Interview mit P. Karl Wallner OCist

Kirche heute: Verehrter Herr Pater Wallner, Sie haben sich in der Vergangenheit intensiv mit dem Gedanken der „Sühne“ auseinandergesetzt. Nun haben Sie zu diesem Thema wieder ein Buch veröffentlicht. Warum ist Ihnen die Thematik so wichtig?

Pater Wallner: Das Wort „Sühne“ ist der Schlüsselbegriff zum Verständnis des Christentums. Denn unsere Erlösung geschieht durch die unendliche Sühne, die der menschgewordene Sohn Gottes für uns am Kreuz leistet: Er nimmt aus Liebe zu uns unsere Defizite, unser Gebrochensein gegenüber Gott, unser Sünder-Sein auf sich und leidet es am Kreuz aus. Sühne bezeichnet das Zentrum des Handelns Gottes „pro nobis“ – „für uns“, zu unseren Gunsten. Durch die Sühne Christi allein werde ich vor Gott – wie noch Martin Luther es ja eigentlich tief und richtig bedacht hat – gerechtfertigt. Unter allen Religionen ist das Christentum eben deshalb auch einzigartig: Nicht der Mensch muss es vor Gott recht machen (durch Kulte, durch Ritualien, durch Bußübungen und Gesetzesbefolgung), sondern Gott rechtfertigt uns, indem er auf unsere Seite tritt und alles, was am Menschen unrecht ist, ans Kreuz trägt. So sind wir durch die Sühne Christi erlöst, befreit, geheiligt und in ein frohes Menschsein berufen.

Kirche heute: Wenn ein Theologe heute von Sühne spricht, läuten in der Regel schon die Alarmglocken. Warum tut man sich in unserer Zeit mit dem Sühnegedanken so schwer?

Pater Wallner: Die Schwierigkeiten mit dem Sühnegedanken kommen vor allem daher, dass es bei der Sühne um das Bewältigen von „Sünde“ geht. Der neuzeitlich-aufgeklärte Mensch versucht, sich entweder die Sünde auszureden oder ihre Bewältigung selbst in die Hand zu nehmen. Im Bereich des Glaubens gibt es zwei Formen von Sündenbewältigung: Buße und Sühne. Auch das wird kaum gewusst, die wenigsten Gläubigen können die Begriffe „Buße“ und „Sühne“ auseinanderhalten. Dabei geht es hier um Entscheidendes und um Verschiedenes, wie man schon daran sieht, dass es in allen Sprachen völlig verschiedene Worte dafür gibt. Dem deutschen Wort „Buße“ entspricht z.B. das englische „penance“ und das französische „penitance“. Das Wort „Sühne“ aber wird mit „atonement“ und „expiation“ übersetzt. Worin besteht der Unterschied? Bei der Buße geht es um die Abarbeitung der eigenen Sünden. Büßen kann ich nur für mich. Bei der Sühne aber geht es darum, dass ich stellvertretend versuche, die Sünden von anderen zu tilgen. Es geht also um ein Liebeswerk „für andere“. Es ist interessant, dass das oft nicht einmal Gläubige wissen, die sich zu „Sühnenächten“ versammeln. Und schon oft war ich schockiert, wenn unerleuchtete Prediger darüber gesprochen haben, dass das Wort „Versöhnung“ soviel bedeutet wie „Sohn-Werden“. Das ist falsch, denn „Versöhnung“ leitet sich von „sühnen“ ab. Wir sind durch die Hingabe Christi am Kreuz mit Gott „ver-sühnt“, also gerettet, befreit, erlöst, ewig geliebt…

Kirche heute: Im Zusammenhang mit dem Sühnegedanken äußern Sie sich durchaus kritisch gegenüber der zeitgenössischen Theologie. Sind Sie der Ansicht, dass der Kern des Erlösungsgeheimnisses weitgehend verlorengegangen ist?

Pater Wallner: Paulus spricht im 1. Korintherbrief vom „Sinn des Kreuzes“ oder von der „Logik des Kreuzes“. Schon die Tatsache, dass die Einheitsübersetzung diese Formel fälschlicherweise mit dem nichtssagenden Ausdruck „Wort vom Kreuz“ wiedergibt, zeigt das Unverständnis der Theologie. Der „Sinn des Kreuzes“ war für den Pharisäer Paulus der Schlüssel zu allem: dass wir Menschen nicht selbst durch bloße Gebote-Erfüllung mit uns und unseren Defiziten fertigwerden müssen, sondern dass Christus in Stellvertretung für uns unsere Sünden getragen und weggelitten, ja weggeliebt hat. Wir erleben in Europa – Gott-sei-Dank nicht in den anderen Kontinenten – einen noch nie dagewesenen Schwund des Christentums, weil eine blindgewordene Theologie sowohl die Sünde bagatellisiert hat als auch für den Sinn des Kreuzes blind geworden ist. Die Folge davon ist ein Verstummen der Verkündigung. Wo hört man in Predigten etwas über den stellvertretenden Kreuzestod Christi? Über die Radikalität der Liebe Gottes? Man redet dann zwar über die „Liebe“ Gottes, meint damit aber nicht das radikale Leiden Gottes an und für unsere Sünden, sondern die bürgerlich-nette Be-Lieb-igkeit einer Art Kuschelgottes, der in Wirklichkeit ein selbstproduzierter Götze eines Wellness- und Selfnesschristentums ist. 

Kirche heute: Was sind die biblischen Eckpunkte für das Verständnis von Sühne?

Pater Wallner: Der Täufer Johannes begrüßt Jesus schon am Jordan mit den Worten, die wir in der katholischen Messliturgie jedes Mal dann hören, wenn der Priester den Gläubigen die gebrochene Hostie zeigt: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“

Jesus lebt, wirkt und stirbt im Milieu des Judentums, für das es keine Versöhnung mit Gott ohne Tieropfer gibt. Mit Gott konnte ein Jude zur Zeit Jesu nur dann „ins Reine“ kommen, wenn er für seine Sünden im Tempel ein Tieropfer – ein unschuldiges Lamm, ein Ziegenböcklein oder bei armen Leuten zumindest ein Paar Tauben – dargebracht hat.

Jesus stirbt am Kreuz im Rahmen des Paschafestes im Frühling, das man nur in Jerusalem feiern konnte. Tausende Lämmer wurden zur selben Zeit für das abendliche Paschamahl im Vorhof des Tempels geschlachtet, als Jesus am Kreuz stirbt. Vor den Mauern Jerusalems stirbt Jesus als der „Sündenbock“ für die gesamte Menschheit.

Wer den jüdischen Hintergrund des historischen Karfreitags nicht kennt, der wird nie verstehen, warum wir Christen uns Kreuze in die Wohnungen und um den Hals hängen! Die Ursehnsucht des Menschen nach Frieden mit Gott und untereinander wird am Kreuz gewirkt.

Ich habe in meinem Buch versucht, diesen jüdischen Hintergrund aufzuarbeiten, der uns fast vollständig verloren gegangen ist. Man muss z.B. unbedingt den Tempelkult mit seinen vielen Opferritualien kennen, der ja im Jahre 30, als Jesus stirbt, das ganze jüdische Leben und Denken geprägt hat. Erst im Jahre 70 wird der Tempel zerstört und endet der Kult der Tieropfer.

Der Hebräerbrief etwa wird kaum gelesen, dabei versucht gerade diese Schrift der frühen Kirche, die sich an die „Hebräer“, also an die kultisch gebildeten Juden der damaligen Zeit, richtet, zu erklären, dass der Tempelkult durch Jesus Christus abgeschafft und überhöht ist. Man lese das 9. Kapitel: Jetzt muss das Volk nicht mehr durch das Blut von Böcken und Stieren von den Sünden gereinigt werden, sondern der einzige und ewige Hohepriester hat das „ein für alle Mal“ getan und eine „ewige allgültige Erlösung“ gewirkt.

Kirche heute: Können Sie zusammenfassend noch einmal eine Art Definition des Begriffs Sühne geben?

Pater Wallner: Erstens: Die Sühne Christi bedeutet, dass der ewige Sohn Gottes aus unendlicher Liebe zu uns Menschen das Los des Sünders auf sich nimmt und die Folgen der Sünde – die Gottferne – am Kreuz ausleidet. Er eröffnet damit uns Menschen eine grundsätzlich versöhnte Gemeinschaft mit Gott. Wir müssen uns also nicht selbst erlösen, sondern wir müssen nur in diesen „Raum“ des Erlöstseins im Glauben hineingehen. Wir müssen uns nicht selbst retten, wir müssen nur die Rettung annehmen, die Christus uns geschenkt hat, und wir müssen auf sie reagieren, indem wir so lieben wie er geliebt hat.

Zweitens: Unsere Sühne ist das Eintreten für andere, die fern sind von Gott, die Sünder sind. Wenn wir sühnen wollen, dann ahmen wir die Liebe Christi nach, der alle geliebt hat, gerade auch die Fernen und Bösen. Sühne bedeutet dann auch, durch Gebet und Werke der Liebe aktiv zu werden. Einfach gesagt: Ich halte Gott liebend Zeit, Anstrengung und Gebet hin, aus opferbereiter Liebe für jene, die ihn nicht lieben. Das war übrigens die große Einladung der Gottesmutter in Fatima an die Kinder, sich mit dem Opfer Christi liebevoll zu verbinden. Zu einer Haltung der Sühne gehört eine Haltung der berechnungslosen Kindlichkeit!

Kirche heute: Wie würden Sie Gläubigen in unserer Zeit die Bedeutung von Sühne nahebringen?

Pater Wallner: Wer Gott und die Nächsten aufrichtig liebt, der wird im Herzen darunter leiden, dass so viel Böses in der Welt ist, dass die Gottesferne so große Dunkelheit in den Seelen der Menschen schafft. Und der wird dann von selbst bereit sind, für andere zu beten, für andere zu arbeiten, für andere zu opfern, für andere zu leiden. Das Geheimnis der Sühne sagt uns, dass das wirklich etwas bewirkt! Dass es keine Einbildung ist, sondern dass jeder Gläubige wirklich die Kraft hat, durch seine Sühne am Erlösungswerk Christi mitzuarbeiten. Ich zitiere gerne Kardinal František Tomášek von Prag, der gesagt hat: „Wer für die Kirche arbeitet, tut viel. Wer für die Kirche betet, tut mehr. Wer für die Kirche leidet, tut am meisten.“

Kirche heute: Wie wichtig ist der Sühnegedanke für das Verständnis der Heiligen Messe?

Pater Wallner: In der Nacht vor seinem Leiden, also wenige Stunden vor der Kreuzigung, fasst Jesus beim letzten Abendmahl seine ganze Existenz zusammen, indem er Brot und Wein als seinen Leib und sein Blut ausdeutet und die Apostel beauftragt, den Ritus dieser Ausdeutung fortzusetzen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Das ist unsere Heilige Messe.

Das Brot ist der Leib, der „für uns“ hingegeben wird, das Blut ist das Bundesblut, das „für die vielen“ vergossen wird. Die Worte beziehen sich auf das Opferritual des Tempels, wo das unschuldige Lamm dem Priester übergeben („hingegeben“) wurde, der es dann durch Öffnung der Halsschlagader getötet hat. Das Blut wurde aufgefangen und auf den Vorhang des Allerheiligsten gespritzt. Blut gilt als das Reinigungsmittel von den Sünden. Es ist bedrückend, dass wir heute das Verständnis für die Heilige Messe verloren haben, weil wir die Riten des Judentums nicht mehr kennen und nie darüber gepredigt wird. Jesus sagt ja selbst beim Abendmahl, dass all dies geschieht „zur Vergebung der Sünden“.

Die Heilige Messe ist also nicht das Miteinander-Essen von knackigen Brötchen, auch nicht bloß das solidarische Teilen von Nahrungsmitteln, sondern in der Heiligen Messe stellt sich auf unblutige Weise die sündenvergebende Hingabe Jesu am Kreuz dar. Auf unblutige Weise wird das Gegenwart, was vor 2000 Jahren auf Golgotha geschehen ist. Ohne Sühnegedanken gibt es kein authentisches Verständnis der Heiligen Messe.

Kirche heute: Welche Konsequenzen hat dies für die Feier der heiligen Liturgie?

Pater Wallner: Ich sehe hier eher schwarz, denn man streitet nach wie vor viel über Liturgie, aber wenn uns das grundlegende Verständnis von Kreuz und Stellvertretung und Sühne und Blut und Erlösung fehlt, wird die Heilige Messe immer nur eine Irgendwie-Feier werden.

Hoffnung gibt mir das Liedgut, das aus den Freikirchen kommt, wo sehr stark die Sühne Christi, die Kraft des Blutes Christi, die Sündenreinigung usw. begriffen und besungen wird. Leider fehlt den Freikirchen dann aber das Vertrauen darauf, dass eben diese unendliche Erlösung durch das Leiden Christi in Form eines Sakraments, der Eucharistie, vom Herrn selbst seiner Kirche übergeben worden ist. Dass wir es also nicht nur emotional besingen brauchen, sondern dass es in der Heiligen Messe, die vom geweihten Priester gefeiert wird, real gegenwärtig gesetzt wird.

Wir brauchen jedenfalls eine Grundkatechese – die übrigens Papst Benedikt XVI. ja im Zusammenhang mit seiner Bitte um korrekte Wiedergabe der Einsetzungsworte „für viele“ gefordert hat –, damit wir wieder verstehen, was wir feiern. Die Ausdünnung der heiligen Liturgie, die sie auch so „banal“ und unattraktiv macht, werden wir nur überwinden, wenn wir uns das fundamentale Verständnis für die Liebe Gottes zurückerobern, die er in der Sühne Christi am Kreuz offenbart hat.

Kirche heute: Wie sollten die Gläubigen heute mit dem Thema Sühne umgehen? Wie sollten sie dieses Geheimnis verstehen und leben?

Pater Wallner: Bei den einfachen Gläubigen ist mehr „Sinn für das Kreuz“ da als bei den Theologen. Denn die Gläubigen kommen gerne zu Sühnenächten, beten gerne Sühnegebete und spüren instinktiv, dass sie aktiv werden müssen, um das Böse und die Sünde aus dieser Welt „wegzulieben“. Ich kenne viele Menschen, die Gott ihr Leiden – körperlich und psychisch – hinhalten, damit er diese Welt mehr an sein Herz zieht. Ich rate einfach: Kindlich werden, denn, wie gesagt, die Muttergottes hat in den anerkannten Privatoffenbarungen, wo sie zu Gebet und Sühne aufruft, es immer Kindern zugemutet, Opfer zu bringen.

Kirche heute: Was bietet Ihr jüngstes Buch gegenüber Ihren früheren Veröffentlichungen über den Gedanken der Sühne an Neuem?

Pater Wallner: Es gibt seit den 1990er-Jahren, wo mein Buch über Sühne erstmals erschienen ist, wenige substantielle Veröffentlichungen dazu. Am interessantesten ist für mich die Studie des evangelischen Theologen Bertram Schmitz, der nachweist, dass im Hintergrund des Paschaverständnisses eigentlich das Verständnis des Jom Kippur, des Versöhnungstages im Herbst, steht. Pascha ist das Frühlingsfest des Lämmerschlachtens, zu dem Jesus stirbt, wo es eigentlich nicht um ein Sühnelamm geht, sondern um die Befreiung aus Ägypten durch das Blut von Lämmern, das auf den Türsturz der Häuser der Israeliten gestrichen wurde. Der „Versöhnungstag“ im Herbst war das eigentliche Sühneritual, wo das Volk für ein Jahr lang durch einen Sündenbock und ein Blutritual im Tempel von den Sünden befreit werden sollte. Jesus ist das „Paschalamm“, das „Osterlamm“, er ist es aber ganz im Sinne des Jom Kippur: er trägt aller Welt Schuld ans Kreuz und leidet die Sünde weg aus dieser Welt. – Es war aber nicht notwendig, mein Buch großartig zu ändern. Die Basisinformationen über das Grundverständnis von Sühne haben sich seit dem ersten Erscheinen nicht geändert.

Kirche heute: Die Publikation passt wunderschön zum „Jahr der Barmherzigkeit“, das am 8. Dezember eröffnet wird. Wie gehören Barmherzigkeit und Sühne zusammen? Was verbindet sie?

Pater Wallner: Barmherzigkeit ist das innerste Wesen Gottes, der ja deshalb in symbolhaftem Realismus sein Herz – das Herz Jesu – am Kreuz aufstoßen lässt. Heraus fließen Blut und Wasser, Zeichen für die sündenvergebende Sühne (Blut) und die sakramentale Reinigung durch die Taufe (Wasser). Gott ist barmherzig durch und durch, aber er ist es nicht billig, er ist es nicht irenisch und oberflächlich nach dem Motto: „Mach was du willst!“ Er leidet konkret und real unter dem Versagen des Menschen, unter unserer Sünde.

Darum ist die Barmherzigkeit der Kirche auch nie ein billiges „Es ist egal, was du tust“, sondern es ist die Einladung an die Gläubigen, auf jene liebend zuzugehen, die Sünder sind, die fern von der Kirche sind oder die es nicht schaffen, die Gebote zu halten. Das „Jahr der Barmherzigkeit“ ist nicht das Jahr billiger und fauler Kompromisse der Kirche mit dem Geist der Welt, sondern es ist die Chance, dass wir unser Gebet und unsere Opferbereitschaft verstärken, um etwas gegen die Dunkelheit der Sünde zu tun.

Kirche heute: „Barmherzigkeit“ war das große Thema des hl. Papstes Johannes Paul II. und seines Pontifikats. Er brachte die Botschaft der hl. Schwester Faustyna Kowalska aus Krakau zur Anerkennung. Welches Anliegen verfolgt Papst Franziskus mit seiner Initiative?

Pater Wallner: Papst Franziskus bringt durch und durch die Mentalität Lateinamerikas mit sich. Dort leben die Gläubigen aus den Sakramenten. Dort gibt es auch noch das tiefe Bewusstsein von Sünde und nicht –wie bei uns – den psychisch ungesunden Eifer, sich möglichst alle Sünden auszureden. Schuld sind ja bei uns immer die anderen…

Ein Schlüsselerlebnis war für mich, als Papst Franziskus sich öffentlich beim Beichten hat fotografieren lassen. Ich dachte: Das ist der Papst, der uns nicht die Sünden ausreden will, sondern der Papst, der uns einlädt, die Sünden anzunehmen und sie in die barmherzige Liebe Gottes zu werfen. Seine Botschaft kommt übrigens in der Dritten Welt gut an: Dort wird bereits mehr gebeichtet, mehr gebetet. Bei uns greift es noch nicht, weil der Papst vereinnahmt wird, als wollte er uns mit dem Begriff der „Barmherzigkeit“ die Sünden ausreden. Nein! Er möchte, dass wir die Sünden annehmen und sie uns vergeben lassen. Und er möchte, dass wir sühnend für die vielen Fernen einstehen!

Kirche heute: Was kann das „Jahr der Barmherzigkeit“ für den einzelnen Gläubigen bedeuten?

Pater Wallner: Ich habe ja schon 1983 das „Heilige Jahr der Erlösung“ erlebt, es war das Jahr meiner Ordensprofess, dann das „Heilige Jahr 2000“. Das Entscheidende ist, dass wir die sündenvergebende Liebe Gottes annehmen lernen. Darum wird es ganz wichtig sein, in diesem Jahr das Bußsakrament neu zu entdecken und von uns Priestern her intensiver zu propagieren. Das geht übrigens nur, wenn wir Priester selber aus diesem Sakrament leben.

Ich merke es immer bei Exerzitien oder unlängst bei Jugendtagen: Alles, was man betet und in Vorträgen hört, kann schön und erbaulich sein. Wo die Teilnehmer – und auch ich als Priester – dann aber wirklich Gottes Liebe und Barmherzigkeit ganz unmittelbar und real und direkt erfahren, das ist die heilige Beichte. Es wäre ein großer Schritt und wir müssen alles daran setzen, dass wir vom oberflächlichen Blabla über Jesus wegkommen und ihn in der Beichte als den konkret und real Handelnden neu in seiner Kirche wirken lassen. Das könnte ein Anschub für eine richtige Neuevangelisierung sein.

Kirche heute: Worauf kommt es Ihrer Ansicht nach an, damit dieses Jahr vor Ort fruchtbar begangen wird?

Pater Wallner: Zur Beichte kommt die Eucharistische Anbetung hinzu. Wir brauchen die Unmittelbarkeit zu Jesus, die er uns durch das Sakrament verbürgt schenkt. Die Barmherzigkeit Gottes ist kein Abstraktum, sondern sie ist konkret und personal: konkret in der kleinen Hostie, vor der ich knie, weil Gott sich aus Liebe zu uns so klein gemacht hat; und die Barmherzigkeit Gottes ist personal.

Schwester Faustyna Kowalska, die ja in ihren Visionen vom barmherzigen Jesus im 20. Jahrhundert das neu geschenkt bekam, was schon 300 Jahre vorher in den Herz-Jesu-Offenbarungen die heilige Margareta Maria Alacoque erfahren durfte, lädt uns ein zu sprechen: „Jesus, ich vertraue auf dich“. Das heißt: Ich als fehlerhafter, überlasteter, sündhafter, oft sogar bösartiger und schlechter Mensch, ich vertraue auf Deine Barmherzigkeit. Ich darf das direkt personal zu Jesus sagen, weil Er mir im Sakrament als Hörender, Antwortender und Liebender direkt gegenüber ist.

Die Fruchtbarkeit des „Jahres der Barmherzigkeit“ wird wesentlich davon abhängen, ob wir den barmherzigen Jesus in Beichte und Eucharistie neu entdecken oder ob alles in dem lauen Kirchentrott mit seinen Abbröckelungen und Spaltungen bleibt wie bisher. Ich persönlich möchte hier sagen: Ich freue mich auf das Heilige Jahr und bin sicher, dass uns Papst Franziskus hier die Chance gibt, einen großen Schritt zur Erneuerung des Glaubens zu tun.

Kirche heute: Herr Pater Wallner, wir danken Ihnen aufrichtig für das aufschlussreiche Interview. Es ist ohne Zweifel ein wertvoller Beitrag für das beginnende „Jahr der Barmherzigkeit“. Ihnen wünschen wir viel Kraft, damit Sie weiterhin so fruchtbar im Weinberg des Herrn wirken können.

Für das „Jubiläum der Barmherzigkeit“ wurde vom Vatikan folgende Internetseite eingerichtet (auf Deutsch): www.iubilaeummisericordiae.va/content/gdm/de.html

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
www.kirche-heute.de


[1] Karl Josef Wallner: Sühne. Suche nach dem Sinn des Kreuzes, geb., 192 S., ISBN 978-3-9454011-3-2, Euro 17,95. Direkt beim Verlag bestellen unter Tel. 07303-9523310, mit Fax: 07303-9523315 oder via E-Mail: buch@media-maria.de

Gottes Barmherzigkeit ist stärker als der Terror

Beim Angelus am 16. September 2007 schlug Papst Benedikt XVI. den Bogen von Johannes Paul II., dem „großen Apostel der göttlichen Barmherzigkeit“, über den 11. September 2001 bis hin zur pastoralen Sorge um die Fernstehenden. Aktuelle Worte im Blick auf die Eröffnung des „Jahres der Barmherzigkeit“.

Von Papst Benedikt XVI.

Jesus offenbart das Antlitz des Vaters

Das 15. Kapitel des Lukasevangeliums ist einer der erhabensten und ergreifendsten Abschnitte der ganzen Heiligen Schrift. Bis heute erklingt diese Frohe Botschaft der Wahrheit und des Heils: Gott ist barmherzige Liebe. Der Evangelist Lukas hat in diesem Kapitel drei Gleichnisse über die göttliche Barmherzigkeit gesammelt: die beiden kürzeren, die er mit Matthäus und Markus gemeinsam hat, sind die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme; das dritte, lange, ausführliche Gleichnis, das sich nur bei ihm findet, ist das berühmte Gleichnis vom barmherzigen Vater, das gewöhnlich das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ genannt wird. In diesem Abschnitt des Evangeliums ist es so, als hörte man gleichsam die Stimme Jesu, der uns das Antlitz seines Vaters und unseres Vaters offenbart. Im Grunde ist er dazu auf die Welt gekommen, um zu uns vom Vater zu sprechen; um ihn uns verlorenen Söhnen bekanntzumachen und in unseren Herzen die Freude zu wecken, ihm zu gehören, die Hoffnung, Vergebung zu finden, und unsere volle Würde zurückerstattet zu bekommen, und den Wunsch, für immer in seinem Haus zu wohnen, das auch unser Haus ist.

Barmherzigkeit ist der Weg der Kirche

Jesus erzählte die drei Gleichnisse der Barmherzigkeit, da die Pharisäer und Schriftgelehrten schlecht über ihn redeten, denn sie sahen, dass er auf die Sünder zuging und sogar mit ihnen aß (vgl. Lk 15,1-3). So erklärte er mit der für ihn bezeichnenden Sprache, dass Gott nicht will, dass auch nur einer seiner Söhne verloren gehe, und dass sein Herz vor Freude überfließt, wenn ein Sünder umkehrt. Die wahre Religion besteht also darin, in Einklang zu kommen mit diesem Herzen, das „reich an Barmherzigkeit“ ist und uns bittet, alle zu lieben, auch die Fernstehenden und die Feinde, und so den himmlischen Vater nachzuahmen, der die Freiheit eines jeden respektiert und alle mit der unbesiegbaren Kraft seiner Treue an sich zieht. Das ist der Weg, den Jesus all denen weist, die seine Jünger sein wollen: „Richtet nicht … verurteilt nicht … Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Gebt, dann wird auch euch gegeben werden … Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ (Lk 6,36-38). In diesen Worten finden wir sehr konkrete Anweisungen für unser alltägliches Verhalten als Gläubige.

Dringliche Botschaft an alle Völker

In unserer Zeit hat es die Menschheit nötig, dass die Barmherzigkeit Gottes kraftvoll verkündigt und bezeugt wird. Prophetisch ahnte diese pastorale Dringlichkeit der geliebte Johannes Paul II., der ein großer Apostel der göttlichen Barmherzigkeit gewesen ist. Dem barmherzigen Vater widmete er seine zweite Enzyklika, und während seines ganzen Pontifikats machte er sich zum Missionar der Liebe Gottes bei allen Völkern. Nach den tragischen Ereignissen des 11. September 2001, die den Beginn des dritten Jahrtausends verdunkelten, forderte er die Christen und die Menschen guten Willens auf zu glauben, dass die Barmherzigkeit Gottes stärker als alles Böse ist, und dass sich nur im Kreuz Christi das Heil der Welt findet. Die Jungfrau Maria, Mutter der Barmherzigkeit, die wir als die Schmerzhafte Mutter Gottes zu Füßen des Kreuzes betrachten, erwirke für uns die Gabe, immer auf die Liebe Gottes zu vertrauen, und sie helfe uns, barmherzig zu sein wie unser Vater im Himmel.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Konkrete Gestaltung des Jubiläumsjahres

In der Umarmung der Göttlichen Barmherzigkeit

Seit 2007 ist der italienische Ordensgeistliche Paul Pezzi Erzbischof der römisch-katholischen Erzdiözese der Mutter Gottes von Moskau. Er gehört zur Priesterbruderschaft der Missionare des hl. Karl Borromäus (FSCB) und leitet die Bewegung „Comunione e Liberazione“ für Russland. In einem Hirtenwort macht er die Gläubigen seines Bistums mit dem „Heiligen Jahr der Barmherzigkeit“ bekannt und gibt erste konkrete Anweisungen. Es ist ein Beispiel dafür, wie die einzelnen Anliegen wie Beichte, Ablass oder Wallfahrt in einer Ortskirche umgesetzt werden. Dabei handelt es sich um eine relativ junge Diözese, die erst nach der Perestroika aufgebaut wurde und nun dabei ist, in einer ausgesprochenen Diaspora-Situation ihre Identität auszuformen. Nachfolgend ein Auszug.

Von Erzbischof Paul Pezzi, Moskau

Öffnung der Heiligen Pforte

Am 11. April dieses Jahres, dem Vorabend des zweiten Sonntags der Osterzeit, also des Sonntags der Göttlichen Barmherzigkeit, kündigte Papst Franziskus ein „Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit“ an. Es wird am 8. Dezember, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, eröffnet. Dieser Termin ist für unsere Ortskirche besonders wichtig, denn die Unbefleckt Empfangene ist die Patronin unseres Erzbistums. Das Jubiläumsjahr beginnt, wenn der Papst die Heilige Pforte im Petersdom in Rom öffnet. Allerdings wünschte der Heilige Vater, dass in allen Kathedralen der ganzen Welt auch eigene Pforten der Göttlichen Barmherzigkeit geöffnet werden – als Symbol für die Pforte in der Römischen Basilika, geöffnet das ganz Jahr hindurch, damit der Mensch, der durch sie hindurchschreitet, die Umarmung der Barmherzigkeit Gottes spüren kann. In unserer Kathedralkirche in Moskau wird die besondere Pforte der Barmherzigkeit am 13. Dezember, dem dritten Adventssonntag, um 10.00 Uhr geöffnet. An diesem Tag rufe ich alle dazu auf, sich mit diesem Ereignis zu verbinden, wenn nicht durch persönliche Anwesenheit, so doch im Gebet. Ebenso ordne ich an, dass in allen Kirchen der Erzdiözese innerhalb eines Monats nach der Eröffnung des Jubiläumsjahres mindestens eine Heilige Messe um eine reiche Ausgießung der Gnade der Göttlichen Barmherzigkeit auf unsere Kirche, alle Christen und die ganze Menschheit gefeiert wird.

Wichtigster Inhalt der Verkündigung

Barmherzigkeit ist die Erfahrung der Erkenntnis Christi, die der Heilige Geist hervorbringt: „Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm“ (vgl. Röm 8,9).  Nur derjenige, den die zärtliche Liebkosung der Barmherzigkeit berührt hat, kennt den Herrn wirklich und besitzt einen Zugang zum Vater. Denn „Jesus Christus ist das Antlitz der Barmherzigkeit des Vaters“ (Papst Franziskus, Verkündigungsbulle des außerordentlichen Jubiläums der Barmherzigkeit Misericordiae vultus, 1). Zu denken, wir wären ohne Sünde, ist Naivität und Selbstbetrug, ja noch mehr, wenn wir die Barmherzigkeit Christi nicht erfahren und erkennen, werden wir auch ihn selbst nie erkennen. Mangelnde Erfahrung seiner Barmherzigkeit bestätigt, dass wir zur Seite gerückt sind, uns zurückgezogen, von Christus distanziert haben. Gibt es in unseren Tagen überhaupt noch diese Erfahrung der Barmherzigkeit? Nehmen wir die Gegenwart Christi durch diese Erfahrung wahr? Die bedingungslose Vergebung, die Maria Magdalena (vgl. Lk 7,36-50) und anderen von Christus geheilten Sündern gewährt wurde, weckte in ihnen eine Freimütigkeit, die dem Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes entsprang. Das ist die Befreiung, die Christus in unser Leben bringt, so sehr wir auch gesündigt haben. Barmherzigkeit begleitet den Menschen zur Begegnung mit Christus. Und das muss der Hauptinhalt unserer Verkündigung an die Welt werden. Die Barmherzigkeit Gottes ist die wichtigste und wahrste Frohbotschaft, welche die Kirche der modernen Welt verkünden kann (vgl. Papst Franziskus, Ansprache an die Mitglieder des Päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung, 21.05.2015).

Betonung der Beichte

Barmherzigkeit ist die konkrete Erfahrung der Liebe Gottes, die wir auf besondere Weise im Sakrament der Buße und der Versöhnung, also in der Beichte machen. Ich fordere alle Priester dazu auf, diesem Sakrament in der Katechese besondere Aufmerksamkeit zu widmen und mehr Zeit im Beichtstuhl zu verbringen. Ich bitte auch darum, die von Papst Franziskus vorgeschlagene Initiative „24 Stunden für den Herrn“ aufzugreifen und in allen Pfarrkirchen, besonders in Moskau und St. Petersburg, soweit möglich, am Freitag und bzw. oder am Samstag vor dem fünften Fastensonntag eine besondere Gebetswache mit Beichtgelegenheit abzuhalten, ausgerichtet auf die Erfahrung der Göttlichen Barmherzigkeit.

Der Jubiläumsablass

Das Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit wurde von Papst Franziskus dazu ausgerufen, dass wir unseren Blick auf den barmherzigen Vater richten und auf diese Weise selbst zu Werkzeugen seiner Barmherzigkeit werden.

„Ein Jubiläum bringt es mit sich, dass wir auch auf den Ablass Bezug nehmen. Dieser gewinnt besondere Bedeutung im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit. Die Vergebung unserer Sünden durch Gott ist grenzenlos. Im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi lässt Gott seine Liebe sichtbar werden, die selbst die Sünden der Menschen zerstört. Sich mit Gott zu versöhnen wird möglich aufgrund des Paschamysteriums und durch die Vermittlung der Kirche. Gott zeigt sich immer bereit zur Vergebung und er wird nicht müde, sie immer wieder neu und in unerwarteter Weise anzubieten. Dennoch machen wir die Erfahrung der Sünde. Wir wissen, dass wir zur Vollkommenheit berufen sind (vgl. Mt 5,48), aber wir spüren die schwere Last der Sünde. Während wir die Macht der Gnade wahrnehmen, die uns verwandelt, merken wir auch, wie sehr uns die Kraft der Sünde bestimmt. Trotz der Vergebung ist unser Leben geprägt von Widersprüchen, die die Folgen unserer Sünden sind. 

Im Sakrament der Versöhnung vergibt Gott die Sünden, die damit wirklich ausgelöscht sind. Und trotzdem bleiben die negativen Spuren, die diese in unserem Verhalten und in unserem Denken hinterlassen haben. Die Barmherzigkeit Gottes ist aber auch stärker als diese. Sie wird zum Ablass, den der Vater durch die Kirche, die Braut Christi, dem Sünder, dem vergeben wurde, schenkt und der ihn von allen Konsequenzen der Sünde befreit, so dass er wieder neu aus Liebe handeln kann und vielmehr in der Liebe wächst, als erneut in die Sünde zu fallen“ (Papst Franziskus, Misericordiae vultus, 22).

Im Zusammenhang mit dem Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Ablässe zu gewinnen. Sie werden in einem späteren Dekret bekannt gemacht.

Diözesanwallfahrt nach Rom

Eine besondere Möglichkeit zur Gewinnung des Ablasses und zur Stärkung unseres Glaubens und der Hoffnung auf die barmherzige Liebe Gottes stellt die Diözesanwallfahrt nach Rom dar. „Die Pilgerfahrt ist ein besonderes Zeichen in einem Heiligen Jahr, denn sie ist das Symbol für den Weg, den ein jeder Mensch in seinem Dasein zurückzulegen hat. Das Leben selbst ist eine Pilgerreise und der Mensch ist viator, ein Pilger auf der Straße nach dem ersehnten Ziel. Auch um zur Heiligen Pforte in Rom oder einem der anderen Orte zu gelangen, muss ein jeder, entsprechend der eigenen Kräfte, eine Pilgerreise machen. Diese soll ein Zeichen dafür sein, dass auch die Barmherzigkeit ein Ziel ist, zu dem es aufzubrechen gilt und das Einsatz und Opfer verlangt. Die Pilgerfahrt soll darum Anreiz zur Umkehr sein. Wenn wir die Heilige Pforte durchschreiten, lassen wir uns umarmen von der Barmherzigkeit Gottes und verpflichten uns, barmherzig zu unseren Mitmenschen zu sein, so wie der Vater es zu uns ist“ (Papst Franziskus, Misericordiae vultus, 14).

Es besteht auch die Absicht, eine Romwallfahrt auf Russlandebene zu organisieren. Konkrete Daten werden noch bekannt gegeben. Ich lade alle, denen es möglich ist, ein, an einer Wallfahrt nach Rom teilzunehmen, oder auch an Wallfahrtsorte auf dem Gebiet unserer Ortskirche. Alle, die nicht teilnehmen können, rufe ich zum Gebet dafür auf, dass die Wallfahrten uns allen ein erneuertes Bewusstsein für die Kraft der Barmherzigkeit in unserem Leben und im Leben unserer Gemeinden schenken.

Während des Jubiläumsjahres der Barmherzigkeit bitten wir Gott, dass Christus der Mittelpunkt unseres Lebens werde, dass er uns auf jedem Schritt beistehe und uns helfe, eine eigene Erfahrung der Befreiung von der Sünde und des Bösen, das uns belastet, zu machen. Ich wünsche allen, das Jubiläumsjahr in den Armen der Barmherzigkeit Christi zu begehen, die durch die Gemeinschaft der Kirche zu uns gelangt, uns immer wieder auf den wahren Weg zurückbringt und unserer Bestimmung entgegenführt.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Meilenstein für die Hochschule Heiligenkreuz

Theologie im Geist Benedikts XVI.

Am 1. Oktober 2015 fand ein dreijähriger Ausbau der Hochschule Heiligenkreuz seinen offiziellen Abschluss. Dazu wurde eine überlebensgroße Bronzestatue Benedikts XVI. enthüllt, die von einem Künstlermönch des Zisterzienserklosters geschaffen wurde und den Papst bei seinem Besuch am 9. September 2007 im Stift Heiligenkreuz darstellt. Zum Festakt überbrachte sein Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, Grüße aus Rom und fasste die gegenseitige Beziehung in die schönen Worte: „Heiligenkreuz und Benedikt XVI. – das ist eine Liebesgeschichte, die tiefe Wurzeln hat und viele Früchte trägt.“ Tatsächlich erlebte die Hochschule nach dem Papstbesuch einen deutlichen Aufschwung. Schon im Januar 2007 war sie zu einer Hochschule päpstlichen Rechts erhoben und nach Benedikt XVI. benannt worden. Wie Rektor P. Karl Wallner und Abt Maximilian Heim unterstrichen, weiß sich die stiftseigene Hochschule dem Erbe Benedikts XVI. verpflichtet: „Es ist der Auftrag zu einer ‚knienden Theologie‘, zur Verbindung von Intellektualität und Spiritualität, von Studium und Evangelisation.“

Von Weihbischof Andreas Laun

Die Hochschule von Heiligenkreuz, die den Namen von Papst Benedikt XVI. trägt, ist fertig! Ich erinnere mich noch an den bescheidenen Zustand dieser Einrichtung, als ich Anfang 1980 beginnen durfte, dort zu lehren. Jetzt sind die Hörsäle hochmodern, die Zahl der Studenten – heute sind es 274 junge Leute – beträgt ein Vielfaches von damals, die Bibliothek ist reich bestückt, auch dank einer großen Bücherspende der Salesianer aus Benediktbeuern. Nichts hindert die Studenten, sich dem Studium zu widmen. Ziel dabei ist eine wirklich gute Ausbildung: Priester und Laientheologen „müssen“ fähig werden, in der heutigen, säkularen und heidnischen Welt mit all ihren Schwierigkeiten, Angriffen auf die Kirche und auch mit ihren gefährlichen Verrücktheiten wie der Gender-Bewegung die Lehre der Kirche darzulegen, zu verteidigen, zur Geltung zu bringen. Und dies sollen sie nicht nur auf dem Niveau der Wissenschaft tun können, sondern, was viel wichtiger ist, so, dass jeder Mensch sie verstehen kann! Die Offenbarung stellt schwierige Fragen, das erkennt man deutlich bei der Lektüre des hl. Paulus. Aber das Wesentliche, das, was für die gelebte Gottesbeziehung nötig ist, kann auch ein Kind verstehen! Wichtig ist nur, dass die „gelehrten Theologen“ auch in diesem Sinn „wie die Kinder sind“ und daher die Sprache der Kinder sprechen können oder sprechen lernen! Gottes Offenbarung und Gottes Liebe verstehen auch Kinder, wie die Geschichte vielfältig bewiesen hat. Und zudem: Auch die erwachsenen Kirchenbesucher wollen keine wissenschaftlichen Vorlesungen, sondern die Botschaft Gottes in einfacher, verständlicher Sprache, die es ihnen ermöglicht, zu glauben und vor allem dem Wort der Liebe mit ihrer Liebe zu antworten! Gott ist geheimnisvoll, aber nicht kompliziert. Und die Liebe zu ihm bedarf der Vernunft, aber sie ist ihrem Wesen nach die Liebe aller Zeiten und aller Menschen, die zu leben nicht eines akademischen Titels bedarf! Nebenbei angemerkt: Es gibt viele „gebildete Menschen“, die Fachleute und Titelträger sind in ihrem Fach, aber dann, wenn es um Religion und Kirche geht, einen schwer erträglichen Unsinn reden.

Die „Hochschule Benedikt XVI.“ will im Geist Benedikts XVI., dieses großen Theologen unserer Zeit, arbeiten. Und wenn die Professoren und Studenten sich an diesem Papst orientieren, dann wird es gelingen! Wir werden Priester und Laien bekommen, die unser aller Glauben verstehen, lieben und darüber in einer verständlichen Sprache sprechen können! Daraus werden neue Berufungen kommen und das wiederum ist ein wichtiger Beitrag zum großen Programm der Kirche heute: Entweltlichung der Kirche und Neuevangelisierung! Auch in Heiligenkreuz „kocht man nur mit Wasser“, aber es gibt begründete Hoffnung, dass über diesem „Wasser“ der Geist Gottes schweben und es heiligen wird!

Ich nütze die Gelegenheit hinzuzufügen: Es gibt auch viele, viele Bücher, die in Heiligenkreuz entstanden sind und heute zur Verfügung stehen. Ich darf unsere Leser zuerst auf die Autobiografie meines Vaters hinweisen, die schon in rund 10 Sprachen erschienen ist und immer noch viele Menschen tief berührt und zu Gott geführt hat. Dann verweise ich – angesichts der bestehenden Not – auf meine eigenen Religionsbücher (8 Bände), die zwar im deutschen Sprachraum offiziell immer noch nicht anerkannt sind, deren Übersetzung aber im Ausland, nämlich in Ungarn, Slowenien und Kroatien, bereits begonnen hat. Kein Geringerer als Papst Benedikt XVI. hat sie begutachtet und gelobt. Und nicht zuletzt: Darin geht es auch um den überraschenden Zusammenhang zwischen Scheidung und künstlicher Verhütung. Wer hätte das gedacht: Die Lehre der Kirche erhöht die Beständigkeit einer Ehe – „Dynamik der Liebe“!

Zurück zur Hochschule: Sie wird nicht nur von motivierten und guten Professoren getragen, sondern spirituell vom Kloster der Zisterzienser und von vielen Betern „von auswärts“, aber aus dem Inneren der Kirche. Das ist ein unschätzbares, nicht in Zahlen berechenbares Potential: Nicht nur die Begabungen der Mönche, sondern auch all die Beter und ihre Opfer tragen die Hochschule mit. So wirken viele, viele Christen zusammen, um junge Katholiken auszubilden und zu formen, darunter viele, die antreten, um Priester zu werden. Man kann Bildung und Wissenschaft nicht durch Gebet und Frömmigkeit ersetzen, aber ohne das Gebet und ein geistliches Leben geht es auch nicht. Auch das beweist die Erfahrung: In der Geschichte der Kirche sind nicht selten auch hochbegabte und gelehrte Männer abgefallen und haben mit ihren Irrlehren oder Sünden die Kirche gespalten. So gilt auch für Heiligenkreuz: Wir brauchen die Wissenschaft, aber auch das geistliche Leben, die gelebte Liebe zu Christus und Seiner Kirche!

Das ist Heiligenkreuz und das ist seine Hochschule: ein Ort der Gnade, ein Ort des Wachsens und Reifens für junge Menschen mit ihren Begabungen und ihren Berufungen. Gott ist der Hirte, ER ist es, der sie, die jungen Leute, väterlich führen wird. An uns liegt es, das Unsere zu tun und dabei auf Gott unsere ganze Hoffnung zu setzen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Folgen der Krippenpolitik

Abgeschobene Kinder schieben ihre Eltern ab

Karl-Heinz B. van Lier geht im Zusammenhang mit seiner Forderung nach einem Kurswechsel in der Familienpolitik auch dezidiert auf die Folgen der „Krippenpolitik“ ein. Er spricht von einem „Umbau der Gesellschaft“ durch einen „vorsorgenden Staat“, der als „Betreuungsagentur für Kindheit, Jugend und Alter“ fungiere. Als Folge werde „Abschiebung“, das heißt die Delegation von Verantwortung, zum gängigen Muster, welches in Zukunft das Familienleben bestimme.

Von Karl-Heinz B. van Lier

Kinder verinnerlichen ihre Abschiebung

Heute stehen für knapp 800.000 Kinder unter drei Jahren bereits mehr als 52.000 Kitas zur Verfügung. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, lag die Betreuungsquote in Westdeutschland bei 30%, in Ostdeutschland bei 52% (2013). Die Statistik verschweigt, dass dort, wo es die meisten Betreuungsplätze gibt, niedrigere Geburtenzahlen zu verzeichnen sind. Als Folge der rasch wachsenden Kita-Betreuung geht – mit Verzögerung – die Verstaatlichung des Alters einher. Denn abgeschobene Kinder – zudem im sensibelsten Alter – werden die Abschiebung als gängiges Muster des innerfamiliären Umgangs verinnerlichen.

Seniorenasyl wird zur Regel

Die Abschiebung der Alten wird – analog zur Abschiebung der Kleinsten – im ähnlich großen Stil in Alten- und Altenpflegeheimen stattfinden. Und das Seniorenasyl wird auch deshalb eher zur Regel, weil die Mütter der Kinder, die bisher auch die Eltern und Schwiegereltern mitbetreut haben, wegen ganztägiger Arbeit als Ansprechpartnerin und Pflegerinnen für die Eltern ausfallen werden.

Ältere Menschen bleiben einsam und hilflos zurück 

Bisher sind es noch 71%, meist Frauen, die diesen familiären aufopfernden Dienst leisten. Für das Jahr 2030, spätestens wenn die Babyboom-Generation das Rentenalter erreicht hat, sind 3,5 Millionen Pflegebedürftige prognostiziert, was spätestens dann zu dem befürchteten Pflegenotstand führen wird.

Familie wird vergesellschaftet

Wer als überzeugter Single bei seinem Lebensentwurf zu bleiben beabsichtigt, aber heute schon einen ersten Eindruck von Pflegenotstand und Personalmangel in Krankenhäusern gewinnen will, sollte sich für ein paar Stunden von der Spaßgesellschaft verabschieden. In Krankenhäusern und Pflegestationen wird er einer Wirklichkeit begegnen, die ältere Menschen einsam und hilflos zurücklässt, weil kein eigener Familienangehöriger sich um sie kümmert und sie zudem die Sprache der Pfleger aus fremden Ländern nicht verstehen können. Die Betreuung in Alten- und Pflegeheimen im großen Stil wird selbst für einen wohlhabenden Staat, der bereits heute mit der Finanzierung der Kitas an seine Grenzen gekommen ist, zu kostspielig sein.

Doch vorerst wird die Familie – dank der staatlichen Lenkungsoffensive – sukzessive zur Beute des Staates, von der Wiege bis zur Bahre. Unsere Familienhäuser werden zu Schlafstätten, der familiäre Zusammenhalt wird dem Krippenstaat geopfert. Das Warnschild an Baustellen: „Eltern haften für ihre Kinder!“ kann dann umgeschrieben werden zu: „Der Staat haftet für Ihre Kinder!“ Auch wenn die Zukunft etwas überzeichnet wurde: Familie wird à la longe vergesellschaftet werden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Prof. George Weigel fordert tiefgreifende Reform

Franziskus als Seelsorger der Welt

Einer der bekanntesten katholischen Publizisten der USA ist derzeit Prof. George Weigel. In einem Buch, das 2012 erschienen ist, beschreibt er das Profil eines Katholizismus, wie er seiner Ansicht nach das Ergebnis einer tiefgreifenden Erneuerung der Kirche im 21. Jahrhundert sein muss. Erst nach der Veröffentlichung der englischen Ausgabe wurde Kardinal Bergoglio zum Papst gewählt. Doch in Papst Franziskus und seinem Wirken scheint manches Wort von Prof. Weigel bereits Gestalt anzunehmen. Das Buch liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor.[1]

 

Interview mit George Weigel

Kirche heute: Verehrter Herr Professor Weigel, Sie sind in Europa besonders durch Ihre Biografie Papst Johannes Pauls II. bekannt geworden. In Ihrem Buch „Evangelical Catholicism: Deep Reform in the 21st-Century Church“, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt, beschäftigen Sie sich am Ende mit der Frage, von welchem Format die Päpste des 21. Jahrhunderts sein sollten, damit sie der notwendigen Erneuerung dienen können. Sie nennen das Kapitel „Die evangelikale katholische Reform des Papsttums“. Wie beurteilen Sie auf diesem Hintergrund das bisherige Pontifikat von Papst Franziskus?

Prof. Weigel: Wie ich im Nachwort zu der englischen Taschenbuch-Ausgabe des Buches geschrieben habe, verkörpert Papst Franziskus viele Eigenschaften, die ich für einen Papst der „Neuevangelisierung“ in meinem Buch vorgeschlagen habe, und er wird sicher einige der empfohlenen Reformen der Kurie in die Tat umsetzen.

Kirche heute: Wie schätzen Sie das Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ ein? Entspricht es Ihrem Anliegen?

Prof. Weigel: In „Evangelii gaudium“ ist der Aufruf an alle Gläubigen enthalten, als „eine Kirche, die andauernd den Glauben verkünden soll“, zu handeln. Dies entspricht in jedem Fall genau den Empfehlungen in meinem Buch.

Kirche heute: Wie beurteilen Sie die Umwelt-Enzyklika „Lautato si“?

Prof. Weigel: Ich finde, dass sie eine sehr sinnvolle Mahnung daran ist, dass die Instrumentalisierung der Natur zwangsläufig zu einer Instrumentalisierung – und Entwürdigung – der menschlichen Person führt. „Laudato si“ fordert uns auf, über uns selbst in einer evangeliumsgemäßen Art nachzudenken. Wie ich in einem Kommentar zur Enzyklika schrieb, geht es in „Laudato si“ weit mehr um uns – die Menschen – als um die Bäume.

Kirche heute: Welche Erwartungen setzen Sie in das „Jahr der Barmherzigkeit“, das am 8. Dezember dieses Jahres beginnen wird?

Prof. Weigel: Ich hoffe, dass es für die Welt ein Anlass sein wird, das „Ja“ zur menschlichen Würde zu entdecken; diese Würde liegt jenseits des „Nein“, das die Kirche zu gewissen in der postmodernen Welt vorherrschenden Praktiken sagen muss.

Kirche heute: Wie erleben Sie die Familiensynode in Rom?

Prof. Weigel: Es ist nun der Beginn der zweiten Woche und deshalb noch zu früh, um etwas über das Ergebnis der Synode sagen zu können. Aber es scheint bis jetzt offensichtlich sehr wenig Unterstützung für die Vorschläge von Kardinal Kasper zu geben.

Kirche heute: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Akzente, die Papst Franziskus bisher gesetzt hat?

Prof. Weigel: Er hat der Welt aufgezeigt, dass sie einen Seelsorger braucht und nötig hat, unabhängig davon, ob sie sich dessen ausdrücklich bewusst ist.

Kirche heute: Warum haben Sie für Ihren Ansatz der Erneuerung den Begriff „evangelikaler Katholizismus“ verwendet? Was möchten Sie damit zum Ausdruck bringen?

Prof. Weigel: Es ist einfach eine andere Art, über „die Neuevangelisierung“ zu sprechen, die ein schöner Ausdruck ist, aber in den Vereinigten Staaten – und ich gehe davon aus, auch anderswo –  nicht richtig verstanden wird.

Kirche heute: Sie sprechen in Ihrem Buch die neuen geistlichen Gemeinschaften und Ordensfamilien an. Wie wichtig sind Ihrer Ansicht nach diese Bewegungen für die Erneuerung der Kirche in unserem Jahrhundert?

Prof. Weigel: Sie sind sehr wichtig, wie es auch die neuen Bewegungen der Laien sind. Hier finden wir die Kraft und Energie, die in jenen Teilen der Kirche, die stirbt, fehlt. Dies gilt besonders für Europa.

Kirche heute: Können Sie konkrete Gemeinschaften und deren Stärken nennen?

Prof. Weigel: Einige der wachsenden Ordensgemeinschaften in den Vereinigten Staaten sind die Kongregation der Dominikanerinnen St. Cecilia, die Ordensschwestern Mercy of Alma und die Schwestern des Lebens – „Sisters of Life“.

Kirche heute: Sie sprechen in Ihrem Buch von Pfarrer Newmans, der in verschiedenen Pfarreien in South Carolina tätig ist. Seine Arbeit habe gezeigt, was evangelikaler Katholizismus in der Realität bedeutet: „Das Allermeiste von dem, was ich in diesem Buch über das Gemeindeleben schreibe, hat sich dank Pfarrer Newman bereits im Gemeindeleben bewährt.“ Könnten Sie diese Aussage an einigen Beispielen veranschaulichen?

Prof. Weigel: Pfarrer Newman ist der Seelsorger der Pfarrgemeinde „St. Mary’s“ in Greenville, South Carolina. Seine Arbeit setzt sich zusammen aus einer schönen Feier des Gottesdienstes mit ausgezeichneten Predigten, ernsthafter Katechese für junge Menschen und Erwachsene, ein Dienst für die Armen, die Verteidigung des Lebensrechts – all dies bringt viele Leute seiner Pfarrei dazu, sich selbst als Jünger zu begreifen.

Kirche heute: Was halten Sie für die Erneuerung der katholischen Kirche in Europa für entscheidend?

Prof. Weigel: Entscheidend ist die Erneuerung des Glaubens in Jesus Christus als den Herrn, den Gott gesandt hat, um uns sowohl das Angesicht des barmherzigen Vaters als auch die Wahrheit über unsere Menschlichkeit zu offenbaren – in anderen Worten genau das, was „Gaudium et Spes“, 22, uns lehrt.

Kirche heute: Herr Professor Weigel, wir danken Ihnen von ganzem Herzen für dieses interessante Interview und wünschen Ihnen weiterhin viel Kraft und Schwung in Ihrem missionarischen Wirken.

Prof. Weigel: Danke für Ihr Interesse.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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[1] George Weigel: Die Erneuerung der Kirche – Tiefgreifende Reform im 21. Jahrhundert, geb., 416 S., ISBN 978-3-9454011-2-5, Euro 24,95 (D), 25,65 (A) – Bestell-Telefon: 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5 oder mit E-Mail: buch@media-maria.de

Reform der Liturgiereform

Zum Herrn hin

Professor George Weigel sieht die katholische Kirche seit dem 16. Jahrhundert vom Prozess der Gegenreformation geprägt, und zwar in sehr kritischem Sinn. Er unterstreicht die Notwendigkeit einer neuen Ausrichtung am Evangelium und spricht von einem künftigen „evangelikalen Katholizismus“, der aus Wort und Sakrament lebt und eine missionarische Dynamik entfaltet. Tatsächlich erinnert das Bild, das er von einer erneuerten Kirche zeichnet, in Vielem an evangelisch freikirchliche Gemeinschaften. Umso mehr ist man überrascht, wenn man zum siebten Kapitel unter der Überschrift „Die evangelikale katholische Liturgiereform“ gelangt.[1] Es beginnt mit der Frage der Zelebrationsrichtung und plädiert sehr eindeutig dafür, dass „Zelebrant und Gemeinde in dieselbe Richtung beten“.

Von George Weigel

Der evangelikale Katholizismus nimmt die Möglichkeit ernst, während der Eucharistiefeier bei der Messe zur alten liturgischen Gebetsrichtung der Kirche zurückzukehren, sodass Zelebrant und Gemeinde in dieselbe Richtung beten: zu Christus gewandt, der in seiner Herrlichkeit wiederkommen und seinen Leib, die Kirche, zu sich ziehen, das heißt ins himmlische Jerusalem heimholen wird.

Es geht hier weniger um die Frage, ob der Priester die Messe „mit dem Gesicht zum Volk“ oder „mit dem Gesicht zum Altar“ zelebriert, als vielmehr um die Frage, welche Richtung beim liturgischen Gebet der Kirche, biblisch und theologisch betrachtet, korrekt ist – und zwar für jedermann. Deshalb sollten Versuche, vom eigentlichen Kern der Diskussion abzulenken und die Frage der Gebetsrichtung als Steckenpferd reaktionärer Konzilsgegner abzutun, die ganz erpicht darauf seien, die Priester wieder „mit dem Rücken zum Volk“ zelebrieren zu sehen, als das betrachtet werden, was sie tatsächlich sind: eben ein Ablenkungsmanöver. Entscheidend ist, wie Uwe Michael Lang geschrieben hat, dass „die Messe ein gemeinschaftlicher Akt der Anbetung [ist], bei dem sich Priester und Volk, die liturgische Versammlung, als pilgernde Kirche dem transzendenten Gott entgegenstrecken“.

Wie wir gesehen haben, ist dies tatsächlich eines der vorrangigen Ziele der eucharistischen Liturgie: dass sie „der christlichen Existenz ihre Ausrichtung auf den kommenden Christus vorgibt“. Wird dieses Ziel verfehlt, wenn Priester und Gläubige einander bei der Gottesdienstfeier an einem freistehenden Altar in einer Art „geschlossenem Kreis“ gegenüberstehen? Manche würden diese Frage mit Ja beantworten. Und wenn dieses Ziel verfehlt wird, kann dies, wie Pater Lang es formuliert, in der Liturgie zu einem „eschatologischen Defizit“ führen: zu einem mangelnden Bewusstsein der Tatsache, dass wir durch das liturgische Gebet in Vorwegnahme der Wiederkunft Christi in Herrlichkeit auf bevorzugte Weise an der himmlischen Liturgie teilnehmen.  Das eschatologische Defizit bei der Feier der heiligen Liturgie führt seinerseits wiederum zu einem kerygmatischen Defizit (also dazu, dass die Liturgie nicht in dem Maß Begegnung mit der Wahrheit Christi, des Herrn, ist, wie sie es eigentlich sein sollte) und das kerygmatische Defizit führt zu einem evangelikalen Defizit (also dazu, dass die Liturgie die Gemeindemitglieder nicht in dem Maß zur Übernahme der ihnen bei ihrer Taufe anvertrauten kirchlichen Mission inspiriert, wie sie es eigentlich tun sollte). Folglich ist das eschatologische Defizit ein Anzeichen dafür, dass die übliche Richtung der eucharistischen Liturgie seit dem II. Vaticanum den beiden Kriterien der authentisch katholischen Reform – dem Kriterium der Wahrheit und dem Kriterium der Mission – nicht entspricht.

Wie Pater Lang aufzeigt, wurzelt die gemeinsame Ausrichtung von Priester und Volk auf den in seiner Herrlichkeit wiederkehrenden Christus tief in den Ursprüngen des Christentums. Damals war es für die Christen „eine Selbstverständlichkeit“, sich beim Gebet der aufgehenden Sonne zuzuwenden. Diese Ausrichtung lenkte die Aufmerksamkeit der Kirche auf Christus, das Licht der Welt; und sie brachte die Hoffnung der Kirche zum Ausdruck, dass der Herr wiederkehren und das Reich Gottes in seiner Fülle errichten würde.[2] Neben dieser eschatologischen oder auf das Himmelreich bezogenen Bedeutung der gemeinsamen Ausrichtung von Priester und Volk auf den wiederkehrenden Herrn symbolisierte die einheitliche Blickrichtung der gesamten Gottesdienstgemeinschaft auch „die Bewegung des pilgernden Gottesvolkes hin auf die künftige Herrlichkeit“. Daraus ergeben sich zwei weitere Fragen: Trägt die inzwischen übliche, aber schwerlich traditionelle Ausrichtung, bei der der Priester das Volk über den Altar hinweg ansieht, unabsichtlich dazu bei, dass die Gemeinde das Bewusstsein ihrer Identität – als Gottes Volk, das durch die Geschichte hindurch der Erfüllung der göttlichen Verheißungen entgegenpilgert – verliert? Hat die typische nachkonziliare Ausrichtung der eucharistischen Liturgie das kirchliche Gespür ernsthaft beeinträchtigt, wonach der zelebrierende Priester das Volk Gottes in einer gemeinsamen Bewegung „hin zum Herrn“ führt, der „die aufgehende Sonne der Geschichte“ ist?[3]

Deshalb wird eine evangelikale katholische Liturgiereform die Wiedereinführung der klassischen christlichen Gebetsrichtung während der Eucharistiefeier ernsthaft in Erwägung ziehen. Auch in Zukunft würden Priester und Gemeinde einander während des Wortgottesdienstes gegenüberstehen, denn diese Blickrichtung ist dort, wo es darum geht, zu verkündigen und zuzuhören, durchaus angemessen. In der Eucharistiefeier aber würde sich die gesamte Gemeinde einschließlich des Zelebranten dem Herrn zuwenden, das heißt, beide, Priester und Volk, würden sich, wenn der Zelebrant das eucharistische Hochgebet spricht, als eine Einheit zum Altar hin ausrichten und alle gemeinsam auf Christus blicken, dessen Wiederkunft in Herrlichkeit durch seine eucharistische Gegenwart vorweggenommen wird und den die Gottesdienstgemeinschaft im gewandelten Brot und Wein der heiligen Kommunion empfängt.

Natürlich kann die Liturgie auch dann ehrfürchtig gefeiert werden, wenn Priester und Volk einander während der Eucharistiefeier ansehen, das steht außer Zweifel. Doch der evangelikale Katholizismus spricht eine Frage an, die tiefer reicht: Würde eine solche ehrfürchtige Feier durch die Wiedereinführung der alten kirchlichen Praxis einer gemeinsamen Gebetsrichtung von Priester und Volk während der eucharistischen Liturgie begünstigt werden? Würde die gemeinsame Gebetsrichtung der Kirche helfen, ihr eucharistisches Leben wieder unter dem Aspekt des Himmelreichs zu sehen, und so die Eucharistie wieder neu mit der christlichen Wahrheit, Verkündigung und Zeugenschaft in Verbindung bringen?

Ein Wechsel der Gebetsrichtung kann (und darf) nicht einfach verfügt werden, denn den meisten Katholiken sind die Gründe, die hinter der früheren Ausrichtung des kirchlichen Gebets während der eucharistischen Liturgie standen, nie erklärt worden und daher gar nicht bewusst. Deshalb sollten die Priester ihre Gemeinden durch eine ausgiebige Katechese – am besten über einen längeren Zeitraum hinweg im Rahmen der Sonntagspredigten – sorgfältig auf diesen Wechsel einstimmen. Nach einer angemessenen Vorbereitungsphase wird die Rückkehr zur alten Gebetsrichtung während der Eucharistiefeier erfahrungsgemäß fast durchgängig gut aufgenommen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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[1] George Weigel: Die Erneuerung der Kirche – Tiefgreifende Reform im 21. Jahrhundert, geb., 416 S., ISBN 978-3-9454011-2-5, Euro 24,95 (D), 25,65 (A) – Bestell-Telefon: 07303-952331-0, Fax: 07303-952331-5 oder mit E-Mail: buch@media-maria.de
[2] Interessanterweise wurde diese christliche Praxis in islamischen Streitschriften kritisiert, deren Verfasser darin einen Rückfall in die heidnische Sonnenanbetung sahen.
[3] Die Zitate von Pater Lang stammen aus: Uwe Michael Lang: Turning Towards the Lord: Orientation in Liturgical Prayer, San Francisco 2004 (Deutsch: Uwe Michael Lang: Conversi ad Dominum, Zu Geschichte und Theologie der christlichen Gebetsrichtung, Einsiedeln 52010). Vgl. Joseph Ratzinger: The Spirit of the Liturgy, San Francisco 2000 (Deutsch: Der Geist der Liturgie, Freiburg 1969).

„Beihilfe zum Suizid“ – Abstimmung am 6. November 2015

Dringender Appell: „Keine Lizenz zum Töten!“

Nach monatelangen Diskussionen soll nun am 6. November 2015 im Deutschen Bundestag die Entscheidung über die Straffreiheit der „Beihilfe zur Selbsttötung“ fallen. Die Wenigsten sind sich bewusst, welche dramatischen Konsequenzen eine solche Liberalisierung hätte. „Wer die ärztlich assistierte Suizidbeihilfe will, zielt auf die aktive Tötung von Patienten ab.“ Mit diesen Worten warnt Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery (geb. 1952) vor dem geplanten „Pakt mit dem Tod“. Seit 2011 ist er Präsident der Bundesärztekammer und seit April dieses Jahres auch stellvertretender Vorsitzender des Weltärztebundes. Es gibt unter den vier Gesetzentwürfen nur einen, der sich für ein Verbot der Suizidbeihilfe und damit für den Schutz von lebensmüden und kranken Menschen durch den Staat einsetzt. Christiane Lambrecht, Vorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL) in Bayern, bittet in einem dringenden Appell, diesen Gesetzesentwurf zu unterstützen. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern. Beruflich ist sie als Beraterin für Kommunikation in Wirtschaft, Politik und Kirche engagiert.

Von Christiane Lambrecht

Am 6. November 2015 soll im Deutschen Bundestag über die Straffreiheit der „Beihilfe zur Selbsttötung“, §217 StGB,  abgestimmt werden. Kaum einer weiß es, aber die Konsequenzen werden unser Zusammenleben nachhaltig verändern.

Sterbehilfe oder Beihilfe zur Selbsttötung?

Entgegen der weit verbreiteten Meinung geht es bei der „Sterbehilfe“-Diskussion und der Abstimmung über die vier Gesetzentwürfe zum § 217 StGB am 6. November im Deutschen Bundestag weder um eine Hilfe für ein natürliches Sterben in Würde, noch um das Thema Einsamkeit im Alter, noch um den Ausbau der Palliativmedizin, die mittlerweile garantieren kann, dass ein Kranker ohne Schmerzen ein gutes Sterben hat. Es geht auch nicht um Selbstbestimmung, wie die Befürworter des Suizids es uns gern glauben machen. Denn gerade ein kranker, einsamer oder depressiver oder suizidgefährdeter Mensch ist geschwächt. Er will den anderen nicht zur Last fallen, hat viele Ängste, seine Selbstbestimmung ist deutlich eingeschränkt. Zudem überfordert die Pflege schon jetzt sehr häufig die Angehörigen und auch die Gesellschaft. Sie kostet viel Geld und Kraft. Heute werden privat und in Heimen 2,2 Millionen Pflegebedürftige versorgt, im Jahr 2030 werden immer weniger junge und erwerbstätige Menschen die dann 20 Millionen Senioren zu versorgen haben.

Es geht am 6. November 2015 darum, ob künftig das Besorgen und Hinstellen eines tödlichen Einschläferungsmittels straffrei sein soll, also ob die „Beihilfe zur Selbsttötung“ oder der „assistierter Suizid“ als normales Angebot und Handlung staatlich explizit gutgeheißen wird. Angehörige, Pflegende oder Ärzte dürften dann einem lebensmüden oder kranken Menschen anbieten, ihm bei dessen Selbsttötung zu „helfen“. Es geht um die Normalisierung des Suizids und der Beihilfe beim Tod eines Dritten. Dies wäre ein beispielloser Bruch mit den Werten unserer Kultur. Denn damit ist die Botschaft verbunden, dass die Menschenwürde von Kriterien abhängt. Wenn jemand sagt: „Ich will nicht mehr leben“ meint er, dass er so nicht mehr leben will. Er braucht meist andere Medikamente und Zuwendung, damit selbst in einer finalen Krankheit das Leben wieder lebbar und ein Stück weit schön wird. Ansonsten wäre die neue Formel: Hilflos ist gleich wertlos.

Meine Meinung ist: Wir dürfen diese Grenze nicht überschreiten. Hinter der geöffneten Türe des assistierten Suizids steht die aktive Sterbehilfe, die dann schnell auch zur Euthanasie werden kann.

Es gibt kein gutes Töten, sondern nur ein gutes Helfen und Begleiten.

Welche Gesetzentwürfe gibt es?

Drei der vier Gesetzentwürfe fordern, dass die Beihilfe zur Selbsttötung eines Menschen ausdrücklich zugelassen werden soll. Der derzeit als mehrheitsfähig gehandelte Gesetzentwurf der Abgeordneten Michael Brand (CSU) und Kerstin Griese (SPD), der auch von der Bundeskanzlerin unterstützt wird, wird meistens nur halb richtig zitiert. Denn dieser Gesetzentwurf verbietet zwar die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid, aber er erlaubt die private und ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung, ohne Nennung von Gründen, ohne Überprüfung, sozusagen jederzeit für jedermann in „Einzelfällen“.

Der Gesetzentwurf von Renate Künast und Petra Sitte (Grüne) sieht vor, dass die Suizidhilfe grundsätzlich straflos bleibt, sofern sie einer erwachsenen, freiverantwortlich handelnden Person nach eingehender Beratung geleistet wird. Der vierte Gesetzentwurf von Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) sieht den assistierten Suizid als „ärztlich begleitete Lebensbeendigung“. Beide Entwürfe sind mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet bereits formell als verfassungswidrig erklärt worden.

Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger und Hubert Hüppe (alle CDU) ist der einzige, der ein umfassendes Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung nach dem Vorbild von Österreich oder Großbritannien fordert. Doch hinter ihm stehen momentan nur etwa 40 Abgeordnete. Nur dieses Verbot würde klarmachen, dass das Leben eines Menschen unter allen Umständen ein „erhaltenswertes Gut“ darstellt. Dies entspricht unserer Rechtsordnung, ist  also verfassungskonform, und sogar verfassungsrechtlich geboten.

Ein Blick auf Europa

Interessant ist ein Blick auf die Situation in anderen europäischen Staaten. Erst am 11. September 2015 stimmten die Abgeordneten in Großbritannien mit überwältigender Mehrheit von 330:118 Stimmen für ein Verbot. Premierminister David Cameron begründete diese Haltung damit, dass der Staat verpflichtet sei, den vollen Schutz gerade für die schwächeren, alten oder lebensmüden Menschen zu garantieren. Weitere Länder mit einem Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung sind Österreich, Finnland, Norwegen, Slowakei, Polen, Ungarn, Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien, Frankreich.

Einige wenige Länder in Europa haben die Suizidbeihilfe legalisiert. Als erstes Land der Welt führte im Jahr 2002 die Niederlande die aktive Sterbehilfe ein, dort Euthanasie genannt, gefolgt von Belgien und Luxemburg. In den Niederlanden steigt die Anzahl der aktiv getöteten Menschen jährlich um etwa 15%. Es dürfen mittlerweile auch Minderjährige nach strengen Kriterien in Bezug auf deren Krankheit euthanasiert werden. Seit einigen Jahren ist es auch erlaubt, demente oder psychisch kranke Menschen selbst ohne deren explizite Einwilligung zu töten.

In der Schweiz ist übrigens die aktive Sterbehilfe verboten, aber die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt. Der wichtigste Grund, weshalb es den „Sterbetourismus“ zu Exit in die Schweiz gibt, besteht darin, dass dort Pentobarbital, das zum Einschläfern von Menschen und Tieren und in den USA zur Vollstreckung der Todesstrafe bevorzugte Mittel, auf Rezept erhältlich ist. Aktuell ist Pentobarbital in Deutschland für Menschen nicht zugelassen. Dies kann aber jederzeit geändert werden, denn wenn wir ab dem 6. Novemer 2015 höchstwahrscheinlich den staatlich erlaubten assistierten Suizid haben, braucht es ein optimales, schnell und sicher wirkendes Tötungsmittel.

Ist der Suizid auf einmal kein Drama mehr?

Welche Antwort haben wir künftig für lebensmüde, depressive oder kranke Menschen? Ein staatlich anerkannter Suizid, angeboten und unterstützt durch Ärzte oder Angehörige, ist die Aufkündigung unserer Solidarität mit dem Nächsten, der in Not ist. Sagen wir dem jungen Mann auf der Brücke künftig: „Spring doch“? 10.000 Menschen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben, etwa 100.000 versuchen es. Jeder Suizid ist ein mehrdimensionales Drama und belastet die Angehörigen und Freunde des Toten meist ein Leben lang. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass die Beteiligung eines Dritten am tödlichen Geschehen (aktive Sterbehilfe, Beihilfe oder Anstiftung zum Suizid) die verfassungsrechtliche Lage verändert. Es geht um den Schutz vor Handlungen Dritter. Prof. Christian Hillgruber, einer der Sachverständigen, schreibt: „Wenn wirklich von einer freien, als Selbstbestimmung zu achtenden individuellen Entscheidung die Rede sein soll, muss der Sterbende vor dem (wirklichen oder auch nur gefühlten) Druck seiner Umgebung in Richtung Suizid effektiv geschützt werden. Die Gefahr einer Verfälschung des wirklichen Willens des Sterbenden ist als hoch einzuschätzen, zumal es sich beim Suizid um einen irreversiblen Akt handelt. Dabei besteht gerade im Falle schwerstkranker Patienten das Risiko, dass der Rechtsanwendung ein vorgestellter oder vorgespiegelter Sachverhalt zugrunde gelegt wird, der der Realität eigentlich nicht entspricht. Auch die erforderliche Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches lässt sich praktisch kaum verifizieren. Stehen aber Ernst- und Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches in Frage, hat der Staat im Zweifel für das Leben einzutreten (Art. 2 Abs. 2 GG).“

Drei Grundprinzipien einer freien Gesellschaft stehen auf dem Spiel

An dem Tag, an dem es erlaubt sein wird, einem lebensmüden, kranken Menschen den Giftbecher straffrei zu reichen, an dem ein Arzt dem Kranken den frühzeitigen Tod anbieten darf, sind drei wesentliche Grundprinzipien einer freiheitlichen Gesellschaft verwirkt:

1. Der Kranke steht unter Rechtfertigungsdruck

Erstens muss sich dann jeder Kranke rechtfertigen, weshalb er die Kosten für seine Pflege, für die Medikamente oder das Hospiz beanspruchen möchte. Außerdem muss er sich immer fragen, ob er seinen Verwandten weiter „zur Last fallen“ will.

2. Die Ärzte werden zur aktiven Sterbehilfe gedrängt

Zweitens müssen Ärzte in ihrer Ausbildung die verschiedenen Möglichkeiten des ärztlich assistierten Suizids fachgerecht lernen. Gleichzeitig müssen sie darauf vorbereitet werden, Menschen, die den tödlichen Becher selbst nicht leer trinken können, durch Methoden der aktiven Sterbehilfe – beispielsweise durch eine Spritze – den Tod zu bereiten. Daran sehen wir, dass es einen schleichenden Übergang von der Beihilfe zur Selbsttötung zur aktiven Sterbehilfe geben wird. In Belgien und den Niederlanden töten Ärzte seit Jahren zunehmend auch demente Personen, die dafür keine Patientenverfügung unterschrieben haben – nur auf Wunsch der Verwandten.

3. Alle Beteiligten verlieren das Gespür für die Menschenwürde

Drittens wird sich das Vertrauensverhältnis innerhalb der Familien und zum Arzt ändern. Das hat unmittelbare Folgen für die innere Verfassung des Kranken und schränkt seine Lebensfreude ein. Allein schon der Gedanke an das Besorgen des Einschläferungsmittels wird – ausgesprochen oder zunächst unausgesprochen – die Menschenwürde und das Lebensrecht, ja den Lebenswert der alten, der suizidgefährdeten und auch der behinderten Menschen Stück für Stück in Frage stellen. Ärzte und Philosophen warnen, dass wir eine „Tugend zur Selbsttötung“ in Krankheit und Alter bekämen, was, rein utilitaristisch gedacht, natürlich dem drohenden Pflegenotstand entgegenkäme.

Mit persönlichem Einsatz können wir viel erreichen

Die Zeit drängt: Werden Sie bitte alle in den nächsten Tagen aktiv. Schreiben Sie Ihrem Bundestagsabgeordneten eine persönliche E-Mail oder einen Brief! Informieren Sie Ihre Freunde!
Mit dem festen Willen, das richtige Gesetz für ein Verbot des assistierten Suizids zu bekommen, verbunden mit persönlichem Einsatz und mit Gebet können wir viel erreichen.
Jetzt ist Widerstand geboten für alle, die keine Lizenz zum Töten wollen!

 

Auf jeden kommt es an!

Als Christen können wir nur den Gesetzentwurf Sensburg/Dörflinger annehmen. Denn die vorgeschlagene Legalisierung der Beihilfe zum Suizid ist mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar. Eine solche Entscheidung wäre ein weiterer Anschlag auf die „Kultur des Lebens“. Deshalb sind alle Gläubigen aufgerufen, aktiv zu werden und sich für den genannten Gesetzentwurf einzusetzen. Unsere Wortmeldungen können entscheidend sein. Noch kurz vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag gilt es unseren Einfluss geltend zu machen.

Neben persönlichen Briefen an Abgeordnete ist die Teilnahme an der Kampagne „Keine Lizenz zum Töten!“ eine einfache Form. Auf der Webseite finden Sie eine Online-Petition sowie einen kurzen, aussagekräftigen Videofilm. Sie versteht sich als „Initiative für das Leben und ein menschenwürdiges Sterben“.

Alle wichtigen Informationen finden sich unter: www.keine-lizenz-zum-toeten.de

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Zur Flüchtlingskrise

„Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen!“

Die meisten sind sich inzwischen darin einig, dass die derzeitigen Flüchtlingsströme Europa auf Dauer verändern werden. Viele bangen um die christliche Kultur und Identität unseres Kontinents, andere befürchten eine wirtschaftliche Überforderung und zunehmende soziale Spannungen. Pfarrer Erich Maria Fink sieht die Notwendigkeit, sich all diesen Herausforderungen zu stellen. Dabei sind seiner Ansicht nach zwei Ebenen klar auseinanderzuhalten, nämlich die der politischen Verantwortung und die der zwischenmenschlichen Beziehungen. Nur so könnten wir unserer Sendung als Christen gerecht werden.

Von Erich Maria Fink

Jahr der Barmherzigkeit

Es gibt Augenblicke, in denen wir aufgerufen sind, in ganz besonderer Weise den Blick auf die Barmherzigkeit zu richten und dabei selbst zum wirkungsvollen Zeichen des Handelns des Vaters zu werden“, so schreibt Papst Franziskus in der Bulle zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit (Misericordiae vultus, Nr. 3). Er ist also überzeugt, dass wir heute in einem Augenblick leben, in dem wir ganz besonders auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind. Deutlich wird uns dies unter anderem angesichts der Flüchtlingskrise mit all den globalen Problemen, die sich dahinter verbergen. Doch der Papst ruft uns nicht nur dazu auf, in unseren Nöten zu Gott unsere Zuflucht zu nehmen, sondern selbst zu Werkzeugen der göttlichen Barmherzigkeit zu werden. Tatsächlich sind die Hunderttausende von Flüchtlingen, die plötzlich in unserem Land auftauchen und uns gegenüberstehen, ein deutlicher Anruf Gottes an uns Christen. Unmissverständlich sagt uns Jesus im Evangelium: „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen!“ (Mt 25, 35) Wer hätte gedacht, dass dieses Wort auf einmal so konkret und drängend werden könnte?

Christlich geprägte Flüchtlingspolitik

Das Wort Jesu ist auch orientierungsgebend für die Politik. Aber es verlangt von einer christlichen Regierung nicht, alle Menschen ohne Unterschied aufzunehmen. Für eine verantwortliche Flüchtlingspolitik müssen Kriterien erarbeitet werden, die dem christlichen Menschenbild und der christlichen Gesellschaftslehre entsprechen. Man kann die jetzige Situation mit den sozialen Herausforderungen im Zug der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts vergleichen. Aufbauend auf der Enzyklika „Rerum novarum“ von Papst Leo XIII. (1891) hat die katholische Kirche eine Soziallehre entwickelt, die bis heute Gültigkeit besitzt und weitgehend unsere Sozialpolitik bzw. unser Arbeitsleben prägt. Ähnlich muss sich die Kirche auch heute engagieren und Vorschläge für eine angemessene Flüchtlingspolitik unterbreiten. Dabei sind alle Aspekte des menschlichen und globalen Zusammenlebens zu berücksichtigen. Und es muss, wie Oswald von Nell-Breuning (1890-1991) betont hat, der Autonomie der politischen Gestaltung des öffentlichen Lebens Rechnung getragen werden. An dieser Aufgabe kann sich jeder Katholik beteiligen. Wenn die Politik versagt, gerät der Einzelne unter Druck. Es breitet sich Angst aus und der soziale Friede geht verloren. Nimmt die Flüchtlingskrise die Dimension einer Völkerwanderung an, kann die politische Ordnungsmacht in deren Mühlen aufgerieben werden. Deshalb darf die Politik in den Menschen bedrängter Länder keine Hoffnungen wecken, die hier nicht erfüllt werden können. Gleichzeitig muss sich Europa von jeder Abschottung befreien und seine internationale Verantwortung wahrnehmen, um die Ursachen der Flucht an ihrer Wurzel zu bekämpfen.

Boten der barmherzigen Liebe Gottes

Wenn wir Flüchtlingen persönlich begegnen, stehen wir nicht in der Verantwortung eines Politikers. All die genannten Fragen müssen wir bewusst beiseitelassen. Weder die Sorge über die Zukunft Europas noch ein Ärger über die Regierenden dürfen uns in diesem Moment beeinflussen. Vor allem dürfen wir nicht zulassen, dass Ängste unser Herz verschließen. Vielmehr müssen wir uns als Boten Gottes verstehen und, wie Papst Franziskus es ausdrückt, „selbst zum wirkungsvollen Zeichen des Handelns des Vaters werden“. Ein freundlicher Blick, ein Lächeln, ein herzlicher Gruß, ein furchtloser Handschlag, ein Zeichen aufrichtiger Hilfsbereitschaft, der Versuch einer einfachen Kommunikation – all das kann diesen verängstigten und von Sorgen gequälten Menschen das Vaterherz Gottes offenbaren. In dem Maß, als wir bewusst auf Vorurteile verzichten und einen mutigen Vertrauensvorschuss gewähren, geben wir diese Menschen in die Hand Gottes. Als Christen sollten wir ganz zielstrebig die Begegnung mit Flüchtlingen suchen, sei es auf der Straße, im Geschäft oder im Zug, wir sollten ihnen in ihren Unterkünften unsere Hilfe anbieten, das Gefühl der Freude vermitteln und persönliche Kontakte aufbauen. Diese Zeichen der Liebe werden die Flüchtlinge nie vergessen, selbst wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird und sie in ihre Heimat zurückkehren müssen.

Missionarische Dimension

Von dem französischen Schriftsteller Paul Claudel (1868-1955) ist das Wort überliefert: „Rede nur, wenn du gefragt wirst, aber lebe so, dass man dich fragt.“ Als Diplomat war er in verschiedenen Ländern Europas, aber auch in Nord- und Südamerika, in China und Japan tätig, lernte fremde Kulturen kennen und entwickelte ein feines Gespür für den christlichen Missionsauftrag. Sein religiöses Engagement hing auch mit einem Bekehrungserlebnis im Alter von 18 Jahren zusammen. Gerade für die Begegnung mit den Flüchtlingen kann das zitierte Wort eine wertvolle Wegweisung sein. Welche Chance bietet der Flüchtlingsstrom für die christliche Mission! Wir brauchen nicht mit der Bibel herumlaufen, aber wir sollten uns bewusst sein, dass wir den Flüchtlingen als Christen, d.h. als Stellvertreter Christi gegenübertreten. Wenn wir sie mit unserer Liebe berühren, werden sie uns Fragen stellen und die Stunde des Zeugnisses bricht an. Und jeder getaufte Muslim kann selbst zu einem Missionar werden. „Wir wissen“, so schreibt der Völkerapostel Paulus, „dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt.“ (Röm 8,28) Mit der Liebe Christi können wir die Flüchtlingskrise zum Besten wenden.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Eine Initiative zum Schutz von Demokratie und Meinungsfreiheit

Faire Medien

Die Medien haben eine große Macht. Und nicht erst heute werden sie eingesetzt, um Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben. Heute beobachten wir auch in unserer freiheitlichen Demokratie, wie Medien versuchen, Stimmen mundtot zu machen, die nicht in ihr Konzept passen. Feindbilder werden zunehmend von Lebensschützern und Verteidigern der christlichen Ehe und Familie gezeichnet. Thomas Schührer ist Sprecher der „Bürgerinitiative FaireMedien“ (https://fairemedien.de/), die sich auf vielfältige Weise gegen unlautere Anfeindungen zur Wehr setzt.

Von Thomas Schührer

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das unbedingt geschützt werden muss. Doch sie ist nur dann wirklich gegeben, wenn auch die Meinungsbildung frei ist. Zur Freiheit der Meinung gehört daher der freie Zugang zu relevanten Informationen. Anders können wir die Dinge nicht beurteilen, uns keine eigene, auf Fakten gegründete Meinung bilden.

Immer öfter ist zu beobachten, dass Berichte zurechtgebogen werden, wie es den Journalisten gerade passt. Leser und Zuschauer sollen nicht informiert werden, sondern die Meinung des Journalisten übernehmen. In vielen Redaktionen scheint sich zudem immer stärker ein negatives, zum Teil aggressiv feindliches Klima gegen Christen zu verbreiten, in dem man auch vor medialen Rufmord-Kampagnen gegen Organisationen oder einzelne Personen nicht zurückschreckt.

Das Vertrauen in die Medien nimmt daher rapide ab. Immer mehr Bürger haben das Gefühl, nicht mehr objektiv informiert zu werden. Viele wichtige Informationen findet man fast nur noch im Internet. Auch wenn das Internet Gefahren birgt, so kann man doch sagen, dass es das Meinungsmonopol der öffentlich-rechtlichen Medien und der großen Verlagshäuser aufgebrochen hat. Im Internet können viele Dinge richtig gestellt werden. So entstand auch die Bürgerinitiative FaireMedien.

Manipulationen aufdecken

FaireMedien stellt die Arbeit der Medien auf den Prüfstand, um Manipulationen der Medienmacher aufzudecken und zu belegen. Die Initiative konzentriert sich auf Verfehlungen der Medien gegenüber Personen und Gruppen in den Bereichen Glaube und Kirche, Ehe und Familie sowie Lebensrecht.

Uns geht es dabei nicht um Flüchtigkeitsfehler oder Irrtümer, die natürlich immer einmal passieren können, gerade angesichts der Arbeitsbedingungen in modernen Redaktionen.

Es geht uns auch nicht darum, andere Meinungen zu bekämpfen. Toleranz und Respekt gegenüber der Meinung des anderen sind immer geboten.

Unser Augenmerk gilt vielmehr Beiträgen, die willentlich und mit einem erschreckend hohen Maß an Kunstfertigkeit manipulativ gestaltet wurden. Solche Fälle greifen wir heraus, um an ihnen unfaire journalistische Praxis exemplarisch zu dokumentieren und wenn möglich einer öffentlichen Richtigstellung zuzuführen.

Erdrückende Faktenlage

Unsere Methode besteht darin, eine erdrückende Faktenlage zu schaffen. Dazu unterziehen wir den betreffenden Beitrag einer detaillierten Analyse. Die vorhandenen Manipulationen und Falschdarstellungen werden aufgelistet und mit sorgfältig belegten Richtigstellungen und Gegendarstellungen versehen. Das Vorgehen kann man vielleicht mit dem eines Ermittlers vergleichen. Die Formulierung ist dementsprechend nüchtern und emotionslos wie bei einem Ermittlungsbericht. Dabei beziehen wir uns grundsätzlich auf die einschlägigen festgelegten Standards, vor allem auf den Pressekodex des Deutschen Presserats oder auf die jeweiligen Rundfunkstaatsverträge der öffentlich-rechtlichen Sender.

Wenn Sachverhalte nicht eindeutig sind, suchen wir sie einer Klärung zuzuführen, bevor wir etwas veröffentlichen. Dazu führen wir eigene Recherchen durch, die sehr intensiv und zeitaufwändig sein können. Wir verfolgen die Fälle hartnäckig und fragen immer wieder nach. Das kann für die Betroffenen ziemlich lästig sein und lässt die Alarmglocken schrillen. Die meisten Journalisten sind es nicht gewohnt, dass ihre Veröffentlichungen zum Gegenstand intensiver kritischer Recherche werden.

Durch Veröffentlichung nachgewiesener Verfehlungen wollen wir den Preis für journalistisches Fehlverhalten hochtreiben und auch eine abschreckende Wirkung erzielen. Jede Redaktion lebt von Glaubwürdigkeit. Es lässt keinen Redakteur kalt, wenn seine Manipulationen öffentlich ausgebreitet werden. In den Medien soll sich herumsprechen, dass es unangenehme Folgen haben kann, wenn einzelne Journalisten oder sogar ganze Redaktionen gegen das journalistische Berufsethos verstoßen.

Auch hier bleiben wir hartnäckig. Wir geben uns nicht damit zufrieden, einen nachgewiesenen Verstoß einfach ins Internet zu stellen. Wir erhöhen die Aufmerksamkeit durch parallel durchgeführte Petitionen, Rundmails, Leserbriefaktionen oder Podiumsdiskussionen, die wir auch im Internet zugänglich machen. Gerade haben wir zum ersten Mal einen Film produzieren lassen, der einen extrem tendenziösen Beitrag der SWR-Landesschau Baden-Württemberg thematisiert. Wir weiten die Palette der Maßnahmen laufend aus.

Die Wirkung bleibt nicht aus. Anfang September empfing mich der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, und nahm über 6.700 Protestunterschriften entgegen. Wir haben erfahren, dass der BR-Intendant bisher noch nie eine Beschwerde selbst bearbeitet hat, geschweige denn, den Beschwerdeführer selbst empfangen hätte.

Die Arbeit von FaireMedien versteht sich als Beitrag zur Verteidigung der Meinungsfreiheit, letztlich der freiheitlichen Grundordnung selbst. Wenn Menschen, die christliche oder wertkonservative Positionen vertreten, durch mediale Verleumdungskampagnen zunehmend mundtot gemacht werden, ist das ein Angriff auf die Freiheit.

Demokratie braucht eine freie Presse, die stark genug ist, sich ggf. gegen totalitäre Übergriffe zu stellen. Das kann die Presse nur sein, wenn sie glaubwürdig ist. Diese Glaubwürdigkeit wird durch Tendenzjournalismus zunehmend verspielt. Auch das ist mittelfristig eine Gefahr für unsere Freiheit. Daher ist die Bekämpfung des Missbrauchs medialer Macht ein Gebot der Stunde für jeden freiheitsliebenden Menschen.

Freiheit muss man verteidigen, so lange man noch frei ist. Verlorene Freiheit wieder zu erkämpfen, kostet ungleich mehr, als Freiheit zu erhalten. Das FaireMedien-Team meint, hier ist Eile geboten; denn die Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind schon deutlich erkennbar. Noch ist es Tag. Wer weiß wie lange…

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Der Einsatz der Kirche für die Jugend (Teil IV)

Dekalog für die Jugendlichen des 21. Jahrhunderts

Papst Benedikt XVI. identifizierte sich vollkommen mit dem Programm der Weltjugendtage, wie es von seinem Vorgänger Johannes Paul II. entwickelt worden war. Doch beschränkte er seinen Einsatz für die Jugend keineswegs auf die Weiterführung der Weltjugendtage. Er sah die große Herausforderung, den jungen Menschen in der heutigen Zeit den christlichen Glauben zu vermitteln. Kurienbischof Dr. Josef Clemens erblickt in der Lehrverkündigung Benedikts XVI. ein umfassendes Erziehungsprogramm für die Jugendlichen. Ohne es im Einzelnen auszuführen, steckt er die wesentlichen Arbeitsfelder ab, hebt einige Akzente hervor und präsentiert zusammenfassend einen sog. „Dekalog“ für die Jugendlichen, wie ihn ein Mitarbeiter des WJT Madrid aus dem Gedankengut Benedikts XVI. erarbeitet hat.

Von Bischof Josef Clemens, Rom

Die Schönheit und Rationalität des Glaubens

Papst Benedikt XVI. hat ein umfassendes Erziehungsprogramm für die jungen Menschen entwickelt. Der Einsatz der Kirche für die Erziehung der Jugend lässt sich in fünf Aktionsfelder gliedern, die untereinander verbunden sind und sich gegenseitig ergänzen:

(1.) Gott in einer Welt ohne Gott verkünden,
(2.) die Kirche als einen vertrauenswürdigen Begleiter von Freunden entdecken,
(3.) die Jugendlichen wie Väter begleiten,
(4.) die Suche nach der Wahrheit eröffnen,
(5.) den Weg der Liebe zeigen.

Dabei legt Benedikt XVI. besonderen Wert auf die Entdeckung der Schönheit und Rationalität des Glaubens, ein Bemühen, das sein ganzes Pontifikat geprägt hat. Er hob bereits in seiner Predigt zur Amtseinführung in programmatischer Weise hervor: „Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken."[1]

Der junge Mensch ist offen für Jesus Christus

Auf einer Pastoraltagung der Diözese Rom sagte er am 11. Juni 2007 in der Lateranbasilika, der junge Mensch trage angesichts der Masse an Informationen, der gegensätzlichen Ideen und Interpretationen „dennoch ein großes Bedürfnis nach Wahrheit in sich. Daher ist er offen für Jesus Christus, denn dieser hat […] gesagt ,Ich bin die Wahrheit‘, nicht: ich bin die Gewohnheit […]. Wir müssen versuchen, die Frage nach der Wahrheit zu beantworten, indem wir ohne Ängste das Angebot des Glaubens der Vernunft unserer Zeit gegenüberstellen. So können wir den jungen Menschen helfen, ihren geistigen Horizont zu erweitern, sich zu öffnen gegenüber dem Geheimnis Gottes, der dem Leben Sinn und Orientierung gibt, und den Einfluss einer Rationalität zu überwinden, die nur den Dingen Vertrauen schenkt, die Gegenstand von Experimenten und Berechnungen sein können."[2]

Herausforderungen der heutigen Kultur

In seiner Botschaft zum XXVI. Weltjugendtag in Madrid 2011 gesteht Papst Benedikt XVI. zu, dass es für die jungen Menschen in der heutigen Zeit nicht einfach ist, zum Geheimnis Gottes vorzudringen. Doch könnten sie nur im Christentum ihre eigene tiefere Identität finden: „Die derzeitige Kultur in einigen Teilen der Welt, vor allem im Westen, neigt dazu, Gott auszuschließen oder den Glauben als Privatangelegenheit ohne jegliche Bedeutung für das gesellschaftliche Leben zu betrachten. Während die gesamten Werte, die der Gesellschaft zugrunde liegen, vom Evangelium herkommen – wie der Sinn für die Würde der Person, für Solidarität, für Arbeit und Familie –, ist eine Art ,Gottesfinsternis‘ festzustellen, ein gewisser Gedächtnisschwund, wenn nicht sogar eine ausgesprochene Ablehnung des Christentums und eine Zurückweisung des empfangenen Glaubensguts, wobei die Gefahr besteht, die eigene tiefere Identität zu verlieren."[3]

Das Gesetz des Glaubenswachstums

Mir scheint, dass unter allen Äußerungen von Papst Benedikt XVI. seine Überlegungen zum Gesetz des Glaubenswachstums besondere Aufmerksamkeit verdienen. Sie gelten natürlich nicht nur für die Weltjungendtage. Er führte dazu aus: „Gottes Saat wächst immer in der Stille heran, sie schlägt sich nicht sofort in den Statistiken nieder. Mit dem Samen, den der Herr durch die Weltjugendtage in die Erde streut, ist es wie mit dem Samen, von dem er im Evangelium spricht: Etwas fällt auf den Weg und geht verloren; etwas fällt auf felsigen Boden und geht verloren; etwas fällt in die Dornen und geht verloren; aber etwas fällt auf guten Boden und bringt reiche Frucht […] Mit anderen Worten des Herrn: Das Senfkorn ist klein, aber es wächst und wird zu einem großen Baum. Noch anders gesagt: Gewiss geht viel verloren, wir können nicht sofort sagen, dass ab morgen wieder ein großes Wachstum der Kirche beginnt. Gott wirkt nicht so. Sondern es wächst in der Stille und mit großer Kraft […] Und auf dieses stille Wachstum vertrauen wir. Und auch wenn es aus Statistiken nicht hervorgeht, so sind wir sicher, dass die Saat des Herrn wirklich wächst. Für sehr viele Menschen ist es der Beginn einer Freundschaft mit Gott und mit anderen, einer Universalität des Denkens, einer gemeinsamen Verantwortung, die uns wirklich zeigt, dass diese Tage Früchte bringen."[4]

„Dekalog“ für die Jugendlichen des XXI. Jahrhunderts

Ich möchte diesen Abschnitt mit einem „Dekalog“ für die Jugendlichen des 21. Jahrhunderts abschließen, der vom Denken Benedikts XVI. inspiriert wurde und als ein origineller Vorschlag des jungen Augustinerpaters und Mitarbeiters des WJT Madrid José Mª Herranz Maté erarbeitet wurde:

(1.) Jesus hat einen Plan für dein Leben: Habe keine Angst, nimm ihn an, denn er enttäuscht nie.
(2.) Als Christ bist du berufen, Zeuge der Wahrheit zu sein; dies verändert dich zu einem Missionar unter deinen Brüdern.
(3.) Bleibe wachsam, die Jugendzeit ist die Periode der großen Ideale, lass dich nicht hinreißen zu dem, das nicht das wahre Glück bringt.
(4.) Bemühe dich die wahre Liebe zu entdecken, die von Gott kommt und die alles verändert.
(5.) Lebe in der Gemeinschaft: sei ein Teil der Kirche, tausche dich aus und feiere mit ihr und in ihr, dort wirst du das wahre Leben finden.
(6.) Verschließe nicht die Augen vor dem Leid, du kannst die Welt verändern, du kannst den Leidenden Trost bringen, du kannst aus deiner Umgebung einen freundlichen Ort für alle machen.
(7.) Siehe deine Mutter, sie führt dich zu Jesus, öffne dein Herz.
(8.) Öffne deine Augen und entdecke in deinem Leben die Anwesenheit Gottes, seines Geistes, und lass ihn in deinem Herzen wohnen.
(9.) Es gibt keinen wahren Glauben ohne Freude; die Freude entsteht aus dem Bewusstsein, für Gott wertvoll zu sein, von ihm geliebt, erwählt und erlöst zu sein.
(10.) Du bist die Hoffnung der Kirche, die Kirche braucht dich.[5]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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[1] Benedikt XVI.: Ansprache zur Übernahme des Obersten Hirtenamtes, Petersplatz, 24. April 2005, in: O.R.dt., Nr. 17, 29. April 2005, 2 f., 2.
[2] Benedikt XVI.: Ansprache bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom, Basilika St. Johann im Lateran, 11. Juni 2007, in: O.R. dt., Nr. 26, 29. Juni 2007, 11 f., 12; vgl. Benedikt XVI.: Ansprache Pastoraltagung Diözese Rom 2006, 7 f.
[3] Vgl. Benedikt XVI.: Botschaft zum XXVI. Weltjugendtag in Madrid 2011, 6. Aug. 2010, in: O.R. dt., Nr. 37, 17. Sept. 2010, 7 f., 7.
[4] Benedikt XVI.: Interview auf dem Flug nach Madrid, 18. Aug. 2011, in: O.R. dt., Nr. 34, 20. Aug. 2011, 3; vgl. Joseph Ratzinger: Die Hoffnung des Senfkorns, Kyrios Verlag Meiningen, Freising 1973; Kurt Koch: Das Geheimnis des Senfkorns. Grundzüge des theologischen Denkens von Papst Benedikt XVI., Reihe: Ratzinger-Studien 3, hrsg. vom Institut Papst Benedikt XVI., Friedrich Pustet, Regensburg 2010.
[5] Vgl. Maté: El mensaje de Benedicto XVI a los jóvenes, 356 s.

„Demo für alle“ mit 5350 Teilnehmern

Das Aktionsbündnis „Demo für alle“, das sich für den Schutz von Ehe und Familie und gegen Sexualisierung und Gender-Ideologie einsetzt, wächst zu einer gesellschaftspolitischen Kraft heran, die nicht mehr einfach übergangen werden kann. Sie wird für ganz Deutschland bedeutsam. Am 11. Oktober 2015 demonstrierten in Stuttgart nach genauer Zählung 5350 Personen. Damit ergab sich gegenüber der letzten Kundgebung im Juni ein Zuwachs von 16 Prozent. Auszüge aus der Rede von Gabriele Kuby.

Von Gabriele Kuby

Wir zeigen, dass es in diesem Land keine Ruhe geben wird, so lange die Kinder im Kindergarten und der Schule zwangssexualisiert werden. Nicht nur wird es keine Ruhe geben. Es wird Widerstand und zivilen Ungehorsam geben gegen den rot-grünen Missbrauch politischer Macht. Der Widerstand gegen Gender und gegen die Umerziehung der Kinder nimmt mächtig zu.

• Wir sind hier, weil wir nicht zulassen, dass das Grundrecht der Eltern auf Erziehung der Kinder außer Kraft gesetzt wird.

• Wir sind hier, weil wir wollen, dass unsere Kinder für die Familie erzogen werden, anstatt sie in die bodenlosen Abgründe     sexueller Vielfalt zu stürzen.

• Wir sind hier, weil wir unseren Kindern helfen wollen, ihr eigenes Lebensziel zu erreichen: und das ist die Familie.

• Wir sind hier, weil wir eine großartige Kultur zu verteidigen haben, eine Kultur, die auf christlichen Werten und wahrer Humanität aufgebaut ist, auf Menschenwürde, Freiheit, Wahrheit, Nächstenliebe, auf Ehe und Familie.

Es ist die christlich geprägte Kultur, in der es Frauen am besten geht. Es ist die christlich geprägte Kultur, in der es Homosexuellen am besten geht, denn Christen achten jeden Menschen. Die Grünen schützen die Bäume und die Kröten, aber sie zerstören die Ökologie des Menschen. Lassen wir uns von ihrer pervertierten Verwendung von Begriffen wie „Toleranz“, „Vielfalt“, „Menschenrechte“, „Antidiskriminierung“ nicht länger verblenden. Toleranz gibt es für LGBTs, aber immer weniger für Christen. Wir fordern mehr als Toleranz, wir verteidigen das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit.

Menschenrechte dürfen nicht missbraucht werden, um etwas Ehe zu nennen, was niemals eine Ehe sein kann: eine Beziehung zwischen Personen gleichen Geschlechts. Dreizehn europäische Staaten haben inzwischen in ihren Verfassungen verankert, dass Ehe nur das sein kann, was sie immer und überall war: der Bund zwischen einem Mann und einer Frau, die bereit sind, Kindern das Leben zu schenken und Verantwortung für ihre Erziehung und Bildung zu übernehmen. Die Unterscheidung zwischen einer Sexualität, die Leben schafft, und einer, die das nicht kann, ist keine Diskriminierung, sondern eine zwingend gebotene Unterscheidung, die wir unseren Kindern schuldig sind.

Wir kommen wieder und wir werden uns nicht mundtot machen lassen! Es könnte sein, dass sich bald nicht nur Christen, sondern auch muslimische Migranten gegen die Umerziehung der Kinder zu Wehr setzen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Alle 26 Sekunden eine hl. Messe in der Intention eines Wohltäters

Unersetzliche Hilfe für Priester in Not

Im Jahr 2014 erhielt das Hilfswerk „Kirche in Not“ von seinen Wohltätern 1,2 Millionen Mess-Stipendien, die an bedürftige Priester auf der ganzen Welt weitergegeben wurden. Auf diese Unterstützung sind mehr als 10 Prozent aller Priester weltweit angewiesen. Dr. Anselm Blumberg, Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit und Medien bei „Kirche in Not“, stellt an konkreten Beispielen die Bedeutung dieses „guten Werkes“ für die Weltkirche vor.

Von Anselm Blumberg

Es gibt viele gute Gründe dafür, einen Priester zu bitten, eine heilige Messe in einem bestimmten Anliegen zu feiern: Erstens gilt die heilige Messe als die höchste Form des Gottesdienstes. Zweitens kann man persönliche Anliegen (Mess-Intentionen) mit der heiligen Messe verbinden. Drittens ist die heilige Messe der Ort der Gemeinschaft: Alle Gläubigen auf der ganzen Welt beten die gleichen Gebete, hören die gleichen Schriftlesungen und beten füreinander.

Außer diesen geistlichen Gesichtspunkten kann die Bitte um eine heilige Messe auch ein gutes Werk für einen Bruder in Not bedeuten, oder genauer gesagt: für einen Priester in Not. Eine Kirchensteuer wie in Deutschland gibt es nur in wenigen Ländern. Daher haben Priester in den Ländern Osteuropas, Afrikas, Asiens und Lateinamerikas oft kein geregeltes Einkommen. Sie leben von dem, was die Gläubigen ihrer Pfarrei ihnen überlassen. In armen Gegenden der Welt kann diese freiwillige Spende der Gemeinde sehr dürftig ausfallen. Dann können Mess-Stipendien den Lebensunterhalt eines Priesters sichern.

Unterschätzte Hilfe für notleidende Priester

Viele in unseren Breiten erahnen nicht, wie groß die Bedeutung von Mess-Stipendien für die finanzielle Absicherung von Seelsorgern in Entwicklungsländern ist. Tatsache ist, dass die Wohltäter von „Kirche in Not“ mit ihren 1,2 Millionen Stipendien im Jahr 2014 weltweit jeden neunten Priester unterstützten. Statistisch gesehen beginnt alle 26 Sekunden irgendwo auf dem Globus eine heilige Messe in der Intention eines Wohltäters.

Mess-Stipendien ermöglichen den Priestern in armen Ländern, sich auf ihre pastorale Arbeit zu konzentrieren. Ohne Stipendien müssten sie sich nebenher den Lebensunterhalt verdienen und hätten dann weniger Zeit für Gespräche, die Spendung der Sakramente, vor allem die Feier der heiligen Messe. Weil diese das Zentrum des Glaubenslebens ist, überschrieb der heilige Papst Johannes Paul II. eine Enzyklika mit der Feststellung: „Die Kirche lebt von der Eucharistie.“ Und auch das Zweite Vatikanische Konzil verkündete: Die Eucharistie ist „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (Lumen Gentium, 11).

Beispiel Yurimaguas in Peru

Sehr willkommen sind Mess-Stipendien beispielsweise im Apostolischen Vikariat (= quasi eine Diözese) Yurimaguas in Peru. Es ist so groß wie Bayern. Das Vikariat liegt zu großen Teilen im Dschungel. Die meisten Ortschaften sind nur mit einem Boot erreichbar. Die knapp 2,2 Millionen Einwohner des Vikariats sind sehr arm. Für die 240.000 Katholiken sorgen nur 23 Priester, die sehr weite und gefahrvolle Strecken zurücklegen müssen, um ihre Gemeinden zu besuchen. Der Administrator des Vikariats schrieb in einem Dankbrief an die Wohltäter von „Kirche in Not“: „Für Ihr Zeichen der Solidarität danke ich Ihnen im Namen aller Priester im Vikariat. Wir beten zum allmächtigen Gott, dass sein Erbarmen Ihnen vorangehe und dass die heilige Jungfrau Maria Sie mit Ihrem Schutzmantel bedecke.“

Hilfe in Indien und Bangladesch

Allein in Indien sichern Mess-Stipendien von „Kirche in Not“ die Existenz von ca. 150 Priestern. Im südöstlichen Bundesstaat Andhra Pradesh etwa haben im vergangenen Jahr 36 Priester Gregorianische Messen in den Anliegen von Wohltätern gefeiert. Pater Benedict Kandathiparambil ist froh darüber, dass er dank der Stipendien 18 Dörfer betreuen kann. In einem Brief an „Kirche in Not“ schreibt er: „Sonntags feiern ein Mitbruder und ich mehrere Messen, so groß ist der Bedarf. Obwohl wir in unserer großen Pfarrei viel zu tun haben, sind wir voller Freude, dass wir das Evangelium verkünden können. Ich kann nicht sagen, wie sehr die Mess-Stipendien uns helfen, da sie für meinen Mitbruder und mich die einzige Unterstützung zum Lebensunterhalt sind.“

Auch in Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt, können die meisten Gläubigen ihre Priester finanziell nicht unterstützen. Viele sind arbeitslos oder Tagelöhner. Hilfe könnte zwar aus dem Nachbarland Indien kommen, doch erschweren gesetzliche Barrieren in dem islamisch geprägten Staat die Hilfe von außen. Dank der Mess-Stipendien von „Kirche in Not“ können sich derzeit 42 Priester in zwei Diözesen intensiver um ihre Gemeinden kümmern.

Mess-Stipendien mit Bedürftigen geteilt

Es kommt auch vor, dass Priester die Einnahmen aus Mess-Stipendien mit Bedürftigen teilen. So schreibt der Bischof der Diözese Guantánamo-Baracoa auf Kuba, Wilfredo Pino Estévez, an „Kirche in Not“, wie seine 15 Priester mit einem Teil der Mess-Stipendien armen Menschen geholfen haben. Sie haben Nahrungsmittel für alte Menschen beschafft und Medikamente für einen Kranken gekauft. Ähnliche Schreiben erreichen „Kirche in Not“ auch aus anderen Teilen der Welt. In der Ukraine, wo die griechisch-katholische Kirche in der Zeit der Sowjetdiktatur nur im Untergrund existierte, unterstützen Mess-Stipendien beispielsweise auch die pastorale und akademische Arbeit der Professoren von 53 Seminaristen am Priesterseminar bei Kiew.

Der existenziellen Bedeutung von Mess-Stipendien für Priester in Not war sich der Gründer von „Kirche in Not“, Pater Werenfried van Straaten, sehr bewusst. Daher verfügte er in seinem persönlichen Testament: „Meine noch verfügbaren Finanzmittel schenke ich unserer Abteilung für Mess-Stipendien.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Mess-Stipendien

Pater Hermann-Josef Hubka, geistlicher Assistent von „Kirche in Not“ Deutschland, beantwortet häufig gestellte Fragen zum Thema Mess-Stipendien.

Wie ist die Idee für Mess-Stipendien entstanden?

Die Tradition der Mess-Stipendien gibt es schon lange. Sie geht bereits auf die Ur-Christen zurück. Diese verstanden den Gottesdienst als eine Feier, bei der sich alle einbringen. Daher brachten sie Brot, Wein und andere Gaben zum Gottesdienst. Diese wurden aber nicht nur als Opfergaben für die heilige Messe verwendet. Die Gläubigen halfen damit auch anderen Menschen und unterstützten den Unterhalt der Kirche und der Gemeinde.

Was versteht man heute unter einem Mess-Stipendium?

Im Kirchenrecht steht, dass Gläubige bei einem Priester eine heilige Messe bestellen oder stiften können. Das heißt aber nicht, dass man sich eine heilige Messe „kauft“. Gottes Gnade ist nicht käuflich. Vielmehr bedeutet Mess-Stipendium, dass ein Priester für die Anliegen des Stifters betet. Diese müssen sich aber nicht auf die eigene Gemeinde beschränken. Die Kirche ist ja nicht nur hier präsent, sondern überall auf der Welt versammeln sich Menschen zum Gottesdienst. Die Gläubigen können das Mess-Stipendium auch an „Kirche in Not“ weitergeben. Sie machen einen Großteil der Unterstützung durch das Hilfswerk aus.

Was passiert damit genau und wer bekommt sie?

Mess-Stipendien werden an bedürftige Bischöfe und Priester weltweit weitergegeben. Sie vertrauen Gott in einer heiligen Messe die Anliegen der Wohltäter an. Doch mit dem Geld stiftet man nicht nur eine heilige Messe. Jeder kann damit auch viele Priester weltweit unterstützen. Da es in den meisten Ländern keine Kirchensteuer oder andere staatliche Zuwendungen gibt, sind die Geistlichen auf Mess-Stipendien angewiesen. Missionare können dank der Mess-Stipendien vielen bedürftigen Menschen helfen.

Das klingt gut, aber was bringt mir als Stifter ein Mess-Stipendium?

Dieses Zeichen der Solidarität stärkt die Kirche von innen und macht sie lebendig. Ohne Eucharistie gäbe es keine Kirche. Daher ist es so wichtig, dass wir hier in den reicheren Ländern auch an die Glaubensgeschwister in Armut denken. Doch Mess-Stipendien sind mehr als nur die weltweite Solidarität zwischen sorgenbeladenen Menschen hier und hilfsbedürftigen Priestern dort. Es ist der Heilsplan Gottes, der hier sichtbar wird. Und daran können wir schon durch den kleinen Beitrag des Mess-Stipendiums teilhaben.


Zahlen/Fakten zu Mess-Stipendien an „Kirche in Not“ in 2014

Unterstützte notleidende Priester:       35.214
Einfache Messen:                                 994.961
Mess-Triduen (3 Messen):                        5.297
Mess-Novenen (9 Messen):                       9.361
Gregorian. Messen (30 Messen):               4.048
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Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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Betrachtung zum Hochfest Allerheiligen

Heilige sind kirchlich gesinnte Menschen

Prof. Dr. Anton Štrukelj (geb. 1952), von 1997 bis 2002 Mitglied der Internationalen Theologenkommission, arbeitet auf der Grundlage der Schriften des Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar (1905-1988) das Wesen der Heiligkeit heraus. Heilige sind Menschen, die sich Christus vollkommen zur Verfügung gestellt haben und lebendige Werkzeuge seiner Liebe geworden sind. Mit ihm haben sie sich ganz „enteignet“, mit ihm aber auch eine grenzenlose „Ausdehnung“ erfahren. In dem Maß, als sie sich einengen lassen wie Christus in der Eucharistie, wird ihre Existenz auch über die Grenzen von Ort und Zeit hinaus erweitert. Eine solche Fruchtbarkeit aber vollzieht sich nur im Rahmen und als Teil der sakramentalen Kirche. Das bedeutet: Heilige sind durch und durch kirchlich gesinnte Menschen, ja, sie haben sich vollkommen mit der Kirche identifiziert.

Von Anton Štrukelj

Fühlen mit der Kirche

Den inneren Kern der Kirche bilden die Christen, die wahrhaft „kirchliche Menschen“ sind und die „mit der Kirche fühlen“. Was bedeutet das eigentlich? Papst Franziskus erklärte es mit den Worten: „Fühlen mit der Kirche bedeutet für mich, in dieser Kirche zu sein. Und das Ganze der Gläubigen ist unfehlbar im Glauben. Es zeigt diese Unfehlbarkeit im Glauben durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes Gottes auf dem Weg. So verstehe ich heute das Sentire cum ecclesia, von dem der heilige Ignatius spricht. … Es ist wie bei Maria: … Man muss also nicht denken, dass das Verständnis des Sentire cum ecclesia nur an das Fühlen mit dem hierarchischen Teil der Kirche gebunden sei."[1]

Der kirchliche Mensch (anima ecclesiastica) hat ein Gespür für die Kirche, er fühlt mit der Kirche. Er hat eine kirchliche Fühlung und Gesinnung. Dabei muss angemerkt werden, dass der Ausdruck „Sentire cum ecclesia“ nicht am glücklichsten gewählt ist, denn die Kirche ist kein Objekt außerhalb, mit dem man fühlen oder das man lieben sollte.[2] Es wäre angemessener, von der „kirchlichen Fühlung“, dem „Sentire ecclesiae“ zu sprechen. Am Fühlen Christi („hoc sentite quod est in Christo Jesu“, vgl. Phil 2,5) hat das Fühlen der Kirche sein Maß und deshalb auch das Fühlen mit der Kirche.

Die Identifikation mit der Kirche setzt die Liebe zur Kirche voraus; „Die Kirche lieben"[3] bedeutet, dass eine „partielle Identifikation“ mit der Kirche überhaupt nicht möglich ist.[4] In diesem Sinne versteht Hans Urs von Balthasar die Liebe zur Kirche, die heute eine besonders dringende Aufgabe der Christen ist.[5] Er sagt: „Deshalb muss ich, sofern ich verstanden habe, was Kirche im Kern ist, die Kirche lieben, und zwar gerade nicht als etwas ‚anderes‘, mir Gegenüberstehendes, sondern als die schon gegebene Wirklichkeit dessen, was in mir Sehnsucht, Anlage, Möglichkeit ist, als die Fülle dessen, was in mir jedenfalls nur partiell und einseitig vorhanden ist. So kehrt sich, wenn es um Wesen und Kern der Kirche geht, die Formel von der partiellen Identifikation geradezu um: ich, der Partielle, gelange zur totalen Identifikation mit mir selbst nur durch eine totale Identifikation mit der Kirche."[6]

Sich für die Kirche in Beschlag nehmen lassen

Über Maria sagt Hans Urs von Balthasar, ihre Haltung sei schon immer zugunsten der Kirche „enteignet“.[7] Maria lässt Gott über sich verfügen.[8] In dieser Verfügbarkeit ist Maria so fügsam in der Hand des Schöpfers geworden, dass er sie aus ihrem privaten Bewusstsein ins kirchliche Bewusstsein ausdehnen kann – in das, was die alte Theologie seit Origenes und Ambrosius „anima ecclesiastica“ nannte.[9]

Gott erlauben, dass er uns von uns selbst befreit und uns in die Existenzform Christi aufnimmt, bedeutet auch, dass wir uns für eine bestimmte Funktion und Verantwortung für die Kirche in Beschlag nehmen lassen. Kirche ist der Raum der antwortenden Liebe, die ihre höchste, normative Subjektivität in Maria hat.[10]

Die Enteignung führt zur Ausdehnung. Man wird befreit von eigenen Grenzen, um die grenzenlose Universalität der Kirche zu erhalten. Das „ist Verwandlung der einzelnen frommen Seele in eine anima ecclesiastica“.[11] Diese Verwandlung ereignet sich immer im Raum der Kirche, durch die Gnadenmittel, die sie spendet, und durch ihre Hierarchie.[12]

„Anima ecclesiastica“ ist demnach jener Mensch, der gewährt, dass sein ganzes Dasein, sein besonderer Auftrag, seine Glaubenserfahrung und seine Liebe zur reinen Funktion seiner Gliedschaft im Leibe Christi werden. Er identifiziert sich mit der Kirche und lässt sich in ihren Glaubensgehorsam einfügen, in die Form ihrer Entsprechung der „Form Christi“, damit er zur formenden Form für andere Christen wird. Ein solcher „kirchlich geprägter Mensch“ ist letztlich nichts anderes als ein persönliches und konkretes Ergebnis des Heiligen Geistes, der in der Kirche wirkt.

Geheimnis der „eucharistischen Erweiterung“

Ein solcher Mensch gehört nicht mehr sich selbst, sondern ganz und gar Christus, dem er sich als lebendiges Werkzeug seiner Liebe zur Verfügung stellt. Damit erhält die Liebe dieses Menschen, der dem Heiligen Geist gehorcht, eine ganz neue Dimension: diese Liebe rückt hier unter das Gesetz des Heiligen Geistes; „sie wird dadurch wie objektiviert, verkirchlicht, scheinbar verzwecklicht, in Wahrheit erweitert, universalisiert, eucharistisch verströmt“.[13]

Wer sich mit der Kirche identifiziert, erfährt „ungeahnte Erweiterung“ seiner ganzen Existenz: „Es ist wie eine Nachahmung der unendlichen eucharistischen Erweiterung des Lebens Christi, gerade durch die Einengung, Verdemütigung, ja ‚Selbstvernichtung‘ seines Lebens in der Eucharistie."[14]

Gerade die Eucharistie ist der wirksamste Nachweis ungeahnter Erweiterung des kirchlichen Daseins, das sich selbst den anderen verschenkt. Die Eucharistie ist doch die zentrale Wirklichkeit im Leben der Kirche. Sie ist die höchste kirchliche Form des persönlichen Verhältnisses zwischen Christus und Kirche.[15] Eucharistie repräsentiert die unendliche Verschenkung und Verteilung einer Person an die Kirche. Eucharistie ist von der Kirche untrennbar. Da aber Kirche vom Heiligen Geist des Vaters und des Sohnes „durchtränkt“ ist, ist der Geist des Glaubenden, der lebendig glaubend die Eucharistie feiert und empfängt, immer schon ins Trinitarische geweiht.[16] Ein solcher Christ wird zusammen mit der Kirche zur Ikone der Trinität.

Heiligkeit wächst in der Kirche

Das schönste Beispiel eines kirchlichen Daseins, welches unbegrenzte Dimensionen angenommen hat, bieten uns die Heiligen. Hans Urs von Balthasar verweist auf die Heiligen als Musterbeispiel der gelungenen Form des kirchlichen Gehorsams. „Das Dasein der Heiligen ist gelebte Theologie."[17]

Je bewusster ein Christ die empfangene Sendung in der Kirche erfüllt, desto heiliger wird er. „In der Sendung, die jeder Einzelne erhält, liegt wesentlich die Form der ihm geschenkten und von ihm geforderten Heiligkeit begründet. Die Ausführung dieser Sendung ist für ihn identisch mit der ihm zugemessenen und erreichbaren Heiligkeit. So ist die Heiligkeit also etwas wesentlich Soziales und darum der Willkür des Einzelnen Entzogenes. Gott hat von jedem Christen eine Idee, die ihm seinen Platz innerhalb der kirchlichen Gliedschaft absteckt."[18]

„Kirchengeschichte ist doch wohl vor allem Geschichte der Heiligen. Der bekannten und unbekannten. Sie, die alles auf eine Karte gesetzt haben, und durch ihr Wagnis zu lauteren Spiegeln wurden, haben in reichem Spektrum das Licht von innen in unser dunkles Außen geworfen. Sie sind die große Auslegungsgeschichte des Evangeliums, echter und beweiskräftiger als alle Exegese. Sie sind Beweis sowohl der Fülle wie der Präsenz."[19] Die Existenz der Heiligen ist sozusagen ein gelebtes Evangelium.

Alle sind zur Heiligkeit berufen

Die Heiligen sind von Jesus Christus selbst geformt. Ihre Heiligkeit ist die vollkommenste Verwirklichung des Christentums. Zugleich sind die Heiligen ein lebendiger Ansporn für jeden Christen, nach der Heiligkeit zu streben und mit der Gnade mitzuwirken. Alle Christen sind zur Heiligkeit berufen (LG, Kap. V) und erhalten dazu auch genügend Gnade.

Der hl. Papst Johannes Paul II. stellte die Heiligkeit als die entscheidende pastorale Priorität der Kirche am Anfang des dritten Jahrtausends heraus: „Ohne Umschweife sage ich vor allen anderen Dingen: Die Perspektive, in die der pastorale Weg eingebettet ist, heißt Heiligkeit."[20] Die Wiederentdeckung der Kirche als „Geheimnis“ oder als „das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk“ muss auch zur Wiederentdeckung ihrer „Heiligkeit“ führen: „Alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges sind zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen“, sagt das Zweite Vatikanische Konzil (LG 40). Entscheidend sind also die Präsenz und das Zeugnis der Heiligen.

Der Kirche gehören die Geschenke Gottes

Die Heiligkeit in der Kirche ist und bleibt etwas ganz wesentliches und unverlierbares. Auf dieser grundlegenden Wahrheit beruht auch die Notwendigkeit, sich mit der heiligen Kirche immer mehr zu identifizieren: „Im katholischen Kirchenbereich gilt der Satz: je heiliger ein Christ, desto mehr identifiziert er sein Dasein und Schicksal mit dem Dasein und Schicksal der Kirche. Und zwar so, dass er zugleich weiß: die heilige Kirche gab es immer schon vor mir, ihrer Einheit mit Christus verdanke ich mich als Christ: ihr gehören die Geschenke Gottes: die Taufe, die Eucharistie, die Wiederversöhnung, die Heilige Schrift, die Verkündigung, die Erziehung und Mahnung, die Gemeinschaft der brüderlichen Liebe. Das alles ist mir uneinholbar voraus und ist in der Kirche des Ursprungs auch immer schon Realität, selbst wenn es in den schwächeren Gliedern immer noch unerfüllte oder halberfüllte Forderung ist."[21]

Die Heiligkeit ist immer wieder erneute Widerlegung der Mentalität, dass die Entfernung der Jahre im Christentum eine entscheidende Rolle spielt. Das Gegenteil erweist sich: die zeitliche Distanz macht den Ursprung noch lebendiger anwesend. Die Überraschungen und Geschenke des Heiligen Geistes an die Kirche erhalten vor allem in der Existenz der Heiligen eine tragende Bedeutung. „Der Geist gibt auf brennende Fragen der Zeit das Stich- und Losungswort. Niemals in Form einer abstrakten Abhandlung (solche zu verfassen sind die Menschen da), fast stets in Gestalt einer neuen, konkreten, übernatürlichen Sendung, im Erschaffen eines Heiligen, der seiner Zeit die Botschaft des Himmels darlebt, die eben fällige Auslegung des Evangeliums, den dieser Zeit geschenkten Zugang zur allzeitlichen Wahrheit Christi. Wie soll Leben anders ausgelegt werden als durch Leben? Die Heiligen sind die lebendigste Tradition … Die Sendungen der Heiligen sind so sehr Antwort von oben auf die Fragen von unten, dass sie nicht selten zunächst als das Unverständliche wirken, als Zeichen, denen im Namen aller Rechtdenkenden widersprochen werden muss, bis der Beweis der Kraft erbracht ist."[22] „Die Heiligen stiften die Kirche. Sie empfangen sie einsam vom Herrn und verbreiten sie als Communio."[23]

Die Theologie muss an den Quellen der Heiligen trinken

Auch für die Theologie ist es heute dringend notwendig, wieder und wieder an den lebendigen Quellen der Heiligkeit zu trinken – wie in den ersten Jahrhunderten. Von der ursprünglichen Einheit zwischen Theologie und Heiligkeit sagt Balthasar: „Die Theologie war, solange sie eine Theologie der Heiligen war, eine betende, eine kniende Theologie. Darum ist ihr Gebetsertrag ihre Fruchtbarkeit für das Gebet, ihre gebetserzeugende Macht so unabsehbar gewesen. Irgendeinmal geschah die Wendung von der knienden Theologie zur sitzenden Theologie."[24]

Aber nicht nur in der Theologie, sondern in allen Bereichen des kirchlichen Lebens sind heute Heilige erforderlich. Denn nur die Heiligen sind wahre Reformatoren, welche die Kirche immer wieder erneuern und verjüngen. Die großen Bewegungen und Reformen der Kirche werden auch in Gegenwart und Zukunft von den Heiligen ausgehen. Heilige haben keine Zeit, über ihre eigene Identität nachzusinnen. Sie sind ganz und gar von Gott ergriffen. In sie ist ein Blitz Gottes gefahren und deswegen können sie ihre Umgebung in eine Feuersbrunst verwandeln.[25]

In dieser Logik heißt es: „Die Liebenden wissen am meisten von Gott, ihnen muss der Theologe zuhören."[26] „An ihnen wird die christliche Liebe glaubhaft, und sie dienen den armen Sündern als hinweisende Sterne. Aber sie wollen allesamt nur Hinweis von sich weg auf die Liebe sein ... Die wirklichen Heiligen wollten nichts als die größere Glorie der Liebe Gottes, einzig das ist die Bedingung der Möglichkeit ihrer Taten, man widerspricht ihnen ins Angesicht, wenn man diese Taten besserwissend als ihre eigene Glorie auslegt. Sie sind in Gott verabgründet und geborgen. Ihre Vollendung wächst, nicht um die Mitte ihres Selbst, sondern um diejenige Gottes allein, dessen unfassliche, nicht aufzurechnende Gnade es ist, dass er sein Geschöpf, je freier es für ihn allein wird, desto freier in sich und für sich macht, ein Paradox, das nur aufgelöst werden kann, wenn man durch Gottes Selbsthingabe verstanden hat, dass er die Liebe ist, ebenso eifersüchtig wie neidlos, um ebenso ausschließlich zu sammeln wie er universal ausstreut."[27]

Die Herrlichkeit des dreieinigen Gottes erweist das Christliche als das uneinholbar Größte, „id quo maius cogitari nequit“ – „das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“ (hl. Anselm von Canterbury). Denn glaubhaft ist nur Liebe.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 11/November 2015
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[1] Antonio Spadaro SJ: Das Interview mit Papst Franziskus. Freiburg: Herder 2013.
[2] Hans Urs von Balthasar: Schleifung der Bastionen (51989), 74; Balthasar: Die Kirche lieben?, in: Pneuma und Institution, 162f; Balthasar: Im Kirchenbereich, in: Pneuma und Institution,189f.
[3] Die Kirche lieben?, 162-200.
[4] Balthasar: Kleine Fibel für verunsicherte Laien, 59-64.
[5] Die Kirche lieben?, 162-200.
[6] Ebd., 197. Siehe auch Christoph Schönborn: Leben für die Kirche. Die Fastenexerzitien des Papstes, Freiburg 1997 (= Amare la Chiesa. Esercizi spirituali predicati a Papa Giovanni Paolo II, Edizioni San Paolo, Cinisello Balsamo, Milano 1996).
[7] Balthasar: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Bd. 1: Schau der Gestalt, 31988, 328-330.
[8] Balthasar: Christologie und kirchlicher Gehormsam, in: Pneuma und Institution. Skizzen zur Theologie IV, 1974, 143.
[9] Balthasar: Wer ist die Kirche?, 174; Balthasar: Klarstellungen. Zur Prüfung der Geister, 41978, 61.
[10] Wer ist die Kirche?, 189.
[11] Herrlichkeit I, 246; Christologie und kirchlicher Gehorsam, 144f.
[12] Die Kirche lieben?, 189-200; Balthasar: Das Ganze im Fragment, 94-99; Wer ist die Kirche?, 174-180.
[13] Balthasar: Schwestern im Geist. Therese von Lisieux und Elisabeth von Dijon (41990), 169.
[14] Ebd., 158.
[15] Im Kirchenbereich, 216-223; Balthasar: Die Messe, ein Opfer der Kirche?, in: Spiritus Creator, 166-217; Balthasar: Theologie der drei Tage (21990), 68; Klarstellungen, 60f.
[16] Im Kirchenbereich, 234f.
[17] Herrlichkeit, Bd. II/1: Klerikale Stile (31984), 222.
[18] Schwestern im Geist, 16.
[19] Klarstellungen, 79.
[20] Johannes Paul II.: Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte, Nr. 30 (6. Januar 2001).
[21] Im Kirchenbereich, 281.
[22] Balthasar: Theologie der Geschichte. Ein Grundriss, 62004, 82.
[23] Im Kirchenbereich, 284; vgl. Klarstellungen, 59-64.
[24] Balthasar: Theologie und Heiligkeit, in: Verbum Caro, 224. Siehe Anton Štrukelj: Kniende Theologie, EOS Verlag, Erzabtei St. Ottilien, Zweite, erweiterte Auflage, 2004.
[25] Vgl. Balthasar: Der antirömische Affekt, 40.
[26] Balthasar: Glaubhaft ist nur Liebe (62000), 7.
[27] Ebd., 81.

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