Gottes Umarmung annehmen
Pfarrer Leo Tanner (geb. 1953) ist von der Sehnsucht erfüllt, den Menschen die befreiende Botschaft des Evangeliums zu bringen und ihre Herzen für die unendliche Liebe Gottes zu öffnen. In verschiedenen Formen der Verkündigung wie Glaubenskursen, Büchern oder einer eigenen Webseite im Internet (www.leotanner.ch) setzt er sich unermüdlich für die Neuevangelisierung ein. Passend zum Jahr der Barmherzigkeit brachte er nun eine Schrift heraus, mit der er die Menschen „auf einen konkreten Weg der Beichtvorbereitung mitnehmen“ möchte.[1] Aufbauend auf der Heiligen Schrift bietet er in einer zeitgerechten und leicht verständlichen Sprache Hilfen für einen fruchtbaren Empfang des Bußsakraments an. Nachfolgend das zentrale Kapitel über die Beichte.
Von Leo Tanner
Wo Menschen dem lebendigen Gott begegnen, erfahren sie ein großes Glück. Gottes Licht öffnet ihrem Leben ganz neue Horizonte. Freude und Begeisterung brechen auf. Gottes Licht zeigt ihnen aber auch, wo sie der Heilung und Umkehr bedürfen. Viele entdecken dann auch neu das Geschenk der Beichte.
Der Empfang des Bußsakramentes ist ein besonders tiefgreifender Weg, um uns der Liebe Gottes zu öffnen. Dazu gehört ein innerer Weg der Vorbereitung, der verschiedene Schritte beinhaltet. In der Katechese werden sie gewöhnlich als die fünf B (besinnen, bereuen, bekennen, büßen, bessern) bezeichnet. Diese fünf B möchten wir genauer anschauen und im Licht der barmherzigen Liebe Gottes erschließen.
1. Schritt: Besinnen – nachdenken
Der jüngere Sohn im Gleichnis vom barmherzigen Vater kommt erst zur Besinnung, als es ihm schlecht geht. Wir müssen es nicht so weit kommen lassen. Die edelste Motivation zur Beichte besteht nicht darin, dass wir eine Entlastung, ein gutes, befreiendes Gefühl erstreben, sondern im Wunsch, uns Gottes Liebe zu öffnen und in der Liebe zu wachsen. Von daher ist es hilfreich, in regelmäßigen, überschaubaren Abständen innezuhalten für eine Art „Revision de la vie“ (Lebensrückschau). Solch ein ehrlicher Blick, der auch die inneren Motivationen, Absichten und Ziele unseres Denken, Redens und Handelns wahrnimmt, lässt uns in der Liebe wachsen.
Welcher Spiegel?
Zur Besinnung gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Dabei ist entscheidend, dass wir nicht (nur) von uns ausgehen mit der Frage, was wir an uns lieber anders hätten, sondern uns vor das Angesicht Gottes stellen. Denn Gottes Barmherzigkeit will unser Leben heilen und erneuern.
In Zusammenhang des Überdenkens des eigenen Lebens ist vielen der „Beichtspiegel“ vertraut. Dieser hilft mit Fragen dazu, gleich einem Spiegel, unser Herz anzuschauen. Wir können damit wie mit einem normalen Spiegel umgehen: wir schauen, ob wir uns gefallen, ob die Frisur passt, wo noch Schmutz ist, was noch verändert werden muss. Ein Spiegel zeigt uns, was an unserem Äußeren noch verändert werden könnte, was uns noch besser aussehen ließe.
Ähnlich kann mit dem „Beichtspiegel“ nach dem Schmutz unseres Herzens gesucht werden. Die Beichte dient dann dazu, allen „Sündenschmutz“ Jesus zu bringen, um uns von Ihm reinwaschen zu lassen, damit wir uns selbst wieder gefallen, uns wieder schön und gut finden. Das ist ein guter erster Schritt. Doch das Hauptproblem dieser Betrachtungsweise ist, dass wir mehr auf uns selbst als auf Gott bezogen sind. Nicht, was wir an uns lieber nicht hätten, ist die Frage, sondern wie Gott dies sieht. Es geht um die Änderung unserer Blickrichtung – weg von uns, hin zu Ihm!
Als Gläubige stellen wir uns vor das Angesicht Gottes und fragen: Wie siehst Du das, Jesus? Was freut Dich? Was verletzt Dich? Was Ihn bei uns stört, das kann nur Er uns zeigen. Der Heilige Geist gibt uns Gottes Licht. Deshalb ist es gut, den Heiligen Geist zu bitten, dass Er uns zeige, was Sünde ist, was uns von Gott und Seiner Liebe absondert und trennt. Ganz praktisch rate ich, Papier und Schreibzeug zu nehmen, sich an einen Ort der Ruhe zurückzuziehen und mit einem Gebet um den Heiligen Geist zu beginnen. Es gibt verschiedene Wege, um im Licht Gottes unser Leben zu betrachten, z.B. die Besinnung nach den Weisungen Gottes, den Zehn Geboten, oder nach den Wurzelsünden. Ein möglicher Weg der Besinnung besteht darin, den folgenden vier Aspekten nachzugehen und einige Fragen zu bedenken.
Erster Aspekt: Liebe annehmen
Das Erste in jeder Beziehung besteht darin, auf den Anderen zu achten und anzunehmen, was mir das Gegenüber schenkt. So auch bei Gott: Er beschenkt uns Tag für Tag mit vielfältigen Gaben. Vor allem beschenkt Er uns mit Seiner Liebe. Er beschenkt uns, damit wir aufleben und liebende Menschen werden. Lieben können wir erst, wenn wir zuvor Liebe empfangen haben.
Johannes schreibt: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16a). „Gläubig angenommen“ bedeutet nicht, Gottes Liebe zu fühlen, sondern sie zu sehen, an sie zu glauben und sie in einem bewussten Schritt dankbar anzunehmen. So kann ich mich fragen:
• Denke ich daran, dass Gott mich seit Ewigkeit her liebt und den großen Wunsch hat, mich glücklich zu machen?
• Wie hat mich Gott seit der letzten Beichte (oder im letzten halben Jahr) mit Seiner Liebe beschenkt? Wo hat Er mich zum Guten hin gewandelt? Das kann ich aufschreiben und Gott dafür danken.
• Nehme ich die Liebe Gottes, die Er mir schenkt, bewusst an, indem ich Ihm dafür danke? Freue ich mich, dass ich Ihm kostbar und wertvoll bin?
• Traue ich der Liebe Gottes zu mir voll und ganz? Möchte ich, dass Sein Wille in allem in meinem Leben geschieht? In welchen Weisungen von Ihm und Seiner Kirche (die Seine Weisungen verdeutlichen will) kann ich Seine Liebe (nicht) sehen?
• Nehme ich die Schöpfung und die Gaben der Schöpfung als Sein Geschenk an? Trage ich Sorge zur Schöpfung?
• Nehme ich alle Liebe, Wertschätzung, Dankbarkeit, die mir Mitmenschen schenken, dankbar an? Wo habe ich Mühe, mich lieben zu lassen und Liebe anzunehmen?
Zweiter Aspekt: Verzeihen
Misstrauen – auch Gott gegenüber – kann entstehen aufgrund von Verletzungen, die uns andere Menschen oder auch wir selbst uns zugefügt haben. Solche Wunden der Seele können bis in die frühe Kindheit zurückreichen. Oft sind solche Verletzungen und unsere unbewussten Reaktionen darauf die Ursache für Fehlhaltungen, gegen die wir immer wieder vergeblich ankämpfen.
Verletzungen heilen durch Verzeihen. Jesus hat dies bewusst immer wieder angesprochen: „Geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder…“ (Mt 5,24). Im Vaterunser lehrt Jesus uns beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Das Verzeihen ist nicht in unser Belieben gestellt. Verzeihen entspricht dem Gebot der Liebe.
Verzeihen ist eine Entscheidung des Willens: Ich will dir das vergangene Unrecht nicht mehr nachtragen und verzichte auf jede Form von Rache. Ich vertraue dies der Erlösung Jesu am Kreuz an. Ich will jetzt erneut offen sein für Gottes Wirken in diesen Beziehungen.
Zu allererst müssen wir uns selbst verzeihen. Oft haben wir uns selber verletzt und Dinge getan, die uns schaden. Sich selber zu verzeihen bedeutet: Ich entscheide mich, mich so anzunehmen, wie ich jetzt bin.
Vielleicht müssen wir auch „Gott“ selbst verzeihen, weil wir so vieles nicht verstehen können, was Er zulässt. Wir fragen dann: Warum, Gott? Gott macht zwar keine Fehler, aber vieles Schmerzliche und Unverstehbare kann in unseren Gefühlen zu einer Art Rebellion, Auflehnung gegen Gott führen oder auch dazu, dass wir auf Distanz zu Ihm gehen.
Verzeihen müssen wir auch unseren Mitmenschen: Vieles hat uns verletzt und wehgetan. Oftmals haben wir Unrecht erlitten und leiden jetzt noch an den Folgen davon.
Verzeihen müssen wir oft innerhalb der Kirche: Laien, Priestern, Mitgliedern der Pfarrgemeinde, Rom – überall dort, wo wir uns innerlich auflehnen oder ärgern. Deshalb die Frage:
• Wem möchte ich was verzeihen?
Es ist wichtig, hier ganz konkret zu sein. Im Herzen der Menschen kann sich ein Geröllhaufen von Vorwürfen, Bitterkeiten, Unversöhntem… angehäuft haben. Da genügt es in der Regel nicht zu sagen: Ich verzeihe dir alles. Vielmehr muss der ganze Haufen von Schutt, Steinen und Geröll, der sich angesammelt hat, Schritt für Schritt abgetragen werden, indem ich jeden Vorwurf einzeln und bewusst herausgrabe und ans Kreuz bringe. Dazu ist es gut, das Verzeihen auszusprechen.
Auch hier kann zuerst alles aufgeschrieben werden, was ich verzeihen möchte.
Dritter Aspekt: Aktiv die Liebe leben
Ein Mann (es könnte auch eine Frau sein) gibt sich das ganze Leben lang alle Mühe, ja keine Sünde zu begehen. Das führt dazu, dass er sich aus schwierigen Situationen zurückzieht, um sich ja nicht „die Hände schmutzig zu machen“. Er schafft es. Am Ende seines Lebens, als er bei Gott ankommt, sagt er voll Stolz und Freude: „Schau, meine Hände sind ganz rein!“ Gott schaut sie an und sagt: „Das stimmt, aber sie sind leer!“
Das Leben ist das größte Geschenk, das Gott uns gegeben hat. Gott hat uns Gaben geschenkt, damit wir diese je nach Berufung einsetzen, entfalten und damit Ihm und den Menschen dienen (vgl. Mt 25,14-30). Gott möchte, dass unser Leben uns selbst und Anderen zum Segen wird.
Das Ziel unseres Lebens beschreibt Jesus im Hauptgebot: „Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mk 12,29-31). Liebe bedeutet, auf das Heilbringende des Gegenübers bedacht zu sein. Wir haben jeden Tag Möglichkeiten, Gutes zu denken, zu reden, zu tun und so segensreich zu wirken.
Der Mangel an Liebe ist die Hauptsünde. Deshalb weist das Schuldbekenntnis zuerst auch auf die Unterlassungen hin: „Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen…“
Deshalb die Frage:
• Liebe zu Gott: Liebe ich Gott aus ganzem Herzen? Wie zeigt sich das konkret? Horche ich auf Seine Stimme? Möchte ich Ihm dienen und Ihm Freude machen?
• Ich kann auch fragen: Jesus, was möchtest Du in mir und durch mich leben? Liebe ich den Leib Christi, die Kirche, und unterstütze ich sie?
• Liebe zu mir selbst: Nehme ich mich selbst – mein tiefstes Inneres, mein Leben wie es ist – an? Bin ich wahrhaftig mir selbst gegenüber? Liebe ich meine Berufung und lebe ich diese mit Freude?
• Liebe zum Nächsten: Liebe ich meine Mitmenschen? Wo habe ich Gutes, das helfende Wort, die unterstützende Tat… unterlassen? Welchen Menschen habe ich keine Beachtung geschenkt?
Vierter Aspekt: Beziehungen anschauen
„Zöllner und Sünder kamen zu ihm (Jesus), um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber…“ Wo Aggressionen, Wut und Zorn aufkommen, gilt es gut hinzuschauen; ebenso, wenn wir uns selbst, Gott oder Menschen nicht mehr in die Augen schauen können. Dann spüren wir, dass etwas Störendes da ist.
Der Begegnung mit dem Unangenehmen – auch mit unangenehmen Menschen – versuchen wir meist auszuweichen. Wir möchten Peinliches und eigene Schuld lieber nicht anschauen. So sind wir geneigt, unangenehme Erinnerungen zu verdrängen. Nun können wir die verschiedenen Beziehungen unseres Lebens anschauen: die Beziehung in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, Pfarrgemeinde, Nachbarschaft… So kann ich mich fragen:
• Welche Beziehungen sind für mich schwierig? Was macht sie schwierig? Wie ist es dazu gekommen?
• Weshalb habe ich so gedacht, geredet und gehandelt in der Beziehung…? Wie kam es zu dieser Verfehlung? Welche verkehrten Gedanken, Entscheidungen… haben die Verfehlungen verursacht oder begünstigt? Was könnte ich ändern, damit es in Zukunft besser werden kann?
• Welche Verletzungen könnten bei den Anderen da sein? Wie könnte ich mich darin mit Gottes Kraft besser, liebender verhalten?
Nun können wir weitere Beziehungen anschauen: die Beziehung zu uns selbst, meinen Umgang mit der Zeit, mit der Sexualität, mit der Schöpfung, mit dem Geld, mit der Arbeit… anschauen und überlegen: Was freut Gott? Was wünscht Er sich anders?
2. Schritt: Bereuen – umkehren
Das Bewusstwerden der eigenen Verfehlungen im Licht der Liebe und Barmherzigkeit Gottes löst meist Reue aus. Nun geht es darum, aus Reue den inneren Schritt der Umkehr zu vollziehen. Die Reue ist das Herz der Umkehr. Sie führt den Menschen zu Gott und ins wahre Leben zurück.
Das deutsche Wort „Reue“ kommt von „Trauer, seelischer Schmerz, Kummer“ und weist auf einen emotionalen Schmerz hin. Bei der Reue ist die Erkenntnis entscheidend: Ich habe nicht nach Gottes Willen, nicht zum Wohl des Nächsten und nicht zu meinem Heil gelebt. Ich habe Gott damit nicht geehrt, Ihm keine Freude gemacht. Aus dieser Erkenntnis wächst das Nein zur begangenen Tat.
Reue setzt die persönliche Einsicht in eine schuldhafte Unterlassung oder schuldhafte Tat voraus. Aus der Reue folgt der Vorsatz, die Sünde nicht mehr zu begehen.
Die Qualität und der Grund der Reue können unterschiedlich sein. Weil Sünde dem Menschen selbst schadet und ihn (mehr oder weniger offensichtlich) verletzt, gibt es eine Reue im Blick auf sich selbst: Ich bin dann froh, wenn ich von dieser Schuld, die mich belastet, frei werden kann, weil das mir gut tut! So war die Reue des jüngeren Sohnes noch sehr vom Hunger geprägt. „Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen, und ich komme hier vor Hunger um…“
Die Kirche unterscheidet zwischen der unvollkommenen und vollkommenen Reue. In der unvollkommenen Reue ist der Blick, wie beim verlorenen Sohn, auf sich selbst gerichtet. Die Reue kann von der Angst vor Strafe und der Gerechtigkeit Gottes (Angstreue) geprägt sein. Bereits in der unvollkommenen Reue wirkt der Heilige Geist. Sie genügt für den Empfang des Bußsakramentes.
In der Reue kann ich auch auf Gott schauen, und je größer meine Liebe zu Ihm ist, umso mehr schmerzt mich mein Verhalten, weil ich Gott und die Menschen zu wenig geliebt habe. Das ist die Liebesreue, die vollkommene Reue. Diese Liebe lässt mich daran leiden, dass ich Gottes Liebe verletzt und zu wenig beantwortet habe. So heißt es im Katechismus: „Wenn die Reue aus der Liebe zu Gott, der über alles geliebt wird, hervorgeht, wird sie ‚vollkommene‘ oder ‚Liebesreue‘ genannt. Eine solche Reue lässt die lässlichen Sünden nach; sie erlangt auch die Vergebung der Todsünden, wenn sie mit dem festen Entschluss verbunden ist, sobald als möglich das sakramentale Bekenntnis nachzuholen“ (KKK 1452).
Die Reue führt mich zurück zum besten Ort: zum Vater. Sie ist das Entscheidende beim ganzen Weg, denn ohne Umkehr kann uns Gott die Schuld nicht vergeben. Ohne Umkehr gibt es keine Heilung und keine Erneuerung!
3. Schritt: Bekennen – Vergebung empfangen
In der Haltung der Reue kehrt der jüngere Sohn zurück zum Vater. Er hat auch ein entsprechendes Bekenntnis vorbereitet: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“
Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie gut und befreiend es für uns ist, wenn wir Belastendes aussprechen und ans Licht bringen dürfen. Auch die Psychologen sagen: Was nicht ausgesprochen wird, wird nicht geheilt. Der Psalm 32 drückt diese Erfahrung so aus: „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zur Last legt und dessen Herz keine Falschheit kennt. Solang ich es verschwieg, waren meine Glieder matt, den ganzen Tag musste ich stöhnen. Denn deine Hand lag schwer auf mir bei Tag und bei Nacht. Meine Lebenskraft war verdorrt, wie durch die Glut des Sommers.
Da habe ich dir meine Sünde bekannt und verbarg nicht länger meine Schuld vor dir. Ich sagte: Ich will dem Herrn meine Frevel bekennen. Und du hast mir die Schuld vergeben“ (Ps 32,2-5).
Niemand muss die Last der Schuld selbst tragen, denn Jesus Christus hat die Schuld für uns bereits getragen. Wir dürfen Ihm die Last der Schuld „abgeben“. Er will sie für uns tragen, damit wir von der Last frei werden. Paulus schreibt: Jesus „hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat“ (Kol 2,14). Dies geschieht, wenn wir zu Jesus Christus im Priester kommen.
Zum Zeichen, dass es jetzt nicht um den Priester als Privatperson geht, trägt dieser die Stola. Jetzt ist Jesus Christus in ihm da und handelt durch ihn. Mit dem alten christlichen Gruß „Gelobt sei Jesus Christus!“ kann auch Jesus Christus im Priester begrüßt werden. Der Priester kann in einem kurzen Gebet um den Heiligen Geist bitten.
Nun kann ich alles aussprechen, was mich belastet und was ich Jesus am Kreuz anvertrauen möchte. Dabei kann ich auch meine Nöte und Fragen zur Sprache bringen. Ich kann das Bekenntnis mit einem kurzen Reuegebet abschließen wie z.B.: „Jesus, verzeihe mir alle diese Sünden, heile mein Leben und gestalte mich so, wie Du mich haben möchtest.“ Oder ganz einfach: „Meine Sünden tun mir leid.“ – „Mein Jesus, Barmherzigkeit.“
Nun wird der Priester mit mir sprechen. Dabei möchte er mir als der gute Hirt helfen und zur Seite stehen. Dies auch dann, wenn er mir eine „Buße“ aufgibt.
Das griechische Wort, das im Neuen Testament mit Buße übersetzt wird, ist metanoia – von noein, das heißt „denken“, und meta, das heißt „um“, wörtlich: „Umdenken, Neudenken, Umkehr des Denkens, Sinnesänderung“. Der hebräische Begriff schub, der in der Septuaginta mit metanoia übersetzt wird, umfasst eine Umkehr zu Gott nicht nur im Denken, sondern in der ganzen Existenz, was die Veränderung des Verhaltens, vor allem aber auch Gehorsam gegenüber Gott, neues Vertrauen zu Ihm ebenso einschließt wie die Abkehr von allem Bösen und widergöttlichen menschlichen Neigungen und Schwächen. Hier in Verbindung mit dem Bußsakrament bedeutet Buße das Erfüllen eines Werkes der Wiedergutmachung, das in Gebet, Almosen, Dienst am Nächsten, oder freiwilligem Verzicht bestehen kann.
Nach einem Gespräch erteilt der Priester die Absolution, das heißt die Lossprechung der Sünden. Christus selbst spricht mich von der Schuld frei. Der Ritus sieht dafür die Handauflegung vor.
Wenn der Priester mir die Hände auflegt, dann will er damit zum Ausdruck bringen, dass ich von Jesus bedingungslos angenommen bin, auch in meiner Schuld. Die Lossprechungsformel lautet: „Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung Seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke Er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ Dieses offizielle Gebet kann von einem persönlichen Gebet des Priesters begleitet werden.
In der Lossprechung wird die Erlösung Jesu Christi am Kreuz konkret und wirksam. Jesus erlöst uns aus Bindungen und Zwängen. In der Lossprechung geschieht immer auch eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes, der uns Widerstandskraft gegen das Böse gibt.
Hier geschieht etwas, was kein Mensch einem anderen zusprechen kann: die Gewissheit der Vergebung. Im Wort des Priesters „Ich spreche dich los…“ spricht Jesus Christus mich für immer frei. Nun ist mir von Gott her vergeben – für immer! Dies ist auch dann der Fall, wenn ich nichts davon spüre. Die Sünden sind nicht mehr existent. Sie sind begraben im Tod Jesu für immer.
4. Schritt: Büßen – Wiedergutmachung
Mit der Vergebung durch Gott ist der Weg noch nicht zu Ende, denn die Folgen der Sünde haben sich mit der Vergebung der Sünde nicht in Luft aufgelöst. Wenn jemand dem Nachbarn aus Wut sein Auto zerstört hat, diesen um Vergebung für die Sünde bittet und diese Bitte angenommen wird, dann ist das Auto immer noch kaputt. Weiter kann im Nachbarn durch diese Tat eine Wunde im Herzen entstanden sein, die noch schmerzt. Diese Folgen der Sünde – hier das kaputte Auto und die schmerzende Wunde – gilt es nun wieder gut zu machen. Wiedergutmachung bedeutet, alles wieder in die Heilsordnung Gottes zu bringen.
Im Gleichnis der beiden Söhne wird der jüngere Sohn einsehen, dass er durch seinen eigenwilligen Weggang vom Vaterhaus sowohl den Vater als auch seinen Bruder verletzt hat. Beide waren ihm egal. Aber auch der ältere Sohn muss erkennen, dass er seinen jüngeren Bruder nicht geliebt hat. Diese Beziehungen aufzuarbeiten und in die Liebesordnung Gottes zu bringen, ist die Aufgabe der Buße für die beiden Söhne.
Die Wiedergutmachung besteht darin, dass ich das, was an mir liegt, in der Beziehung zu mir selbst, zu den Menschen, zur Gesellschaft und zur Kirche in Ordnung bringe: Was gibt es zu klären? Wo habe ich etwas (Gestohlenes) zurückzugeben? Was kann ich beitragen, dass eine durch mich verletzte Beziehung wieder heil werden kann?
Je stärker meine Schuld anderen geschadet hat, umso mehr gilt es darauf zu achten, wie diese Schuld wieder „gut gemacht“ werden kann. Bei schweren Verletzungen in Beziehungen genügt nicht nur eine Entschuldigung. Die „geschädigte“ Person kann von mir ein Verhalten einfordern, das meine Umkehr und meine Reue bezeugen. Zur Wiedergutmachung gehört es auch, sich bei Straftaten der Justiz zu stellen. Gottes Barmherzigkeit deckt nichts zu – im Gegenteil! Gott ist gerecht, und darum achtet Er darauf, dass alles Unrecht so gut wie möglich wieder „gut gemacht“ wird.
Wie kann eine sinnvolle Buße, ein Zeichen der Wiedergutmachung aussehen? Die Buße, die der Priester aufgibt, will ein Heilmittel, ein Medikament für den weiteren Weg sein. Sie will den Weg der Umkehr vertiefen und in die Praxis der Liebe führen. Oft wird dies in einem kleinen Gebet bestehen, das auch die Dankbarkeit Gott gegenüber zum Ausdruck bringt.
Manchmal kann die Buße auch die Heilung einer Beziehung fördern. Dazu ein Beispiel: Wenn Menschen mir als Priester ihre Not und Unzufriedenheit mit ihrem Partner (oder anderen) bekannt haben, habe ich als Buße schon öfters empfohlen: „Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie alles Gute auf, das Sie beim Partner finden. Machen Sie das jeden Tag, eine Woche lang. Danken Sie Gott dafür und ergänzen Sie die Liste, wenn Ihnen etwas Neues einfällt.“
5. Schritt: Bessern – Vorsatz
Der fünfte Schritt schaut nach vorne. Beim Vorsatz geht es um die Frage: Was kann ich konkret ändern, damit ich besser werde? Niemand kann alles auf einmal ändern. Die Heiligung unseres Lebens ist ein Prozess. Es ist unsere Aufgabe, an der Wandlung unseres Lebens mitzuwirken.
Die beiden Brüder im Gleichnis werden sich bei diesem Punkt die Frage stellen: Was hilft uns, unsere gegenseitige Freundschaft zu vertiefen? Wie können wir gemeinsam in der Freundschaft zum Vater wachsen und Ihm zur Freude leben? Und dann werde ich mir einen ersten konkreten Schritt vornehmen. Das ist der Vorsatz.
Der Vorsatz nimmt von dem, was uns am Wichtigsten erscheint, einen ersten konkreten Schritt ins Auge, den wir als möglich einstufen. Dabei gilt es an die Wurzeln heranzugehen und den Blick auf die Gnade zu lenken, die uns helfen will, Schwächen zu überwinden. Zum Beispiel: eine Versuchung zu meiden, indem wir ihr aus dem Weg gehen; eine negative Gewohnheit durch ein erstes neues Verhalten anzugehen; bei Kritiksucht bei einem negativen Ausrutscher gleich zwei positive und liebevolle Bemerkungen hinzuzufügen… Es geht darum, uns zu entscheiden, in einer konkreten Situation anders zu denken, zu reden oder zu handeln als bis anhin üblich.
Danken und die Freude der Vergebung annehmen
In diesen fünf Schritten haben wir den Blick auf den Beitrag des Beichtenden gelenkt. Nun muss jedoch das Wesentliche betrachtet werden: die Liebe Gottes. Sein größter Wunsch ist es, uns zu lieben und uns immer neu zu vergeben. Er möchte uns Seinen göttlichen Frieden schenken. Er möchte unser Leben heilen und gut machen.
Die Erfahrung der Vergebung hat eine starke, heilende Kraft. Darum sollten wir uns genug Zeit nehmen, um die Freude der Vergebung in uns aufzunehmen. Dazu sind wir zuerst eingeladen, Gott zu danken für das Geschenk der Vergebung. Warum Ihm nicht ein Loblied singen? Vielleicht können wir auch die Freude weiterschenken und ein kleines Fest feiern.
Der Prozess der Annahme der Vergebung ist erst dann beendet, wenn wir inneren Frieden finden über unserer Situation und wenn wir in der Freude des Vaters auch uns selbst vergeben können. Im Glücksgefühl der Vergebung wächst die Freude an Gott, und in dieser Freude wächst neues Leben.
Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)
[1] Leo Tanner: Gottes Umarmung annehmen – Eine Besinnungshilfe zur Beichte. WeG-Verlag, 14,8 x 21 cm, geb., 88 S., Euro 11,– (D), ISBN 978-3-909085-91-0. Weitere Schriften mit Bestellmöglichkeit sowie Impulstexte, Video- u. Audiovorträge finden Sie unter leotanner.ch und www.weg-verlag.ch
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