Das Geschenk der Beichte neu entdecken

Gottes Umarmung annehmen

Pfarrer Leo Tanner (geb. 1953) ist von der Sehnsucht erfüllt, den Menschen die befreiende Botschaft des Evangeliums zu bringen und ihre Herzen für die unendliche Liebe Gottes zu öffnen. In verschiedenen Formen der Verkündigung wie Glaubenskursen, Büchern oder einer eigenen Webseite im Internet (www.leotanner.ch) setzt er sich unermüdlich für die Neuevangelisierung ein. Passend zum Jahr der Barmherzigkeit brachte er nun eine Schrift heraus, mit der er die Menschen „auf einen konkreten Weg der Beichtvorbereitung mitnehmen“ möchte.[1] Aufbauend auf der Heiligen Schrift bietet er in einer zeitgerechten und leicht verständlichen Sprache Hilfen für einen fruchtbaren Empfang des Bußsakraments an. Nachfolgend das zentrale Kapitel über die Beichte.

Von Leo Tanner

Wo Menschen dem lebendigen Gott begegnen, erfahren sie ein großes Glück. Gottes Licht öffnet ihrem Leben ganz neue Horizonte. Freude und Begeisterung brechen auf. Gottes Licht zeigt ihnen aber auch, wo sie der Heilung und Umkehr bedürfen. Viele entdecken dann auch neu das Geschenk der Beichte.

Der Empfang des Bußsakramentes ist ein besonders tiefgreifender Weg, um uns der Liebe Gottes zu öffnen. Dazu gehört ein innerer Weg der Vorbereitung, der verschiedene Schritte beinhaltet. In der Katechese werden sie gewöhnlich als die fünf B (besinnen, bereuen, bekennen, büßen, bessern) bezeichnet. Diese fünf B möchten wir genauer anschauen und im Licht der barmherzigen Liebe Gottes erschließen.

1. Schritt: Besinnen – nachdenken

Der jüngere Sohn im Gleichnis vom barmherzigen Vater kommt erst zur Besinnung, als es ihm schlecht geht. Wir müssen es nicht so weit kommen lassen. Die edelste Motivation zur Beichte besteht nicht darin, dass wir eine Entlastung, ein gutes, befreiendes Gefühl erstreben, sondern im Wunsch, uns Gottes Liebe zu öffnen und in der Liebe zu wachsen. Von daher ist es hilfreich, in regelmäßigen, überschaubaren Abständen innezuhalten für eine Art „Revision de la vie“ (Lebensrückschau). Solch ein ehrlicher Blick, der auch die inneren Motivationen, Absichten und Ziele unseres Denken, Redens und Handelns wahrnimmt, lässt uns in der Liebe wachsen.

Welcher Spiegel?

Zur Besinnung gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Dabei ist entscheidend, dass wir nicht (nur) von uns ausgehen mit der Frage, was wir an uns lieber anders hätten, sondern uns vor das Angesicht Gottes stellen. Denn Gottes Barmherzigkeit will unser Leben heilen und erneuern.

In Zusammenhang des Überdenkens des eigenen Lebens ist vielen der „Beichtspiegel“ vertraut. Dieser hilft mit Fragen dazu, gleich einem Spiegel, unser Herz anzuschauen. Wir können damit wie mit einem normalen Spiegel umgehen: wir schauen, ob wir uns gefallen, ob die Frisur passt, wo noch Schmutz ist, was noch verändert werden muss. Ein Spiegel zeigt uns, was an unserem Äußeren noch verändert werden könnte, was uns noch besser aussehen ließe.

Ähnlich kann mit dem „Beichtspiegel“ nach dem Schmutz unseres Herzens gesucht werden. Die Beichte dient dann dazu, allen „Sündenschmutz“ Jesus zu bringen, um uns von Ihm reinwaschen zu lassen, damit wir uns selbst wieder gefallen, uns wieder schön und gut finden. Das ist ein guter erster Schritt. Doch das Hauptproblem dieser Betrachtungsweise ist, dass wir mehr auf uns selbst als auf Gott bezogen sind. Nicht, was wir an uns lieber nicht hätten, ist die Frage, sondern wie Gott dies sieht. Es geht um die Änderung unserer Blickrichtung – weg von uns, hin zu Ihm!

Als Gläubige stellen wir uns vor das Angesicht Gottes und fragen: Wie siehst Du das, Jesus? Was freut Dich? Was verletzt Dich? Was Ihn bei uns stört, das kann nur Er uns zeigen. Der Heilige Geist gibt uns Gottes Licht. Deshalb ist es gut, den Heiligen Geist zu bitten, dass Er uns zeige, was Sünde ist, was uns von Gott und Seiner Liebe absondert und trennt. Ganz praktisch rate ich, Papier und Schreibzeug zu nehmen, sich an einen Ort der Ruhe zurückzuziehen und mit einem Gebet um den Heiligen Geist zu beginnen. Es gibt verschiedene Wege, um im Licht Gottes unser Leben zu betrachten, z.B. die Besinnung nach den Weisungen Gottes, den Zehn Geboten, oder nach den Wurzelsünden. Ein möglicher Weg der Besinnung besteht darin, den folgenden vier Aspekten nachzugehen und einige Fragen zu bedenken.

Erster Aspekt: Liebe annehmen

Das Erste in jeder Beziehung besteht darin, auf den Anderen zu achten und anzunehmen, was mir das Gegenüber schenkt. So auch bei Gott: Er beschenkt uns Tag für Tag mit vielfältigen Gaben. Vor allem beschenkt Er uns mit Seiner Liebe. Er beschenkt uns, damit wir aufleben und liebende Menschen werden. Lieben können wir erst, wenn wir zuvor Liebe empfangen haben.

Johannes schreibt: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16a). „Gläubig angenommen“ bedeutet nicht, Gottes Liebe zu fühlen, sondern sie zu sehen, an sie zu glauben und sie in einem bewussten Schritt dankbar anzunehmen. So kann ich mich fragen:

• Denke ich daran, dass Gott mich seit Ewigkeit her liebt und den großen Wunsch hat, mich glücklich zu machen?

• Wie hat mich Gott seit der letzten Beichte (oder im letzten halben Jahr) mit Seiner Liebe beschenkt? Wo hat Er mich zum Guten hin gewandelt? Das kann ich aufschreiben und Gott dafür danken.

• Nehme ich die Liebe Gottes, die Er mir schenkt, bewusst an, indem ich Ihm dafür danke? Freue ich mich, dass ich Ihm kostbar und wertvoll bin?

• Traue ich der Liebe Gottes zu mir voll und ganz? Möchte ich, dass Sein Wille in allem in meinem Leben geschieht? In welchen Weisungen von Ihm und Seiner Kirche (die Seine Weisungen verdeutlichen will) kann ich Seine Liebe (nicht) sehen?

• Nehme ich die Schöpfung und die Gaben der Schöpfung als Sein Geschenk an? Trage ich Sorge zur Schöpfung?

• Nehme ich alle Liebe, Wertschätzung, Dankbarkeit, die mir Mitmenschen schenken, dankbar an? Wo habe ich Mühe, mich lieben zu lassen und Liebe anzunehmen?

Zweiter Aspekt: Verzeihen

Misstrauen – auch Gott gegenüber – kann entstehen aufgrund von Verletzungen, die uns andere Menschen oder auch wir selbst uns zugefügt haben. Solche Wunden der Seele können bis in die frühe Kindheit zurückreichen. Oft sind solche Verletzungen und unsere unbewussten Reaktionen darauf die Ursache für Fehlhaltungen, gegen die wir immer wieder vergeblich ankämpfen.

Verletzungen heilen durch Verzeihen. Jesus hat dies bewusst immer wieder angesprochen: „Geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder…“ (Mt 5,24). Im Vaterunser lehrt Jesus uns beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Das Verzeihen ist nicht in unser Belieben gestellt. Verzeihen entspricht dem Gebot der Liebe.

Verzeihen ist eine Entscheidung des Willens: Ich will dir das vergangene Unrecht nicht mehr nachtragen und verzichte auf jede Form von Rache. Ich vertraue dies der Erlösung Jesu am Kreuz an. Ich will jetzt erneut offen sein für Gottes Wirken in diesen Beziehungen.

Zu allererst müssen wir uns selbst verzeihen. Oft haben wir uns selber verletzt und Dinge getan, die uns schaden. Sich selber zu verzeihen bedeutet: Ich entscheide mich, mich so anzunehmen, wie ich jetzt bin.

Vielleicht müssen wir auch „Gott“ selbst verzeihen, weil wir so vieles nicht verstehen können, was Er zulässt. Wir fragen dann: Warum, Gott? Gott macht zwar keine Fehler, aber vieles Schmerzliche und Unverstehbare kann in unseren Gefühlen zu einer Art Rebellion, Auflehnung gegen Gott führen oder auch dazu, dass wir auf Distanz zu Ihm gehen.

Verzeihen müssen wir auch unseren Mitmenschen: Vieles hat uns verletzt und wehgetan. Oftmals haben wir Unrecht erlitten und leiden jetzt noch an den Folgen davon.

Verzeihen müssen wir oft innerhalb der Kirche: Laien, Priestern, Mitgliedern der Pfarrgemeinde, Rom – überall dort, wo wir uns innerlich auflehnen oder ärgern. Deshalb die Frage:

Wem möchte ich was verzeihen?

Es ist wichtig, hier ganz konkret zu sein. Im Herzen der Menschen kann sich ein Geröllhaufen von Vorwürfen, Bitterkeiten, Unversöhntem… angehäuft haben. Da genügt es in der Regel nicht zu sagen: Ich verzeihe dir alles. Vielmehr muss der ganze Haufen von Schutt, Steinen und Geröll, der sich angesammelt hat, Schritt für Schritt abgetragen werden, indem ich jeden Vorwurf einzeln und bewusst herausgrabe und ans Kreuz bringe. Dazu ist es gut, das Verzeihen auszusprechen.

Auch hier kann zuerst alles aufgeschrieben werden, was ich verzeihen möchte.

Dritter Aspekt: Aktiv die Liebe leben

Ein Mann (es könnte auch eine Frau sein) gibt sich das ganze Leben lang alle Mühe, ja keine Sünde zu begehen. Das führt dazu, dass er sich aus schwierigen Situationen zurückzieht, um sich ja nicht „die Hände schmutzig zu machen“. Er schafft es. Am Ende seines Lebens, als er bei Gott ankommt, sagt er voll Stolz und Freude: „Schau, meine Hände sind ganz rein!“ Gott schaut sie an und sagt: „Das stimmt, aber sie sind leer!“

Das Leben ist das größte Geschenk, das Gott uns gegeben hat. Gott hat uns Gaben geschenkt, damit wir diese je nach Berufung einsetzen, entfalten und damit Ihm und den Menschen dienen  (vgl. Mt 25,14-30). Gott möchte, dass unser Leben uns selbst und Anderen zum Segen wird.

Das Ziel unseres Lebens beschreibt Jesus im Hauptgebot: „Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mk 12,29-31). Liebe bedeutet, auf das Heilbringende des Gegenübers bedacht zu sein. Wir haben jeden Tag Möglichkeiten, Gutes zu denken, zu reden, zu tun und so segensreich zu wirken.

Der Mangel an Liebe ist die Hauptsünde. Deshalb weist das Schuldbekenntnis zuerst auch auf die Unterlassungen hin: „Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen…“

Deshalb die Frage:

• Liebe zu Gott: Liebe ich Gott aus ganzem Herzen? Wie zeigt sich das konkret? Horche ich auf Seine Stimme? Möchte ich Ihm dienen und Ihm Freude machen?

• Ich kann auch fragen: Jesus, was möchtest Du in mir und durch mich leben? Liebe ich den Leib Christi, die Kirche, und unterstütze ich sie?

• Liebe zu mir selbst: Nehme ich mich selbst – mein tiefstes Inneres, mein Leben wie es ist – an? Bin ich wahrhaftig mir selbst gegenüber? Liebe ich meine Berufung und lebe ich diese mit Freude?

• Liebe zum Nächsten: Liebe ich meine Mitmenschen? Wo habe ich Gutes, das helfende Wort, die unterstützende Tat… unterlassen? Welchen Menschen habe ich keine Beachtung geschenkt?

Vierter Aspekt: Beziehungen anschauen

„Zöllner und Sünder kamen zu ihm (Jesus), um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber…“ Wo Aggressionen, Wut und Zorn aufkommen, gilt es gut hinzuschauen; ebenso, wenn wir uns selbst, Gott oder Menschen nicht mehr in die Augen schauen können. Dann spüren wir, dass etwas Störendes da ist.

Der Begegnung mit dem Unangenehmen – auch mit unangenehmen Menschen – versuchen wir meist auszuweichen. Wir möchten Peinliches und eigene Schuld lieber nicht anschauen. So sind wir geneigt, unangenehme Erinnerungen zu verdrängen. Nun können wir die verschiedenen Beziehungen unseres Lebens anschauen: die Beziehung in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, Pfarrgemeinde, Nachbarschaft… So kann ich mich fragen:

• Welche Beziehungen sind für mich schwierig? Was macht sie schwierig? Wie ist es dazu gekommen?

• Weshalb habe ich so gedacht, geredet und gehandelt in der Beziehung…? Wie kam es zu dieser Verfehlung? Welche verkehrten Gedanken, Entscheidungen… haben die Verfehlungen verursacht oder begünstigt? Was könnte ich ändern, damit es in Zukunft besser werden kann?

• Welche Verletzungen könnten bei den Anderen da sein? Wie könnte ich mich darin mit Gottes Kraft besser, liebender verhalten?

Nun können wir weitere Beziehungen anschauen: die Beziehung zu uns selbst, meinen Umgang mit der Zeit, mit der Sexualität, mit der Schöpfung, mit dem Geld, mit der Arbeit… anschauen und überlegen: Was freut Gott? Was wünscht Er sich anders?

2. Schritt: Bereuen – umkehren

Das Bewusstwerden der eigenen Verfehlungen im Licht der Liebe und Barmherzigkeit Gottes löst meist Reue aus. Nun geht es darum, aus Reue den inneren Schritt der Umkehr zu vollziehen. Die Reue ist das Herz der Umkehr. Sie führt den Menschen zu Gott und ins wahre Leben zurück.

Das deutsche Wort „Reue“ kommt von „Trauer, seelischer Schmerz, Kummer“ und weist auf einen emotionalen Schmerz hin. Bei der Reue ist die Erkenntnis entscheidend: Ich habe nicht nach Gottes Willen, nicht zum Wohl des Nächsten und nicht zu meinem Heil gelebt. Ich habe Gott damit nicht geehrt, Ihm keine Freude gemacht. Aus dieser Erkenntnis wächst das Nein zur begangenen Tat.

Reue setzt die persönliche Einsicht in eine schuldhafte Unterlassung oder schuldhafte Tat voraus. Aus der Reue folgt der Vorsatz, die Sünde nicht mehr zu begehen.

Die Qualität und der Grund der Reue können unterschiedlich sein. Weil Sünde dem Menschen selbst schadet und ihn (mehr oder weniger offensichtlich) verletzt, gibt es eine Reue im Blick auf sich selbst: Ich bin dann froh, wenn ich von dieser Schuld, die mich belastet, frei werden kann, weil das mir gut tut! So war die Reue des jüngeren Sohnes noch sehr vom Hunger geprägt. „Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen, und ich komme hier vor Hunger um…“

Die Kirche unterscheidet zwischen der unvollkommenen und vollkommenen Reue. In der unvollkommenen Reue ist der Blick, wie beim verlorenen Sohn, auf sich selbst gerichtet. Die Reue kann von der Angst vor Strafe und der Gerechtigkeit Gottes (Angstreue) geprägt sein. Bereits in der unvollkommenen Reue wirkt der Heilige Geist. Sie genügt für den Empfang des Bußsakramentes.

In der Reue kann ich auch auf Gott schauen, und je größer meine Liebe zu Ihm ist, umso mehr schmerzt mich mein Verhalten, weil ich Gott und die Menschen zu wenig geliebt habe. Das ist die Liebesreue, die vollkommene Reue. Diese Liebe lässt mich daran leiden, dass ich Gottes Liebe verletzt und zu wenig beantwortet habe. So heißt es im Katechismus: „Wenn die Reue aus der Liebe zu Gott, der über alles geliebt wird, hervorgeht, wird sie ‚vollkommene‘ oder ‚Liebesreue‘ genannt. Eine solche Reue lässt die lässlichen Sünden nach; sie erlangt auch die Vergebung der Todsünden, wenn sie mit dem festen Entschluss verbunden ist, sobald als möglich das sakramentale Bekenntnis nachzuholen“ (KKK 1452).

Die Reue führt mich zurück zum besten Ort: zum Vater. Sie ist das Entscheidende beim ganzen Weg, denn ohne Umkehr kann uns Gott die Schuld nicht vergeben. Ohne Umkehr gibt es keine Heilung und keine Erneuerung!

3. Schritt: Bekennen – Vergebung empfangen

In der Haltung der Reue kehrt der jüngere Sohn zurück zum Vater. Er hat auch ein entsprechendes Bekenntnis vorbereitet: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“

Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie gut und befreiend es für uns ist, wenn wir Belastendes aussprechen und ans Licht bringen dürfen. Auch die Psychologen sagen: Was nicht ausgesprochen wird, wird nicht geheilt. Der Psalm 32 drückt diese Erfahrung so aus: „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zur Last legt und dessen Herz keine Falschheit kennt. Solang ich es verschwieg, waren meine Glieder matt, den ganzen Tag musste ich stöhnen. Denn deine Hand lag schwer auf mir bei Tag und bei Nacht. Meine Lebenskraft war verdorrt, wie durch die Glut des Sommers.

Da habe ich dir meine Sünde bekannt und verbarg nicht länger meine Schuld vor dir. Ich sagte: Ich will dem Herrn meine Frevel bekennen. Und du hast mir die Schuld vergeben“ (Ps 32,2-5).

Niemand muss die Last der Schuld selbst tragen, denn Jesus Christus hat die Schuld für uns bereits getragen. Wir dürfen Ihm die Last der Schuld „abgeben“. Er will sie für uns tragen, damit wir von der Last frei werden. Paulus schreibt: Jesus „hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat“ (Kol 2,14). Dies geschieht, wenn wir zu Jesus Christus im Priester kommen.

Zum Zeichen, dass es jetzt nicht um den Priester als Privatperson geht, trägt dieser die Stola. Jetzt ist Jesus Christus in ihm da und handelt durch ihn. Mit dem alten christlichen Gruß „Gelobt sei Jesus Christus!“ kann auch Jesus Christus im Priester begrüßt werden. Der Priester kann in einem kurzen Gebet um den Heiligen Geist bitten.

Nun kann ich alles aussprechen, was mich belastet und was ich Jesus am Kreuz anvertrauen möchte. Dabei kann ich auch meine Nöte und Fragen zur Sprache bringen. Ich kann das Bekenntnis mit einem kurzen Reuegebet abschließen wie z.B.: „Jesus, verzeihe mir alle diese Sünden, heile mein Leben und gestalte mich so, wie Du mich haben möchtest.“ Oder ganz einfach: „Meine Sünden tun mir leid.“ – „Mein Jesus, Barmherzigkeit.“

Nun wird der Priester mit mir sprechen. Dabei möchte er mir als der gute Hirt helfen und zur Seite stehen. Dies auch dann, wenn er mir eine „Buße“ aufgibt.

Das griechische Wort, das im Neuen Testament mit Buße übersetzt wird, ist metanoia – von noein, das heißt „denken“, und meta, das heißt „um“, wörtlich: „Umdenken, Neudenken, Umkehr des Denkens, Sinnesänderung“. Der hebräische Begriff schub, der in der Septuaginta mit metanoia übersetzt wird, umfasst eine Umkehr zu Gott nicht nur im Denken, sondern in der ganzen Existenz, was die Veränderung des Verhaltens, vor allem aber auch Gehorsam gegenüber Gott, neues Vertrauen zu Ihm ebenso einschließt wie die Abkehr von allem Bösen und widergöttlichen menschlichen Neigungen und Schwächen. Hier in Verbindung mit dem Bußsakrament bedeutet Buße das Erfüllen eines Werkes der Wiedergutmachung, das in Gebet, Almosen, Dienst am Nächsten, oder freiwilligem Verzicht bestehen kann.

Nach einem Gespräch erteilt der Priester die Absolution, das heißt die Lossprechung der Sünden. Christus selbst spricht mich von der Schuld frei. Der Ritus sieht dafür die Handauflegung vor.

Wenn der Priester mir die Hände auflegt, dann will er damit zum Ausdruck bringen, dass ich von Jesus bedingungslos angenommen bin, auch in meiner Schuld. Die Lossprechungsformel lautet: „Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung Seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke Er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“ Dieses offizielle Gebet kann von einem persönlichen Gebet des Priesters begleitet werden.

In der Lossprechung wird die Erlösung Jesu Christi am Kreuz konkret und wirksam. Jesus erlöst uns aus Bindungen und Zwängen. In der Lossprechung geschieht immer auch eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes, der uns Widerstandskraft gegen das Böse gibt.

Hier geschieht etwas, was kein Mensch einem anderen zusprechen kann: die Gewissheit der Vergebung. Im Wort des Priesters „Ich spreche dich los…“ spricht Jesus Christus mich für immer frei. Nun ist mir von Gott her vergeben – für immer! Dies ist auch dann der Fall, wenn ich nichts davon spüre. Die Sünden sind nicht mehr existent. Sie sind begraben im Tod Jesu für immer.

4. Schritt: Büßen – Wiedergutmachung

Mit der Vergebung durch Gott ist der Weg noch nicht zu Ende, denn die Folgen der Sünde haben sich mit der Vergebung der Sünde nicht in Luft aufgelöst. Wenn jemand dem Nachbarn aus Wut sein Auto zerstört hat, diesen um Vergebung für die Sünde bittet und diese Bitte angenommen wird, dann ist das Auto immer noch kaputt. Weiter kann im Nachbarn durch diese Tat eine Wunde im Herzen entstanden sein, die noch schmerzt. Diese Folgen der Sünde – hier das kaputte Auto und die schmerzende Wunde – gilt es nun wieder gut zu machen. Wiedergutmachung bedeutet, alles wieder in die Heilsordnung Gottes zu bringen.

Im Gleichnis der beiden Söhne wird der jüngere Sohn einsehen, dass er durch seinen eigenwilligen Weggang vom Vaterhaus sowohl den Vater als auch seinen Bruder verletzt hat. Beide waren ihm egal. Aber auch der ältere Sohn muss erkennen, dass er seinen jüngeren Bruder nicht geliebt hat. Diese Beziehungen aufzuarbeiten und in die Liebesordnung Gottes zu bringen, ist die Aufgabe der Buße für die beiden Söhne.

Die Wiedergutmachung besteht darin, dass ich das, was an mir liegt, in der Beziehung zu mir selbst, zu den Menschen, zur Gesellschaft und zur Kirche in Ordnung bringe: Was gibt es zu klären? Wo habe ich etwas (Gestohlenes) zurückzugeben? Was kann ich beitragen, dass eine durch mich verletzte Beziehung wieder heil werden kann?

Je stärker meine Schuld anderen geschadet hat, umso mehr gilt es darauf zu achten, wie diese Schuld wieder „gut gemacht“ werden kann. Bei schweren Verletzungen in Beziehungen genügt nicht nur eine Entschuldigung. Die „geschädigte“ Person kann von mir ein Verhalten einfordern, das meine Umkehr und meine Reue bezeugen. Zur Wiedergutmachung gehört es auch, sich bei Straftaten der Justiz zu stellen. Gottes Barmherzigkeit deckt nichts zu – im Gegenteil! Gott ist gerecht, und darum achtet Er darauf, dass alles Unrecht so gut wie möglich wieder „gut gemacht“ wird.

Wie kann eine sinnvolle Buße, ein Zeichen der Wiedergutmachung aussehen? Die Buße, die der Priester aufgibt, will ein Heilmittel, ein Medikament für den weiteren Weg sein. Sie will den Weg der Umkehr vertiefen und in die Praxis der Liebe führen. Oft wird dies in einem kleinen Gebet bestehen, das auch die Dankbarkeit Gott gegenüber zum Ausdruck bringt.

Manchmal kann die Buße auch die Heilung einer Beziehung fördern. Dazu ein Beispiel: Wenn Menschen mir als Priester ihre Not und Unzufriedenheit mit ihrem Partner (oder anderen) bekannt haben, habe ich als Buße schon öfters empfohlen: „Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie alles Gute auf, das Sie beim Partner finden. Machen Sie das jeden Tag, eine Woche lang. Danken Sie Gott dafür und ergänzen Sie die Liste, wenn Ihnen etwas Neues einfällt.“

5. Schritt: Bessern – Vorsatz

Der fünfte Schritt schaut nach vorne. Beim Vorsatz geht es um die Frage: Was kann ich konkret ändern, damit ich besser werde? Niemand kann alles auf einmal ändern. Die Heiligung unseres Lebens ist ein Prozess. Es ist unsere Aufgabe, an der Wandlung unseres Lebens mitzuwirken.

Die beiden Brüder im Gleichnis werden sich bei diesem Punkt die Frage stellen: Was hilft uns, unsere gegenseitige Freundschaft zu vertiefen? Wie können wir gemeinsam in der Freundschaft zum Vater wachsen und Ihm zur Freude leben? Und dann werde ich mir einen ersten konkreten Schritt vornehmen. Das ist der Vorsatz.

Der Vorsatz nimmt von dem, was uns am Wichtigsten erscheint, einen ersten konkreten Schritt ins Auge, den wir als möglich einstufen. Dabei gilt es an die Wurzeln heranzugehen und den Blick auf die Gnade zu lenken, die uns helfen will, Schwächen zu überwinden. Zum Beispiel: eine Versuchung zu meiden, indem wir ihr aus dem Weg gehen; eine negative Gewohnheit durch ein erstes neues Verhalten anzugehen; bei Kritiksucht bei einem negativen Ausrutscher gleich zwei positive und liebevolle Bemerkungen hinzuzufügen… Es geht darum, uns zu entscheiden, in einer konkreten Situation anders zu denken, zu reden oder zu handeln als bis anhin üblich.

Danken und die Freude der Vergebung annehmen

In diesen fünf Schritten haben wir den Blick auf den Beitrag des Beichtenden gelenkt. Nun muss jedoch das Wesentliche betrachtet werden: die Liebe Gottes. Sein größter Wunsch ist es, uns zu lieben und uns immer neu zu vergeben. Er möchte uns Seinen göttlichen Frieden schenken. Er möchte unser Leben heilen und gut machen.

Die Erfahrung der Vergebung hat eine starke, heilende Kraft. Darum sollten wir uns genug Zeit nehmen, um die Freude der Vergebung in uns aufzunehmen. Dazu sind wir zuerst eingeladen, Gott zu danken für das Geschenk der Vergebung. Warum Ihm nicht ein Loblied singen? Vielleicht können wir auch die Freude weiterschenken und ein kleines Fest feiern.

Der Prozess der Annahme der Vergebung ist erst dann beendet, wenn wir inneren Frieden finden über unserer Situation und wenn wir in der Freude des Vaters auch uns selbst vergeben können. Im Glücksgefühl der Vergebung wächst die Freude an Gott, und in dieser Freude wächst neues Leben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Leo Tanner: Gottes Umarmung annehmen – Eine Besinnungshilfe zur Beichte. WeG-Verlag, 14,8 x 21 cm, geb., 88 S., Euro 11,– (D), ISBN 978-3-909085-91-0. Weitere Schriften mit Bestellmöglichkeit sowie Impulstexte, Video- u. Audiovorträge finden Sie unter leotanner.ch und www.weg-verlag.ch

Hauptwerk des hl. Johannes von Avila in neuem Glanz

Die leise Sprache Gottes

Dr. Peter Dyckhoff hat das Hauptwerk des hl. Johannes von Avila (1499-1569) in eine zeitgenössische Form gegossen und unter der programmatischen Bezeichnung „Die leise Sprache Gottes“ herausgegeben.[1] Der Originaltitel lautet „Audi, filia“ – „Höre, Tochter“. Es ist ein Wort aus Psalm 45 und deutet an, dass es sich um eine geistliche Wegweisung handelt, welche den Leser zur vollkommenen Hingabe an die Liebe Gottes befähigen möchte. Erst 2012 hat Papst Benedikt XVI. den hl. Johannes von Avila zum Kirchenlehrer erhoben. Damit bestätigt das kirchliche Lehramt die überzeitliche Gültigkeit seiner Schriften, welche die Schönheit der christlichen Offenbarung und die Berufung der menschlichen Seele zur Vereinigung mit ihrem Schöpfer aufleuchten lassen. Dyckhoff ist es gelungen, das bedeutendste Werk des Heiligen nicht einfach nur neu zu übersetzen, sondern in das heutige Verständnis zu übertragen. Er bietet nachfolgend eine Hinführung zu seinem Buch, dem er den Untertitel „Geistlich leben nach Johannes von Avila“ gegeben hat.

Von Peter Dyckhoff

Die Botschaft des hl. Johannes von Avila (1499/1500-1569) an alle Christen ist zeitüberdauernd. Dennoch können sich viele Menschen unter dem Namen Johannes von Avila (Juan de Avila) so recht niemanden vorstellen. Nicht selten hört man, dass er mit Johannes vom Kreuz verwechselt wird, der ebenso im 16. Jahrhundert in Spanien gelehrt hat. Wahrscheinlich kommt das von der unmittelbaren Nähe, die Johannes vom Kreuz zu Teresa von Avila hatte.

Johannes von Avila bekam seinen Namen von seinem Vater Alonso de Avila, der ein jüdischer Konvertit war und in Almodóvar del Campo (Kastilien) lebte. Johannes war Priester und Prediger – zuerst in Andalusien und dann in ganz Spanien.

Kostbare christliche Weisheiten für den Glaubensweg

Sein Hauptwerk nannte er „Audi, filia“ („Höre, Tochter“) nach dem elften Vers von Psalm 45: Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr, vergiss dein Volk und dein Vaterhaus! In dieser Schrift, die mit der „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempen und der „Philothea“ des Franz von Sales auf einer Stufe steht, berücksichtigt er die besonderen Gnadenerweise, die seine geistliche Tochter Doña Sancha Carrillo auf ihrem Glaubens- und Gebetsweg erfuhr.

Um diese in „alter“ Sprache formulierten kostbaren christlichen Weisheiten und Hinweise zum Umgang mit sich, mit anderen und mit Gott auch heute leichter zugänglich und nachvollziehbar zu machen, wurde die „Audi, filia“ unter dem Titel „Die leise Sprache Gottes“ in das heutige Verständnis übertragen. In dieser 113 Kapitel umfassenden Schrift ist Johannes von Avila darum bemüht, den Leser an die Hand zu nehmen, ihn zu lichtvollen Erfahrungen zu führen und ihm den Geist der heiligen Geheimnisse näher zu bringen. Lässt man sich auf diesen geistlichen Weg ein, darf man spüren, wie im menschlichen Herzen Begeisterung und Liebe geweckt werden.

Die Sprache, in der das hohe Gut des Glaubens und der Glaubenserfahrung vermittelt wird, ist von großer Bedeutung. Daher beginnt „Die leise Sprache Gottes“ zunächst damit, die Sprache Gottes von der Sprache der Welt, in der Gott nicht vorkommt, zu unterscheiden. Der Mensch muss sich entscheiden, ob er die leise Sprache Gottes wahrnehmen oder der Sprache des Widersachers sein Ohr schenken möchte.

Durchdrungen von den Schätzen der Heiligen Schrift

Vom 5. Kapitel bis zum 11. Kapitel befasst sich Johannes von Avila ausführlich mit einem für ihn sehr wichtigen Thema: den sexuellen Kräften im Menschen. Eine von aller wahren Liebe losgelöste Lust führt zu einer tiefen menschlichen Tragik. Subtile Texte, die uns zu tieferer Selbsterkenntnis führen, sprechen niemals eine Drohung aus, sondern sind licht- und hoffnungsvoll. Johannes war ein hervorragender Kenner der Heiligen Schrift – sowohl des Alten als auch des Neuen Testamentes. Daher lässt er viele Bibelzitate in den Text einfließen. Durch treffende Beispiele – besonders aus dem Alten Testament –, die vielen von uns nicht geläufig sind, wird uns unsere jeweilige Glaubenssituation vor Augen geführt. Dadurch wird ein Zusammenhang zwischen den beiden Testamenten und unserem Leben aktualisiert und erfahrbar gemacht, der oft vermisst wird.

Das aufmerksame Lesen der Texte birgt eine große Kraft und Wahrheit in sich, die uns stärkt und tiefe Freude und Erfüllung bringt. Hinweise, wie ein religiöser Text in die Praxis umzusetzen ist, geben dem Leser die Möglichkeit, die Lektüre zu unterbrechen und sich den geistlichen Übungen zu widmen. Die Vignetten vor den meisten Kapiteln sollen ebenso dazu beitragen, innezuhalten, zu betrachten und Gelesenes individuell zu vertiefen.

Sehr behutsam und rücksichtsvoll zeigt uns Johannes von Avila geistliche Wege, wie wir – vornehmlich im Gebet der Hingabe – unseren eigenen Willen im Willen und in der Liebe Gottes aufgehen lassen können. Gott möchte uns mit seiner leisen Sprache der Liebe berühren, wenn wir fähig werden, uns ihm hinzugeben. Um die Fülle göttlicher Mitteilungen wahrnehmen zu können, ist es immer wieder notwendig, sich im Gebet in Gott zu versenken.

Auf dem Fundament von Kreuz und Auferstehung

Im Mittelpunkt von allem steht Jesus Christus: sein Weg über das Kreuz in die Auferstehung. Das wohl allen Menschen auferlegte Kreuz bildet den Anfang des mystischen Weges zur Vereinigung mit Gott. Johannes von Avila weist oftmals auf den Gekreuzigten hin, um uns zu zeigen, dass wir durch die Annahme unseres Kreuzes immer tiefer in Jesus Christus und die durch ihn erwirkte Erlösung hineinwachsen.

Wenn wir durch Selbsterkenntnis und ein Überströmen der göttlichen Gnade ganz und gar mit Freude und Dank an Gott erfüllt sind und aus tiefem Herzen bereit sind, ihm zu dienen, vermögen Worte dies kaum mehr auszudrücken. Ganz von selbst verdichtet sich dann der Text und geht über in eine Art Lied oder Lyrik. Dieser Wechsel lässt innehalten und möchte das Auge ein wenig ausruhen lassen, damit man die Wichtigkeit des Gesagten besser erkennt und sich zu Eigen macht.

„Die leise Sprache Gottes“ möchte ein geistlicher Begleiter sein, der tiefere Ebenen des Glaubens für uns erfahrbar macht und unserer Sehnsucht nach Heil und bleibender Liebe entgegenkommt.

Am Ende zeigt Johannes von Avila die Schönheit des Glaubens und die Schönheit der menschlichen Seele, wenn sie nicht mehr durch die Sünde verdunkelt ist, sodass sie durch die Hinwendung zu Jesus Christus neu erblühen kann.

Die Texte fordern dazu auf, aufzuhorchen und hinzuhören, wie es im elften Vers von Psalm 45 gesagt ist: Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr, vergiss dein Volk und dein Vaterhaus! So ist es zu verstehen, dass die Schrift „Audi, filia“ mit dem folgenden Vers endet:

Der König verlangt nach deiner Schönheit; er ist ja dein Herr, verneig dich vor ihm (Psalm 45,12).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Peter Dyckhoff: Die leise Sprache Gottes –Geistlich leben nach Johannes von Avila. 12 x 19 cm, geb. mit Lesebändchen, 480 S., Euro 22,– (D), Euro 22,90 (CHF), ISBN 978-3-451-34794-8. Erhältlich in jeder Buchhandlung. Die Homepage des Autors lautet: www.peterdyckhoff.de Hinweisen möchten wir auch auf die Website www.stiftung-ruhegebet.de

Impulse des hl. Johannes von Avila für das geistliche Leben

Worte an unsere Zeit

Wenn man Johannes von Avila durch sein Hauptwerk „Audi, filia“ etwas näher kennengelernt hat, ist es möglich, sich vorzustellen, welche Botschaften er heute für uns hätte. Zu dieser Überzeugung gelangte Dr. Peter Dyckhoff nach seiner Beschäftigung mit den Schriften des Kirchenlehrers. So verfasste er einen fiktiven Brief, als würde sich der hl. Johannes von Avila im 21. Jahrhundert an die Menschen von heute wenden. Es handelt sich beim nachfolgenden Schreiben sowohl um eine Zusammenfassung als auch um eine aktuelle Auswertung des Hauptwerks für unsere Zeit.

Von Johannes v. Avila/Peter Dyckhoff

In meiner mehrjährigen Gefangenschaft hatte ich viel Zeit, über mein geistliches Leben und das vieler Menschen nachzudenken und mir Notizen zu machen, die ich dann in dem Buch „Audi, filia“ zusammenfasste.

Trotz des Fortschritts, den der menschliche Geist in den letzten fünfhundert Jahren, die zwischen uns liegen, gemacht hat, muss ich Ihnen sagen, dass ich das geistliche Leben sehr vieler Menschen als völlig vernachlässigt sehe. Als ich nach meiner Priesterweihe im Jahr 1526 nach Sevilla kam und dort und in ganz Andalusien meinen priesterlichen Dienst begann, fand ich eine große ungestillte Sehnsucht nach Spiritualität vor. Liebe Leserinnen und Leser, Ihre Situation, in der Sie heute zum Teil leben oder gar leben müssen, kommt mir daher recht bekannt vor:

• Bitterkeit oder gar Depressionen überfallen Sie.

• Ein innerer Druck will nicht von Ihnen weichen.

• Seelische Schmerzen äußern sich in heftigen körperlichen Beschwerden.

• Andere bedrängen Sie, und Sie können sich ihnen nicht entziehen.

• Sie fühlen sich verlassen, besonders von Menschen, von denen Sie Hilfe erwartet haben.

• Eine Ungeduld überfällt Sie und lässt Zweifel gegen Gott und den Glauben aufkommen.

• Sie fühlen sich wie in einen eisernen Panzer gesperrt, sodass Sie nichts berührt.

• Ihr Herz ist voll Angst, Ihre Gefühle voll Kälte und Ihre Willenskraft träge.

• Kleinste Unstimmigkeiten – sowohl in Ihrem Berufs- als auch in Ihrem Privatleben – werden für Sie zu einem großen Problem und Sie meinen, zu versagen.

• Sie haben jegliche Hoffnung verloren, vielleicht auch Ihren Glauben und zumindest einen Teil Ihrer Liebe.

Zu meiner Zeit wie auch heute gab und gibt es viele Menschen, deren Seele krank war oder ist. Der große Unterschied allerdings besteht darin, dass Sie heute die Hilfe von Psychologen, Psychotherapeuten oder Psychiatern in Anspruch nehmen können, deren Termine oft auf Jahre hin ausgebucht sind.

Zu meiner Zeit gab es diese Berufe noch nicht; man suchte geistliche, in der christlichen Religion verankerte Menschen auf, um mit ihnen die anstehenden Probleme rechtzeitig zu besprechen oder seine Seele zu erleichtern. Es wurden daraus keine endlosen psychologischen Sitzungen über Jahre, und es gab anschließend keine Rechnungen.

Neben vielen Einsichten, die ich durch Gespräche und meine Predigten vermitteln durfte, stand am Ende des Beichtgespräches das befreiende Sakrament der Versöhnung. Durch die über viele Jahre dauernde geistliche Begleitung der adligen Doña Sancha Carrillo, Hofdame der Königin, die ihr veräußerlichtes Leben am Hof von Grund auf änderte, angeregt sowie auf Bitten vieler wurde ich gebeten, die praktischen geistlichen Wegweisungen aufzuschreiben, damit sehr vielen Suchenden Hilfe zuteil werden konnte. Ich habe in dem Buch „Audi, filia“ einen Glaubensweg aufgezeigt, den jeder nachvollziehen kann, und in einfachen Worten einen Prozess des Loslassens beschrieben, der es Ihnen ermöglicht, innere Ruhe zu erfahren und dem Schöpfer näher zu kommen.

Die heilsame Ruhe wird zu einem mystischen Schweigen, wo Reden, Denken und Streben aufhören und Gott zur Seele spricht. Die unmittelbare Mitteilung Gottes vollzieht sich im Seelengrund – jenseits des reflektierenden Verstandes und des bewussten Willens. Meiden Sie im Gebet jegliche Anstrengung und lassen Sie sich in die Hände Gottes fallen, damit in allem, was Sie tun, sein Wille geschehen kann.

Dieser Schritt des vertrauenden und gläubigen Loslassens scheint mir heute der schwerste zu sein. Ich sehe und höre überall Verstärker, die das Schweigenwollen der Seele und ihre leisen Schwingungen übertönen und krank machen. Entspannung und Ruhe werden in weiten Reisen gesucht, im Konsum der vielen Fernsehprogramme und vor allem in betäubenden Getränken, Mitteln und Medikamenten.

Das Schlimmste jedoch, was mich am meisten dauert: Immer weniger Menschen suchen das Heil in der Praxis des christlichen Glaubens. Wenn es mir geschenkt wäre, würde ich heute alles daran setzen, Sie mit zündenden Argumenten diesem Geschenk des Glaubens wieder näher zu bringen. Ich würde Priester und Seelsorger wie auch alle, die einen geistlichen Beruf haben, dazu bewegen, neue Prioritäten in der Seelsorge zu setzen, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu erwecken, größere Nächstenliebe auszustrahlen und vor allem Zeit für den Anderen zu haben.

Möge meine Schrift „Audi, filia“, die jetzt in Ihrer Zeit in einer neuen Sprache unter dem Titel „Die leise Sprache Gottes“ erscheint, einen Beitrag leisten, damit Ihre inneren geistlichen Werte zum Ausdruck kommen und sich mehren. Sie müssten sich lediglich ein wenig Zeit nehmen, tiefer in den Glauben einzusteigen, um ihn persönlich durch gangbare und leichte Schritte erfahrbar zu machen.

Gehört es nicht zu den größten und schönsten Geschenken dieser Welt, einen Begleiter oder Freund zu haben, der uns annimmt wie wir sind, und der uns zu dem führt, was wesentlich ist und Bestand hat?

Wenn ich noch einmal leben dürfte: Ich würde mein Leben genau wie damals in Spanien einrichten, um viele Menschen auf den Weg der inneren und äußeren Befreiung zu führen. Ich würde alles daran setzen, ihnen zu helfen, ihre eigene Erfahrung im Gebet und im Glauben zu machen, um sie zu einem noch selbstständiger handelnden Christen werden zu lassen.

Warum legen manche Menschen heute so wenig Wert auf die bleibenden Werte, die Liebe, die auch dann einen Menschen weiterträgt, wenn er fällt oder große Fehler macht und verzweifeln möchte? Wenn ich das Gespräch mit Ihnen gleich abbrechen muss, könnte ich nicht beruhigt zurück in meine Ruhe gehen, ohne Ihnen konkret weitergeholfen zu haben:

• Brechen Sie Verhärtungen und Verkrustungen auf – oft wissen oder ahnen Sie nicht einmal, dass Sie darin leben.

• Gehen Sie verantwortungsvoll mit sich selbst und mit anderen um.

• Werden Sie still, wenn es um Sie herum zu laut wird.

• Suchen Sie den Ausgleich, die Versöhnung und den Frieden.

• Lassen Sie ein Innehalten und Staunen zu, denn intellektuell können Sie die Größe und die Liebe Gottes nicht erfassen.

• Suchen Sie Menschen, die einen geistlichen Weg gehen und denen Sie sich restlos anvertrauen können.

• Lassen Sie sich das Tor zur Versöhnung weisen, und nehmen Sie das Heilsangebot und die Sakramente der Kirche für sich in Anspruch.

• Lernen Sie, im Gebet der Ruhe frei von Gedanken zu sein.

• Machen Sie sich bewusst, dass Sie nicht allein sind und ein anderer Sie führt, der Sie niemals verlässt.

• Vertrauen Sie darauf, dass der Schöpfer es mit Ihnen unter allen Umständen gut meint.

Sie in Ihrer Zeit haben mir vieles voraus. Nutzen Sie es! Mögen Sie sich auf den geistlichen Weg begeben, möge Ihnen neue Kraft für den Alltag zufließen und neues Licht leuchten. Mögen die Erfahrungen auf diesem Weg zu Erkenntnissen führen, die helfen, das Leben besser in den Griff zu bekommen, ihm tieferen Sinn zu geben und Ihnen Freude am Leben zu vermitteln –

Ihr Johannes von Avila

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Erhebung des hl. Johannes von Avila zum Kirchenlehrer

Ein brennender missionarischer Geist

Am 7. Oktober 2012 erhob Papst Benedikt XVI. den spanischen Heiligen und katholischen Reformer Juan de Avila (Johannes von Avila) gemeinsam mit der hl. Hildegard von Bingen zum Kirchenlehrer. Nachfolgend ein Auszug aus der Predigt, die er an diesem Sonntag bei der Hl. Messe zur Eröffnung der Bischofssynode auf dem Petersplatz hielt.

Von Papst Benedikt XVI.

An dieser Stelle wollen wir einen Moment innehalten, um die beiden Heiligen zu würdigen, die heute in die erlesene Schar der Kirchenlehrer eingereiht worden sind. Der hl. Johannes von Avila lebte im 16. Jahrhundert. Er verfügte über eine gründliche Kenntnis der Heiligen Schrift und war von einem brennenden missionarischen Geist erfüllt. In einzigartiger Tiefe vermochte er die Geheimnisse der von Christus für die Menschheit erwirkten Erlösung zu durchdringen. Als ein wahrer Gottesmann verband er das ständige Gebet mit der apostolischen Tätigkeit. Er widmete sich der Predigt sowie der Förderung der sakramentalen Praxis und konzentrierte seine Bemühungen auf die Verbesserung der Ausbildung der Priesteramtskandidaten, der Ordensleute und der Laien, im Hinblick auf eine fruchtbare Reform der Kirche.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
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Hoffnung der kirchenverbundenen Katholiken

Notwendige Reform der Kirche in Deutschland

Prof. Dr. Hubert Gindert (geb. 1933), Sprecher des „Forums Deutscher Katholiken“, misst der Rede des Papstes an die deutschen Bischöfe im November 2015 eine große Bedeutung für die Zukunft der Kirche in Deutschland bei. Den Bischöfen, die bereit seien, den steinigen Weg der angemahnten Reformen zu gehen, sichert er jedwede Unterstützung zu. Aus seiner ausführlichen Stellungnahme haben wir zwei Themenkreise ausgewählt, zu denen er kritische Anmerkungen einbringt.

Von Hubert Gindert

In seiner Rede an die deutschen Bischöfe bei ihrem Ad-Limina-Besuch im November 2015 wies Papst Franziskus zunächst auf die „außergewöhnlichen Zeitumstände“ mit den hunderttausenden Kriegsflüchtlingen hin und erwähnte die „große Unterstützung, der Kirche in Deutschland durch die vielen Hilfsorganisationen für die Menschen in aller Welt“.

Danach kam er auf die innere Befindlichkeit der Kirche in Deutschland zu sprechen, die er als eine dahinsiechende und absterbende Kirche beschrieb. Sie sei zwar „überall im sozialen und caritativen Bereich professionell engagiert“ und „auch im Schulwesen überall aktiv“. Aber es müsse darauf geachtet werden, „dass in diesen Einrichtungen das katholische Profil gewahrt bleibt“. Denn nur dann „sind sie ein nicht zu unterschätzender positiver Faktor für den Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“. Diese kirchlichen Einrichtungen waren noch einmal gemeint, als Franziskus forderte, „dass die Strukturen der Kirche alle missionarischer werden müssen“.

Fatale Liberalisierung des kirchlichen Arbeitsrechts

Hier werden sich die Katholiken in Deutschland daran erinnern, dass die Bischofskonferenz auf ihrer Frühjahrsversammlung am 27. April 2015 mehrheitlich die Weichen in die ganz andere Richtung gestellt hat, obwohl das Bundesverfassungsgericht am 20. November 2014 hinsichtlich der kirchlichen Rechte in Bezug auf die Einforderung der bisherigen Loyalitätsverpflichtungen festgestellt hatte, dass die Kirche von ihren Mitarbeitern verlangen kann, dass diese den kirchlichen Glauben teilen und die kirchlichen Moralvorstellungen auch persönlich einzuhalten haben. Stattdessen hat sich die Kirche in Deutschland dafür entschieden, ihre Einrichtungen dem Geist der Zeit anzupassen. Nun geht es aber nach Papst Franziskus nicht darum, dass die Kirche mit ihren mehr als 700.000 Mitarbeitern nach dem Staat der größte Arbeitgeber bleibt, sondern dass ihre Einrichtungen der eigentlichen Aufgabe treu bleiben und „missionarischer werden“. Diesem Ziel dient wahrlich nicht die Liberalisierung des kirchlichen Arbeitsrechts.

Unbegreifliches Lob für das Gesetz zur aktiven Suizidbeihilfe

Papst Franziskus sprach außerdem vom „nicht hoch genug einzuschätzenden Auftrag des Bischofs … für das Leben“. „Die Kirche darf nie müde werden, Anwältin des Lebens zu sein, und darf keine Abstriche darin machen. … Wir können hier keine Kompromisse eingehen.“

Keine Kompromisse? Als am 6. November 2015 der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschlossen hat, wonach aktive Suizidbeihilfe durch Angehörige, Ärzte und besonders nahestehende Personen möglich ist, hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz zusammen mit dem ZdK-Präsidenten und dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland „allen, die in Politik, Zivilgesellschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften an dieser für unser Land guten Entscheidung mitgewirkt haben“, gedankt, obwohl sich aktive Sterbehilfe gegen das fünfte Gebot, die Lehre der Kirche und gegen das, was Johannes Paul II. in „Evangelium vitae“ ausgeführt hat, richtet. Dies ist umso erstaunlicher, als die deutschen Bischöfe noch 2014 in ihrem Flyer „Sterben in Würde“ geschrieben haben: „Aus ethischer Sicht ist die Beihilfe zur Selbsttötung – sowohl durch Organisationen als auch durch Ärzte oder anderen nahestehenden Personen – abzulehnen.“

Die Rede von Papst Franziskus an die deutschen Bischöfe kann in ihrer Bedeutung für die Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Tatsache, dass diese Ansprache in den Medien, auch in den katholischen, klein geschrieben oder übergangen wurde, darf niemand verwundern, der die Situation in Deutschland kennt. Die Hoffnung der kirchenverbundenen Katholiken richtet sich auf die reformwilligen Bischöfe. Wenn sie den steinigen Weg der Reformen einschlagen, verdienen sie jede Unterstützung der Gläubigen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Aus dem Erbe Hans Urs von Balthasars

Betrachtung über die christlichen Stände

Hans Urs von Balthasar (1905-1988) hat schon lange vor dem Konzil über die Sendung der Christen in der Welt nachgedacht. Er erkannte die Problematik der christlichen Stände, welche ohne Zweifel zu den wesentlichen Zielsetzungen der nachkonziliaren Erneuerung gehört. Schon im Voraus scheint der große Basler Theologe sogar auf die heutige Gender-Irrlehre eine klare und prophetische Antwort gegeben zu haben. Anton Štrukelj widmete diesem Thema 1980 seine Dissertationsarbeit, welche 2002 auch auf Deutsch erschien und 2015 aufgrund ihrer Aktualität in einer zweiten Auflage herausgegeben wurde. Sie trägt den Titel „Leben aus der Fülle des Glaubens. Die Theologie der christlichen Stände bei Hans Urs von Balthasar“.[1] Nachfolgend ein Geleitwort, das interessanterweise Hans Urs von Balthasar selbst verfasst hat.

Von Hans Urs von Balthasar

Leicht könnte der falsche Eindruck entstehen, die Hervorhebung der Einheit des „Volkes Gottes“ durch das letzte Konzil spreche einer Nivellierung der verschiedenen Lebensformen in der Kirche das Wort. Das ist, wenn man Lumen Gentium auch nur oberflächlich studiert, keineswegs der Fall, im Gegenteil. Aber etwas hat sich doch gewandelt: durch die starke Hervorhebung der Wahrheit, dass alle Lebensformen in der Kirche zur einen Heiligkeit in der Nachfolge Christi berufen sind, ist so etwas wie ein Wetteifer zwischen diesen Formen entstanden: jeder möchte und sollte auch zeigen – der Verheiratete, der Priester, der Mensch im Stand der Räte –, wie er auf hervorragende Weise die christliche, in die Welt hinein ausstrahlende Liebe mit Gottes Gnade zu leben vermag.

Im Mittelalter gab es ohne Zweifel eine zu einfache Abstufung der objektiven „Vollkommenheit“ der kirchlichen Lebensformen, was zu einer allzu unbesehenen Überordnung des Standes der (buchstäblich befolgten) Räte über den Welt- und Ehestand führte. Die „Gottesfreunde“, die „Devotio moderna“ und radikaler noch die ignatianischen Exerzitien brachten eine Wende: Gottes souveräner Akt wählt für den Einzelnen einen kirchlichen „Stand“, in dem er gemäß dem Beispiel Christi nach der Vollkommenheit der Liebe trachten soll. So entsteht, aufgrund der subjektiven Erwählung, in der Kirche ein Wetteifer, der niemals zu Überheblichkeit eines Standes über den andern führen darf, in dem vielmehr alle aufgrund ihres eigenen Charismas die andern ergänzen sollen. Damit tritt auch erstmals die unschätzbare Wichtigkeit der rechten Standeswahl jedes Einzelnen hervor, was nochmals die immerwährende Aktualität der Exerzitien zeigt – die im Zentrum nur diese richtig durchgeführte Lebenswahl anstreben.

Heute, im Zeitalter einer weitreichenden Tendenz der Nivellierung aller sozialen und anthropologischen Differenzen – man denke an die Art, wie die Gleichberechtigung der Frau vertreten wird: als Gleichschaltung, nicht als Gleichwertung! – besteht in der Kirche die Gefahr, die Kanten der vom Ursprung her in ihr gesetzten Standesdifferenzen zu verwischen, zum Beispiel das klar profilierte bischöflich-priesterliche Amt in eine gestaltlose Fülle von kirchlichen „Diensten“ (ministeria) hinein aufzulösen, ebenso die Ehe in andersartige, ungeordnete Geschlechtsbeziehungen, während die lebenslängliche Entscheidung des Rätestandes für Gott in den ernst genommenen evangelischen Räten als psychologisch unvollziehbar und in den heutigen, sosehr wechselnden Zeiten auch als unklug verworfen wird. Die klar umrissenen und bestimmten Lebensformen in der Kirche aber machen ebenso sehr ihre Fruchtbarkeit aus wie die klare physische und psychologische Opposition von Mann und Frau deren Fruchtbarkeit bis in die höchsten Bezirke des Geistes ausmacht.

Anton Štrukelj gebührt das Verdienst, die Thematik, die vielverschlungen ist und keine Vereinfachungen duldet, mit Feinfühligkeit und Umsicht entwickelt und damit an einem vielfach vernachlässigten Punkt der theoretischen, aber auch sehr praktischen Lehre von der Kirche weitergearbeitet zu haben. Da er dabei an meine Versuche der Erhellung anknüpfte, gebührt ihm von meiner Seite ein Wort warmen Dankes. Möge die Thematik ein weiterklingendes Echo finden und neue Studien, vor allem eine neue fruchtbare Praxis hervorrufen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Anton Štrukelj: Leben aus der Fülle des Glaubens – Die Theologie der christlichen Stände bei Hans Urs v. Balthasar. Kart., 366 S., Euro 19,95 (D). Zu beziehen beim Verlag Media Maria unter Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@media-maria.de

Gender-Mainstreaming in Deutschland

Leibfeindliche Ideologie

Manfred Spieker sieht im Gender-Mainstreaming eine verhängnisvolle Kulturrevolution. Sein neues Buch „Gender-Mainstreaming in Deutschland. Konsequenzen für Staat, Gesellschaft und Kirchen"[1] bietet einen umfassenden Überblick über die Entstehung der Gender-Ideologie und ein abschließendes Plädoyer für eine „menschenwürdige Sexualität“ und für „Ehe und Familie als bleibende Ressource der Gesellschaft“.

Von Peter Winnemöller

So einfach und klar der Titel, so einfach und klar ist auch der Inhalt. Manfred Spieker, emeritierter Professor für katholische Sozialwissenschaften an der Uni Osnabrück, gibt in seinem neuesten Buch einen umfassenden Überblick über die Entstehung der Idee und Ideologie, die wir allgemein unter dem Namen Gender-Mainstreaming kennen. Bei der Spurensuche legt er die tiefsten Wurzeln bei Friedrich Engels und nicht zuletzt bei Simone de Beauvoir frei. Von der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking zieht sich eine Spur bis in unsere Hochschulen und Ministerien. Spieker legt sie frei und zeigt auf, welche Bereiche Gender-Mainstreaming inzwischen schon durchdrungen hat. Mit vielen Zitaten und Belegstellen wird dem Leser ein nüchterner und sachlicher Blick auf das Wesen dieser dekonstruktivistischen Ideologie ermöglicht.

Der nächste Schritt widmet sich der Untersuchung der Wirkungsstätten des Gender-Mainstreamings. Universitäten, Ministerien, Verbände und auch die Kirche sind vor Gender-Mainstreaming nicht sicher. Der Sozialwissenschaftler deckt auf, wo und vor allem wie sich diese Ideologie hier überall verbreitet und etabliert hat.

Insbesondere mit Blick auf die Kirche kommt hier das ordentliche Lehramt zu Wort. Zahlreiche Äußerungen belegen die klare Positionierung der Kirche gegen Gender-Mainstreaming. Ein kurz und gut nachvollziehbarer Abriss zeigt deutlich auf, wo Gender-Mainstreaming der christlichen Anthropologie und der kirchlichen Morallehre diametral entgegensteht. Wo eine Distanzierung nicht erfolgt, fehlt es gemäß Spieker „vor allem in der Moraltheologie häufig an Klarheit der eigenen Positionen …, sofern überhaupt die Absicht besteht, sie zurückzuweisen“ (S. 55). Kritisch betrachtet der Theologe hier das Schweigen der Mehrheit der deutschen Bischöfe, während sich sowohl Papst Benedikt XVI. als auch Papst Franziskus bereits mehrfach eindeutig dazu geäußert hätten.

Gerade einmal 103 Seiten Text braucht es, um in gut verständlicher Sprache dem Gender-Mainstreaming die Maske vom Gesicht zu reißen und damit die gnostische, leibfeindliche Wirklichkeit dieser Ideologie ans Tageslicht zu holen. An allen Stellen mit Quellen für das eigene Weiterstudium und die Vertiefung belegt, leuchtet das Buch schonungslos nicht nur die Entstehung, sondern auch die undemokratische Etablierung des Gender-Mainstreamings aus. Es bleibt dem Leser nicht erspart, auch schon einen Blick auf die nächste Stufe, das kommende Diversity-Mainstreaming zu werfen.

Mit diesem Werk reiht sich ein weiteres wertvolles Buch in die Reihe der immer zahlreicher werdenden Gender-kritischen Literatur ein. Wer den ungeschönten Blick auf Gender-Mainstreaming nicht scheut und noch mehr, wer ein handliches Grundlagenwerk sucht, ist mit diesem Buch richtig beraten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Manfred Spieker: Gender-Mainstreaming in Deutschland – Konsequenzen für Staat, Gesellschaft und Kirchen. Kart., 106 S., ISBN 978-3-506-78396-7, Euro 16,90 (D). In jeder Buchhandlung erhältlich.

„Kirche in Not“ steht seit fast sieben Jahrzehnten Heimatlosen bei

Flüchtlinge: Herausforderung unserer Liebe

Die Flüchtlingshilfe hat für das Päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ von seinen Wurzeln her oberste Priorität. Nach seinem Selbstverständnis geht es dem Werk aber vor allem um die bedrängten Christen. So beginnt die Unterstützung unserer Glaubensgeschwister durch „Kirche in Not“ in deren Heimatländern wie z.B. im Irak. In Deutschland sieht sich das Werk auf pastoraler Ebene gefordert. Es unterstützt in erster Linie die Seelsorge unter den christlichen Flüchtlingen. Diese hätten Schreckliches erlebt und bräuchten geistliche Stärkung: „Sie dürsten nach Nahrung für ihren Glauben.“

Von KIRCHE IN NOT

Der Begriff „Flüchtlinge“ wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2015 gewählt. Die Flüchtlingswelle und die damit verbundenen Aufgaben, Sorgen und Ängste sind nach wie vor in aller Munde. Die Herausforderung ist immens: „Die Welt und Europa haben es mit der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Das, was für uns bisher weit weg schien, was wir im Fernsehen gesehen haben, das kommt nun buchstäblich bis vor unsere Haustür“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Unter den hunderttausenden Flüchtlingen sind auch Christen. Viele haben in ihrer Heimat Ausgrenzung, Verfolgung und Unterdrückung erlebt.

Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene: Gründungs-Charisma von „Kirche in Not“

Christliche Flüchtlinge in Deutschland geistlich zu stärken und den bedrängten Glaubensgeschwistern in ihrer Heimat beizustehen, gehört zum Kernauftrag des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“: 1947 hatte das Elend der Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten den niederländischen Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten (1913-2003) zutiefst berührt und aufgerüttelt. Der Ordensmann griff den Appell von Papst Pius XII. auf und bat seine Landsleute, den 14 Millionen vertriebenen Deutschen zu helfen, von denen sechs Millionen Katholiken waren.

Doch „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Mt 4,4): Pater Werenfried bewegte nicht nur die materielle, sondern vor allem die geistliche Not der Heimatvertriebenen. Er hatte im Zeitalter des „Kalten Krieges“ früh erkannt, dass die Rückbesinnung auf die christlichen Werte Europas und ein gelebter Glaube die wirksamste Waffe gegen jede Form des politischen wie weltanschaulichen Extremismus ist: „Der Kommunismus ist nicht deshalb zu fürchten, weil er Gott bekämpft, sondern weil wir Gott vergessen; nicht, weil er stark ist im Hass, sondern weil wir schwach sind in der Liebe; nicht, weil er Christen tötet, sondern weil wir nicht als Christen leben.“

Aus diesem Grund hat sich „Kirche in Not“ von Anfang an der Evangelisation verschrieben. So wurden von Königstein im Taunus aus – heute Sitz der weltweiten Zentrale von „Kirche in Not“ – sog. „Kapellenwagen“ für die Seelsorge in katholischen Diasporagebieten ausgesandt. Mit Hilfe dieser umgebauten LKWs war es Millionen von Heimatvertriebenen möglich, in der westdeutschen Diaspora sonntags eine heilige Messe zu besuchen. „Die Kirche muss zu den Menschen kommen“, lautete die Devise Pater Werenfrieds.

Auch als sich mit Beginn des deutschen Wirtschaftswunders der Blick des Hilfswerks auf die verfolgten Christen hinter dem Eisernen Vorhang und – auf ausdrücklichen Wunsch des hl. Papstes Johannes XXIII. – in Afrika und Lateinamerika zu weiten begann, blieben zwei Aspekte für die Arbeit von „Kirche in Not“ fundamental: Den Glauben weltweit stärken sowie Vertriebenen und Flüchtlingen beistehen.

Die Schmerzensmutter im Barackenlager

Als „Magna Charta“ für diesen Einsatz kann ein Vortrag gelten, den Pater Werenfried im Jahr 1981 zum Abschluss des damals jährlich stattfindenden Kongresses „Kirche in Not“ gehalten hat und der unter dem Titel „Flüchtlinge – Herausforderung unserer Liebe“ bekannt geworden ist.

Pater Werenfried benannte in seinem Vortrag Brennpunkte des Flüchtlingselends, das er während seiner weltweiten Reisen kennengelernt hatte. Im Auftrag und mit dem Segen der Päpste habe er sein halbes Leben den Flüchtlingen und Verfolgten gewidmet. „Dabei habe ich das Flüchtlingsproblem immer in erster Linie als einen Appell an unsere christliche, unsere religiöse Pflicht gedeutet.“

Der „Speckpater“ zeigte bei seiner Rede Maria als das Urbild der Schmerzensmutter auf und berichtete, wie er ihr in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) und Vietnam, in Hongkong und Friedland ebenso begegnete wie in den trostlosen Barackenlagern im Nachkriegsdeutschland und unter der Zeltplane einer arabischen Flüchtlingsfamilie in Palästina. „Sie (die Schmerzensmutter) ist keine deutsche Mutter und auch keine vietnamesische und keine angolanische, denn der Schmerz hat keine Nationalität. Sie ist eine der Millionen aufgescheuchter, verschleppter, verfolgter und geschändeter Mütter dieses Jahrhunderts. Ihr Mann ist gefallen oder ermordet, gefangen oder vermisst. Ihr Haus ist zerstört oder enteignet. Ihren Besitz hat sie zurückgelassen oder verloren, oder er wurde ihr genommen. Ihre Dorfkirche liegt in Trümmern…“

Unzählige Male, so Pater Werenfried, sei er bei seiner Tätigkeit „Kindern für die Hölle“ begegnet – jungen Menschen, an Leib und Seele verwundet, heimatlos und ideologisch verblendet, ohne moralischen wie geistigen Rückhalt – auch im „christlichen“ Westen. „Waren sie nicht zu jung für die Hölle? Und dennoch kamen sie daraus. Und dennoch waren sie dazu verurteilt, bei uns gleich wieder in der Hölle zu leben. In einem der tausend Auffang-, Durchgangs- und Wohnlager, die der Aussatz Europas sind. Kinder empfängt man nicht in der Hölle.“

Pater Werenfried fragt weiter, warum dieses Elend nicht wie eine Kollektivschuld das Gewissen der Christenheit bedrücke. Er geißelte in seiner Rede Versäumnisse der Christen, die oft durch „Selbstsucht das Christentum so kompromittieren, dass es ein Wunder wäre, wenn die besitzlosen Völker dieses Christentum noch schätzen würden.“ Auch heute wiederhole sich unzählige Male das Schriftwort: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11). In der mangelnden Liebe und mehr noch in der „geistlichen Armut“ liege die Wurzel des Hasses, der Kriege und der Verwirrung. Seine Rede gipfelt in dem Appell: „Lassen wir denn in Gottes Namen die Liebe wieder aufwachen, die Türen und Herzen öffnet. Denn wir Menschen gehören alle zusammen. JEDER Arme ist Christus.“ Die Worte von damals sind gerade heute brandaktuell. „Kirche in Not“ weiß sich diesem Auftrag seines Gründers verpflichtet.

Wie „Kirche in Not“ heute hilft

Flüchtlingshilfe beginnt nicht erst in Deutschland. „Kirche in Not“ macht sich dafür stark, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben können. Denn setzt sich der Massenexodus im Nahen Osten fort, drohen ganze Landstriche entvölkert zu werden und christliches Leben vor Ort ganz zu verschwinden.

Darum hat „Kirche in Not“ in Syrien und im Irak in großem Umfang die Anmietung von Wohnraum unterstützt, sowie Lebensmittel, Kleidung und Medikamente für die Bevölkerung bereitgestellt. Im Irak hat das Hilfswerk den Bau von acht Schulen für 7500 christliche Flüchtlingskinder ermöglicht, um jungen Menschen dort eine Zukunftsperspektive zu geben.

Aber es gibt noch mehr zu tun – nur ein Beispiel von vielen: Pater Luis Montes kümmert sich in der irakischen Hauptstadt Bagdad um 135 Familien in einem Flüchtlingslager. Besonders traumatisiert durch Krieg und Flucht sind die Kinder. Pater Luis möchte, dass sie zumindest für ein paar Stunden dem kriegerischen Alltag entkommen können. Deshalb soll ein Kindergarten im Flüchtlingslager errichtet werden. Er hat sich mit seinem Vorhaben an „Kirche in Not“ gewandt und hofft auf die Hilfe vieler Spender, damit die Kleinen endlich wieder lachen können.

In Deutschland sieht sich „Kirche in Not“ bei der Flüchtlingshilfe in pastoraler Hinsicht gefordert. „Damit die Flüchtlinge nach schrecklichen Erfahrungen von Krieg und Flucht neue Hoffnung schöpfen können, brauchen sie einen starken Glauben“, davon ist die Geschäftsführerin der deutschen Sektion von „Kirche in Not“, Karin Maria Fenbert, überzeugt.

Um diesen Glauben zu stärken, stellt „Kirche in Not“ Flüchtlingsseelsorgern und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe Kinderbibeln, Katechismen und Gebetsschriften auf Arabisch, Türkisch, Englisch und Französisch zur Verfügung – so zum Beispiel dem Flüchtlingsseelsorger des Bistums Eichstätt, Archimandrit Dr. Andreas Thiermeyer. Der Seelsorger freut sich: „Diese Schriften kann ich sehr gut gebrauchen. Die christlichen Flüchtlinge haben Schreckliches erlebt. Sie dürsten nach Nahrung für ihren Glauben.“ Diesen Durst gilt es zu stillen – damals wie heute.

Flüchtlingshilfe: Um Flüchtlingen weiter helfen zu können, bittet „Kirche in Not“ um Spenden – online unter www.spendenhut.de oder an das Spendenkonto: Empfänger: Kirche in Not, IBAN: DE63750903000002152002, BIC: GENODEF1M05, LIGA Bank München, Verwendungszweck: Fluechtlinge

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Der Einsatz der Kirche für die Jugend (Teil VII)

Kultur der Begegnung und des Dialogs

Kurienbischof Dr. Josef Clemens geht in seinem Vortrag über die Bedeutung der Weltjugendtage auf das vielfältige Engagement von Papst Franziskus für die Jugend ein. Wie Johannes Paul II. rufe er zu einem intensiven Dialog mit der Jugend auf. Sie brauche unsere Erfahrung und unsere Antworten auf ihre drängenden Fragen in der orientierungslosen Welt von heute. Mit unserer Hilfe aber werde sie selbst zur Quelle der Hoffnung und des Friedens unter den Völkern.

Von Bischof Josef Clemens, Rom

In einer Audienz für die Mitglieder der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika am 28. Februar 2014 ging Papst Franziskus in freier Rede auf ein Thema ein, das auch Papst Benedikt XVI. sehr am Herzen lag, nämlich die Weitergabe des Glaubens angesichts der dringenden Aufgabe der Erziehung.[1]

Drei Kriterien für die Glaubenserziehung

Der Papst betonte die anthropologischen Voraussetzungen und stellte drei Kriterien für die Glaubenserziehung heraus:

1. Inhalte mit Wertebewusstsein und Verhaltensgewohnheiten verknüpfen

Erziehen bedeutet nicht nur Wissen oder Inhalte zu übermitteln, sondern Haltungen und den Sinn für Werte weiterzugeben. Um den Glauben weiterzugeben, muss man eine „Verhaltensgewohnheit“ schaffen, die Annahme von Werten vorbereiten, Basisinhalte vermitteln. „Die Weitergabe muss aus Inhalten mit Werten bestehen, Wertbewusstsein und Gewohnheiten, Gewohnheiten des Verhaltens … Drei Säulen."[2]

2. Utopie der Jugendlichen mit Erinnerung und Unterscheidungsvermögen begleiten

Der Papst fügt ein zweites Kriterium hinzu, d.h. „die Utopie eines jungen Menschen – Johannes Paul II. sprach von Idealismus – zu lenken und sie zu unterstützen wissen, ist ein Reichtum. … Wie kann ich bewirken, dass diese Sehnsucht, die der Jugendliche hat, diese Utopie, ihn zur Begegnung mit Jesus Christus führt? … In einem jungen Menschen reift die Utopie gut heran, wenn sie vom Erinnern und vom Unterscheidungsvermögen begleitet wird. Die Utopie blickt in die Zukunft, das Erinnern blickt in die Vergangenheit und die Unterscheidung richtet sich auf die Gegenwart. Der Jugendliche muss das Erinnern empfangen und seine Utopie in dieses Erinnern einpflanzen, es darin verwurzeln; er muss seine Utopie in der Gegenwart unterscheiden – die Zeichen der Zeit – und dann geht die Utopie voran, aber stark verwurzelt im Erinnern und in der Geschichte, die er empfangen hat."[3]

Für Papst Franziskus besitzt ein Element in der heutigen Erziehung eine besondere Wichtigkeit, d.h. der Austausch der jungen mit den älteren Menschen, von denen sie das „Gedächtnis eines Volkes und die Unterscheidung der Gegenwart“ empfangen: „Gedächtnis der Vergangenheit, Unterscheidung der Gegenwart, Utopie der Zukunft: nach diesem Schema wächst der Glaube eines jungen Menschen."[4]

3. Wegwerfkultur entschieden ablehnen und die Jugendlichen ihre Würde erleben lassen

Als drittes Kriterium in der Erziehung führt der Papst die entschiedene Ablehnung einer Wegwerfkultur.[5] Seiner Analyse nach steht im Mittelpunkt des heutigen Wirtschaftssystems nicht die menschliche Person, sondern das Geld und folglich wird all das ausgesondert, was nicht in diese Vorgabe passt (Kinder, Alte, Arme).

Immer wieder beklagt der Papst eine „Welt des Ausschlusses der Jugendlichen“,[6] wie sie in der Jugendarbeitslosigkeit zutage tritt, die zu einem Verlust an Erfahrung menschlicher Würde führt.[7] Papst Franziskus fasst zusammen:

„Erstens als Erziehungsstruktur die Inhalte, das Verhalten und das Wertbewusstsein weitergeben. Zweitens die Utopie des jungen Menschen in Beziehung setzen und in Einklang bringen mit dem Erinnern und der Unterscheidung. Drittens die Wegwerfkultur als eines der schwerwiegendsten Phänomene, unter der unsere Jugend leidet, vor allem dadurch, wie die Droge diese Jugendlichen benutzen kann und benutzt, um zu zerstören. Wir sind dabei, unsere Jugendlichen wegzuwerfen!"[8]

Kultur des Provisorischen überwinden und Hoffnung vermitteln

Im Dialog mit umbrischen Jugendlichen geht der Papst auf eine ihn bedrängende Sorge ein, d.h. die Schwierigkeit, ein definitives „Ja“ in der Ehe zu sagen, wofür er zwei Gründe anführt: Der erste besteht im potentiellen Egoismus eines jeden Menschen und der zweite findet sich in der heutigen Kultur des Provisorischen: „Es scheint, als wäre nichts endgültig. Alles ist provisorisch. … Das ist die Kultur des Provisorischen, aber Jesus hat uns nicht provisorisch gerettet: er hat uns endgültig gerettet!"[9] In diesen Überlegungen lässt sich eine starke Übereinstimmung mit dem Denken von Benedikt XVI. hinsichtlich des verbreiteten kulturellen und ethischen Relativismus entdecken.[10]

Den Mitgliedern der CAL legt der Papst eine Handlungsanweisung vor: „Und was ist die Zukunft? Eine Aufgabe: die traditio fidei ist auch die traditio spei, und wir müssen sie schenken! Die Schlussfrage, die ich euch überlassen will, ist: Wenn die Utopie in Enttäuschung übergeht, was ist dann unser Beitrag? Die Utopie eines begeisterten Jugendlichen gleitet heute in Enttäuschung ab. Enttäuschte Jugendliche, denen man Glaube und Hoffnung wiedergeben muss.[11]

Begegnung und Dialog mit den Jugendlichen verstärken

Im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium vom 24. November 2013 drängt Papst Franziskus alle in der Jugendpastoral Tätigen, Antworten auf die Sorgen, Probleme und Verletzungen der Jugendlichen zu geben.

Gleichzeitig spricht er vom Gewinn, den die Kirche aus der Begegnung mit den Jugendlichen ziehen kann: „Wie ich es schon sagte, war es nicht meine Absicht, eine vollständige Analyse anzubieten, sondern ich lade die Gemeinschaften ein, diese Ausblicke, ausgehend vom Bewusstsein der Herausforderungen, die sie selbst und die ihnen Nahestehenden betreffen, zu vervollständigen und zu bereichern. Ich hoffe, dass sie bei diesem Tun berücksichtigen, dass ein jedes Mal, wenn wir versuchen, in der jeweils gegenwärtigen Lage die Zeichen der Zeit zu erkennen, angebracht ist, die Jugendlichen und die Alten anzuhören. Beide sind die Hoffnungen der Völker. Die Alten bringen das Gedächtnis und die Weisheit der Erfahrung ein, die dazu einlädt, nicht unsinnigerweise dieselben Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Die Jugendlichen rufen uns auf, die Hoffnung wieder zu erwecken und sie zu steigern, denn sie tragen die neuen Tendenzen in sich und öffnen uns für die Zukunft, so dass wir nicht in der Nostalgie von Strukturen und Gewohnheiten verhaftet bleiben, die in der heutigen Welt keine Überbringer von Leben mehr sind."[12]

Der Papst nimmt damit die Forderung Johannes Pauls II. auf, in einen verstärkten Dialog mit den Jugendlichen zu treten, sie anzuhören und mit ihnen in einer für sie verständlichen Sprache zu sprechen, wie er es selbst mit einer Gruppe junger Flamen gemacht hat.[13] Immer wieder plädiert der Papst für eine Kultur der Begegnung und des Dialogs, die beide als Kennzeichen seines Pontifikates anzusehen sind.[14]

Beitrag der Jugend für die Einheit der Völkergemeinschaft

In zahlreichen Beiträgen unterstreicht der Papst die Rolle der Jugendlichen bei der Förderung des Friedens und der Einheit der Völkergemeinschaft, wie er beim VI. Asiatischen Jugendtag in Korea 2014 ausführte: „Gemeinsam mit jungen Menschen von überall her möchtet ihr dazu beitragen, eine Welt aufzubauen, wo wir alle in Frieden und Freundschaft zusammenleben, indem wir Barrieren überwinden, Zerwürfnisse heilen sowie Gewalt und Vorurteile zurückweisen. Und genau das ist es, was Gott von uns wünscht. Die Kirche soll ein Same der Einheit der gesamten Menschheitsfamilie sein. In Christus sind alle Nationen und Völker in eine Einheit gerufen, welche die Vielheit nicht zerstört, sondern sie anerkennt, versöhnt und bereichert."[15]

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 2+3/Februar+März 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. Franziskus: Ansprache an die Mitglieder der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika (CAL), Sala Clementina, 28. Februar 2014, in: O.R. dt., Nr. 12, 21. März 2014, 10.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd.; vgl. Franziskus: Ansprache an die jungen Menschen aus Argentinien, Kathedrale Rio de Janeiro, 25. Juli 2013, in: O.R. dt., Nr. 32/33, 9. Aug. 2013, 10; Franziskus: Ansprache an die brasilianischen Bischöfe, Bischofshaus Rio de Janeiro, 27. Juli 2013, in: O.R. dt., Nr. 32/33, 9. Aug. 2013, 14-16.
[5] Vgl. Franziskus: Ansprache beim Besuch der Siedlung Varginha, Rio de Janeiro, 25. Juli 2013, in: O.R. dt., Nr. 32/33, 9. Aug. 2013, 9.
[6] Vgl. Franziskus: Ansprache an die Teilnehmer des Generalkapitels der Salesianer Don Boscos, Sala Clementina, 31. März 2014, in: O.R. dt., Nr. 15, 11. April 2014, 7.
[7] Franziskus: Ansprache an argentinische Jugendliche 10; Franziskus: Interview mit Jugendlichen aus Belgien, 31. März 2014, in: O.R. dt., Nr. 16/17, 18. April 2014, 4 f.; Franziskus: Botschaft an die Teilnehmer der Nationaltagung der Ital. Bischofskonferenz (CEI) in Salerno, 24.-26. Okt. 2014, in: O.R., Nr. 245, 26. Okt. 2014, 7 (ital. Original).
[8] Vgl. Franziskus: Ansprache an die Mitglieder der CAL 10.
[9] Vgl. Franziskus: Ansprache an die Jugendlichen Umbriens, Platz vor der Basilika Santa Maria degli Angeli, Assisi, 4. Okt. 2013, in: O.R. dt., Nr. 41, 11. Okt. 2013, 14; vgl. Ansprache an die Volontäre des WJT Rio, Pavillon 5 Rio Centro, 28. Juli 2013, in: O.R. dt., Nr. 32/33, 9. Aug. 2013, 20; Franziskus: Botschaft zum XXIX. Weltjugendtag 2014, 21. Jan. 2014,  in: O.R. dt., Nr. 51/52, 20. Dez. 2013, 4 f.; Franziskus: Begrüßung der Jugendlichen der Diözese Rom, Vatikanische Gärten, Lourdesgrotte, 28. Juni 2014, in: O.R. dt., Nr. 28, 11. Juli 2014, 10.
[10] Vgl. Benedikt XVI.: Ansprache bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom, Basilika St. Johann im Lateran, 11. Juni 2007, in: O.R. dt., Nr. 26, 29. Juni 2007, 11 f., 12.
[11] Vgl. Franziskus: Ansprache an die Mitglieder der CAL, 10; vgl. Franziskus: Ansprache Jugendliche Cagliari, 7.
[12] Franziskus: Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, 24. Nov. 2013, Libreria Editrice Vaticana, Città del Vaticano, (= EG mit den Nummern der Abschnitte), Nr. 108.
[13] Vgl. Franziskus: Gespräch mit Jugendlichen aus Belgien, Domus Sanctae Marthae, 31. März 2014, in: O.R. dt., Nr. 16/17, 18. April 2014, 4 f.
[14] Franziskus: Ansprache bei einer Audienz für Schüler und Lehrer der Kath. Schulen Italiens, Petersplatz, 10. Mai 2014, in: O.R. dt., Nr: 21, 23. Mai 2014, 12; Franziskus: Botschaft zum 99. Katholikentag in Regensburg, 23. Mai 2014, in: O.R. dt., Nr. 22, 30. Mai 2014, 1; Franziskus: Botschaft an die Teilnehmer des IV. Europäischen Kongresses der Jugendpastoral, 11. Dez. 2014, in: O.R., Nr. 283, 12. Dez. 2014, 7.
[15] Franziskus: Ansprache bei der Begegnung mit asiatischen Jugendlichen im Heiligtum der koreanischen Märtyrer in Solmoe, 15. Aug. 2014, in: O.R. dt., Nr. 34, 22. Aug. 2014, 11; Franziskus: Video-Schaltung in fünf Kontinente zur Lancierung der Plattform Scholas, Synodenaula, 4. Sept. 2014, in: O.R. dt., Nr. 37, 12. Sept. 2014, 8.

Evangelisationsschule Emmanuel zum Jahr der Barmherzigkeit

Musical über Karl Leisner

Die Evangelisationsschule der Gemeinschaft Emmanuel in Altötting (Emmanuel School of Mission – ESM) hat sich mit ihren religiösen Musicals deutschlandweit einen Namen gemacht. Erstmals in der Geschichte der ESM-Musicals geht es dieses Jahr um eine deutsche Persönlichkeit. Der selige Karl Leisner steht im Mittelpunkt des neuen Stücks, das am 27. Februar 2016 um 15 Uhr in Altötting seine Premiere feiern wird.

Von Claudia Kern

Das ESM-Musical mit dem Titel „Frei?!“ über Karl Leisner greift das Thema der Barmherzigkeit auf.

Zum Stück

Deutschland in den 30er Jahren. Ein junger Mann steht für die Wahrheit ein: Karl Leisner, der sich mit ganzem Herzen für die katholische Jugendarbeit engagiert, um dem Geschrei der Nazis etwas entgegenzusetzen. Und er sucht auch seinen persönlichen Weg. Wie kann er einen Weg mit Gott gehen – wohl wissend, dass er selber nicht perfekt ist? Ist es möglich, dass Gott ihn ruft und zu einem Leben als Priester befähigt? Oder ist die Liebe zu Elisabeth und die Sehnsucht nach Familie stärker? Ein Mann, der mit Gott und sich selber um die Fragen seines Lebens und seiner Zeit ringt. Als er seinen Frieden gefunden hat, bricht die Katastrophe über ihn herein. In der Hölle des KZ Dachau erlebt er das Ausmaß des Bösen hautnah – und lässt sich doch nicht entmutigen. Inmitten der größten Dunkelheit Europas strahlt dank seiner Sehnsucht ein Licht auf – und sein Lebenstraum erfüllt sich.

Deutschland 1995-1996. Opa Paul lebt seit kurzem bei der Familie seiner Tochter. Ein düsteres Geheimnis aus vergangener Zeit umgibt ihn und belastet die Beziehungen. Nur die Enkelin Anna findet einen Weg zu ihm. In aller Einfachheit erzählt sie ihrem Opa die Geschichte Karl Leisners, der bald selig gesprochen werden soll. Ihre Unbefangenheit ihm gegenüber öffnet sein Herz – bis sie an einen Punkt kommt, an dem die Vergangenheit Opa Paul einholt und die Karten neu gemischt werden. – Ein Musical über Freiheit und Ohnmacht, über die Liebe und das Böse, über die Wahrheit und die Kraft der Vergebung. Im Jahr der Barmherzigkeit will die ESM mit ihrem Musicalprojekt über Karl Leisner dazu beitragen, entsprechend dem Wunsch Papst Franziskus‘, die Barmherzigkeit Gottes zu verkündigen, damit die Menschen, „eine lebendige Erfahrung der Nähe des Vaters“ machen können.

Am 27. Februar findet um 15 Uhr die Premiere im Altöttinger Kultur- und Kongressforum statt. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Seit Dezember erarbeiten die 15 Studenten des aktuellen Jahrgangs der Emmanuel School of Mission das Stück, dem es der Schwere des Themas zum Trotz nicht an Freude und Leichtigkeit fehlt.

Zur Person Karl Leisners

Geboren 1915 am Niederrhein wuchs Karl Leisner ganz natürlich in den katholischen Glauben hinein. Als Zwölfjähriger entdeckte er das für die damalige Jugendarbeit charakteristische Fahrtenleben. Später übernahm er selbst die Leitung einer solchen Gruppe. Ganz bewusst setzte er dem zunehmenden Lärmen der Nazis und der Gleichmacherei eine gute Jugendarbeit entgegen.

Auf Exerzitien machte er die Erfahrung der persönlichen Nähe Gottes und nahm in der Folge sein geistliches Leben bewusst in die Hand. Durch verschiedene Phasen inneren Ringens hindurch entschied er sich für das Priestertum. Sein Bischof erkannte die Begabung Karls und ernannte ihn zum Jungscharführer der Diözese Münster.

Nach dem Reichsarbeitsdienst und der Diakonenweihe jedoch erkrankte er an Tuberkulose. Ein kleines Wort wurde ihm dann im Sanatorium zum Verhängnis. Auf die Nachricht vom misslungenen Attentat auf Hitler am 8. November 1939 entschlüpfte ihm ein „Schade“. Es folgte die Verhaftung und schließlich die Einweisung ins KZ – zunächst nach Sachsenhausen, dann nach Dachau. Dort wurden zu diesem Zeitpunkt alle inhaftierten Priester vereint – im Lauf der Jahre 2.652 katholische Priester.

Karl musste bald ins Krankenrevier wechseln, weil seine Tuberkulose erneut ausbrach. Trotz vieler schwerer Stunden ließ er sich dank seiner Frohnatur nicht unterkriegen. 1944 wurde schließlich ein französischer Bischof ins Lager gebracht. Unter abenteuerlichsten Bedingungen und mit viel Improvisation bereiteten die priesterlichen Mithäftlinge und weitere Helfer die geheime Priesterweihe Karls vor, die schließlich am 17. Dezember 1944 stattfand. Am 26. Dezember feierte Karl seine erste und einzige heilige Messe. Die Befreiung des Lagers erlebte er noch, starb aber im August an den Folgen der Entbehrungen. Sein letzter Tagebucheintrag galt seinen Peinigern: „Segne auch, Höchster, meine Feinde“. Im Juni 1996 sprach Papst Johannes Paul II. den jungen Priester selig.

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Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Sieg für die Lebensrechtsbewegung

Vor Abtreibungskliniken hatte der Lebensrechtler Günter Annen Flugblätter verteilt, die nicht nur allgemein für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder eintraten, sondern auch die Ärzte namentlich nannten, welche die Tötung der Kinder vornahmen. Diese erreichten ein richterliches Verbot, das nun vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben wurde. Ein Kommentar des bekannten Publizisten Mathias von Gersdorff.

Von Mathias von Gersdorff

Obwohl die deutsche Gesetzgebung hinsichtlich der Abtreibung manchen Leuten skurril erscheint, ist sie relativ klar: Der Mensch hat von der Befruchtung an ein Recht auf Leben und deshalb darf er nicht getötet werden. Wenn dies aber trotzdem bis zum dritten Monat der Schwangerschaft geschieht, so ist die Abtreibung straffrei, falls man der Mutter zuvor einen so genannten Beratungsschein ausgestellt hat. Die eigentlich paradoxe Formel für diesen Sachverhalt lautet: „Rechtswidrig, aber straffrei“.

Auf diese (Un-)Rechtslage hat der katholische Lebensrechtler Günter Annen in einem Flugblatt hingewiesen  – und dies mit drastischen Worten und Bildern. Für ihn ist Abtreibung Mord im Mutterleib. Und damit dies jeder versteht, zeigt er am einfachsten Bilder mit abgetriebenen Kindern.

Die meisten Menschen interessieren sich nicht für die Nuancen des deutschen Strafrechts. Für sie ist Abtreibung vom Gesetzgeber erlaubt, denn sie wird nicht bestraft. Die deutschen Richter, die sich mit dem Auftreten Annens zu befassen hatten, empfanden dies wohl ähnlich wie die Masse der Menschen hierzulande. Sie meinten, Annen würde die Abtreibungsärzte, die er namentlich nannte, in unzulässiger Weise an den Pranger stellen. Und so erhielt er in Deutschland für seine deutliche Methode ein richterliches Verbot.

Doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ihm schließlich mit einem Urteil im November 2015 Recht gegeben: Er verletzt keine Persönlichkeitsrechte, sondern bringt nur das zur Sprache, was sowieso öffentlich bekannt ist, darunter die Namen der Abtreibungsärzte. Und dass diese Mediziner „rechtswidrige Handlungen“ vornehmen, sagt schließlich das deutsche Strafgesetz selber. Deshalb war das Verbot seines Flugblattes eine Verletzung der Meinungsfreiheit.

Vertreten wurde Günter Annen durch Rechtsanwalt Leo Lennartz aus Euskirchen, der mit Konsequenz, Hartnäckigkeit und unendlich vielen Schriftsätzen den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte möglich machte. Dank seiner hervorragenden juristischen Arbeit erzielte Annen einen großartigen Erfolg für sich und für die deutsche Lebensrechtsbewegung.

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Zum Thema „Mittlerin aller Gnaden“

Bedeutende Stimmen der Kirche

Zu den Beiträgen in Nr. 12-2015 und 1-2016 über den marianischen Titel „Mittlerin aller Gnaden“ hat uns Pfarrer Gerhard Myrbach aus Garching a. d. Alz eine umfangreiche Stellungnahme zugeschickt. Er lädt dazu ein, aufmerksam auf die Stimmen von Heiligen und auf das Lehramt der Kirche zu hören.

Von Gerhard Myrbach

Dass die Allerseligste Jungfrau Maria bei ihrem Sohn Fürsprache einlegt und uns Gnaden vermittelt, steht für einen Katholiken außer Frage. Viele Theologen und einfache Gläubige stellen sich aber die Frage: Ist sie die Vermittlerin aller Gnaden? Um diese Frage beantworten zu können, wird es hilfreich sein, wenn wir Personen zu Rate ziehen, die sich wahrscheinlich gründlicher damit beschäftigt haben als wir und die dazu noch viel gebetet haben. Zunächst wollen wir uns fragen, was das kirchliche Lehramt dazu sagt.

Enzyklika des hl. Papstes Pius X.

Schauen wir uns dazu die Enzyklika „Ad diem illum“ des hl. Pius X. an. Darin heißt es u.a.: „Aufgrund der Schmerzens- und Willensgemeinschaft zwischen Maria und Christus aber ,verdiente‘ sie, ,dass sie aufs Würdigste die Wiederherstellerin des verlorenen Erdkreises wurde“ – und deshalb die Verwalterin aller Gaben, die uns Jesus durch Seinen Tod und Sein Blut bereitete.

Wir stellen freilich nicht in Abrede, dass die Ausspendung dieser Gaben aufgrund seines persönlichen und eigentümlichen Rechtes Christus zusteht; denn sie wurde ja auch allein durch Seinen Tod erworben, und Er Selbst ist aufgrund Seiner Vollmacht der Mittler zwischen Gott und den Menschen. Jedoch wurde der erhabenen Jungfrau aufgrund dieser erwähnten Schmerzens- und Leidensgemeinschaft der Mutter mit dem Sohne verliehen, dass sie „die mächtigste Mittlerin und Versöhnerin des ganzen Erdkreises bei ihrem einziggeborenen Sohne“ sei.

Die Quelle also ist Christus „und von Seiner Fülle haben wir alle empfangen“ (Joh 1,16); „von Ihm aus [ist] der ganze Leib zusammengefügt und verknüpft durch jedes Band der Dienstbarkeit…; Er wirkt das Wachstum des Leibes zu seinem Aufbau in Liebe“ (Eph 4,16). Maria aber … ist „der Aquädukt“ …, durch den der Leib mit dem Haupt verbunden wird. … Es ist also ganz klar, dass wir in der Tat weit davon entfernt sind, der Gottesgebärerin die Kraft zuzuschreiben, übernatürliche Gnaden zu bewirken, [eine Kraft], die einzig Gott besitzt. Weil sie jedoch alle durch ihre Heiligkeit und Verbindung mit Christus übertrifft und von Christus zum Werk des menschlichen Heiles herangezogen [wurde], verdient sie für uns – wie man sagt – der Angemessenheit nach, was Christus (eigener) Würdigkeit nach verdiente, und ist die erste Dienerin beim Austeilen der Gnaden.“

Aussagen des hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort

Wenden wir uns nun an einen Mann Gottes, der uns bezüglich der wahren Stellung der Muttergottes im Heilsplan Gottes vieles Grundlegende und Wichtige zu sagen hat, an den hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort. U.a. stellt er fest: „Gott Vater hat alle Wasser gesammelt und sie Meer genannt. Er hat alle Gnaden gesammelt und sie Maria genannt. Der große Gott besitzt … eine Schatzkammer. … Diese unermessliche Schatzkammer ist niemand anders als Maria. Die Heiligen nennen sie denn auch Gottes Schatzkammer, aus deren Fülle die Menschen ihre Reichtümer empfangen.

Gott Sohn hat Seiner Mutter alles übergeben, was Er durch Sein Leben und Sterben erworben hat, Seine unendlichen Verdienste und Seine wunderbaren Tugenden. Das ganze Erbe, das sein Vater Ihm verliehen hat, lässt Er durch sie verwalten und verteilen. … Gott der Heilige Geist hat Seiner treuen Braut Maria Seine unaussprechlich großen Gaben anvertraut. Er hat sie zur Ausspenderin Seines ganzen Besitzes erwählt. Darum ist sie es, die alle Seine Gaben und Gnaden verteilt. … Keine himmlische Gabe wird den Menschen verliehen, die nicht durch ihre jungfräulichen Hände ginge. Denn das ist der Wille Gottes, dass wir alles durch Maria empfangen. So will nämlich der Allerhöchste jene Magd auszeichnen, erhöhen und ehren, die sich während ihres ganzen Erdenlebens in tiefer Demut entäußert … hat. Das ist die Auffassung der Kirche und der heiligen Kirchenväter“ (Das goldene Buch, 1. Kap., 23-26).

Lehre des hl. Thomas von Aquin

Schon Jahrhunderte früher hatte der überragende hl. Theologe Thomas von Aquin richtig gefolgert: Obwohl Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist (1 Tim 2,5), da Er allein durch Seinen Kreuzestod die Menschen vollkommen mit Gott versöhnte, so ist damit eine sekundäre, der Mittlerschaft Christi untergeordnete Mittlerschaft nicht ausgeschlossen (vgl. S. Th. III 26,1).

Im „Grundriss der katholischen Dogmatik“ von Ludwig Ott finden sich zwei theologische Aussagen, die wir tiefer erwägen sollten:

1. Maria hat der Welt den Erlöser, die Quelle aller Gnaden, geschenkt und insofern alle Gnaden vermittelt (sententia certa).

2. Seit der Aufnahme Mariens in den Himmel wird keine Gnade ohne ihre aktuelle Fürbitte den Menschen zuteil (sententia pia et probabilis).

Eine Bemerkung: In der Dogmatik unterscheidet man verschiedene „Gewissheitsgrade“, je nach theologischem Gewissheitsgrad und glaubensmäßiger Verbindlichkeit. Eine „sententia certa“ etwa ist eine Wahrheit, die im inneren Zusammenhang mit einer Offenbarungswahrheit steht, aber nicht als sicher von Gott geoffenbarte Wahrheit geglaubt werden muss. Eine „sententia pia et probabilis“ ist eine fromme, auf gute Gründe gestützte Meinung, die aber unter Theologen frei erörtert werden darf und auch nicht verpflichtend geglaubt werden muss.

Wir sehen also, dass man – solange sich die Kirche nicht in einer dogmatischen Entscheidung definitiv dazu äußert – nicht glauben muss, dass Maria die Mittlerin aller Gnaden ist, dass man das aber für wahr halten kann und darf. Freilich sollte es uns interessieren, in welchem Ausmaß die Allerseligste Jungfrau Mittlerin der Gnaden ist. Es kann sein, dass wir durch Gebet und Beschäftigung mit guten Quellen jetzt schon, oder aber erst in der Ewigkeit volle Klarheit darüber bekommen.

Vom hl. Ephräm bis zum Messformular 1921

Nur mit wenigen Worten sei an dieser Stelle an eine staunenswerte und wunderbare Tatsache erinnert: Vieles, was Gott von Natur aus eigen ist, wurde Maria von Gott aus Gnade zuteil! Wir werden in Ewigkeit darüber staunen!

Maria wird bereits von der Väterzeit an Mittlerin (mediatrix) genannt. Ein dem hl. Ephräm zugeschriebenes Gebet sagt von ihr: „Nach dem Mittler Mittlerin der ganzen Welt“ (post mediatorem mediatrix totius mundi; Oratio IV ad Deiparam). Der Titel Mediatrix wird Maria auch amtlich in kirchlichen Dokumenten beigelegt, z.B. in der Bulle „Ineffabilis Deus“ des sel. Pius IX. (1854), in den Rosenkranz-Enzykliken „Adiutricem“ und „Fidentem“ Leos XIII. (1895 und 1896), in der bereits erwähnten Enzyklika „Ad diem illum“ des hl. Pius X. (1904); er hat auch in die kirchliche Liturgie Aufnahme gefunden durch die Einführung des Festes B. Mariae Virginis omnium gratiarum Mediatricis (1921).

Predigt Papst Benedikts XVI.

Zum Schluss sei noch auf eine Predigt von Papst Benedikt XVI. am 11. Mai 2007 in São Paulo hingewiesen, in der er u.a. folgendes sagte: „In der Heilsgeschichte gibt es keine einzige Frucht der Gnade, welche die Mittlerschaft Unserer Lieben Frau nicht als notwendiges Instrument hatte.“ Er endete: „Lasst uns Gott dem Vater, Gott dem Sohn und Gott dem Heiligen Geist danken, von dem durch die Fürsprache der Jungfrau Maria jeder himmlische Segen kommt.“

Brief der sel. Mutter Teresa

In einem Brief v. 14. August 1993 schreibt die sel. Mutter Teresa die bedenkenswerten Sätze: „Maria ist mit Jesus unsere Miterlöserin. Sie gab Jesus Seinen Leib und litt mit Ihm am Fuß des Kreuzes. Maria ist Mittlerin aller Gnade. Sie gab uns Jesus, und als unsere Mutter erlangt sie uns all Seine Gnade. Maria ist unsere Fürsprecherin, die bei Jesus für uns bittet. Nur durch das Herz Mariens gelangen wir zum eucharistischen Herzen Jesu. Die päpstliche Definition Maria als Miterlöserin, Mittlerin und Fürsprecherin wird der Kirche große Gnaden bringen.“

Rufen wir vertrauensvoll die Muttergottes als Mittlerin aller Gnaden an! Wir nehmen dadurch Gott keine Ehre weg, sondern – im Gegenteil – wir anerkennen damit die außerordentliche und wunderbare Stellung, die Er Maria gegeben hat!

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Dialog zwischen katholischen und griechisch-orthodoxen Christen

Ökumenische Initiative „von unten“

An alle, denen die Einheit der Kirche am Herzen liegt, richten katholische und griechisch-orthodoxe Christen eine herzliche Einladung zur Teilnahme an einer gemeinsamen Tagung zur Förderung des ökumenischen Dialogs in Deutschland.

Von Walter Kasanmascheff

Am 12./13 März 2016 findet in der Gebetsstätte Heroldsbach eine „Gemeinsame Tagung römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Christen zur Förderung der Einheit der Kirche“ statt. Den Impuls für eine solche „Initiative von unten“ gab Pater Hilarion vom Kloster des hl. Erzengels Michael in Nordgriechenland. Ihm ist die Frage wichtig: Wie erlangen wir Segen und Demut? Denn nur auf dieser Grundlage könne der Weg zur Einheit der Kirche gefunden werden.

Mit einem Dokufilm des Archimandriten Antonios Stylianiakis will er die Aufmerksamkeit auf das bekannte „Feuerwunder von Jerusalem“ lenken, das sich jährlich zum orthodoxen Osterfesttermin in der Grabeskirche ereignet. Stylianiakis ist Wissenschaftler und Pfarrer der Kirche des hl. Athanasios in Thessaloniki. Prof. Alma von Stockhausen wird einen Vortrag zum Thema „Rationalismus und Mystik – ein spaltender Gegensatz?“ halten und Cynthia Simla, eine Mitarbeiterin von Sr. Blandina Schlömer OCSO, wird in Verbindung mit einer Filmvorführung über das Heilige Antlitz von Manopello berichten.

Von katholischer Seite hat Generalvikar Georg Kestel des Erzbistums Bamberg offiziell seine Erlaubnis für die Veranstaltung erteilt, von griechisch-orthodoxer Seite Archimandrit Titos Giannoulis, der Pfarrer der hiesigen Gemeinden. Ihre Unterstützung haben auch die Gemeinden selbst zugesagt, nämlich von Nürnberg-Fürth, Lauf, Erlangen, Bamberg und Bayreuth. – Die Einheit der Kirche ist in Jesus Christus grundgelegt. Wir sind uns bewusst, dass wir in unserem Engagement ganz auf unseren Herrn angewiesen sind. In diesem Vertrauen wollen wir von der Basis her ein starkes Signal für die so notwendige Einheit der Herzen aussenden. Gebetsstätte-Tel.: 09190/99 75 87.

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