Wie viel biomedizinische „Verbesserung“ tut dem Menschen gut?

„Enhancement“ bis zur Genmanipulation

Durch das „Human Enhancement“ wird eine Verbesserung und Optimierung des Menschen angestrebt. Was auf den ersten Blick so wohlwollend und harmlos klingt, entpuppt sich immer mehr als Schreckgespenst und nimmt nicht selten bedrohliche Formen an. Teile der Wissenschaft sehen darin einen unumkehrbaren Prozess, der immer neue Möglichkeiten erschließt. Ethisch-moralische Grenzen oder gesetzliche Einschränkungen finden hingegen kaum mehr Berücksichtigung. So stellt selbst die Veränderung des menschlichen Erbguts kein Tabu mehr dar. Im Februar diesen Jahres erlaubte Großbritannien erstmals die Genmanipulation an menschlichen Embryonen. Ralph Weimann (geb. 1976), promoviert in Theologie und Bioethik, geht auf diese Herausforderung ein und beleuchtet sie im Licht des christlichen Menschenbildes.

Von Ralph Weimann

Was bedeutet „Enhancement“?

Das Wort „Enhancement“ stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Verbesserung“, „Aufwertung“. Wenn Biomedizin und Bioethik heute von „Human Enhancement“ sprechen, dann geht es nicht primär darum, den Menschen zu veredeln, seine Talente und positiven Eigenschaften zur Entfaltung zu bringen, sondern man legt an der biologisch-physischen Struktur des Menschen Hand an und sucht diese zu verändern. Es handelt sich um einen korrigierenden Eingriff in den menschlichen Körper, mit der Absicht, diesen zu „verbessern“.[1]

Die Anwendungsvielfalt des Human-Enhancement ist groß, sie reicht von der Schönheitsindustrie über die Militärtechnik bis hin zur Veränderung menschlichen Erbguts. Dazu sind teilweise massive Eingriffe in den menschlichen Organismus notwendig, mit oft nicht abzuschätzenden Folgen, ähnlich wie bei genmanipulierten Pflanzen. So können sich Veränderungen am menschlichen Genom beispielsweise auf die ganze Nachkommenschaft auswirken. Die Grenzen zwischen Therapie und Enhancement verlaufen oft fließend und sind immer weniger zu unterscheiden.

Enhancement des Genoms

Die „Veränderung des Genoms“ ist die wohl weitreichendste Form des Enhancement. Der Fortschritt der Medizin ermöglicht immer präzisere Eingriffsmöglichkeiten. Dazu schreibt Jan-Christoph Heiliger für die Bundeszentrale für politische Bildung:

„Zwar haben Menschen gewissermaßen schon immer versucht, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um gewünschte Eigenschaften hervorzubringen, doch mithilfe der tief in den menschlichen Organismus eingreifenden Enhancement-Interventionen scheint eine neue Dimension erreicht zu sein: Immer präzisere und immer wirkmächtigere Eingriffsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, mit denen sich Menschen nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten können. […] Welche Auswirkungen für die Gesellschaft sind anzunehmen, wenn manche Individuen ihre Leistungsfähigkeit extrem steigern? Wie verändert sich der gesellschaftliche Zusammenhalt, wenn einige auf einmal deutlich länger leben? Was bedeutet es für unsere Beziehungen, wenn Stimmungen und Eigenschaften das Ergebnis einer gewollten Entscheidung für einen biotechnologischen Eingriff sind und nicht mehr auf weitgehend unkontrollierbaren Faktoren beruhen? Die grundlegende Herausforderung, die von der bloßen Möglichkeit von Enhancement-Interventionen ausgeht, besteht darin anzuerkennen, dass unsere Vorstellungen von uns selbst als Menschen und von der Gesellschaft, in der wir leben, nicht alternativlos sind. Salopp gesagt: Es könnte alles anders werden, wenn die Menschen sich für den breiten Einsatz von Biotechnologien entscheiden sollten. Das macht die Aufgabe der individuellen und gesellschaftlichen Verständigung darüber, wie wir als Menschen sein und leben wollen, so vordringlich."[2]

Erstaunlich und erschreckend zugleich ist die Tatsache, dass eine ethische Debatte über diese neuen Verfahren ausgeblieben ist, so dass es selbst gegenüber jenen Enhancement-Methoden, die sich als äußerst problematisch erweisen, wenig ethische Bedenken gibt. Bioethische Neuerungen und Fragen flößen Respekt ein, der nur zu oft zu einem ohnmächtigen Staunen führt und sich in Zustimmung widerspiegelt.

Zwei Arten der Gentherapie

Was aber ist eigentlich die Gentherapie und auf was für eine Art von „Verbesserung“ des Menschen zielt sie? Dabei geht es vor allem um die „Anwendung genetischer Techniken auf den Menschen mit einer therapeutischen Zielsetzung, das heißt zum Zweck der Heilung von Krankheiten auf genetischer Basis."[3] Viele Therapiemethoden finden auf diesem Gebiet inzwischen Anwendung, auch bei der Behandlung nicht erblicher Krankheiten, wie z.B. Krebsbehandlungen.

Dabei werden grundsätzlich zwei Arten der Gentherapie unterschieden. Eine Gentherapie an

a) somatischen Zellen (Körperzellen)

Somatische Zellen sind beim Menschen die Zellen, die ihr Erbgut nicht an die nächste Generation weitergeben. Selbst tiefgreifende Veränderungen somatischer Zellen haben daher keine Auswirkung auf die folgende Generation. Die Gentherapie ist im Hinblick auf die Krebsbehandlung noch in der Testphase, erzielt aber schon beachtliche Erfolge.[4]

b) Keimzellen (Geschlechtszellen, oder auch Gameten)

Keimzellen dienen der geschlechtlichen Fortpflanzung und sind grundsätzlich männlich oder weiblich. Sie enthalten das Erbgut (haploide Zellen). Die Keimzelle der Frau ist die Eizelle, die des Mannes ist das Spermium. Die wichtigste Funktion der Keimzellen ist die Vermehrung. Durch Vereinigung zweier Gameten entsteht eine diploide Zygote (doppelter Chromosomensatz), aus der ein neues Individuum entstehen kann. Bei der Therapie an den Keimzellen handelt sich um einen Eingriff in die DNA, ein intaktes Gen wird in das Genom eingefügt, um ein defektes Gen zu ersetzen.

Die Gentherapie findet auf beide Arten Anwendung. Die somatische Gentherapie will Defekte auf der Ebene der Körperzellen beheben oder vermindern, also nicht auf der Ebene der reproduktiven Zellen. Die Eingriffe bleiben dabei auf das Individuum begrenzt. – Die Keimbahntherapie will hingegen genetische Defekte beheben, sie wirkt sich auf die eventuelle Nachkommenschaft aus. Beide Arten der Therapie können bereits vor der Geburt am Fötus vorgenommen werden, dann „spricht man von Gentherapie im Mutterschoß, oder nach der Geburt am Kind oder am Erwachsenen."[5]

Zwei Beispiele können das Gesagte verdeutlichen:

„Mike N. (51) hatte sich mit einem Leben mit starken Behinderungen und andauenden Schmerzen nie abfinden wollen. Schon mit 33 Jahren erlitt der Polizeibeamte einen Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule, der mit herkömmlichen Therapien nicht mehr zu bessern war. Eine Operation blieb ohne Erfolg, es drohte Frührente. Mike N. war nahe dran zu verzweifeln. Erst ein Besuch bei Dr. Munther Sabarini in der Avicenna-Klinik in Berlin machte ihm wieder Hoffnung. Der Neurochirurg und Wirbelsäulenspezialist behandelte ihn mit einem völlig neuartigen Verfahren, bei dem die kaputte Bandscheibe mit Hilfe körpereigener Zellen wieder aufgebaut wurde. Heute ist Mike N. kaum wiederzuerkennen: schmerzfrei und beweglich, als wäre nie etwas gewesen."[6]

Wie die Begebenheit verdeutlich, hat der Arzt somatische Zellen (körpereigene Zellen) verwendet und dies mit großem Erfolg. Auf diesem Gebiet der Gentherapie gibt es große Fortschritte und Erfolgschancen.

Doch wie steht es mit der Keimbahntherapie? Auch in diesem Kontext kann ein Beispiel hilfreich sein, die Problematik besser zu verstehen. Die folgende Tatsache ist im Focus.online veröffentlicht worden:

„Heilen bis in alle Ewigkeit ist das Ziel zweier amerikanischer Genforscher von der Pennsylvania-Universität in Philadelphia. Sie haben eine einfache Methode entwickelt, mit der sie die Erbanlagen in den Keimzellen von Tieren und Menschen manipulieren können. Ein solcher Eingriff hat zur Folge, dass alle Nachkommen mit veränderten Genen auf die Welt kommen. Wie nun bekannt wurde, sind die Genforscher die ersten, die ein Verfahren zur sogenannten Keimbahntherapie als Patent anmelden. Mit der Weltpremiere wurde das Tor für diese stark umstrittene Art der Gentherapie aufgestoßen. Ihre Technik ermöglicht es Ralph Brinster und Jim Zimmermann, männliche Fortpflanzungsorgane genetisch umzuprogrammieren: Zunächst werden dazu sogenannte Spermatogonien (Ursamenzellen) operativ aus den Hoden entfernt. Die dort verbleibenden Keimzellen töten sie auf chemischem Weg oder durch radioaktive Bestrahlung ab. Im Labor kann man in die entnommenen Samenzellen dann je nach Interesse eines Züchters oder Arztes ein ‚besseres‘ bzw. ein ‚gesundes‘ Gen einsetzen. Anschließend werden die gentherapierten Zellen wieder in die leeren Hoden zurückverpflanzt. Dort reifen aus den Spermatogonien ein Leben lang Spermien mit neuen Genen. Bei jeder Befruchtung werden diese an die Nachkommen vererbt."[7]

Die Keimbahntherapie ist auch aus anderen Gründen nicht unproblematisch, denn sie kann schwere Nebenwirkungen haben, davon zeugen beispielsweise verschiedene Todesfälle, denn die Behandlungsmethode ist nicht ausgereift und die Konsequenzen sind nicht abzuschätzen.[8] Die technischen Möglichkeiten haben sich inzwischen weiter vervielfältigt, das angeführte Beispiel war aus dem Jahr 1994.

„Babys mit künstlich verändertem Erbgut“

Technik und Medizin versuchen den Menschen zu verbessern, ohne ihn jedoch dort zu verbessern, wo es am einfachsten möglich wäre: in seiner Menschlichkeit. Die Zeit hat in einer Ausgabe im Dezember 2015 aufgezeigt, dass die Keimbahntherapie immer größere Akzeptanz auf der politischen Ebene findet. Die Nationalen Akademien der Vereinigten Staaten, Chinas und Großbritanniens hatten für ihre Spezialisten im Bereich der Erbgut-Chirurgie Ende 2015 in Washington eine Tagung organisiert. Nicht über den Verzicht oder eine mögliche Einschränkung dieser Methoden wurde diskutiert, sondern über Regeln der Anwendung. So heißt es: „über kurz oder lang werden die ersten Babys mit künstlich verändertem Erbgut geboren werden“.[9]

Inzwischen ist ein neues biologisches „Abwehrsystem“ entdeckt worden, das Bakterien einsetzt, um Viren zu bekämpfen, alles auf der Grundlage der Genombearbeitung. Im Erbgut einer Zelle soll dieses Bakterium gleichsam wie die Suche-und-Ersetze-Funktion einer Textbearbeitung funktionieren. Die Risiken seien relativ gering wie z.B. die ungewollte Aktivierung eines Krebs-Gens. Wozu diese Methode aber wirklich dienen soll, bleibt unklar. Der Artikel in Die Zeit ist mit dem Titel „Maßmenschen“ überschrieben, er schließt wie folgt: „Für ein Innehalten, eine Denkpause der Forscher, Juristen und Ethiker, wie vor 40 Jahren ganz zu Beginn der gentechnischen Ära, ist es jedenfalls zu spät. Damals war eine kleine verschworene Riege von Spezialisten am Werk. Heute hat es der weltweite Forschungsbetrieb in der Hand."[10]

Großbritannien erlaubt Genmanipulation an Embryos

Enhancement wird auf vielen Ebenen und fast ohne Einschränkungen betrieben, die Büchse der Pandora ist längst geöffnet. Im Februar 2016 wurde bekannt gegeben, dass in Großbritannien im Rahmen eines Forschungsprogramms erstmals die Genmanipulation an Embryos erlaubt wird. Modifizierungen sollen an Embryos in der Woche nach der Befruchtung vorgenommen werden. Die Embryonen dürfen allerdings keiner Frau eingepflanzt werden, die Erlaubnis kommt von der Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA). Wie Focus. online berichtet, wollen die britischen Forscher die sogenannte CRISPR-Genschere „für ihre Genmanipulationen nutzen. Die Methode ermöglicht es, auf einfache und gezielte Weise Erbanlagen zu verändern oder auszutauschen."[11]

Für Schlagzeilen sorgte im Februar 2016, dass die Stammzellforscherin Kathy Niakan als erste Forscherin der Welt die Erlaubnis erhalten hat, in das Erbgut menschlicher Embryos einzugreifen, es wird bereits von einem neuen Frankenstein gesprochen; sie arbeitet am Francis Crick Institute in London. In einem Artikel, der in Welt.online erschienen ist, heißt es: „Kathy Niakan führt Experimente durch, die eigentlich sehr überschaubar sind. Sie nimmt befruchtete Eizellen, tauscht ein Gen in ihnen aus, lässt sie zwei Wochen lang wachsen und beobachtet, was passiert. Danach tötet sie die Zellen ab und wiederholt die Versuche, tauscht ein anderes Gen aus, beobachtet, tauscht ein drittes, ein viertes Gen aus."[12] Dazu heißt es dann weiter in dem Artikel: „Die Versuche erscheinen simpel, doch sie brechen ein Tabu, eines der größten, die es in der Forschungswelt gibt. Die junge Stammzellforscherin experimentiert nicht etwa mit den befruchteten Eizellen von Mäusen, sondern mit denen von Menschen. Mit Embryos. Sie verändert die Erbsequenz eines Zellhaufens, aus dem ein Baby reifen könnte – und greift damit in das Buch des menschlichen Lebens ein."[13]

In dieser Aussage spiegelt sich die ganze Problematik wider, denn seit wann reifen Babys oder existieren menschliche Zellhaufen? Ein derartiges Vokabular unter Berufung auf Wissenschaftlichkeit ist wissenschaftlich mangelhaft und unredlich zugleich. Denn es wird – wie Manfred Spieker sagt – mit Tarnkappen gearbeitet, unter denen sich großes und größtes Unrecht verbirgt.[14] Der Artikel ist natürlich im Bezug darauf unpräzise, umso mehr verblüfft eine solche Argumentation. Dazu wird erwähnt, dass „Kathy Niakan […] ihre genmanipulierten Embryos nach zwei Wochen zerstören [muss]. Sie konzentriert sich allein auf die Zellteilung in den allerersten Tagen und will bis zu vier Gene identifizieren, unter anderem das Gen Oct4, das für die Bildung der Plazenta verantwortlich sein soll. Für jedes Gen braucht Niakan 20 bis 30 Embryos, so die Kalkulation. Also bis zu 120 Embryos, die Eltern freiwillig zur Verfügung gestellt haben, weil sie nach einer In-vitro-Fertilisation übrig geblieben sind. Niakan weiß, dass ihre Gegner ihr Vorgehen als Zerstörung von Menschenleben sehen, weshalb sie die Präzision der Crispr/Cas9-Methode betont. Mit anderen Methoden bräuchte man wesentlich mehr Embryos, um herauszufinden, was sie erforschen will. ‚Wenn man sich vorstellt, dass unsere DNA eine komplette Enzyklopädie wäre, dann ist Crispr/Cas9 in der Lage, einen einzigen Buchstaben auf einer bestimmten Seite zu verändern.‘"[15] Ganz offen wird bereits vom „Superbaby“ gesprochen, das keine Krankheiten haben soll, zugleich aber über Qualitäten verfügt, die für den „Menschen von heute“ wichtig sind.

Ethische Bewertung durch das kirchliche Lehramt

Das Lehramt der Kirche ist angesichts der neuen biotechnischen Herausforderungen nicht untätig geblieben. Besonders zu erwähnen sind in diesem Kontext die beiden lehramtlichen Dokumente Donum vitae (von 1987) und die Instruktion Dignitas personae (von 2008), die ethische Orientierungen auch im Hinblick auf die Gentherapie bieten. In letzterem Schreiben wird zunächst zwischen Gentherapie an somatischen Zellen und an Keimzellen unterschieden, darin heißt es:

a) „Eingriffe in Körperzellen mit streng therapeutischer Zielsetzung sind prinzipiell sittlich erlaubt."[16]

Dabei ist der allgemeine ethische Grundsatz zu berücksichtigen, wonach es notwendig ist, „dass der behandelte Mensch nicht Risiken für seine Gesundheit oder seine grundlegende Unversehrtheit ausgesetzt ist, die exzessiv oder unverhältnismäßig sind im Vergleich zur Schwere der Pathologie, die geheilt werden soll. Auch die nach Aufklärung erfolgte Zustimmung des Patienten oder seines rechtmäßigen Vertreters ist erforderlich."[17] Eine verantwortete Selbstbestimmung ist der Kirche wichtig, die allerdings nicht bloß auf dem subjektiven Befinden der Patienten basiert, sondern sich auf „vernünftige Gründe“ stützt.

b) Die moralische Bewertung der Keimbahntherapie fällt dagegen eindeutig negativ aus, zumal jede genetische Veränderung an den Keimzellen sich ggf. auch auf die Nachkommenschaft überträgt. Eine so weitreichende Verantwortung kann ein jeder Patient aber nur für sich selbst übernehmen. Dazu heißt es: „Weil die mit jeder Genmanipulation verbundenen Risiken beträchtlich und noch wenig kontrollierbar sind, ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sittlich nicht erlaubt, etwas zu tun, das mögliche davon herrührende Schäden auf die Nachkommen überträgt."[18]

Im Hinblick auf einen zu behandelnden Embryo durch die Gentherapie ist hinzuzufügen, „dass dies im technischen Kontext einer In-vitro-Befruchtung erfolgen müsste und man dann allen ethischen Einwänden gegen dieses Verfahren begegnen würde. Aus diesen Gründen muss man festhalten, dass die Keimbahntherapie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in allen ihren Formen sittlich nicht erlaubt ist."[19] Sofern eine Gentherapie an Embryonen vorgenommen würde, wird zudem eine „eugenische Mentalität“ gefördert, der Grundsatz der Gleichheit und der Gerechtigkeit wird aufgegeben und die Festlegung von Kriterien ist der Willkür preisgegeben. Im Dokument heißt es weiter:

„Man muss schließlich festhalten, dass der Versuch, einen neuen Menschentyp zu schaffen, eine ideologische Dimension aufweist, gemäß der sich der Mensch anmaßt, den Platz des Schöpfers einzunehmen. Wenn die Kirche diese Art von Eingriffen, die eine ungerechte Herrschaft des Menschen über den Menschen einschließen, ethisch negativ bewertet, will sie auch an die Notwendigkeit erinnern, zu einer Perspektive der Sorge um die Personen und der Erziehung zur Annahme des menschlichen Lebens in seiner konkreten geschichtlichen Begrenztheit zurückzukehren."[20]

Was ist das „Bessere“ für den Menschen?

Um überhaupt eine ethische Bewertung von Enhancement vornehmen zu können, muss zunächst die Frage gestellt werden, wer der Mensch ist (Anthropologie). Die Schwäche der gesamten Enhancement-Debatte besteht darin, dass gänzlich unklar ist, was überhaupt eine Optimierung für den Menschen bedeutet? Geht es darum, gewisse Fähigkeiten und Qualitäten in einer Leistungsgesellschaft zu verbessern? Ist das Schnellere und Effizientere auch das Bessere, wird der Mensch nicht selbst zum Produkt? Die Schönheitsmedizin, bei der viele Enhancement-Methoden zur Anwendung kommen, scheint diese Tendenz aus einer anderen Perspektive zu bestätigen.[21] Menschen werden zunehmend Maßstäben ausgeliefert, die entfremden oder gar töten.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass nur so viel biomedizinische Verbesserung dem Menschen gut tut, wie sie ihm in seiner unantastbaren Würde (vgl. GG, Art. 1) dient. Da aber kein ethischer, gesellschaftlicher, politischer Konsens darüber besteht, was die menschliche Würde kennzeichnet und wie sie zu begründen ist (vgl. Menschenbild), gerät auch das Human-Enhancement zunehmend außer Kontrolle.

Der perfekte Mensch wird in Werbung und Fernsehen vorgegaukelt und die Technik soll diese Vorstellung Wirklichkeit werden lassen. Dabei werden die ethischen Normen und Orientierungen zunehmend dem Machiavellismus geopfert, wonach das Ziel die Mittel rechtfertigt. Fast alles, was dem „neuen Ideal“ entspricht – ohne dass deutlich gesagt würde, worin es besteht – wird blind akzeptiert und findet zunehmend Akzeptanz, ohne das überhaupt noch eine ethische Diskussion stattfindet.

Selbstvergötterung des Menschen

Udo di Fabio, ehemaliger Verfassungsrichter und Gesellschaftsanalytiker, hat in seinem 2015 erschienenen Buch Schwankender Westen festgestellt: „Wer sein Herkunftswissen verliert, der überschätzt die Möglichkeiten des Wissens, des Wollens und des Bewirkens. Sein Wille wird reiner Wille zur Macht. Je mehr die technischen Möglichkeiten des Menschen wachsen, desto gefährlicher werden die Folgen des stets mitlaufenden Irrtums und desto größer die Gefahr der Selbstüberschätzung und Selbstvergötterung des Menschen."[22] Dies trifft in besonderer Weise für die Human-Enhancement-Methoden zu. Nicht selten wird unter Berufung auf die Würde des Menschen diese mit Füßen getreten. Die katholische Kirche ist, wie der heilige Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Evangelium vitae schrieb, Anwalt des Lebens. Dies verdeutlicht folgendes Zitat aus dieser Enzyklika, der im beschriebenen Kontext ein prophetischer Charakter zukommt:

„Sicherlich besteht ein enormes Missverhältnis zwischen den zahllosen und mächtigen Mitteln, mit denen die Kräfte ausgestattet sind, die zur Unterstützung der ,Kultur des Todes‘ am Werk sind, und jenen, über die die Förderer einer ,Kultur des Lebens und der Liebe‘ verfügen. Doch wissen wir, dass wir auf die Hilfe Gottes vertrauen dürfen, für den nichts unmöglich ist (vgl. Mt 19,26)."[23]

Das Geschöpf ohne den Schöpfer sinkt ins Nichts

Romano Guardini skizzierte bereits 1952 eine Entwicklung, welche unsere Zeit charakterisiert: „In der Neuzeit zeigt sich etwas Eigentümliches, das jeden betroffen machen muss, der fähig ist, Wesentliches zu sehen. Der Mensch – richtiger gesagt, viele Menschen; jene, die geistig Maß und Ton bestimmen – lösen sich von Gott ab. Sie erklären sich für autonom, das heißt für fähig und befugt, sich selbst das Gesetz ihres Lebens zu geben. […] Diese Haltung geht immer entschiedener darauf zu, den Menschen absolut zu setzen."[24] Guardini fügt weiter hinzu: „Die Ursünde bestand darin, dass der Mensch nicht mehr Ebenbild sein wollte, sondern selbst Urbild; wissend und mächtig wie Gott. Damit fiel er aus der Beziehung zu Gott heraus. Die Brücke ging ins Leere."[25]

Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Konstitution Gaudium et spes erklärt, dass das Geschöpf ohne den Schöpfer ins Nichts sinkt,[26] die Streichung des Gottesbezugs führt unweigerlich zu schwerwiegenden Konsequenzen. Das Menschenbild steht in einer inneren Abhängigkeit vom Gottesbild. Findet das Gottesbild keine Beachtung mehr, wird sich dies auch auf das Menschenbild auswirken. Dann setzt sich der Mensch absolut, er wird zum Konstrukteur und bestimmt willkürlich selbst, wer der Mensch ist, wie und nach welchen Kriterien er zu definieren und wie mit ihm umzugehen ist.

Kein Kompromiss mit dem postmodernen Grundparadigma der Machbarkeit

In der Enzyklika Laudato si von Papst Franziskus heißt es: „Daher dürfte es nicht verwundern, dass sich mit der Allgegenwart des technokratischen Paradigmas und der Verherrlichung der grenzenlosen menschlichen Macht in den Menschen dieser Relativismus entwickelt, bei dem alles irrelevant wird, wenn es nicht den unmittelbaren eigenen Interessen dient."[27] Eine solche Mentalität hat schon längst in der Bioethik Verbreitung gefunden, das technokratische Paradigma wird zum Leitmotiv.

Eine Mentalität, die als „Urbild“ die Machbarkeit und den Primat der Technik anerkennt, ist orientierungslos im Hinblick auf ethische Fragen. Grenzen werden nicht mehr aufgezeigt und anerkannt, die Machbarkeit wird zum ausschlaggebenden Kriterium. Mit einem solchen Grundparadigma der Postmoderne kann es jedoch keine Kompromisse geben, denn dessen Annahme würde jede ethische Argumentation überflüssig machen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Vgl. Michel Fuchs, Art. Enhancement, in: W. Korff u.a. (Hg.): Lexikon der Bioethik, Bd.1, Gütersloh 1998, 604f.
[2] Jan-Christoph Heilinger: Enhancement. Der Fortschritt der Wissenschaften und die Möglichkeit, Menschen zu „verbessern“, vom 15.5.2013, in: www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/160269/enhancement [22.1.2016].
[3] Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Dignitas personae (= DP), 8.9.2008, 25.
[4] Vgl. Petra Apfel: Geimpftes Immunsystem und Tumorkiller, Stand: 14.10.2014, in: www. focus.de/gesundheit/ratgeber/krebs/forschung/ onkologische-gentherapie-wie-krebszellen-sich-in-nichts-aufloesen_id_4170143.html [14.6.2016].
[5] DP 25.
[6] Neue Therapie mit körpereigenen Zellen. Schluss mit Gelenkschmerzen, Stand 7.5.2013, in: http:// www.swr.de/betrifft/betrifft-therapie-gelenkschmerzen-zellen/-/id=98466/nid=98466/ did=9482012/yp7mji/ [14.6.2016].
[7] R. Unterhuber: Gentechnik. Patent auf Keimbahntherapie, vom 25.4.1994, in: www.focus.de /auto/ratgeber/zubehoer/gentechnik-patent-auf-keimbahntherapie_aid_146071.html [13.6.2016].
[8] Vgl. Nature Biotechnology 17, 1999 Subject index – Volume 17, (Dezember 1999), 1153.
[9] Ulrich Bahnsen: Maßmenschen, in: Die Zeit 49 (3.12.2015) 43.
[10] Ebd.
[11] Focus.online, Forschungsprogramm: Großbritannien erlaubt erstmals Genmanipulation an Embryonen, vom 1.2.2016, in: www.focus.de/gesundheit/news/grossbritannien-forscher-bekommen-erlaubnis-embryonen-genetisch-zu-veraendern_id_5252886.html [20.4.2016]. Diese neue Technologie wird als eine der größten Revolutionen zum Gene Editing dargestellt. Sie gilt als billig, schnell und einfach und findet in vielen Laboren weltweit Anwendung. Sie wird beispielsweise bei Embryonen angewendet, die bisher nicht zu „lebensfähigen Organismen“ heranwachsen konnten. CRISPR (clustered regularly interspaced short palindromic repeats) ermöglicht, dass die DNA fast jedes Organismus manipuliert werden kann. Vgl. H. Ledford: Werkzeug der Genmanipulation. Gentechnik: CRISPR verändert alles, vom 24.6.2015, in: www.spektrum.de/news/gentechnik-crispr-erleichtert-die-manipulation/1351915 [21.4.2016].
[12] Stefanie Bolzen: Genome Editing, in: www. welt.de/wissenschaft/article151938577/Diese-Frau-darf-jetzt-Gene-in-Embryos-austauschen. html [16.4.2016].
[13] Ebd.
[14] Vgl. M. Spieker: Die Sprache der Kultur des Todes, in: IKaZ 43 (2014) 78f.
[15] Ebd.
[16] DP 26.
[17] Ebd.
[18] Ebd.
[19] Ebd.
[20] Ebd., 27.
[21] Vgl. Giovanni Maio: Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin. Ein Lehrbuch, Stuttgart 2012, 327-331.
[22] Udo di Fabio: Schwankender Westen. Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss, München 2015, 78.
[23] Johannes Paul II.: Enzyklika Evangelium vitae, 100.
[24] R. Guardini: Die Annahme seiner selbst. Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß, Kevelaer 2010, 53. Zu einer weitergehenden Analyse vgl. R. Weimann: Das Jahr des Glaubens zur Überwindung der Glaubenskrise. Der Glaube verdunstet in den Seelen, in: Nord 66 (2012) 417-428.
[25] R. Guardini: Annahme, 54.
[26] GS, 36.
[27] Franziskus: Laudato si, 122.

Fragestellungen, die zur Reformation führten (Luther verstehen – Teil 2)

Die Rechtfertigungslehre Martin Luthers

Im zweiten Teil der Artikelreihe zur Einstimmung auf das Reformationsgedenken im Jahr 2017 geht Andreas Theurer auf das Herzstück des protestantischen Glaubens ein, nämlich auf die sog. „Rechtfertigungslehre“. Sie führt uns an den Ursprung der Bewegung, welche nicht nur eine Kirchenspaltung, sondern auch eine Glaubensspaltung ausgelöst hat. Theurer zeigt auf, welche Fragestellungen durch Martin Luther aufgeworfen worden sind, um die bis heute gerungen wird. In welchem Sinn können wir sagen, dass der Mensch allein durch den Glauben Rechtfertigung, also ewiges Heil findet? Was kann und muss der Mensch zu seiner Erlösung beitragen? Spielt seine freie Mitwirkung überhaupt eine Rolle? Was lehrt der hl. Apostel Paulus in diesem Zusammenhang wirklich? Sicherlich stellt die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die 1999 in Augsburg unterzeichnet wurde, einen Meilenstein im ökumenischen Bemühen dar. Doch bleiben entscheidende Unterschiede bestehen, die einer weiteren Klärung bedürfen.

Von Andreas Theurer

Zum Kernbestand des protestantischen Glaubens gehörte von Anfang an die Überzeugung, allein von Christus, allein aus Gnade und allein aufgrund unseres Glaubens gerettet zu werden, bis heute auch populär unter den lateinischen Schlagworten „solus Christus“, „sola gratia“ und „sola fide“. Diese drei zentralen Begriffe wenden sich gegen vermeintliche oder tatsächliche Irrtümer.

Allein Christus – allein aus Gnade – allein der Glaube

Das „solus Christus“ bestreitet, dass der Mensch zu seiner Errettung etwas beitragen kann. Allein Christus hat uns unser Heil bewirkt. Sein Kreuzesopfer auf Golgota ist vollständig und völlig ausreichend für die Errettung aller Menschen. Es muss vom Menschen nichts hinzugefügt werden.

Das „sola gratia“ betont, dass die erbarmende Zuwendung Gottes zum Menschen allein aus Gnade geschieht, dass der Mensch also nicht durch vorausgehende gute Werke oder besondere Frömmigkeit sich einen Anspruch auf das ewige Heil erwerben kann. Man kann es durch nichts verdienen!

Das „sola fide“ wiederum bekennt, dass die einzige Voraussetzung für die tatsächliche Zuwendung des Heils (also die „Rechtfertigung“ und als deren Folge die ewige Seligkeit) allein der Glaube ist, also ebenfalls nicht unsere guten Werke oder unsere Frömmigkeit, aber auch nicht der bloße Empfang von Sakramenten (ohne Glaube).

Diese drei Begriffe markieren somit die Eckpunkte der wichtigsten protestantischen Lehre, der sogenannten „Rechtfertigungslehre“. Allen diesen drei Zentralaussagen kann aus katholischer Sicht (und in katholischer Interpretation!) grundsätzlich zugestimmt werden. Das wurde zuletzt deutlich durch die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die 1999 in Augsburg von Vertretern des Papstes und des Lutherischen Weltbunds unterzeichnet wurde. Im Detail bleiben freilich noch Unterschiede und offene Fragen, die aber heute als „nicht mehr kirchentrennend“ angesehen werden.

Es handelt sich hier um besonders schwierige und komplizierte Themen, die unmöglich auf zwei Seiten umfassend dargestellt werden können. Die folgenden Anmerkungen können daher nicht mehr als eine grobe Skizze der Problematik sein.

Was trägt der Mensch zu seiner Erlösung bei?

Ungeklärt bleibt zwischen den Konfessionen weiterhin, wie die Mitwirkung des Menschen an seiner Erlösung zu verstehen ist. Ist der Mensch durch die Erbsünde so gründlich verdorben, dass er von sich aus nicht einmal mehr die Offenheit für das Evangelium haben kann (so die lutherische Auffassung)? Oder verblieb im Menschen auch nach dem Sündenfall noch wie ein Funke die Sehnsucht nach Gott und damit auch die Möglichkeit, einen kleinen Schritt auf Gott zuzugehen (so die altkirchliche und damit auch katholische Lehre)?

Gibt es hier ein Zusammenwirken von Gott und Mensch („Synergismus“), das sozusagen zur Bedingung dafür wird, dass Gott den Menschen erlösen kann? Wie radikal muss man sich an den Kirchenvater Augustinus anschließen, der gegen Pelagius und seine Anhänger daran festhielt, dass der Mensch aus eigener Kraft den Glauben weder erfassen noch bewahren kann – beides ist vielmehr Geschenk der Gnade Gottes? Gilt das im strengen Sinne, so dass der Mensch wirklich gar nichts beiträgt, zu seiner Erlösung (so Luther), oder würdigt Gott den Menschen gewissermaßen der Teilnahme an seiner eigenen Erlösung? Immerhin hat derselbe Augustinus auch folgenden Satz geprägt, der die katholische Sicht der Rechtfertigungslehre schön zusammenfasst: „Gott, der uns ohne uns erschaffen hat, wollte uns nicht ohne uns erlösen“.

Gerecht gemacht, oder nur gerecht gesprochen?

Verschiedene Akzente werden auch auf die Frage gelegt, ob der Mensch durch die Gnade Gottes gerecht gemacht oder nur gerecht gesprochen wird. Wird also der Mensch durch die Versöhnung mit Gott durch Taufe und gegebenenfalls Bußsakrament wieder ganz heil und sündlos, oder wird er von Gott im Endgericht nur so behandelt, als wäre er sündlos, obwohl er bis zuletzt immer „simul iustus et peccator“, also Gerechter und Sünder zugleich ist? Dies wäre aus katholischer Sicht problematisch. Kann ein Mensch, der sich konsequent der Formung durch den Heiligen Geist hingibt, leben, ohne bewusst zu sündigen, oder ist das dem Menschen seit dem Sündenfall prinzipiell unmöglich, und wenn er sich noch so sehr darum bemüht? Kann der Mensch durch die Kraft der Sakramente und ein tugendhaftes Leben heilig werden, oder wird er allenfalls dadurch heilig, dass Gott ihn im Endgericht trotz all seiner Sünden frei spricht, weil er sein Vertrauen auf Christus gesetzt hat, der allein und aus Gnade jeden rechtfertigt, der an ihn glaubt?

Die protestantische „Heilsgewissheit“

Kann man sich als auf diese Weise Glaubender darauf verlassen, in den Himmel zu kommen, weil es ja nicht auf die Qualität meines Glaubens, sondern auf das auf jeden Fall ausreichende Verdienst Christi ankommt? Aus diesem Gedanken leiten Anhänger der meisten protestantischen Richtungen ihre „Heilsgewissheit“ ab. Sie meinen, wer sein Vertrauen auf Christus setzt, wird von ihm durch das Gericht Gottes hindurchgerettet und kann sich daher seines Heiles schon auf Erden wirklich gewiss sein. Natürlich vertrauen auch wir Katholiken auf Gottes Barmherzigkeit und auf die Heilstat Jesu Christi. Die katholische Theologie dagegen misst dem freien Willen des Menschen viel mehr Bedeutung bei als die protestantische und rechnet daher damit, dass der Glaubende sich Gott nur ungenügend zuwenden oder sogar wieder von Gott abwenden kann und somit das endzeitliche „Gericht nach den Werken“ möglicherweise auch zu einem anderen Urteil kommt.

Gute Werke und ewiger Lohn

Einigkeit besteht also darin, dass der Mensch sich sein Heil nicht in dem Sinne verdienen kann, dass er gegen Gott einen Anspruch darauf erwerben könnte. Uneinigkeit bleibt darin, ob die Mitwirkung des Menschen an seiner Erlösung gleich null oder doch von gewisser Bedeutung ist. Freilich wird der Mensch nach katholischer Lehre auch zu einer solchen Mitwirkung erst durch die Gnade Gottes befähigt. Durch diese Gnade kann er sogar gute Werke tun und sich dadurch ewigen Lohn (nicht das Heil selbst!) verdienen, was für Lutheraner ebenfalls nicht annehmbar ist.

Die Frage nach den guten Werken ist ohnehin für Protestanten eine recht heikle. Der einflussreiche Theologe Nikolaus von Amsdorf (1483-1565) verstieg sich sogar zu der Behauptung, gute Werke seien schädlich zur Erlangung des Seelenheils, weil sie den reinen Geschenkcharakter des Heils verdunkelten! Auch wenn das eine sehr extreme Meinung war, die sich im Luthertum keinesfalls durchsetzte, so zeigt sie doch beispielhaft, wie misstrauisch man aus reformatorischer Perspektive alle menschliche Mitwirkung am Heil betrachtete. Gerechterweise muss hinzugefügt werden, dass in allen Hauptströmungen des Protestantismus der geistliche Schwerpunkt nicht nur auf das richtige Glauben gelegt, sondern auch das Tun guter Werke als eine notwendige Antwort des Menschen auf Gottes vorauslaufende Gnade betrachtet und auch praktiziert wird, ganz entsprechend der Mahnung des Apostels Jakobus: Glaube ohne Werke ist tot (Jak 2,26).

Was steht dazu eigentlich in der Bibel?

Zwar ist die Meinung weit verbreitet, die evangelische Rechtfertigungslehre entspräche auch der Lehre des Apostels Paulus. Wenn man aber dessen Briefe im Zusammenhang liest und mit den übrigen Schriften des Neuen Testaments vergleicht, wird deutlich, dass er nirgends die Meinung vertritt, dass der Mensch ohne eigenes Zutun gerecht wird.

Auf protestantischer Seite bezieht man sich gern auf Röm 3,28, wo in der Lutherübersetzung steht, dass der Mensch „allein aus Glauben“ gerettet wird. Freilich ist genau dieses „allein“ eine eigenmächtige Hinzufügung durch Luther, der meinte, auf diese Weise die eigentliche Absicht des Paulus verdeutlichen zu müssen, obwohl es in keiner Version des Urtextes enthalten ist! Der bei Paulus so häufige Gegensatz von Glauben und Werken (Röm 3,20.28; 4,2-8; 9,32; 11,6; Gal 3,2-5; Eph 2,8-9; Tit 3,5) bezieht sich jedoch auf die Gesetzesreligion des Alten Bundes, nicht auf die Frömmigkeitsregeln und Glaubenspflichten der Christen! Paulus warnt uns natürlich vor jedem Versuch der Selbsterlösung nach dem Motto: Gott muss mich in den Himmel lassen, weil ich so gut bin. Aber er warnt uns ebenso davor, auf Gottes Erlösungswirken unsere menschliche Antwort zu verweigern. Wenn wir beispielsweise Röm 2,7.13, 13,11-14; Kol 1,10; Tit 3,8.14 lesen, zeigt sich, dass Paulus großen Wert auf die guten Werke legte und es sogar als heilsnotwendig ansah, Gutes zu tun und Böses zu lassen. Dass Gott den Menschen ganz ohne dessen Mitwirkung erlöst, steht in keiner dieser Bibelstellen. Somit ist die Lehre des Paulus ganz die katholische.

Zusammenfassung und Ausblick

Was 1517 Anlass gab zum Ausbruch der Reformation, also der Ablasshandel und die Frage, wie man einen gnädigen Gott bekommt, diese Fragen sind einvernehmlich geklärt. Auf Ablasshandel steht in der katholischen Kirche seit dem Trienter Konzil die Strafe der Exkommunikation. Dass der Mensch durch gute Werke sich das Heil nicht verdienen kann, ist ebenfalls schon lange innerkatholischer Konsens. Und dass im Wesentlichen in dieser Frage ein Konsens mit der protestantischen Theologie besteht, wurde durch die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 auch offiziell kundgetan. – Ich meine also: Was 1517 von Luther zu Recht beanstandet wurde, ist katholischerseits in Ordnung gebracht. All das, was uns leider immer noch trennt, sind Fragen und Probleme, die erst im Verlauf der Reformation selbst dazugekommen sind. Ihnen sollen sich die nächsten Folgen dieser Serie widmen.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

Gedanken zur Neuevangelisierung (Teil 1)

Menschenfischer im 21. Jahrhundert

Johannes Paul Chavanne OCist (geb. 1983) ist Pater im Stift Heiligenkreuz bei Wien. Mit 30 Jahren wurde er zum Priester geweiht und als Kaplan in der Pfarre Würflach eingesetzt. Außerdem wurde ihm vom Kloster ab September 2016 die Verantwortung für die Jugend- und Öffentlichkeitsarbeit übertragen. Er ist Assistent des Spirituals am Priesterseminar Leopoldinum in Heiligenkreuz sowie von der Österreichischen Bischofskonferenz mit der Seelsorge bei den Olympischen und Paralympischen Spielen beauftragt. Am 5. Mai 2016 hielt er im Rahmen der „Begegnungstage“ von KIRCHE IN NOT in Altötting einen Vortrag zum Thema Neuevangelisierung, den wir in drei Teilen veröffentlichen. In einem ersten Schritt betrachtet P. Chavanne die Situation in der heutigen Pfarrseelsorge, die zur Resignation verleiten könnte. Als Antwort ruft er zu neuen Wegen der Glaubensvermittlung auf. Im Licht des Evangeliums macht er sich Gedanken zum „Menschenfischer-Sein“.

Von P. Johannes Paul Chavanne OCist 

Der Blick auf die Situation

Es ist meine Überzeugung, dass man sich klar und offen der Realität stellen muss. Alle Theorien haben wenig Bedeutung, wenn sie den Praxistest nicht bestehen. Im Februar dieses Jahres machte ein Priester aus der Diözese Münster Schlagzeilen. Pfarrer Thomas Frings gab bekannt, dass er seine Pfarrei „Heilig-Kreuz“ verlassen würde, um sich in ein Kloster zurückzuziehen und sich neu auszurichten. Dabei spielten Zweifel an seiner priesterlichen Berufung keine Rolle. Im Gegenteil, er sagte: „Ich möchte Priester bleiben. Das ist meins.“ Und doch: Pfarrer wollte er nicht mehr sein. Ich denke, dass sich viele Seelsorger in seinen Worten wiederfinden können. Er sagt: „Ich habe den Glauben daran verloren, dass der Weg, auf dem ich als Gemeindepfarrer mit Freude und Engagement gegangen bin, ein zukunftsweisender ist.“ Weiter: „Solange ich lebe, kenne ich nur eine schwindende Zahl bei den in der Kirche Aktiven und eine wachsende bei den Kirchenaustritten. … Gemeinden, Seminare und Klöster werden geschlossen oder zusammengelegt, um dann meist das Bisherige weiterzumachen. … Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht.“ 90% der Katholiken seiner Pfarrei kommen am Sonntag nicht in die Kirche, 70% nicht einmal zu Weihnachten. Bei Hochzeiten empfinde er sich „nur noch als Dienstleister.“ Die damit verbundene „Ahnungslosigkeit“ sei für ihn „immer schwerer auszuhalten“. Trotz des Versprechens der Eltern können die meisten Erstkommunionkinder bis zur Feier der Erstkommunion weder das Kreuzzeichen noch das Vaterunser. Pfarrer Thomas Frings: „Das sind Realitäten, mit denen ich mich kaum mehr abfinden kann. … Und ich habe mich 25 Jahre als Pfarrer wahrlich bemüht.“ Und dann: „Wir machen immer neue Pläne, Synoden, Foren und Dialogprozesse und wissen genau, dass keines dieser Dinge je eine Trendwende hervorgerufen hat.“ Er fühle sich „bestenfalls … [wie] eine leichte Bremse auf dem Weg des Bedeutungsverlustes“.[1]

Papst Franziskus über die Versuchung der Resignation

Zwei Tage nach dem Rückzug von Pfarrer Frings hielt Papst Franziskus eine Predigt in Morelia in Mexiko. Darin sind Sätze formuliert, die mich getroffen haben. Sie sind besonders an die Priester, Seminaristen und Ordensleute von Mexiko gerichtet, aber wir dürfen sie ruhig auch an uns gerichtet verstehen:

„Was kann eine der Versuchungen sein, die uns bestürmen könnte? Was kann eine der Versuchungen sein, die aufkeimt, wenn wir die Wirklichkeit nicht nur betrachten, sondern uns in ihr bewegen? Welche Versuchung kann über uns kommen? Welche Versuchung können wir immer wieder haben angesichts dieser Wirklichkeit, die sich in ein unverrückbares System verwandelt zu haben scheint?

Ich glaube, wir können sie zusammenfassen mit dem Wort Resignation. Angesichts dieser Wirklichkeit kann uns eine der bevorzugten Waffen des Teufels besiegen: die Resignation. Eine Resignation, die uns lähmt und uns nicht nur hindert zu gehen, sondern auch den Weg zu bereiten; eine Resignation, die uns nicht nur ängstigt, sondern uns dazu führt, uns in unseren ,Sakristeien‘ und scheinbaren Sicherheiten zu verschanzen; eine Resignation, die nicht nur unsere Verkündigung unterbindet, sondern auch unseren Lobpreis; eine Resignation, die uns nicht nur hemmt zu planen, sondern die uns auch hemmt zu wagen und zu verwandeln. Darum, Vater unser, lass uns nicht in Versuchung fallen!"[2]

Meine Überzeugung ist: Jammern hat noch nie etwas besser gemacht. Je weniger Glaube vorhanden ist, umso notwendiger ist eine kraft- und gehaltvolle Verkündigung! Es ist dringend geboten neue Wege der Glaubensvermittlung zu suchen und zu gehen! Die Verkündigung des Evangeliums, das Menschenfischer-Sein ist eine Frage, an der die Zukunft der Kirche hängt. Entweder die Kirche evangelisiert oder sie verschwindet.

Die Verkündigung des Evangeliums ist heute notwendiger denn je. Und ich bin mir auch sicher, dass sie auch heute auf offene Herzen trifft und dass wir heute genauso wie immer die tiefste und innerste Sehnsucht eines jeden Menschen treffen, wenn wir authentisch, mutig und mit Freude dem Auftrag des Herrn treu sind, das Evangelium, die Frohe Botschaft in Wort und Tat verkünden und bezeugen.

Die Kirche hat immer das Evangelium verkündet, indem sie das Wort Gottes verkündet hat, die Sakramente gefeiert hat, Nächstenliebe gelebt hat und damit den Menschen einen Weg gewiesen hat für ein gutes Leben.

Aber heute erreicht die Kirche eine große Zahl an Menschen mit ihrem Weg der „klassischen“ Evangelisierung nicht mehr, daher ist es zu wenig, „business as usual“ zu betreiben. Es braucht einen neuen Aufbruch, einen neuen Schwung, eine neue Begeisterung und sehr wahrscheinlich auch neue Wege, Gott zu den Menschen von heute und die Menschen von heute zu Gott zu bringen. Es braucht das, was seit einer gewissen Zeit „Neuevangelisierung“ genannt wird. Und es sind alle Bereiche der Kirche aufgefordert, sich an diesem neuen Aufbruch zu beteiligen. Papst Franziskus sprach von einer „missionarischen Umgestaltung“ der Kirche.[3] Das missionarische Anliegen muss „das erste sein“. Das missionarische Handeln ist „das Paradigma für alles Wirken der Kirche“. Wir können nicht abwarten und sitzen bleiben und zusehen, wie alles so weitergeht. Es geht um ein Übergehen von einer „rein bewahrenden Pastoral zu einer entschieden missionarischen Pastoral“.[4]

Evangelisierung ist nicht etwas, das die Kirche unter anderen Dingen auch noch tut. Es ist der Sinn ihrer Existenz. Daher sollte die Evangelisierung auch für uns alle mehr sein als nur eine Tätigkeit neben anderen. Evangelisierung ist ein Lebensstil!

Biblisch-spirituelle Gedanken zum „Menschenfischer-Sein“

Das Wort „Menschenfischer“ stammt gemäß dem Evangelium von Jesus selbst. Sein Ursprung ist die Berufungsgeschichte der ersten Jünger. Simon und sein Bruder Andreas sind Fischer, die gerade mitten in ihrer beruflichen Tätigkeit von Jesus angesprochen werden:

„Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen“ (Mk 1,17). Und weiter heißt es: „Sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm“ (Mk 1,18).

Hier wird uns vom „Menschenfischer“ im ersten Jahrhundert erzählt. Aber ich denke, dass wir doch auch einiges herausnehmen können, was dann für „Menschenfischer“ in allen Jahrhunderten gilt, denn „Jesus Christus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8). Und wir glauben und hoffen, dass er auch heute Menschen beruft, zu ihm zu kommen, ihm nachzufolgen und Menschenfischer zu sein.

„Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“

Jesus beruft aus eigener Vollmacht diese ersten beiden Apostel. Er beruft sie zu ihm zu kommen und ihm nachzufolgen. Und damit verbunden auch: alles andere zurückzulassen, das Risiko einzugehen, menschliche Sicherheiten zurückzulassen und darauf zu vertrauen, dass dieser neue Weg trotzdem gut ausgeht.

Das „Menschenfischer“-Sein ist damit verbunden, zuerst zu Jesus zu kommen und ihm nachzufolgen, also das Leben mit ihm zu teilen. Und dann: Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Das heißt: Niemand „macht“ sich selbst zum Menschenfischer, sondern Jesus macht die, die er beruft, zu Menschenfischern.

Zuerst also: Zu Jesus kommen, ihm nachfolgen. Dann, in die Zukunft hinein formuliert: Ich werde Euch zu Menschenfischern machen. Ich werde das bewirken, dass ihr Menschenfischer sein werdet, wenn ihr zu mir gekommen seid und mir nachfolgt. Zuerst besteht die Berufung darin, bei ihm zu sein und ihm nachzufolgen. Daraus wird dann die Sendung: Menschenfischer zu sein. Indem Jesus uns ruft und indem wir zu ihm kommen und ihm nachfolgen, macht er uns zu Menschenfischern.

Ich finde es interessant, dass bei der Berufung der Apostel im Markusevangelium (Mk 3,13-19) dann auch genau diese Struktur gegeben ist: zuerst bei Jesus sein, dann ausgesandt werden. „Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben wollte und die er dann aussenden wollte, damit sie predigen und mit Vollmacht Dämonen austreiben“ (Mk 3,14-15). Zuerst will Jesus sie bei sich haben, dann will er sie aussenden, damit sie predigen und Dämonen austreiben.

Was heißt das für uns? Jesus „macht“ uns zu Menschenfischern, indem er uns zu sich ruft, in seine Nähe und in seine Nachfolge ruft. Diese Bewegung: hin zu Jesus, in Seine Nähe, in Seine Fußspuren und in Seine Nachfolge – das heißt: das Von-Ihm-Lernen, das Ihm-Zuhören und Ihm-Begegnen – und dann das Ausgesandt-Werden, das Menschenfischer-Werden, das wird wohl immer zum Leben eines Menschen gehören, der „Menschenfischer“ ist, im ersten Jahrhundert genauso wie im 21. Jahrhundert. Jesus ist also der, der Menschenfischer „macht“ und so ist er auch der bleibende Maßstab. Aus der inneren Begegnung mit Jesus Christus wächst die Sehnsucht und die Fähigkeit, Menschen für ihn zu gewinnen.

Denn wenn wir die Netze auswerfen, um Menschen für Gott zu gewinnen, dann setzen wir ja nur Seine Sendung fort, die Menschen zu sammeln für das Volk Gottes und es zu Gott hinzuführen, der alle Menschen retten will. An dieser Seiner Sendung hat jeder und jede in der Kirche auf je eigene Weise Anteil.

Der Menschenfischer schlechthin ist Jesus selbst.

Es gibt eine Erzählung in der Heiligen Schrift, in der – wie ich finde – wir so etwas wie die „pastorale Methode“ des „guten Hirten“ Jesus besonders schön und deutlich sehen können. Es ist die Erzählung von dem Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4,1-42).

Jesus führt in diesem Gespräch eine Sünderin ganz behutsam zur Erkenntnis ihrer selbst und zur Erkenntnis des wahren Gottes. Wie tut er das?

Zunächst tritt er nicht als Belehrender auf, sondern, im Gegenteil, er kommt zu dieser Frau, weil er selbst ein Bedürfnis hat. Er kommt als Bittender, als Fragender: „Gib mir zu trinken!“ Augustinus deutete diese Stelle ja so: Jesus „dürstet nach dem Glauben der Frau."[5]

Es entwickelt sich ein Gespräch. Jesus hört zu, er fragt nach, er ist geduldig und barmherzig. Er spricht mit ihr über das, was sie betrifft: über das Wasserholen. Und er verheißt ihr ein Wasser, das allen Durst für immer löscht. Und er wird persönlich. Er spricht persönlich, er spricht ein sehr persönliches Thema dieser Frau an: „Geh, ruf deinen Mann. … Du hast richtig gesagt: ich habe keinen Mann, denn fünf hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.“

Und am Ende dieses langen Gespräches steht diese Frau vor der Erkenntnis ihrer selbst und der Erkenntnis Gottes. Am Ende dieses Weges, den Jesus mit ihr gegangen ist, erkennt sie Jesus als den „Messias“. Mehr noch, sie wird zur Missionarin. Sie geht jetzt in das Dorf und holt auch die anderen, damit sie zu Jesu kommen. „Viele Samariter aus jenem Ort kamen zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben, und er blieb…“

Schön. Aber: Wie fängt diese ganze schöne Bekehrungsgeschichte an? Es ist eine ganz einfache Sache, aber ich halte sie für uns als „Menschenfischer“ unserer Zeit für wichtig: Jesus setzt sich zu dieser Frau und er spricht sie an.

Ich denke, das ist eine ganz einfache, aber sehr praktische Sache, die wir von Jesus übernehmen können: zu den Menschen gehen. Ganz praktisch, indem wir dorthin gehen, wo sie sind, uns zu ihnen setzen, das heißt: uns Zeit nehmen für sie und sie ansprechen.

Ich habe, gerade in der Zeit als Kaplan in der Pfarre Würflach, in der ich eingesetzt war, das immer wieder erlebt, dass solche menschliche Begegnungen zu Wegen des Glaubens wurden. Nicht immer gleich, aber doch mit der Zeit.

Menschenfischer kann man nicht nur in der Theorie sein und nicht aus einer Distanz heraus. Menschenfischer kann man nur im Kontakt mit Menschen und in der Nähe zu Menschen sein. Man kann keine Menschen fischen, wenn man Menschen meidet!

Die Menschen haben – gerade vor uns Priestern – oft eine Scheu. Viele trauen sich nicht uns anzusprechen. Die Angst der Menschen, uns anzusprechen, ist größer als unsere Angst, dass wir andere ansprechen. Daher liegt es an uns, auf die Menschen zuzugehen.

Da geht es oft um ganz einfache, aber wesentliche Dinge: um das Abbauen von Vorurteilen – eine der wichtigsten pastoralen Angelegenheiten. Es geht um menschliche Begegnung auf Augenhöhe. Es geht um ein Zuhören und Ernstnehmen der Menschen in den Angelegenheiten ihres Lebens. Und es geht um ein stilles Zeugnis für die Wahrheit Gottes.

Aber noch einmal: Es geht um echten Kontakt mit echten Menschen. Das und nur das kann dann zum Menschenfischen werden. Theorien und abstrakte Konjunktive a la „man könnte…“ oder: „man müsste…“ haben nur so weit einen Sinn, als dass sie auch den Praxistest bestehen können.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Den schonungslos realistischen Text kann man hier nachlesen: www.facebook.com/kreuzkirche.muenster/posts/916981931710887
[2] Papst Franziskus: Predigt bei der Messe mit Priestern, Seminaristen und Ordensleuten in Morelia, 16.Februar 2016.
[3] Ders.: Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium, 19.
[4] Ebd., 15.
[5] Augustinus, in Joh. Ev., 15,11.

Pro-Life-Marsch von Innsbruck nach Bregenz

Was ist uns ein Kind wert?

Vom 20. August bis zum 3. September 2016 findet in Österreich ein außergewöhnlicher Pro-Life-Marsch statt. Es geht zu Fuß 250 Kilometer von Innsbruck nach Bregenz. Josef Büchsenmeister, der Vorsitzende der „Jugend für das Leben“, lädt herzlich zur Teilnahme an der Aktion ein und gibt mit einem persönlichen Erlebnisbericht einen überzeugenden Denkanstoß zur Frage: Was ist uns ein Kind wert? Denn nach der Entfernung seiner Weisheitszähne hat er das Gefühl, dass „in Österreich Weisheitszähne mehr wert sind als ein Kind vor der Geburt“.

Von Josef Büchsenmeister

Vor ein paar Wochen entschloss ich mich, mir meine Weisheitszähne ziehen zu lassen. Sie machten sich bemerkbar, sie schmerzten, hin und wieder entzündeten sie sich und außerdem verschoben sie ständig den Rest meiner Zähne. Kurz: sie störten, und ich wollte mich nicht für den Rest meines Lebens mit ihnen abgeben.

Zwei Termine beim Zahnarzt

Also griff ich zum Handy und meldete mich beim Zahnarzt meines Vertrauens. Doch was war das? Ich musste mir zwei Termine ausmachen! Einen Termin für ein Informationsgespräch und einen Termin für das eigentliche Zahnziehen. Alles kein Problem, schließlich ist es ja auch nicht ganz unproblematisch, so einen Zahn zu entfernen. Gesagt, getan. Ich hatte mein Informationsgespräch. Der Zahnarzt informierte mich genauestens darüber, welche Risiken beim Entfernen der Weisheitszähne bestehen. Unter anderem wurden als Risiken aufgezählt:

Infektionen, Wundheilungsstörung – Blutung, Nachblutung – Thrombose, Embolie – Allergie, Überempflindlichkeitsreaktion – Schmerzen, Schwellung – Teilerfolg, Misserfolg.

Außerdem wurde ich noch auf die Alternative aufmerksam gemacht, nämlich die, die Zähne einfach nicht ziehen zu lassen. Das war für mich keine Option. Für mich stand auch nach dem Beratungsgespräch fest: Die Zähne müssen raus! Doch das konnte nicht gleich geschehen. Ich bekam einen Zettel mit allen Infos mit nach Hause, den ich mir noch einmal in Ruhe durchlesen und dann unterschreiben sollte. Wichtig war, dass ich den Zettel 24 Stunden vor dem Eingriff in der Hand hatte und mir so noch genügend Zeit blieb, darüber nachzudenken.

Eingriff von 15 Minuten

Fünf Tage später hatte ich den Termin. Etwas nervös war ich schon, als ich die Arztpraxis betrat. Ich gab den Zettel mit meiner Einverständniserklärung ab (die ich genau durchgelesen hatte) und begab mich dann in ein Behandlungszimmer. Dort wurde ich noch einmal über den Hergang der Operation aufgeklärt. Und dann ging’s in den Operationsaal. Etwa fünfzehn Minuten später waren drei überflüssige Zähne (der vierte Weisheitszahn war gar nicht vorhanden) professionell und unter Betäubung aus meinem Kiefer entfernt worden. Man röntgte mich noch, obendrauf bekam ich Schmerztabletten verschrieben. Eine Tablette musste ich nehmen, wenn die Betäubung nachlässt, und eine vor dem Schlafengehen. Doch zum Abschluss bekam ich noch ein Souvenir: meine drei Weisheitszähne, die ich über zehn Jahre in mir herumgetragen hatte! Voller Stolz betrachtete ich die blank polierten weißen Klumpen. Schön waren sie ja doch. Gestern hatte ich noch versucht, sie mit meiner Zahnbürste zu erreichen, heute lagen sie unschuldig in meiner Hand. Die Operationswunden heilten schnell. Schmerztabletten brauchte ich nur den ersten Tag, bei dem Kontrolltermin eine Woche später war alles fast vollständig verheilt.

Vergleich mit der Tötung eines Kindes durch Abtreibung

Doch wie ist das mit Abtreibung in Österreich? Wie sieht es hier mit der verpflichtenden Beratung aus? Wie wird man hier auf die Alternativen aufmerksam gemacht? Muss man hier – wie bei einem Weisheitszahn – auch 24 Stunden Zeit haben, um nachzudenken? Nein. Eine Frau hat keine Zeit, sich in Ruhe die Alternativen durch den Kopf gehen zu lassen. Zwar gibt es ein verpflichtendes Beratungsgespräch, dieses wird aber direkt vor der Abtreibung durchgeführt. Und das Beste daran: dieses Gespräch führt der Abtreibungsarzt selbst. Der Arzt, der sein Geld mit Abtreibung verdient, klärt die Frau darüber auf, warum sie eventuell nicht abtreiben lassen sollte. In Österreich scheint also einem Weisheitszahn mehr Bedeutung zuzukommen als einem Kind vor der Geburt. Um einen Weisheitszahn ist es ja wirklich nicht schade. Aber ein Kind, das getötet wird, soll völlig egal sein? Eine Abtreibung ist ein weit schwerwiegenderer Eingriff, als einen Zahn zu ziehen. Während ich mich kindlich über meine gezogenen Weisheitszähne freue, trauern in Österreich tausende Mütter ihrem Kind nach, einem Kind, das eigentlich nicht hätte sterben müssen. Ich bekam meine Zähne schön gesäubert und gebleicht mit nach Hause. Bei einer Abtreibung würde niemand nur ansatzweise darüber nachdenken, der Frau die Überreste ihrer „Schwangerschaft“ nach Hause mitzugeben! Warum nicht? Weil es nicht einfach nur ein langweiliges „Schwangerschaftsgewebe“ ist, sondern ein Kind, das schon Hände, Füße und ein Gesicht hat.

Öffentlichkeitsarbeit ist Gebot der Stunde

Was kann man machen? Für die Kinder vor der Geburt wäre schon sehr viel getan, wenn das Beratungsgespräch vor einer Abtreibung von einer Person durchgeführt würde, die selbst kein Interesse daran hat, dass die Frau ihr Kind abtreiben lässt. Außerdem sollte eine Frau nach dem Beratungsgespräch noch drei Tage Zeit haben, zu überlegen, ob sie ihr Kind nicht doch behalten möchte. Dies würde im völligen Stress erst einmal Raum und Ruhe zum Nachdenken geben. Eine so wichtige Entscheidung kann nicht innerhalb von fünf Minuten im Abtreibungszimmer getroffen werden.

Und wenn so eine Idee politisch völlig blockiert wird? Als ersten Schritt könnte man eine Bedenkfrist von 24 Stunden einführen. Wie bei meinem Weisheitszahn. Doch unsere Politiker stehen oft unter massiven Druck. Sobald sie nur andeuten, dass sie gegen Abtreibung sind, müssen sie oft mit einem massiven Aufschrei in den Medien und der Öffentlichkeit rechnen. Wir müssen diesen Politikern zeigen, dass wir hinter ihnen stehen und sie unterstützen!

Pro-Life-Marsch von Innsbruck nach Bregenz

Daher gehen wir vom 20. August bis zum 3. September von Innsbruck nach Bregenz. 250 Kilometer. Zu Fuß. Noch werden in Tirol und Vorarlberg keine Abtreibungen in öffentlichen Krankenhäusern durchgeführt. Doch es gibt zwei Ärzte, die in Tirol und Vorarlberg zusammen mehr als tausend Abtreibungen pro Jahr durchführen. Wir wollen diesen Ärzten zeigen, dass kein Arzt abtreiben sollte und dass bei jeder Abtreibung ein Kind stirbt.

Dafür brauchen wir jeden, der von der Notwendigkeit des Lebensschutzes überzeugt ist und die Möglichkeit hat, an dieser Aktion teilzunehmen! Der Pro Life Marsch wird sicherlich eines der schönsten und eindrucksvollsten Erlebnisse, die wir jemals hatten. Wir können vor der Welt ein Zeugnis dafür ablegen, dass jede Abtreibung ein großes Unrecht ist und dass es immer eine bessere Lösung gibt.

Information und Anmeldung

Die Anmeldung ist möglich bis zum 5. August 2016 unter jugendfuerdas leben.at/plm oder office@youthforlife.net

Der Unkostenbeitrag begrägt: 100,- € für den ganzen Marsch; 60,- € pro Woche; 10,- € pro Tag (man kann auch tageweise mitgehen). Geschwister zahlen die Hälfte.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
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„Rachels Weinberg“ – Heilungsseminare nach einer Abtreibung

Das Leben, was sonst

Der katholische Theologe und Literaturwissenschaftler Dr. Manfred M. Müller hat ein Heilungskonzept für Personen erarbeitet, die an den seelischen Folgen einer Abtreibung leiden. 2006 brachte er das Buch „Mehr Licht. Die Heilung der Abtreibungswunden“ heraus. Auf 214 Seiten beschäftigt er sich eingehend mit dem Post Abortion Syndrom (PAS). Ergänzend erschien eine 40-seitige Broschüre mit dem Titel „Fünf Schritte. Die Heilung der Abtreibungswunden“.[1] Nun engagiert er sich vor allem als Seelsorger im Rahmen von Heilungsseminaren für Frauen und Männer, die nach einer Abtreibung unter mentalen bzw. psychisch-emotionalen Störungen leiden. Diese Wochenendveranstaltungen werden in Deutschland und Österreich unter der Bezeichnung „Rachels Weinberg“ angeboten. Nach neueren Untersuchungen leiden 80 Prozent der Frauen nach einer Abtreibung unter Schuldgefühlen, Stimmungsschwankungen und Depressionen. Müller erlebt auf erschütternde Weise, wie solche Menschen im Licht der Wahrheit des Geschehenen durch die Versöhnung mit Gott und allen Beteiligten regelrecht zu einem neuen Leben „auferstehen“.

Von Manfred M. Müller

Heilige reden unumwunden. Oder können wir uns einen Heiligen vorstellen, der um den Brei herum redet und vor lauter wenn und aber und vielleicht und womöglich Verwirrung stiftet statt Klarheit schafft? Nein, das können wir uns nicht vorstellen. Und genau deswegen sind Heilige für uns Wegweiser.

Das Zeugnis von Mutter Teresa

Zum Beispiel Mutter Teresa. Als sie im Jahr 1979 den Friedensnobelpreis erhält, redet sie Klartext. Und dies vor allen versammelten Honoratioren und im Grunde vor der gesamten Weltöffentlichkeit, denn es war, dem Anlass entsprechend, offensichtlich, dass die Rede Mutter Teresas nicht im stillen Osloer Kämmerlein bleiben würde. Und was sagte Mutter Teresa? Sie sagte unter anderem Folgendes:

„Ich habe eine Überzeugung, die ich Ihnen allen mitteilen möchte: Der größte Zerstörer des Friedens ist heute der Schrei des unschuldigen, ungeborenen Kindes. Wenn eine Mutter ihr eigenes Kind in ihrem eigenen Schoß ermorden kann, was für ein schlimmeres Verbrechen gibt es dann noch, als wenn wir uns gegenseitig umbringen? Sogar in der Heiligen Schrift steht: ,Selbst wenn die Mutter ihr Kind vergessen könnte, ich vergesse es nicht.‘

Aber heute werden Millionen ungeborener Kinder getötet, und wir sagen nichts. In den Zeitungen lesen wir dieses und jenes, aber niemand spricht von den Millionen von Kleinen, die empfangen wurden mit der gleichen Liebe wie Sie und ich, mit dem Leben Gottes. Und wir sagen nichts, wir sind stumm. Für mich sind die Nationen, die Abtreibung legalisiert haben, die ärmsten Länder. Sie fürchten die Kleinen, sie fürchten das ungeborene Kind.“

Die Deutlichkeit dieser kleinen albanischen Frau lässt nichts zu wünschen übrig. Und diese Deutlichkeit ist heilsam. Denn jede Krankheit – und die sogenannte Legalisierung der Abtreibung ist eine Krankheit – kann erst dann kuriert werden, wenn sie zunächst mal recht diagnostiziert ist. Mutter Teresa, die heuer heiliggesprochen wird, hat sich vor der Diagnose nicht gescheut; wir sollten sie daher immer wieder anrufen, um im Kampf für das Leben standhaft zu bleiben. Denn darum geht‘s ja: Um‘s Leben.

„Mit dem Kind starb auch ein Teil von mir selbst“

Der Gegensatz zum Leben ist der Tod. Die Heilige Schrift bringt den Gegensatz sehr präzise zum Ausdruck, bereits im Alten Testament, wenn es heißt:

„Hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor. Wenn du auf die Gebote des Herrn, deines Gottes, auf die ich dich heute verpflichte, hörst, indem du den Herrn, deinen Gott, liebst, auf seinen Wegen gehst und auf seine Gebote, Gesetze und Rechtsvorschriften achtest, dann wirst du leben und zahlreich werden, und der Herr, dein Gott, wird dich in dem Land, in das du hineinziehst, um es in Besitz zu nehmen, segnen. … Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen.“

Derjenige, der, oft aus einer Notlage oder einem In-die-Enge-Getriebensein heraus, die Abtreibung wählt, wählt damit den Tod. Nicht nur den Tod des ungeborenen Kindes, sondern auch den eigenen Tod. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit. Und ich weiß, wovon ich rede. Denn immer wieder sagen Frauen, die eine oder mehrere Abtreibungen hinter sich haben und später, häufig erst Jahre später, aus der Verdrängung aufwachen, genau dies: Mit dem Kind starb auch ein Teil von mir selbst.

Das Geschehene in seiner Wahrheit verstehen

Was tun, wenn diese Erkenntnis dämmert? Verzweifeln? Aufgeben? Resignieren für immer?

Hören wir, was ein anderer Heiliger, nämlich Johannes Paul II., sagte – nicht zu irgendjemandem, sondern zu den Frauen, die eine Abtreibung hinter sich hatten. Der Papst sagte:

„Einen besonderen Gedanken möchte ich euch, den Frauen, vorbehalten, die sich für eine Abtreibung entschieden haben. Die Kirche weiß, wie viele Bedingtheiten auf eure Entscheidung Einfluss genommen haben können, und sie bezweifelt nicht, dass es sich in vielen Fällen um eine leidvolle, vielleicht dramatische Entscheidung gehandelt hat. Die Wunde in eurem Herzen ist wahrscheinlich noch nicht vernarbt. Was geschehen ist, war und bleibt in der Tat zutiefst unrecht. Lasst euch jedoch nicht von Mutlosigkeit ergreifen, und gebt die Hoffnung nicht auf. Sucht vielmehr das Geschehene zu verstehen und interpretiert es in seiner Wahrheit. Falls ihr es noch nicht getan habt, öffnet euch voll Demut und Vertrauen der Reue: der Vater allen Erbarmens wartet auf euch, um euch im Sakrament der Versöhnung seine Vergebung und seinen Frieden anzubieten.“

Das ist die Wahrheit und die Barmherzigkeit der Kirche. Wir Menschen sind Sünder, und Abtreibung ist eine Sünde, aber nicht die Sünde hat das erste oder letzte Wort, sondern das Erbarmen, vorausgesetzt der Mensch bereut und kehrt um und bittet Gott um den Neuanfang. Und Gott – auch dies kann ich bezeugen – schenkt diesen Neuanfang.

Spirituelle Einkehrwochenenden zur Heilung

Seit mehreren Jahren gibt es, nach etlichen Ländern weltweit, auch in Österreich und Deutschland spirituelle Einkehrwochenenden für Frauen und Männer nach Abtreibung. In diesen Tagen der Hoffnung und Heilung werden die Betroffenen ernst genommen, und das meint, das Leiden nach der Abtreibung wird nicht klein geredet, nicht bagatellisiert oder verdrängt, sondern zur Sprache gebracht.

Es ist erschütternd, in solchen Einkehren wahrzunehmen, wie oft eine Entscheidung zur Abtreibung in einem familiären Kontext von multiplen Abtreibungen steht (die Mutter hat bereits abgetrieben, die Großmutter gleichfalls) oder im Kontext von Missbrauch. Es geht einem zudem nahe, immer wieder konkret zu erfahren, wie die Abtreibung destruktive Kreise zieht: Überlebende Geschwister leiden (Warum wurden sie nicht abgetrieben? Warum haben sie überhaupt überlebt? Muss man bestimmte Kriterien erfüllen, um zu überleben?), Ehen gehen in die Brüche, Familien werden schleichend zerstört, ja wir alle, da wir nun mal Mit-Menschen sind, sind, ob wir es wollen oder nicht, auch Mit-Betroffene.

Und es ist wie so oft: Wenn ein Schmerz nicht mehr zum Aushalten ist, dann kann es sein, dass sich die Tür der Verdrängung allmählich öffnet. Ich bewundere die Frauen und Männer, die schließlich gegen den Strom schwimmen und damit exakt das tun, was Johannes Paul II. ihnen wünschte: die Wunde der Abtreibung in Wahrheit anzuschauen.

Auferstehung aus dem Tod

Diese Frauen und Männer, und das ist die Fortsetzung der Frohen Botschaft des Evangeliums in die Jetztzeit hinein, wissen, wenn sie sich dem Wort Jesu: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben anvertrauen, dass der Heiland keine Gipsfigur aus barocken Zeiten ist, sondern wie eh und je der lebendige Gott, der heute den verlorenen Schafen nachgeht, um ihnen das Leben zu schenken, das Leben in Fülle. Auferstehung mag für viele Christen ein theologisches, frommes Wort unter vielen anderen frommen Vokabeln sein. Ich sage jedoch seit Jahren: Für die Frauen und Männer, die sich nach der Abtreibung dem heilsamen Weg der Ehrlichkeit, der Trauer, der Reue, der Vergebung, mit einem Wort: der Gnade Gottes öffnen, für die gewinnt die Auferstehung die Bedeutung, die sie tatsächlich hat: Neuschaffung. Auferstehen aus dem Tod. Darum ist in Zeugnissen, die von der heilsamen Erfahrung der Heilung der Abtreibungswunden erzählen, immer wieder die Rede von Neusein: von neuem Leben, neuem Aufatmen, neuem Mut, neuer Hoffnung.

Fünf notwendige Schritte

Ich habe vor Jahren in einem kleinen Buch, welches mittlerweile in erweiterter dritter Auflage erschienen ist, die notwendigen Heilungsschritte nach Abtreibung kurz in fünf Schritten zusammengefasst, die jedem, der sich bereitwillig dem Thema annähert, einleuchten:

1. Das Ja zum Schmerz (die Frau – analog der Mann – anerkennt ihren/seinen Schmerz).

2. Das Ja zum Namen (die Frau nennt das Vergangene beim korrekten Namen).

3. Das Ja zu Trauer und Schuld (die Frau bekennt ihr Vergehen und betrauert das Geschehene).

4. Das Ja zu Versöhnung und Vergebung (die Frau sucht die Versöhnung/Vergebung mit ihrem Kind, mit dem Kindsvater, mit den an der Abtreibung Beteiligten, mit sich selbst und mit Gott) und

5. Das Ja zum Leben (die Frau entscheidet sich bewusst für das Leben).

Folgen der Abtreibung können nicht geleugnet werden

Man muss es infam nennen, wenn es selbst heute, 2016, noch immer Stimmen gibt, die das Leiden nach einer Abtreibung verharmlosen oder negieren, entweder derart, dass die negativen Folgen der Abtreibung in Bausch und Bogen in Abrede gestellt werden als Erfindung von Lebensschützern, oder in der Weise, dass den Frauen, die ihren Schmerz endlich artikulieren, eingeredet wird, sie seien halt keine robusten Naturen, ansonsten hätten sie die Abtreibung wie die Extraktion eines Weisheitszahns locker überstanden.

Dabei kann jeder, wenn er nur will, heutzutage massenweise Zeugnisse, vorzugsweise im Internet, finden, in denen vor allem betroffene Frauen über ihre postabortiven Depressionen, über Alpträume, Panikattacken, Flashbacks, Beziehungsstörungen, Selbstwertverlustgefühle, emotionales Absterben, Suizidgedanken, Medikamenten- und Drogenabusus usw. freimütig berichten. Und wer handfeste Studienergebnisse braucht, der kann auch diese finden. Und ehrlich: Ist es nicht das Allerselbstverständlichste, dass die Tötung eines Kindes nicht spurlos an einem vorübergehen kann? Wo sind wir angekommen, wenn wir das Leiden nach einem Tötungsgeschehen als Störung oder gar Einbildung etikettieren statt als das, was es ist: Wahrheit, die nicht auslöschbar ist.

Das Leben neu zum Blühen bringen

Eine Frau, die ein Rachels Weinberg Einkehrwochenende (so der Name des Heilungsseminars für Frauen und Männer nach Abtreibung) mitgemacht hat, schrieb: „Ich bin durch 14 Jahre Therapie und Antidepressiva gegangen. Ich habe meine Abtreibung hundertmal gebeichtet. Gerade als ich dachte, dass ich diesen Schmerz nicht länger aushalte, hat mir dieses Wochenende buchstäblich das Leben gerettet.“

Wie wunderbar, wenn das Leben – das Leben – wieder aufzublühen beginnt.

Wer mehr wissen will

Infos zu Rachels Weinberg im deutschsprachigen Raum unter:
www.rachelsweinberg.de

International unter:
www.rachelsvineyard.org

Kontaktmöglichkeit bei Interesse an Heilungswochenenden in Deutschland:
rachelsweinberg@email.de

Kontaktmöglichkeit bei Interesse an Heilungswochenenden in Österreich:
info@rachelsweinberg.at

Erste Literatur zum Thema: Manfred M. Müller: Fünf Schritte. Die Heilung der Abtreibungswunden, Immaculata Verlag, 3., erweiterte Auflage 2015:
www.immaculata.at

Studienergebnisse zum Thema generell:
www.afterabortion.org

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Neuauflage 2015! Manfred M. Müller: Fünf Schritte – Die Heilung der Abtreibungswunden. Mit neuem, überarbeitetem Anhang (Hilfsadressen, Kontakte, Internet, Video, Literatur etc.). Immaculata Verlag, Klappenbroschur, 58 Seiten, ISBN 978-3-9503846-1-1, 5,-- Euro (D/A) – www.immaculata.at

Neue Wege und neue Pforten der Barmherzigkeit

Gott ist barmherzig

Der bekannte Historiker und Vatikanjournalist Ulrich Nersinger (geb. 1957) hat ein Buch zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit herausgebracht.[1] Er führt in die Geschichte und Bedeutung des jüdischen Jobelfestes und der christlichen Heiligen Jahre ein, zeigt aber auch auf, welche neuen Akzente Papst Franziskus für die Feier des Jubiläumsjahres 2016 setzt, damit die erlösende Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes die Menschen unserer Zeit erreichen kann. Der Papst sehe die Worte, die Gott zum Propheten Ezechiel (33,11) im Alten Testament gesprochen hat, auch auf sich bezogen: „Sag zu ihnen: So wahr ich lebe – Spruch Gottes des Herrn –, ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass er auf seinem Weg umkehrt und am Leben bleibt!“

Von Ulrich Nersinger

Am 11. April 2015 übertrug der Centro Televisivo Vaticano, das Vatikanische Fernsehzentrum, in Zusammenarbeit mit ausländischen Fernsehstationen weltweit eine Zeremonie aus dem Atrium der Petersbasilika. Dort hatte sich Papst Franziskus mit Kardinälen, Bischöfen, Vertretern der mit Rom unierten Ostkirchen, Mitgliedern der Römischen Kurie und des Päpstlichen Hauses, Klerikern und vielen Gläubigen zu einem ganz besonderen Anlass eingefunden. Es war der Tag, an dem die Bulle Misericordiae Vultus – „Antlitz der Barmherzigkeit“ feierlich erlassen wurde, die ein Außerordentliches Heiliges Jahr für die Zeit vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 ankündigte. Vor der Heiligen Pforte von Sankt Peter verlas ein Apostolischer Protonotar einige Abschnitte aus der päpstlichen Verfügung.

Ausrufung einer Gnadenzeit

In der Verkündigungsbulle erklärte der Papst, warum er ein Heiliges Jahr ausrufe: „Barmherzigkeit – in diesem Wort offenbart sich das Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Barmherzigkeit ist der letzte und endgültige Akt, mit dem Gott uns entgegentritt. Barmherzigkeit ist das grundlegende Gesetz, das im Herzen eines jeden Menschen ruht und den Blick bestimmt, wenn er aufrichtig auf den Bruder und die Schwester schaut, die ihm auf dem Weg des Lebens begegnen. Barmherzigkeit ist der Weg, der Gott und Mensch vereinigt, denn sie öffnet das Herz für die Hoffnung, dass wir, trotz unserer Begrenztheit aufgrund unserer Schuld, für immer geliebt sind. Es gibt Augenblicke, in denen wir aufgerufen sind, in ganz besonderer Weise den Blick auf die Barmherzigkeit zu richten und dabei selbst zum wirkungsvollen Zeichen des Handelns des Vaters zu werden. Genau darum habe ich ein Außerordentliches Jubiläum der Barmherzigkeit ausgerufen. Es soll eine Zeit der Gnade für die Kirche sein und helfen, das Zeugnis der Gläubigen stärker und wirkungsvoller zu machen.“

Jubiläumsjahr: 50 Jahre II. Vatikanum

Den 8. Dezember als Eröffnungstermin des Heiligen Jahres habe er gewählt, weil er eine große und immer noch nachwirkende Bedeutung in der jüngsten Kirchengeschichte besitze. Denn an genau diesem Datum sei fünfzig Jahre zuvor das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) beendet worden: „Die Kirche spürt das Verlangen, diesen Moment lebendig zu erhalten. Für sie begann damals ein neuer Weg in ihrer Geschichte. Eine neue Etappe der immer anstehenden Evangelisierung hatte begonnen. Eine neue Verpflichtung für alle Christen, mit verstärktem Enthusiasmus und voller Überzeugungskraft Zeugnis für ihren Glauben abzulegen. Die Kirche spürte die Verantwortung, in der Welt das lebendige Zeichen der Liebe des Vaters zu sein.“

Barmherzigkeit und Ablass

Der Papst zögert in der Bulle nicht, auf den Wert des Ablasses hinzuweisen: „Ein Jubiläum bringt es mit sich, dass wir auch auf den Ablass Bezug nehmen. Dieser gewinnt besondere Bedeutung im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit. Die Vergebung unserer Sünden durch Gott ist grenzenlos. Im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi lässt Gott seine Liebe sichtbar werden, die selbst die Sünden der Menschen zerstört. Sich mit Gott zu versöhnen wird möglich aufgrund des Pascha-Mysteriums und durch die Vermittlung der Kirche. Gott zeigt sich immer bereit zur Vergebung und er wird nicht müde, sie immer wieder neu und in unerwarteter Weise anzubieten. Dennoch machen wir die Erfahrung der Sünde. Wir wissen, dass wir zur Vollkommenheit berufen sind (vgl. Mt 5,48), aber wir spüren die schwere Last der Sünde.“

Denn „während wir die Macht der Gnade wahrnehmen, die uns verwandelt, merken wir auch, wie sehr uns die Kraft der Sünde bestimmt. Trotz der Vergebung ist unser Leben geprägt von Widersprüchen, die die Folgen unserer Sünden sind. Im Sakrament der Versöhnung vergibt Gott die Sünden, die damit wirklich ausgelöscht sind. Und trotzdem bleiben die negativen Spuren, die diese in unserem Verhalten und in unserem Denken hinterlassen haben. Die Barmherzigkeit Gottes ist aber auch stärker als diese. Sie wird zum Ablass, den der Vater durch die Kirche, die Braut Christi, dem Sünder, dem vergeben wurde, schenkt und der ihn von allen Konsequenzen der Sünde befreit, sodass er wieder neu aus Liebe handeln kann und vielmehr in der Liebe wächst, als erneut in die Sünde zu fallen.“

Ablass und Heilige Pforte

In einem Brief an Erzbischof Rino Fisichella, den Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Förderung der Neuevangelisierung, schrieb Papst Franziskus: „Um den Ablass zu leben und zu erlangen, sind die Gläubigen aufgerufen, als Zeichen der tiefen Sehnsucht nach wahrer Umkehr einen kurzen Pilgergang zur Heiligen Pforte zurückzulegen, die in jeder Kathedrale oder vom Diözesanbischof bestimmten Kirche und in den vier päpstlichen Basiliken in Rom geöffnet wird. Ebenso lege ich fest, dass der Ablass auch erlangt werden kann in den Wallfahrtskirchen, wo die Pforte der Barmherzigkeit geöffnet wurde, sowie in den traditionell als Jubiläumskirchen ausgewiesenen Gotteshäusern. Es ist wichtig, dass dieser Moment vor allem mit dem Sakrament der Versöhnung und der Feier der heiligen Eucharistie einschließlich einer Reflexion über die Barmherzigkeit verbunden ist. Es wird nötig sein, dass diese Feiern das Glaubensbekenntnis ebenso umfassen wie das Gebet für mich und für die Anliegen, die mir am Herzen liegen zum Wohl der Kirche und der ganzen Welt.“ …

An die kranken, alten und einsamen Menschen

Der Papst denkt in seinem Brief auch an „all jene, denen es aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich sein wird, sich zur Heiligen Pforte zu begeben, in erster Linie an die Kranken und die alten, einsamen Menschen, die häufig das Haus nicht verlassen können. Für sie wird es eine große Hilfe sein, Krankheit und Leid als Erfahrung der Nähe zum Herrn zu leben, der im Geheimnis seines Leidens, seines Todes und seiner Auferstehung den Königsweg aufzeigt, um dem Schmerz und der Einsamkeit einen Sinn zu verleihen. Mit Glauben und freudiger Hoffnung diesen Moment der Prüfung zu leben, indem sie die Kommunion empfangen oder an der heiligen Messe und am gemeinschaftlichen Gebet – auch über die verschiedenen Medien – teilnehmen, wird für sie die Weise sein, den Jubiläumsablass zu erlangen.“

An die Gefangenen

Die pastorale Sorge des Heiligen Vaters gilt zudem „den Gefangenen, die die Einschränkung ihrer Freiheit erleben. Das Jubiläum war stets Anlass zu einer umfassenden Begnadigung, bestimmt für jene, die eine Strafe verdient haben, sich aber des begangenen Unrechts bewusst geworden sind und den aufrichtigen Wunsch haben, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern und ihren ehrlichen Beitrag zu leisten. Sie alle möge die Barmherzigkeit des Vaters konkret erreichen, der denen nahe sein will, die seine Vergebung am meisten brauchen. Den Ablass werden sie erlangen können in den Gefängniskapellen und jedes Mal, wenn sie durch die Tür ihrer Zelle gehen und dabei ihre Gedanken und ihr Gebet an Gottvater richten.“

Für die Verstorbenen

Der Jubiläumsablass kann ebenso für Verstorbene erlangt werden: „Mit ihnen sind wir verbunden durch das Zeugnis des Glaubens und der Liebe, das sie uns hinterlassen haben. Wie wir ihrer in der Eucharistiefeier gedenken, so können wir im großen Geheimnis der Gemeinschaft der Heiligen für sie beten, damit das barmherzige Antlitz des Vaters sie von jeglicher Restschuld befreie und sie in nie endender Seligkeit an sich ziehen kann.“

An die Jugend

Die über fünfhundert Jahre alte Tradition der Heiligen Pforten behält Papst Franziskus bei, setzt aber auch neue Akzente. „Um zur Heiligen Pforte in Rom oder einem der anderen Orte zu gelangen, muss ein jeder entsprechend der eigenen Kräfte eine Pilgerreise machen. Diese soll ein Zeichen dafür sein, dass auch die Barmherzigkeit ein Ziel ist, zu dem es aufzubrechen gilt und das Einsatz und Opfer verlangt. Die Pilgerfahrt soll darum Anreiz zur Umkehr sein. Wenn wir die Heilige Pforte durchschreiten, lassen wir uns umarmen von der Barmherzigkeit Gottes und verpflichten uns, barmherzig zu unseren Mitmenschen zu sein, so wie der Vater es zu uns ist.“ In einer besonderen Botschaft an die Jungen und Mädchen zum Jubiläum der Barmherzigkeit schreibt der Papst: „Wenn ihr durch die Heilige Pforte tretet, erinnert euch daran, dass ihr euch bemühen wollt, euer Leben zu heiligen und aus dem Evangelium und der Eucharistie – dem Wort und dem Brot des Lebens – eure Nahrung zu ziehen, um eine gerechtere und brüderlichere Welt aufzubauen.“

An die Obdachlosen

Am 18. Dezember 2015 besuchte Papst Franziskus die Obdachlosenunterkunft und Armenküche der römischen Caritas beim Hauptbahnhof der Ewigen Stadt, der Stazione Termini. Sie verfügt über zweihundert Schlafplätze für Obdachlose, gibt täglich rund fünfhundert Mahlzeiten an Bedürftige aus und ist damit die größte kirchliche Sozialeinrichtung für Obdachlose in Rom. Hier öffnete der Papst eine Porta Santa della Carità – „Heilige Pforte der Nächstenliebe“. Sie ist die einzige Heilige Pforte in Rom, die nicht zu einer Kirche gehört. Die Glastür ziert das Logo des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit. Das Mosaik stammt von dem slowenischen Künstler und Jesuitenpater Marko Ivan Rupnik und zeigt Christus mit der verwundeten Menschheit auf seinen Schultern. In seiner Ansprache sagte der Papst: „Was wird Jesus zu uns sagen, um uns die Himmelstür zu öffnen? ,Ich war hungrig und du hast mir zu essen gegeben; ich war obdachlos und du hast mich aufgenommen; ich war krank und du hast mich besucht; ich war im Gefängnis und du bist zu mir gekommen‘ (Mt 25,35-36). Jesus ist in der Demut und Einfachheit. Die Liebe Jesu ist groß. Daher wünsche ich, dass heute beim Öffnen dieser Heiligen Pforte der Heilige Geist die Herzen aller Römer öffnen möge und sie sehen lasse, welcher der Weg des Heiles ist! Es ist nicht der Luxus, es ist nicht der Weg des großen Reichtums, es ist nicht der Weg der Macht. Es ist der Weg der Demut. Und die Ärmsten, die Kranken, die Gefangenen – Jesus geht noch weiter –, die größten Sünder werden, wenn sie sich bekehren, uns ins Himmelreich vorausgehen. Sie haben den Schlüssel. Wer Nächstenliebe übt, ist es, der sich von der Barmherzigkeit des Herrn umarmen lässt.“

An die Flüchtlinge

Der Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ und die großen Flüchtlingswellen geben den Heiligen Pforten eine neue Aktualität. Bei der Generalaudienz vom 18. November 2015 erläuterte der Papst, was man unter der Heiligen Pforte als „Tür der Barmherzigkeit“ verstehen soll. Nach den Anschlägen in Paris war das Thema Sicherheit für die Besucher des Vatikans öffentlich diskutiert worden. Etliche italienische Kommentatoren und Politiker forderten den Papst sogar auf, das Heilige Jahr abzusagen oder zu verschieben. Ihnen gab Franziskus in seiner Katechese eine indirekte Antwort: „Der symbolische Umgang mit den ,Türen‘ – mit den Schwellen, den Übergängen, den Grenzen – ist entscheidend geworden.“ Die Tür der Barmherzigkeit Gottes müsse zu jeder Zeit offen sein und könne alle aufnehmen. Die Pforte gelte aber auch als „Schutz für die Hausbewohner“. Eine Tür dürfe nicht aufgebrochen werden, sondern man müsse stattdessen immer um Erlaubnis, um Einlass bitten. „Die Gastfreundschaft kommt in der Freiheit des Aufnehmens zum Vorschein, doch sie wird zu etwas Dunklem, wenn eine Invasion durch Gewalt ausgeübt wird“, sagte der Papst. Die Öffnung der Tür erfordere daher von ihren Hütern über ein Vertrauen hinaus auch Achtsamkeit und die Gabe der Unterscheidung.

Erneuerung der Beichte

Ein besonderes Anliegen ist dem Papst die Versöhnung des sündigen Menschen mit Gott im Sakrament der Beichte, vor allem, wenn er schwere Schuld auf sich geladen hat: „Das Drama der Abtreibung wird von manchen mit einem oberflächlichen Bewusstsein erlebt, sodass sie sich über das schwerwiegende Übel, das ein solcher Akt mit sich bringt, fast nicht im Klaren sind. Viele andere dagegen, die diesen Moment zwar als Niederlage erleben, meinen, keinen anderen Ausweg zu haben. Ich denke vor allem an alle Frauen, die eine Abtreibung haben durchführen lassen. Ich weiß um den Druck, der sie zu dieser Entscheidung geführt hat. Ich weiß, dass dies eine existenzielle und moralische Tragödie ist. Ich bin sehr vielen Frauen begegnet, die in ihrem Herzen die Narben dieser leidvollen und schmerzhaften Entscheidung trugen. Was geschehen ist, ist zutiefst ungerecht. Und doch: Nur wenn man es in seiner Wahrheit versteht, ist es möglich, die Hoffnung nicht zu verlieren. Die Vergebung Gottes für jeden Menschen, der bereut, kann diesem nicht versagt werden, besonders wenn er mit ehrlichem und aufrichtigem Herzen das Sakrament der Vergebung empfangen will, um Versöhnung mit dem Vater zu erlangen.“

Lossprechung von der Sünde der Abtreibung

Auch aus diesem Grund habe er, so der Heilige Vater, „ungeachtet gegenteiliger Bestimmungen entschieden, für das Jubiläumsjahr allen Priestern die Vollmacht zu gewähren, von der Sünde der Abtreibung jene loszusprechen, die sie vorgenommen haben und reuigen Herzens dafür um Vergebung bitten. Die Priester mögen sich auf diese große Aufgabe vorbereiten und Worte der echten Annahme mit einer Reflexion zu verbinden wissen, die hilft, die begangene Sünde zu begreifen. Ebenso sollen sie auf einen Weg echter Umkehr verweisen, um die wahrhaftige und großherzige Vergebung des Vaters verstehen zu können, der durch seine Gegenwart alles erneuert.“

Brückenschlag zur Bruderschaft St. Pius X.

Auf die Gläubigen, die Kirchen besuchen, die von den Priestern der Bruderschaft St. Pius X. betreut werden, geht der Papst mutig zu. Durch eine Reihe von Bischöfen habe er „vom guten Glauben und der guten sakramentalen Praxis dieser Gläubigen“ erfahren, „allerdings verbunden mit dem Unbehagen, in einer pastoral schwierigen Situation zu leben“. Er vertraue darauf, dass in naher Zukunft Lösungen gefunden werden können, um die volle Einheit mit den Priestern und Oberen der von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründeten Bruderschaft wiederzugewinnen: „Bewegt von der Notwendigkeit, dem Wohl dieser Gläubigen zu entsprechen, bestimme ich in der Zwischenzeit in eigener Verfügung, dass diejenigen, die während des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit das Sakrament der Versöhnung bei den Priestern der Bruderschaft St. Pius X. empfangen, gültig und erlaubt die Lossprechung von ihren Sünden erlangen.“

Missionare der Barmherzigkeit

In Misericordiae Vultus kündigt der Papst auch die Entsendung von besonderen Beichtvätern, den „Missionaren der Barmherzigkeit“, an. Ihre Aufgabe sei es, die Schönheit von Gottes Barmherzigkeit zu verkünden, bescheidene und weise Beichtväter zu sein, in der Lage, denen zu vergeben, die sich dem Beichtstuhl nähern: „Sie sollen ein Zeichen der mütterlichen Sorge der Kirche für das Volk Gottes sein, damit es tiefer eindringen kann in den Reichtum dieses für unseren Glauben so grundlegenden Geheimnisses. Es handelt sich dabei um Priester, denen ich die Vollmacht geben werde, auch von den Sünden loszusprechen, die normalerweise dem Apostolischen Stuhl vorbehalten sind. Damit soll der Umfang ihrer Sendung sichtbar werden. Sie sollen vor allem ein lebendiges Zeichen dafür sein, dass der Vater jeden aufnimmt, der seine Vergebung sucht. Sie werden Missionare der Barmherzigkeit sein, denn sie sollen allen eine Begegnung voller Menschlichkeit anbieten, eine Quelle der Befreiung, einen Ort der Verantwortung, der es ermöglicht, alle Hindernisse zu überwinden und das einst in der Taufe neu geschenkte Leben wieder aufzugreifen. Sie lassen sich in ihrer Mission leiten vom Wort des Apostels: ,Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen‘ (Röm 11,32). Denn alle, ohne Ausnahme, sollen den Aufruf zur Barmherzigkeit ergreifen. Die Missionare werden diesen Ruf erfüllen im Wissen darum, dass sie ihren Blick auf Jesus, den ,barmherzigen und treuen Hohepriester‘ (Hebr 2,17) richten können.“

Heiliger P. Leopold Mandic und heiliger P. Pio als Vorbilder

Über eintausend „Missionare der Barmherzigkeit“ werden im Heiligen Jahr 2016 tätig sein. Am Aschermittwoch des Jubeljahres feierte der Papst mit mehr als siebenhundert von ihnen die heilige Messe. Bei dem Gottesdienst waren auch die sterblichen Überreste zweier Kapuzinerpatres und großer Beichtväter der Kirchengeschichte anwesend, die Reliquienschreine des heiligen P. Leopold Mandić (1866-1942) und des heiligen P. Pio von Pietrelcina (1887-1968). In seiner Predigt forderte Papst Franziskus dazu auf, durch die offene Tür zu gehen, die Christus sei. Der Heilige Vater stellte einige Hindernisse fest, die die Türen des Herzens verschließen könnten. Das erste Hindernis sei die Versuchung, die Türen fest abzuriegeln und sich so mit seiner Sünde abzufinden, mit ihr zu leben und sie immer zu rechtfertigen mit dem Gedanken, nicht schlechter zu sein als die anderen. So aber bleibe man in sich verschlossen, sei ein „Gefangener des Bösen“.

Die Wunden der Herzen heilen

Ein weiteres Hindernis bestehe in der Scham, die geheime Tür des Herzens zu öffnen. Die Scham sei zwar ein gutes Zeichen, da sie zeige, dass man sich vom Bösen lösen wolle. Sie dürfe aber nie zu Angst und Furcht werden. Ein drittes Hindernis sei in der Versuchung gelegen, sich von der Tür zu entfernen. Dazu komme es, wenn man im Negativen verhaftet bleibe, bis hinunter „in den finstersten Keller der Seele“ – und dann vor dem Licht fliehe. Doch allein die Gnade des Herrn befreie. In ihm sei der Friede. Die Missionare der Barmherzigkeit sollen „Türöffner der Herzen“ sein, den Gläubigen helfen, die Scham zu überwinden und nicht vor dem Licht zu fliehen: „Mögen Eure Hände segnen und die Brüder und Schwestern mit väterlicher Hingabe aufheben; damit durch Euch der Blick und die Hände des Vaters auf seine Kinder wirken können und die Wunden geheilt werden!“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)


[1] Ulrich Nersinger: Gott ist barmherzig. Geb., 144 S., 14,95  Euro (D), 15,40 Euro (A), ISBN 978-3-9454012-3-1, Tel. 07303-9523310, Fax: 07303-9523315, E-Mail: buch@ media-maria.de – www.media-maria.de

„Preis des Lebens 2016“ an Weihbischof Laun

„Unermüdlich im Einsatz“

Am 28. Mai 2016 verlieh die „Bewegung für das Leben – Südtirol“ den „Preis des Lebens 2016“ an Weihbischof Dr. Andreas Laun aus Salzburg, der dazu in das „Haus des Lebens“ nach Meran gekommen war. Die Laudatio hielt Hans Lanz, ein bekannter Verfechter der natürlichen Empfängnisregelung. Er ist mit seiner Frau Margareth für die Kontaktstelle INER Südtirol verantwortlich und engagiert sich als Referent auf Seminaren und Ehevorbereitungskursen.

Die „Bewegung für das Leben – Südtirol“ feiert heuer ihr 30-jähriges Bestehen. In ihrer Begründung für die Verleihung des „Preises des Lebens 2016“ an Weihbischof Laun heißt es: „Weihbischof Andreas Laun war in diesen Jahrzehnten für uns Lebensschützer stets ein guter Freund, Wegbegleiter und Fels in der Brandung, der mutig voranging und für den Schutz des menschlichen Lebens in all seinen Phasen eintrat. Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, den diesjährigen „Preis des Lebens“ an Andreas Laun zu vergeben.

Weihbischof Andreas Laun ist seit Jahrzehnten unermüdlich im Einsatz für den Schutz des menschlichen Lebens. In dieser Funktion nahm und nimmt er als einer der wenigen Bischöfe und Priester in Europa an verschiedenen Märschen für das Leben teil und wurde in der Vergangenheit zu zahlreichen Diskussionssendungen im Fernsehen eingeladen – hauptsächlich zu heiklen Themen, wie Abtreibung, Homosexualität usw. Für seinen Einsatz wurde und wird er oft, nicht selten aus den eigenen Reihen, angefeindet.“ Seine Laudatio begann Hans Lanz mit einem Diskussionsbeitrag Launs vor seiner Zeit als Weihbischof: „In einer Radiodiskussionssendung am 9. März 1989, moderiert von Peter Huemer, sagte der damalige Professor für Moraltheologie, nachdem er 23 Minuten auf seine erste Wortmeldung gewartet hatte, Folgendes: ‚… Die Kirche bekennt sich zu ihren Pflichten in der Suche nach der Wahrheit in religiösen Fragen, die Menschen in ihrem Gewissen berühren und binden und anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als Kraft der Wahrheit selbst.‘ Das klingt etwas kompliziert – ist es auch, aber Professor Andreas Laun ist diesem Grundsatz des 2.Vatikanischen Konzils immer treu geblieben, als einfacher Pfarrmoderator oder ab 1995 als Weihbischof von Salzburg – in der Suche nach der Wahrheit.

Als mich der Präsident der „Bewegung für das Leben – Südtirol“, Christian Raffl, ersuchte, heute diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen, war ich zunächst erschrocken, dann aber dachte ich: Es ist doch einfacher über jemanden zu berichten, der etwas sagt, als über jemanden, der sich irgendwo verkriecht!

Was mich an Professor Laun immer wieder fasziniert, ist nicht nur, dass er auf jedem Bild, das hergezeigt wird, mit einem Lächeln abgebildet ist – das ist auch wichtig, sondern vor allem, dass er Dinge mit einem Klartext belegt, wo viele andere neidvoll hinhören.“

Und Lanz fügte hinzu: „Weihbischof Laun lässt sich weder unterkriegen noch mundtot machen – das hat er in unzähligen Diskussionssendungen im Fernsehen und Rundfunk bewiesen. Seine Veröffentlichungen zu Fragen des Lebensschutzes, seine Vortragsreihen in ganz Europa und hier in Südtirol, sind Hinweise genug, dass die ‚letztendliche‘ Laudatio nicht ich hier heute machen kann, sondern dass diese dem vorbehalten ist, der unser Leben gestaltet, unserem Schöpfer. Meine Aufgabe ist es, unserem heutigen Ehrengast zu all den internationalen Preisen und Anerkennungen, die er bereits erhalten hat, den Dank der „Bewegung für das Leben“ auszusprechen, für den Zuspruch an Mut und Informationen, dafür, dass er immer an vorderster Front steht. Denn wirklich mutige Menschen erkennt man daran, dass sie sich vor und nicht hinter eine Thematik stellen.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
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Psychotherapie zeigt Wege der Heilung

Tic-Störungen nehmen zu

Tic wird eine kurze und unwillkürliche motorische Kontraktion einzelner Muskeln oder Muskelgruppen genannt. Die Psychotherapeutin Christa Meves, die diesem Krankheitssymptom immer häufiger begegnet, zeigt einen therapeutischen Ansatz auf.

Von Christa Meves

Das Symptom des Tic ist eine leichte neurologische Störung. Die Betroffenen blinzeln hin und wieder mit ihren Augenlidern, zucken mit den Schultern oder krausen Stirn und Nase. In der Vergangenheit war der Tic meist bei älteren Menschen zu beobachten. Mittlerweile schien er wie ausgestorben. Erstaunlicherweise zeigt sich nun aber, dass solche Störungen, die als erstes im Grundschulalter auftreten, nun wieder in vermehrter Zahl sichtbar werden. In einer Radiosendung über Verhaltensstörungen erwähnte ich auch diese Form einer motorischen Unruhe und musste erleben, dass dadurch aus manchen Familien Hilferufe an mich als Kindertherapeutin ausgelöst wurden. Dabei ließ sich erfahren, dass Sachkenntnis auf diesem Feld der Verhaltensstörungen in der Bevölkerung praktisch nicht vorhanden ist. Im Gespräch geben die Eltern dann regelmäßig an, dass sie sich oft bereits über Jahre mühen, die Kinder auf diese „Unart“ anzusprechen und sie bei wachsender Erfolglosigkeit auch dafür beschimpfen und bestrafen. Sie können die Aussage der Kinder nicht verstehen, dass ihnen diese Zuckungen ohne jeden Einfluss ihres Willens geschehen.

Was ist ein Tic? Hat er eine Bedeutung? Lässt er sich therapieren? Warum nimmt er bei manchen Kindern wieder zu und weitet sich bis ins Erwachsenenalter hinein aus? Einiges darüber ist in der Neurologie längst bekannt: Tics haben ihren Ort in den motorischen Arealen des Gehirns. Sie gelten in der Schulmedizin als nicht veränderbare, genetisch bedingte, unwillkürliche motorische Erscheinungen. Einige verschwinden zwar im Kindesalter wieder. Andere lassen sich sogar lebenslänglich nicht vollständig bändigen. Psychiatrisch wird wenig erfolgreich medikamentös einzugreifen versucht. Das Leiden ist für die Betroffenen – subjektiv besonders ab der Pubertät – außerordentlich gravierend. Es wird als peinlich, beschämend und wertmindernd erlebt. Es entsteht das wachsende Bedürfnis, die unwillkürlichen Bewegungen im Gesicht oder im Oberkörperbereich zu unterdrücken, was meistens zu Misserfolgen, ja, eher zu einer Steigerung führt.

Es drängt mich deshalb, hier zu berichten, dass es oft möglich erscheint, in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Patienten die Störung zu minimieren oder sogar ganz zum Verschwinden zu bringen. Es ergibt sich nämlich bei der Anamneseerhebung regelmäßig, dass die Störung bereits im Kleinkindalter beginnt und zwar bei Kindern, bei denen eine hinreichende Ausgestaltung ihres Freiraums, ihrer Selbstbehauptung, ihres motorischen Spielraums, in einem für sie zureichenden Maß gefehlt hat. Die vitale Entfaltung physischer und psychischer Eigenständigkeit blieb aus! Es ist so, als ob der Lebenstrieb, die Natur im Kind, sich eine solche Einschränkung nicht gefallen lässt. Die Natur verhält sich ähnlich wie im Erdbebengebiet von Japan. Sie bebt dort in vielen Kleinschüben, um die Spannungen im Inneren der Erde anzuzeigen. Auch im physischen Bereich des Menschen werden mithilfe des Tics seelische Spannungen erkennbar, ja, mehr noch: In der Therapie lässt sich die Vermutung erhärten, dass der Tic eine nicht zum Zug gekommene Angriffsgebärde ist. Das entsprechende Kleinkind hat noch nicht genug Kraft zur Ausführung gehabt. Der Tic will also als ein Signal an die Erziehenden verstanden sein, das der Nachbesserung bedarf; denn in dem entsprechenden Zeitfenster der Entwicklungsphase ist dem Kind sein Entfaltungsspielraum nicht eigenständig und hinreichend genug eingeräumt worden. Die Natur des Kindes akzeptiert drastische Einengung nicht ohne Rebellion und übernimmt mit dem Tic ein Stück Eigenmacht. Das Symptom entspringt also nicht dem Eigenwillen des Kindes und lässt sich deshalb auch nicht frontal von ihm beseitigen. Erstaunlicherweise zeigt sich dann darüber hinaus im Erwachsenenalter, dass Menschen, deren Kindheit auf diese oder andere Weise irgendwie stranguliert war, auch gelegentlich zu mächtigen, oft zerstörerischen Jähzornsausbrüchen neigen – ähnlich wie ein psychisches „Großerdbeben“.

Die Vermutung solcher Zusammenhänge hat sich als erfolgreicher therapeutischer Ansatz erwiesen: Begreift der leidende Patient, der krampfhaft versucht, den Tic zu unterdrücken und damit lediglich Misserfolge erlebt hat, dass dem Verstehen seiner Störung eine andere Behandlung zu folgen hat, so lässt sich – weg von der Symptomtherapie – ein Ansatz entfalten, mithilfe von Psychomotorik nachzuholen, was in der entsprechenden Entfaltungsphase als Kleinkind unerfüllt geblieben ist. Sich eine motorisch befreiende Sportart zu wählen (Boxen ist besonders erfolgreich), sich im Umgang mit mächtigen Familienmitgliedern tapferer zu behaupten, seinen Platz einzunehmen, statt sich wegdrängen zu lassen, also sein Naturrecht gewissermaßen zu beanspruchen – das kann dann mit dem Patienten nachholend zur erfolgreichen Übung werden. Die Voraussetzung dazu ist der verständige Umgang mit einer Kleinstörung. Sie lässt sich in jungem Alter noch vertreiben, statt chronisch das Selbstwertgefühl des Betroffenen zu beeinträchtigen.

Der Tic ist offenbar neu in Gefahr, eine subjektiv beschwerende Störung zu werden, weil heute die allzu frühe Kanalisierung der Kinder bewirken kann, dass eine Entwicklung von Bindungsfähigkeit und angemessener Durchsetzung unzureichend bleibt.

Der Mensch ist als ein Mitkreator unseres Gottes gedacht. Der Reichtum seiner Entfaltung lässt sich durch unkindgemäße Künstlichkeiten einschränken. Das bedeutet aber, ihm die natürliche Kraft zu ausgeglichener Ausreifung zu rauben. Es lohnt sich, dem Kind die Möglichkeit einzuräumen, Selbstständigkeit und pflegliche Selbstbehauptung altersentsprechend zu leben bzw. nachzuholen, um eine seelisch gesunde Ausgestaltung zu gewährleisten.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
© Kirche heute Verlags-gGmbH (Altötting)

„Amoris laetitia“ –ein pastorales Lehrschreiben

Sprache der Barmherzigkeit

Der bekannte Fernsehkorrespondent Joachim Jauer (geb. 1940) hatte 2009 ein Buch über den Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa veröffentlicht und zu diesem Rückblick auch „Kirche heute“ ein Interview gegeben. Die Veröffentlichung mit dem Titel „Urbi et Gorbi. Christen als Wegbereiter der Wende“ fand in kirchlichen Kreisen ein dankbares Echo. Denn Jauer, der als Leiter des ZDF-Büros in der Deutschen Demokratischen Republik tätig war und 1989 Chronist der Wende im kommunistischen Machtbereich wurde, legte ein bewegendes Zeugnis für die entscheidende Rolle Papst Johannes Pauls II. und vieler gläubiger Christen zur Überwindung der sozialistischen Diktatur ab. In seinem 2015 im „Katholischen Bibelverlag/camino“ erschienenen Buch „Kennzeichen D – Friedliche Umwege zur deutschen Einheit“ schreibt er die Geschichte der 89er Revolution und den Anteil von Christen daran fort. Nun blickt er auf Papst Franziskus, der nach Jauer mit seiner Botschaft von der Göttlichen Barmherzigkeit wiederum auf eine historische Herausforderung reagiere, ja eine neue Zeitenwende für Kirche und Welt herbeiführe.

Von Joachim Jauer

Die Päpste Johannes Paul II. und Franziskus sehe ich in einer Stafette. Beide Päpste stammen aus Ländern mit Verletzungen der Menschenrechte. Der eine, Karol Wojtyła, kam aus der Diktatur des atheistischen Kommunismus, der andere, Jorge Mario Bergoglio, aus einer Militärdiktatur und einem kaum kontrollierten Kapitalismus, wo die Würde der Armen bis heute wenig gilt. Der Pole Wojtyła wollte in der Welt des real existierenden Sozialismus Wandel durch Wahrheit und damit Freiheit des Einzelnen, der Argentinier Bergoglio strebt in Lateinamerika und den anderen Armutsregionen der Welt und auch in seiner Kirche einen Wandel durch Barmherzigkeit und damit Würde für den Einzelnen an.

Papst Franziskus geht es nicht um Änderungen in Lehre und Disziplin der Kirche, sondern um die Annahme eines jedes Einzelnen im Geist aufrichtig gelebter Barmherzigkeit. Dies beginnt mit der Sprache, die wir im Umgang miteinander verwenden. Dazu gehört die Prüfung des Gewissens im vertrauensvollen Gespräch mit einem Seelsorger. Eine große, aber auch wunderbare Aufgabe für den Priester von heute! Papst Franziskus hat mit seinem im März dieses Jahres veröffentlichten Schreiben Amoris laetitia ein eindrucksvolles Beispiel dafür gegeben.

Papst Franziskus – ein Seelsorger

Der Titel Amoris laetitia – „die Freude der Liebe“ kann durchaus auch als „Freude an der Liebe“ übersetzt werden. Dem Text ging – einmalig in der Kirchengeschichte – eine weltweite Befragung unter Katholiken voraus. Die Themen, Ehe, Familie und Kinder, Sexualität wurden dann in zwei ausführlichen Bischofssynoden debattiert. Der Brief ist das Schlusswort des Seelsorgers Franziskus. Durch das gesamte Lehrschreiben zieht sich die grundlegende Papst-Botschaft von der Barmherzigkeit.

Ganz überwiegend wurde Amoris laetitia als christliche Hinwendung zu Menschen begrüßt, deren Neigungen oder Lebenslauf – kirchlich gesehen – als „irregulär“ definiert werden. Allein dieser Ausdruck grenzt aus der „communio sanctorum“, der Gemeinschaft der Heiligen, zu der doch alle Getauften unauflöslich gehören, aus. Schon deshalb, weil wohl niemand vor den Altar treten und behaupten kann, er sei im Gegensatz „zu dem da!“ regulär. Wir alle sind Zöllner.

Gescheiterten gilt Barmherzigkeit

Es beginnt mit der Sprache. In unserer Kirche hat sich eine Rede verselbständigt, die im Sinn von Barmherzigkeit neu bedacht werden muss. Statt von „wiederverheiratet Geschiedenen“ sollte von „wiederverheiratet Gescheiterten“ gesprochen werden. Schon das Wort „geschieden“ kann zu der Haltung verführen, dass diese Menschen auch von der Gemeinde geschieden sind. Ausgegrenzt sind sie häufig genug immer noch. Allen – nicht nur in ihrer Ehe – Gescheiterten aber gilt Barmherzigkeit. Und nur Gescheiterte bitten – manchmal über Jahre – um reguläre Aufnahme in die „communio sanctorum“. Die ernsthaft Suchenden sind auch bereit, lange Wege der Versöhnung und Heilung als Voraussetzung dafür zu gehen, dass sie mit der ganzen Gemeinde bitten können: „Herr, ich bin nicht würdig … aber sprich nur ein Wort!“ Wer von „Regulären“ könnte auf diese Bitte verzichten? Menschen, die ihre Ehe leichtfertig für einen anderen Partner aufgegeben haben, werden wohl seltener unter der Entfremdung von ihrer Kirche leiden. Aber Gescheiterte, die ihre getauften Kinder zu Beichte und Erstkommunion führen, können wohl bei ihren Kindern kaum Verständnis dafür finden, dass sie selbst von den Sakramenten, den Heilmitteln(!) der Kirche, ausgeschlossen sein sollen.

Großer Trost für Betroffene

Am Tag der Veröffentlichung von Amoris laetitia wurde ich von einem Betroffenen, der seit Jahren Heimat in seiner Kirche sucht, auf den Psalm 116 aufmerksam gemacht:

Ich liebe den Herrn;

denn er hat mein lautes Flehen gehört

und sein Ohr mir zugeneigt

an dem Tag, als ich zu ihm rief.

Mich umfingen die Fesseln des Todes,

mich befielen die Ängste der Unterwelt,

mich trafen Bedrängnis und Kummer.

Da rief ich den Namen des Herrn an:

„Ach Herr, rette mein Leben!“

Der Herr ist gnädig und gerecht,

unser Gott ist barmherzig.

Der Herr behütet die schlichten Herzen;

ich war in Not und er brachte mir Hilfe.

Komm wieder zur Ruhe, mein Herz!

Denn der Herr hat dir Gutes getan.

Ja, du hast mein Leben dem Tod entrissen, meine Tränen getrocknet,

meinen Fuß bewahrt vor dem Gleiten.

So gehe ich meinen Weg vor dem Herrn

im Land der Lebenden.

„Infizierte Menschen mit Gottes bedingungsloser Liebe umfangen“

Menschen können scheitern, alle Menschen sind Sünder, aber was tun, wenn ein Mensch seine Art zu leben und zu lieben nicht als Sünde erkennen kann? Weil sein Liebesleben seiner „Natur“ entspricht. Ein  HIV-positiver Mann, der nach langen Jahren der Kirchenferne wieder in die katholische Kirche eingetreten ist und nun nach seinem Gewissen zu leben versucht, klagt, dass er es sich nicht habe aussuchen können, schwul geboren zu sein. „Ich wäre auch lieber“, so sagt er, „kein Außenseiter und nach den Gesetzen meiner Kirche regulär“. In seiner streng katholischen Familie darf über seine Homosexualität nicht gesprochen werden. Nur einmal empfahl der ältere Bruder einen medizinischen Eingriff „zur Behebung des Problems“. Da zerbrachen die familiären Bande wie die kirchlichen auch.

Der katholische Priester Stefan Hippler, der jahrelang im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz Seelsorger im südafrikanischen Kapstadt war, forderte in einem Hilferuf eine barmherzige AIDS-Theologie für Afrika, wo zwei Drittel aller HIV-Infizierten Frauen und Mädchen sind. Er schreibt:

„Die katholische Kirche ist eine Gemeinschaft der Heiligen und der Sünder, und wir haben Sorge zu tragen für beide. Das Zweite Vatikanische Konzil ruft uns Christen auf, die Zeichen der Zeit zu erkennen, und HIV/AIDS ist ein solches Zeichen. Die einzig angemessene Antwort der Kirche wäre, die Pandemie nicht mit moralischen Argumenten zu bekämpfen, sondern die infizierten Menschen mit Gottes bedingungsloser Liebe zu umfangen, mit einer Liebe, die nicht nur die Kranken umsorgt, sondern offen ist für alle menschlichen Realitäten. Unsere Brüder und Schwestern sterben und wir laufen Gefahr, uns an ihnen zu versündigen.“

„Der Geist Gottes richte dich auf!“

In Berlin leiten eine Pastorin und ein Franziskaner ökumenisch die kleine Gemeinde „Kirche positHIV“. Einmal im Monat kommen AIDS-Infizierte und manchmal ihre Angehörigen zu einem Buß- und Bittgottesdienst. Nach der Predigt bei Kirche positHIV legen die Pastorin und der Pater vor der Osterkerze einigen Frauen und Männern segnend die Hände auf. Was dort vorn am Altar geschieht, Beichte oder Bitte, kann man nur ahnen und an den Gesichtern derer ablesen, die gläubig gestärkt durch den Segen wieder an ihren Platz zurückkehren. „Der Geist Gottes schenke dir Kraft und richte dich auf.“

Die Sprache der Barmherzigkeit ist ja nichts umstürzend Neues. Papst Franziskus verkündet nur den Kern des Evangeliums. Es ist die Botschaft vom „barmherzigen Vater“ und den verlorenen Söhnen und Töchtern, denen er entgegengeht. Und auch die vom älteren Sohn, dem der Vater versichert: „Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein.“ Niemand ist ausgeschlossen. Am Tag, an dem ich dies schreibe, heißt es im Tagesgebet der Eucharistiefeier: „Gütiger Gott. Bei dir ist Freude über jeden Menschen, der umkehrt und Buße tut. Denn du bist der Vater, der für alle ein Herz hat. Lass uns darauf vertrauen und deinem Ruf folgen. Hilf uns, dass auch wir einander vergeben, wie du uns vergibst.“

Glaubensstarkes Plädoyer für die Beichte

Ein glaubensstarkes Plädoyer für die Beichte hat auch der evangelische Märtyrer Dietrich Bonhoeffer geschrieben:

„Wer mit seinem Bösen allein bleibt, der bleibt ganz allein. Es kann sein, dass Christen trotz gemeinsamer Andacht, gemeinsamen Gebetes, trotz aller Gemeinschaft alleingelassen bleiben, weil sie zwar als Gläubige, als Fromme Gemeinschaft miteinander haben, aber nicht als die Unfrommen, die Sünder. Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein. Darum muss jeder seine Sünde vor sich selbst und vor der Gemeinschaft verbergen. Wir dürfen nicht Sünder sein. Darum bleiben wir mit unserer Sünde allein, in der Lüge und der Heuchelei. Denn wir sind nun einmal Sünder. … Nun komm als dieser Sünder, der du bist, zu deinem Gott, der dich liebt“ (zitiert aus „Quellen des geistlichen Lebens“, Bd. 2, hrsg. von Gisbert Greshake und Josef Weismayer).

Persönlicher Nachtrag

Diesen Text habe ich wegen eines Kommentars geschrieben, den der Salzburger Weihbischof Andreas Laun, Mitherausgeber von Kirche heute, kurz vor Veröffentlichung von Amoris laetitia verfasst hat. Darin meinte er sinngemäß, Gläubige bräuchten sich vor Änderungen der bestehenden Regeln nicht zu fürchten und die Betroffenen (also die „Irregulären“) sollten sich nicht zu früh freuen. Die verlorenen Söhne und Töchter freuen sich darüber, dass der barmherzige Vater ihnen mit offenen Armen entgegenkommt, ihnen den Ring der Versöhnung schenkt und ein Fest mit ihnen anberaumt. Dafür ist es nie zu spät. Und die älteren Brüder sind eingeladen, nicht zu grollen, sondern mitzufeiern. „Denn“, so sagt der barmherzige Vater, „jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern. Denn dein Bruder war tot und lebt wieder. Er war verloren und ist wieder gefunden worden.“

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
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Über die aktuelle Lage in dem südostafrikanischen Land

Simbabwe ist mehr als Robert Mugabe

Stefan Stein, der sich für das Hilfswerk „Kirche in Not“ im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit engagiert, berichtet von einer Projektreise nach Simbabwe. Das als „Kornkammer Afrikas“ bekannte und zum größten Teil christliche Land ist gewaltigen wirtschaftlichen und klimatischen Herausforderungen ausgesetzt, die auch vor kirchlichen Einrichtungen nicht haltmachen. Ein erst im Jahr 2000 eröffnetes Priesterseminar soll aufgrund finanzieller Engpässe wieder geschlossen werden.

Von Stefan Stein

Einmal im Jahr gerät Simbabwe in den Fokus der Öffentlichkeit, nämlich dann, wenn Präsident Robert Mugabe opulent und ausschweifend seinen Geburtstag feiert. Am 21. Februar 2016 wurde er 92 Jahre alt. Damit ist er der älteste Staatschef der Welt. Diesmal feierte Mugabe unter anderem mit 50.000 Gästen und einer 92 Kilogramm schweren Geburtstagstorte.

Seit 1980 leitet er die politischen Geschicke in Simbabwe: anfangs als Premierminister und seit 1987 als Präsident. Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien vor 36 Jahren wurde er als Lichtgestalt und Hoffnungsträger gefeiert. Doch heute regiert er ein Land, das wirtschaftlich am Boden ist: Die Arbeitslosenquote liegt etwa zwischen 80 und 90 Prozent; wegen Misswirtschaft und Korruption gibt es kaum Investitionen ausländischer Firmen. Mittlerweile sind bereits über drei Millionen Simbabwer ausgewandert, weil sie sich im Ausland eine bessere Zukunft erhoffen.

Trotz der alltäglichen Herausforderungen haben die Menschen in Simbabwe ihre Offenheit und Lebensfreude nicht verloren. Jeder Gast wird mit einem freundlichen „Hello, how are you?“ („Hallo, wie geht’s?“) und einem Lächeln gegrüßt.

Diese Lebensfreude drückt sich auch in den gut besuchten Gottesdiensten aus. Die Gläubigen und der Priester klatschen, tanzen und singen lauthals mit. Trommeln, Rasseln und andere afrikanische Instrumente gehören selbstverständlich dazu. Neben der Kollekte werden zur Gabenbereitung auch Geschenke der Gläubigen für den Priester mitgebracht: Reis, Eier, Speiseöl, Cornflakes oder auch mal ein Kasten Cola. Damit unterstützen sie den Lebensunterhalt des Priesters, der nur wenig bis keinen Lohn erhält.

Dabei sind die Preise in den Supermärkten durchaus mit denen in Westeuropa vergleichbar. Der Durchschnittslohn in Simbabwe liegt bei ungefähr 300 US-Dollar. Das ist auch seit dem vergangenen Jahr die offizielle Währung in Simbabwe. Der vorherige Simbabwe-Dollar wurde wegen der dramatischen Inflation abgeschafft. Im Juni 2015 erhielt man für einen US-Dollar 35 Billiarden Simbabwe-Dollar – eine Zahl mit 15 Nullen. Die Umstellung auf US-Dollar hat zu Preissteigerungen geführt.

Trotz engagierter Gemeinden ist die wirtschaftliche Krise an der katholischen Kirche in Simbabwe nicht vorübergegangen. „Von schlecht zu schlechter“, fasst der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz und Erzbischof von Harare, Robert Christopher Ndlovu, die Situation zusammen. Die Ausgaben sind gestiegen, und aus Geldmangel können viele Menschen die Pfarrer oder Pfarreien nicht mehr unterstützen. Bistümer müssen Grundstücke verkaufen, um mit dem Erlös Gebäude zu erhalten oder die Priesterausbildung zu unterstützen. Die Bischofskonferenz sah sich kürzlich zu einem radikalen Schritt gezwungen: Das Priesterseminar für das philosophische Grundstudium in Bulawayo, der zweitgrößten Stadt des Landes, wird aus Kostengründen geschlossen. Dabei ist es erst im Jahr 2000 wegen der hohen Zahl an Berufungen eröffnet worden. Vom neuen Studienjahr im Herbst an werden alle Priesteranwärter im Seminar von Chishawasha in der Nähe der Hauptstadt Harare ausgebildet. Doch dieses bedarf noch einer dringenden Sanierung: Termiten haben den Dachstuhl befallen, so dass bereits Teile des Dachs eingestürzt sind. Auch die Wasserrohre müssen dringend ausgetauscht werden.

Doch dazu fehlt das Geld. Die Kirche in Simbabwe ist auf die Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Das katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt die Christen in Simbabwe auf vielfältige Weise. Zurzeit fördert das Hilfswerk den Bau von Kirchen, diözesanen Einrichtungen oder Pfarrzentren. Wichtig sind auch Mess-Stipendien, die das Überleben der Priester sichern, zum Beispiel der Dozenten am Priesterseminar.

Zwischen zehn und 20 Prozent der 15 Millionen Einwohner Simbabwes sind katholisch. Die Katholiken leben weit verstreut in dem Land, das etwas größer als Deutschland ist. Außenstationen von Pfarrgemeinden können durchaus bis zu 100 Kilometer von der Pfarrkirche entfernt sein. Dorthin gelangt man aber nur mit einem geländegängigen Wagen, denn abseits der asphaltierten Highways sind die Straßen sandige Pisten oder Feldwege und mit Schlaglöchern übersät. Vor allem in der Regenzeit sind viele Nebenstraßen kaum befahrbar. Auch hier hat „Kirche in Not“ bereits mehrfach Fahrzeuge finanziert, damit die Priester zu ihren Gemeinden kommen können.

In diesem Jahr kamen zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch noch klimatische Herausforderungen. Während der Regenzeit von Dezember bis März ist nicht ausreichend Niederschlag gefallen. Manche Regionen des Landes waren von einer großen Dürre betroffen. Die Flüsse sind versiegt, und die Ernte ist verdorrt. Vor allem die Landbevölkerung musste Hunger leiden, weil das Hauptnahrungsmittel Mais nicht gut gewachsen ist. Es gab auch ein großes Viehsterben. Kühe sind für die Bevölkerung auf dem Land allerdings überlebenswichtig, denn sie liefern Fleisch und Milch. Die Regierung hatte sogar den Notstand ausgerufen.

Simbabwe war einst als die „Kornkammer Afrikas“ bekannt und stand wirtschaftlich auf soliden Füßen. Touristisch ist das Land jedoch kaum erschlossen, obwohl es durchaus Potenzial hat: freundliche Menschen, abwechslungsreiche Landschaften, unberührte Natur. Doch es fehlen die Investitionen. Nur im Nordwesten des Landes, rund um die Victoria-Fälle, gibt es eine touristische Infrastruktur. Hier gibt es auch einen Safari-Park, in dem es die Tiere gibt, die viele Menschen mit Afrika verbinden: Löwen, Elefanten, Nashörner, Büffel und Flusspferde. Unweit der Victoria-Fälle gibt es auch einen modernen Flughafen mit internationalen Verbindungen, wo die Touristen ankommen und abfliegen.

Dabei sind die Schönheit und Unberührtheit genau das, was Simbabwe ausmacht. Übersetzt bedeutet der Landesname „Großes Haus der Steine“ in der Sprache Shona, die der überwiegende Teil der Bevölkerung spricht. Überall im Land stößt man auf große, haushohe Granitsteine in besonderen Formationen, als hätte ein Riese diese Steine gestapelt. Neben Shona wird vor allem im Süden und Südwesten Ndebele gesprochen, im Nordwesten auch Nambia. Die Sprachen sind untereinander nicht verwandt. Auch sprachlich war der Standort des Priesterseminars in Bulawayo ein Vorteil: Priesteranwärter aus shona-sprachigen Landesteilen konnten dort die anderen Sprachen lernen.

Eine weitere Herausforderung der Kirche, aber auch der simbabwischen Gesellschaft insgesamt, ist ein sich verbreitender westlicher Lebensstil. Ausländische Medien beeinflussen die Kultur und Tradition. Derzeit gibt es zum Beispiel eine regelrechte Scheidungswelle, wie die Bischöfe übereinstimmend berichten. Auch die Gender-Ideologie ist mittlerweile ein Thema: Denn um Fördergelder für Erziehungsprogramme von den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union zu bekommen, müssen sich Erziehungs- und Gesundheitseinrichtungen diesem Diktat beugen. „Wir müssen da aufpassen“, sagt Schwester Bernard Chabikwa, Gesundheitskoordinatorin im Bistum Gokwe im Zentrum Simbabwes.

Viele Schulen sind in kirchlicher Trägerschaft. Die katholische Kirche genießt wegen ihres vielfältigen sozialen Engagements ein hohes gesellschaftliches Ansehen, obwohl es nur wenige Katholiken im Land gibt. Der überwiegende Teil gehört evangelischen Glaubensgemeinschaften und Freikirchen an. In der pastoralen Arbeit spielen neben Priestern und Ordensschwestern vor allem Katecheten eine Rolle. Die Bistümer betreiben beispielsweise viele Krankenhäuser oder Schulen. In Simbabwe müssen Eltern jedoch bis zu 500 Dollar pro Trimester für den Schulbesuch zahlen – in einem der ärmsten Länder der Welt eine Herausforderung.

Doch das müsste nicht sein, denn das Land verfügt über große Gold- und Diamantenvorkommen. Aber durch Misswirtschaft und Korruption kommt von den Handelserlösen nichts bei der Bevölkerung an. 

Die Bevölkerung ist einerseits wütend auf die Politik, andererseits schüttelt sie den Kopf und nimmt die Umstände mit Galgenhumor hin. Mehrere Generationen kennen kein anderes System. Es ist schwer zu beurteilen, ob sich die Lage verändern wird, wenn Robert Mugabe nicht mehr Präsident ist oder nicht mehr lebt. Im nächsten Jahr wird er 93 Jahre alt und wird sicherlich wieder mit großem Tamtam seinen Geburtstag feiern. Dann wird Simbabwe wieder in den Medien erscheinen. Dass das in der übrigen Zeit des Jahres nicht der Fall ist, wird den Menschen in Simbabwe nicht gerecht.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
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18 Geschichten aus dem Leben

Der Kirschbaum im Garten

Die Journalistin Vera Novelli hat unter dem Titel „Der Kirschbaum im Garten. 18 Geschichten aus dem Leben"[1] ein persönliches Zeugnis darüber abgelegt, wie sie ihre Lebensfragen aus dem Glauben heraus beantwortet und bewältigt. Pfarrer Dr. François Reckinger gibt uns einen kleinen Einblick in das Büchlein, das 88 Seiten umfasst und durch Illustrationen von Irene Fürhofer bereichert ist.

Von François Reckinger

Familie oder berufliche Karriere?

Unter dem Titel „Der Kirschbaum im Garten“ lädt Vera Novelli zu einem Durchgang durch das Halbjahr von Mai bis November ein. Als Journalistin ist die Autorin seit ihrer Trauung 1989 und der nachfolgenden Geburt von drei Töchtern ihrer Familie zuliebe nie voll berufstätig gewesen. Sie konnte jedoch zu Hause zahlreiche Artikel und Kurzgeschichten verfassen und publizieren.

In ihrem hier vorzustellenden Geschenkbuch leitet sie mit dem Bild vom Bergsteigen einen Abschnitt über die große Versuchung ein, die vielen Ehepaaren samt ihren Kindern droht: Der Berg gilt dabei als Bild für eine große Karriere, der alles andere zu opfern ist. „Warum länger den meckernden Partner ertragen…, die kreischenden Kinder…? … Manche Ehe wurde einem ungelebten Traum geopfert…“ (S. 19-21).

Probleme mit den Kindern

Es folgen auf leidvoller Erfahrung beruhende Hinweise zum Umgang mit Kindern, die sich nicht so entwickeln, wie es die Eltern erwartet hatten, sondern sich im Gegenteil als „rebellisch, kaltschnäuzig und überheblich“ erweisen (23). Angesichts der Probleme mit ihren volljährigen Töchtern gerät Frau Novelli in eine Gewissenskrise und fragt sich: „Wer trägt die Schuld daran? … Bin ich vielleicht allein schuld?“ (31f).

Doch dann erinnert sie sich an eine Bekannte mit sechs Kindern, die noch mehr als sie selbst zu leiden hat. Fast alle deren Kinder haben Probleme, ihr Mann hat sich „zurückgezogen“. Im Blick darauf und auf das eigene Drama gelangt die Autorin zu der befreienden Einsicht, dass perfekt sein zu wollen eine Versuchung des Teufels ist. Damit geht ihr „die Größe des inneren Loslassens auf“, und sie erklärt: Ich „habe das Beste gegeben, den Rest überlasse ich dem, der … (allein) vollkommen ist, Gott“ (32-34).

Essen und Fasten mit Maß

Von hohem Wert für unser menschliches und religiös-kirchliches Leben erscheinen die Seiten über Essen und „Speisen“, über die Bedrohlichkeit der Magersucht (46-48), über das Fasten Jesu, aber auch über sein „Mahlverhalten“ anlässlich von Einladungen und sein heiliges Mahl mit der Einsetzung der Eucharistie. Zu Recht folgt der Hinweis, dass für Jesus zu einem Mahl auch Wein gehörte (55). Zum Glück sind mit den Ausführungen dazu auch Warnungen in Bezug auf Alkoholmissbrauch verbunden (54f).

Dem Leben dienen – es ist ewig

Es folgen Erfahrungsberichte über die Hinführung der Kinder zum Lesen; über die Rolle der Oma für deren menschliche und kulturelle Entwicklung (56-67), aber auch über Fehler und Sünden von Großeltern – darunter gar die Tatsache, dass Omas und Opas ihrer schwangeren Tochter raten, das Kind in ihrem Leib „wegmachen“ zu lassen (66).

Den Abschluss des Buches bilden zu Herzen gehende „Novembergedanken“ (84-87). Der vorausgehende Abschnitt (80-83) trägt den Titel „Sonne in Köln“. Darin erzählt die Autorin ihren Abschied vom Kölner Dom, im Rückblick auf ihre Studentenzeit, die sie zu einem großen Teil in dieser Stadt verbracht hat. Sie beendet ihre Betrachtung zu diesem Abschied mit dem Aufruf: „(K)eine Angst vor der Kälte der Endlichkeit. Denn wir werden leben in Gottes Sommergarten! Ewig“ (80-83).

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
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[1] Vera Novelli: Der Kirschbaum im Garten – 18 Geschichten aus dem Leben. Mit Illustrationen von Irene Fürhofer. Palotti Verlag, Friedberg (Bay.) 2015, 88 S., 9,90 Euro (D) zzgl. Versandkosten, ISBN 978-3-87614-084-1 – im Internet: www.pallotti-verlag.de/produkt/der-kirschbaum-im-garten/

Anleitung zur eucharistischen Anbetung

Der Herr im Tabernakel

„Lebe in meiner Liebe“,[1] so heißt ein neues Buch, das die Salesianerin Schwester M. Margareta vom Kloster der Heimsuchung Mariä in Uedem dieses Jahr herausgebracht hat. Es ist eine Anleitung zur Vertiefung der eucharistischen Frömmigkeit. Sr. Margareta zeigt auf, dass eine innige Gottesliebe Aufmerksamkeit verlangt. Wie jede andere Freundschaft muss sie eingeübt werden. Das benötigt Zeit. Nur durch tägliche Anstrengung können wir unsere Beziehung zu Jesus Christus vertiefen und die Einheit mit seinem Herzen erlangen. Dazu brauchen wir keine Meditationspraktiken, die außerhalb unseres christlichen Glaubens beheimatet sind, sondern eine neue Hinwendung zum Herrn in der heiligen Eucharistie. Das Buch kann als ständiger Begleiter auf dem Weg zur Vertiefung der persönlichen Frömmigkeit und Heiligung dienen.

Von Sr. M. Margareta  OVM

Die Feier der heiligen Eucharistie, die heilige Kommunion und die Gegenwart unseres Herrn im Tabernakel sind das höchste Gut, das Kostbarste, was wir auf Erden besitzen. Würden wir unseren Herrn im heiligsten Sakrament sehen, wie Er ist, wir würden die Kirche nicht mehr verlassen. Angezogen von Seiner Herrlichkeit und ergriffen von Seiner Schönheit hätten wir nur den Wunsch, dort immer bleiben zu dürfen.

Die heilige Eucharistie ist der vorweggenommene Himmel hier auf Erden – und wir gehen an der Kirche vorbei. Sie bleibt leer. Warum? Weil wir nicht wirklich tief glauben, dass dort unser Gott ist. Weil wir es uns nicht wirklich vorstellen, wer dort real, wesenhaft gegenwärtig ist. Weil wir mit unserem Alltag und mit unserer Freizeit so beschäftigt sind, dass das Wichtigste, bei Gott zu sein, sich dort Kraft und Trost für unser Leben zu holen, zur Nebensache wird, ja, sogar zur Gleichgültigkeit. Eigentlich ist diese Tatsache gar nicht zu begreifen und doch ist es so.

Welch ein Schmerz, wenn wir eines Tages vor Ihm stehen und Seine Liebe erkennen, Seine Herrlichkeit und unser Versäumnis. Die Kirchen sind leer, weil wir uns nicht tief genug Gedanken darüber machen, wer dort wirklich ist, denn wir sehen nicht und fühlen nicht. Das ist das Problem.

Wir brauchen Aktion, Erlebnisse, Erfahrungen, Spannung. In der Kirche jedoch ist es nur still. Nichts. Scheinbar nichts und doch alles! Ich bin draußen, Er ist drinnen. Ich suche die Aktion und Er ist in der Stille. Nur wer sich dieser Stille aussetzt, wird eines Tages die Erfahrung machen: Er wird Gott in sich selbst erfahren und in der Stille vor dem Tabernakel.

Wer so etwas erlebt, ahnt etwas von der Herrlichkeit des Herrn, er erkennt mit Schmerzen, mit welcher Gleichgültigkeit wir der Liebe unseres Vaters begegnen. Menschen, die die Nähe Gottes erfahren dürfen, möchten so manches Mal ausrufen, möchten in Worte fassen, was sie ahnen. Doch gibt es keine Worte, um Gotteserfahrungen wirklich zu beschreiben. Sie sind zu blass, sie sagen nicht annähernd aus, was erfahrbar war. Und so schweigt man, traurig, hilflos. Wir lassen unseren Gott zu sehr allein! Eigentlich sollte zumindest tagsüber immer jemand in der Kirche sein, unseren Gott loben, ihm danken, ihn preisen, für die Gemeinde beten. Besuchen wir Ihn, so oft es geht, im Tabernakel einer nahe gelegenen Kirche zu einem kurzen Gebet! Nehmen wir doch alle mit, die vorüber gehen! Beten wir für sie, dass auch sie erkennen und ahnen, wer es ist, der hier geduldig auf sie wartet!

Gehen wir auch oft zur heiligen Kommunion! Jesus wesenhaft in mir und ich hineingenommen in Seine Gegenwart! Wir berühren einander, werden immer mehr in Ihn verwandelt und strahlen Ihn aus. Wir setzen Seine Werke fort und werden selbst Sein Herz, Sein Mund, Seine Hände. Jesus Christus in der heiligen Eucharistie anzubeten, besonders vor dem ausgesetzten Allerheiligsten, und die heilige Kommunion oft zu empfangen, ist die volle Anschauung Gottes im Glauben und die geistige und leibliche Vereinigung mit Ihm. Mehr konnte uns Gott auf Erden nicht geben.

Der Artikel ist veröffentlicht in der Zeitschrift Kirche heute Nr. 7/Juli 2016
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[1] Sr. M. Margareta OVM (Kloster der Heimsuchung Mariä in Uedem): Lebe in meiner Liebe. Bernardus-Verlag 2016, Pb., 136 S., Euro 12,80 (D) inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten, ISBN 978-3-8107-0247-0. Direkt bestellen: Tel. 02825-403 oder via E-Mail: sr.m.margareta@gmx.de

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